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GAUCHO: Schneetreiben in der Pampa
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eBook339 Seiten4 Stunden

GAUCHO: Schneetreiben in der Pampa

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Über dieses E-Book

Spannende Unterhaltungsgeschichte, die von einem Wachkomapatienten erzählt wird. Mit seinen zwei langjährigen Freunden an der Nordsee legt er sich durch grenzenlose Naivität mit der Drogenmafia an. Was am Anfang wie ein Spiel aussieht, wird zum Schluß bitterer Ernst. Dem Milieu nicht gewachsen, agieren sie kopflos und müssen letztendlich den Tribut zahlen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Juni 2015
ISBN9783738030709
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    Buchvorschau

    GAUCHO - Chris Biller

    INHALT

    GAUCHO

    Schneetreiben in der Pampa

    Drei WILHELMSHAVENER ,die sich in ihrer grenzenlosen Naivität selbst überschätzen!

    Als Tony Schmitz langsam erwacht, muss er erschreckenderweise feststellen, dass er sich in einem

    andauernden Zustand des Wachkomas befindet. Hervorgerufen durch einen Unfall mit seinem

    Motorrad, deren Umstände ihm mit der Zeit immer klarer werden. Unter Polizeischutz, bewacht vor

    seinem Krankenzimmer, setzt er allmählich Schritt für Schritt das Puzzle zusammen und erfährt

    nebenbei, das seine besten Freunde das waghalsige Spiel, das sie mit der Drogenmafia meinten

    treiben zu können, auf brutalste Weise bereits verloren hatten.

    Nur er, Tony Schmitz, war wie ein Wunder noch am leben.

    Gaucho

    SCHNEETREIBEN IN DER PAMPA!

    AUCH WENN DU FÜR ANDERE NICHT MEHR DA BIST,

    HEISST ES NICHT, DAS ES DICH NICHT GIBT!

    Chris

    Name: Tony Schmitz

    Geboren am:28.03.1982

    Geschlecht: männlich

    Verkehrsunfall am 07.07.2013

    Man sagt, der Zustand der tiefen Ohnmacht und dessen Dauer, wäre eine Willkür des Schicksals. Das apallische Syndrom lässt die Betroffenen nicht mehr am Leben teilhaben. Trotz des Anscheins nur zu schlafen und dem Reagieren auf bestimmte äußerliche Reize, werden die meisten ihre Dämmerung nie verlassen können. Ein Zusammenspiel von Desinteresse und Erstaunen formen den erstarrten Ausdruck im Gesicht. Die Augen geöffnet jedoch unfähig die Außenwelt zu kontaktieren stehen sie sich selbst am wenigsten Nahe. Wachkoma wird weltweit von Medizinern anhand einer Skala von 3 bis 15 eingeschätzt. Je höher der Wert einer Bewusstseinsstufe, umso gesünder der Patient. Tony wurde in 3 eingestuft und galt als einer der wenigen Kandidaten, die sich am weitesten von ihrem bewussten Selbst entfernt hatten. Hinter der Frage in wie weit ein Mensch in diesem Zustand tatsächlich noch fähig ist überhaupt etwas aufzunehmen, steht ein noch größeres Fragezeichen.

    Was wäre, wenn wir uns alle irren?

    1

    Es war still, eigenartig still und dunkel. Ich fühlte mich wohlig leicht und unbeschwert. Fast körperlos, von sorgvollen Gedanken unbefangen, schien alles nichtig, unbedeutend zu sein. Eine innere uneingeschränkte Zufriedenheit, vermischt mit einem beinahen Glücksgefühl. Ummantelt von seliger Wärme und Geborgenheit. In Trance schwebend, unbekannt benebelt, wie in einem Rausch.

    Fühlte sich etwa so der Tod an? Was war geschehen? Wo war das Licht am Ende des Tunnels, von dem alle sprachen? War es schon an mir vorbei, hatte ich es verpasst? Gab es überhaupt ein Licht, oder hatte es nur ein Mancher gesehen, der für einen Moment im Begriff war zu sterben?

    Bin ich gestorben? Bin ich?

    Bisher kehrte noch keiner nach dem Tod so richtig zurück und bis auf ein paar dubiose Behauptungen nach spirituellen Sitzungen, gab es auch sonst keine Beweise. Tote waren also nicht gerade redselig, was das Licht betraf.

    Ich dachte an die Möglichkeit, dass meine Seele zwischen den Welten festsaß. Vielleicht war dies der Moment, in dem man ins Jenseits übergeht. Ich dachte und dachte bis mir auffiel, dass ich es tat. Natürlich! Wie sagte Descartes: „Ich denke, also bin ich!" Ich war mir sicher noch unter den Lebenden sein zu müssen. Nichts mit Jenseits, auf dem Weg zur ewigen Ruhe. Ich konnte, durfte mich nicht täuschen.

    Aber wo bin ich?

    Ein leises wiederkehrendes Geräusch, holte mich aus meiner wirren Gedankenwelt. Ein dumpfer auf Anhieb undefinierbarer Ton war zu hören. Er ertönte in einem Rhythmus und wurde zunehmend höher und höher. Ich nahm immer mehr Geräusche wahr, die in ihrer Deutlichkeit stärker wurden. Die Dunkelheit vor meinen Augen wich einem hellen grauen Nichts, als würde man am Tage auf einer großen Wiese liegen und mit geschlossenen Augen in den klaren Himmel blicken. Ich war im Begriff allmählich meine Sinne zu aktivieren. Ich wurde wach! Nach kurzer Zeit hatte sich der Ton in seinem Klang und in der Lautstärke eingependelt. Er war mir nicht unbekannt und wer ihn kannte, wollte ihn am liebsten nicht hören. Er bringt in dieser Form im Leben mehr Trauer als Zuversicht. Oftmals ist er der musikalische Vorbote des nahenden Endes.

    Der Herzrhythmuston!

    Die innere Zufriedenheit ging in eine Unruhe über, das Glücksgefühl wurde von einer Ungewissheit abgelöst. Ich brauchte nicht lange um zu begreifen, dass dies wohl der Rhythmus von meinem Herzen war. So war mir klar, mich aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Krankenhaus auf der Intensivstation zu befinden, ohne zunächst eine Ahnung zu haben, wie und warum ich hier her kam. Die Unruhe steigerte sich zur Panik. Meine wenigen Gedanken flogen wie ein Tennisball im Laufe eines Grandslams im Takt meines Herzens durch den Kopf.

    Ich spürte wie ich das Gefühl von Heiß und Kalt bekam, es aber nicht wirklich vorhanden war. Die Atmung verschnellte sich, das Blut wurde mit einem Druck durch die Adern gepumpt, das sie drohten zu explodieren. Aber so war es gar nicht. Ich zwang mich langsam durchzuatmen, was ich jedoch längst tat. Ich zwang mich zur Ruhe zu kommen, war es aber schon. Was ich auch fühlte, schien nicht real zu sein. In meinem Kopf fand es statt, doch der Körper verhielt sich normal. Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch es gelang mir nicht. Als würde ich aus weiter Entfernung mit Impulsen meines Hirns auf die Innenseite meiner Lieder schießen, um sie zu öffnen, aber jeder Schuss löste sich kurz vor dem Ziel in ein Nichts auf.

    Was verflucht noch mal war mit mir los? Alles war so schrecklich klar und echt als das es ein Alptraum sein konnte. Meine Sinne waren da und auch nicht. Ich bekam das Gefühl in mir selbst gefangen zu sein. Diese Machtlosigkeit meines geistigen Willens, brachte mich in einer körperlichen Situation der Auslieferung. Ich war wehrlos, eine noch stärkere Panik kam in mir auf. War es das? Sollte dies die Verfassung sein, in der ich dahin vegetieren werde?

    Das kann nicht, ich will das nicht, das darf einfach nicht sein!

    Eine Flut von weiteren Geräuschen, rissen mich zusammenzuckend aus diesem Emotionsknäuel. Ich konnte Schritte, vermischt mit Stimmen hören. Sie kamen näher und näher bis sie die Tür, zu dem vermeintlichen Raum in dem ich lag, erreichten. Unendlich lange knarrte die Türklinke vom zögernden herunterdrücken. Scheinbar übertrieben langsam, öffnete jemand die Tür. Hoffnung stieg in mir auf, Euphorie. Also doch kein Alptraum, gleich wird es vorbei sein. Sicher hat man mir nur irgendwelche Medikamente verabreicht, um mich aus triftigen Gründen ruhig zu stellen. Meinen Körper, der Genesung wegen, heruntergefahren. Mit mir ist alles in Ordnung, gleich wird man mich wach rütteln, SICHER!

    Wie so oft im Leben, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Die mir selbst eingeredete Sicherheit, schwand in diesem Moment abrupt.

    Es war der Anfang von meinem Ende, denn dieser Moment sollte mich in den vollendeten Zustand der Gewissheit bringen, dass das, was man ein normales Leben nennt, bei mir für den Rest meiner Tage nicht mehr zutreffen würde. Nicht im Stande mich in irgendeiner Weise zu vermitteln, für die Außenwelt als ein Abwesender eingestuft, war ich, wie ich anfangs nur erahnen konnte, zweier Ärzte ausgeliefert, die den Raum in dem ich lag betraten und sich über Spekulationen und Feststellungen einiger Fakten über meiner Gesundheit unterhielten, als wäre ich nicht vorhanden. Mein Schicksal wurde abgefertigt, quasi besiegelt indem ich erfuhr, selbst wenn ich jemals wieder aus dem Koma, in dem ich mich befand, erwachen sollte, ich Zeit meines Lebens ein irreparabler Pflegefall bleiben werde. Die Hülle, in der ich feststeckte, schien in diesen Augenblick unter mir aufzureißen. Es war als würde ich über einem tiefen schwarzen Abgrund schweben und machtlos vor dem Fall hinunterschauen. Meine Psyche, sofern überhaupt eine vorhanden war, brach in einer negativen Vollkommenheit in sich zusammen.

    Ich wollte erst gar nicht wissen, wie der Rest von mir nach außen hin aussah. Noch immer fragte ich mich, was mit mir passierte und in diesen Zustand brachte. Ich hatte was die Erinnerung betraf, einen völligen Blackout. Erst als die beiden vermeintlichen Kittelträger, sich über weitere Untersuchungsergebnisse und Behandlungsmethoden der vergangenen Tage unterhielten, gingen sie auch ansatzweise auf den Grund meines Zustandes ein.

    >>Tja Doktor Lammers, da können wir doch nur lernen das Motorrad fahren zwar die schnellste, aber in diesem Fall nicht unbedingt die sicherste Methode ist, das richtige Ziel zu erreichen, oder? Gibt es sonst noch Neuigkeiten von unserem Pechvogel Herrn Schmitz? <<

    Bilder tauchten katapultartig in meinem Kopf auf. Wie Spielkarten die man in die Luft wirft, rieselten sie in rauen Mengen auf mich herunter. Nach und nach setzten sie sich zu einem Ganzen zusammen und brachten mich an jenem Ort zurück, an dem sich wohl der letzte Moment meines vorherigen Daseins auflöste.

    Ich war mit meinem Bike unterwegs nach Hamburg. Ein herrlicher Sommertag, die Sonne schien und es war heiß. Ich befand mich auf der Autobahn und der geringe Verkehr an diesem Tag, verlockte mich dazu, mit dem Gas fast am Anschlag auf der Überholspur zu fahren. Ich überlege nicht was passieren könnte, schließlich schätzt ich mich, so wie viele andere Motorradfahrer es sich auch einreden, als ein guter Fahrer ein. Bei den Geschwindigkeiten, sollte man sich generell über Angst keine Gedanken mehr machen. Entweder geht es gut oder man steht im nächsten Augenblick seinem Schöpfer gegenüber. Und so geschah es dann, als plötzlich eines der Fahrzeuge vor mir ausscherte. Ich kann mich noch daran erinnern, dass es ein weißer Lieferwagen war, der für mich aus unersichtlichen Gründen die Fahrspur wechselte. Ich erschrak, im Reflex schrie ich unter dem Helm „Arschloch" in dem Bruchteil einer Sekunde, als es auch schon zu spät war zu reagieren. Die Strahlen der Sonne wurden im weißen Lack wie in einem Spiegel zurückreflektiert und das grelle Licht, das dadurch entstand, glich einen gewaltigen Blitz, der mir ins Visier einschlug und mir jegliche Sicht raubte. Ich verriss den Lenker und verlor die Kontrolle. Dann wurde es schwarz um mich herum. Wie ich im Laufe der Zeit aus etlichen Gesprächen, die in um mich herum stattfanden, mitbekam, hatte ich nicht die geringste Chance. Der Fahrer des weißen Fahrzeugs hatte mich angeblich aufgrund meiner Geschwindigkeit nicht kommen sehen und setzte zum Überholvorgang an. Durch den Aufprall gegen die Leitplanke wurde ich etwa 50 bis 60 Meter weit durch die Luft geschleudert und blieb dann zwischen den Mittelplanken liegen. Mein Körper war so verdreht und verquert, dass man im Normalfall von menschlichen Überresten gesprochen hätte.

    Die Honda Fireblade, mit der ich fuhr, überschlug sich angeblich über dreißigmal und zerschellte an einer achtzig Meter von mir entfernten Autobahnbrücke an einem Betonpfeiler. Nur anhand eines kleinen Teils vom Tank konnte man noch erkennen, dass es sich ursprünglich um eine Honda handelte. Der Tacho blieb durch den Aufprall gegen die Leitplanke bei seiner Endgeschwindigkeit von stolzen 302 km/h stehen und wurde erst zwei Tage später von der Autobahnmeisterei ca.150 Meter vom Unfallort entfernt in einem Graben gefunden. Kurzum, mein Bock und ich mussten in etwa gleich ausgesehen haben.

    Man muss kein Prophet sein um sich vorstellen zu können, das die Chancen solch ein Unfall zu überleben so groß sind, wie das Entdecken eines Ufo`s über einer Einkaufszone mit der Aufschrift „Hier könnte Ihre Werbung stehen."

    Die Sanitäter die am Unfallort eintrafen und mich dann schließlich als erster fanden, waren Aufgrund meines Anblickes nicht nur überfordert sondern noch Wochen später in psychologischer Behandlung. Wobei der Grund dafür eher war, dass ich noch lebte als das es mein Aussehen war. Es passte nicht im Bereich ihrer logischen und geistigen Vorstellungen, das in diesem menschlichen Rest etwas vorhanden sein könnte, was man retten müsste. Das Gesetz verpflichtete sie jedoch zu meinem Glück an jedem Verletzten die Erstversorgung durchzuführen, bis ein Notarzt anwesend war und weitere Entscheidungen traf. In diesem Fall wurde der besagte Notarzt mit einem Hubschrauber zur Unfallstelle geflogen. Sein Gedanke an der Aussichtslosigkeit meines Zustandes als er eintraf, wurde im gleichen Atemzug umgekehrt, als er bemerkte dass entgegen aller Logik immer noch ein Hauch Leben in mir steckte. Mit allen ihm wissenden Kenntnisse der Medizin flickte er mich wie auf dem Killingfield in Vietnam notdürftig für den Transport mit dem Hubschrauber zusammen.

    Er ließ mich in die „Uniklinik Düsseldorf" fliegen und übergab mich in die Obhut von Professor Doktor Niehlan. Hier war man auf Gefäßneurochirurgie, Schädelbasis- und Hypophysenchirurgie sowie Wirbelsäulenchirurgie spezialisiert. Allein was die Regeneration des peripheren Nervensystems und der plastischen Chirurgie bei Schwerstfällen wie ich es war anging, konnte man an diesem Ort die besten Ärzte ihres Fachs antreffen.

    Nach einer 14 Stündigen Erst-Operation eines 12 köpfigen Teams aus Ärzten und Schwestern, landete ich dann in einem Einzelzimmer auf der Intensivstation. Die ersten Tage sahen nicht gut aus und es folgten weitere Eingriffe. Während dieser Zeit war ich in der Klinik Gesprächsthema Nr.1 und mein Zustand wurde wie der Dow Jones gehandelt. Das Personal schloss untereinander Wetten ab. Jeden Tag wurde sich erkundigt wie es um mich stand, das ging durch sämtliche Stationen. Ich, der Tony, war für die Einen der Favorit auf der Rennbahn des Lebens und für die Anderen der Gaul der sich auf halber Strecke die Hufe brach und den Gnadenschuss bekam.

    2

    Obwohl ich mich nicht mehr allzu weit zurück erinnern kann, weiß ich, dass ich als Kind glücklich war. Zumindest ab dem sechsten Lebensjahr. Ich war ein Einzelkind und meine Mutter Lisbeth, von den meisten allerdings Lilli genannt, umsorgte mich wie eine Glucke ihre Eier. Sie verfolgte jeden meiner Schritte um sofort einzugreifen wenn es nach Gefahr aussah und das war nicht selten. Schließlich hatte sie meist die alleinige Aufsicht, da mein Vater Rudi bei einer damals hiesigen Öl-Raffineriegesellschaft im Schichtdienst arbeitete. Irgendwann lernte ich dann, dass ich sämtlichen Quatsch veranstalten konnte, wenn sie von irgendwelchen Arbeiten im Haushalt abgelenkt war. Es verging nicht ein Tag, an dem mir nicht etwas Neues einfiel. Ich spielte mit dem guten Besteck einen Messerwerfer im Zirkus oder ich versuchte mit ein paar Strohhalmen Untertassen zu jonglieren. Mit Creme malte ich Straßen auf dem guten Teppich und mit Mamas Nagellack malte ich meine Matchboxautos an. Natürlich auch auf dem Teppich oder auf dem Küchentisch. Wie das dann hinterher aussah kann sich ja jeder vorstellen. Als ich jedoch das eine Mal auf den Küchenschrank klettern wollte, der mir weit über dem Kopf ragte, um wie ein Trampolinspringer auf den Küchentisch zu hüpfen, kippte dieser mit mir um. Während des Falls öffnete er sich und es knallte fürchterlich. Ich weiß gar nicht wie viele Teller und Tassen dabei zerbrachen. Der Schrank schlug Gott sei Dank neben mir auf und verfehlte mich nur um Haaresbreite. Geschockt verharrte ich für ein paar Sekunden auf dem Fußboden und erschrak zugleich als ich hörte, wie meine Mutter mit riesigen stampfenden Schritten herbei eilte. Als sie dann in die Küche kam, waren ihre Augen vor Entsetzen weit aufgerissen und ihre Haare schienen sprichwörtlich zu Berge zu stehen. Langsam raffte ich mich auf und zog mich zwischen den ganzen Scherben am Küchentisch hoch. Für einen Moment war es toten-still in dem Raum und in den Sonnenstrahlen, die durch das Küchenfenster schienen, verquirlte sich aufgewühlter Staub mit kleinsten Porzellanpartikeln zu einer glitzernd funkelnden Wolke. Ich fand es faszinierend, aber was dann kam war der gestaffelte Ablauf einer bis ins kleinste Detail schnell durchdachten Moral-predigt. Es gab in solchen Momenten zwei Versionen. Die kurze dauerte ungefähr fünf Minuten und die lange konnte schon mal mit Pausen, bis in den nächsten Tag reichen. Bei dieser Geschichte bekam ich nur die kurze Version. aber dafür unmissverständlich in einem von ihr gefauchten Vorwurfspaket.

    >>Bist du verletzt, ist dir was passiert? Um Himmels Willen, bist du denn verrückt geworden? Was hast du dir nur dabei gedacht? Willst du mich unglücklich machen? Du hättest tot sein können wegen deinen Dummheiten. Willst du das Junge? WILLST DU DAS!? <<

    Ich schüttelte verneinend den Kopf und schaute zu ihr auf aber ihr Blick ging an mir vorbei. Fassungslos starrte sie auf das Geschehene. Hätte der mit Porzellan randvoll gestapelte Küchenschrank sich beim kippen nur ein wenig zu mir gedreht, er hätte mich erschlagen. Meine Eltern wären todunglücklich gewesen und ich hätte mir keine Standpauke mehr anhören brauchen. Ich nehme an meine Mutter wusste seit diesem Vorfall, das ich einen ganz besonderen Schutzengel haben musste und schraubte zumindest äußerlich ihre Besorgnis um mich ein wenig herunter. Wir wohnten am Stadtrand von Wilhelmshaven. Die Gegend war eher ländlich. Bis auf nur einem Haus ungefähr 30 Meter entfernt von Unserem, war alles Weide oder Ackerland. Hinter unserem Haus befand sich der Garten in dem ich bevor ich das Laufen anfing wie ein Wahnsinniger herumkrabbelte. Laut meinen Eltern war ich damals schon voller Absicht Reißaus zu nehmen und mein Vater hatte keine andere Wahl den Garten komplett einzuzäunen. An dieser Zeit erinnere ich mich allerdings kaum, erst ab dieser Sache mit dem Küchenschrank blieb es bei festen Erinnerungen. Ich schätze das Ereignis war im wahrsten Sinne einschlägig genug und fest in meinem Gehirnskasten verankert.

    Ich wuchs heran und es kam die Zeit, als der Garten immer langweiliger wurde und ich orientierte mich zum Leidwesen meiner Eltern nach den Dingen die hinter dem Zaun lagen. Freunde hatte ich damals nicht viele mit denen ich hätte spielen können. Die aus meiner Klasse waren mir zu blöd und unsere einzigen unmittelbaren Nachbarn hatten nur eine vier Jahre ältere Tochter. Zu der komme ich aber später.

    Ich ging also allein auf die Pirsch und hielt mich entweder auf einem alten verlassenen Lagerplatz auf der anderen Seite unseres Hauses auf oder lungerte auf einem nahe liegenden Bauernhof herum. Meistens jedoch war ich auf diesem Lagerplatz zu finden. Er war schon lange nicht mehr genutzt geschweige denn betreten worden und war so hoch mit Brettern dicht an dicht eingezäunt das nur ein Erwachsener der groß genug war so gerade drüber hinwegschauen konnte. Der Zugang, ein eben so hohes altes und eingewachsenes Doppeltor, war waagerecht mit einem schweren Balken verbarrikadiert der durch einer Vorrichtung mit einem verrosteten Schloss gesichert wurde. Ich jedoch, ich hatte meinen eigenen Eingang. Auf der hinteren Seite des Platzes zur Weide hin, waren zwei Bretter des Zauns locker und ich konnte sie so weit verschieben, dass ich hindurch kriechen konnte. Es war mein geheimer Ort. Keiner kam sonst dort hin oder wusste davon. Das meiste auf dem Grundstück war von meterhohen Gras, Sträuchern und zwei oder drei Apfelbäumen die sich nach allen Richtungen Platz verschafft hatten, verwuchert. Selbst ein alter ausgeschlachteter VW Käfer, der in einer der Ecken stand, war fast restlos vom Efeu bedeckt. Um ihn herum standen alte Ölfässer und ein Gussofen.

    Neben dem Haupteingang zum Grundstück befanden sich die Überreste von einem Holzschuppen der längst über die Hälfte in sich zusammen gefallen war. Ein paar Blechdosen mit verrosteten Schrauben und Nägeln, verrottetes unbrauchbares Werkzeug, eine alte Schippe und anderer Kram zeugten dafür, dass dort mal gewerkelt wurde. Das Beste aber befand sich direkt mittig auf dem Platz. Ein alter Schießbunker aus dem zweiten Weltkrieg, der gerade mal so groß war, das zwei Mann sich darin bequem aufhalten konnten. Er war kreisförmig gebaut. Eine Stahltür auf der einen und eine Schießscharte auf der anderen Seite. Er ging kegelförmig nach oben hin zu, als wäre er in einem Stück gegossen worden. Ein geiles Ding und ein noch geilerer Ort sich vor Allem zu verstecken, wenn man seine Ruhe haben wollte. Ich hatte alles was ich brauchte und im Sommer war ich die meiste Zeit dort. Ich arbeitete und baute mir eine eigene kleine Welt auf und wenn ich gedurft hätte, wäre ich auch über Nacht geblieben. Hier holte ich auch meine ersten Blessuren, Abschürfungen, Fleischwunden die genäht werden mussten bis hin zu Verstauchungen und letztendlich Knochenbrüche. Zweimal die Woche eine Verletzung war Programm. Ohne dem, ging gar nichts.

    Wenn ich mit schmerzverzerrtem Gesicht über unseren Garten gelaufen kam, brauchte ich nicht einmal mehr auf Mitleid hoffen. Meine Mutter kam zwar aus dem Haus, stand aber demonstrativ mit den Händen in die Hüfte gestützt an der Hintertür und schüttelte mit dem Kopf.

    „Junge, Junge, Junge, zum 100.mal. Wenn du so weiter machst, hast du bald mehr Narben als Berlin Straßen hat."

    Die erste Zeit ist sie wegen jeder Kleinigkeit mit mir zum Arzt oder sogar ins Krankenhaus gefahren. Je öfter ich jedoch etwas hatte, umso mehr wusste sie sich selbst zu helfen und verarztete mich gleich vor Ort.

    Es kam hin und wieder vor, das sie sich dann darüber beschwerte, dass sie mit mir immer wieder Scherereien hatte und unsere Nachbarn diese Probleme nicht haben würden. Die hätten schließlich eine Tochter. Ein ruhiges braves Mädchen, die nicht von irgendwelchen Bäumen fällt oder durch zu enge Zäune kriecht und sich sämtliche Gliedmaßen aufreißt.

    Aber wenn sie das sagte, grinste sie mich im nächsten Augenblick an, wuschelte mir mit der Hand durch die Haare und sagte: „Du bist ja auch ein richtiger Junge und zwar meiner!"

    Dann gab es einen Schmatzer auf die Stirn und ich durfte weiter spielen gehen. Also was ich unter spielen verstand.

    Unsere besagten Nachbarn wohnten zu unserer Linken. Sie hießen Weyers und ihre Tochter hörte auf den schönen Namen Elena. Sie war wie gesagt vier Jahre älter als ich und bildhübsch. Lange schwarzgelockte Haare, schlank mit rehbraunen Augen. Die Gene ihrer Schönheit kamen von ihrer Mutter, die ursprünglich aus Italien stammte, allerdings vom Temperament her dem Klischee nicht annähernd entsprach. Ihr Vater, deutscher Herkunft, untersetzt mit lichtem Haar, arbeitete ebenfalls als Schichtarbeiter bei derselben Raffineriegesellschaft. Somit waren unsere Väter zwar Kollegen, hatten aber durch verschiedene Tätigkeitsbereiche direkt miteinander nie etwas zu tun.

    Trotz beidseitiger Freundlichkeit kam es zwischen unseren Eltern nie zu einem innigen Kontakt. Meine Mutter sprach zwar ab und zu mit der von Elena, aber laut ihren Angaben, ging es selten über Alltägliches hinaus. Ganz ähnlich, jedoch ungewollt entstanden was mich anbetraf, war auch das Verhältnis zwischen mir und Elena. Vorm Haus war sie sehr selten und wenn, dann für sich ganz allein mit Seilspringen, Fahrrad fahren oder Sonstigem beschäftigt. Sie verhielt sich schüchtern, war wortkarg und auf eine Art unerreichbar. Gut, die geschlechtlichen Interessen sind halt unterschiedlich, auch der Altersunterschied trägt sicherlich dazu bei, aber derart frappierend? Die Tatsache dass sie anscheinend keine Freunde hatte, die sie besuchten, erklärte den aufkommenden Verdacht, es könnte womöglich an mir liegen, als haltlos. Auch unsere wortlosen nur durch Gestiken ausgeführten Begrüßungen von Fenster zu Fenster, bei denen sie wie ausgewechselt immer so niedlich lächelte und schon fast fröhlich übertrieben winkte, ließen den Gedanken einer Abneigung zu mir absurd erscheinen. Es fiel ihr offensichtlich leichter, sich aus sicherer Entfernung mit mir zu unterhalten. Was ich wiederum nicht ganz verstand und oftmals ihr Gehampel als äußerst fragwürdig was ihre Persönlichkeit entsprach deklarierte. Trotz allem empfand ich es als sehr angenehm und wir freuten uns beide jeden Tag darauf, wenn wir uns auf diese Art sahen. Es wurde schon beinah zu einem Ritual.

    Die unerklärliche Strenge ihres Vaters trug zu ihrem Verhalten mit dazu bei. Er passte auf wie Schießhund und die übertriebene Fürsorge ließ beim ihm nur einen bestimmten Zeitraum zu, in dem sie an die frischen Luft durfte. Immer zu denselben Uhrzeiten musste sie ins Haus zurück. Hatte sie mal bei ihren Beschäftigungen die Zeit vergessen, so keifte ihr Vater schon an der Eingangstür energisch fordernd, sie sollte doch sofort herein kommen. Ich beobachtete des Öfteren, dass darauf in ihrem Zimmer das Licht anging und ihr Vater die Vorhänge zu zog. Sie musste wohl schlafen, brauchte ihre festgelegten Ruhephasen oder hatte womöglich eine Krankheit von der

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