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Die Vigilantin: Alte Besen kehren Wut
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Die Vigilantin: Alte Besen kehren Wut
eBook204 Seiten3 Stunden

Die Vigilantin: Alte Besen kehren Wut

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Über dieses E-Book

Niemand hätte das der angepassten und unauffällig lebenden Hausfrau Miriam Darlan zugetraut: Sie ist eine Serienmörderin.

Zuerst tötet sie einen Kinderschänder und zwei gewaltbereite Jugendliche. Aber dort hört Miriams mörderische Wut nicht auf...

Die Journalistin Ruth Welter ist die Einzige, die Miriams Geschichte aus ihrem eigenen Mund zu hören bekommt. Sie ist zugleich fasziniert und abgestossen, denn Miriam Darlan nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie warnt vor der Verrohung unserer Gesellschaft und den laschen Gerichtsurteilen für Kinderschänder und Schläger.

Bald, so Darlan, werden die Bürger das Recht in die eigene Hand nehmen, so wie sie ...

Ruth wittert die Chance, die Karriereleiter ihrer Zeitung wieder ein Stück höher zu klettern, aber ihr Kollege Ingo wirft ihr wo er nur kann einen Knüppel zwischen die Beine.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Sept. 2013
ISBN9783847641889
Die Vigilantin: Alte Besen kehren Wut
Autor

Sonja Reineke

Seit 2006 schreibe ich in verschiedenen Genres, aber bevorzugt über Dänemark. Vor dieser herrlichen Urlaubskulisse lieben, streiten und erholen sich die Protagonisten. Unter dem Pseudonym "Cecille Ravencraft" schreibe ich aber auch Horror-Romane.

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    Buchvorschau

    Die Vigilantin - Sonja Reineke

    Vorwort von Ruth Welter

    Die Geschichte der Serienmörderin Miriam Darlan hat die Medien in den letzten Monaten in Atem gehalten wie keine andere. Faszination und Abscheu sind die meisten Reaktionen, wenn ich von meinem Buchprojekt erzähle. Sie können sich sicher vorstellen, dass die Faszination überwiegt. Warum ist das so? Warum fesselt uns gerade die Geschichte von Darlan wie keine andere?

    Es mag daran liegen, dass sie die erste echte Serienmörderin in Deutschland ist. Weibliche Serienmörder kommen praktisch nicht vor.

    Meiner Meinung nach liegt es daran, dass Darlan vor allem Menschen umbrachte, die in unserer Gesellschaft kein hohes Ansehen genießen: Kinderschänder, gewaltbereite Jugendliche. Viele schreiben ihr und es gibt mittlerweile regelrechte Fanclubs.

    Wir dürfen bei allem Verständnis, das ihre Taten zunächst in einigen von uns wecken, nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft keine Selbstjustiz billigt.

    Zudem dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren, dass Darlan auch Mitmenschen ermordete, die sich nichts zuschulden kommen ließen.

    Während der Monate der Arbeit mit ihr habe ich viele Facetten ihres Wesens beobachten können. Warum sie mit mir redete, aber nicht mit den Ärzten, den Gutachtern oder ihrem Anwalt, wird wohl immer ein Rätsel bleiben – so dachte ich. Erst am Ende unserer Gespräche offenbarte sie mir den Grund.

    Die drastische Gewalt in ihrem Bericht hat mich selbst mit Ekel erfüllt. Ich habe so viel wie möglich davon entschärft. Dennoch werden Ihnen einige Passagen gewiss sehr extrem vorkommen. Ich habe mich dafür entschieden, diese Passagen im Buch zu belassen. Frau Darlan sollte ihre Geschichte vollständig erzählen dürfen.

    Aber lassen wir sie zum Schluss selbst zu Wort kommen:

    „Ich bin der Idee dieser Gesellschaft entsprungen wie Pallas Athene der Stirn des Zeus. Ihr habt mich erschaffen. Ich bin ein Kind dieser Zeit. Stempelt mich ruhig als verrückt ab, wenn es für euch so viel einfacher und vor allem erträglicher ist. Schiebt mich in irgendeine Zelle ab, stopft mich mit Pillen voll und vergesst mich. Aber ich bin immer da. Ich existiere in jedem Einzelnen von euch. Verdrängung ist ungesund, sagen mir die Ärzte hier. Wenn Verdrängung so ungesund ist, warum verdrängt ihr dann mich?"

    Ruth Welter

    Wie ich Darlan kennenlernte

    1

    In den folgenden Kapiteln wird vor allem Frau Darlan zu Wort kommen. Daher möchte ich sie und die Umstände, die zu diesem Buch führten, im ersten Kapitel beschreiben und dann ihr das Wort überlassen.

    Ich hatte Miriam Darlan nie live erlebt, aber den Aufruhr vor dem Gericht schon. Es war eine meiner letzten Versuche, wieder eine echte Story zu schreiben. Also verschob ich mein nur mäßig interessantes Interview und fuhr zum Gericht.

    Man hätte meinen können, die Beatles sollten wegen Mordes verurteilt werden. So viele Menschen auf einen Haufen hatte ich jedenfalls vor dem Bielefelder Gericht noch nie gesehen. Sie wurden von Polizisten mit Hunden in Schach gehalten, die Stimmung war ziemlich aggressiv. Sogar ein Wasserwerfer fuhr gerade vor, als ich eintraf. Was für ein Spektakel. Die Menge hatte sich in zwei Gruppen gespalten. Die eine schwenkte Schilder und skandierte: „Freiheit für Darlan!" Die andere verlangte genau das Gegenteil.

    Mehrere Kollegen vom Fernsehen umdrängten eine Frau, die steinernen Gesichts direkt vor dem Eingang stand. Es war Tatjana Wolfhardt. Sie trat als Nebenklägerin auf.

    „Am liebsten wäre es mir, sie bekäme die Todesstrafe! Leider haben wir die nicht mehr!", blaffte sie auf die Fragen der Reporter, deren Mikrofone gierig in ihr verweintes Gesicht stießen.

    „Sie hat meinen Bruder umgebracht! Mein armer kleiner Bruder. Sie brach in Schluchzen aus, die Kameras zoomten näher heran. Ich hatte mich in der Zwischenzeit mühsam an sie herangekämpft und schoss ein paar Fotos. Der Schnapsgeruch, den Frau Wolfhardt ausdünstete, machte mich ganz benommen. „Dein Bruder war ein Schwein!, gellte eine weibliche Stimme aus der Menge, die Darlans Freilassung forderte, „er schmort jetzt in der Hölle!" Die andere Gruppe begann zu toben. Erste Handgemenge entstanden. Was für ein großartiger Stoff für die Abendnachrichten. Ich bedauerte nur, nicht Fotos von Darlan selbst zu haben. Ingo war drinnen und lichtete Darlan ab und schrieb wohl auch einen Leitartikel über den Prozess. Ich hatte sie noch nie zu sehen bekommen. Ich wusste nicht, dass sich das bald ändern sollte.

    Wieder in der Redaktion bereitete ich mich auf Ärger vor, da ich meinen Interviewtermin verschoben hatte und jetzt mit Fotos ankam, die ich gar nicht hätte machen dürfen. Das gehörte jetzt zu Ingos Aufgaben. Die Fotos wurden zwar genommen, aber es war so, wie ich befürchtet hatte: Den Artikel dazu schrieb ein anderer. Ich sollte wieder brav in meinen Bereich zurück. Da gab ich es auf.

    Als mein Chefredakteur mich Monate später zu sich rief, war ich auf vieles gefasst, aber nicht auf den Auftrag, den er für mich hatte.

    Er stand mit hochgekrempelten Ärmeln am Fenster seines Büros und sah erschöpft aus. „Ruth, sagte er ernst, „ich habe eine E-Mail bekommen, die für unsere Zeitung die Chance ist, eine Exklusivstory über Darlan zu bekommen.

    Ich musste schlucken. Darlan redete mit niemandem, las aber fleißig die ihr zugesandten Fanbriefe, so hieß es. Sie war allen ein großes Rätsel. Journalisten aus aller Welt schlugen sich darum, mit ihr ein Interview machen zu können. Auch die Redaktion unserer Zeitung hätte dafür gemordet, wenn auch nicht unbedingt das Ressort, in dem ich tätig war. Das passte hinten und vorne nicht. Wie kamen wir zu der Ehre? Ich fragte ihn.

    „Sie hat nach Ihnen verlangt. Es steht in der Mail der Vollzugsanstalt. Warum weiß kein Mensch. Scheinbar hat sie mal einen Artikel von Ihnen gelesen, und der hat ihr gefallen. Jedenfalls hat sie explizit Ruth Welter angefordert."

    Ich blinzelte. „Namentlich?, fragte ich und fühlte mich beinahe wie Clarice Starling in „Das Schweigen der Lämmer.

    „Namentlich. Fragen Sie sie selbst, warum. Ab Montag dürfen Sie sie jeden Tag für ein paar Stunden besuchen. Ich bin über diese großzügige Regelung selbst etwas überrascht, aber wahrscheinlich erhoffen sich die Anstaltsärzte ein paar Antworten."

    Natürlich war ich über dieses Angebot verblüfft und erfreut zugleich. Und so kaufte ich eine Menge Batterien für meinen Rekorder und besuchte Miriam Darlan in ihrer Anstalt.

    Darlan und Wolfhardt

    2

    Ein bisschen fühlt man sich tatsächlich an die Szenen in „Das Schweigen der Lämmer" erinnert, wenn man durch die Sicherheitsschleusen der Anstalt, oder vielmehr des psychiatrischen Krankenhauses Bergenbeck, geführt wird. Es ist ein altes Gebäude, in dem es nach Desinfektionsmitteln und altem Mauerwerk riecht – und nach Wahnsinn. Das behauptet jedenfalls Darlan selbst. Sie sitzt wenigstens im alten Trakt, wo die meisten Zellen leer stehen, sodass mich wenigstens niemand anzischt, dass er gewisse Körperteile riechen kann. Den anderen Teil des Gebäudes hat man renoviert und ausgebaut. Das U-förmige Gemäuer erinnert mich auch an meine alte Schule: cremefarbene Wände, dunkelgrüne Türen, hohe Decken. Echos von zuschlagenden Türen und klappernden Absätzen hallen durch die Gänge. Ein uniformierter Wärter mit schwarzem Schnauzbart eskortiert mich zu dem kleinen Besuchszimmer, das man für unsere Gespräche auserkoren hat. Das Mobiliar besteht aus einem völlig zerkratzen Tisch mit eingeritzten Obszönitäten und zwei Stühlen. Der von Darlan steht gegenüber der Tür, vor dem vergitterten Fenster. In der Tür ist ein Guckloch, vor dem sich der Wärter, ein gewisser Herr Mahling, positioniert. Er wird uns keine Sekunde aus den Augen lassen, was mich wenigstens etwas beruhigt. Darlan erwartet mich bereits. Sie sitzt mir gegenüber, mit strähnigem, dunkelblondem Haar, einem kurzärmeligen, verwaschenen T-Shirt und einer dunkelblauen Trainingshose. Sie schlägt das linke Bein über das Rechte, hat eine dampfende Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, zieht aber so gut wie nie daran. Die Arme stützt sie auf den wackelnden Tisch und wechselt oft die Sitzposition. Zuerst dachte ich, es wäre eine Nebenwirkung der Medikamente oder ein Symptom ihrer Psychose, aber der Grund dafür ist äußerst trivial: Die Stühle sind hart und höllisch unbequem. Ich selbst rutsche auf meinem hin und her und weiß kaum, wie ich sitzen soll.

    Ich sehe sie neugierig an. Fotos habe ich jede Menge von ihr gesehen, aber so nahe bin ich nie an sie herangekommen. Auf den Fotos sah man eine frische, gut gekleidete, attraktive Frau mit einer pfiffigen Frisur. Der Aufenthalt in der Anstalt hat ihr zugesetzt, denn ihre Haut hat einen fettigen Glanz und wirkt viel faltiger als zuvor. Die Augen sind tiefblau, die Nase ist klein und ein wenig zu breit. Alles in allem ist es ein freundliches, offenes Gesicht, das mir genauso gut beim Bäcker, beim Arzt, im Supermarkt oder im Kino begegnen könnte. Bei einem Serienmörder glaubt man immer, man müsse es ihm – oder in diesem Fall ihr – irgendwie ansehen können. Ich kann nicht zählen, wie oft ich zu hören bekommen habe: Aber das sieht man doch schon an den bösen Augen! Das stimmt nicht. Viele Serienmörder wirken freundlich, vertrauenerweckend. Auch Miriam Darlan könnte mich irreführen. Aber ich verliere nicht eine Sekunde aus den Augen, was sie getan hat und wie sie es getan hat. Ich baue das Mikrofon vor ihr auf und bereite den Rekorder vor.

    „Manieren haben Sie … hat Ihre Mutter Ihnen nicht beigebracht, dass man erst mal ‚Guten Tag’, sagt, wenn man einen Raum betritt, und dass man sich vorstellt?" Irritiert sehe ich zu ihr herüber. Sie meint das todernst. Eine steile Falte erscheint zwischen ihren Augenbrauen und ihre Mundwinkel zeigen einen grimmigen Zug nach unten.

    „Es tut mir leid, sage ich, „mein Name ist Ruth Welter, Guten Tag!

    „Ach, am Arsch, schnaubt sie, „Sie können sich Ihr herablassendes Getue sparen. Wenn Sie meinen, Sie können über mich urteilen, mich analysieren und sich aufs hohe Ross setzen, vergessen Sie die Sache. Packen Sie ihren Scheiß zusammen und verpissen Sie sich. Sie sagt es ganz sachlich, und auch das meint sie todernst. Sie bricht das Interview ab, bevor es überhaupt angefangen hat, und ignoriert meine schriftlichen Entschuldigungen und Bitten um einen neuen Termin – für volle sechs Wochen.

    Als ich das nächste Mal wieder vor ihr sitze – diesmal nach einem freundlichen „Guten Tag und einer artigen Vorstellung – fragt sich mich schlicht: „Wissen Sie jetzt, wer hier am längeren Hebel sitzt?

    Ich weiß es.

    Der Rekorder läuft, und sie scheint es kaum abwarten zu können. Denn noch, bevor ich die erste Frage stellen kann, legt sie schon los: „Sie wollen doch bestimmt wissen, wie und warum ich meine Morde geplant habe, oder?"

    Ich winke ab. „Lassen Sie uns lieber mit Ihrer Kindheit anfangen. Sie schnaubt verächtlich. „Wir sind nicht hier, um über meine Kindheit zu palavern, und Ihre Leser interessiert das einen Scheißdreck. Am liebsten möchte ich ihr sagen, dass sie das mir überlassen soll, aber sie sitzt ja am längeren Hebel. Also schweige ich. Aber auch das passt ihr nicht.

    „Meine Kindheit … klar, die war scheiße. Muss sie ja auch, oder? Mein Stiefvater war ein Arsch. Reicht das nicht? Ich ziehe die Schultern hoch. „Arsch, inwiefern?, frage ich. Sie rutscht auf dem Stuhl herum. „Es gibt Fotos von mir und ihm, sagt sie schließlich. „Fotos, wo ich mit ihm in der Badewanne sitze. Es gibt eigentlich keinen Grund dafür, ein neunjähriges Kind zu zwingen, mit einem zu baden, oder? Außer dem einen Grund natürlich. Und dabei wollen wir’s belassen. Sie sieht finster auf den Tisch und zündet sich eine weitere Zigarette an, obwohl die andere Kippe noch im Aschenbecher vor sich hin schmort.

    Ich belasse es also dabei. Nur eine Frage habe ich noch.

    „War das … also das Baden … der Grund, ihn umzubringen?"

    „Na, was denn sonst? Aber Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht. Er ist nicht tot."

    „Doch, erwidere ich trocken, „das ist er. Sie haben ihn zwar ins Koma geprügelt, aber dann ist er gestorben. Vor drei Wochen wurde er beerdigt.

    Überrascht sehe ich, dass diese Nachricht sie nervös macht. Sie hat wohl doch Schuldgefühle, obwohl sie bisher bei keiner ihrer Taten Reue gezeigt hat. Ich frage sie danach. Sie lacht kurz auf, ein bellender, heiserer Laut.

    „Nein, ich hatte nur gehofft, er müsse noch lange leiden. Da habe ich wohl zu hart zugeschlagen … oder einmal zu viel. Es ist schwer zu dosieren mit einem Baseballschläger, wissen Sie. Da schießt ihm das Blut aus der Nase und man schlägt weiter zu … Dann kommt es aus den Ohren und man denkt: Halt! Aufpassen! Sonst ist er hinüber! Und man lässt den Schläger sinken … und dann kommt der Sack wieder auf die Füße und taumelt davon, und man muss ihm doch noch eins über die Rübe geben … und dann kracht etwas, er fällt um wie vom Blitz getroffen und der Schädel ist nur noch ein 3 D Puzzle, bei dem schon ein paar Teile fehlen … und man hat das ganze Blut im Gesicht, das spritzt wie Sau … ja, mit dem Baseballschläger ganze Arbeit zu leisten, ist eine Kunst … geht’s Ihnen nicht gut?"

    Ich wische mir kurz mit dem Ärmel über die Stirn. „Geht schon."

    Wenn sie glaubt, mich mit Kaltschnäuzigkeit und Detailverliebten Berichten schockieren zu können, hat sie Pech. Ich arbeite bei einer Zeitung, und ich sehe fern. Gewalt in allen Einzelheiten ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Nur ihr Plauderton hat mich etwas aus der Bahn geworfen. Das wird mir nicht noch einmal passieren.

    „Zäumen wir das Pferd nicht vom Schwanz auf, schlage ich vor und sehne mich insgeheim nach etwas frischer Luft. Aber die Fenster in diesem Raum kann man nicht öffnen. Bergenbeck ist eine psychiatrische Klinik, die für Darlan ein eher ungeeigneter Ort ist: Hier verbüßen Mörder und Kinderschänder ihre Sicherheitsverwahrung. Darlan in eine weniger gut bewachte Einrichtung zu stecken, wäre aber niemandem in den Sinn gekommen. Erstens ist sie nicht dumm, zweitens haben sich zwei ihrer Fanclubs zum Ziel gemacht, sie zu befreien, und drittens ist sie ein Präzedenzfall. Die Entscheidung, wo man sie unterbringen soll, ist den Verantwortlichen nicht leicht gefallen. Sie wird streng bewacht, hat keinerlei Zugang zu Werkzeugen, Stricken oder Medikamenten und darf mit keinem der anderen Insassen mehr reden. Man wird den Eindruck nicht los, dass unsere Regierung mit ihrem Fall hoffnungslos überfordert ist. Wohl vor allem deswegen, weil die Bevölkerung sich so sehr auf ihre Seite schlägt, und weil Miriam Darlan etwas völlig Neues ist: eine Hausfrau, die beinahe Amok gelaufen wäre. Nach ihrer Festnahme fand man in ihrem Keller in einer Kiste mit Weihnachtsschmuck Pläne zur Sprengung des Brandenburger Tors, komplett mit aus dem Internet ausgedruckten Anweisungen zum Bombenbau. Das sollte ihr neuestes Projekt werden, nachdem sie ihre Todesliste abgearbeitet hatte. Einige Namen stehen noch aus. Wobei „Namen eigentlich zu viel gesagt ist. Die Polizei rätselt noch darüber, wer Guy in red Parka und Schlampe, die sich vorgedrängelt hat, sein mögen.

    „Fein", sagt sie jetzt und fummelt mit dem Feuerzeug herum. Sobald sie wieder in ihre Zelle muss, wird es ihr abgenommen. Man geht bei ihr keinerlei Risiko ein.

    „Warum fangen wir nicht bei Ihrem ersten Mord an? Wann sind Sie ausge … wann hatten Sie die Nase so voll, dass sie Blut sehen wollten?"

    Sie wirft den Kopf zurück und lacht. „Sie gefallen mir, Ruth. Ich glaube, Sie werden ein prächtiges Buch schreiben. Na gut, fangen wir also mit dem Arschloch an, das zuerst dran glauben musste."

    „Christian Wolfhardt", sage ich und sehe sie aufmerksam an. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Mörder oft ihre Opfer entmenschlichen und sich weigern, die Namen zu nennen, damit sie für sie nicht zu einem Individuum werden, sondern ein Objekt bleiben. Darlan lächelt spöttisch, und ich habe das mulmige Gefühl, dass sie mich durchschaut.

    „Ja, der. Also,

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