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Der Weg frisst das Ziel: Die Triathlon-Erlebnisse des Weißen Kenianers
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Der Weg frisst das Ziel: Die Triathlon-Erlebnisse des Weißen Kenianers
eBook323 Seiten4 Stunden

Der Weg frisst das Ziel: Die Triathlon-Erlebnisse des Weißen Kenianers

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Über dieses E-Book

Seit einigen Jahren begeistert der ambitionierte Hobby-Triathlet Andi Peichl, in der Szene weithin als "Der Weiße Kenianer" bekannt, fast täglich Blogleser mit der selbstironischen und unterhaltsamen Dokumentation seiner mitunter selbstzerstörerischen Trainings- und Wettkampferlebnisse. Mit derzeit knapp 150 000 Zugriffen und über 1 700 Facebookfans genießt seine Webseite (www.weisserkenianer.com) große Beliebtheit. "Der Weg frisst das Ziel" erzählt von Triathlon-Erlebnissen zwischen Trainingsplanung und Familienleben, Ehrgeiz und Entmutigung, Euphorie und Zusammenbruch. Jeder Ausdauersportler wird nachempfinden können, wie sich der "Weiße Kenianer", getrieben von falschem Stolz und wahrem Größenwahn, immer wieder den größten Herausforderungen bis hin zum Ironman stellt. Mit einem Vorwort von Triathlon-Weltmeister Faris Al-Sultan.
SpracheDeutsch
HerausgeberStiebner Verlag
Erscheinungsdatum8. Nov. 2013
ISBN9783767920095
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    Buchvorschau

    Der Weg frisst das Ziel - Andi Peichl

    Kapitel 1

    Das Begräbnis auf der Aschenbahn

    Mit gesenktem Kopf, zittrigen Beinen und glasigen Augen schlenderte er langsam, sehr langsam von der ab dem heutigen Tag verhassten Aschenbahn¹ Richtung heimatlicher Wohnung, wo seine Liebsten schon auf ihn warteten ... und viel wichtiger, ein voller Kühlschrank. Sie wussten noch nichts von den dramatischen Geschehnissen der letzten Stunden, weder die Familie noch der Kühlschrank. Jeder Schritt schmerzte, die schweißnasse Sportkleidung in unaussprechlichen Farbkombinationen aus den 90er Jahren, die für das Auge des Betrachters schon nahe an eine Körperverletzung herankamen, klebte an seinem geschundenen Körper. Er sah aus wie Silvester Stallone in Rocky I. nach dem Kampf: powered by Caritas Altkleidersammlung. Als großer, strahlender Held wollte er zurückkommen, doch jetzt war er sich nicht sicher, wie er die rund zwei Kilometer Fußmarsch nach Hause überhaupt noch schaffen sollte. Es tat so weh. Es brannte wie Feuer – in den Beinen, der Lunge und vor allem in seiner geknickten Sportlerseele. Was war geschehen? Es hätte doch sein erster, ganz persönlicher Triumphlauf unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden sollen. Quasi die geheime Testfahrt eines neuen Ferraris. Doch es wurde eher zur letzten Fahrt eines Trabis mit verstopftem Vergaser und Abgas-Keuchhusten, den man zum Autofriedhof schieben musste. Dabei wollte er ursprünglich nur ein paar Freunden bei einer leicht verrückten sportlichen Aktivität an einem sonnigen Wochenende zusehen ...

    Wir schreiben das Jahr 2006. 16. Juli, ein heißer Sommertag, 13 Uhr Ortszeit. Mitteleuropa, Österreich. In dem kleinen unscheinbaren obersteirischen Örtchen Wörschach fällt ein Sack Reis um, Milchreis. Wörschach, ein malerischer, verschlafener Ort, der vor allem eines zu bieten hat: viel Natur und dessen Einwohner nicht viel haben, außer weit nach Hause. Über der fast unberührten Landschaft und Bergwelt mit Postkartenidylle thront die mächtige Burgruine Wolkenstein. Wälder und Wiesen sind saftig grün, es riecht nach Bio. Nach echtem Bio, nicht nach dem vakuumverpackten. Hier musste wohl das „Ja-Natürlich-Schweinderl" zu Hause sein. Ein Traum für naturverliebte Wanderer, die den inneren Frieden suchen, ein Albtraum für jeden Partytiger. Doch einmal im Jahr erwacht dieser Ort aus seinem Dornröschenschlaf und das gnadenlose Schicksal nimmt im wahrsten Sinne des Wortes seinen Lauf.

    High Noon. Die letzte Stunde war angebrochen, mittlerweile hielt es am Streckenrand schon längst niemand mehr im Sitzen aus. Standing Ovation für die Gladiatoren, die sich alle – wohlgemerkt freiwillig – in die Arena gestürzt hatten. Masochisten! Jeder Einzelne! Jeder Athlet, der sich noch auf der Strecke voranschleppte, wurde frenetisch beklatscht und lautstark bejubelt. Er stand ebenfalls am Streckenrand, mit seinem Sohn auf dem Arm, und wie vielen auf und neben der Strecke trieb es ihm immer wieder Freudentränen in die Augen. Er wusste nicht recht warum. Jedoch, er wischte sie nicht weg. Er ließ es geschehen. Kollektive Ergriffenheit, Begeisterung und Erschöpfung am Rande der Glückseligkeit. Damals hieß er noch Andi Peichl, war Jungvater, Jungunternehmer und sportlich. Zumindest optisch. Also gewesen. Früher. Damals. Seinerzeit oder wie der Steirer zu sagen pflegt: „Söm. Nüchtern betrachtet war er immer sportlich gewesen und meinte, es noch immer zu sein. Lächerliche 13 Jahre Trainingspause waren doch sicher spurlos an ihm vorüber gegangen. Immerhin war er noch immer groß und halbwegs schlank. Breite Schultern ließen sogar auf mittlerweile etwas verschwommene, frühere „Cornetto-Eistüten-Konturen schließen.

    Zurück nach Wörschach. Genauer zum legendären 24-Stunden-Lauf. Er harrte als Zuschauer bereits seit 24 Stunden samt Sohnemann und Campingbus am Streckenrand aus – und das eigentlich eher zufällig. Also zumindest nicht aus sportlichen Gründen. Vielmehr auf Einladung des noch viel legendäreren Lonely Hearts Clubs aus Neuberg an der Mürz. Ein Männerverein, bei dem längst schon keiner mehr alleine war – weder beziehungstechnisch noch im Oberstübchen. Eine wirklich äußerst liebenswerte Elite-Truppe aus einem Graben im Mürztal, wo zehn Monate im Jahr Winter ist, sieben Wochen Herbst und maximal fünf Tage Sommer, und dennoch sind alle (Männlein und Weiblein) 8760 Stunden im Jahr spitz wie Nachbars Lumpi. Die in den Graben Hineingeborenen – auch „Grabler" genannt, bezeichnen sich selbst auch gerne als „feindselige A-Löcher", was eigentlich nichts zur Sache tut, aber die Neuberger werden uns im Laufe der Geschichte noch einige Male begegnen.

    Jedenfalls hatten 14 der „Grabler" einem der ihren Irren zum 40. Geburtstag die Teilnahme beim Wörschacher 24-Stunden-Lauf mit einer gemeinsamen Mega-Staffel² geschenkt. Und eben dieser Irre der ihren war auch Mitglied einer Theatergruppe, bei der er schon seit einiger Zeit Regie führen durfte. Bei der 40er Feier hatte man ihn auch nach Wörschach eingeladen – zu einem Event, von dem er vorher noch nie etwas gehört hatte. Als Mega-Staffel bekommt man direkt am Streckenrand – einem kleinen asphaltierten Weg, der sich malerisch durch die Wiese schlängelt, einen Zelt- und Wechselplatz samt malerisch ins Feld gepflanztem eigenem Dixi-Klo zugewiesen. In diesem eigenen kleinen Reich darf man als Mega-Staffel nach Herzenslust die Läufer wechseln, essen, schlafen und feiern. Wenn die Grabler einmal die Untiefen ihres geliebten Neubergs verlassen, was außer aus beruflichen Gründen – die meisten sind Pendler – privat selten vorkommt, dann nehmen sie gleich das halbe Dorf mit, damit sie sich auch in der Ferne wie zu Hause fühlen. So rückten sie mit großem Feuerwehrzelt, liebevoll gebastelten Ortstaferln samt Blumenkisterl und zwei Köchen an. Und einer der Neuberger Grabler definierte das Wort Heimschläfer neu. Er hatte sich kurzerhand sein Holz-Bett samt Nachtkästchen in seinen VW-Liefer-Bus hineingezimmert. So wurde wohl auch das erste Wohnmobil erfunden.

    Frei nach „American Pie" hatten die Grabler natürlich auch ihren ganz persönlichen „Heimscheißer mit. Aber die fürsorglichen Neuberger hatten sich für ihr „Heimscheißerchen natürlich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um ihm den Aufenthalt in Wörschach so erträglich wie möglich zu machen. Ohne sein Wissen hatten sie im Zuge der Vorbereitungsarbeiten die Aussicht seines trauten stillen Örtchens in dessen Wohnung vom Topferl aus fotografiert und übergroß ausgedruckt. Dieses Plakat mit der Ansicht seiner Heimklotüre von innen, klebten sie auf die Innenseite des ihnen zugewiesenen Dixiklos und so wähnte sich der „Heimscheißer" bei der morgendlichen Selbstreinigung in Sicherheit.

    Und so gäbe es zu jedem der Grabler eine eigene, kleine nette, aber zum Teil sogar etwas furchteinflößende Geschichte, die jeden einzelnen von ihnen so liebenswert und zugleich abartig macht. Die beiden Beispiele von Heimschläferchen und Heimscheißerchen sollten uns aber als exemplarische Einblicke genügen, denn noch tiefer in die Seele der Neuberger vorzudringen, würde den Rahmen dieses Buches und sämtliche Erkenntnisse von Sigmund Freud sprengen.

    Die glorreichen 14 hatten es sich nach der Startrunde, die natürlich der Jubilar selbst laufen durfte, so eingeteilt, dass jeder immer eine der 2,1 Kilometer langen Runden lief. Nachdem die Grabler zwischen acht und zwölf Minuten für eine Runde brauchten, kam jeder alle zwei bis zweieinhalb Stunden an die Reihe. Und da sind wir auch schon bei Teil 1 des sportlichen Schlüsselerlebnisses des Weißen Kenianers in Ausbildung. Einige der glorreichen 14 waren alles andere als Sportskanonen oder Wunderläufer. Vielmehr hatten sie nur für dieses außergewöhnliche Geschenk an einen der Irrsten unter ihnen ein wenig Lauftraining in der Vorbereitung absolviert. Diese gehörten freilich zur zwölf-Minuten-pro-Runde-Fraktion – und diese waren es auch, die den Ehrgeiz in ihm weckten.

    Besonders erwähnt sei auch noch einer der glorreichen 14, der zwar brav für das gemeinsame Vorhaben trainiert hatte, dann am Tag X aber leider krankheits- bzw. verletzungsbedingt nicht mitlaufen konnte. Er wollte seine Truppe – laufend waren es jetzt leider nur mehr 13 glorreiche Halunken – natürlich dennoch unterstützen und harrte die gesamten 24 Stunden in einem Liegestuhl am Streckenrand aus, ohne auch nur einmal ein Auge zuzutun. Die meisten der unzählige Male vorbeilaufenden Teilnehmer dürften ihn für einen neumodernen übergroßen Gartenzwerg oder die kunstvolle Statue mit dem Titel „Der versteinerte Zuschauer" gehalten haben.

    Um die Faszination nachempfinden zu können, bedarf es wohl noch ein paar näherer Infos zum 24-Stunden-Lauf von Wörschach.

    Seit 1998 verwandelt sich die kleine verschlafene Ortschaft jedes Jahr im Juli für ein Wochenende zum Ultralaufmekka von Europa. 2005 wurden in der 1200 Einwohner zählenden Gemeinde sogar die Ultralauf-Weltmeisterschaften ausgetragen. Der Ansturm auf die Veranstaltung war mittlerweile so groß geworden, dass an diesem Wochenende sogar das Kanalsystem des Ortes zusammenbrach. Deshalb ist man in die Nachbargemeinde Irdning ausgewichen. Irdning ist auch nicht unbedingt eine Weltmetropole, aber offensichtlich zumindest unterirdisch besser erschlossen. Die Regeln des 24-Stunden-Laufes sind denkbar einfach, die abverlangten Leistungen im Gegenzug umso schwerer.

    Es gilt in 24 Stunden – exakt von 14 Uhr samstags bis 14 Uhr sonntags – auf einem vorgegebenen, gesperrten 2,1 km langen Rundkurs, so viele Kilometer wie möglich zu laufen. Meter bzw. Runden sammeln kann man sowohl als Einzelstarter, als Viererstaffel, als auch mit einer Mega-Staffel (fünf bis maximal 24 Läufer). Um in die Nähe eines Sieges zu kommen, muss man als Einzelstarter fast 250 Kilometer, als 4er Staffel an die 320 Kilometer und als Mega-Staffel über 400 Kilometer abspulen.

    Sohnemann Nummer eins – noch keine zwei Jahre alt – startete übrigens im Rahmenprogramm beim Kinderlauf. Nach dem Startschuss hatte er es alles andere als eilig. Erst als er mitbekam, dass im Ziel ein menschengroßes Stoffhäschen mit Schokoriegeln für die kleinen Finisher wartete, gab er gehörig Gas und holte sich seine erste, zuckersüße Trophäe. Dieser besondere Spirit der Veranstaltung zog auch den Kleinen in seinen Bann. Dazu kam, dass er 24 Stunden lang die Laufstrecke vor seiner Nase – auf der sich ständig Menschen tummelten – nicht betreten durfte, ein hartes Verbot, wenn man bedenkt, dass die Kleinen mehr als gerne ihren eigenen Bewegungsdrang ausleben wollen. Wie bereits erwähnt, wurde gegen Ende des Rennens jeder einzelne frenetisch beklatscht und die zahlreichen weiblichen Fans der immergeilen Grabler machten für jeden Vorbeilaufenden, der sich nach fast 24 Stunden noch immer auf den Beinen halten konnte, die Welle. Der Neuberger Jubilar rannte bereits kurz vor 14 Uhr die letzte Runde für sein Team, denn die Schlusssirene wollten alle gemeinsam beim eigenen Wechselplatz vor dem Zelt feiern.

    Die Stimmung entlang der Strecke in den letzten Minuten des Wettbewerbs lässt sich kaum beschreiben. Läufer, bei denen man sich ehrlich gesagt schon bei der ersten Runde gefragt hatte, wie die überhaupt eine einzige Runde überstehen, waren noch immer mit dabei. Manche liefen längst im wahrsten Sinne des Wortes neben ihren Schuhen, die schon lange ihren Dienst quittiert hatten. Ein Läufer oder vielmehr Geher wird dem Weißen Kenianer für immer in Erinnerung bleiben. Er hatte unglaubliche O-Beine, man hatte den Eindruck, er würde auf einem Weinfass daher reiten. Er war geschätzte 60 Jahre alt und startete mit Billigsdorfer Schuhen. Dabei trat er nur mit dem jeweiligen Außenrist auf. Also nicht wie allgemein üblich auf den dafür vorgesehenen Schuhsohlen, sondern das Außengewebe der 20-Euro-Turnschuhe hatte bei jedem Schritt Bodenkontakt und war längst durchgescheuert. Aber nach dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein!", sammelte er im flotten Spaziergänger-Tempo 24 Stunden lang unzählige Runden und ließ so manchen durchtrainierten Sportler, der nach hohem Anfangstempo frühzeitig aussteigen musste in der Endabrechnung weit hinter sich. Überhaupt zeigte die Beobachtung in der Schlussphase der 24-Stunden-Quälerei, dass man bei Ultrawettkämpfen überhaupt nicht nach dem optischen Eindruck der Athleten gehen darf. Zum Teil alles andere als schlanke Damen und Herren waren noch immer im Rennen, wohingegen viele Modell-Athleten längst w. o. gegeben hatten.

    Allerdings – die Top-Läufer der Einzelstarter hoben sich optisch und von Anfang an vom übrigen Feld ab. Aber weniger durch ihre schlanke Statur, sondern eher durch die Art, wie sie über die Strecke schwebten. Alles war auf optimale Ökonomie ausgelegt. Die erfahrenen Ultraläufer schlichen auf leisen Sohlen Runde um Runde an uns vorbei, als wären sie auf einer geheimen Mission. Man hatte den Eindruck, dass sogar jedes Augenzwinkern genau einstudiert war, jede unnötige Bewegung, die wertvolle Energie verschwendet hätte, wurde vermieden. Jeder einzelne Laufschritt schien genau durchdacht und geplant. Er fragte sich, ob Ultraläufer die Strecke auch wie Skifahrer vor dem Lauf im Kopf durchgehen, und wenn ja, wie lange sie da wohl für die Strecke brauchen würden?

    Auffällig waren auch die Top-Läufer der 4er-Staffeln, die am Vormittag des zweiten Tages noch immer ein Höllentempo vorlegten und somit ein einziges 24-Stunden-langes-Überholmanöver liefen. Man hatte den Eindruck, sie hätten ihren Schlusssprint schon beim Startschuss begonnen und zogen ihn jetzt einfach durch, um sich keine Blöße zu geben. Aber auch sie wurden dann letztendlich erlöst.

    Unter den „Überlebenden" befanden sich auffällig viele Damen, die bewiesen, dass das vermeintlich schwache Geschlecht aus sehr zähem Holz geschnitzt ist, wenn es bei sportlichen Höchstleistungen nicht gerade auf Schnelligkeit oder rohe Gewalt ankommt. So waren bei den Mega-Staffeln sechs mixed Teams unter den Top 10.

    Exakt um 14 Uhr ertönte die erlösende Schlusssirene, die gleichzeitig eine völlige Massen-Hysterie auslöste. Egal, ob Läufer oder Zuschauer – alle waren aus dem Häuschen. Für die Top-Läufer hieß die Sirene: sofortiger Lauf-Stopp! Sie blieben wie angewurzelt stehen, denn schließlich galt es für die Offiziellen nachzumessen, wie viele Meter noch zu den vollständig absolvierten Runden fehlten. Für Sohnemann Nummer eins bedeutete die Schlusssirene, dass er endlich das so verlockende verbotene Land – die Laufstrecke – betreten durfte. Was er auch sofort tat. Er lief – gegen die Laufrichtung – ein Stück vom Grabler-Lager weg und sprintete dann an den zahlreichen weiblichen Fans vorbei. Diese brachen natürlich sofort in große Entzückung aus, machten für den Kleinen die Welle und bejubelten ihn mit klatschenden Händen und Muttergefühlen. Soviel Begeisterung spornte Sohnemann Nummer 1 natürlich erst recht an, er wiederholte das Spielchen noch zig Male und seine Fans am Wegesrand wurden nicht müde, ihn anzufeuern.

    Als besondere Draufgabe für ein ohnehin schon perfektes Vater-Sohn-Kumpel-Sportwochenende wollte es der Zufall, dass der Sieger im Einzelwettbewerb, der Ungar Blaho Akos, genau vor dem Zelt der Neuberger zu stehen kam. Sofort eilten offizielle Helfer aus dem Organisations-Team zum diesjährigen „König von Wörschach und fragten ihn, ob sie ihm irgendetwas bringen könnten. Und was antwortete der Ultraläufer aus Budapest, nachdem er in 24 Stunden fast ohne Pause 245,21 Kilometer gelaufen war? „Just a cold beer please! Das ließen sich die Grabler – die daneben standen – natürlich nicht zweimal sagen und in Nullkommanichts hatte der gute Mann ein kühles „Puntigamer" in den Händen.

    Die Grabler schafften übrigens stolze 324,24825 Kilometer, eine für Hobbysportler eigentlich unglaubliche Leistung. Den einen oder anderen fehlenden Trainingskilometer hatten sie mit Teamgeist und guter Stimmung locker wettgemacht. Sie absolvierten 139 Runden und belegten bei den Mega-Staffeln den ausgezeichneten zwölften Gesamtrang von 79 Staffeln. Bei den reinen Männerstaffeln reichte es sogar für Rang 5.

    Schwer fasziniert von der gesamten Veranstaltung und vor allem von der Massen-Euphorie in der letzten Wettbewerbsstunde grub er bereits am nächsten Tag zu Hause seine alten Hofer Turnschuhe powered by Österreichisches Bundesheer aus und pilgerte zur alten Aschenbahn in seiner Heimatstadt. Der Plan denkbar einfach: Fünf Runden à 400 Meter in zwölf Minuten laufen. Das Ergebnis undenkbar niederschmetternd: gute 15 Minuten! Was heißt gute 15 Minuten? Nach einer endlos langen, qualvollen Viertelstunde hetzte er (aus der Innensicht) bzw. schlich er (aus der Außensicht) noch immer mit hochrotem Kopf über die Aschenbahn. Am liebsten wäre er selbst zu Staub zerfallen, als er nach 16 und ein paar zerquetschten Minuten endlich die Stoppuhr nach zwei Kilometern abdrücken konnte. Eine Pulsuhr hielt er damals Gott sei Dank noch für ein unerschwingliches Hightech-Gerät von der Krankenkasse für Herzinfarktpatienten. Schade, denn er hätte sicher den Pulsweltrekord gesprengt oder zumindest eine gesundheitlich sehr bedenklich hohe Schlagzahl erreicht. Kurz zum Rennverlauf selbst: Er sprintete völlig übermotiviert los und war bereits nach der ersten Hälfte der ersten Runde völlig am Anschlag. Die restlichen viereinhalb Runden standen dann unter dem Motto: „Stirb langsam!" Und das tat er auch. Übrigens eine Renntaktik, die ihn noch lange begleiten sollte – und die er genau genommen bis zum heutigen Tag noch nicht abgelegt hat.

    Unendlich langsam zogen die wohl längsten 16 Minuten seines Sportlerlebens an ihm vorüber. 16 Minuten – ein Schnitt von acht Minuten pro Kilometer. Hätte er schon damals gewusst, wie unglaublich mies diese Zeit selbst für 90-Jährige übergewichtige Kettenraucher mit fingerdicken Krampfadern ist, hätte er einen hysterischen Weinkrampf bekommen – so weinte er nur still vor sich hin und schlich mit gesenktem Kopf sowie vor Schmerz brennenden Beinen und glasigen Augen heimwärts.

    Zu Hause hatte er mit seinem ersten After-Ausdauer-sport-Fress-Flash wenigstens eine nennenswerte sportliche Höchstleistung an diesem sonst so traurigen Tag. Aber nachdem er den Kühlschrank auf ex leergefuttert hatte – was übrigens schon bald zu seiner Standard-After-Trainings-Einheit werden sollte – beschloss er, die Flinte nicht ins Korn bzw. die Laufschuhe in den Biomüll zu werfen, sondern vielmehr so schnell wie möglich wieder der sportliche Typ zu werden, der er noch immer zu sein geglaubt hatte.

    Noch sollte es ein weiter Weg werden bis er zum Weißen Kenianer mutieren würde. Noch sollte er viele Irrwege beschreiten und befahren müssen. Aber die ersten schmerzvollen Schritte waren getan, und es würden noch viele folgen. Schritte und Schmerzen!

    1  Sportstadien älteren Semesters haben rund um das Fußball-Feld noch eine Aschenbahn, auf der die Laufwettbewerbe abgehalten werden. Moderne Stadien haben meist eine Tartanbahn.

    2  Bei Wettkämpfen gibt es oft Staffeln mit 3, 4 oder 10 Startern, die sich abwechseln dürfen. Bei einer Mega-Staffel sind es 10 Starter, die sich z. B. bei einem Ultralauf-wettbewerb die Distanz unter einander aufteilen.

    Kapitel 2

    Präbichl – Schicksalsberg und Erzfeind

    Nach dem läuferischen Begräbnis auf der Aschenbahn sank die Lust auf weiteres Gerenne gegen Null. Auf stundenlanges Training zwischen Michelin-Männchen in Clownhosen und Muscleshirts samt Monsterakne auf ihren kleiderschrankbreiten Rücken oder in nach Schweiß und Testosteron riechenden Fitnesscentern verspürte er ebenfalls keine Lust. Da war seine Motivation schon vor der ersten Einheit auf dem Nullpunkt. Seine Bodybuilding-Zeit hatte er mit dem Ende der Pubertät (falls es bei Männern so etwas überhaupt gibt) beziehungsweise mit der Matura quasi abgeschlossen. Außerdem war es schließlich der Ausdauersport, der ihn in Wörschach in seinen Bann gezogen hatte. Also besann er sich auf die Zeit, als er früher – also „söm" – mit dem Rennrad die Gegend unsicher gemacht hatte.

    In der Siedlung, in der er aufgewachsen war, hatten zwei seiner Jugendfreunde Rennräder bekommen. Das hatte in der Clique einen regelrechten Boom ausgelöst, bei dem er natürlich auch mit dabei sein musste. Sein Vater kaufte ihm seinen ersten Renner im typischen Bianchi³-Türkis. Mit diesem Renner, der noch immer als Heimtrainer im Fitnessraum seines Vaters gute Dienste leistet, zog er fast täglich nach der Schule seine Runden – und schon bald feierte er bei cliqueninternen Ortstafelsprints erste Erfolge. Bei einer Trainingsausfahrt wurde er sogar vom Obmann des örtlichen Rennrad-Klubs entdeckt. Das hatte dazu geführt, dass er in der Jugend-Klasse sogar eine Saison lang Rad-Rennen bestritt, ehe er dann beschloss, dass er den exquisiten Genuss, sein Frühstücks-Müsli bei jedem hartem Anstieg im Rennen ein zweites Mal essen zu müssen, nicht länger brauchte. Kleine Anmerkung: Rückwärts schmeckt übrigens jedes Müsli gleich, egal ob Bircher oder Hofer. Aber nun fiel ihm ein, dass im Keller noch das alte Rennrad seines Vaters irgendwo rumstehen müsste. Ein Stahlrenner, ein wahrer Klassiker mit Schalthebeln direkt am Rahmen. Er hatte zwar schon davon gehört, dass es mittlerweile neue Werkstoffe wie Aluminium und sogar Carbon geben sollte, aber aus der Nähe hatte er solche neumodernen Hightech-Räder noch nicht gesehen. Auch sagte ihm der weise Spruch seines späteren Stammeshäuptlings „Am Material darf es nicht scheitern!" noch nichts. Ein Mantra, das ein paar Jahre später zu seinem täglichen Abendgebet werden sollte ...

    Nachdem er in den Untiefen seines Kleiderschrankes gewühlt hatte, wurde er unter einem nicht mehr ganz modischen Spencer-Sakko samt lila Bauchbinde fündig. Da lagen gut vergraben noch einige Relikte leicht verwaschener Sportbekleidung, die wohl auch nicht mehr unbedingt „state of the art" waren. Also schnell die Motten aus den Teilen geschüttelt und rein in die Zeitreise-Teile. Na bitte: Die alte Radler-Hose passte sogar noch und das Trikot war jetzt endlich zum ersten Mal auch wirklich so eng anliegend, wie es in Sachen Aerodynamik schon vor 15 Jahren hätte sein sollen! Die Tatsache, dass zu seiner Rennradzeit die Helmfrage noch nicht einmal diskutiert wurde, und er im Rennen einen extrem stylishen Arbö-Kunstleder-Sturzring in rot-weiß-rot tragen musste, machte ihm doch schmerzhaft bewusst, dass es schon einige Zeit her war, dass er seinen Hofkumpels, die schnell das Interesse am neuen Modesport wieder verloren hatten, um Längen davon gefahren war. Parallel infizierte er sich natürlich auch mit dem Tour-de-France-Fieber. Damals, als Miguel Indurain⁴ der „Tourminator" war: Ein ruhiger, sympathischer Spanier mit acht Liter Hubraum (Lungenvolumen), dem Ruhepuls eines seit Jahren dauermeditierenden Shaolin-Mönchs und einem permanenten Dauergrinsen im Gesicht. Mit diesem stets leicht lächelnden Pokerface (Fußnote: angeblich grinste er nicht, sondern hatte nur den Mund immer leicht geöffnet, um besser Luft in seine Megalungen pumpen zu können) fuhr Don Miguel⁵ jeden noch so schweren Berg im Sitzen hoch. Der Mann, der sich nie wirklich anzustrengen schien, ritt keine Attacken, musste seine Feinde und Helfer nicht mit ständigen Tempowechseln oder Verschärfungen aufreiben, nein, er fuhr bergauf einfach gleichschnell weiter, als wäre er von der Schwerkraft befreit. Betrieb er etwa Heliumdoping? Hatte er deswegen so riesige Lungenflügel, weil sie vor jedem Berg über seine Trinkflaschen mit Helium vollgepumpt wurden? Und war er deswegen stets so wortkarg, weil ihn die hohe Micky-Maus-Stimme sonst sofort verraten hätte?

    Jedenfalls fuhr er bei den Bergetappen über Alpen und Pyrenäen gnadenlose Ausscheidungsrennen, bei denen man den Eindruck hatte, er fuhr einfach sein Wohlfühltempo und ein Konkurrent nach dem anderen brach ohne einen von außen ersichtlichen Grund einfach weg.

    Dieses Tour-Fieber hielt jahrelang an, wobei er immer öfter fünf Stunden auf der TV-Couch statt im Sattel verbrachte. Wund liegen – statt sich das eigene Hinterteil beim Grundlagen-Training am Sattel wund zu reiben.

    Doch leider hatte ihn die leidige Dopingseuche in den letzten Jahren gründlich von seinem Tour-Fieber geheilt. Und spätestens seit man auch noch „seinen" Lance demontiert hatte, stand sein Entschluss fest, sich keine Minute eines Wettbewerbs mehr anzusehen, bei dem der Sieger erst zehn Jahre später wirklich feststehen würde. Allerdings auch nur dann, wenn sich überhaupt einer finde sollte, dem man den Sieg bedenkenlos vererben kann beziehungsweise der sich das Erbe anzunehmen traut. Denn der neu ernannte Sieger muss davon ausgehen, dass sich die gierigen Dopingjäger mit Hang zur Selbstverwirklichung sofort auch auf dessen uralte Blutproben stürzen, um ihm dann das nachzuweisen, was sie vorher – während seiner aktiven Zeit – ein Jahrzehnt lang nicht geschafft hatten.

    Und da kam mir folgender Gedanke: Ich rufe meine Volksschullehrerin an und frage sie, ob ich den Dreier in Deutsch aus der ersten Klasse doch noch ausbessern könnte. Denn jetzt – mit Google und automatischer Rechtschreibprüfung würde ich sicher eine bessere Note schaffen. Leider ging der Schuss nach hinten los, denn meine Volksschullehrerin hatte daraufhin meine Tests noch einmal kontrolliert – und nach der neuen Rechtschreibung hagelte es nachträglich Fünfer um Fünfer für mich. Jetzt wird mir die Volksschule aberkannt. Gymnasium und Handelsakademie werden noch entscheiden, ob sie mir den Pflichtschulabschluss und die Matura ebenfalls streichen. Aber was das Schlimmste ist:

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