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Gesprengte Ketten: Eine Kindheit im Ausnahmezustand
Gesprengte Ketten: Eine Kindheit im Ausnahmezustand
Gesprengte Ketten: Eine Kindheit im Ausnahmezustand
eBook219 Seiten2 Stunden

Gesprengte Ketten: Eine Kindheit im Ausnahmezustand

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Über dieses E-Book

Dieses Buch erzählt die Lebensgeschichte des Peter Stein, eines Jungen, der unter den schlimmsten familiären Verhältnissen aufwachsen musste.
•Es benennt die Perversität des Lebens, die Hilflosigkeit seinen Peinigern gegenüber.
•Es beleuchtet die Ignoranz der Nachbarn, Verwandten und Bekannten gegenüber dem Offensichtlichen.
•Es zeigt Möglichkeiten auf, das Erlebte zu verarbeiten und neu einzuordnen, sich aus toxischen Beziehungen zu befreien.

Der Autor versteht es, Zusammenhänge zwischen späteren Verhaltensweisen und den einzelnen Erziehungsmethoden aufzuzeigen.
Wie benannte einst der freie Journalist Uwe Eichler diese Geschichte des Peter Stein, »Eine Kindheit im Ausnahmezustand«.
Dieses Buch ist all den Kinderseelen gewidmet, deren Leben bereits seit jungen Jahren unter dem sexuellen, psychischen und physischen Missbrauch leiden.
•Es richtet sich ebenso an Frauen und Männer, deren Leben in toxischen Beziehungen zur Hölle werden.
•Es richtet sich unter anderem an Menschen, die noch immer glauben, Kinder wollten den Sex mit ihnen, den Erwachsenen.
•Es richtet sich an die Konsumenten der Kinderpornos, deren Nachfrage den Nährboden für den Missbrauch bereiten.
•Es richtet sich ebenso an Nachbarn, Verwandte und Freunde, die ihre Augen vor dem Offensichtlichen verschließen.

Du hast Erfahrungen mit körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt erleben müssen.
•Du schweigst seit Jahren und Jahrzehnten.
•Deine Selbstvorwürfe fressen Dich auf.
•Du denkst, Du hättest es verdient.
•Du bist überzeugt, Du hast falsche Signale ausgesendet.
•Du hast Dich nicht nachhaltig genug gewehrt.
•Du hast Dich nicht gewagt, ein klares NEIN auszusprechen.
•Deine Gedanken kreisen immer nur um das eine.
•Du traust Dich nicht, jemandem anzuvertrauen.

Vergiss alles!
Der Täter bist nicht Du, die Täter sind die, die Dir all die schrecklichen Dinge angetan haben.

Die Geschichte
Was sich damals hinter verschlossenen Türen abspielte, ist noch heute Bestandteil unsere Gesellschaft.
Hier in diesem Buch zeigt sich, wie die Seele eines Kindes systematisch zerstört wird und wie die ersten Jahre den weiteren Weg seines Lebens beeinflussen können. Der Blick in die Zeit als Erwachsener, als Vater und Ehemann beschreibt Peter die Auswirkungen auf die Betroffenen. Es zeigt Wege auf, die sich Jahrzehnte später auftaten, um die verschiedenen Verhaltensmuster zu durchbrechen und ihm, das permanente schlechte Gewissen zu nehmen. Er lernte seine Interessen erfolgreicher durchzusetzen, das Erlebte zu verarbeiten und einzuordnen. Als Glücksfall erwies sich sein Psychologe, der ihn über mehrere Jahre hinweg durch die einzelnen Stationen seines Lebens begleitete, der ihm half, das Erlebte neu einzuordnen, mit dessen Unterstützung er sein Leben in die richtigen Bahnen lenken konnte. Sein Psychologe Dr. Fischer ging behutsam mit seinem Patienten um, was angebracht war. Er und die behandelten Psychiater während seines Reha-Aufenthalts, der im Übrigen zu seiner Frühverrentung führte, mussten behutsam umgehen, sie sahen die reale Gefahr, wenn sie den Deckel von Peters Unterbewusstsein zu weit öffnen würden und O-Ton, »nicht wieder zu bekämen«. Dank dessen jahrzehntelanger Berufserfahrung konnte er Peter bei der Bewältigung seines Traumas aktiv unter die Arme greifen. Eine Aussage gab Peter sehr zu denken, die ebenfalls so sinngemäß von seiner Reha-Psychiaterin wiedergegeben wurde. Er meinte, er habe in seinem langen Berufsleben bereits viele schlimme Schicksale durch Missbrauch vor sich sitzen gehabt, was er, Peter erleben musste, sprenge alles bisher Dagewesene.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Jan. 2024
ISBN9783384113238
Gesprengte Ketten: Eine Kindheit im Ausnahmezustand
Autor

Sandy Nell

Über Sandy Nell Nach einem turbulenten Leben, das ihm viel abverlangte, hat er mit seiner zweiten Frau die Ruhe und das Glück gefunden, nach dem er sein ganzes Leben lang suchte. Nell kam zum Schreiben über Umwege. Inspiriert durch seine Ehefrau begann Nell mit dem Verfassen zahlreicher Fachartikel zu dem Thema Behinderung und Barrierefreiheit. Die durchweg positive Resonanz auf seine Publikationen veranlasste ihn, den erfolgreichen Sprung hinüber zu Sachbüchern und Romanen mit biografischem Hintergrund zu vollziehen.

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    Buchvorschau

    Gesprengte Ketten - Sandy Nell

    Vor seiner Zeit

    Um so manche Verhaltensweisen von Peters Erzeugern, Jahrgang 1933 und 1934 verstehen zu können, muss deren Vergangenheit, die Zeit, in die sie hinein geboren wurden, näher betrachtet werden. Es war die dunkle Epoche des Nationalsozialismus, eine Periode, in der Sprüche gedeihen sollten wie, ›Was uns nicht tötet, macht uns nur umso härter‹ oder ›In unseren Augen muss die deutsche Jugend der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.‹ _ (Auszug aus Hitlers Rede vor 54.000 Hitlerjungen in Nürnberg; 14. September 1935).

    So sollte die ›Deutsche Elite‹ herangezogen werden, so wollten es ein gewisser ›Adolf Hitler‹ und seine Schergen. Wie konnten die Nazis am besten Einfluss auf den Nachwuchs und den Jugendlichen unserer Großeltern und Urgroßeltern nehmen? Sie gründeten die ›Hitlerjugend‹ und den ›Bund Deutscher Mädels‹ kurz HJ und BDM, zu denen beinahe alle Kinder beitreten mussten. Andere existierende Jugendbewegungen wurden verboten, die Herrschenden gewannen so Einfluss auf den Großteil der deutschen Jugend, um sie gemäß ihren Vorstellungen zu formen. Ausgegrenzt wurden Kranke, Schwache und insbesondere Kinder aus jüdischen Familien und anderen Ethnien. Es standen ausschließlich wertvolle, starke Kinder den Nationalsozialisten zur Umerziehung nach deren Vorstellungen zur Verfügung. Dass dieser Plan aufging, sollte sich noch Jahrzehnte später zeigen. Zeigen insofern, als menschenverachtende Wertevorstellungen bis hinein in die 1980er-Jahre überstanden. Diese Zöglinge konnten spielerisch im Sinne des Nationalsozialismus erzogen werden. So forderte das NS-Regime seine Mütter auf, ihre Babys emotionslos und bindungsarm zu erziehen und ihre Bedürfnisse nach Wärme, Liebe und Zuneigung zu ignorieren. (Johanna Haarer; Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind).

    Wie man heute weiß, hatte diese Generation der so erzogenen Kinder, Probleme ihre eigenen Nachkommen liebevoll zu erziehen. Stattdessen wurden die alten Erziehungsmethoden der Nazis weiter angewandt (Anne Kratzer; Warum Hitler bis heute die Erziehung von Kindern beeinflusst?).

    Viel ist über die frühen Jahre, seines Erzeugers nicht bekannt. Nur soviel, dass er im ehemaligen Schlesien (heute Polen) aufwuchs und 1945, im Alter von gerade einmal elf Jahren, mit Mutter und Schwester vor der herannahenden russischen Armee fliehen musste. In dem Gebiet der späteren DDR, der ›Deutschen Demokratischen Republik‹ fand er eine neue Heimat. Wenn auch diese Flucht nachhaltige Spuren bei ihm hinterlassen hatte, so rechtfertigt dies in keiner Weise sein späteres Verhalten gegenüber Frau und Kindern. Als Volkspolizist der ›kasernierten Volkspolizei‹ (KVP) lernte er im fernen Erzgebirge seine spätere Frau Helene kennen.

    Helene wuchs als Tochter eines Unternehmerehepaares und Nichte eines durch und durch überzeugten Nazis auf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste auch sie zusammen mit ihrer Mutter Luise aus ihrer Heimat, dem Sudetenland fliehen.

    Hierbei handelte es sich um einen überwiegend von Deutschen bewohnten Gebietsstreifen auf dem Staatsgebiet der Tschechoslowakei, der 1938 von Nazi-Deutschland besetzt wurde, gerade hier waren die fanatischsten Anhänger der Nationalsozialisten zu finden.

    Das Verhältnis Helenes zu ihrer Mutter Luise zeigte sich, mit Abstand betrachtet, durchweg als problematisch, was wohl auf die Doktrin der emotionslosen Erziehung zurückzuführen scheint. Dieselbe Erziehungsmethode übertrug Helene später auf Peter.

    Sie musste, mit ihrer Mutter, 1945 im Alter von 10 Jahren ihre Heimat von einem Tag auf den anderen verlassen und wurde ins heutige Sachsen vertrieben. Eigenen Angaben zufolge sollte die zehnjährige Helene nicht das Schicksal zehntausender anderer Mädchen und Frauen teilen, eine Vergewaltigung durch die neuen Machthaber blieb ihr erspart.

    Nachdem sich die Eltern kennengelernt hatten, wurde Helene bereits kurze Zeit später schwanger. Beide mussten heiraten, um eine Wohnung von staatlicher Seite zugewiesen zu bekommen. Der Erstgeborene kam als Bürger der ›Deutschen Demokratischen Republik‹(DDR) zur Welt.

    Im Herbst 1959, vor dem Bau der Berliner Mauer, reiste Helenes Mutti, Luise, mit ihrem Enkel Ludwig per Interzonenzug und entsprechendem Visum nach Hof in Bayern.

    Rentner und kleine Kinder durften zu diesem Zeitpunkt aus der DDR in den Westen ausreisen.

    Hintergrund, dass die Kommunisten Rentner ziehen ließen, war für die Machthaber in der DDR, auch Ostzone genannt, Ruheständler waren wirtschaftlich wertlos. Im Gegenteil kosteten sie dem Staat Geld in Form der Rente, Gesundheitsvorsorge und vieles mehr. Die Machthaber hofften darauf, dass die Rentner im Westen bleiben würden.

    Am Bahnhof von Hof, mit Enkel und Koffer angekommen, wurden sie bereits von Onkel Edwin erwartet. Ihre vorläufige Heimat sollte der fränkische Ort Hausen werden. Zwei Tage später bestiegen die Eltern den Zug von Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) in die Hauptstadt der DDR nach Berlin. Mit leichtem Gepäck und immer die Angst im Nacken überquerten sie die Sektorengrenze. Eine Überprüfung hätte das Ende der Flucht bedeutet und zur Verhaftung mit anschließender langjähriger Zuchthausstrafe geführt.

    In Berlin angekommen gingen sie zu Fuß über die Sektorengrenze vom russischen Bereich nach West-Berlin, in den amerikanischen Sektor, hinüber in die Freiheit. Wie bereits erwähnt stand zu diesem Zeitpunkt der ›Antifaschistische Schutzwall‹, wie er offiziell in der Deutschen Demokratischen Republik hieß, bislang nicht. Nach der Registrierung im Berliner Notaufnahmelager Marienfelde ging es direkt zum damaligen Flugplatz Berlin-Tempelhof. Von hieraus wurden sie auf Staatskosten, nach Frankfurt a.M. ausgeflogen. Am Frankfurter Flughafen angekommen, wurden beide bereits von Onkel Edwin erwartet, dessen Familie erst einmal Unterschlupf gewährte.

    Jetzt kamen noch Peters Eltern dazu, auf engstem Raum wurden sie, die vier notdürftig untergebracht, es war erst einmal ein Provisorium. Nach einigen Monaten fand seine Oma Luise eine kleine Wohnung bei Nachbarn und die Eltern zogen in eine Neubauwohnung in einer anderen Ortschaft, 12 km entfernt.

    Zu dem Zeitpunkt war Peter bereits unterwegs. Laut Überlieferung muss sich wohl der vierjährige Ludwig dahin gehend geäußert haben, »Wenn das Baby auf der Welt ist, dann hacke ich ihm den Kopf ab.«

    Im Nachhinein betrachtet, lässt es die Vermutung zu, dass er, der Bruder schon damals vom Vater, der in immer abfällig Heini nannte, sich stark zurückgesetzt fühlte.

    Noch in den 1960er-Jahren wurde in der Schulliteratur, Heini als Synonym für einen Mann mit Lernschwierigkeiten, einen jungen Mann mit geistiger Behinderung oder wie man damals umgangssprachlich und abwertend sagte, ein ›Dorfdepp‹, bezeichnet.

    Außer Spesen nichts gewesen

    Peters Vater war im höchsten Maß unberechenbar, ein Choleriker, jähzornig, sehr leicht erregbar und unbeherrscht. Er konnte gut gelaunt sein, doch reichte oft ein nichtiger Anlass, um ihn explodieren zu lassen. Er terrorisierte die ganze Familie. Nicht nur das, seine sadistische Ader zeigte sich immer wieder aufs Neue. So zum Beispiel als Ludwig seinem Bruder Peter ins Gesicht schlagen musste, damit er, der Vater, ein gelungenes Bildmotiv von seinem weinenden Sohn bekam. Für das

    Familieneinkommen sorgte in erster Linie die Mutter. Wenn er es nur auf einen marginalen Verdienst brachte, so gab er das Verdiente wieder für seine Eskapaden aus. Vater hielt es aufgrund von fehlender Anpassungsfähigkeit, in Verbindung mit dem erforderlichen Durchhaltevermögen bei keinem Arbeitgeber lange aus.

    Lassen wir jetzt Peter selbst zu Wort kommen.

    Die schlimmsten Zeiten, während denen bei mir die blanke Angst regierte, waren die, in denen Jochen, unser Erzeuger, täglich zu Hause war, oder man immer mit seinem Auftauchen rechnen musste. Nach mehreren Jobs wechselte er zum Vertreter, an sich nichts Verwerfliches. Wie erfolgreich er in diesem Beruf war, konnte man an seinem Lieblingsspruch erkennen, den er nur allzu oft nutzte, wenn er am Wochenende heimkam, ›außer Spesen nichts gewesen‹. Es sollte heißen, keine Umsätze von Bedeutung, nur Verpflegungsund Übernachtungsgeld. Die Hauptgründe, warum ihm der Beruf des Reisenden so gut gefiel, waren wohl diese, er war ein leidenschaftlicher Autofahrer, zudem konnte er einem weiteren Hobby nachgehen. Es handelte sich um sein Steckenpferd, alles rund um seine ausgefallenen sexuellen Fantasien, der körperlichen Liebe, Spiele rund um die Lust und Begierde. Dass er auf die ausgefallensten Praktiken stand, war grundsätzlich in Ordnung. Variationen, die er mit seiner Ehegattin nicht ausleben konnte, holte er sich in dem horizontalen Gewerbe, in Cabarets und sonstigen Etablissements. Die moralische Frage war die ureigene Sache zwischen Vati und Mutti und soll hier nicht thematisiert werden. Wie leidenschaftlich führte er seine Erzählungen gegenüber uns Kindern, sechs und elf Jahre, aus. In den jungen Jahren meines Lebens konnte ich das Gehörte nicht einordnen, geschweige denn verarbeiten, dies gelang mir erst Jahre später.

    Vati liebte den Ledergürtel

    Wichtiger als das Wohl ihrer Familie war das, was Andere über Helene und uns denken mochten. Ihre Denkweise war im weiteren Verlauf verantwortlich für viele Konflikte zwischen ihr und mir. Der Schein stand ihr Leben lang über dem Wohl ihrer Familie. Versorgt wurden wir Jungs mit allem für das Leben notwendige. Wärme, Liebe, Geborgenheit und Zuneigung konnte sie nicht geben, dafür dominierten Kälte, Distanz und Abweisung. Allein auf emotionaler Ebene war meine Kindheit die Hölle. Liebe und Wärme erfuhr ich einzig durch meine Omi Luise.

    Wenn wir Jungs vom Vater, wie so oft verprügelt wurden, verhielt sich Mutter ruhig, sie verließ den Raum, damit sie selbst verschont blieb. Wir waren ihr Airbag, ihr Schutzpanzer, der sie vor Schlägen unseres Haustyrannen schützte. Allein dieses Bewusstsein lässt mir noch heute die Wut emporsteigen.

    Eine Lieblingsbestrafung war eine folgende, wir mussten uns mit heruntergelassener Hose und nacktem Hinterteil bäuchlings auf den bereitstehenden Hocker legen. Wenn der Vater dann seinen Ledergürtel aus der Hose zog, um ihn dabei knallen zu lassen, spätestens dann begannen meine Nerven verrückt zuspielen, ich zitterte und schlotterte am ganzen Körper, bekam panische Angst. Wenn ich aus heutiger Sicht darauf blicke, kann man meinen damaligen Zustand als Todesangst benennen. War er, der Tyrann, wieder einmal besonders pervers drauf, dann ließ er zwischen den einzelnen Hieben eine Weile vergehen, bis der nächste Schlag mich traf, auf meinen Kinderpopo niederknallte. Zwischendurch ließ er meist einen undefinierbaren Ton aus seinem Mund zischen, der den nächsten Schlag ankündigen sollte. Nun erwartete ich den nächsten Hieb, doch der kam nicht. In dieser Zeit bis zum Aufschlag auf dem kleinen Hintern, ergriffen mich panische Angstzustände. Um das Maß zum Überlaufen zu bringen, musste ich, wenn seine Perversität überhandnahm, jeden einzelnen Schlag mitzählen. Wehe dem, ich brachte, die richtige Anzahl nicht laut genug aus meinem kleinen Mund, dann gab es extra Bestrafung. Die gellenden Schmerzensschreie beim Auftreffen des Ledergürtels auf meinen nackten Hintern hinterließen sichtbare Spuren und konnten von der Hausgemeinschaft nicht überhört werden. Diese Gewalterziehung hinterließ in meinem Gedächtnis tiefe Spuren, sie brannten sich in meinem Kopf ein.

    Wie man heute weiß, gehen solche Exzesse oftmals mit sexueller Lust einher, inwieweit diese Lustempfindungen in seiner Feinrippunterhose Spuren hinterließ, darüber kann ich heute nur spekulieren, will ich dies wissen? Eher wohl nicht!

    Die Backpfeifen, seine Schläge in mein Gesicht, bei denen ich teils durchs Zimmer flog, nahm Mutter als gegeben hin.

    Während andere Mütter sich schützend vor ihre Sprösslinge stellten und Konsequenzen zogen, indem sie die Flucht mit ihren Zöglingen wählten, achtete sie nur darauf, so wenig wie möglich selbst verprügelt zu werden. Wenn auch in den 1960er-Jahren die Frauen geringere Rechte hatten als heutzutage, hätte gerade sie die Möglichkeit gehabt, mit uns Kindern kurzfristig bei ihrer Verwandtschaft unterzukommen.

    Nicht selten war nur sie das Ziel seiner Wutausbrüche und wir Kinder hatten unsere Ruhe. Ruhe…, ist nicht die passende Einordnung, mir ging es nur allzu oft, dass ich mitlitt, dass ihre Schreie mir durch Mark und Knochen gingen, wenn sie auf dem Boden kauernd seinen brutalen Schlägen hilflos ausgeliefert war. Es waren wohl die Anfänge meiner emphatischen Entwicklung, die Fähigkeit, mich tief in die Seele Anderer hineinzuversetzen, die Antenne, die es mir ermöglichen sollte, bereits geringe Anzeichen von Gemütsveränderungen meiner Gegenüber zu erkennen. Seine Attacken sollten mich nachhaltig prägen. Während bei vielen Opfern häuslicher Gewalt, die Kinder als Erwachsene mit ihrem Umfeld in gleicher Weise verfahren, wie sie es selbst erlebten, entwickelte ich mich in eine andere Richtung, in eine bessere. Unseren Frieden, während Mutter ihm hilflos ausgeliefert war, hatten wir als Kinder nur in Form von verschonter körperlicher Gewalt, die Psyche litt jedes Mal mit. Die Situationen waren mehr als belastend für alle. Ich zog mich dann immer ängstlich zurück und hoffte auf ein baldiges Ende von Geschrei und Gewalt. Die Langzeitschäden an der Psyche zeigten sich als nachhaltig. Die Angst war ständiger Begleiter, sie schwang bei mir immer mit, es war egal, wer von uns dreien Prügel bezog. An meine komplette Kindheit kann ich mich heute nicht mehr erinnern, sicherlich hat mein Unterbewusstsein manches für immer in einen Kokon geparkt, um mich vor mir selbst zu schützen.

    Ein einschneidendes Erlebnis, dass mich trotz jahrelanger psychologischer Betreuung noch heute verfolgt, ist eine Begebenheit im Schwimmbad. Es dürfte im Alter von vier bis fünf Jahren gewesen sein, die Familie besuchte an einem heißen Sommertag das örtliche Freibad zum Baden und Planschen. Das Schwimmen hatte ich bis dahin nicht gelernt, so verbrachte Mutti mit mir etwas Zeit am Planschbecken für die Kleinsten. Ihr gefiel es dort nicht, ihr Lieblingsplatz befand sich im Bereich des Schwimmerbeckens mit seinem zehn Meter Sprungturm. Hier konnte sie, von der ausgebreiteten Decke aus, den Springern mit ihren athletischen Körpern hinterher schmachten.

    Mein Vater kam auf die Idee, mit seinem Jüngsten zum Nichtschwimmerbecken zu laufen. Mir gefiel es dort nicht, denn das Bassin war für mich Steppke zu tief, zudem hatte ich bereits eine Vorahnung, ein ungutes Gefühl, schließlich kannte ich Vati. Er nahm mich, den kleinen Mann auf den Arm und ging mit mir an den Beckenrand. Spätestens jetzt wusste ich, was er vorhatte, er wollte mich ins Becken schmeißen. Panik stieg in mir empor, ich schrie um mein Leben, klammerte mich an seinen Hals. Ich sehe sein Gesicht, seine Fratze noch heute vor mir. Den Menschen um uns herum schien dies alles nicht zu interessieren, keiner mischte sich ein, niemand machte dem Spektakel ein Ende.

    Während ich mich an seinem Hals festklammerte, erwischte mich ein Schlag ins Gesicht, wodurch ich reflexartig die Umklammerung löste. Anschließend flog ich im hohen Bogen, um mein Leben schreiend durch die Luft ins Becken. Noch jetzt, während ich diese Zeilen aufschreibe, sehe ich das Wasser um mich herum, ich schnappe nach Luft, ich verschlucke mich, Wasser dringt in meine Lunge. Es beginnt ein Todeskampf, den empfinde ich noch heute, wenn mich meine Albträume aus dem Schlaf reisen. Ich komme hoch, schnappe nach Luft, sinke erneut unter, die Panik verstärkt sich.

    Im nächsten Moment packen mich zwei Hände, es sind die Pratzen meines Peinigers, die mich aus dem Wasser ziehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich, kleiner Mann, mich beruhigte. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich die Angst vor dem tiefen Wasser verlor, das Schwimmen trotz zweier Schwimmkurse nicht erlernte. Immer stand die panische Angst vor dem Ertrinken mir im Weg.

    Mein späterer Klassenlehrer Herr Schmidt, der für mich eine Art Vaterersatz und Mäzen war, ich wünschte mir damals insgeheim, ich wäre sein Sohn, erwies sich für mich als Glückstreffer. Ohne die Hintergründe meiner Kindheit zu wissen, entwickelte sich zwischen uns ein Vertrauensverhältnis. Im Rückblick hat er sicherlich etwas erahnt. Erst durch sein persönliches Engagement brachte er mich zu seinem Verein, der ›Deutschen Lebensrettungsgesellschaft‹, kurz der DLRG. Dort nahm er sich viel Zeit, um mir die Angst vor dem Wasser zu nehmen und das Schwimmen erfolgreich beizubringen.

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