Elixiere der Macht: Erinnerungen eines Karrieristen, Teil 1
Von Kristian Winter
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Buchvorschau
Elixiere der Macht - Kristian Winter
Vorbemerkung
Diese Geschichte ist frei von politischen Wertungen. Ich habe mich um Objektivität bemüht und nur Fakten angeführt, die auf Tatsachen beruhen. Ihre Interpretation obliegt dem Leser.
Der Autor
Von Niederen und Höheren
„Es irrt der Mensch, so lang er lebt", J.W. v. Goethe
Als die Blöcke fest gefügt und die Welt noch in alter Ordnung war, befand sich in einem durch nichts bekannten Städtchen, irgendwo im Süden der ehemaligen DDR, eine Offiziersschule. Dort herrschten ganz eigene Regeln, die für alle Ewigkeit festgeschrieben schienen.
Wenn es einen Ort gab, wo die Ideale einer besseren Gesellschaft vorab verwirklicht waren, dann dort. Hier demonstrierte man im Kleinen, was im Großen noch nicht funktionierte und nahm seinen Perfektionismus als praktisches Beispiel für die Rechtmäßigkeit und Richtigkeit einer Idee, welche seinerzeit ganze Generationen bewegte.
Wenn man von dieser Schule sprach, redete man stets mit einem Augenzwingern von der ‚Einrichtung‘. Warum, konnte niemand sagen. Vermutlich wäre es einer Respektlosigkeit gleichgekommen, sie mit einer Schule oder Kaserne gleichzusetzen, denn an Schulen wird gelehrt, an Kasernen gedrillt. Hier jedoch wurde mehr, viel mehr.
Diese Einrichtung lag auf einem Hügel etwas außerhalb der Stadt und umfasste ein Areal von mehreren Hektar. Darin waren etwa tausend Schüler in jeweils zwei Lehrgängen kaserniert untergebracht. Das gesamte Objekt war von einem blechbeschlagenen Zaun umfriedet und somit von außen nicht einsehbar. An den Eckpunkten und strategisch wichtigen Höhen ragten Postentürme mit ihren gläsernen Kuppeln auf, von denen nachts grelle Strahlen die Zäune ableuchteten.
Es gab nur eine Zufahrtstraße, die bereits sehr brüchig war und vor einem streng bewachten Eingangstor endete. Dahinter begann das verbotene Areal, bestehend aus dem Wachlokal mit Waffen- und Mannschaftraum. Einem grauen Flachbau mit trüben Scheiben und dem muffigen Geruch von Öl und Bohnerwachs.
Unmittelbar daran mündete die Exerzierstrecke, welche, von zahllosen Stiefeltritten glattgewetzt, im schrägen Licht der Morgensonne wie Lava gleißte. Sie führte am ‚kleinen Kreml‘ vorbei, einer ummauerte Empore, von wo die Generalität die im Stechschritte vorbei defilierenden Truppen inspizierte. Schräg gegenüber befand sich das Haus des Schulleiters (aufgrund der vielen Pflanzen im Foyer ‘Alfred-Brehm-Haus‘ genannt), und weiter hinten folgten die dreigeschossigen Kasernen. Diese umringten wiederum einen riesigen Appellplatz, der nie überschritten werden durfte.
Von ihm ging etwas Magisches aus, das auf bedrückende Weise den Geist des Barras vermittelte, der hier seit Generationen herrschte und dem Ort seinen heimlichen Namen verlieh - Stadt der tausend Witwen. Hielt sich doch hartnäckig das Gerücht einer einst hier stationierten Panzerdivision, die 1942 nach Stalingrad verlegt wurde.
Selbst heute noch soll gelegentlich, besonders in windigen Herbstnächten, in denen das Laub durch die Straßen fegt und das Mondlicht seinen matten Schein auf den spröden Asphalt wirft (und das wurde von verschiedenen Posten glaubhaft bestätigt) das Heulen der Motoren zu hören sein.
Wie für militärische Objekte üblich, herrschte überall eine penible Reinlichkeit, worin sich Disziplin und Ordnung gleichermaßen ausdrückten. So wurden Laternen und Geländer regelmäßig gestrichen und Wege und Rabatten peinlichst gepflegt. Sogar der Löwenzahn wurde im Frühjahr akribisch gezupft, damit sein stechendes Gelb das Gleichmaß der Rasenflächen nicht störte.
Zu besonderen Anlässen schüttelte man die Bäume an den Protokollstrecken, um loses Blattwerk zu entfernen. Die Rasenkanten wiederum wurden mit Forken glattgebürstet, nichts dem Zufall überlassen und die Natur jener streng hierarchischen Ordnung menschlicher Willkür unterworfen, welcher etwas Abnormes und Faszinierendes zugleich entsprang.
Ich meine nicht zu übertreiben, diesem Ort einen letzten Rest Preußentum zu bescheinigen, denn nirgendwo wurde deutlicher, wie sehr sich Charakterzüge in Äußerlichkeiten niederschlagen, sobald man nur nach Äußerlichkeiten misst. Unter solchen Umständen verkommt der Instinkt, dominieren Oberflächlichkeit und Egoismus.
Der Nebenmann wird allein nach seiner dienstlichen Stellung bemessen und ins Verhältnis zum eigenen Rang gesetzt. Übertriebene Dienstbeflissenheit mit schikanöser Korinthenkackerei bis hin zur Selbsterniedrigung sind keine Launen, sondern logische Konsequenz einer erdrückenden Hierarchie, welche die ganze Persönlichkeit ausrichtet.
Folglich war der typisch ‘Niedere‘ ein ewig Leidender. Äußerlich fest und unerschütterlich, blieb er innerlich labil und inkonsequent, da sich seine Kompetenz als Befehlsempfänger nur auf einen begrenzten Bereich erstreckte. Diskussionen