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GLAMOURSEX
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eBook318 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Schlechter könnte es nicht laufen: Mila Black, 22, ist als Künstlerin komplett erfolglos und chronisch pleite. Als sie auch noch in eine tiefe Schaffenskrise stürzt, beschließt sie, ein ebenso aufregendes wie verrücktes Experiment zu starten: Für ein Kunst-Projekt arbeitet sie als Luxus-Escort-Girl und macht eine Reise in die Glamourwelt der Superreichen.

Paul Wilson, 36, ist smart, sieht gut aus und zählt zu den besten Sex-Coaches von New York. Trotzdem ist er etwas gelangweilt von seinem Job. Bis er eines Tages den Auftrag erhält, das neue Mädchen einer global agierenden Luxus-Escort-Agentur zu coachen.

Mila soll der neue Star der Agentur werden. Bedauerlicherweise hat sie keinen blassen Schimmer, wie man Männer verführt.

Paul soll ihr helfen und sie zur perfekten Liebhaberin ausbilden. Doch schon bald verfällt er nicht nur Milas frechem Charme, sondern hat auch einen mächtigen Feind: den mysteriösen Jung-Milliardär Tobey Roberts. Der sieht nicht nur unverschämt gut aus, sondern hat auch ein dunkles Geheimnis. Und das will Mila unbedingt enträtseln...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Okt. 2014
ISBN9783847614593
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    Buchvorschau

    GLAMOURSEX - Sabine Hoffmann

    PROLOG

    Wahrscheinlich würde er gleich sterben, dachte Paul und wunderte sich, warum ihn dieser Gedanke so kaltließ. Er musste wirklich vollkommen am Ende sein. Er gab sich noch maximal zwei Minuten, dann würde er höchstwahrscheinlich das Bewusstsein verlieren. Er spürte schon, wie alles um ihn herum langsam verschwamm, wie eine unsichtbare Macht ihn immer stärker nach unten zog. Fremde Menschenstimmen vermengten sich mit dem nicht enden wollenden Hupen von Taxis und dem unaufhörlichen Hämmern eines Presslufthammers.

    Er lag rücklings in seiner eigenen Blutlache, in einer Seitenstraße nur hundert Meter entfernt vom Times Square, doch momentan hatte er das Gefühl, sich nicht mitten in New York, sondern mutterseelenallein im Nirgendwo zu befinden.

    Er hob seinen Kopf etwas an, versuchte sich mit all seiner Kraft aufzurappeln, sackte aber sofort nach hinten zurück. Ein höllischer Schmerz schoss durch seinen Kopf.

    Warum hatten sie ihn nur so zurichten müssen?

    Er hatte schließlich keinen Mord oder sonst irgendein schlimmes Verbrechen begangen. Wenngleich er sich eingestehen musste, dass sein Fehler unverzeihlich war.

    Schnell verdrängte er den Gedanken. Wenn er schon sterben musste, wollte er zumindest noch einmal an etwas Schönes denken.

    Ihre Augen fielen ihm ein.

    Noch nie hatte er so klare blaue Augen gesehen.

    Und ihre Lippen.

    Sie schienen immer zu lächeln.

    Wie gern würde er sie noch einmal küssen.

    Dann wurde alles um ihn herum schwarz.

    Sein letzter Gedanke war, dass er sie für immer verloren hatte.

    1.

    So müssen sich die Krokodile in den Everglades fühlen, schoss es Paul durch den Kopf, als die Reporterin der New York Post ihn neugierig musterte.

    Seine Assistentin Stacey hatte sie vor ein paar Sekunden in sein Büro geführt. Noch während er sich von seinem Schreibtisch erhoben hatte, um ihr entgegenzulaufen und sie zu begrüßen, hatte er gespürt, wie ihre Augen seinen Körper abtasteten. Wie sie mit schnellem Blick registrierte, was er trug: weißes Hemd, schmal geschnittene graue Designerhose, feine braune Lederschuhe. Sein übliches Büro-Outfit. Klassisch elegant, dabei aber lässig. Und vor allem teuer. Darauf legten seine Patienten größten Wert. Er war groß, hatte eine sportliche Figur. Viele Frauen sagten, er wäre attraktiv. Doch leider schien Paul auf die Reporterin eine gänzlich andere Wirkung zu haben. Er gab es nur ungern zu, aber als sich ihre Blicke trafen, starrte sie ihn so fasziniert und entsetzt zugleich an, als wäre er kein gut aussehender 36-jähriger Mann, sondern ein exotisches Tier.

    Forsch streckte sie ihm die Hand entgegen und stellte sich vor. „Liz Whitman, New York Post."

    Er gab ihr die Hand. „Paul Wilson. Dabei zwang er sich, sie so freundlich anzulächeln, als würde er eine neue Patientin zum ersten Mal in seiner Praxis begrüßen. „Freut mich, Sie kennenzulernen!

    Das war eine glatte Lüge. Mit ihrer dicken schwarzen Nerdbrille und dem strengen Business-Outfit war sie ihm ungefähr so sympathisch wie die Politesse, die ihm heute Morgen einen saftigen Strafzettel fürs Falschparken verpasst hatte. Trotzdem bemühte er sich, so charmant wie möglich zu sein. Es war das erste Mal, dass eine Zeitung ein Porträt über ihn und seinen Job brachte.

    Er war Sex-Coach in New York.

    Offensichtlich machte er seine Arbeit gut, denn sein Terminkalender war immer bis oben hin voll – obwohl er zweihundert Dollar die Stunde nahm. Nicht gerade wenig, aber dafür rettete er schließlich auch Ehen und sparte seinen Patienten sündhaft teure Scheidungen. Genauer gesagt half er Paaren, ihre sexuellen Probleme zu lösen, damit ihr gemeinsames Leben wieder so leidenschaftlich und intensiv wie am Anfang der Beziehung wurde. Man könnte auch sagen, er führte seine Patienten aus erotischen Sackgassen. Auch wenn seine Coaching-Methode für die meisten Menschen wahrscheinlich erst mal gewöhnungsbedürftig klang.

    „Setzen Sie sich doch bitte", sagte er und zeigte auf das hellgraue Designersofa, das neben einem dunkelgrauen Sessel mit einladend großen Lederpolstern in der Raummitte stand.

    Höflich fragte er: „Möchten Sie Kaffee, Tee oder lieber Wasser?!"

    „Ein stilles Wasser. Danke", antwortete sie, und während er Stacey bat, zwei stille Wasser zu bringen, schlenderte Liz Whitman zu der riesigen Glasfront.

    „Schöne Aussicht, sagte sie und blickte bewundernd auf das Grün des Central Parks, das hinter den bodentiefen Fenstern in den Himmel ragte. „Haben Sie Ihre Praxis schon lange hier?

    „Etwa fünf Jahre, antwortete Paul. „Davor war ich in Brooklyn. Mit der Zeit hatte ich aber immer mehr Patienten aus Manhattan. Die meisten wohnten an der Upper East Side, waren beruflich stark eingebunden und jammerten über den langen Anfahrtsweg zu unseren Treffen. Deshalb habe ich meine Praxis kurzerhand an die Upper East Side verlegt.

    Sie drehte sich zu ihm um, zog den linken Mundwinkel leicht spöttisch nach oben. „Fiel Ihnen bestimmt sehr schwer?!"

    Schweigend grinste Paul.

    Sie ließ ihren Blick durch den Raum wandern, begutachtete den Einrichtungsstil. Auf dem grauen Sofa waren mehrere Kissen in Naturtönen mit filigranen Prints verteilt, davor stand ein edler Teaktisch. An verschiedenen Stellen im Raum waren rustikale Holzaccessoires neben modernen Kunststoffleuchten und bunter Pop-Art drapiert.

    Es klopfte an der Tür. Stacey kam mit einer großen Flasche Pellegrino und zwei Gläsern auf einem Tablett herein, stellte alles auf den Teaktisch und schenkte das Wasser in die Gläser.

    Als sie den Raum wieder verlassen hatte, setzte sich Liz Whitman auf das Sofa, zog ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch und einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und legte ein Aufnahmegerät vor sich auf den Tisch. Lächelnd nahm sie den Kugelschreiber in die rechte Hand und fragte: „Wie sieht ein Sex-Coaching denn normalerweise bei Ihnen aus?"

    „Ich coache meine Klienten, während sie sexuell aktiv sind. Man kann sich das am besten als praktische Sprechstunde vorstellen. Entweder besuche ich meine Klienten zu Hause oder wir machen das Coaching hier in der Praxis."

    Er drehte den Kopf und zeigte dabei auf eine Tür, die zu einem Nebenzimmer führte. „Nebenan habe ich noch einen zusätzlichen Raum mit einem Bett für praktische Übungen."

    Lächelnd wandte er den Kopf zurück in ihre Richtung. „Auf diese Weise können meine Verbesserungsvorschläge sofort übernommen werden. Viele meiner Patienten haben Probleme mit eigenen Worten zu beschreiben, warum ihre bisherige sexuelle Technik nicht die gewünschten Ergebnisse brachte. Deshalb ist es meist auch effektiver, wenn ich ihnen einfach gleich beim Sex zuschaue."

    Liz Whitman wirkte so entsetzt, als hätte er ihr gerade mitgeteilt, George Clooney hätte sich von der schönen Menschenrechtsanwältin Amal Alamuddin getrennt und verkündet, er wollte sich lieber ein neues Hausschwein zulegen. Wenn Paul ihren Gesichtsausdruck richtig interpretierte, war sie kurz davor, ihn als Perversen abzustempeln. Das verwunderte ihn nicht weiter. Fast alle Menschen zeigten diese Reaktion, sobald sie hörten, dass Paul in seinen praktischen Sprechstunden Paaren beim Sex zuschaute. Aus Erfahrung wusste er, dass jetzt nur eines half: Er musste einfach so weiter erzählen, als hätte er den normalsten Job der Welt. Verkaufsberater in der Dessous-Abteilung eines Kaufhauses oder irgendetwas in der Art.

    Mit ruhiger Stimme sagte er: „Sicherlich ist meine Methode etwas ungewöhnlich. Aber sie funktioniert ganz hervorragend. Für viele meiner Patienten ist es eine besondere Motivation, wenn ich ihnen beim Sex persönlich zuschaue."

    Er machte eine kurze Pause und ließ seine Worte wirken. Wie ihm schien, war Liz Whitman noch nicht so recht überzeugt und Paul fragte: „Waren Sie schon mal im Fitness-Studio?"

    Sie nickte.

    „Im Endeffekt ist das wie beim Workout, wenn der Trainer direkt neben einem steht und zuschaut: Da gibt man sich extra viel Mühe."

    Ungläubig schüttelte sie den Kopf und lachte kurz auf, während sie seine Ausführungen in ihr Notizbuch schrieb.

    Zögerlich fragte sie: „Sind Ihre Klienten nicht angeekelt, wenn ihnen jemand in so einer intimen Situation zuschaut?!"

    „Nein, im Gegenteil. Die meisten nehmen mich gar nicht mehr wahr, sobald meine Therapie Wirkung zeigt. Besonders für Paare in langjährigen Beziehungen ist es oft der erste richtig gute Sex seit langer Zeit. Meist sind sie so berauscht und gefesselt von ihrem Liebesspiel, dass ich völlig aus ihrem Bewusstsein verschwinde."

    Er dachte an den Termin gestern mit dem jungen Ehepaar, Kate und Gordon Davis. Beide waren Mitte dreißig und kannten sich seit der zehnten Schulklasse. Eine klassische College-Liebe mit einem typischen Problem: Beide hatten nie andere Sexpartner gehabt. Weil Kate und Gordon ein paar tausend Meilen von New York entfernt in Dallas lebten, hatten sie drei Gesprächssitzungen über Skype. Gestern nun waren sie für ihre erste praktische Sprechstunde in seine Praxis gekommen. Bei der Erinnerung daran musste Paul schmunzeln.

    „Wenn ich es mir recht überlege, muss ich den meisten sogar irgendwann auf die Schulter tippen, um ihnen zu sagen, dass sie gerne alleine weitermachen dürfen."

    Sie lachte laut, schüttelte wieder ungläubig ihren Kopf und sagte: „Klingt unglaublich."

    Paul lächelte.

    Neugierig fragte Liz Whitman: „Was sind denn eigentlich die häufigsten Probleme?"

    „Die meisten haben nur Basiskenntnisse und wollen diese mit meiner Hilfe erweitern. Man könnte sagen, sie sehnen sich nach anspruchsvollerem Sex."

    Nachdenklich ließ sie ihren Blick durch den Raum gleiten. An dem eleganten Glasschreibtisch blieb er hängen. Sie schien etwas darauf zu suchen.

    Plötzlich drehte sie den Kopf in seine Richtung: „Sind Sie eigentlich verheiratet?"

    „Nein", antwortete Paul und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn der scharfe, fast schon vorwurfsvolle Ton ihrer Frage ärgerte. Er tröstete sich damit, dass er nun wenigstens wusste, was ihr suchender Blick zu bedeuten gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte Liz Whitman auf seinem Schreibtisch nach einem Familienbild oder irgendeinem anderen privaten Foto Ausschau gehalten. Vielleicht im Sommerurlaub in den Hamptons. Zu zweit, verliebt am Strand. Solche Bilder gab es natürlich. Jede Menge sogar. Schließlich hatten sie in den letzten Jahren im Sommer fast jedes Wochenende in den Hamptons verbracht. Er versuchte so freundlich wie nur möglich zu lächeln, doch sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern musterte ihn kritisch.

    Wahrscheinlich vermutete sie, dass er ein Womanizer war und seine Freundinnen recht häufig wechselte und versuchte sich vorzustellen, wie seine aktuelle Affäre aussah. Das war nicht weiter ungewöhnlich, die meisten Leute interessierten sich ausgesprochen stark für sein Intimleben.

    Doch statt weiter nachzubohren, sagte sie plötzlich: „Was war Ihr bislang außergewöhnlichster Fall?"

    Bilder explodierten in seinem Kopf. Es war, als würde diese Frage ein Feuerwerk an bunt-glitzernden Erinnerungen entzünden.

    Er dachte an SIE. Eine kleine Frau im knallgrünen Sommerkleid.

    Seinen Auftrag.

    Er zögerte.

    Sollte er es tun?

    Sollte er ihr von Mila und MEET THE BEST erzählen?

    New York. Zehn Tage vorher

    2.

    Das Telefon klingelte und Paul hörte, wie Staceys Stimme leicht genervt aus dem Hörer erklang: „Dr. Wilson, eine Deborah Fielding möchte Sie sprechen."

    Er schaute auf seine Armbanduhr. Punkt sechs. An einem Freitagabend. Paul konnte verstehen, dass Stacey verärgert war. Eigentlich hatte er ihr versprochen, dass sie heute etwas früher Schluss machen könnte, so viele Überstunden wie sie in den vergangenen Monaten gemacht hatte. Wahrscheinlich plante sie, sich schleunigst ins Wochenende zu verabschieden und nach Hause zu gehen.

    Wenn er es sich recht überlegte, hatte er auch keine Lust auf ein Gespräch mit einer neuen Patientin. Und Deborah Fielding musste eine neue Patientin sein. Er hatte ihren Namen noch nie zuvor gehört.

    Stacey schien seine Gedanken zu erraten, denn sie fragte begierig: „Soll ich ihr sagen, dass Sie erst nächste Woche wieder im Büro zu erreichen sind?"

    Paul zögerte. Eigentlich könnte er Stacey tatsächlich bitten, sie abzuwimmeln. Darin war sie wirklich gut. Sie machte das so reizend und höflich, dass bislang jeder Patient felsenfest überzeugt war, Paul hätte tatsächlich einen immens wichtigen Termin und würde es aus tiefstem Herzen bedauern, gerade keine Zeit für ein Gespräch zu haben.

    Irgendetwas hielt ihn trotzdem davon ab, Deborah Fielding auf die nächste Woche zu vertrösten.

    „Hat sie gesagt, um was es geht?"

    „Nein. Nur, dass sie unbedingt mit Ihnen sprechen müsse, antwortete Stacey und klang dabei noch eine Spur genervter. „Sie meinte, es sei dringend.

    „Dringend, murmelte Paul leise vor sich hin und fragte sich, warum ihn dieses Wort nur so magisch anzog. Wahrscheinlich verknüpfte sein Hirn damit automatisch, dass es sich zwangsläufig auch um etwas Spannendes handeln musste. Nur so konnte er sich den Adrenalinkick erklären, den das Wort „dringend jedes Mal bei ihm auslöste.

    Wobei er für ein solches Anliegen momentan eigentlich nicht in der richtigen körperlichen Form war. Während er den Telefonhörer in der linken Hand hielt, rieb er sich mit der rechten über die Stirn und schloss die Augen für einen Moment. Er war kaputt. Wahrscheinlich sollte er schnell Feierabend machen. Ein anstrengende, zähe Woche lag hinter ihm, als er sich plötzlich sagen hörte: „OK, stellen Sie durch. Aber das ist dann wirklich das letzte Gespräch. Sie können schon mal Feierabend machen, Stacey."

    „Danke, Dr. Wilson!, antwortete Stacey erleichtert. „Machen Sie auch bald Feierabend!

    „Das werde ich, Stacey", erwiderte er und dachte an die Berge von Patientenakten, die er noch durchgehen wollte.

    Doch ehe er sich darüber weiter Gedanken machen konnte, sagte eine tiefe Frauenstimme: „Guten Tag, Dr. Wilson! Gut, dass ich Sie so spät noch erreiche. Ich muss Sie dringend sprechen."

    In höflichem Ton antwortete Paul: „Guten Tag, Mrs. Fielding. Um was geht es denn?"

    „Das würde ich lieber persönlich besprechen, erwiderte sie bestimmt. „Es ist ein recht ungewöhnliches Anliegen. Aber ich denke, es wird Sie interessieren. Kommen Sie doch morgen in meinem Büro vorbei. Sagen wir am späten Vormittag. So gegen elf Uhr?

    Verdutzt schwieg Paul. Nicht nur, dass morgen Samstag und somit Wochenende war. Für gewöhnlich kamen die Patienten in sein Büro und nicht umgekehrt. Allerdings gab es Ausnahmen. Manche waren beruflich so eingebunden, dass sie nur am Wochenende Zeit hatten. Andere hatten panische Angst zufällig von einem Arbeitskollegen, Freund oder alten Bekannten dabei beobachtet zu werden, wie sie die Praxis eines Sex-Coachs betraten.

    Johnny Belwin fiel ihm ein. Er war ein bekannter Investment-Banker, hatte aber sein halbes Vermögen während der weltweiten Immobilienkrise verloren. Seitdem litt er an Erektionsstörungen, die sich selbst durch die beharrliche Einnahme von Viagra nicht beheben ließen. Trotz dieser diffizilen Problematik hatte er darauf bestanden, Paul zum Lunch in einem exquisiten Sushi-Lokal an der Wallstreet zu treffen. Dort wimmelte es zwar von Leuten aus der Finanzbranche, trotzdem schien es Johnny Belwin lieber zu sein, seine Schwanz-Probleme an diesem Ort zu erörtern, als in Pauls Praxis.

    Bei der Erinnerung daran wurde Paul fast ein bisschen wehmütig. Johnny Belwin war einer seiner Lieblingsfälle gewesen. Er hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet und war an der Wallstreet ein reicher Mann geworden. Seitdem er infolge der Immobilienkrise Unmengen an Geld verloren hatte, musste er leider ständig daran denken, wo er eigentlich herkam - einem Arbeiterstädtchen in Pennsylvania. Selbst beim Sex ließ ihn der Gedanke an seine ärmliche Kindheit nicht los, Orte und Plätze von früher schossen ihm sogar während des Akts durch den Kopf. Leider schien er als Junge Stunden mit Warten im Auto verbracht zu haben, während seine Mutter bei Woolworth nach den günstigsten Angeboten suchte. Wenn er Sex hatte, musste er nun immerzu an den Parkplatz vor Woolworth denken. Nicht unbedingt die erotischste Vorstellung. Johnny Belwin hatte mit Pauls Hilfe versucht, diese störenden Gedanken aus seinem Kopf zu bekommen.

    Paul hatte die Treffen mit ihm sehr genossen. Er liebte unkonventionelle Fälle. Leider kamen die in letzter Zeit immer seltener vor. Den Grund konnte sich Paul beim besten Willen nicht erklären. An der Lage seiner Praxis konnte es auf jeden Fall nicht liegen. Schließlich hatte er sich zur Ausübung seines Berufs den perfekten Ort ausgesucht. Die Upper East Side war schon seit jeher das Zentrum vermögender Neurotiker.

    Paul merkte, wie er immer neugieriger wurde, welches Problem Deborah Fielding plagte. Doch noch ehe er sie nochmals danach fragen konnte, nannte sie ihm ihre Adresse.

    Er kannte die Straße.

    Sehr teure Ecke, ziemlich ruhig und diskret. Keine zehn Fußminuten entfernt.

    Ohne lange zu überlegen, antwortete er: „In Ordnung. Morgen um elf Uhr."

    Erfreut antwortete sie: „Vierter Stock. Ich gebe dem Pförtner Bescheid. Sie können den Eingang zu meinem Büro nicht verfehlen. Der Fahrstuhl hält direkt im Empfangsraum."

    Sie hielt kurz inne.

    „Dort hängt ein riesiges, rotschimmerndes Metallherz mit goldener Schleife von der Decke. Das haben Sie bestimmt schon mal irgendwo gesehen. Ist ein ziemlich bekanntes Kunstwerk, das „Hängende Herz von Jeff Koons.

    Sie machte eine Pause.

    „Es ist ein Original."

    Ohne auf seine Antwort zu warten, verabschiedete sie sich und legte auf.

    3.

    Paul hasste das Diktat der Ampeln. Er stand nur eine Fußgängerampel von dem Haus entfernt, das Deborah Fielding ihm als Adresse genannt hatte und starrte ungeduldig das rote Licht an. Es war ein ungewöhnlich heißer Junimorgen. Wie immer bei wichtigen beruflichen Terminen trug er einen dunklen Anzug. Zu seinem Ärger bemerkte Paul, dass er anfing zu schwitzen. Er schaute kurz auf seine Armbanduhr.

    Es war 10.50 Uhr.

    Damit hatte er noch exakt zehn Minuten Zeit bis zum Treffen mit Deborah Fielding. Trotzdem lief er sofort los, als die ersten Autos vor ihm auf der Straße anhielten, und wartete nicht auf das Fußgängergrün. Das machte er schon seit Teenagerzeiten. Er war immer ein guter Schüler gewesen, hatte seinen Eltern nie Probleme gemacht. Das war seine Form der Rebellion. Auch heute noch gab es ihm das Gefühl, zumindest für wenige Sekunden über das Diktat der Ampel gesiegt zu haben. Ein Triumpf, der ihn jedes Mal für einen winzigen Moment berauschte.

    Zwei Minuten später stand er direkt vor seinem Ziel, einem eleganten, mehrstöckigen Stadthaus. Ein Prachtbau, der wie ein Relikt aus einer anderen Zeit wirkte. Paul schätzte, dass das Gebäude Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden war. Vor dem Eingang war der in dieser Gegend übliche dicke rote Teppich ausgebreitet, den eine cremefarbene Markise vor Sonne und Regen schützte.

    Paul betrat die Eingangshalle und registrierte, wie seine Schritte, die noch eben in dem weichen Teppich versunken waren, laut hallten. Der Fußboden war aus Marmor. Angenehme Frische umhüllte ihn. Er sog die kühle Luft tief ein und blickte nach oben. Die Decke war ungewöhnlich hoch und hatte etwas sakral Anmutendes. In der Raummitte hing ein riesiger Kronleuchter aus Kristall. Die Wände waren mit cremefarbener Seide ausgekleidet, die Deckenleisten mit weißen Stuckrosetten verziert.

    „Guten Tag, Sir!, begrüßte ihn die Stimme eines älteren, schwarzen Pförtners in dunkelblauer Uniform, der ein paar Meter weiter hinter einem schweren Schreibtisch aus dunklem Holz saß. Nachdem Paul seinen Namen genannt hatte, zeigte er lächelnd auf den Fahrstuhl am Ende der Eingangshalle und sagte: „Ganz oben. Vierter Stock.

    Paul nickte ihm dankend zu und lief durch den Flur. Er trat in den Lift und drückte einen golden glänzenden Knopf neben dem in schwarzen Lettern die Zahl vier stand. Die Türen schlossen sich, klassische Musik erklang. Als der Aufzug sich geräuschlos in Bewegung setzte, blickte Paul nach oben und fragte sich, wie hoch wohl die Eingangshalle von Deborah Fieldings Büro war. Er schätzte mindestens vier, fünf Meter. Sonst würde das Metallherz nicht reinpassen. Es musste an die drei Meter groß sein.

    Er erinnerte sich noch, wie vor ein paar Jahren eines dieser riesigen, roten Herzen von Jeff Koons bei Sothebys an einen anonymen Bieter versteigert worden war. Es hatte den Rekordpreis von mehr als dreiundzwanzig Millionen Dollar erzielt. Damals hatte er sich gefragt, wer wohl so verrückt war, eine so extreme Summe für ein kitschiges Metallherz auszugeben. Er hatte auf einen arabischen Scheich getippt. Oder einen Öl-Multi.

    Ob Deborah Fielding die Käuferin gewesen war?

    Was mochte sie beruflich machen?

    Mit einem sanften Ruckeln hielt der Aufzug an. Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Und dort, ein paar Meter weiter in der Raummitte, hing es: An einer goldenen Schleife baumelte das riesige, hängende Herz von der Decke.

    Sollte jemals ein Kunstliebhaber in seiner Gegenwart behaupten, das riesige Metallherz von Koons wäre beeindruckend, würde Paul erwidern, dass das eine glatte Lüge sei. Dieses Herz war einfach überwältigend. Er konnte das mit hundert prozentiger Sicherheit sagen, denn er stand jetzt seit gut fünf Minuten in der Eingangshalle und starrte es wie gebannt an. Nun gut, ansonsten gab es auch nicht viel zu sehen. Es war der einzige Gegenstand im ganzen Raum. Nicht, dass das am mangelnden Platz gelegen hätte.

    Die Eingangshalle war riesig, schätzungsweise zehn Meter lang und genauso breit. Ein Quadrat aus weißen Böden und Wänden. Schneeweiß wäre wohl präziser, denn nicht der kleinste Fleck war zu erkennen, alles wirkte so, als wäre es gerade frisch gereinigt worden. Allerdings musste die Putzfrau perfektionistisch

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