Sika: Ein Wolf bei den Menschen
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Über dieses E-Book
Diese spannende Erzählung schildert die Begegnung und das Zusammenleben der Wöfin Sika mit dem Mädchen Sari und ihrer Familie. Als verlassener Welpe gefunden, wird Sika in die Höhle der Menschen aufgenommen. Fortan teilt sie den harten Kampf ums Überleben mit ihren Menschen.
Ein spannender All Age Roman nach einer Begebenheit in der Steinzeit. Genau so könnte es gewesen sein.
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Buchvorschau
Sika - Bernt-Olov terFehn
Titel
Sika
Ein Wolf bei den Menschen
Berndt-Olov terFehn
Impressum
Copyright: Betts & Atterberry im vss-verlag
Jahr: 2021
Lektorat/ Korrektorat: Hermann Schladt
Covergestaltung: Chris Schilling
Verlagsportal: www.vss-verlag.de
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.
Der Findling
Im Dämmer der Höhle hockte auf einem hohen Stapel verschiedener Felle ein kleines Mädchen so regungslos, als wäre es eine Puppe. Es war Sari, nun schon seit zwei Tagen und zwei Nächten die stolze Hüterin des Herdfeuers. Denn ebenso lange waren die Eltern mit dem Bruder fern, um zu jagen. Jagd, oh, Sari wusste genau, was dies bedeutete! Das verhieß reiche Beute, frisches Fleisch! Das hieß aber auch, dass nun bald der herrliche Sommer ins Land kommen würde, mit Sonne, Wärme und bunten Blumen. Wie freute sich Sari auf diese wunderbare Zeit!
Das Kind warf zwei kleine, trockene Kiefernzapfen in die Glut. Sogleich leckten ein paar Flämmchen an den harzigen Köstlichkeiten. Schon flackerte heller Schein, tanzten Lichtstreifen über die Wände der Wohnhöhle. Eben das hatte Sari gewollt. Den huschenden Lichtkringeln zuzusehen, war ihr liebstes Spiel, wenn sie allein in der Wohnhöhle war.
Bald verrann das Spiel der Lichter wieder um Sari und sie versank abermals in ihre sehnsüchtige Träumerei von Sommer, Sonne und Wärme. Sie würde Fische fangen; sicherlich konnte sie das jetzt schon viel besser als im verflossenen Sommer. Leise lachte Sari vor sich hin, als sie daran dachte, wie ungeschickt sie sich dabei angestellt hatte. Vom Erwachen der Sonne bis zur Zeit der kurzen Schatten hatte sie oft am Bachufer gelegen und mit ihrem kleinen, beinernen Fischstechhaken auf die flinke Beute gelauert. Und wie selten war es ihr geglückt, ein Fischlein aus der Tiefe zu spießen! Nun, jetzt würde das schon anders werden. Noch dazu, da sie Fische doch so gern aß.
Bei dem Gedanken an die schmackhaften Fische merkte Sari, dass sie eigentlich hungrig war. Hurtig sprang sie vom Fellstapel, um nach etwas Genießbarem zu suchen. Es war ja noch Wildpferdfleisch vorhanden; auch eine ganze Bisonkeule hing rauchschwarz und gewaltig von der Decke, doch Sari, das Naschkätzchen, suchte nach Besserem. So sehr sie sich aber auch anstrengte, so hell sie das Feuer auch schürte, um besser zu sehen, den Rest von Mutters getrockneten Beeren fand sie nicht. So musste sie denn ihren Hunger mit einem Brocken trockenen, zähen Fleisches stillen und schlenderte dann, noch kauend, vor die Höhle. Sie wollte Ausschau halten, ob sie vielleicht irgendwo die Eltern erspähen könnte.
Erst jetzt, im Licht der sinkenden Sonne, können wir das Kind genauer betrachten.
Sari mochte etwa sieben oder acht Jahre alt sein. Ihr braunrotes Haar war am Hinterkopf straff zusammengebunden, ihre hellen Augen blinzelten vergnügt in die Welt und ihre Stupsnase schnupperte lustig, wie bei einem Kaninchen. Der stämmige, kleine Körper stak in einem Kittel aus Luchsfellen, der mit einem festen Lederstreifen gegürtet war. Die Beine waren mit Fellgamaschen umwickelt. So konnte auch der beißende Nordwind Sari nichts anhaben.
Nein, Sari fürchtete den kalten Wind nicht. Sie fürchtete überhaupt nichts, solange sie in der Nähe der schützenden Höhle weilte. Denn dort war das Feuer, das jedes Tier so sehr scheute. Sie wusste genau, dass weder der gewaltige Höhlenbär noch der immer hungrige Wolf noch der furchtbare Höhlenlöwe es wagen würden, in den Kreis des Herdfeuers vorzudringen. Dort war man jederzeit sicher.
Erst in der vergangenen Nacht hatte Sari des Löwen Stimme nahe der Höhle vernommen. Aber sie hatte sich nicht gefürchtet, obwohl sie doch ganz allein war! Bloß etwas neugierig war sie gewesen und hatte aus ihrem sicheren Winkel hinter dem Feuer dem gewaltigen Brüllen gelauscht.
Auch jetzt lauschte Sari. Doch jene Geräusche, nach denen sie so angespannt horchte, konnte sie nicht vernehmen. Kein noch so leiser Ton kündete von der Heimkehr von Eltern und Bruder.
Aber etwas anderes drang plötzlich an Saris Ohr. Leises Weinen, als wimmere ein kleines Kind, ließ sie aufhorchen. Nein, das war kein Kinderweinen, es musste ein junges Tier sein, das da so kläglich winselte. Sicher war es ein Tier! Oder doch ein Kind? Aber woher sollte das gekommen sein? Sari wusste doch, dass es hier außer ihnen weit und breit kein menschliches Wesen gab.
Auf jeden Fall war Saris Neugierde geweckt; mit langen Sprüngen eilte sie den steinigen Hang hinab, in die Richtung, aus der das Wimmern gekommen war. Dabei stürzte sie fast über die Reste eines Rotwolfes, die sie in ihrem Eifer übersehen hatte. Aha, hier also lag die Ursache des nächtlichen Löwengebrülls! Dass der Löwe aber mit einem Rotwolf vorlieb nahm, da es doch größeres Wild genügend gab? Vermutlich hatte er bloß Appetit auf die Jungen gehabt, und die Rotwolfmutter hatte ihn wohl bei der Mahlzeit überrascht. Da hatte es dann natürlich Kampf gegeben — und das Ergebnis dieses ungleichen Kampfes lag nun vor Saris Füßen.
Wieder ließ sich das klagende Stimmchen vernehmen. Achtlos stieg Sari über den zerfetzten Tierkörper hinweg, um weiterzusuchen. Schon nach wenigen Schritten war sie am Ziel, das Gesuchte lag vor ihr.
War das aber lieb! Ein flaumiges Wollbündel krabbelte im Gestrüpp der niedrigen Birken, stieß immer neue Klagelaute aus und witterte aufgeregt suchend nach allen Richtungen.
Entzückt kniete Sari auf dem weichen Teppich des noch winterlich braunen Mooses nieder. So etwas Liebes hatte sie noch nie gesehen! Sie wollte gern ein wenig mit dem Flaumbündel spielen und griff vorsichtig nach dem Tierchen.
,,Au!" Schnell zog sie die Hand zurück. Ein kleiner Blutstropfen hing an ihrer Fingerspitze. Welch scharfe Zähne der kleine Wildling hatte! Doch statt sich dadurch entmutigen zu lassen, wollte Sari das hübsche Spielzeug nun erst recht besitzen. Mit raschem, sicherem Griff fasste sie das aufheulende, zappelnde, schnappende und fauchende Tier beim Nacken. So, jetzt mochte es beißen, wenn es konnte! überglücklich drückte Sari ihren Fund an die Brust. Durch ihr Fellkleid konnten weder die kleinen Zähne noch die winzigen Krallen dringen. Vergnügt quiekte Sari auf, als das drollige Rotwolfkind wütend um sich biss.
„Au, au, sisika, sang Sari lachend, während sie dem Wildfang scherzhaft drohte. „Sika
formten ihre Lippen aus dem Schmerzlaut der ersten Berührung und dem zärtlichen Neckton ersten Spieles. „Sika, meine Sika!" sang und jauchzte Sari den Namen ihres neuen Spielzeuges, als sie mit ihm in die sichere Höhle zurückkehrte.
Fürsorglich bettete Sari den Findling im dunkelsten Winkel auf einem Restchen von altem Fell. Ein Stückchen Wildpferdfleisch legte sie in Reichweite. Wie freute sie sich, als das kleine Tier nach kurzer Zeit nutzlosen Gejammers gierig an dem Fleischstück zu saugen und zu knabbern begann.
Als Saris Eltern und der Bruder kurz darauf schwer schleppend von der Jagd zurückkamen, fanden sie das Kind selig mit einem quiekenden Fellknäuel spielend.
Kaum heimgekehrt, begann die Mutter eifrig das Feuer zu schüren. Hochauf loderten die Flammen, aber diesmal achtete Sari kaum auf den tanzenden, flackernden Schein. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Sika, dem Rotwolfkind, das nun ängstlich zu winseln begann. Es fürchtete sich wohl vor dem Feuer. Behutsam und zärtlich wiegte Sari das angstzitternde Fellbündel im Arm.
Nur mit einem einzigen Blick streifte die Mutter das Spielzeug ihres Kindes. Sie schüttelte missbilligend den Kopf. Welch närrischer Einfall, ein Tierjunges in die Höhle zu schleppen! Doch ihr mochte es recht sein, Vater würde schon Ordnung schaffen!
Vorläufig aber war der Vater noch vor der Höhle beschäftigt, die erlegten Tiere in handliche Stücke zu teilen. Ruff, Saris Bruder, half ihm dabei. Hin und wieder betrat er die Höhle und schleppte ein Fleischstück herbei, das Mutter mit starken Tiersehnen an einer Stange festknüpfte, wo es hängen sollte, bis es vom vorbeistreichenden Rauch des Herdfeuers geräuchert und haltbar gemacht worden war.
Nun brachte Ruff die Leber eines der erlegten Tiere. Flink schob Mutter mit einem Prügel die prasselnden Holzstücke zu einem Stoß an der Wand zusammen und fegte mit frischem, feuchtem Reisig die Asche von dem heißen Herdstein. Andächtig sah Sari zu, wie Mutter nun die frische Leber auf dem erhitzten Stein zu knuspriger Bräune briet. Darüber vergaß Sari alles. Sika entglitt ihren Armen, sie merkte es nicht. Der Duft dieses köstlichen Leckerbissen stieg ihr verlockend in die Nase.
Herrlich war das Mahl! Um das Feuer geschart, saß die Familie kauend und schmatzend auf dem steinigen Boden.
Als Sari den letzten Bissen verschluckt hatte, fiel ihr plötzlich ihr kleiner Schützling ein. Sie sprang auf, suchte ihn und kehrte dann mit Sika im Arm in den Familienkreis zurück.
Wenn sie aber gedacht hatte, ihr Vater würde von ihrem Spielzeug entzückt sein, sah sie sich sehr getäuscht. Unmutig zogen sich die buschigen Brauen des Vaters zu einem bösen Strich zusammen, die Stirn runzelte sich unheilverkündend. Ängstlich wich Sari einen Schritt zurück und presste Sika fester an die Brust.
,,Was soll das Vieh in der Höhle?" grollte die väterliche Stimme.
„Es ist so lieb. Bitte, lass mir meine Sika!" bettelte Sari um Gnade für das Rotwolfkind.
„Hinaus mit dem Vieh! herrschte der Vater sein Töchterchen an und machte Miene, nach dem Tier zu greifen. Sofort suchte Sari hinter Mutters Rücken Schutz. Ruff, der gern seinen Gehorsam zur Schau stellen wollte, sprang hinzu, um Sari das Tierchen wegzunehmen. Da begann Sari jämmerlich zu schreien und zu weinen, so dass selbst Vaters Strenge nicht mehr standhalten konnte. Mutter, die zwischen den Geschwistern keinen Streit aufkommen lassen wollte, redete nun begütigend auf den Vater ein: „Lass doch dem Kind den Spaß, Tamu! In ein paar Tagen findet es ein anderes Spielzeug, dann kannst du das Rotwolfjunge aus der Höhle werfen. — Und du, Ruff, laß Sari in Ruhe!
Vater brummte etwas Unverständliches, und Ruff kehrte auf seinen Platz zurück, um in einem unbewachten Augenblick rasch noch zu einem Leberstück zu gelangen.
So war der Friede wieder hergestellt und Sika durfte in der Höhle bleiben.
Ein Bär bedroht Sari
Mittagshitze brütete im engen Talkessel, kein Windhauch bewegte die Gräser. Die dünnen Halme bogen sich unter der Last ihrer reifen Samenkörner. Es war gerade die rechte Zeit, den Reichtum der Wiese zu sammeln, ehe der Wind die reifen Körner aus den Ähren schüttelte.
Dies zu verhindern, war Saris Arbeit, denn sonst wären sie für die Menschen verloren gewesen. Mit einer scharfen Feuersteinklinge schnitt sie die reifen Ähren von den feinen Stengeln der Wildgräser und sammelte sie unermüdlich in ihrem kurzen Röckchen. Von Zeit zu Zeit schüttete sie die geernteten Grassamen auf das ausgebreitete Fell eines Ur-stieres, auf dem sich bereits ein kleiner Hügel wölbte.
Ihr ganz nahe tollte spielselig Sika, Saris ständige treue Begleiterin. Sie war nun schon groß, weit größer und kräftiger als andere Rotwölfe ihres Alters. Glänzender und glatter im Fell, unterschied sie sich vorteilhaft von ihresgleichen. Man merkte ihr schon äußerlich an, dass sie niemals Hunger und Wetterunbill kennengelernt hatte. Dafür dankte sie Sari, ihrer kleinen Ziehmutter, mit rührender Anhänglichkeit. Sari und Sika waren unzertrennliche Freundinnen geworden. Sika wich nicht von Saris Seite. Aufmerksam verfolgten die gelblichen, schrägen Rotwolfaugen jede Bewegung des Kindes.
Doch was war nun? Wie erstarrt blieb Sika auf einem Fleck gebannt stehen. Sofort hielt auch Sari in ihrer Arbeit inne. Was Sika nur haben mochte? Sie konnte doch sonst keinen Augenblick still sein! Nun begann sie mit drollig hochgehobenen Läufen durch das Gras zu stelzen. Wieder stand sie still, um nach kurzem, witterndem Lauschen abermals einige Schritte vorwärtszugehen. Sonderbar sah das aus, Sari musste das