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Das Leben der Catharina R.: Mein Weg ins Lebensglück
Das Leben der Catharina R.: Mein Weg ins Lebensglück
Das Leben der Catharina R.: Mein Weg ins Lebensglück
eBook404 Seiten5 Stunden

Das Leben der Catharina R.: Mein Weg ins Lebensglück

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Über dieses E-Book

Die junge Catharina Rehberg war schon immer anders. Sie leidet an einer unheilbaren Krankheit und wächst behütet bei ihrer Mutter in Bochum auf. Ihren Vater kennt sie nicht. Während der Pubertät merkt, das Mädchen, dass sie völlig anders ist als ihre Freundinnen in der Schule. Sie ist homosexuell und verliebt sich in ihre beste Freundin. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag kommt es zu einem Kuss mit unangenehmen Folgen für sie. Fortan wird Catharina von ihren Mitschülern, Lehrern und sogar ihrer eigenen Mutter als krank bezeichnet. Niemand will mehr etwas mit der lesbischen jungen Frau zu tun haben. Sie verlässt ihr Elternhaus aufgrund der ständigen Anfeindungen. Nur einer steht zu ihr. Der zehn Jahre jüngere Karsten hilft ihr über den nahenden Suizid hinweg. Catharina ist gezwungen, ein neues Leben zu beginnen. Weit ab von ihrem gewohnten Umfeld beginnt sie ein neues Leben, fest entschlossen ihre eigene Sexualität zu verleugnen. Wird sich dort für sie alles zum guten wenden? Dieses Buch beschreibt Catharinas Erlebnisse und Erfahrungen von Anfang der 70er Jahre bis heute.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. März 2022
ISBN9783754955796
Das Leben der Catharina R.: Mein Weg ins Lebensglück

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    Buchvorschau

    Das Leben der Catharina R. - Catharina Rehberg

    Das Leben der Catharina R.

    Mein Weg ins Lebensglück

    Biografie

    Catharina Rehberg

    Copyright © 2022

    Alle Rechte bei Catharina Rehberg

    Union Road 42

    Sint Maarten, Netherland Antilles

    E-Mail: Julefee0402@gmail.com

    9783985106684

    Die junge Catharina Rehberg war schon immer anders. Sie leidet an einer unheilbaren Krankheit und wächst behütet bei ihrer Mutter in Bochum auf. Ihren Vater kennt sie nicht. Während der Pubertät merkt, das Mädchen, dass sie völlig anders ist als ihre Freundinnen in der Schule. Sie ist homosexuell und verliebt sich in ihre beste Freundin. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag kommt es zu einem Kuss mit unangenehmen Folgen für sie. Fortan wird Catharina von ihren Mitschülern, Lehrern und sogar ihrer eigenen Mutter als krank bezeichnet. Niemand will mehr etwas mit der lesbischen jungen Frau zu tun haben. Sie verlässt ihr Elternhaus aufgrund der ständigen Anfeindungen. Nur einer steht zu ihr. Der zehn Jahre jüngere Karsten hilft ihr über den nahenden Suizid hinweg. Catharina ist gezwungen ein neues Leben zu beginnen. Weit ab von ihrem gewohnten Umfeld beginnt sie ein neues Leben, fest entschlossen ihre eigene Sexualität zu verleugnen. Wird sich dort für sie alles zum guten wenden? Dieses Buch beschreibt Catharinas Erlebnisse und Erfahrungen von Anfang der 70er Jahre bis heute.

    Für meine Frauen,

    meinen besten Freund,

    und alle Homosexuellen

    Inhalt

    Vorwort

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Danksagung

    Vorwort

    Das vor­lie­gen­de Buch ent­spricht den Tat­sa­chen, wie sie sich wirk­lich ab­ge­spielt ha­ben. Die Pro­tago­nis­tin Ca­tha­ri­na Reh­berg stellt da­bei mich selbst dar und er­zählt aus ih­rer Per­spek­ti­ve die Ge­schich­te mei­nes Le­bens. Im Buch selbst wer­den sie im­mer wie­der den Be­griff ei­ner Krank­heit an­tref­fen, un­ter der ich wirk­lich lei­de. Da­mit sie be­reits vor­her et­was ge­nau­er in­for­miert sind, um was es sich da­bei han­delt, möch­te ich sie hier so weit be­schrei­ben:

    Ich lei­de un­ter ei­ner Form der Ale­xi­thy­mie, ei­ne sel­te­ne Krank­heit, die man um­gangs­sprach­lich auch als Ge­fühls­blind­heit be­schreibt. Die­se Men­schen re­gis­trie­ren zwar be­stimm­te Vor­gän­ge in ih­rem In­ne­ren, kön­nen sie aber nicht be­schrei­ben oder er­klä­ren. Bei mir ist das ein biss­chen an­ders, fällt aber in die glei­che Ka­te­go­rie. Ich kann mei­ne Ge­füh­le bis zu ei­nem ge­wis­sen Punkt füh­len und auch be­schrei­ben, al­ler­dings nicht nach au­ßen hin zei­gen. Das be­deu­tet, ich füh­le zum Bei­spiel Freu­de, wenn man einen Scherz macht oder man mir einen Witz er­zählt, be­gin­ne al­ler­dings nicht zu la­chen. Auch wenn man mich mit ei­ner Waf­fe be­droht, wie es auch schon vor­kam, wie sie spä­ter le­sen wer­den, füh­le ich zwar Angst, mein Kör­per al­ler­dings zeigt kei­ne Re­ak­ti­on. Er rea­giert we­der mit ei­nem be­schleu­nig­ten Herz­schlag und er­höh­ter Schweiß­pro­duk­ti­on oder zeigt auf mei­nem Ge­sicht Sor­gen. Mei­ne Mi­mik, Ges­tik, die Spra­che und Be­we­gun­gen sind im­mer gleich.

    Um das et­was ge­nau­er zu be­schrei­ben, nen­ne ich ih­nen ein Bei­spiel. Wir ken­nen al­le die Si­tua­ti­on von ei­nem Vor­ge­setz­ten, sei­en es Leh­rer, Chefs oder auch nur ein ein­fa­cher Ar­bei­ter in einen Streit ver­wi­ckelt zu wer­den. Die Stim­mung wird ge­reiz­ter, man schreit sich an und es fal­len ei­ni­ge Wör­ter, die man bes­ser nicht öf­fent­lich laut von sich gibt. In mei­nem Fall wür­de das un­ge­fähr so aus­se­hen, dass mir ge­gen­über bei­spiels­wei­se mein Chef steht, hat vor Auf­re­gung ein tiefro­tes Ge­sicht und die Adern tre­ten sicht­bar her­vor. Er kann schrei­en, to­ben und sie nach al­len Re­geln der Kunst zu­sam­men­fal­ten. Ich al­ler­dings be­sit­ze die­se Fä­hig­keit nicht. Mei­ne Ant­wor­ten könn­te man viel­leicht, mit der ei­nes Ro­bo­ters ver­glei­chen, der völ­lig emo­ti­ons­los die Zeit an­sagt oder einen Text vor­liest. Auch im größ­ten Tru­bel blei­be ich im­mer ru­hig und ge­las­sen. In mei­nem in­ne­ren tobt ein Sturm aus tau­sen­den Ge­füh­len, Emp­fin­dun­gen und Erin­ne­run­gen, aber es ist un­mög­lich für mich et­was da­von nach drau­ßen zu trans­por­tie­ren. Im Lau­fe der Jah­re ha­be ich vor dem Spie­gel ei­ni­ge Ge­fühls­re­gun­gen trai­niert. Es ge­lingt mir bei­spiels­wei­se seit ei­ni­gen Jah­ren ein freund­li­ches Lä­cheln auf­zu­set­zen oder auch die Au­gen zu­sam­men­zu­knei­fen um Wut und an­de­re Ge­füh­le we­nigs­tens ein biss­chen zei­gen zu kön­nen.

    Das macht es schwer für mei­ne Mit­menschen zu er­ken­nen, was ich füh­le. Die Emp­fin­dun­gen ha­be ich al­ler­dings trotz­dem. Vi­el­leicht kön­nen sie sich ein biss­chen in mei­ne La­ge ver­set­zen. Be­son­ders die ers­ten Jah­re war es sehr schwer für mich. Durch mei­ne Ho­mo­se­xua­li­tät wur­de ich an­ge­fein­det und muss­te jah­re­lang un­ter mei­nen Mit­schü­lern, spä­ter Ar­beits­kol­le­gen und Men­schen aus mei­nem nä­he­ren Um­feld lei­den. Das al­les ent­wi­ckel­te sich bis zu ei­nem Punkt, an dem ich we­der le­ben konn­te, noch über­haupt woll­te. In mei­nen jun­gen Jah­ren und den noch fol­gen­den in Deutsch­land war es bei­na­he ein Ver­bre­chen sich als Ho­mo­se­xu­ell zu ou­ten. Es war ei­ne re­gel­rech­te He­xen­jagd. We­der Frau­en noch Män­ner durf­ten sich auch nur auf je­man­den des glei­chen Ge­schlechts ein­las­sen. Be­son­ders ein Ve­rein stand da­bei an der Spit­ze und mach­te al­len von uns das Le­ben schwer, ob­wohl sie in ih­rer Ge­schich­te noch weit schlim­me­res zu ver­ant­wor­ten hat­ten und ha­ben. Die ka­tho­li­sche Kir­che, bzw. auch das Ge­gen­stück die evan­ge­li­sche Kir­che brand­mark­ten uns als krank. Es gab zum Bei­spiel auch tau­sen­de Ver­su­che uns be­trof­fe­ne zu hei­len! Ho­mo­se­xu­el­len Män­nern zum Bei­spiel zeig­te man Bil­der von Un­be­klei­de­ten des glei­chen Ge­schlechts, und so­bald sich An­zei­chen ei­ner Erek­ti­on zeig­ten, trak­tier­te man ih­re Ge­ni­ta­li­en mit Strom­stö­ßen. Man woll­te sie da­mit kon­di­tio­nie­ren. Auch heu­te gibt es zum Teil noch sehr große Vor­be­hal­te ge­gen Ho­mo­se­xua­li­tät z. B. in der Ka­tho­li­schen Kir­che, in evan­ge­li­ka­len Ge­mein­den, in mus­li­mi­schen Verei­nen und or­tho­do­xen jü­di­schen Ge­mein­den.

    Zu mei­nem Glück hat­te ich einen gu­ten Freund an mei­ner Sei­te, der mich auf­ge­fan­gen hat und mir einen Weg aus dem Loch ge­eb­net in dem ich steck­te. Im Buch heißt er Kars­ten und er steckt bis heu­te noch weit mehr in Pro­ble­men als ich mir das über­haupt vor­stel­len mag. Sei­ne Ge­schich­te wird im Buch auch ein we­nig an­ge­schnit­ten, al­ler­dings muss ich sie doch ein biss­chen bes­ser aus­füh­ren. (M. Wenn du das liest, sei bit­te nicht noch bö­ser auf mich, aber es ge­hört ein­fach da­zu)

    Kars­ten hat sich im zar­ten Al­ter von fast 14 Jah­ren in ei­ne Mit­schü­le­rin ver­liebt, die ihn, nach­dem er ihr sei­ne Lie­be ge­stan­den hat­te, mit ei­ner Back­pfei­fe und Flü­chen auf dem Schul­hof ste­hen ließ. Nach die­sem Tag be­ach­te­te sie ihn auch nicht mehr. Er al­ler­dings konn­te die­se jun­ge Da­me 30 Jah­re lang we­der ver­ges­sen, noch auf­hö­ren zu lie­ben. Er hat­te kei­nen Kon­takt zu ihr, konn­te nicht mit ihr ver­nünf­tig re­den und muss­te mit an­se­hen wie sie ihr Le­ben ver­brach­te. Das war für Kars­ten ei­ne ein­zi­ge Fol­ter und er hat mehr­fach ver­sucht sich das Le­ben zu neh­men. Da die­se Ver­su­che er­folg­los blie­ben, er­griff er ver­schie­de­ne Be­ru­fe, im­mer mit der Ab­sicht dar­an zu ster­ben. Un­ter an­de­rem ar­bei­te­te er als Bo­dy­guard, weil er hoff­te we­nigs­tens er­schos­sen zu wer­den. Die Lis­te an Ärz­ten, die er des­we­gen auf­such­te, wür­den ein ei­ge­nes Buch fül­len. Erst im Jahr 2019 wur­de es lang­sam bes­ser und er konn­te die jun­ge Da­me ver­ges­sen, aber sein Schick­sal hat­te ei­ne wei­te­re Über­ra­schung pa­rat. Er ver­lieb­te sich in ei­ne an­de­re Frau, der er auf drän­gen, sei­ne Ge­füh­le auch ge­stan­den hat. (Un­ter an­de­ren hat­te auch ich mei­ne Fin­ger im Spiel) lei­der war die­se Frau be­reits in ei­ner Be­zie­hung und hat im wei­te­ren Ver­lauf da­für ge­sorgt das er ne­ben sei­nem Job auch jeg­li­chen Kon­takt zu ihr un­ter­las­sen muss­te. Er ist dar­an furcht­bar zer­bro­chen und saß auf­grund ei­nes er­neu­ten Sui­zid­ver­suchs lan­ge Zeit in der Psych­ia­trie. Seit­dem ist aus dem quir­li­gen Jun­gen von da­mals ein psy­chi­sches Wrack ent­stan­den, dass kei­ner­lei Le­bens­mut oder Wil­le mehr auf­bringt.

    Doch ge­nug da­von. Die­ses Buch soll mei­nen Weg durch mein Le­ben bis heu­te zei­gen. Es hat sich für mich zum bes­ten ge­wen­det, aber ich ken­ne lei­der auch die Kehr­sei­te, denn in mei­nem Be­kann­ten­kreis fin­den sich vie­le Ho­mo­se­xu­el­le, die bis heu­te nicht so viel Glück ha­ben.

    Kapitel 1

    Da stand ich nun al­so in mei­nem neu­en Le­ben. Die­se klei­ne In­sel soll­te al­so mei­ne neue Hei­mat sein. Ir­gend­wie hat­te ich sie mir deut­lich an­ders vor­ge­stellt. Was ich sah, war ei­gent­lich nicht groß an­ders als in mei­ner al­ten Hei­mat, dem Ruhr­pott. Gut, das Wet­ter war deut­lich bes­ser hier. Es war An­fang No­vem­ber, und als ich in Deutsch­land ge­st­ar­tet bin, zeig­te das Ther­mo­me­ter fros­ti­ge 8 Grad un­ter null. In Bo­chum, wo ich ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen war, lag noch Schnee. Hier stand ich nun vor dem Flug­ha­fen und vor mei­nen Au­gen dreh­te sich al­les. Als ich aus dem ver­glas­ten Flug­ha­fen­ge­bäu­de in die Frei­heit trat, um­fing mich so­fort ei­ne un­glaub­li­che Hit­ze.

    Drin­nen war die Tem­pe­ra­tur noch an­ge­nehm und auch mein Kreis­lauf mach­te nicht die kleins­ten Pro­ble­me. Die Tür nach drau­ßen war für mich wie der Schritt in ein neu­es Le­ben und so­fort zeig­ten sich die ers­ten Ver­än­de­run­gen. Mir wur­de schwarz vor Au­gen und ich stand plötz­lich nicht mehr ganz so si­cher auf mei­nen kur­z­en Bei­nen. War mein Ni­ko­tin­spie­gel da­für ver­ant­wort­lich? In mei­ner Hand­ta­sche such­te ich nach ei­ner Zi­ga­ret­te und mei­nem Feu­er­zeug. Das hat­te man mir zum Glück bei der Si­cher­heits­kon­trol­le be­vor ich in das Flug­zeug ge­klet­tert war ge­las­sen. Schon der ers­te Zug lös­te einen lan­gen nicht mehr er­leb­ten Hus­ten­reiz aus. An­statt das es mir bes­ser ging, wur­de es noch deut­lich schlech­ter. Ne­ben mir stand vor ei­nem Blu­menkü­bel ei­ne Holz­bank. Ich muss­te mich drin­gend set­zen, be­vor ich gleich an mei­nem ers­ten Tag hier um­kipp­te. Die Holz­stre­ben der Bank wa­ren von der Son­nen­ein­strah­lung deut­lich zu warm. Das mel­de­ten auch mei­ne Hin­ter­ba­cken durch die Jeans, die ich für den Flug an­ge­zo­gen hat­te.

    Auf­ste­hen klapp­te trotz­dem nicht mehr. Mir war schwin­de­lig und konn­te mich auf ab­so­lut nichts kon­zen­trie­ren. Mein großer Kof­fer ne­ben mir stand noch in der pral­len Son­ne. Ich brauch­te ein paar Mi­nu­ten, bis ich wie­der halb­wegs nor­mal aus den Au­gen se­hen konn­te. Erst dann er­schloss sich mir, wo ich ei­gent­lich ge­lan­det war. In Deutsch­land, die Hei­mat, die ich hin­ter mir las­sen woll­te, war es schon Win­ter und eis­kalt. Hier saß ich in mei­nen lan­gen Jeans und dem di­cken Pull­over auf ei­ner Holz­bank vor dem Flug­ha­fen. Es sah nicht wirk­lich groß­ar­tig an­ders aus als noch in Bo­chum. Nur die we­hen­den grü­nen Pal­men und die far­bi­gen Blu­men pass­ten über­haupt nicht ins Bild. Ich muss­te den Pull­over aus­zie­hen, denn der Schweiß lief mir schon in strö­men übers Ge­sicht.

    Das ist al­so die Ka­ri­bik. Mei­ne neue Hei­mat. Fühl­te sich noch nicht da­nach an. Aber wie kommt ei­ne jun­ge Frau, mit ih­ren ge­ra­de mal 26 Jah­ren da­zu sich ein neu­es Le­ben auf ei­ner klei­nen In­sel in der Ka­ri­bik auf­zu­bau­en. Die Ant­wort lag in mei­ner Ver­gan­gen­heit be­grün­det. Als ich am 10. März 1967 das Licht der Welt er­blick­te, hat­te ich ei­ne schö­ne Kind­heit vor mir. Mei­ne Mut­ter war schon lan­ge vor mei­ner Ge­burt von mei­nem Va­ter al­lei­ne ge­las­sen wor­den. Er brach­te sein Geld mit Pro­sti­tu­ier­ten und Al­ko­hol durch. Ich ha­be ihn nie ken­nen­ge­lernt, aber durch die Er­zäh­lun­gen mei­ner Mut­ter konn­te ich mir dann doch ein ganz gu­tes Bild ma­chen. Mit ihr ver­brach­te ich die ers­ten paar Le­bens­jah­re in ei­ner klei­nen Woh­nung in Bo­chum.

    Wäh­rend ich noch nicht mit­be­kam, was um mich her­um pas­sier­te, war auch al­les in Ord­nung. Mei­ne ers­te Erin­ne­rung setzt ein, als ich zar­te drei Jah­re alt war. Ich spiel­te im Sand­kas­ten mit Plas­tik­förm­chen, wäh­rend mei­ne Mut­ter sich mit den an­de­ren Müt­tern in der Son­ne sit­zend un­ter­hielt. Mor­gens wur­de ich dann zu Oma und Opa ge­bracht und mei­ne Mut­ter ging zur Ar­beit in ein großes Kauf­haus. Da­nach schob man mich in den Kin­der­gar­ten ab, wo ich dann bis zum Nach­mit­tag blei­ben muss­te. Mir ge­fiel das nicht wirk­lich. Ich durf­te zwar spie­len, wie ich woll­te, aber da wa­ren viel zu vie­le an­de­re Kin­der, mit de­nen ich nicht un­be­dingt et­was zu tun ha­ben woll­te. Die wa­ren mir viel zu laut und schri­en den gan­zen Tag nur her­um.

    Zu Hau­se durf­te ich bei mei­ner Mut­ter in der Kü­che mit Teig mat­schen oder das frisch duf­ten­de Es­sen um­rüh­ren. Sie set­ze mich da­zu ne­ben den Herd auf die Ar­beits­plat­te, drück­te mir einen lan­gen Holz­stiel in die klei­ne Hand und ich durf­te dann rüh­ren. Das mach­te mir sehr viel Freu­de. Im Hin­ter­grund du­del­te ein Ra­dio und mei­ne Mut­ti schnitt Ge­mü­se, Fleisch oder sons­ti­ges Zeug, wäh­rend sie mir ver­such­te, den Text der Lie­der durch Mit­sin­gen bei­zu­brin­gen. Sin­gen konn­te ich aber nicht. Aber mein Le­ben war ei­gent­lich schön.

    Mit zu­neh­men­dem Al­ter kam dann der Zeit­punkt, an dem ich ei­ne große aus Pap­pe zu­sam­men­ge­kleb­te Tü­te in die Hand ge­drückt be­kam und mit den an­de­ren Kids, die ich be­reits aus dem Kin­der­gar­ten kann­te, vor ein großes Ge­bäu­de ge­stellt wur­de. Man nann­te es Ein­schu­lung und in der Tü­te wa­ren je­de Men­ge Sü­ßig­kei­ten. Aber das große Ge­bäu­de soll­te ich nicht sehr lan­ge in gu­ter Erin­ne­rung be­hal­ten, da konn­ten auch die gan­zen sü­ßen Sa­chen in der Tü­te nichts dar­an än­dern. Ich muss­te mich mit an­de­ren Mut­tis her­um­schla­gen, die mir Buch­sta­ben und wei­te­ren Un­sinn zeig­ten. Wenn es we­nigs­tens beim Zei­gen ge­blie­ben wä­re, aber ich soll­te sie auch noch sel­ber auf Pa­pier ma­len. Die­ser gan­ze Un­sinn dau­er­te gan­ze vier Jah­re und ich durf­te kaum noch das ma­chen, was mir Spaß be­rei­te­te.

    Al­ler­dings fiel an­de­ren Leu­ten in die­ser Zeit noch et­was an­de­res an mir auf. Die­ses klei­ne Mäd­chen mit den schwar­zen Haa­ren und den brau­nen Au­gen war ganz an­ders. Wäh­rend an­de­re Kin­der schri­en und kreisch­ten, mit hoch­ro­tem Kopf auf Mö­bel und Ein­rich­tun­gen ein­schlu­gen, saß ich im­mer wie völ­lig un­be­tei­ligt da­ne­ben. Auch hat­te man sie nie wei­nen se­hen. Ir­gend­was stimm­te mit dem Mäd­chen nicht. Als mei­ne Mut­ter dar­auf an­ge­spro­chen wur­de, konn­te sie sich auch nicht dar­an er­in­nern, mich wei­nend oder schrei­end ge­se­hen zu ha­ben. Es kam ein­fach nie vor.

    Mut­ti schleif­te mich als Nächs­tes zu mei­nem Kin­der­arzt. Der stell­te mich ein­mal auf den Kopf, um da­nach fest­zu­stel­len, dass mir nicht das Ge­rings­te fehl­te. Kör­per­lich war ich kern­ge­sund. Aber wenn man ge­ra­de da war, spricht ja nichts da­ge­gen das Kind gleich noch ge­gen ir­gend­was zu imp­fen. Al­so Sprit­ze in die Hand, und dann rein da­mit in den Obe­r­arm. Erst da­bei fiel auch dem Arzt auf, dass mit dem Mäd­chen auf der großen Lie­ge et­was nicht in Ord­nung war. Je­des Kind rea­giert zwar an­ders auf Sprit­zen und Na­deln in der Haut, aber ei­nes ha­ben sie al­le ge­mein­sam, sie be­gin­nen zu wei­nen. Nur das klei­ne Mäd­chen zeig­te sich völ­lig un­be­ein­druckt und ließ al­les oh­ne einen Ton über sich er­ge­hen. Al­so gleich noch ein­mal. Nächs­te Sprit­ze ab in die Arm­beu­ge und ein biss­chen Blut aus den Adern ge­holt. Aber auch hier zeig­te ich kei­ne er­kenn­ba­re Re­ak­ti­on.

    Vie­le Ärz­te spä­ter stand dann die Dia­gno­se fest. Die klei­ne Ca­tha­ri­na litt un­ter ei­ner be­son­de­ren Krank­heit, die man in Fach­krei­sen Ale­xi­thy­mie nennt. Um­gangs­sprach­lich nann­te man das auch Ge­fühls­käl­te. Im al­ten Grie­chen­land be­zeich­ne­te man es auch als Ata­ra­xie, ein Zu­stand, in dem es ei­nem völ­lig gleich­gül­tig war, was um einen her­um pas­sier­te. Ca­tha­ri­na konn­te man nicht auf­re­gen, egal was man auch an­stell­te. Das war für die jun­ge Mut­ter und die Gro­ß­el­tern ein großer Schock. Das nächs­te Pro­blem soll­te aber noch um ei­ni­ges hef­ti­ger aus­fal­len. Ich brach­te die ers­ten vier Jah­re auf der Grund­schu­le zu En­de und wech­sel­te dann auf ei­ne Ge­samt­schu­le, um noch mehr zu ler­nen.

    Ir­gend­wann be­gan­nen mich mei­ne Mit­schü­ler zu är­gern, merk­ten aber ziem­lich schnell, dass es un­sin­nig war, so et­was zu ver­su­chen. Das mach­te nur Spaß, wenn sich das Mäd­chen auf­reg­te oder ei­ne Re­ak­ti­on dar­auf zeig­te. Ich zeig­te aber kei­ne der all­ge­mein üb­li­chen Wir­kun­gen dar­auf, son­dern blieb völ­lig ru­hig und ent­spannt. Auch konn­te man an mei­nem Ge­sicht nichts ab­le­sen, was auf Ge­füh­le hin­deu­te­te. Das brach­te al­so kei­nen Spaß für die an­de­ren und man ließ mich in Ru­he. Trotz­dem schaff­te ich es ir­gend­wann, Freund­schaf­ten zu schlie­ßen. Die Schu­le war mir ei­gent­lich egal aber es mach­te mir Freu­de mich mit mei­nen Freun­din­nen zu un­ter­hal­ten.

    Mei­ne Gro­ß­el­tern star­ben dann auch ir­gend­wann kurz nach­ein­an­der und Mut­ti hat­te ei­ne Men­ge zu tun. Sie muss­te sich um die Be­er­di­gun­gen küm­mern und ich hör­te sie sehr oft et­was tun, was mir nie pas­sie­ren wür­de. Abends im Bett heul­te sie die Kis­sen voll. Ich fühl­te zwar auch Trau­er um mei­ne lie­be Omi und den lus­ti­gen Opa, konn­te es aber nicht zei­gen. Mei­ne Mut­ter mach­te das fast wahn­wit­zig. Wäh­rend sie je­den Tag am Wei­nen war, zeig­te ich nicht ein biss­chen Mit­ge­fühl. In­ner­lich zwar schon, aber an mei­ner Mie­ne konn­te man das nicht ab­le­sen. Al­les war wie im­mer für mich. Al­ler­dings be­gann Mut­ti mit et­was an­de­rem. Sie be­täub­te ih­ren Schmerz im­mer öf­ter in Al­ko­hol. Nach der Ar­beit be­gann sie Bier zu trin­ken und erst am spä­ten Abend hör­te sie wie­der da­mit auf. Sie war zu die­ser Zeit sehr lau­nisch und auch nicht mehr wirk­lich gut auf mich zu spre­chen. Ich war zwar noch ih­re Toch­ter, aber sie zeig­te mir ei­gent­lich nur noch die kal­te Schul­ter, schrie mich an wie ein Ir­re oder igno­rier­te mich ein­fach.

    Die Wir­kung auf mich be­ein­fluss­te das ei­gent­lich kaum. Tief in mei­nem In­ne­ren war es mir zwar nicht völ­lig egal wie sie mich be­han­del­te, aber nach au­ßen hin konn­te ich es ein­fach nicht zei­gen. Als ich dann äl­ter wur­de und sich lang­sam die Ver­wand­lung vom Mäd­chen zur Frau ein­setz­te, fin­gen ganz an­de­re Pro­ble­me an. Ich wuss­te ein­fach nicht, was mit mir los war. Mei­ne Freun­din­nen in der Schu­le be­gan­nen sich lang­sam ih­rem Al­ter ent­spre­chend für die Jungs zu in­ter­es­sie­ren. Sie ver­such­ten, mir zu ent­lo­cken, wel­cher Mit­schü­ler mir ge­fiel. Ich konn­te es aber nicht be­nen­nen. Da pas­sier­te ein­fach nichts. Die Mit­schü­ler wa­ren mir völ­lig egal. Es war kei­ner da­bei der mich in­ter­es­sier­te oder den ich ir­gend­wie toll fand.

    Mei­ne Freun­din­nen gin­gen die ers­ten Be­zie­hun­gen ein, mach­ten ih­re ers­ten zar­ten Er­fah­run­gen mit dem an­de­ren Ge­schlecht und ich stand wie ein Stein da­ne­ben. Die Jungs auf der Schu­le hiel­ten auch einen ge­wis­sen Ab­stand zu mir. Es war ein­fach für sie nicht zu er­ken­nen, ob ich ir­gen­det­was für sie emp­fand. Ei­ni­ge ver­such­ten zwar, bei mir zu lan­den, und mach­ten sich da­für auch re­gel­mä­ßig zum Af­fen, aber sie blitz­ten al­le ab. Ei­ne Freun­din von mir hat­te ei­ne be­son­de­re Schwä­che für je­den Ein­zel­nen. So­lan­ge er einen ge­ra­den Satz her­aus­brach­te, war sie von ihm be­geis­tert. Da­bei war es ihr auch völ­lig un­wich­tig, wie er aus­sah oder wie er sich be­nahm. Wenn da Te­stos­te­ron durch die Blut­bahn floss, war er für sie ge­nau rich­tig. Mit mir pas­sier­te al­ler­dings et­was völ­lig an­de­res. Ich be­gann mei­ne we­ni­gen Freun­din­nen auf ein­mal mit an­de­ren Au­gen zu be­trach­ten.

    Das, was sie in den Jungs sa­hen, ent­deck­te ich im Stil­len bei ih­nen. Ich ge­noss es re­gel­recht, wenn wir uns zur Be­grü­ßung in den Arm nah­men. Das war für mich im ge­hei­men das Schöns­te am gan­zen Tag. Sie be­merk­ten das na­tür­lich nicht, denn mein Ge­sichts­aus­druck war im­mer der glei­che. Ei­ne da­von ge­fiel mir be­son­ders. Sie hat­te sehr hüb­sche leicht grü­ne Au­gen und ein wun­der­vol­les Lä­cheln. Em­ma hieß sie und war erst seit Kur­zem in Bo­chum. Ih­re El­tern wa­ren von Dort­mund nach Bo­chum um­ge­zo­gen, weil ihr Va­ter ei­ne bes­ser be­zahl­te Ar­beit ge­fun­den hat­te. Ihr schi­en es auch nichts aus­zu­ma­chen, das ich ganz an­ders war. Wäh­rend sich die an­de­ren Freun­din­nen ih­ren ge­lieb­ten Jungs wid­me­ten, blie­ben wir bei­den meist al­lei­ne zu­rück.

    Im Lau­fe der Zeit wur­de Em­ma mei­ne bes­te Freun­din. Wir spra­chen über al­les Mög­li­che, was die Mäd­chen und jun­gen Frau­en da­mals in­ter­essant fan­den. Mu­sik, Mo­de, in ih­rem Fall auch ein oder zwei Jungs, al­ler­dings war sie viel zu schüch­tern um sie an­zu­spre­chen. Es ver­ging kaum ein Tag, an dem wir nicht wie zwei Glu­cken auf­ein­an­der sa­ßen. Die Jungs fand ich nicht an­zie­hend, da­für aber Em­ma. Mit der Zeit ent­wi­ckel­te ich sehr in­ten­si­ve Ge­füh­le für mei­ne Freun­din. Im­mer öf­ter er­tapp­te ich mich selbst da­bei, da­von zu träu­men, sie ein­fach zu küs­sen. Das, was die Mäd­chen von ih­ren Freun­den er­zähl­ten und wie sie sich da­bei fühl­ten, traf in er­schre­cken­der Wei­se auf mich mit Em­ma zu. Das war al­les völ­lig neu für mich und ich konn­te es nicht zu­ord­nen. Was stimm­te mit mir denn nicht?

    Wäh­rend die an­de­ren aus mei­ner Cli­que mit ih­ren Freun­den er­leb­ten, woll­te ich mit Em­ma er­le­ben. Ich hat­te das drin­gen­de Be­dürf­nis, sie zu be­rüh­ren, zu um­ar­men oder zu küs­sen. Die gan­zen Jungs er­zeug­ten die­ses Ge­fühl­scha­os nicht in mir. Sie wa­ren mir zu­se­hends to­tal egal. Mei­ne Zeit ver­brach­te ich am liebs­ten mit Em­ma. Nach der Schu­le tra­fen wir uns bei ihr oder in der Stadt, hör­ten Mu­sik oder kauf­ten uns die Ju­gend­zeit­schrif­ten, die man in dem Al­ter eben so liest. Schlau­er wur­de ich da­durch aber nicht. Al­le Ar­ti­kel in je­der Zeit­schrift han­del­ten von Frau­en und Män­nern. Nir­gend­wo wur­de mir er­klärt, ob es die­se Ge­füh­le auch zwi­schen zwei Frau­en oder Män­nern gab. War das ein­fach nicht vor­ge­se­hen oder so­gar ver­bo­ten? Ich ver­such­te mit mei­nen, da­mals noch be­grenz­ten Mit­teln ir­gen­det­was, in die­ser Rich­tung zu fin­den, aber auch die Biblio­thek konn­te mir mei­ne Fra­gen nicht be­ant­wor­ten.

    Kurz vor mei­nem vier­zehn­ten Ge­burts­tag wuss­te ich so ziem­lich al­les über mensch­li­che Fort­pflan­zung, aber nichts über mei­ne Ge­füh­le zu Em­ma. Ihr fiel das aber, auf­grund mei­ner Krank­heit, auch nicht auf, was ich für sie emp­fand. Ich durf­te al­so wei­ter träu­men, sie wie zu­fäl­lig be­rüh­ren und in den Arm neh­men. Um mir mehr Geld zu ver­die­nen, weil mein Ta­schen­geld sehr be­grenzt war, durf­te ich an Wo­che­n­en­den auf den vier­jäh­ri­gen Sohn un­se­rer Nach­barn auf­pas­sen. Der klei­ne Kars­ten war ein quir­li­ger Bur­sche. Wenn sei­ne El­tern un­ter­wegs wa­ren und ich auf ihn auf­pas­sen durf­te, um mir ein paar Mark da­zu­zu­ver­die­nen war ein rich­ti­ger Son­nen­schein. Er freu­te sich je­des Mal, wenn er mich an der Tür sah. Er wuss­te, dass sei­ne El­tern lan­ge weg wa­ren, und freu­te sich auch dar­auf, viel län­ger, als ge­wöhn­lich, wach blei­ben zu dür­fen.

    Sei­ne El­tern durf­ten da­von na­tür­lich nichts er­fah­ren, aber Kars­ten war cle­ver und ver­lor kei­nen Ton da­von. Wir mach­ten vie­le Ge­sell­schaftss­pie­le, ver­such­ten uns an ei­ni­gen Puzz­les, de­ren Tei­le mit mehr Er­fah­rung auch klei­ner wur­den und spiel­ten Kar­ten. Dann mach­ten wir es uns auf der Couch ge­müt­lich und sa­hen fern. Ir­gend­wann konn­te er ein­fach nicht mehr die Au­gen of­fen hal­ten und schlief ein. Dann hab ich ihn ganz vor­sich­tig in sein Bett ge­tra­gen und zu­ge­deckt. Sei­ne Mut­ter war im­mer glück­lich, wenn ich auf ihn ach­te­te. Ihr raub­te er den letz­ten Nerv mit sei­ner stän­di­gen Fra­ge­rei und sei­nem Rum­ge­ren­ne in der Woh­nung. Mir mach­te das nicht das Ge­rings­te aus. Auf­re­gung war für mich ein Fremd­wort, das schaff­te auch der Kur­ze nicht. Mir mach­te das so­gar Spaß, auf ihn auf­zu­pas­sen und die paar Mark, die ich da­für be­kam, wa­ren mir auch sehr recht.

    Am 10. März, mei­nem vier­zehn­ten Ge­burts­tag tra­fen mei­ne Freun­din­nen bei mir zu Hau­se ein. Mei­ne Mut­ti hat­te an die­sem Tag gnä­di­ger­wei­se so­gar auf Al­ko­hol ver­zich­tet, um nicht als schlech­te Mut­ter da­zu­ste­hen und so­gar einen Ku­chen für mich ge­ba­cken. Em­ma, die so­wie­so fast je­de freie Mi­nu­te mit mir ver­brach­te, war die Ers­te, die bei mir in der Tür stand. Sie schenk­te mir einen selbst ge­bas­tel­ten Ka­len­der und ei­ne Mu­sik­kas­set­te, die sie ex­tra für mich ge­kauft hat­te. Da wir al­lei­ne wa­ren und ich mich da­für be­dan­ken woll­te, drück­te ich sie an mich und gab ihr so­gar einen klei­nen Kuss auf die Wan­ge. Sie schrieb die­se große Ge­fühls­re­gung mei­nem Ge­burts­tag zu und dach­te sich nichts wei­ter da­bei. Für mich al­ler­dings war es et­was völ­lig an­de­res. Em­ma war für mich mehr, als nur ei­ne Freun­din, wie sie je­des Mäd­chen in dem Al­ter hat. Auch die an­de­ren Gäs­te tra­fen nach und nach ein. Wir hat­ten viel Spaß und fei­er­ten aus­ge­las­sen mei­nen Ge­burts­tag.

    Der Tag soll­te aber für mich noch et­was ganz Be­son­de­res wer­den. Da ich wuss­te, dass Em­ma die Letz­te sein wür­de, weil sie den kür­zes­ten Weg nach Hau­se hat­te, woll­te ich sie end­lich küs­sen. Nach und nach gin­gen die an­de­ren, bis Em­ma und ich wie­der al­lei­ne wa­ren. Wir sa­ßen in mei­nem Zim­mer auf dem Bett, hör­ten ein biss­chen Mu­sik von der neu­en Kas­set­te und blät­ter­ten in ei­ner Zeit­schrift. Ich spür­te sie ganz eng ne­ben mir und be­kam lang­sam den Mut, den ich brauch­te. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten schenk­te sie mir einen wirk­lich auf­re­gen­den Blick aus ih­ren grü­nen Au­gen. Oh­ne noch wei­ter zu zö­gern, zog ich sie nä­her zu mir und küss­te ih­re Lip­pen. Al­ler­dings hielt das Glücks­ge­fühl in mei­nem In­nern nicht be­son­ders lan­ge an. Sie wich zu­rück, mach­te ein er­schro­cke­nes Ge­sicht und rann­te dann zur Tür hin­aus. Das ers­te Mal in mei­nem Le­ben hat­te ich ihr ge­gen­über mei­ne Ge­füh­le ge­zeigt und sie ließ mich al­lei­ne.

    Da­mit be­gann aber ein ganz an­de­res Dra­ma, von dem ich noch kei­ne Ah­nung hat­te, wie sehr es mich ver­let­zen wür­de. Am nächs­ten Tag, vor der Schu­le war­te­te ich wie im­mer auf mei­ne bes­te Freun­din Em­ma. Ich er­kann­te sie schon von Wei­tem, aber sie lief, oh­ne mich ei­nes Blickes zu wür­di­gen, an mir vor­bei ins Schul­ge­bäu­de. Was am Tag zu­vor noch mei­ne bes­te Freun­din war, ließ mich jetzt ein­fach ste­hen. Ich lief ihr hin­ter­her und rief mehr­fach ih­ren Na­men. Sie be­ach­te­te mich nicht mehr. So­gar in der Klas­se, in der wir di­rekt ne­ben­ein­an­der­sa­ßen, be­ach­te­te sie mich nicht mehr. Der schlimms­te Schlag folg­te aber erst noch. Als un­se­re Leh­re­rin her­ein­kam, mel­de­te sich Em­ma als Ers­tes und bat dar­um, sich um­set­zen zu dür­fen. Mir tat das furcht­bar weh, konn­te es aber na­tür­lich nicht zei­gen. Der Tag soll­te aber noch viel schlim­mer wer­den, als ich mir das hät­te aus­ma­len kön­nen.

    In der großen Pau­se stand ich al­lei­ne mit mei­ner Milch und dem Bröt­chen auf dem Schul­hof. Mei­ne gan­ze Cli­que, mei­ne Freun­din­nen tu­schel­ten mit Em­ma und hiel­ten sich von mir fern. Ich war den gan­zen Tag al­lei­ne und mei­ne Freun­din­nen zer­ris­sen sich hin­ter mei­nem Rücken den Mund über mich. Schlim­mer konn­te es ei­gent­lich nicht mehr wer­den, dach­te ich bei mir. Aber be­reits am nächs­ten Tag wur­de ich ei­nes Bes­se­ren be­lehrt.

    Kapitel 2

    Am 12. März er­leb­te ich mei­nen bis da­hin schlimms­ten Tag mei­nes noch jun­gen Le­bens. Vor Un­ter­richts­be­ginn hol­te mich mei­ne Klas­sen­leh­re­rin von mei­nem Stuhl und brach­te mich ins Leh­rer­zim­mer. Der Ge­stank nach Kaf­fee und kal­tem Rauch war ab­ar­tig. In dem Raum hät­te auch ein Af­fen­kä­fig aus dem Zoo nichts an der Luft än­dern kön­nen. Vor mir sa­ßen ins­ge­samt vier Leh­rer und der Di­rek­tor mei­ner Schu­le. Wie ei­ne Straf­ge­fan­ge­ne wur­de ich ver­hört, wie ich es hat­te wa­gen kön­nen ei­ne Mit­schü­le­rin zu küs­sen. Man be­schimpf­te mich als krank und ab­nor­mal. Die­se fünf Er­wach­se­nen vor mir re­de­ten fast ei­ne Stun­de wie auf ei­ne Schwer­ver­bre­che­rin auf mich ein. Durch mei­ne Krank­heit zeig­te sich na­tür­lich kei­ne Re­ak­ti­on auf mei­nem Ge­sicht, was ih­nen als Grund aus­reich­te, ein­fach wei­ter ver­bal auf mich ein­zu­schla­gen.

    Je­de an­de­re wä­re wie ein wei­nen­des Häuf­chen in der Ecke ge­le­gen und hät­te dar­um ge­be­tet end­lich in Ru­he ge­las­sen zu wer­den. Da sich auf mei­nem Ge­sicht ab­so­lut nicht die ge­rings­te Re­gung zeig­te, von Reue oder ei­nem schlech­ten Ge­wis­sen ganz zu schwei­gen, ent­schied man sich da­zu, mei­ne Mut­ter an­zu­ru­fen und einen Ter­min für die klei­ne Ca­tha­ri­na beim Schul­psy­cho­lo­gen aus­zu­ma­chen. Mei­ne Mut­ti fiel na­tür­lich aus al­len Wol­ken als man sie be­reits mor­gens im Kauf­haus ans Te­le­fon be­stell­te und ihr na­he leg­te ih­re Toch­ter zum Psy­cho­lo­gen zu schi­cken.

    An Un­ter­richt im klas­si­schen Sin­ne war an die­sem denk­wür­di­gen Tag nicht mehr zu den­ken. Wer aber glaubt, dass Er­wach­se­ne die Schlimms­ten sind und ver­bal auf jun­ge Frau­en ein­schlu­gen, hat noch nie die Gleich­alt­ri­gen ken­nen­ge­lernt. So­gar wäh­rend des lau­fen­den Un­ter­richts at­ta­ckier­ten mich mei­ne Mit­schü­ler. Ganz vor­ne mit da­bei mei­ne bes­te Freun­din Em­ma. Man glaubt gar nicht, wie schnell sich so et­was in der gan­zen Schu­le ver­brei­ten kann. Es dau­er­te ge­fühlt nur ei­ni­ge Se­kun­den, bis auch der letz­te Schü­ler auf dem Schul­hof über den kom­plet­ten Ablauf in­for­miert war. Selbst die nor­ma­len Mob­bin­gop­fer, die es an je­der Schu­le gab, hat­ten an die­sem Tag ei­ne Aus­zeit und wur­den in die Ge­mein­schaft auf­ge­nom­men. Ich war nur noch die kran­ke, völ­lig ver­rück­te klei­ne Sch­lam­pe, die mit Vor­lie­be Mäd­chen küsst. Zu mei­nem be­son­de­ren Glück stell­te sich auch noch die ein­zi­ge Lehr­kraft auf dem Schul­hof, die als so­ge­nann­te Pau­sen­auf­sicht, Strei­te­rei­en und An­fein­dun­gen von Schü­lern un­ter­ein­an­der un­ter­bin­den soll­te, auf die Sei­te mei­ner größ­ten Geg­ner.

    So­gar die letz­ten Af­fen ka­men aus ih­ren Lö­chern ge­kro­chen und be­lei­dig­ten mich auf das Übels­te. Da­mals dach­te ich noch, es wür­de viel­leicht ein oder zwei Ta­ge dau­ern, bis sie sich wie­der be­ru­hi­gen wür­den und mich in Ru­he lie­ßen, aber auch nach ei­ni­gen Wo­chen än­der­te sich nichts dar­an. Ich war bis zu mei­nem Ab­schluss das be­vor­zug­te Op­fer al­ler At­ta­cken. Das be­zog sich aber nicht nur auf die Schu­le, denn im Pri­va­ten ging es di­rekt wei­ter. Dass man mich nur noch als die Kran­ke be­zeich­ne­te, setz­te sich die rest­li­che Schul­zeit fort. Ich durf­te je­de Wo­che an zwei Ta­gen nach der Schu­le zu ei­nem Psy­cho­lo­gen wan­dern, der mich hei­len woll­te. Ab­nor­mal war noch die harm­lo­ses­te Be­zeich­nung, die ich zu hö­ren be­kam.

    Mei­ne Mut­ter zu Hau­se stand mei­nen Pei­ni­gern in nichts nach. Es­sen durf­te ich al­lei­ne. Mei­ne bis da­hin lie­be­vol­le Mut­ter wei­ger­te sich be­harr­lich, ih­ren Tisch mit ei­ner Ir­ren zu tei­len. Es dau­er­te auch nicht mehr be­son­ders lan­ge, bis ich mir mein Es­sen selbst ma­chen muss­te. Das fand sei­ne Fort­set­zung dar­in, dass ich mei­ne Wä­sche und al­les an­de­re al­lei­ne ma­chen durf­te. Ich war

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