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Wandlerin zwischen den Welten: Weltträumerin I
Wandlerin zwischen den Welten: Weltträumerin I
Wandlerin zwischen den Welten: Weltträumerin I
eBook658 Seiten9 Stunden

Wandlerin zwischen den Welten: Weltträumerin I

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Über dieses E-Book

Stellen Sie sich vor, Sie haben von einem Menschen geträumt, den Sie noch nie in Ihrem Leben gesehen haben - und am nächsten Tag lernen Sie diesen kennen...
Beim 1. Mal glauben Sie noch an einen Zufall.
Beim 2. Mal werden Sie unsicher.
Beim 3. Mal zweifeln Sie an Ihrem Geisteszustand.
Doch Sie erfahren von diesen drei Menschen, dass alles der Realität entspricht! Die Parallelwelt Soma ist mit der Erde durch "Traumtunnel" verbunden, die nur magie begabte Wesen durchschreiten können.
Alena ist ein solch magie begabter Mensch.
Als sie vor der schweren Entscheidung steht zwischen den Welten zu wandeln, um ihre neu gewonnenen Freunde zu retten, entschließt sie sich für diesen Schritt, der sie schnurstracks in die Hände des Feindes führt. Alena nimmt den Kampf gegen den Tyrannen auf und erfährt ihre wahre Bestimmung.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Sept. 2013
ISBN9783847654605
Wandlerin zwischen den Welten: Weltträumerin I

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    Buchvorschau

    Wandlerin zwischen den Welten - Bianca Wörter

    1. Todestraum

    Man erzählt sich, dass man im Angesicht des Todes in einem Bruchteil einer Sekunde das ganze Leben vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sieht.

    Doch ich wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach.

    Ich sah nicht mein ganzes Leben - ich sah schon etwas, aber das war nicht so angenehm, wie noch einmal gütlich mit seinem Leben abschließen zu können.

    Ich erlebte den Augenblick des Todes noch einmal - und noch einmal - und wieder und immer wieder.

    Alles in einem Bruchteil einer Sekunde und der Tod wollte und wollte nicht eintreten. Ich musste immer wieder die gleichen Schmerzen empfinden, den gleichen grausamen Anblick meines Todes immer wieder ertragen, bis ich wahnsinnig wurde.

    Eine Ewigkeit - bis ich das helle Licht sah!

    Ich war erlöst. Ich kam in den Himmel!

    Das Licht wurde heller und meine Augen begannen zu brennen. Das Licht war zu hell für meine gequälten Augen. Es leuchtete zuerst tiefrot, spielte in unglaublicher Geschwindigkeit ins Weiße hinüber und wurde dort so grell, dass ich dachte, es wollte meine Netzhaut verbrennen. Ich endete eher in die Hölle als in dem Himmel und meine Qualen würden weitergehen, schlimmer, als die letzten Sekunden meines Todes.

    Dann sah ich endlich klar, der Schleier war von meinen Augen gewischt: Ich lag in meinem Bett und das helle Sonnenlicht schien mir direkt in die Augen.

    2. Realität

    Ich hatte geträumt!

    Das kam davon, wenn man sich mittags ins Bett legen und schlafen musste, anstatt das schöne Wetter zu genießen! Obwohl - wenn ich schon einmal einen Nachmittag frei hatte, genoss ich es gerne auf diese Art und Weise. Der Nachteil davon war, dass ich manchmal gerade mittags so intensiv träumte, dass ich es nicht mehr auseinander halten konnte, was Wirklichkeit und Traum war, bis ich erwachte. Mir kam es vor, als ob ich in einer anderen Welt leben würde, in einer Welt, die sich mir nur dann offenbarte, wenn ich träumte, die ich betreten konnte und die genauso real wie diese Welt war, in der ich lebte, wenn ich wach war.

    Nach solchen Träumen war ich dennoch froh, dass ich in meine reale Welt zurückkommen konnte. Manchmal wäre ich gerne in der Traumwelt geblieben. Nicht immer, aber in der letzten Zeit immer öfter.

    Ich war noch etwas benommen von dem Traum und versuchte mich genau daran zu erinnern. Ich war gestorben, doch ich wusste nicht mehr wie. Eigentlich hatte ich keine richtige Angst gehabt und deswegen faszinierte mich der Traum sehr. Es war etwas Fantastisches gewesen und der Tod am Ende hatte sein müssen. Es war wie am Ende eines Buches gewesen - der Held des tragischen Romans musste am Ende sterben. Manchmal war ich in einer solchen Stimmung, dass ich es schön fand, wenn meine Träume tragisch endeten. Sie mussten mit dem Tode enden, damit ich dieses erregend tragische Gefühl noch lange in den Eingeweiden spüren konnte, so, wie manche Menschen, wenn sie fröhlich sind, traurige Lieder singen, um dieses herrliche Gefühl, das fast an Masochismus grenzte, zu spüren.

    Ich war gerade in dieser Stimmung und gab mich dem erregenden Gefühl völlig hin. Es war herrlich, machte süchtig, wie das Gefühl des Erfolges, wenn man gelobt wird. Man möchte dieses Gefühl immer wieder in sich spüren, weil es den Körper entgiftet und wieder stark macht.

    Ich schwelgte in diesem Gefühl, dieser Stimmung, bis ich mich kaum noch an den Traum erinnern konnte und das fantastische Gefühl zuletzt schwach in mir spürte.

    Widerwillig stand ich auf, mir war schwindelig, machte mein Bett provisorisch und ging in die Küche, um etwas zu trinken. Meine Kehle war ausgedörrt, ich griff in den Kühlschrank, nahm die Flasche Wasser heraus und trank, bis sie fast leer war.

    Dann hatte ich Lust auf eine Tasse Kaffee, setzte das Wasser auf, holte meine Zeitung, die ich am Morgen noch nicht gelesen hatte. Nachdem ich meinen Kaffee aufgebrüht hatte, begann ich zu lesen.

    Ich lehnte mich entspannt zurück und mich durchfuhr ein Teil der Erinnerung an den seltsamen Traum, den ich so intensiv gespürt hatte. Wenn meine Träume nicht immer so echt wirken würden! Aber andererseits wären sie dann auch nicht faszinierend. Ein kurzes Aufblitzen eines Ereignisses, zu kurz, als dass ich es hätte festhalten können, ließ Adrenalin in meinen Körper schießen. Schon wieder dieses unbegreifliche, unwiderstehliche Sehnen, das von meinen Beinen über die Magengrube durch den Hals mitten in meinen Kopf schoss, dorthin, wo ich das Zentrum meiner Empfindungen vermutete.

    Ein Todestraum hatte noch nie dieses unangenehme und doch wahnsinnig anregende Gefühl verursachen können, das in meinen Kopf und meine Eingeweide schoss. Ich genoss die widersprüchlichen Gefühle, die in meinem tiefsten Inneren tobten. Sie wurden schwächer, verblassten schließlich.

    Dann konnte ich mich an gar nichts mehr aus dem Traum erinnern. Ich war enttäuscht, leider musste ich damit leben.

    Ich stieg auf und ging in mein Hobbyzimmer, in dem ich die Massen von Büchern untergebracht hatte, die ich schon gelesen hatte. Hier hörte ich  gerne meine Musik, konnte mich stundenlang in Tagträume vertiefen. Ich war hoffnungslos romantisch, aber auch stolz darauf, denn ich dachte, dass nicht jeder für sich behaupten konnte, dass er eine romantische Ader hatte.

    Ich konnte mich hier, in diesem kleinen Raum in meiner blühenden Fantasie verlieren, an Dinge glauben, die jenseits jeglicher Logik lagen, mein Herz Purzelbäume schlagen lassen, bis ich mich wieder zur Ruhe ermahnen musste, damit das heftiges Schlagen meines Herzens den Brustkorb nicht sprengte.

    Ich legte meine derzeitige Lieblings-CD auf, setzte mich in meinen Rattan-Sessel, der wie eine Muschel geformt war, kuschelte mich darin zusammen und wollte anfangen zu träumen.

    Doch diesmal fand ich keine Ruhe in meiner Fantasiewelt, ich war viel zu aufgewühlt, warum auch immer. Heute schmerzte mich mein Sehnen nach etwas Unbekanntem, das ich nie so richtig greifen, geschweige denn verstehen konnte, so unangenehm, dass ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich erhob mich aus meiner Kuschelstellung, schaltete die CD aus und überlegte, was ich mit dem restlichen Tag anfing. Ich musste raus, sonst wäre ich, wie ein wilder Tiger, der in einem viel zu kleinen Käfig eingesperrt ist, in meinem Zimmer auf und ab gegangen und vor Sehnsucht sicherlich beinahe gestorben. Aber ich wusste auch nicht recht, was ich außerhalb meiner Wohnung unternehmen sollte.

    Diese Stimmung, in der ich mich befand, kannte ich schon. Ich hatte zu nichts, zu wirklich gar nichts Lust und es würde mit fortschreitender Zeit immer schlimmer werden. Ich würde weder Hunger, noch Durst empfinden, weil ich wirklich zu gar nichts Lust hatte und einfach nicht wissen, was ich mit mir anfangen sollte oder konnte. Das war ein verlorener Tag!

    'Heute soll es anders werden!', ermahnte ich mich und raffte mich auf.

    Ich beschloss in die Stadt zu fahren, einen kleinen Bummel durch die Fußgängerzone zu unternehmen, um vielleicht jemanden zu treffen, den ich kannte.

    Als ich nach einer halben Stunde in der Stadt ankam, hatte sich meine Laune merklich gebessert. Das Wetter war fantastisch und ließ eigentlich keine schlechte Laune zu. Die Sonne schien heiß auf mich herab, und ich begrüßte meine Entscheidung, ein leichtes Sommerkleid zu tragen. Ich stellte mein Auto auf einem Parkplatz in der Nähe der Innenstadt und flanierte in die Fußgängerzone. Dort verlangsamte ich meinen Schritt und befasste mich ausgiebig mit den wunderschönen dekorierten Schaufenstern.

    Ich fand an diesem Tag tatsächlich Interesse daran, in jedes Schaufenster zu schauen und war erstaunt oder irritiert, für was die Leute ihr Geld auszugeben bereit waren. So verging die Zeit und ich genoss die Wärme der Sonne, die auf meinen Rücken schien. Vergessen waren die trüben Gedanken, die mich zuvor gequält hatten und ich fühlte nur noch eine kindliche Freude in mir. Die Vögel, die ich zwitschern hörte, verstärkten das glückliches Gefühl, das in mir wuchs. Auch wenn ich die kleinen Federbälle nicht sehen konnte, gefiel mir der Gedanke, dass sie sich immer noch in dem wenigen Grün der Stadt aufhielten und die Menschen mit ihrem Gesang erfreuten. Ich seufzte. Die wenigen Bäume, in denen sich die gefiederten Freunde aufhielten, trugen zwar noch grüne Blätter, waren aber unter ihrer Rinde bestimmt todkrank. Ich musste mit diesen unangenehmen Gedanken leben, denn ich war in eine Wohlstandsgesellschaft hineingeboren worden und wollte die Bequemlichkeiten mit Sicherheit nicht missen. In meinen romantischen Vorstellungen sah es zwar sehr nett aus, aber ich wusste, dass ich in freier Natur, ohne Infrastruktur nicht überlebensfähig wäre - darüber machte ich mir keine falschen Illusionen.

    Ich entdeckte eine Bank unter einem Baum und setzte mich hin, wollte meinen Gedanken weiter nachhängen.

    Es war romantisch wenn ich mir meinen Lieblings-Tagestraum vorstellte, dass ich als wunderschöne Frau hilflos durch die Eiswüste eines fremden Planeten irrte. Ich versuchte mit letzter Kraft eine warme Hütte zu finden. Dann entdeckte ich in weiter Ferne ein Licht, versuchte dieses noch vor dem Erfrieren zu erreichen, schaffte es aber nicht mehr, weil ich vor Hunger, Durst und Kälte zu schwach war. Dann kam auf einem schwarzen Pferd ein wunderschöner Mann auf mich zugeritten. Er sah herrlich verwegen aus, mit Dreitagebart, langem, dunklem Haar, breiten Schultern, schmalen Hüften und war nur mit einem Bärenfell bekleidet. Er rettete mich noch rechtzeitig, nahm mich in seine starken Arme und brachte mich auf seinem nimmermüden Ross in seine warme Hütte. Nach einer schnellen Genesung hatten wir eine heiße Affäre und ich lebte mit ihm glücklich und zufrieden, durch tagtägliche Gefahren und Entsagungen bis an mein Lebensende.

    Bescheuert, da fern von jeglicher Realität, aber herrlich zum Träumen und Schwärmen.

    Die Situation ist jedoch diese, dass ich solche Tagträume in einem warmen Zimmer hatte, wenn ich satt und zufrieden war und mir gar nicht vorstellen konnte, wie es sich überhaupt anfühlt Hunger zu haben und zu frieren.

    Die Wirklichkeit, wenn ich in eine solche Situation kommen würde, sähe anders aus: Ich würde, bevor mich überhaupt irgendein Mensch finden würde, erfrieren und gar nicht mehr gefunden werden. Sollte mich durch glücklichen Zufall ein einsamer Siedler finden, dann wäre er mit ziemlicher Sicherheit weder jung noch schön. In meinen Tagträumen berücksichtigte ich auch nie, dass es dort wahrscheinlich keine moderne Medizin geben würde und ich durch die Eiseskälte abgestorbene Zehen oder erfrorene Finger mit einem dreckigen Messer amputiert bekommen würde, eher von der Hand eines Metzgers denn eines Arztes geführt. Wenn ich dann den Wundbrand und das Fieber wirklich überleben würde, wäre das erste, was ich sehen würde ein Gesicht, das von einem zottigen Bart umrahmt ist, aus dessen Mund ein Geruch wie Whiskey strömt und der ganze Kerl würde riechen, als ob er sich wochenlang nicht mehr gewaschen hätte. Der Akt der Vereinigung, den ich mir besonders schön und befriedigend vorgestellt hatte, würde nicht mehr romantisch sein, sondern eher eine Vergewaltigung, denn in der Wildnis gelten andere Gesetze. Dann würde sich mein Leben nicht glücklich und zufrieden entwickeln; ich wäre eine Gefangene in der Hütte, als Köchin, Wäscherin und Hure missbraucht.

    'Puh!', seufzte ich. ' Ich muss mit diesen Gedanken echt aufhören.'

    Ich stand auf und betrachtete, während ich langsam die Fußgängerzone entlang bummelte, weiter die diversen Schaufenster. Vielleicht wäre es nicht ganz so schlimm, wie ich mir die Wildnis ausmalte, aber ich blieb bei meiner Meinung, dass ich in freier Natur keine Woche überleben würde, einmal abgesehen von dem ekelhaften Getier das da rumkreucht und -fleucht: Spinnen, Käfer, Würmer in Massen! Also sollte ich doch lieber bei meinen romantischen Gedanken bleiben und sie genießen, anstatt dauernd trübe Gedanken zu blasen - ich würde eh nie in eine vergleichbare Situation kommen!

    Ich ging weiter, sinnierte über meine zwiespältigen Gedanken nach - ich war an diesem Tag wirklich unmöglich in meinen Gedanken! - schaute in die Schaufenster und überlegte, überlegte...

    3. Erste Begegnung

    Durch irgendetwas wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, konnte aber im ersten Moment nicht sagen, durch was.

    Ich spürte es - den viel beschriebenen, aber nie erlebten stechenden Blick, den man zwischen den Schulterblättern verspürt und der sich unangenehm anfühlte.

    Ich wollte mich umdrehen, weil ich zuerst dachte, dass es ein Bekannter war, der mich gesehen hatte und mich begrüßen wollte, aber ich zog es vor zuerst einmal das Schaufenster als Spiegel zu benutzen, damit ich in Ruhe überlegen konnte, wie der Name desjenigen war, und nicht erst in einer peinlichen Pause überlegen musste, wie er hieß - chaotisch, wie ich war, passierte mir das dann und wann. Komisch - ich empfand diesen Blick auf meinen Hinterkopf sofort als männlich.

    Ich versuchte unauffällig das Gesicht, das ich über mir im Schaufenster entdeckte, zu studieren, wurde aber vom Räuspern des Mannes gestört und konnte nicht länger so tun, als ob ich ihn nicht bemerkte, ohne dass es peinlich wurde.

    Ich drehte mich langsam um, mit einem Lächeln auf den Lippen, das schließlich, als ich die Drehung beendet hatte, zu Eis gefror. Ich hatte den Mann noch nie gesehen, aber ich kannte ihn, ich wusste nur nicht woher! Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen ging es ihm genauso.

    Er fasst sich als erster und sagte kurz: Entschuldigen sie bitte, aber ich glaub, ich habe sie mit jemandem verwechselt.

    Ich lachte unsicher: Komisch, ich dachte auch im ersten Moment, dass ich sie kennen würde. Ich weiß nur nicht woher.

    'Wieso bin ich so ehrlich zu ihm?', wunderte ich mich.

    Der Mann war nicht bereit, das Ganze als harmloses Versehen abzutun: Habe ich sie vielleicht schon einmal im Fernsehen gesehen? Ich kann mich wirklich nicht persönlich an sie erinnern, aber vielleicht hatten sie einen kurzen Auftritt in einer Serie?

    Diese Art von Anmache fand ich wirklich ziemlich plump, aber ich beschloss es locker zu sehen: Das ist zu viel der Ehre. Nein, das kann nicht sein.

    Wo war auf einmal meine Schlagfertigkeit hin? Sah der Mann zu gut aus? War seine Stimme zu erotisch tief? Verlegenheit machte sich breit und Fußgänger um uns sahen bestimmt schon die Rauchwolken über unseren Köpfen, weil jeder sich Gedanken machte, wie er nun möglichst unspektakulär aus dieser Situation herauskommen konnte.

    Ich fasste als erste den Entschluss, diesen augenblicklichen Zustand nüchtern zu beenden: Nichts für Ungut. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.

    Er verabschiedete sich mit einem Lächeln und wir gingen unserer Wege, aber ich ertappte mich dabei, wie ich noch ein paar Mal verstohlen den Kopf nach ihm drehte und weiter grübelte, woher ich diesen Mann kannte. Einmal erwischte ich ihn auch dabei, wie er sich nach mir umdrehte.

    Normalerweise hätte ich das Ganze spätestens nach wenigen Minuten als persönliche Spinnerei meinerseits abgetan, aber da es dem Mann genauso wie mir ergangen war, gelang es mir nicht, meine Gedanken völlig zu ignorieren.

    Ich versuchte mich zu erinnern, aber es gelang mir nicht, den jungen Mann, der etwa in meinem Alter war, irgendwo einzuordnen.

    Ich ging zu einem kleinen Springbrunnen, setzte mich auf den Rand, zündete mir eine Zigarette an und rauchte nachdenklich, bis ich mir fast die Finger am Filter verbrannte. Dann gab ich es auf, weiter darüber nachzudenken. Erfahrungsgemäß kam ich schneller an mein Ziel, wenn ich nicht mehr nachdachte, sondern meine Gedanken anderweitig treiben ließ - sonst würden meine grauen Gehirnzellen einen Kurzschluss erleiden, so sehr konnte ich mich in eine Sache verrennen.

    Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Kaum war ich in meiner Wohnung angekommen, hatte ich die merkwürdige Begegnung vergessen. Der frühe Abend ging für mich sehr geruhsam zu Ende und nachdem ich noch ein wenig Musik gehört, ein Glas Wein getrunken hatte, legte ich mich in mein Bett und schlief sofort ein.

    4. Todestraum

    Der Rest der Woche verging wie im Fluge, das Wetter war weiterhin wie im Bilderbuch sonnig und warm und alle Menschen waren fröhlich und schienen nur Gutes im Sinn zu haben. Wehe, das Wetter würde wieder schlechter werden...

    Ich sah dem Wochenende zufrieden entgegen, denn das Wetter schien sich zu halten. Am Freitag lag ich dann faul am Strand des kleinen Baggersees der Stadt, an dem ich mich immer erfrischte. Mein vor mir liegender dreiwöchiger Urlaub versprach Entspannung und Erholung pur! Ich hatte mich gerade gemütlich auf den Bauch gedreht, als ich wieder diesen Blick zwischen den Schulterblättern spürte. Wie elektrisiert fuhr ich auf und hinter mir stand der gleiche Mann, den ich in der Stadt getroffen, aber schon längst vergessen hatte!

    Alena? sah er mich fragend an.

    Ich stand erschrocken auf: Woher wissen sie meinen Namen?

    In der Stadt hatte ich ihn nicht genannt. Plötzlich durchfuhr mich eine Erinnerung, wie ein Blitz schoss sie durch meinen Körper, ein schmerzhafter Stich kroch in meine Eingeweide und ich sah den Traum, den ich mittags vor wenigen Tagen hatte, vor meinem inneren Auge vorbeiziehen:

    Ich stand alleine in der Küche. Es war ein sehr großer und freundlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, mehrere Gläser befanden sich darauf, so, als ob sie jemand kurz zuvor benutzt hatte. Die Arbeitsplatte rechts von mir war groß und hell. Weiße Fließen rundeten das Gesamtbild ab. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster, die Sonne wärmte mich. Doch sie wärmte nur meinen Körper, denn ich spürte eine eisige Kälte in mir. Verzweiflung! Vor mir saß ein Mann in einem Rollstuhl und sagte mir, dass er mich umbringen würde. Er und ich wussten nicht wieso, aber wir wussten beide, dass es geschehen würde. Es war die Gewissheit, dass es geschehen würde, die die eisige Kälte in mir verursachte. Es war grotesk. Ich hätte versuchen können zu fliehen, denn auch die Tatsache, dass er zwischen mir und der Tür stand, die meine letzte Rettung gewesen wäre, hätte mich nicht mutlos werden lassen sollen. Ich hätte es versuchen sollen, aber ich tat es nicht. Etwas in seinen Augen, die nicht irre aufblitzten, ließen mich dieses Vorhaben gar nicht erst weiter in Gedanken fassen.

    Er sagte einfach: Alena, komm her.

    Nicht drängend, nicht böse, einfach nur sanft und sachlich. Ich ging langsam zu ihm, kniete vor ihm nieder. Er hielt ein gewaltiges Messer in der Hand und setzte es vorsichtig an meiner Kehle an.

    Ich flehte ihn an: Nein.

    Doch er nickte nur traurig, ernst. Ich stand schnell auf, warf mich zurück an die Wand, spürte die kalte, raue Oberfläche des Putzes, drückte mich Hilfe suchend daran. Der Mann bewegte sich nicht. Er wusste, dass ich kommen würde, wieder zu ihm kommen würde. Ich kannte ihn nicht, aber ich wusste, dass er mein Mörder werden würde.

    Er nannte mich wieder bei meinem Namen: Alena.

    Ich fing an zu weinen: Nein. Bitte! Tu es nicht. Ich habe solche Angst vor den Schmerzen.

    Ich ging wieder zu ihm, wandte mich wieder ab. Obwohl er mich noch nicht verletzt hatte, spürte ich Schmerzen an meiner Kehle. Meine Angst vor dem Tod war gering, aber die vor den Schmerzen, die das gewaltsame Hinübergleiten in den Tod begleiten würden, war groß. Dann atmete ich ganz ruhig, hatte mich gefasst. Ich ging auf dem Mann zu, kniete vor ihm nieder, war bereit. Er setzte die kalte Klinge so an meiner Kehle an, als ob er versuchte, mir so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen. Dann schnitt er meine Haut ganz leicht an. Jetzt war ich auf den endgültigen Schnitt vorbereitet – der Schmerz konnte kommen. Ich sah ihm erst in die hellgrünen Augen, dann schloss ich meine Augen langsam, spürte den ziehenden, tiefen Schmerz, als er mir von rechts nach links die Kehle durchschnitt.

    5. Realität

    Ich schüttelte den Kopf, keuchte, der Mann vor mir, den ich auch schon in der Stadt getroffen hatte, war der Mörder im Rollstuhl! Meine Traumperson. Und ich war seine. Wir hatten den gleichen Traum erlebt - jeder aus seiner Sicht!

    Wie...wie hast du mich wieder erkannt?, fragte ich.

    Ich habe dich schon damals in der Stadt erkannt, aber da du nicht reagiertest, gar kein Erkennen signalisiert hattest, da dachte ich, dass ich mich geirrt hatte. Aber als ich dich heute wieder sah, da war kein Zweifel mehr möglich. Ich habe dich in meinem Traum...getötet. Und du existierst nicht nur in meinem Traum.

    Seine Augen leuchteten. Es war unmöglich! Ich verstand es nicht, doch der Mann vor mir war tatsächlich der Mörder in meinem Traum!

    Die Sonne brannte plötzlich heißer, Schweiß lief mir von der Stirn herab und ich wischte ihn gedankenlos mit dem Handrücken weg. Es konnte nicht möglich sein, ich hatte noch nie von so etwas Verrücktem gehört. Doch der junge Mann war genauso nachdenklich. Es gab keinen Zweifel.

    Ich wollte mich dem stellen: Nun gut, da haben wir etwas erlebt, das es eigentlich nicht geben dürfte. Wie ist dein Name?

    Yan.

    Okay, Yan. Willst du dich nicht zu mir setzen?

    Er ließ sich vorsichtig neben mir nieder, achtete genau darauf, dass er mich nicht aus Versehen berührte. Ich fühlte mich genauso befangen und konnte mit dieser Situation noch nicht so recht umgehen. Es war abstrakt, aber genauso sehr machte es mich neugierig, denn ich liebte Geheimnisse, die ich lüften konnte. Ich fühlte mich wie die Hauptperson in einem Roman, die auf ein großes Geheimnis gestoßen war und es lösen musste. Solche Romane habe ich immer sehr gern gelesen, allerdings war ich noch nie in der gleichen Situation wie eine meiner Titelheldinnen. Das war im realen Leben etwas schwerer, als in einem Roman. Ich hatte kein Manuskript, nach dem ich mich richten konnte. Was sollte ich tun?

    Wir fingen an in die übliche Konversation zu verfallen, wie sie bei zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts üblich ist, wenn man sich zum ersten Mal trifft und sich sympathisch findet. Außenstehende Personen hätten uns für ein Paar halten können, das sich kennen lernt und flirtet. Aber unsere Situation war ungleich intimer. Wir kannten unsere Träume! Nicht nur aus Erzählungen, sondern durch Erfahrungen erster Hand! Ich lächelte, als Yan mit seiner Hand in meine Richtung zeigte.

    Du hast da eine sehr interessante Tätowierung. Das hat bestimmt ziemlich weh getan, bemerkte Yan.

    Ich schmunzelte. Jetzt befand ich mich wieder auf einem Terrain, auf dem ich mich auskannte. Diesen Satz habe ich bestimmt schon tausend Mal gehört! Ich sah an mir herunter, auf meinem Brustbein, zwischen meinen Brüsten prangte ein schwarzer Drache, mit weit ausgestreckten Flügeln und nach oben gerecktem, reptilienartigen Kopf. Er schien zu schweben, kurz in seinem Flügelschlag innezuhalten.

    Ich liebe Drachen. Ja, es hat weh getan. Aber es ging vorbei. Nach zwei Wochen ist die Wunde abgeheilt und man spürt nichts mehr.

    Dann kam die nächste Frage, die ich erwartet hatte, weil sie immer kam, wenn jemand mein Tattoo entdeckte: Darf ich es einmal kurz berühren?

    Ich schmunzelte: Klar. Aber du wirst nichts spüren. Es fühlt sich an wie normale Haut. Die Farbe ist ja unter der Haut.

    Yan näherte sich mir vorsichtig, streckte seinen Zeigefinger auf und fuhr über den Kopf des Drachens.

    Sofort zog er wieder den Finger zurück und lächelte: Ja, es ist nichts zu spüren.

    Ich wandte mich ab und zündete mir eine Zigarette an. Während ich den Rauch langsam ausatmete, wurde ich nachdenklich. Ich starrte auf die Glut meiner Zigarette und ließ den Blick dann über das Wasser gleiten. Es war ein herrlicher Tag. Viele Menschen waren vor der Großstadthitze hierher geflüchtet. So überfüllt der Strand an diesem Tag auch war, ich genoss dieses Mal seine Anonymität.

    Hast du jemals so etwas Verrücktes erlebt?, fragte ich, als ich das Gefühl hatte, dass das Schweigen langsam peinlich wurde.

    Ich blickte Yan direkt an.

    Dieser schüttelte nachdenklich den Kopf: Nein. Noch nie. Vielleicht habe ich dich einmal auf der Straße gesehen und dich unbewusst in den Traum eingebaut. Vielleicht war es nur Zufall.

    Jetzt schüttelte ich den Kopf, allerdings energischer als Yan zuvor: Nein. Das hatte ich zuerst auch gedacht, aber das kann nicht so einfach sein. Es wäre ein sehr großer, wenn nicht fast unmöglicher Zufall gewesen, wenn wir beide genau den gleichen Traum gehabt hätten. Vielleicht wäre es wirklich denkbar, aber warum sind dann diese Parallelen in unseren Träumen? Das verstehe ich nicht. Und woher weißt du dann meinen Namen, wenn du mich nur irgendwo gesehen hast? Mein Name ist nicht alltäglich.

    Das stimmt. Aber ich habe einfach keine Erklärung dafür. Vielleicht ist es ein Wink des Schicksals.

    Ich lächelte vorsichtig, allerdings wollte ich ihn nicht ermutigen, denn uns verband nur der gleiche Traum, sonst nichts! Sympathie. Ja. Mehr? Vielleicht. Yan spürte meine leichte Abneigung - er verabschiedete sich bald darauf und ich hatte wieder Zeit nachzudenken. Aber zuerst wollte ich meinen Kopf etwas freier bekommen und mich in die Fluten stürzen. Eine Lücke in den Menschenmassen ermöglichte es mir, mich gefahrlos ins Wasser begeben. Ich schwamm nur ein paar Züge, tauchte ein wenig unter und verließ Minuten später wieder das erfrischenden Nass, legte mich auf mein Handtuch und ließ mich trocknen.

    Meine Augenlider wurden schwer, ich schlief schnell ein, denn als ich wieder die Augen öffnete, war die Sonne schon viel weiter gewandert und neigte sich dem Horizont zu. So beschloss ich, noch ein wenig am Wasser entlang zu laufen, da auch nicht mehr so viele Menschen am See waren. Meine Gedanken ließen mich nicht mehr los. Es war wohl ein einmaliges  Erlebnis, das ich hatte! Andererseits bin ich auch nicht der Typ Mensch, der wegen ungelöster Fragen sofort zum Arzt rennt, weil ihm sein Geisteszustand suspekt vorkam - dazu hielt ich mich für zu gesund. Allerdings fragte ich mich, ob ich so etwas noch einmal erleben würde, es würde mich wirklich interessieren und ich fand es spannend - schließlich war mir ja nichts weiter geschehen, außer, dass ich den Mann aus meinen Träumen in der realen, wachen Welt kennen gelernt hatte.

    Am Abend machte ich es mir bei einem Glas Wein und einem guten Film auf meiner Couch bequem. Ich lehnte mich entspannt zurück und wurde so richtig schön schwerfällig.

    'Heute Nacht werde ich gut schlafen', dachte ich bei mir.

    Am nächsten Morgen wachte ich desorientiert auf. Ich hatte einen tiefen Traum gehabt, aber ich wusste nicht mehr, worum es bei diesem Traum ging. Hoffentlich nicht schon wieder so ein Traum, bei dem mir am Tage die Traumgestalt über den Weg laufen würde.

    Ich stand auf und überlegte, was ich tun könnte, bevor ich an den See fahren würde. Der Tag kündigte sich durch blaugrauen Himmel und morgendliche Luftfeuchtigkeit an, es wird wieder sehr heiß werden. Ich musste noch einkaufen. Vielleicht ein paar Äpfel, die aß ich an den heißen Tagen am liebsten. Dann Cornflakes mit Milch. Der Einkauf war sehr stressig - wo kamen die ganzen Menschen her, sollten sie nicht im Urlaub in Spanien oder sonst wo sein? Endlich fand ich mich am Strand ein, biss herzhaft in einen Granny Smith, ließ meinen Blick über das noch nicht aufgewühlte Wasser schweifen, genoss die Ruhe, bevor das Geschrei der kleinen und großen, besonders von den ganz großen Kindern begann. Einige der ganz großen Kinder befanden sich schon im seichten Wasser, jetzt war es noch möglich Wasserball zu spielen.

    Nachdem mein Apfel aufgegessen war, legte ich mich auf den Rücken, zündete mir eine Zigarette an und blickte in den blauen Himmel. Ich rekelte mich ein wenig hin und her, bis ich eine geeignete Liegestellung gefunden hatte und fühlte mich pudelwohl. Es war noch etwas kühl und eine leichte Gänsehaut überlief meine Haut, wenn sich eine Windböe in meine Richtung verirrte. Doch dies hörte bald auf, weil sich die Luft zunehmend erwärmte. Der Vormittag verging mit Sonnenbaden, Menschen beobachten und ab und zu am Wasser entlang zu laufen. Ich staunte immer wieder, wie schnell sich der Strand füllte, wie viele Familien sich hierher begaben, wie viele Kinder mit Pommes, Eis oder beidem in der Hand herumrannten, die heulten und schrien, weil sie etwas nicht bekamen, oder weil sie etwas bekamen, das sie nicht wollten, wie viele Eltern schimpften, weil die kleinen Plagegeister gleich nach dem Essen ins Wasser wollten, aber erst noch eine halbe Stunde verdauen sollten, wie viele Eltern meckerten, weil die Kleinen nichts essen wollten, weil sie eben nicht noch eine halbe Stunde warten wollten, bis sie ins Wasser durften, wie viele Eltern innerlich grinsten, weil die lieben Kleinen nicht aus dem Wasser wollten - Aber ich frier doch noch gar nicht! - und doch schon ganz blaue Lippen hatten und mit den Zähnen klapperten.

    Es war herrlich, all die Menschen zu beobachten, einen kleinen Einblick in die Familien und Partnerschaften zu erhaschen. Manchmal lernte man sie kennen oder aber man hörte die verschiedenen Vornamen und Begrüßungsfloskeln.

    Von irgendwoher rief jemand: Guten Tag, Herr Meier. Sind sie auch hier?

    'Blöde Frage! Das sieht man doch!', denkt sich dann Herr Meier.

    Aber Herr Meier grüßt artig zurück: Oh, hallo, Herr Müller. Ja, man hält es bei diesem Wetter doch nur am Wasser aus. Wie geht es ihrer Frau?

    Und so weiter und so fort. Ich konnte als Kind, wenn ich Zeit und Lust hatte, wenn ich ein solches Gespräch mithörte, fast immer genau voraussagen, was der andere fragte oder erwiderte, zumindest die einleitenden Floskeln.

    Hallo, wie geht's?

    Gut, und dir?

    Auch gut, danke.

    Und schon kommt das Gespräch ins Stocken, man sucht nach weiteren Nettigkeiten, kennt die Regeln des Small Talks nicht und mit der Zeit wird es immer schwerer, sodass dann die Verabschiedung erfolgt: So, man sieht sich, oder Bis bald.

    Ich hatte einmal auf diese einleitende Frage einfach geantwortet: Leider schlecht.

    Was folgte darauf?

    Kein Bedauerndes: Oh, das tut mir leid. Kann ich helfen? Wo drückt der Schuh?

    Nein, es kam ein ernüchterndes: Das wird schon wieder. Tschüss.

    Seit ich meine Eltern kurz hintereinander vor mehreren Jahren verloren hatte, war ich als Einzelkind plötzlich ohne Familie. Meine Onkel und Tanten kannte ich nicht sonderlich, da diese recht weit weg von mir wohnten.

    Dadurch entwickelte ich mich zu einem ziemlichen Einzelgänger, war deswegen nicht verbittert, aber hatte einfach das Gefühl, dass die Menschen immer gefühlloser anderen gegenüber wurden. Manchmal war ich entsetzlich alleine. Besonders im Winter. Jetzt im Sommer konnte ich viel unternehmen, ich hielt mich gerne draußen auf, wanderte, fuhr Fahrrad, genoss die Natur. Die Winter vegetierte ich vor mich hin und im Sommer lebte ich wieder auf. Nach einem ausgedehnten Spaziergang am Wasser ging ich kurz in die kühlen Fluten und spülte meine ernsten Gedanken aus dem Kopf. Ich legte mich zum Trocknen in die Sonne und genoss das leichte Ziehen der Haut, als die Wassertropfen darauf langsam verdunsteten.

    Als ich mir eine Zigarette angezündet hatte, fiel mir mein Traum von der vergangenen Nacht wieder ein. Ich träumte von Yan. Aber diesmal war es ein guter Traum gewesen. Ich erinnerte mich an eine Szene aus dem Traum: Ich ging in der Stadt spazieren und sah auf einmal Yan vor mir stehen.

    Ich sagte nur kurz verblüfft: Du schon wieder?

    Und auch dieser Traum erfüllte sich nun, denn Yan stand plötzlich vor mir. Ich betrachtete ihn mir genauer, er sah nämlich richtig gut aus. Er hatte eine sympathische Ausstrahlung und hell leuchtende, grüne Augen.

    Hallo, Yan, begrüßte ich ihn freundlich, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich ihn am vorherigen Tag so unfreundlich hatte gehen lassen.

    Er war mir vielleicht nur wenig sympathisch vorgekommen, weil ich ihn noch als meinen 'Rollstuhlmörder' aus meinem Traum im Kopf hatte. Sichtlich erleichtert, dass ich nicht wieder so abweisend war, ließ sich Yan neben mir nieder.

    Hallo, Alena. Ich hatte gestern Angst, dass du mich als zu aufdringlich abschreiben würdest.

    Aber nein: Das war mein erster Gedanke.

    Und jetzt?

    Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht miteinander unterhalten sollten.

    Er hatte wirklich ein bezauberndes Lächeln - warum fiel mir das erst jetzt auf?

    Er hatte kurzes, braunes Haar, das an vielen Stellen durch die Sonne aufgehellt war und herrliche Lichtkontraste tanzten darauf. So langsam kam in mir der Drang durch, mich von meiner besten Seite zeigen zu wollen. Ich zog an meiner Zigarette und schaute Yan an, er ließ gerade seinen Blick über das Wasser gleiten, so wie ich am Tag zuvor.

    'Gut, dann habe ich noch Zeit ihn ein wenig zu mustern', dachte ich frech.

    Plötzlich drehte er seinen Kopf wieder zu mir und sah mich direkt an. Das war der Moment, als mein Herz auf einmal schneller zu schlagen begann und ich mich zwang meinen Blick langsam von ihm abzuwenden anstatt schnell und wie ertappt. Ich spürte, dass er mich nun auch genauer ansah, als ich den Strand nach irgendetwas Wichtigem absuchte. Was er wohl mit seinen Augen sah? Langes, dunkelblondes Haar, das mir bis in den Rücken reichte, dunkelgrüne Augen, eine kecke, nach oben gerichtete Nase - das war meine Außenansicht. Ich war eine hübsche Durchschnittsfrau, die ein betörendes Lächeln auf ihr Gesicht zaubern konnte. Manchmal konnte ich hinreizend, aber auch mal ganz schön reif aussehen, je nachdem, wie ich mich kleidete. Ich suchte Yans Blick. Er sah mir in die Augen, mein Herz setzte ein paar Takte aus und versuchte diesen Fehler mit ein paar schnelleren Schlägen wieder wettzumachen.

    Ich möchte dir sagen, dass ich nicht hier bin, um mit dir wieder über diesen verrückten Traum zu sprechen, denn wir wissen sowieso nicht, was das war und ob es wieder geschehen wird und ich bin der Meinung, dass wir nichts daran ändern könnten. Vielleicht sollten wir das einfach als Anlass nehmen, dass wir uns kennen gelernt haben, fing Yan an.

    Natürlich – grinste ich. Das hatte ich mir fast gedacht, und obwohl ich am Tag zuvor etwas abgeneigt gewesen war, so wollte ich mir diese Chance an diesem neuen Tag nicht mehr entgehen lassen.

    Ich holte eine Flasche Wasser aus meinem Rucksack heraus und bot Yan einen Schluck an, den er gerne entgegen nahm. Das Eis war durch diese kleine Geste erst einmal gebrochen. Wir unterhielten uns allgemein über die Jobs, die wir ausübten, über das Wetter, über Filme, die wir zuletzt gesehen hatten und viele weitere Themen, die man austauscht, wenn man sich kennen lernt. So erfuhr ich auch, dass er keine Freundin hatte und dass mein Interesse, so schlussfolgerte ich, bei ihm echte Chancen haben könnte. Dann schlug ich vor, dass wir eine Runde ins Wasser gehen sollten, was wir auch taten. Nach dem erfrischenden Bad spazierten wir ein wenig am Wasser herum und lachten viel. Es kam mir in diesen Augenblicken so vor, als ob ich die Hauptperson in einem Kitsch-Roman wäre, aber wie das Leben spielt, geschehen tatsächlich solche Storys. Es war kein Wunder, dass er mich, nachdem ich verzweifelt versuchte die Sonnencreme auch auf meinem Rücken zu verteilen, ohne große Worte aus dieser verzweifelten Lage befreite und diese Aufgabe übernahm. Ich musste zugeben, dass das kein Zufall, sondern pure Absicht meinerseits gewesen war. Klar, dass ich auch seinen Rücken einrieb. Das war das Schöne am Sommer und am Baggersee. Man kam sich ohne Peinlichkeiten recht nahe und niemanden störte es. Ich legte mich nach getaner Arbeit auf den Bauch, Yan saß mit angewinkelten Beinen mir zugewandt und wir unterhielten uns weiter. Nachdem uns irgendwann das Gesprächsthema einmal ausgegangen war, drehte ich mich langsam, ganz langsam auf den Rücken. Yan träumte vor sich hin, starrte dabei ins Wasser, also schloss ich die Augen und lauschte dem typischen Strandlärm: Kinderspielen, Schreien, Weinen, Wasser platschen, Müttergezeter, Knabenkraftausdrücke, Vogelgezwitscher, Schnakengesumme, Libellengesirre und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, in denen sich noch etwas Wasser befand.

    Nachdem das Schweigen zu lang wurde, legte mich auf die Seite, stützte meinen Kopf auf die rechte Hand und erzählte ihm meine Pläne für diesem Sommer: Ich hab nichts vor, will nur entspannen, gute Bücher lesen, Fahrrad fahren, braun werden, wandern, ein wenig unter die Leute gehen, mich richtig treiben lassen.

    Yan hatte aufmerksam zugehört: Ich hab diesen Sommer auch nichts geplant. Ich wollte nur raus in die Natur und mich selbst ein wenig verwöhnen.

    Der Tag ging so weiter, wie wir ihn angefangen hatten. Wir schwammen, ließen uns in der Sonne trocknen, gingen spazieren, lagen einfach nur da, dösten und dann war es langsam Zeit zum Aufbrechen. Der Strand hatte sich fast geleert, die Schnaken wurden unerträglich, weil sie in Scharen auftraten und stachen und es waren nur noch vereinzelte Gestalten, wie wir, die die Stellung hielten. Es war kühler geworden, aber ich ließ mir mit dem Anziehen und Einpacken viel Zeit, bis mich die Schnaken mit ihrer verstärkten Streitmacht zum Wahnsinn trieben. Ich sprintete zu meinem Auto, riss die Türen sowie den Kofferraum auf, da sich die Tageshitze noch darin gespeichert hielt. Yan hatte mich bis zum Auto begleitet, er selbst war mit dem Fahrrad da.

    Sehen wir uns morgen wieder?, fragte er.

    Warum nicht heute noch, oder hast du schon etwas anderes vor?, fragte ich zurück.

    Er grinste: Gern. Wo?

    Ich würde gern ein Eis essen gehen. Ich lade dich dazu ein. Okay? Um acht Uhr bei Campolino?

    Einverstanden.

    Zuhause unter der Dusche überlegte ich doch wirklich die ganze Zeit, was ich anziehen sollte! War ich etwa verliebt? Die Zeit der Schmetterlingsflügel ist die schönste und dieses Gefühl wollte ich so lange wie möglich auskosten. Endlich hatte ich mich für ein kurzes, leichtes Sommerkleid entschieden, das von oben bis unten durchgeknöpft war und mir wegen seiner Lachsfarbe so sehr gefallen hatte. Ich kämmte mein Haar, das durch die verbliebene Hitze des Tages schon beinah getrocknet war und gefiel mir ausnahmsweise einmal von Kopf bis Fuß.

    Ich stand pünktlich um acht vor der Eisdiele und sah ihn auch schon herbeilaufen. Er sah einfach klasse aus, er trug eine lange, leichte, blaue Hose und ein weißes, kurzärmeliges Hemd darüber. Ich musste dennoch etwas über seine Kleidung lächeln, denn es passte irgendwie nicht richtig zu ihm. Ich konnte ihn mir eher in Khakihosen vorstellen, vielleicht noch mit braunem Hut, wie Indiana Jones.

    Die beginnende laue Sommernacht hatte die Menschen aus allen Häusern getrieben und die Eisdiele war hoffnungslos überfüllt. Wir beschlossen, dass wir uns zwei Eistüten besorgen und an den Springbrunnen setzen wollten. Es war zwar auch dort kaum Platz, aber wir konnten uns noch irgendwo dazwischen drängen und genossen die italienisch anmutende Atmosphäre.

    Ich bekomm schon Frostbeulen auf der Zunge!, jammerte ich.

    Du konntest ja nicht genug bekommen!, konterte Yan.

    Gespielt beschämt schaute ich zu Boden und grinste innerlich: Das Angebot ist so umfangreich, dass ich es durchprobieren musste, um beim nächsten Mal die Sorten wählen zu können, die mir am besten schmecken!

    Es war immer das Gleiche mit mir. Wenn ich vor der riesigen Auswahl stand, dann klang eine Sorte besser als die andere und ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Ich kam nie unter vier bis fünf Kugeln aus. Aber ich überlebte es auch diesmal ohne Frostbeulen und fühlte mich so richtig „Eis-satt".

    Wir liefen langsam durch die Stadt und genossen die mollige Wärme, die noch in den Straßen und Gebäuden gespeichert war und in die laue Sommernacht abstrahlte. Dann wurde es Zeit, dass ich nach Hause ging. Es stellte sich heraus, dass Yan auch am Wasserturm wie ich geparkt hatte. Er hatte mein Auto erkannt und direkt daneben abgestellt. Natürlich konnten wir uns noch nicht trennen und begannen während einer Abschiedszigarette zu erzählen. Aus der Abschiedszigarette wurden drei. Die Sterne waren längst aufgegangen, da fasste ich mir endlich ein Herz und schloss mein Auto auf, als kleiner Hinweis, dass ich fahren würde. Yan erwies sich leider mehr als Gentleman, als ich gedacht hätte, denn er wünschte mir eine gute Nacht und wartete, bis ich davon gefahren war. Ein wenig enttäuscht war ich schon, dass er mich nicht geküsst hatte. Ich hatte es mir gewünscht. Daran dachte ich noch, als ich zuhause sehnsuchtsvoll in meinem Bett lag. Schon lange hatte ich keine Zärtlichkeiten mehr gespürt, sodass ich ganz ausgehungert danach war. Auf den nächsten Tag freute ich mich sehr. Mit einem Lächeln auf den Lippen und süßen Vorstellungen, wie der folgende Tag verlaufen würde, schlief ich ein.

    Auch der nächste Tag versprach wieder heiß zu werden. Im doppelten Sinne, denn der Wetterbericht sprach von 30°C und ich würde Yan wieder sehen!

    Diesmal fuhr ich mit dem Fahrrad, packte in eine Kühltasche Joghurt, Wasser, Äpfel und Müsliriegel ein und radelte los. Ich brauchte nur eine halbe Stunde, weil ich sehr flott fuhr, da ich mich nach einem Wiedersehen mit Yan richtiggehend sehnte.

    An meinem Stammplatz befand sich ein Handtuch und mein Herz schlug schneller - es war das Handtuch von Yan. Er tummelte sich schon im Wasser. Ich zog meinen schwarzen, kurzen Hosenanzug aus, unter dem ich schon meinen Bikini trug, richtete schnell das Oberteil her, das sich immer irgendwie verschob, rannte über den Kieselstrand und versuchte mit den Zehen das Wasser zu fühlen, wie kalt es war! Brrr. Zum Baden musste ich mich erst überwinden. Die flotte Radtour hatte meinen Körper so sehr erhitzt, dass mir das Wasser eisig vorkam.

    Traust du dich nicht?, spöttelte gutmütig die Stimme von Yan, der etwa fünfzig Meter weit im Wasser schwamm.

    Ich streckte wieder den großen Zeh hinein und jammerte: Das ist so bitterkalt!

    Yan legte die Strecke zwischen sich und mir so schnell zurück, dass ich kaum mit den Augen folgen konnte.

    Nicht spritzen!, mahnte ich, aber ich konnte den schalkhaften Ausdruck in Yans Augen wahrnehmen und wusste, dass meine Warnung nichts helfen würde.

    Ich biss mir auf die Innenseiten meiner Wangen und rannte ins Wasser hinein, legte einen Kopfsprung hin und erschrak durch den Schock, den das kühle Wasser meinem Körper antat. Ich tauchte in Yans Richtung, sah seine Beine, die Wasser traten, tauchte kurz vor ihm auf und schnappte nach Luft.

    Gehst du immer so ins Wasser?, fragte mich Yan amüsiert.

    „Aber ja, bevor ich mich nass spritzen lasse..."

    Er strich mir kurz über die Schulter: Schön, dass du da bist.

    Ich lächelte und schwamm wieder in Richtung Ufer.

    Willst du schon wieder raus?, fragte Yan ungläubig.

    Ja, ich hab heute noch nichts gegessen, mir ist ganz flau im Magen.

    Yan begleitete mich. Ich aß mich durch meine Vorräte. Yan wollte nur einen Apfel, als ich ihm etwas von meinen anbot. Er knabberte nachdenklich darauf herum und fragte dann, ob ich Vegetarier sei.

    Ich lachte: Nein, aber bei diesem heißen Wetter mag ich am liebsten solche Sachen.

    Danach dösten wir beide vor uns hin. Der Tag verlief ruhig und friedlich. Zum Glück befanden sich nicht so viele Menschen am See, weil eine enorme Hitze herrschte. Deswegen gingen wir auch nicht so oft zum Wasser, sondern saßen lieber etwas faul im Schatten. Das Wasser im See kam uns, je öfter wir am Ufer waren, immer wärmer vor, aber es war immer noch besser als gar keine Abkühlung.

    Am Abend wollte mich Yan zu meinem Auto bringen, aber ich überraschte ihn damit, dass ich mit dem Fahrrad da war. Wir gingen zusammen zu den Fahrradständern und ich musste lachen, denn ich hatte unbewusst mein Rad neben seines gestellt. Wir hatten nur noch Augen für uns und es lag ein gewaltiges Knistern zwischen uns in der Luft.

    Sehen wir uns heute Abend?, fragte diesmal Yan.

    Gern.

    Ich komm ein Stück mit dir mitgefahren.

    Wo wohnst du denn eigentlich?, fragte ich unbekümmert.

    In der Schillerstraße.

    Ich schluckte: In der Stadt?

    Ja, wieso?

    Ich auch.

    Yan verstummte.

    Ich lachte: Und wir haben uns nie gesehen! Das ist die Anonymität der Großstadt!

    Aber manchmal auch Auslöser für Überraschungen wie bei uns. Im weiteren Vergleich fanden wir heraus, dass Yan an dem einen Ende der Straße und ich am anderen Ende wohnte. Die Straße selbst hatte eine stolze Länge von gut zwei Kilometern, so war es kein Wunder, dass wir uns nie über den Weg gelaufen waren. Zumal ich sowieso nur in meiner Wohnung zum Schlafen war und gerade einmal drei Jahre dort wohnte, aber nicht wirklich dort lebte.

    Gehen wir wieder Eis essen?, fragte Yan.

    Das klingt verlockend!

    Wir radelten so, dass mich Yan kurz nach Hause brachte und ohne Umweg zu sich nach Hause fahren konnte. Um acht Uhr verabredeten wir uns. Ich wollte ihn mit meinem Auto abholen, stand pünktlich vor seinem Haus, in dem er wohnte. Ich hatte mich an diesem Abend besonders hübsch angezogen, trug einen wildledernen, kurzen Rock mit passendem, weit ausgeschnittene Oberteil. In der abklingenden Hitze des Tages war es genau das Richtige. Ich musste herzlich lachen, als mir Yan aus der Tür entgegenkam. Er trug eine Khakihose und dazu ein hellbraunes, kurzärmeliges Hemd.

    Als er in meinem Auto saß, fragte er verunsichert: Warum lachst du?

    Ich lachte noch einmal kurz auf: Als ich dich gestern vor der Eisdiele sah, dachte ich, dass das, was du anhattest, gar nicht so dein Stil ist, sondern eher das, was du heute trägst. Ich hatte recht, oder?

    Yan grinste und das war Antwort genug. Wir fuhren los und parkten am Wasserturm. Nach einem kleinen Umweg kamen wir an der Eisdiele an und ich bestellt diesmal nur drei Kugeln, was Yan freundlich lästernd kommentierte. Der Abend verlief so harmonisch wie der ganze Tag und bald schon standen wir am Auto, erzählten und ich konnte es noch nicht so ganz glauben, was mir da widerfuhr. Es war zu schön, zu perfekt, um wahr zu sein. Wir verstanden unsere Gesten, unsere Worte ohne Missverständnisse. Ich lehnte mich an die Seite meines Golfes und schaute hoch zu den Sternen, die über unseren Köpfen funkelten. Der Himmel war klar und vollkommen schwarz, wie Samt, in dem Diamanten glitzerten. Ich fing langsam an zu frösteln, wollte mich aber noch nicht von Yan trennen. So versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, aber die Gänsehaut, die meine nackten Arme und Beine überzog, war Yans Blick auch im Dunkeln nicht entgangen. Er stand plötzlich ganz nah vor mir, legte seine Arme um mich, drückte seinen Körper fest an meinen und ich legte meine Arme um seine Hüften. Er beugte seinen Kopf langsam zu meinem Gesicht herab und ich schloss meine Augen. Seine Lippen auf meinen fühlten sich unheimlich warm und weich an und Gefühle von Verliebtsein und Lust schossen durch meinen Körper. Nur nicht loslassen, dachte ich, nur nicht diesen Kuss jemals enden lassen. Genau das hatte ich mir so sehr gewünscht! Ich spürte seine Zunge, öffnete meinen Mund, genoss die leichten Berührungen, legte meine Hand auf seinen Hinterkopf und drückte ihn noch näher zu mir heran, damit ich ihn ganz spüren konnte. Außer Atem trennten wir uns schließlich, mir kam es vor, wir hätten uns zeitlos ununterbrochen geküsst. Sanft im Arm haltend schauten wir uns an. Ich konnte seine Augenfarbe im Dunkeln kaum erkennen, aber ich sah das Glänzen darin, das er wahrscheinlich auch in meinen Augen sehen konnte. Mir war nicht mehr kalt, doch der Zauber des Momentes war vorbei, wir setzten uns wortlos in mein Auto. Ich brachte ihn nach Hause und fuhr allein in meine Wohnung. Sofort legte ich mich ins Bett, drehte mich auf den Rücken, verschränkte die Arme unter meinem Kopf und ließ die vergangenen, wunderbaren Momente vor meinem inneren Auge nochmals Revue passieren. Es war gut, dass wir uns nicht noch einmal geküsst hatten. Wir hätten sonst die Nacht nicht allein verbracht und obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, wäre es trotzdem schade gewesen, diesen Moment schon so bald zu erleben, anstatt ihn weiter hinaus zu zögern.

    Ich war verliebt!

    An Schlaf war jetzt überhaupt nicht zu denken, ständig drehte mich im Bett hin und her und konnte mich von dem wunderbaren Geschehen der letzten Stunde nicht trennen. Ob es Yan genauso erging? Ich stand schließlich auf, schenkte mir ein Gläschen Wein ein, zündete  eine Zigarette an, öffnete das Küchenfenster und genoss die kühle Luft, die hereinströmte. Nachdem ich das Glas geleert und eine weitere Zigarette geraucht hatte, fühlte ich mich etwas ruhiger, legte mich wieder ins Bett und schlief bald ein.

    Der Sommer schien Tag für Tag heißer zu werden. Das Wasser am See wurde leider auch immer wärmer, sodass wir am nächsten Tag kaum noch Abkühlung fanden. Wir lagen ziemlich müde im Schatten und wollten uns gar nicht bewegen. Ich war an diesem Morgen schon sehr früh wach und hatte meine Wohnung durchgelüftet. Da war es noch angenehm gewesen. Auch am frühen Morgen war es am See noch herrlich. Yan hatte mich zuhause abgeholt und wir waren gemeinsam geradelt, hatten uns unterhalten, gelacht, geflirtet. Wir ließen uns an unserem 'Stammplatz' nieder und fingen an, unser Blut in uns zum Kochen zu bringen. Unbewusst, aber deswegen nicht ineffektiv.

    Den ganzen Morgen gab es bei uns ein spielerisches Berühren beim Schwimmen, leichtes Streicheln beim Tauchen, dann das Eincremen des Rücken des anderen, das kurze Anfassen des Armes beim Erzählen, dann die Erinnerung des Kusses am vergangenen Abend, die Erinnerung an das Verlangen in der einsamen Nacht, die heiße Schwüle des Sommertages. Ich hatte ein echtes Verlangen nach seinem Körper, seiner Nähe.

    Und wir brüteten in der Hitze vor uns hin.

    Ich drückte ärgerlich meine Zigarette aus - bei dieser Hitze schmeckten sie nicht. Ich gönnte mir lieber viele Vitamine in Form von Äpfeln und Müsliriegeln mit getrockneten Früchten.

    Gegen Abend war es von den Temperaturen her wieder herrlich am See zu liegen, doch die Schnaken waren an diesem Abend noch aufdringlicher. Es kam ein frischer Wind auf und wir merkten zu spät, dass ein Gewitter aufzog. Erst, als der Wind heftiger wurde und ein grollendes Donnern an unsere Ohren drang, beschlossen wir unsere Siebensachen einzupacken.

    Lachend stürmten wir zu unseren Fahrrädern und traten kräftig in die Pedale. Das Gewitter zog zum Glück an

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