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Der Maler mit dem Goldfisch: Kriminalroman
Der Maler mit dem Goldfisch: Kriminalroman
Der Maler mit dem Goldfisch: Kriminalroman
eBook319 Seiten4 Stunden

Der Maler mit dem Goldfisch: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Der bislang mäßig erfolgreiche Maler Armin Brucker-Auer wird durch Zufall als ‚Maler mit dem Goldfisch‘ berühmt und zum Star der Wiener Kunstszene. Er genießt Frauen, Ruhm und Wohlstand, bis ihn die Ermordung seiner Galeristin in den Sumpf des organisierten Kunsthandels zieht. Von der Polizei verdächtigt und von einer internationalen Verbrecherorganisation verfolgt, dreht Armin mit seinen Mitstreitern den Spieß um und wird vom Gejagten zum Jäger. Was als Satire beginnt, wird zum bis zur letzten Seite ein spannenden Krimi.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum14. Juli 2021
ISBN9783990741481
Der Maler mit dem Goldfisch: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Der Maler mit dem Goldfisch - Rainer Siegel

    Prolog

    Klemens stieg von seinem Motorrad und hebelte es auf den Ständer. Er stellte die Maschine nie auf die Seitenstütze, um zu vermeiden, dass Öl in den linken Zylinder floss und durch den Unterdruck im Brennraum in den Zylinderkopf gesaugt wurde, was beim Starten zu einer hässlichen blauen Ölfahne aus dem Auspuff führen würde. Er war stolz auf sein Motorrad, eines der letzten klassischen Modelle von BMW, das er seit über 20 Jahren fuhr und das trotz seiner bemerkenswerten Laufleistung keine Anzeichen von Altersschwäche zeigte.

    Beruhigend knisterte der auskühlende Motor. Klemens hatte den Tag freigenommen und einen Ausflug in das Mühlviertel unternommen, sein bevorzugtes Nahziel, und sich mit seinem Motorrad auf wenig befahrenen Straßen vergnügt. Das Standgas der Maschine war ein wenig instabil. Er würde in den nächsten Tagen das Ventilspiel einstellen, was dank der simplen Machart des Motors auch für einen Juristen eine lösbare Aufgabe war.

    Ein paar Meter oberhalb des Parkplatzes verlief ein Wanderweg, an dessen Rand einige Bänke standen. Klemens setzte sich auf eine und ließ sich die spätsommerliche Sonne ins Gesicht scheinen.

    Morgen Vormittag würde der richterliche Untersuchungsbefehl auf seinem Tisch liegen, und unmittelbar darauf würde die Polizei zuschlagen. Susanne würde nicht an dem Einsatz teilnehmen, aber ihr Chefinspektor hatte eine hochwertige Truppe aufgestellt. Sie würden sich Zugang zu dem Lagerhaus verschaffen und endlich handfeste Beweise gegen den organisierten illegalen Kunsthandel in Österreich in Händen halten. Endlich würden Namen fallen. Er war den Mistkerlen schon lange auf der Spur, doch immer waren sie schneller als er gewesen. Nicht schlauer, aber besser organisiert und im Gegensatz zu ihm als Staatsanwalt weder dem Gesetz noch irgendeiner Form von Gewissen verpflichtet.

    Er hatte eine Reihe von Teilerfolgen erzielt, viele Indizien gesammelt und den einen oder anderen Straftäter vor Gericht gebracht. Gemessen an dem Ausmaß der Transaktionen der Organisation waren dies Tropfen auf dem heißen Stein, doch Schritte in die richtige Richtung.

    Klemens atmete tief und ruhig. Eine stille Zufriedenheit erfasste ihn. Er sah über die Hügel, auf den Wald und die unter ihm verlaufende Straße. Zwei weitere Motorradfahrer fuhren vorbei.

    Ein Blick auf die Uhr sagte Klemens, dass er sich langsam wieder auf den Weg machen sollte, wenn er wie versprochen mit Carolin und Niki das Geburtstagsessen für Susanne vorbereiten wollte. Er hatte noch eine seiner Lieblingsstrecken vor sich, die ihn fast wieder zurück nach Linz bringen würde. Er zog seine Jacke an, setzte den Helm auf, verschloss ihn sorgfältig und streifte die Handschuhe über. Er sollte bei der nächsten Tankstelle sein Visier reinigen und auch den Tank füllen, dachte er. Wie gewohnt sprang der Motor auf den ersten Knopfdruck an. Klemens mochte das Gefühl, wenn die in Fahrtrichtung liegende Kurbelwelle das Motorrad bei kleinen Gasstößen zunächst um die Längsachse nach rechts bewegte. Fast als würde die Maschine leben. Er legte den ersten Gang ein, ließ die Kupplung kommen und gab Gas.

    Eine seltsame Stelle für eine Verkehrskontrolle, dachte er, als ein Polizist ihn vor einer ungesicherten Linkskurve anhielt. Vielleicht war weiter vorne ein Unfall geschehen und der Beamte wollte ihn warnen. Klemens hielt sein Motorrad an und folgte der Anweisung des Polizisten, abzusteigen. Er öffnete den Reißverschluss der Jacke, um nach seinen Papieren zu greifen, als starke Arme ihn von hinten festhielten. Er spürte etwas Schweres im Nacken. Jemand packte seinen Helm und riss seinen Kopf nach hinten. Das Krachen seines brechenden Genicks war das Letzte, das er auf dieser Welt hörte.

    Teil 1

    Wien

    Armin Brucker-Auer war Maler. Genau genommen hatte er sich bis vor nicht allzu langer Zeit wie ein Maler gefühlt. Heute war er sich in dieser Frage nicht mehr so sicher.

    Nicht nur dass er in den vergangenen Wochen keinen Pinsel angerührt und das Atelier nur sporadisch aufgesucht hatte, gestern hatte auch noch die Assistentin seiner Galeristin ein längeres Telefonat mit ihm geführt. Sie hatte erst ein wenig um den heißen Brei herumgeredet, festgestellt, dass schon seit über einem halben Jahr keines von Armins Bildern mehr verkauft werden konnte, dass der Markt sich verändert habe, dass es in einer Stadt wie Wien bei der vielen Konkurrenz ohnehin schwierig sei, und dass es ja so viele Talente gebe, die auch eine Chance verdient hätten.

    Kurzum, Armin war nach über sechs Jahren Zusammenarbeit von seiner Galeristin gefeuert worden. Es hingen noch vier Bilder in der Galerie, die abzuholen er ersucht wurde. Er solle sich jedoch beeilen, da der Platz benötigt wurde und man sich ja nicht unbedingt die Arbeit machen müsse, die Bilder ins Lager zu räumen, wenn sie ohnehin abgeholt würden, das wäre ja unsinnig, nicht wahr?

    Armin hatte das ganze Gespräch hindurch geschwiegen. Es gab ohnedies nichts zu diskutieren, und er wollte mit der schlecht bezahlten, nicht einmal fest angestellten Assistentin nicht streiten, das war unter seiner Würde. Erst als er gefragt wurde, ob man mit der Abholung der Bilder noch in der laufenden Woche rechnen dürfe, hatte er ein einfaches, tonloses »Ja« ausgestoßen.

    Eine Stunde nach dem Gespräch klingelte das Telefon abermals, doch Armin machte sich nicht die Mühe, abzuheben. Aus dem Anrufbeantworter hatte er Reginas Stimme gehört, die ihm kurz angebunden mitgeteilt hatte, dass sie die Beziehung beenden wolle und er das Apartment verlassen solle.

    Er hatte die Nacht über kaum geschlafen. Er saß allein in der eleganten Altbauwohnung im dritten Bezirk und dachte über sein Leben nach. Wenigstens über sein zukünftiges Leben zwang er sich den Kopf zu zerbrechen, denn die vergangenen neununddreißig Jahre waren nicht so erfolgreich gewesen, dass sich ausgiebige Gedanken darüber lohnten. Wahrscheinlich sollte er nicht länger in Wien bleiben, die Stadt bot ihm zu wenige Möglichkeiten. In Graz, der Stadt seines Studiums, hatte er sehr gute Kontakte, und die Steiermark galt ja allgemein als künstlerfreundlich. Er kannte Galeristen und Kunsthändler und, wichtiger noch, den einen oder anderen bedeutenden Namen in der Kulturpolitik. Mit seinen Aufenthalten in verschiedenen europäischen Metropolen und dem Studium in den USA – immerhin für ein ganzes Jahr hatte er in den Neunzigern ein Stipendium bezogen – sollte es doch gelingen, als der verlorene Sohn nach Hause zurückzukehren und die Kunstszene zu beleben.

    Armin blickte sich in der Wohnung um. Seit er hier eingezogen war, nahm er jetzt, wo er gehen sollte, zum ersten Mal die Dinge bewusst wahr, die in den letzten Monaten sein Zuhause gebildet hatten. Die kleine Küche war chic und teuer eingerichtet. Edelstahl und irgendein dunkles Holz, das sich sehr gediegen anfühlte, wenn man mit den Fingern darüberstrich. Designerkühlschrank im Stil der Fifties, eine Espressomaschine, die nur mit den sündhaft teuren Kaffeekapseln eines angesagten Herstellers funktionierte, und Jalousien, die sich automatisch dem Sonnenstand anpassten. Er hatte diesen Mechanismus gleich am ersten Tag seines Aufenthalts außer Kraft gesetzt, wenn auch unbeabsichtigt.

    Die Wohnzimmereinrichtung bestand aus einem Esstisch mit vier Stühlen, einer großzügigen Ledergarnitur und einem beeindruckenden Ensemble aus Unterhaltungselektronik, in dessen tiefere Funktionen Armin nicht eingedrungen war.

    Natürlich war es nicht seine Wohnung, noch nicht einmal eine sogenannte gemeinsame. Sie gehörte seiner Freundin, die obendrein eine enge Freundin seiner ehemaligen Galeristin war. Er hatte Regina, eine unglaublich selbstbewusste Frau, auf einer Vernissage kennengelernt. Er war der einzige Mann ohne Begleitung gewesen, der sich nicht sofort für die ebenfalls solo erschienene Frau interessiert hatte, und das hatte den Jagdtrieb der Dame geweckt. Sie schleppte Armin noch am selben Abend ab. Wenige Tage später verließ er die WG, in der er seit seiner Ankunft in Wien gelebt hatte, und zog bei ihr ein.

    Regina war nun schon seit Wochen verreist, irgendein Auftrag ihrer Firma für einen Kunden in Asien. Sie hatte bisweilen angerufen und sich erkundigt, wie es ihrer Wohnung gehe. Meist hatte Armin sie auf den Anrufbeantworter sprechen lassen, und sie hatte sich nicht beklagt.

    Wie immer war die Wohnung wie geleckt. Regina hatte eine Putzfrau engagiert, die an zwei Tagen in der Woche alles sauber machte, was auch nur den geringsten Anschein von Verunreinigung zeigte. Armin pflegte währenddessen das Haus zu verlassen und spazieren zu gehen oder sein Atelier aufzusuchen.

    Er warf einen Blick auf die Datumsanzeige seines Handys. Nicht dass es grundsätzlich wichtig für ihn war, welcher Tag gerade war. Es war vielmehr so, dass er mit dem heutigen Tag sein Leben ändern musste.

    Er hatte seinen Koffer gepackt, die von der Putzfrau ordentlich gewaschenen und gebügelten Kleider sorgfältig verstaut und den Badezimmerschrank von seinen persönlichen Dingen befreit. Seinen einzigen guten Anzug, ebenfalls sorgfältig gebügelt, hatte er der Einfachheit halber angezogen, um ihn nicht in den vollen Koffer stopfen zu müssen.

    Er war marschbereit. Ein letztes Mal sah er sich in dem Apartment um, betrachtete es wie ein Ausstellungsstück, wie eine Theaterkulisse, mit dem gebührenden Abstand und ohne persönliche Gefühle. Es würde ein merkwürdig leichter Abschied werden.

    Als sein Blick ins hinterste Eck des Wohnzimmers schweifte, hielt Armin plötzlich inne und wie ein Keulenschlag traf ihn eine Erkenntnis: Von wegen leichter Abschied! Er konnte nicht einfach verschwinden, sich nicht – mir nichts, dir nichts – aus dem Staub machen wie ein Gauner und das einzige andere Lebewesen, das in dieser Wohnung Unterschlupf gefunden hatte, seinem Schicksal, wahrscheinlich einem qualvollen Tod, überlassen. Dieses andere Lebewesen, ein hilfsbedürftiges, zartes Geschöpf, doch voller Stolz und Würde, hieß Edgar.

    Edgar lebte in einem mittelgroßen, runden Aquarium, schön mit dunklen Steinen ausgelegt und mit einer Wasserreinigungsanlage versehen. Er hatte seine Bewegungen, die ihn oft stundenlang entlang der Wand des Aquariums führten, unterbrochen und sah Armin nun aus großen, ruhigen Augen an. Bestimmt spürte er, dass die Hand, die noch am heutigen Morgen Fischfutter in sein Wasser gestreut hatte, im Begriff war, die Wohnungstür für immer hinter sich zu schließen. Stumm und geduldig sah Edgar auf den Mann, der nun auch ihn ansah. Ganz leicht bewegten sich sein Maul, seine Kiemen und seine Flossen, doch sein Blick war ruhig, fest und voll der Anklage. Armin lief ein Tropfen Schweiß in den Kragen.

    »Ja«, schienen Edgars Augen zu sagen, »es steht dir frei zu gehen. Ich kann dich nicht daran hindern.«

    Armin schluckte. Unbewegt stand er an der Tür und sah auf seinen stummen Mitbewohner. Bin ich wirklich frei, zu verschwinden, fragte er sich? In dem Bewusstsein, einen unschuldigen, kleinen Goldfisch auf dem Gewissen zu haben? Bin ich so tief gesunken, ein Wesen von solch vollendeter Kameradschaft, unaufdringlich, doch immer präsent, zu verlassen? Kurz keimte in ihm der Gedanke, dass die Putzfrau den Fisch schon versorgen würde, doch die Stimme seines Gewissens war stärker.

    Ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte, setzten sich seine Füße in Bewegung. Wie ein Magnet zog ihn der Fisch an. Sanft legte Armin die Fingerspitzen seiner Linken, seiner Malhand, an das Glas. Edgar zuckte nicht. Armin fühlte sich klein und schlecht. Einmal noch gewann seine Schwäche die Oberhand und beinahe hätte er sich hinreißen lassen, leise Worte des Abschieds zu murmeln und sich abzuwenden, als er abermals stockte. Ein Gefühl von Wärme, von Energie entstand in der Mitte seines Körpers. Energie, die sich ausdehnte, die nach Platz verlangte und dabei stärker und mächtiger wurde. Armin atmete schwer und er spürte, wie die Adern an seinen Schläfen hervortraten. Wie in Trance stellte er den Koffer auf den Teppich und öffnete ihn. Sorgfältig in Seidenpapier und einen Pullover eingewickelt, lag der einzige persönliche Gegenstand vor ihm, den er liebte und auf all seinen Reisen mit sich führte: das Geschenk, das ihm sein längst verstorbener Großvater zur Matura gemacht hatte: sein Maßkrug. Der Krug war aus mundgeblasenem, poliertem Glas, mit einigen ganz kleinen Bläschen an den richtigen Stellen, mit einem Henkel, den auch die Faust eines richtigen Mannes, wie der Großvater einer gewesen war, packen konnte. Der Krug war ausgewogen, kostbar und schön. Zu schließen war er mit einem Deckel aus Porzellan, in den das Wappen des Fischelbacher Schützenvereins eingearbeitet war, in dem alle männlichen Vorfahren Armins Mitglied gewesen waren, solange die Familie in Bayern gelebt hatte. Erst Armins Mutter hatte nach Österreich geheiratet, wodurch diese Tradition unterbrochen wurde. Der Großvater hatte Armin versichert, ihm deswegen nicht zu grollen. Sollte er jemals nach Bayern ziehen, würden der Besitz dieser Kostbarkeit und die Berufung auf seine Vorfahren ihm bestimmt die Aufnahme in den Schützenverein ermöglichen, so schwer diese auch sonst neuen Interessenten gemacht wurde. Es war ein feierlicher, beinahe andächtiger Moment gewesen, als der Großvater ihm den Krug überreicht hatte.

    »Der Vorteil ist, dass es ein richtiger Maßkrug ist, für einen Mann, der was einen Durst hat«, hatte der Großvater ihn aufgeklärt. »Eine Halbe ist ja gar wie nix, da bist ja nur am Nachbestellen. Aber eine Maß … Die kannst du gemütlich austrinken, bevor dass das Glasl warm wird. Bevor dass es also warm wird, machst es leer und dann lasst nachschenken, genau so gehört sich das. Und mit dem Deckel kannst es zumachen, dass dir keine Fliegen reingehen, verstehst?«

    Armin hatte verstanden, den Rat des Großvaters über all die Jahre getreulich beherzigt und das Gefäß zwar selten, doch stets gemäß seiner Bestimmung eingesetzt. Heute jedoch sollte der Maßkrug eine neue, nicht weniger würdevolle Aufgabe erfüllen. Er würde einem Freund das Leben und Armin sein Seelenheil retten. Der Großvater hätte das verstanden.

    Armin wickelte den Krug sorgfältig aus. Er ging in die Küche und spülte ihn mehrmals, bevor er ihn mit lauwarmem Wasser füllte. Er wusste nicht genau, welche Temperatur richtig für den Fisch war, doch konnte knapp Zimmertemperatur gewiss nicht verkehrt sein. Er müsse sich umgehend ein Buch über die richtige Haltung und den Transport von Zierfischen beschaffen, dachte er, während er Edgar mit dem eigens dafür bestimmten Kescher sanft aus dem Aquarium hob und in den Krug gleiten ließ. Kurz wirkte sein Freund verwirrt, doch schien er sofort zu verstehen, dass alles, was nun mit ihm geschah, zu seinem Besten war.

    Armin schloss vorsichtig den Deckel des Krugs und nahm den Henkel fest in die Hand. In der anderen Hand seinen Koffer, verließ er das Apartment. Den Wohnungsschlüssel ließ er durch den Briefschlitz fallen. Ein Taxi, dessen Fahrer sich eine paar dumme Bemerkungen über Armins Begleiter nicht verkneifen konnte und dadurch seine Chancen auf ein Trinkgeld verspielte, brachte Armin ins Atelier, wo er zunächst seinen Koffer deponierte. Den kurzen Weg von dort in die Galerie legte er zu Fuß zurück. Einen Moment lang hatte er überlegt, Edgar im Atelier zurückzulassen, doch seine Künstlerkollegen waren gewiss nicht auf einen Fisch in einem Maßkrug eingestellt. Undenkbar, was seinem Freund in Gesellschaft mehrerer junger, unreifer Maler hätte zustoßen können, zumal der eine oder andere von ihnen bisweilen reichlich benebelt in der Werkstatt erschien.

    Edgar schien der Spaziergang zu gefallen. Anmutig und wie schwerelos bewegte er sich kaum merklich in seinem neuen Zuhause, glich das Wanken des Gefäßes durch sanfte Bewegungen seiner Flossen aus und besah neugierig die fremde Umgebung. Armin genoss die Harmonie, die zwischen seiner und Edgars Seele herrschte. Nichts erschien ihm natürlicher, als mit dem Fisch in dem Maßkrug den Bürgersteig entlangzugehen.

    Schließlich betrat Armin das Gebäude, das neben anderen Ausstellungsräumen auch seine Galerie beherbergte. Seine ehemalige Galerie, wie ihm wieder bewusst wurde.

    Vor dem Haus parkte ein Van mit der Aufschrift eines regionalen privaten Fernsehsenders. Armin verzichtete auf eine Fahrt im Aufzug und stieg stattdessen die zwei Treppen empor, die ihn zum Eingang der Galerie führten. Trotz der frühen Tageszeit war eine Reihe von Leuten anwesend, wie er erstaunt feststellte. Die Galeristin trug eines ihrer besten Kostüme, war wieder einmal etwas zu stark geschminkt und ließ die Brille, die von einem goldenen Kettchen gehalten wurde, vor ihrem Busen baumeln, der sich eindrucksvoll hob und senkte, während sie auf eine jüngere Frau einredete, die wenig sagte und viel nickte. Weiter hinten im Ausstellungsraum standen ein Kameramann und ein Techniker, die sich offensichtlich langweilten.

    Von Armin nahm niemand Notiz, was ihm in seiner gegenwärtigen Stimmung nur recht war. Schnurstracks ging er an der jungen Frau, die offensichtlich einen Fernsehbericht über die Galerie oder deren Chefin plante, vorbei, um in den hinteren Ausstellungsraum zu gelangen, in dem seine vier Bilder hingen. Die Frau verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und hob einen Schnellhefter mit einigen Blättern an, um in ihre Notizen zu sehen. Ihr Ellbogen fuhr dabei nach hinten, nicht weit, doch weit genug, um Armins Arm zu berühren.

    »Vorsicht, bitte«, stieß Armin hervor, vielleicht etwas lauter und deutlicher, als er das in einer anderen Situation getan hätte.

    Verwundert drehte die Frau sich um und wollte ihrem natürlichen Reflex folgen und etwas erwidern, als ihr Blick auf den Maßkrug fiel, in dem ein großer, schlanker, gut gekleideter Mann wie selbstverständlich einen kleinen Goldfisch trug.

    »Ist der süß! Ist das Ihrer?«, fragte sie mit heller Stimme und ging etwas in die Knie, um dem Fisch auf Augenhöhe gegenüberzustehen.

    Edgar, der hastig um Gleichgewicht gekämpft hatte, verharrte wieder beinahe reglos, nur eine Flosse, die er leicht bewegte, und seine Kiemen verrieten, dass er lebendig war.

    »Ein Goldfisch!«, bemerkte die junge Frau nun und errötete leicht, als ihr bewusst wurde, wie wenig geistreich diese Feststellung war.

    Sie sah, wie der Mann, der das Glas trug, belustigt eine Augenbraue in die Höhe zog.

    »Ich … äh … entschuldigen Sie bitte. Ich heiße Eva. Eva Sonneberg. Ich bin Fernsehreporterin und drehe einen Film über Galerien in Wien. Sie sind bestimmt ein Kunde«, sagte sie mit Blick auf Armins tadellosen dunkelgrauen Anzug.

    Armin schmunzelte und sah Eva einen Moment länger in die Augen, als dies unbedingt nötig gewesen wäre. Blau, wie hübsch, dachte er.

    »Nein, Frau Sonneberg. Ich bin kein Käufer von Bildern. Ich bin Maler und habe bis vor Kurzem …«

    »Herr Brucker-Auer ist einer meiner renommiertesten Künstler, gewagt und ohne Rücksicht auf den Zeitgeist. Dabei kein Radikaler, sondern …«, versuchte Daniela Voss, die Galeristin, die Reporterin aufzuklären.

    »Ein Maler? Sie?«

    Ungläubig starrte Eva Armin an. Er musste zugeben, dass er heute tatsächlich nicht wie ein typischer Maler aussah. Sein Haar war kurz geschnitten, Bürstenschnitt, er war tadellos rasiert und seinen Händen war anzusehen, dass sie seit Wochen weder mit Farben, Terpentin noch mit sonstigen verunstaltenden Substanzen in Berührung gekommen waren. Dazu der gute Anzug, der ihn vollends wie einen erfolgreichen und entspannten Geschäftsmann aussehen ließ.

    »Nun … ich verstehe jetzt nicht so viel von zeitgenössischen Malern, aber … sind Sie sehr berühmt?«, fragte Eva nun mit einem schüchternen Lächeln.

    »Herr Brucker-Auer ist eine feste Größe im Wiener Kulturbetrieb«, unterbrach Daniela rasch, bevor Armin etwas Falsches sagen konnte. »Seine letzten Arbeiten hängen hier bei uns. Es gibt dafür eine Reihe namhafter Interessenten!«

    »Aber ... dieser Fisch … und dieses Glas … Führen Sie Ihren kleinen Freund immer mit sich? Ist er so eine Art … Markenzeichen?«

    Diese blauen Augen, dachte Armin. Sie leuchten richtig, wenn sie spricht.

    »Wir sind unzertrennlich«, antwortete er gelassen. »Ich gehe selten aus, doch wenn, führe ich ihn mit mir. Er bringt mir Glück, verstehen Sie?« Armin kam seine Äußerung in dem Moment, als er sie fallen ließ, nicht gelogen vor. Er konnte sich tatsächlich vorstellen, sich ab nun stets in Begleitung des Fisches in der Öffentlichkeit blicken zu lassen.

    Eva war verwirrt. Selten kam es vor, dass ein Mann sie aus der Fassung brachte. Meist war sie es, in deren Gegenwart die Kerle Unsinn laberten und sich lächerlich machten. Manchmal genoss sie das, doch immer öfter verfluchte sie es, dass es kaum einen Mann zu geben schien, der in der Lage war, es mit einer attraktiven, erfolgreichen und dabei noch jungen Frau aufzunehmen. Die einen machten sich für sie zum Deppen, die anderen wollten sie auf schnellstem Weg ins Bett kriegen. Mit beidem hatte sie Erfahrungen, doch gab sie sich Mühe, diese auszublenden. Aber dieser Mann …

    Armin schickte sich an, weiterzugehen.

    »Oh, bitte …«

    Eva machte einen kleinen Satz und hielt ihn am Ellbogen fest.

    »Vorsicht!«, rief Armin und wies auf den Seegang, den sie in Edgars Glas verursacht hatte.

    »Um Himmels willen«, entfuhr es Eva, »ich wollte doch nicht …«

    Armin befreite sich von der jungen Frau und setzte seinen Weg fort. Die Galerie hatte drei Ausstellungsräume und einen breiten Flur, in dem ebenfalls Gemälde präsentiert wurden. Armins Bilder hingen im hintersten Raum, mittlerweile dicht nebeneinander und ohne Rücksicht darauf, dass weder die Motive, noch Stil und Farben der einzelnen Werke zueinander passten. Armin schritt den Flur entlang und hielt seinen kleinen Freund fest, aber doch lässig auf Hüfthöhe vor sich.

    Eva verharrte einen Moment reglos, doch ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Schon längst suchte sie nach einer Chance, durch eine außergewöhnliche Reportage tiefer in die Wiener Kunstszene einzutauchen. Ihre letzten Arbeiten hatten ganz andere Themen behandelt. Sie hatte über die Sprengung einer stillgelegten Zementfabrik, die eigentlich unter Denkmalschutz hätte gestellt werden sollen, berichtet und über einen Männersynchronschwimmverein mit prominenten Mitgliedern, der sich in der Sportszene positionieren wollte. Sie selbst hatte die Themen für sehr originell gehalten und sich mächtig ins Zeug gelegt, um gute Beiträge abzuliefern. Der Programmchef war allerdings skeptisch, und das Fernsehpublikum schließlich gnadenlos gewesen, zumindest wenn man den Umfragewerten Glauben schenkte. Doch nun witterte sie eine Chance, wie sie sie bisher noch nicht bekommen hatte: Ein erfolgreicher Maler, der aussieht wie ein Dressman, der einen eleganten Anzug mit augenzwinkernder Lässigkeit trägt, der selten aus dem Haus geht, und wenn, dann in Begleitung seines Goldfisches. Meine Güte, seines Goldfisches! Die Gelegenheit war einmalig, ebenso einmalig wie der ganze Künstler. Sie ließ Daniela Voss stehen und stolperte Armin hinterher.

    »Herr Brucker-Auer, bitte! Geben Sie mir ein Interview? Ich meine, geben Sie überhaupt Interviews?«

    Sie schenkte ihm ihr gewinnendstes Lächeln und spürte abermals, wie sie rot wurde. Langsam drehte Armin sich um. Seine Lider senkten sich ein wenig und er schien schon mit den Augen zu lächeln, bevor sich seine Mundwinkel langsam hoben. Armin hatte diesen Blick vor Jahren vor dem Spiegel geübt, weil seine damalige Freundin ihm ständig von Robert Redford in seiner Rolle als Pferdeflüsterer vorgeschwärmt und gemeint hatte, dass Armin Robert Redford ein

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