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Trauer erschließen: Eine Tafel der Gezeiten
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eBook710 Seiten24 Stunden

Trauer erschließen: Eine Tafel der Gezeiten

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Über dieses E-Book

Ruthmarijke Smeding stellt hier erstmals in Deutschland ihr Modell der Trauer und der Trauerbewältigung mit ihrer ersten umfassenden Buchpublikation vor. Sie ist wohl national und international die bedeutendste Fachfrau in allen Fragen und Theorien rund um die Trauerbewältigung. Wird von dem Bundesverband der Hospize in Deutschland (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.) zu Schulungszwecken empfohlen.
SpracheDeutsch
Herausgeberhospizverlag
Erscheinungsdatum6. März 2012
ISBN9783941251465
Trauer erschließen: Eine Tafel der Gezeiten

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    Buchvorschau

    Trauer erschließen - Ruthmarijke Smeding

    geschützt.

    Vorwort


    Dennis Klass, Ph.D.

    Professor of Religious Studies Webster University St. Louis, Missouri, USA

    Es ist mir ein Vergnügen, Ruthmarijke Smedings Trainingsmodell für „grief counselling – wie wir es auf Englisch sagen würden – bzw. für die „Trauerbegleitung zu kommentieren.

    Der deutsche Begriff beschreibt es bedeutend besser.

    Ich habe Bücher und Artikel über die Trauer geschrieben, ich bin Mitherausgeber von zwei internationalen Zeitschriften über Thanatologie und arbeite in der wissenschaftlichen Beratungskommission für das Projekt über Trauer des Medizinischen Instituts. Ich kenne weltweit viele der Trauerforscher und mir sind die deutschen und englischen Werke zu diesem Thema bekannt. Vor diesem Hintergrund ist mir sehr bewusst, dass das Modell von Dr. Smeding und das Lehrmaterial, das sie kreiert hat, einzigartig sind.

    Es gibt kein vergleichbares Werk weder auf Deutsch noch auf Englisch. Sie greift auf die besten der aktuellen Untersuchungen und Theorien über Trauer zurück. Sie kennt das Fachgebiet wie kein Zweiter und ihr Wissen hat sich in ihrem Lehrmaterial niedergeschlagen. Dieses ist, glaube ich, das erste in der Welt, bei dem eine Methode integriert ist, welche nicht auf der Beratung oder der Psychotherapie basiert.

    Weil Trauer die meiste Zeit des 20. Jahrhunderts als psychologischer Prozess verstanden wurde, basieren die meisten Trainingsmodelle auf die psychotherapeutische Theorie. Die Idee, dass Trauer ein angeborener psychologischer Prozess sei, zerfiel unter dem Gewicht der Forschungsdaten gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Inzwischen halten wir Trauer für einen intersubjektiven Prozess.

    Dr. Smeding hat diese Theorieverschiebung vorausgeahnt, als sie ihr Modell zunächst als These für ihre M.A. Abschlussarbeit entwickelte und in ihrer Dissertation fortsetzte, in der sie auf einer breiteren theoretischen Grundlage die Fürsorge am Lebensende und die folgende Trauerbegleitung erforschte. Sie setzt auf Pädagogik und nicht auf Psychotherapie für den Umgang mit Trauer und für die Unterstützung von Trauernden. Ihre Voraussicht war ziemlich bemerkenswert. In den letzten Jahren holte die Praxis sie ein, gerade als sie die letzten Entwicklungen auf diesem Gebiet in ihr Modell einbaute.

    Zusammengefasst: Dr. Smedings Werk ist einzigartig, es basiert auf höchstem Wissensstand, der dem Fachgebiet vorausgeht, das ihr nachgefolgt ist. Ich kenne kein anderes Werk weder auf Englisch noch auf Deutsch, das an irgendeiner Stelle diesem nahe käme. Diese Zeilen geben nur wieder, was sich bereits selber als eine bemerkenswerte Karriere vorgestellt hat.

    Vorwort


    Trauer erschließen – eine Tafel der Gezeiten präsentiert sich als Einladung.

    Zum Gastmahl.

    Und dennoch: diese Einladung hat die Form eines Buches, damit, sozusagen in einer „konservierten Form erhalten, sie und ihre Erfahrungen weitergereicht werden können. „Einladung soll aber auch bedeuten, dass mit diesem Buch kein Punkt gesetzt wird – vielmeher ein Doppelpunkt. Denn Entwicklungen sollen mit diesem Buch weitergehen – und, nahe vorbei an dem heutigen Stand der Forschung und umgesetzt in Praxis, reflektiert, weitergedacht und weitergelebt.

    Tafel. Das ist ein Wort, das es in der deutschen und niederländischen Sprache gibt. Es meint nur an einer Stelle dasselbe. Darüber hinaus kann man lesen, dass die deutsche Sprache viel mehr Bedeutungen für dieses Wort kennt. Deshalb – und das entspricht nach 15 Jahren Arbeit mit dem Modell „Trauer erschließen meiner Erfahrung (Ruthmarijke Smeding), – bleibt es doch wohl auch ein Fremdwort, eine stets auch fremdscheinende Begrifflichkeit in der deutschen Sprache. Manchmal bedeuten Worte und „ihre Wörter dasselbe, manchmal nicht. Das ist spannend, einladend, herausfordernd, ist manchmal zum Lachen, manchmal verhängnisvoll, auch schon einmal zum Weinen, doch meistens in gastfreundschaftlicher Weise gelöst. So könnte man auch die unendlichen Reisen meiner letzten 15 Jahre beschreiben – reisen, der Trauer wegen. Wenn man mich fragte, wo ich wohne, sagte ich manchmal: „im ICE. „Trauer erschließen erschloss mir ein Land, von Freiburg bis Flensburg, von Berlin bis Bochum, ‘rauf und ‘runter und kreuz und quer – und wieder zurück. Manchmal auch weiter, nach Osten. Weiter, unterwegs in kleine und größere Orte, in Klöstern, Kirchen, Kliniken und Kindergärten und auch manchmal in ein Krematorium.

    Noch eine weitere Tafel. Wenn es die Anschlagtafeln der Züge nicht gegeben hätte, wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Meistens war das, was auf diesen „Tafeln geschrieben stand, dem ganz nahe, was an meinen Orten ge- und auch versprochen wurde, in einigen Fällen kam es aber auch deutlich anders. Das wäre es wert, noch einmal separat im Rückblick betrachtet zu werden! Der Rückblick auf die Entwicklungen des Kurses „Trauer erschließen ist in diesem Buch an anderer Stelle zu finden. Für das Buch wurden Einladungen verschickt, diese Tafel mitzugestalten, um mit ihm aus den schon vorliegenden Abschlussarbeiten diejenigen aussuchen und weitergeben zu können, die das Modell in der spürbaren Anwendung seiner Methodik illustrierten lassen. Ebenso wurden zur weiteren Ergänzung noch ein Paar weitere Einladungen herausgeschickt, damit es eine gewisse Vollständigkeit erlangen kann. Zu einer Tafel kann man einladen. Man will wählen, was munden könnte, will zurückstellen, was den momentanen Appetit – oder gar die Bekömmlichkeit – überfordert.

    Ein lebendiges Modell muss so eingebettet und aufgenommen in ein Ganzes sein, wie die gute Butter sich in einen Teig vermengt. Als die verschiedenen Beiträge zu diesem Buch eintrafen, sagten wir uns immer wieder: „wie ein smörgasbord" – jene skandinavische Art viele Leckereien aufzutischen. Was sie gemeinsam hatten, zeigte sich daran, dass sie irgendwo in den Gezeitenerfahrungen der Trauernden ansetzen. Gezeiten, die angeschrieben werden können, angezeigt an einer Tafel – so wie das an Küsten üblich war und manchmal noch ist. Nach einiger Zeit werden die alten Ziffern weggewischt, neue Zeiten hingeschrieben. So ist auch dies nur eine Momentaufnahme.

    Die Tafel ist weiterhin ein Symbol für das Lehren: das Modell „Trauer erschließen stützt sich auf Lehr- und Lerntheorien, wie sie in ihrem lebendigen Ursprung – und nicht rein an ihren psychotherapeutischen Ausgangspunkten – Gestalt gewinnen. Deshalb konnten zum Herrichten dieser Tafel, nicht die sog. „Meisterköche eingeladen werden, die nur zu gerne das feine Kochen für sich behalten oder, wie es in der wissenschaftlichen Welt üblich geworden ist, sich als Spezialisten bezeichnen lassen. „Trauer erschließen" nimmt die Menschen in den Blick, die in ihrem Alltag auch, aber nicht nur mit Trauer zu tun haben. Sie konnten die sein, die vielleicht ehrenamtlich z.B. 2 - 4 Stunden pro Woche freiwillig irgendwo ihren Dienst tun, oder aber die, die im klinischen Bereich seelsorglich, pflegerisch, sozialarbeiterisch oder ärztlich tätig ist. Sie alle vertreten in diesem Buch – und deshalb werden wir sie „Professionelle nennen – Menschen verschiedener Berufssparten, wobei ihnen aber der nahe Umgang mit Menschen gemeinsam ist. In allen ihren alltäglichen Begegnungen ist oft die Trauer mit dabei. Auch wenn es in diesen Berufen ganz andere Erfahrungen gibt, wie beispielsweise das Aufatmen nach einer Gesundung, die Freude, wenn zwei Menschen heiraten, wenn eine Jugendgruppe gute Laune verbreitet oder alte Menschen – als „ältere werden sie bezeichnet – ihr Alter genießen.

    „Trauer erschließen ist keine Berufsausbildung. „Trauer erschließen ist vielmehr eine Zusatzausbildung zu einer bereits bestehenden Qualifizierung, die auf die bereits entwickelten Fertigkeiten aufbaut und diese beruflich vorhandene Befähigung für den Umgang mit Menschen in den spezifischen Betroffenensituationen weiter zu entwickeln hilft. Daneben zielt „Trauer erschließen auch auf eine Basisqualifizierung für ehrenamtlich tätige Menschen, die regelmäßig einige Stunden ihrer (reflektierten, trainierten) Fähigkeiten zur Verfügung stellen, um trauernden Menschen beizustehen. Dieses bedeutet aber auch, dass diese Bildung auf der Grundlage des Modells „Trauer erschließen in verschiedenen Ebenen angelegt sein muss. Auch deshalb ist das, was Sie in diesem Buch vorfinden, wie die Tafel zu einem Gastmahl – eben wie man eines seiner besten Gerichte mitbringt, wenn man gemeinschaftlich zu Tisch lädt. Denn wir haben diese Tafel gemeinsam herrichten können: Margarete und ich – und ohne unsere gegenseitige Hilfe wäre es nicht gelungen. Ihre ungewöhnliche Sprachbegabung ist mit jenen Fähigkeiten verbunden, die für „Trauer erschließen" so wichtig sind: systemisches Denken, Koordinationsvermögen, Kreativität und berufliche und persönliche Erfahrungen im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.

    So haben wir gemeinsam diese Tafel als zwei Gastfrauen redigiert. Für manche Gerichte waren noch ein paar Spezereien zum „Übersprenkeln" vorzuschlagen; für andere wurde noch die Erhöhung der Zutatenmengen gewünscht und – in seltenen Fällen – auch ein gewisses Zuviel des Guten reduziert. Doch nichts sollte bei der Redaktion – wie mit einem scharfen Messer – abgeschnitten sein, denn das hätte dieser Form nicht gutgetan. So strebten wir an, die Trauerbegleitung im Alltag aufleuchten zu lassen und sie dort aufzusuchen, wo sie an Werken im Wirken ist und wo sie an und in vielen Orten in Deutschland mitlebt.

    Eingestreut sind Erfahrungen von Menschen, die das, über das geschrieben wird, selber erfahren mussten und müssen. Ich habe bei meinem eigenen Trauerweg erfahren, wie wichtig Schreiben sein und welche Möglichkeiten es zu erschließen helfen kann. Mein Schreiben mündete damals in den USA in einen Master of Fine Arts. Vieles von dem, was ich dort lernte, floss ein in das, was sich in Deutschland ebenfalls bewährt hat: die „Schreibwerkstatt Trauer".

    Die Möglichkeiten zum Klingen zu bringen: Sowohl einen wissenschaftlichen Ansatz zu verfolgen als auch das, was die Kreativität der Trauer herzugeben hat, zu entdecken. Beides wurde von meinem Doktorvater ausdrücklich befürwortet. Es schien daher sinnvoll, diesen Band ihm zu widmen – verbunden mit sehr viel Dank.

    Die TeilnehmerInnen der Schreibwerkstätten bestätigen immer wieder diese Thesen – und Synthesen – einer unglaublichen Kreativität, die auf dem Wege der Umwandlung einer „eigenen, als so richtig angenommenen und dann zerstörten Ordnung, die der Welt in jenem Moment ihr Gesicht gab", eingesetzt werden kann.

    Sie kehrt – auf dem Wege der Trauer – zurück in zwei Gesichtern: eines, das sich nach vorne richtet, und eines, das rückwärts schaut, um dort die Samen zum Weiterleben zu suchen.

    Die Beschreibung der eigenen Trauer-Erfahrungen lässt die Kreativität in manchmal rauen, manchmal sehr poetischen Worten, Sätze und Geschichten aufleuchten. Die Synthese der narrativen Form, es nämlich zu benennen und dadurch (erneut) zu besetzen, bestätigt sich hier. Es sind diejenigen Erfahrungen in dem Umgang mit Verlust und Trauer, sein Land oder seinen Vater verloren zu haben, die schon sind, bevor man überhaupt um sie wissen konnte. Oder es sind Worte der Eltern, Männer und Frauen, die ihre Kinder beerdigen mussten und auf deren Wegen sich diese Sätze verselbstständigen bis wieder innerlich Land gewonnen werden kann, selbst wenn nur noch Unbegehbares bevorzustehen scheint. Es sind auch Frauen dabei, die ihren Mann, manchmal auch Kind und Mann, verloren und die, wie unsere Ahnen das Korn, ihre Worte dreschen bis diese ihre Kraft wieder hergeben.

    Sie kehren wieder, die Gezeiten der Trauer.

    Sie werden gelebt, bekämpft, betrauert, verwandelt und immer wieder alleine oder gemeinsam getragen.

    In Bildern, Musik und durch Worte. Ihr Sediment sind die „wachsenden Ringe" unserer Biografie.

    An dieser Stelle möchten wir allen, die so etwas zu diesem Tafel-Buch mitgebracht haben, sehr herzlich für ihre sehr zugewandte Kooperation danken. Auch sie sind Gastfrauen und – männer, denen so manches abverlangt wurde.

    Und dann, am Ende von 10 Jahren Zusammenarbeit, steht auch ein Abschied an. Die enge Zusammenarbeit mit Hartwig Laack klingt aus. Er war als Studienleiter am Zentrum für Erwachsenenbildung in Hannover tätig und ein sehr geschätzter Mitdenker, Mitorganisator, Mitinitiator und Kollege. Er war für immer weitere Reflexionen und zusätzliche Konzeptanalysen zu haben. Im gemeinsamen Denken wurde ich unterstützt und herausgefordert. Er half mit, dass die ehrenamtlich und die professionell Tätigen trotz und wegen der differenzierten Methodik und Didaktik in einem gemeinsamen Kurs-Konzept zusammenblieben, und sich so das Ganze weiterentwickelt.

    Als Ausdruck dieses Dankes für eine tragende Kollegialität sei auch Dir dieses Buch für Deinen weiten – und auch für Deinen weiteren – Weg gewidmet.

    Ruthmarijke Smeding

    Margarete Heitkönig-Wilp

    Einführung

    Von Ruthmarijke Smeding


    Trauer Erschließen – eine Tafel der Gezeiten

    Die Beiträge in diesem Buch sind zum einen Einführungen in die verschiedenen „Gezeiten des Modells „Trauer erschließen, die ich seit 1988 mit Beginn der Schulungen in Deutschland zu diesem Thema verfasst habe. Zum Anderen ist ein großer Teil der Beiträge aus Abschlussarbeiten zusammengestellt, die von KursteilnehmerInnen geschrieben worden sind. Was dann bei der Zusammenstellung dieses Buches noch fehlte, wurde gezielt bei ehemalige Kursteilnehmerinnen angefragt. Und nicht zuletzt sind die Beiträge der Trauernden selbst wichtig. Die folgenden Kapitel sollen aus der Praxis illustrieren, was das Modell „Trauer erschließen" ausmacht und für KursteilnehmerInnen und Trauernde bedeutet.

    Das Modell wird auf 4 Ebenen dargestellt:

    Ebene 1

    nennt Ordnungsprinzipien: Kinder und Erwachsene, Zeitperspektiven.

    Ebene 2

    bietet Gedanken bzw. Ausgangspunkte, die dem Modell „Trauer erschließen" zu Grunde liegen.

    Ebene 3

    In allen Beiträgen fließt die Sichtweise der Trauernden als die Zielgruppe des Modells mit ein und

    die 4. Ebene spricht ein weiterhin offenes Thema an: die Rolle und Methodik der Professionalität und des Ehrenamts.

    Theoretische Grundlage dieses Buches ist die Beschreibung des Modells „Trauer erschließen". Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Anwendung des Modells in der Praxis. Folgende Themen werden darüber hinaus bereits in anderen Zusammenhängen besprochen:

    Vertiefende theoretische Grundlagen werden im Kapitel „Trauer und Trauerbegleitung in der Palliativmedizin" im Lehrbuch Palliativmedizin dargestellt.1

    Methodische Begleitrichtlinien der Erschließungsmethodik wurden bereits in den vergangenen 15 Jahren vielerorts in Deutschland eingesetzt und werden momentan für ein Buch, gezielt für die Verwendung in Kursen, bearbeitet. Der methodischen Umsetzung liegen Lehrund Lerntheorien zu Grunde.

    Auf der ersten Ebene des Buches wird von folgenden Annahmen ausgegangen:

    Kinder haben Priorität vor Erwachsenen

    Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach dem Tod. Für die Gruppe der Trauernden, die in beiden Zeiten (weiter-)leben müssen, gehören diese zusammen.

    Insbesondere beim Tod eines Kindes sollte man besonders achtsam sein. Um angemessen Hilfe anbieten zu können, ist es wichtig herauszufinden, was dieser Verlust für die Hinterbliebenen im Einzelnen bedeutet, dabei geht es jedoch nicht darum zu bewerten, wie tief die Trauer ist oder wie lange getrauert wird. Es macht einen Unterschied, ob man ein Baby in der Schwangerschaft verliert oder ob man sich aus medizinischen Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden muss.2 Hier sind Rituale von großer Bedeutung.3 Die Situation ist nochmals anders, wenn es die Möglichkeit gab, sein Kind, sei es noch so kurz, zu sehen oder in den Arm zu nehmen.4

    In einem nächsten Kapitel geht es um das Erleben einer neuen Schwangerschaft nach dem Verlust eines Kindes. Eltern und manchmal auch Geschwister müssen sich in solchen Situationen nochmals besonders mit dem Gefühl von „verbunden sein und „verlieren auseinandersetzen. Dass dies auch die professionell Begleitenden nicht unberührt lässt, wird in der Geschichte „Abschied von Philipp." klar. Dass der Verlust eines Kindes Eltern für immer verändert, wird in zwei weiteren Geschichten deutlich, und zwar in der „Wassergeschichte" und in der Geschichte mit dem Titel „Steine".

    In diesen Geschichten wie auch in den Berichten der professionellen Begleiter klingt bereits die zweite Ebene an: Die Zeit der Krankheit vor und die Zeit nach dem Tod gehören für diejenigen, die den Verlust überleben, zusammen.

    Die Hinterbliebenen müssen die Zeit vor und nach dem Tod der geliebten Person unabhängig vom Alter (pre-, peri- und post mortem Zeiten) in ihr Leben einordnen. Der Ausgangspunkt des Modells „Trauer erschließen ist, dass die Hinterbliebenen, sie werden im Modell „Hierbleibende genannt, einen Weg finden müssen, drei sehr unterschiedliche Zeitgefüge in ihr Leben zu integrieren: die Zeit vor dem Tod; die Zeit, in der sie den Tod auf der Erde miterleben und die Zeit nach dem Tod. Daraus ergeben sich zwei weitere Ausgangspunkte:

    Die Möglichkeiten der Prävention,

    Der Unterschied zwischen einem plötzlichen Verlust und einem Verlust, dem in dem Wissen um den nahenden Tod eine gemeinsame Zeit vorangeht.

    Zu 1. Möglichkeiten der Prävention

    Die Idee der Prävention, des Vorbereitens auf das, was noch kommen wird, stammt aus der Palliativmedizin und Palliative Care. Dort gelten Vorausschauen und Verhindern, Mildern oder Lindern sowie Behandeln als Leitsätze. Ein weiterer Leitsatz der Palliativmedizin ist, dass Patient, Angehörige und deren Begleitung eine Einheit bilden. Die Angehörigen erleben den Tod ihrer geliebten Person in Begleitung. Sie können noch einige Tage gemeinsam verbringen. Doch nach der Beerdigung müssen sie alleine weiterleben. Bei C. Saunders, der Begründerin der Palliativmedizin und Palliative Care, war schon 1967 Trauer ein integraler Bestandteil ihres Konzeptes. Aussagen über Risikotrauer und Prävention wurden erstmals von Parkes und Raphael getroffen und auch belegt.5 Dabei geht es nicht so sehr um das, was in der Literatur als „antizipatorische Trauer" bezeichnet wird, sondern um das Vorausdenken: Die professionellen oder ehrenamtlichen Helfer müssen im Hinblick auf die Zukunft handeln. Forschungen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Risikotrauer bei bestimmten Voraussetzungen höher wird; dies sollte berücksichtigt werden.6 Die Antizipation des zukünftigen Trauerweges ist für die aktive Begleitung der „Hierbleibenden" notwendig, um so die bestmögliche Unterstützung anbieten zu können, sowohl vor als auch nach dem Sterben der geliebten Person.

    Ein solches Begleitkonzept sollte also „elliptisch" sein, d.h., es muss im Denken, Handeln und Evaluieren zwei Seiten einbeziehen: einerseits die Perspektive des Patienten und andererseits die Perspektive der Angehörigen oder der Nahestehenden des Verstorbenen. Für die praktische Umsetzung der „elliptischen Begleitung" heißt das, dass sowohl der Patient bis zu seinem Tod optimal begleitet wird, als auch die dem Patienten nahestehenden Personen begleitet werden, und zwar von dem Zeitpunkt an, an dem sie erfahren, dass jemand sterben wird, bis in die Zeit nach dem Tod. Dieser Anspruch geht aus den Definitionen der Weltgesundheitsorganisation zur Begleitung im Bereich Palliative Care hervor.7 Dadurch, dass sie wissen, dass eine geliebte Person bald sterben wird, befinden sich Angehörige in den letzten Tagen und Stunden oft in einer Situation des „Spezifisch-Bezogen-Seins, vielleicht sogar des „Ausschließlich-Bezogen-Seins: Sie konzentrieren sich ganz auf die Person, von der sie sich verabschieden müssen. Sie wünschen sich, möglichst „alles getan zu haben, damit der Sterbende „noch alles mitbekommen hat. Schnell kann man an seine Grenzen stoßen, denn häufig weiß man mit dieser Situation nicht umzugehen, traut sich nicht, etwas zu sagen oder zu machen.

    Dabei muss es sich nicht unbedingt um etwas Besonderes handeln. Nicht für alle ist der nahende Tod durch Rituale und eine festgelegte Gestaltung besetzt. Das Richtige in dieser Situation ist die einfühlsame Begleitung der Personen, die jetzt ihren Weg gestalten. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Notwendigkeit einer guten Begleitung in der Zeit vor dem Tod.8

    Risikotrauer lässt sich nicht immer durch die professionelle Begleitung verhindern, genauso wie Prävention in der Palliativmedizin nicht immer gelingt. Aber sie kann vielleicht unterstützt werden, gelindert, begleitet. Die Betreuung bei Risikotrauer ist zunächst Aufgabe von Fachleuten; gute Informationen geben dazu die einschlägigen Lehrbücher der Palliativmedizin.9 Auch in Deutschland finden diese Konzepte immer mehr Anwendung. In einigen Beiträgen in diesem Buch geht es um die Begleitung im Pflegealltag und in der seel–Sorglichen Begleitung in Krankenhäusern. Diese wurden in Abschlussarbeiten aus verschiedenen Kursen dargestellt.10

    Es hat lange Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass es, wenn man eine Beziehung herstellt, leichter ist, einen erlebten Verlust in das eigene Leben einzuordnen, als wenn man versucht, diesen auszublenden oder zu unterdrücken. Im vergangenen Jahrhundert war es noch üblich, auch seitens der professionellen Begleitung, den bevorstehenden Verlust zu „verneinen, abzulehnen. Dies kann als Folge der Entwicklung einer generellen „Verneinung des Todes in Europa gesehen werden. 11 Gerade in der professionellen Ausbildung ist diese Ebene der Verneinung noch nicht genügend aufgehoben. Teil III „Grenzübergänge", der sich auf den Erwachsenen bezieht, geht – aus der Perspektive einer nachträglichen Aufarbeitung – auf die Möglichkeiten für Patient und Angehörige bzw. Nahestehende ein, wenn der Tod des Patienten naht.12

    Zu 2. Die Folgen einer fehlenden Vorbereitung bei plötzlichen Verlusten

    Gibt es, aus welchem Grund auch immer, keine Möglichkeit einer Vorbereitung auf das Geschehen, fehlt die Möglichkeit der Prävention. Damit wird die Schleusenzeit, im Modell die Zeit zwischen Tod und Beerdigung, zu einer besonders wichtigen Zeit für die professionelle Begleitung. Die Person, die die andere Seite der Beziehung als Adressat der zurückbleibenden besetzte, ist noch da.13 In der Schleusenzeit wird die „Verneinung von Seiten der Profession, die Gorer beschrieb, langsam aufgehoben.14 Früher wurde angenommen, dass das Benennen der Situation möglicherweise alles „nur noch schlimmer machen würde. Sehr viele professionell Tätige wurden nie geschult, das Erleben und Benennen der wichtigen Aspekte einer Beziehung zu unterstützen. Das gilt sowohl für Bestatter, als auch für Seelsorger oder andere Begleitende, die in dieser Zeit ihre Ausbildung machten. Einige Beiträge dieses Buches zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt.15 Für die professionellen Begleiter, die die ersten Schritte des Abschieds begleiten, gilt, dass die Schleusenzeit mit dem Tod beginnt.16/17

    Mitten in den Vorbereitungen für dieses Buch bekam ich die Nachricht vom Tod meines Vetters, mit dem ich aufgewachsen war und der nach schwerer Krankheit nun verstorben war. Wir waren gleich alt, wuchsen im selben Dorf auf. Ich konnte nur für den Tag seiner Beerdigung zurück in die Heimat meiner Mutter kehren, in der auch er beerdigt wurde. Da ich direkt nach der Beerdigung wieder zurück an meine Arbeit kehren musste, konnte ich nicht mit den anderen zusammensein und den Kreis miteinander schließen: Miteinander über den Verstorbenen sprechen, über das, was wir mit ihm verloren haben, wie sich alles auswirken wird. Dies alles musste ich nun alleine mit mir ausmachen. Mir tat es gut, diesen Verlust eines sehr beeindruckenden Künstlers zu Papier zu bringen und zumindest so noch bei ihm zu verweilen und den Verlust zu reflektieren. So entstand der Text „All Blues".

    Nach dem Teil „Grenzübergänge" wird das Modell noch einmal insgesamt beschrieben. In den folgenden Teilen wird es danach um drei verschiedene Ansätze gehen, denen die Gezeiten des Modells zugeordnet wurden. Jede Zeit wird nochmal vertiefend eingeleitet.

    Ab Teil IV „Die Schleusenzeit orientiert sich die Kapitelabfolge an den Gezeiten des Modells. Gezeiten kennzeichnen etwas, was wiederkehrt. Trauergezeiten sind im Gegensatz zu den Gezeiten des Meeres oder des Jahres, die einen wiederkehrenden festgelegten Rhythmus haben, nicht vorherzusehen. Dies macht manchmal eine Begleitung erforderlich, um die Trauernden zu unterstützen, diese Zeiten aufzufangen, zu verwandeln und zu ertragen. Manche Erfahrungen sind einmalig, z.B. eine Zeit, in der man schlecht schlafen und schlecht essen kann, körperliche Schmerzen usw.. Andere Erfahrungen können, ausgelöst durch Erinnerungen, Erlebnisse o.Ä. immer wiederkehren und so einen erneuten Zyklus der Gezeiten – die Zeit vor dem Tod, die Schleusenzeit, die Januszeit, die Labyrinthzeit, die Regenbogenzeit und „in der Mitte des Modells, das Kapitel „das Loch in der Mitte" – in Gang setzen. Trauergezeiten werden, angefangen bei der Januszeit, nicht nur einmal durchschritten, sondern können im Laufe des Entwicklungsweges in unterschiedlicher Form und Dauer wieder und wieder auftreten. Es werden viele Hilfsangebote z.B. für die Janus- und Labyrinthzeit von professionell Tätigen auch in Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen angeboten.18

    Das Loch, in das ich fiel...

    In der Mitte des Modells liegt das „Loch. Hier nimmt die Spiritualität, die generell in der Trauer so oft eine Rolle spielt, eine besonders wichtige Rolle ein. In verschiedenen Beiträgen des Buches geht es um diese Zeit und die Spiritualität. Der Zusammenhang von Spiritualität und Trauer ist auch immer wieder Thema in der Schreibwerkstatt „Trauer berührt, was sich z.B. in der Erzählung „roh gerührte Zitronenkreme" widerspiegelt.19 Nach einer Einführung in die Regenbogenzeit blickt in einem Beitrag eine Mutter auf ihr Leben, das sie mit den erfahrenen Verlusten weiterleben muss („Gespräch mit dem Wintervogel), zurück. M. Knebel beschreibt, wie durch einen neuen Verlust erneut die Regenbogenzeit eintreten kann. Es werden Möglichkeiten für die Begleitung aufgezeigt, etwas von dem „und...und, das diese Zeit kennzeichnet, spürbar zu machen. In dem abschließenden Teil, der mit dem Titel „Die Spirale der Gezeiten überschrieben wurde, geht es darum zu untersuchen, welche Bedeutung Gräber in einem Trauerprozess einnehmen können. Zurzeit gibt es den Trend, Friedhöfe als „unwichtig zu betrachten. Was wäre also, wenn es gar keine Gräber geben würde?

    Wie der Beitrag von E. Wege zeigt, trifft dies sicherlich nicht für alle Menschen zu. Es geht auch darum, dass sich dem Leben wieder zuzuwenden nicht heißen muss, dass die Trauer vorbei ist. Hier sieht man, dass der Tod in vielerlei Hinsicht einen Verlust bedeutet. Gerade hier kann schreiben helfen, wieder Sinn im Leben zu finden und neue Kräfte zu sammeln, um das Leben zu tragen. Es könnte gut sein, dass dies unabhängig von der Art des Abschlusses, ob integriert, ritualisiert, oder abgeschlossen, einfach auch gesellschaftlich und kulturell bedingt eine Rolle spielt.

    Im letzten Teil sowie in dem Teil mit dem Titel „Verlieren, Verloren" geht es um Verluste, die die dritte Ebene betreffen. Die Geschichten „Erinnerungen an einen alten Mann, „Nähmaschine, „Nahe am Wasser gebaut, „Wasserfall, „Tod einer Freundin, „Griffelkasten, „Candle-Light Dinner und „Briefwechsel Watz-Wastel sind Beschreibungen von Wegabschnitten und zeigen, was manchmal in Stunden endlosen Weiterarbeitens, Neuschreibens und Neubearbeitens entsteht. Die TeilnehmerInnen der Schreibwerkstatt können sicherlich nicht als repräsentativ für alle Trauernden gelten. Der amerikanische Familienanthropologe P. Rosenblatt warnt in seinem Buch „Bitter, bitter tears" davor, dass Schreiben Trauer aufrecht erhalten kann, es scheint nicht immer gut zu sein, alles zu benennen.20 Ich unterschreibe diese These. Dennoch zeigt sich, dass gerade dann, wenn man sehr viel tragen muss, die unglaubliche Kreativität, die während der Trauerzeit entsteht, als hilfreich erfahren werden kann. Mit dem Schreiben ist es so, wie mit vielem auf diesem Gebiet: Wer nicht schreiben will, soll nicht schreiben und wer den Wunsch hat zu schreiben, dem kann es helfen. Ich rate auch manchmal davon ab, etwas in Worte zu fassen. Es zeigt sich immer wieder, dass man auf die Kreativität der Schreibenden vertrauen kann: Sie lenkt und bestimmt, was formuliert werden kann und was nicht.21 Inwieweit diese Kreativität genutzt werden kann, um zu einer neuen Form zu gelangen, die als „eigene wahrgenommen werden kann, ist noch nicht klar. Bisher gab es eine Zeit, die man bis dahin als „eigene Erfahrungswelt mit einem gewissen Maß an Sicherheit erlebte. Durch den Tod, gibt es diese nicht mehr. Nicht jeder Verlust zerstört die eigene Erfahrungswelt ganz. Manchmal bleibt ein Teil oder man muss gezwungenermaßen Teile verändern. Oft wird der Tod eines geliebten Menschen jedoch so erlebt, als würden dem Leben die Eckpfeiler und damit seine Tragfähigkeit geraubt. Die Spannung, die zur Neuschöpfung einlädt und zwingt, kehrt mit einem unvorhersagbaren Rhythmus regelmäßig wieder. „Aufarbeiten" durch Schreiben ist ein Weg der Neuordnung. Es gibt viele Möglichkeiten der Neuordnung: Man kann sowohl beschreibend, als auch antizipierend, als auch stellvertretend, als auch in der Fantasie die Trauer durcharbeiten, an sich heranlassen und dann zumindest teilweise zurücklassen.

    Sowohl in der akuten Zeit der Trauer, als auch danach, geht es darum, die eigene Lebenswelt neu zu ordnen. Diese Fähigkeit wurde vielleicht erst mit der Postmoderne richtig wichtig. In der traditionellen oder früh modernen Welt, in der viel strikter eine einheitlichere Ordnung vorgegeben war, war diese Aufgabe wahrscheinlich noch nicht so wichtig, wie sie es heute zunehmend wird. Eine eigene Neuordnung erlaubt es einem, in dem gegebenen Kontext weiterzuleben. Eine als erzwungen erfahrene Neuordnung ist schmerzhaft. Die Erfahrung des Verlassen-worden-Seins macht oft handlungsunfähig, wirkt lähmend oder macht wütend, ängstlich oder depressiv. Hierauf hat die Psychologie des vergangenen Jahrhunderts ausgezeichnete Antworten wie z.B. von Yorick Spiegel oder später auch Verena Kast vorgeschlagen. Doch nicht nur die Erfahrungen und Reaktionen sind anders als vor dem Tode. Im Leben derjenigen, die mit einem einschneidenden Verlust weiterleben, zeigen sich oft neue körperliche, soziale, und spirituelle Erfahrungen, die sie so bisher nicht erlebt haben und die mit zu den Veränderungen im Leben gehören. Sichtbar werden diese in den Gezeiten des Modells. Es gibt Veränderungen, die mit der Verwandlung von Erinnerungen und Alltagsritualen zu tun haben. Parkes und Weiss beschreiben sie als den Verlust der „assumptive World".22 Heute wird dazu in der neuropsychologischen Forschung auf die kognitiven Strukturen, die im Laufe des Lebens entstanden, verwiesen. Diese Strukturen können nicht einfach verändert werden: „Das mache ich ab jetzt eben anders erfordert Arbeit und braucht Zeit. Das Leben zu erneuern und weiterzuleben bedeutet, vieles auszuhalten, zu verwandeln, loszulassen, neu zu lernen, oder auch neue Fähigkeiten einzuüben, wie z.B. mit der Tatsache umzugehen, dass nun „eins meiner Kinder im Himmel wohnt….

    Die Forschung zeigt, dass die Spiritualität dabei eine wichtige Rolle spielt. Es geht nun um eine Verbindung zu einer unsichtbaren Person.23 Darüber hat man meist in seiner religiösen Erziehung oder vielleicht auch im aktiven kirchlichen Leben etwas gelernt. Man empfindet jedoch das Gelernte vielleicht als unpassend oder für diesen Zeitpunkt nicht richtig. Wie geht man dann mit den Erfahrungen um, die einen Menschen betreffen, den man nicht mehr sehen, fühlen, riechen, anfassen kann, aber z.B. doch noch hörte? Was macht man, wenn es noch so viele Erlebnisse und Erinnerungen gibt? In den sechziger Jahren wurden diese Erfahrungen noch als krankhafte Halluzinationen behandelt. Nachdem die Forschung bereits in den siebziger Jahren bestätigte, dass mehr als 70 Prozent der Verwitweten solche Erfahrungen haben (Erfahrungen, die inzwischen auch von trauernden Eltern beschrieben werden, arbeitet man heute mit verschiedenen Methoden, um herauszufinden, inwiefern diese Erfahrungen Hilfe sein können).24 Spirituelle Erfahrungen können sowohl unterstützen als auch ängstigen.

    Zwischen den einzelnen Beiträgen sind immer wieder Geschichten eingefügt. Sowohl in diesen Geschichten als auch im zweiten Abschnitt: „Verlieren, Verloren?" wird deutlich, dass ein Verlust nicht in eine theoretisch angeordnete Welt fällt. Oft sind Menschen betroffen, die bereits einen geliebten Menschen verloren haben und nun, zu einem anderen Zeitpunkt ihres Lebens, erneut davon betroffen sind.

    Manchmal können mit viel Kreativität, poetischen Worten und Sätzen Dinge neu benannt werden und so eine neue Bedeutung erschließen. Die Kreativität verweist manchmal mit sehr poetischen Worte, Sätzen und Geschichten auf eine These der Narrativität, die in den ihr eigenen Benennungen und Besetzungen mit Worten, Türen zu neuen Bedeutungen eröffnen; und zwar auf eigene Art. Frauen, die Kind und Mann verloren haben, können so neue Kraft zum Weiterleben aus ihren Worten schöpfen. Es gibt Kinder, die an ihrem Werdegang verzweifelten: „Mein Papa", sagte ein Mann „entschied sich für das Vaterland und wohl gegen mich…". Wie lebt man damit? Gibt es die Möglichkeit, ohne das eine oder das andere abzuwerten, alles in einer nächsten Formulierung einer „assumptive world" zuzulassen? Zwei Beiträge am Schluss des Buches können dies vielleicht. In den Beiträgen in Teil VIII „Die Spirale der Gezeiten" geht es um Trauer, die für manche ein Leben lang eine Herausforderung war, ist und bleibt, dennoch nächste Lebensformen fand.

    Texte, die von Trauernden geschrieben wurden, finden sich im gesamten Buch. Sie beleuchten das Thema aus der eigenen Perspektive in der eigenen Sprache. Mal sind sie heiter, mal besinnlich, mal entsetzlich und mal zum Lachen, unglaublich schön. Das Schreiben dieser Texte ist ein kreativer Prozess. Die Schreibenden bleiben anonym, denn die beschriebenen Erfahrungen sind sehr persönlich. Die Idee ist an einem Wochenende, an dem wir gemeinsam in einem Haus, dass im wahrsten Sinne des Wortes nahe am Wasser gebaut war, entstanden. Auch nach einer Therapie, in der vielleicht das schwierigste bereits besprochen wurde, bleibt die lebenslange Aufgabe des Durchhaltens. Weiterschreiben bedeutet die Entwicklung zur nächsten Stufe, die immer aus der Vorigen entsteht.25

    Die zu Beginn der Einführung genannte vierte Ebene, sei hier nur kurz angesprochen: die der Professionalität und des Ehrenamtes. Die meisten Beiträge in diesem Buch wurden entweder von Trauernden selber oder von professionellen Begleitern, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, verfasst. Eine sehr wichtige Gruppe im Bereich „Trauer erschließen soll in diesem Zusammenhang noch kurz angesprochen werden. Welche Rolle diese Gruppe einnimmt und mit welcher Methodik sie arbeitet, ist noch nicht geklärt. Es handelt sich um die Gruppe der ehrenamtlichen Begleiter. Ein Beitrag wird sich deshalb mit dem Thema „Professionalität und Ehrenamt befassen.26 Für den Zeitraum vor dem Tod sind die Rollen von Professionalität und Ehrenamt inzwischen klar umschrieben. Beide Seiten machen Vorschläge und bieten Hilfe, um zu ermöglichen, was jetzt noch machbar ist. Durch ihr authentisches und an den Wünschen der Betroffenen orientiertem Handeln ist hier Prävention noch möglich. Für den Zeitraum vor dem Tod scheinen Rolle und Methoden der ehrenamtlichen Begleiter geklärt. Gerade im Bereich der Hospizarbeit werden sie momentan aber neu diskutiert und beschrieben.

    Für die Begleitung in der Zeit nach dem Tod, sind auch die Aufgaben der Professionalität noch nicht eindeutig geklärt. Viele Ausbildungszweige lehren noch nicht auf dem neuesten Stand der Forschung. Die Rolle und Methodik der professionellen Helfer ist aber auch in vielen Bereichen der tagtäglichen Arbeit mit Trauernden unklar, z.B. in der Sozialarbeit. In dieser Diskussion ist auch die Rolle des Ehrenamtes wichtig, denn dessen Rolle ist ebenfalls nicht klar definiert. In einem Beitrag sowie einem kurzen theoretischen Text geht es um die Bedeutung dieser Rollendefinitionen, die erarbeitet werden müssen. Insbesondere die Gruppe, die die Kolloquien der Kurse „Trauer erschließen" inhaltlich begleitet, gibt in diesem Bereich hilfreiche Denkanstöße und Reflexionen. Es ist immer wieder genau zu fragen und hinzusehen, ob jemand, der nebenberuflich tätig ist, in der Lage ist, methodisch gut zu arbeiten. Das kann natürlich nicht innerhalb eines Kurses entschieden werden, aber hier können neue Überlegungen angestellt werden. Dieses Buch bietet nicht den richtigen Kontext, um diese Fragen weiter zu diskutieren. Hier bleibt es bei ersten Überlegungen, in der Hoffnung auf weitergehende Diskussionen. Am Ende des Buches findet sich zur Kontaktaufnahme mit den AutorInnen eine Adressenliste.

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    1. Vgl. Aulbert, E./ Zech, D. (Hg.): Lehrbuch Palliativmedizin. Stuttgart 2000 (2. Aufl.).

    2. Vgl. den Beitrag von Sobek-Franz, E./ Rohrmann-Heuel, S. in diesem Band.

    3. Vgl. den Beitrag von Bernhard, M./ Schmid, U. in diesem Band.

    4. Vgl. dazu den Beitrag von Börgens, S. in diesem Band.

    5. Vgl. hierzu Parkes, C.M.: Bereavement counseling. Does it work? In: British Medical Journal 5 1980, 281-306; Parkes, C.M.: Grief. Lessons from the Past, Visions für the Future. In: Death Studies 26 2002/ 5, 367-3385; Raphael, B.: Preventive intervention with the recently bereaved. In: Archives of General Psychiatry 34 1977, 1450-1454.

    6. Vgl. Parkes, C.M.: Grief. Lessons from the Past, Visions for the Future. In Death Studies 26 2002/ 5, 367- 85.

    7. Vgl. hierzu meine Ausführungen im Beitrag „Du hast ein Grübchen in meine Seele gedrückt..." in diesem Band. Weitere Informationen dazu: Aulbert, E./ Zech, D. (Hg.): Lehrbuch Palliativmedizin. Stuttgart 2000 (2. Aufl.).

    8. Vgl. auch hierzu meine Ausführungen im Beitrag „Du hast ein Grübchen in meine Seele gedrückt..." in diesem Band.

    9. Vgl. Parkes, C.M.: Grief. Lessons from the Past, Visions for the Future. In Death Studies 26 2002/ 5, 367-85; Smeding, R./ Aulbert, E.: Trauer und Trauerbegleitung in der Palliativmedizin. In: Aulbert, E./ Zech, D. (Hg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Stuttgart 2005 (neue Auflage: erscheint nach Auskunft der Herausgeber für 2005/ 2006).

    10. Vgl. in diesem Band den Beitrag von Ergenz, B./ Müller, E., den von Busch, H. zur seelsorglichen Begleitung und den von Letzing, G. zu den Fragen der Arbeit eines Kinderhopspizes.

    11. Der britische Anthropologe Gorer beschrieb dies schon Mitte der sechziger Jahre. Gorer, G.: Death, Grief and Mourning in Contemporary Britain. London 1965.

    12. Vgl. den Beitrag von Ingwersen, H. in diesem Band. Für weitere theoretische Betrachtungen verweise ich nochmals auf die entsprechenden Kapitel im Lehrbuch: Aulbert, E./ Zech, D. (Hg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Stuttgart 2000 (2. Aufl.).

    13. Vgl. dazu Teil IV „Die Schleusenzeit" und die Beiträge von Kluge, J., Beckmann, S. und mir in diesem Band.

    14. Gorer: Gorer, G.: Death, Grief and Mourning in Contemporary Britain. London 1965.

    15. Vgl. hier z.B. die Beiträge von Bayer, H. und Tichova, H.

    16. Vgl. die Beiträge von Kluge, J., Perret, M., Beckmann, S., Bayer, H. sowie Weiher, E. in Teil VI: Das Loch, in das ich fiel.

    17. Vgl. die Beiträge von Ludwig Mayer, M. und Tichova, H.

    18. Vgl. z.B. die Ausführungen in Teil V: „Begleitung in Januszeit und Labyrinthzeit von Straeten, A., Lübbering, B. und Moest, Ch./ Schiel, A.. Weiterhin beschreibt W. Benning in seinem Beitrag, wie auch auf der Gemeindeebene weitere Möglichkeiten der Begleitung möglich gemacht werden könnten. W. Striedieck zeigt auf, wie in einer Großstadt – am Beispiel von Berlin – Angebote zur Trauerbegleitung realisiert werden.

    19. E. Weiher beschreibt seine Arbeit als klinischer Seelsorger und den Zusammenhang zwischen dem von ihm entwickelten Seelsorge-Modell und dem Modell „Trauer erschließen". J. Burkhardt beschreibt eine Möglichkeit, in dieser Zeit mit Spiritualität umzugehen.

    20. Vgl. Rosenblatt, P.: Bitter, bitter tears. Nineteenth century diarists an twentieth century grief theories. Minneapolis 1983.

    21. Vgl. Stroebe, M./ Schut, H.: The dual process model of coping with bereavement: rationale and description. In: Death Studies 23 1999/ 3, 197-224.

    22. Damit sind Vorstellungen gemeint, auf denen der eigene Kontext mittels der angenommenen Struktur und Ordnung aufbaut. Vgl. Parkes und Weiss (1983). Zu Yorick Spiegel und Verena Kast vgl.: Spiegel, Y.: Der Prozess des Trauerns. Analyse und Beratung. Gütersloh 1983; Kast, V.: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Stuttgart 1982.

    23. Vgl. z.B. Klass, D./ Silverman, P.R./ Nickman, S. (Hg.): Continuing Bonds. New Understandings of Grief. Washington/ London 1996.

    24. Vgl. Rees, W.D.: The Hallucinations of Widowhood. In: Brit. Med. Journal 1971/ 4, 37-41.

    25. Die Kontaktaufnahme zu den Autoren der Trauererzählungen ist über die Herausgeberinnen dieses Bandes möglich.

    26. Zu Letzterem Vgl. den Beitrag: „Trauer Erschließen in meinem Leben" in diesem Band.

    I.

    Wenn Kinder sterben


    Du hast ein Grübchen in meine Seele gedrückt...

    1

    Von Ruthmarijke Smeding


    Neuere Forschungsergebnisse im Arbeitsgebiet der pädiatrischen Palliative Care

    Die pädiatrische Palliative Care bezieht sich auf Kinder mit AIDS, auf neonatale Sterbefälle, Kinder mit neurologisch bedingten Krankheiten (z.B. Batten-Spielmeyer- Vogt; neurologisch progressiv verlaufende Krankheiten, usw.; den ganzen Bereich der Stoffwechselkrankheiten, sowie Krebs, Herzkrankheiten usw.). Obwohl man z.B. Krebserkrankungen bei Kindern zunehmend therapieren kann, bleibt auch hier eine Gruppe, die früher oder später den Weg gehen muss, für den die pädiatrische Palliative Care spezielle Kenntnisse sammelt. Eine letzte Gruppe im Feld der pädiatrischen Palliative Care sind Kinder – im Folgenden nur sehr kurz mittels des Todes eines kleinen Jungen angesprochen –, die bei post-traumatischen Situationen sterben, z.B. nach einem Unfall.

    Diese Anzeige fand ich in einer niederländischen Zeitung. Das königliche Kind trägt in seinem Mantel eine Todesanzeige. Die Eltern, sein Bruder, seine Großeltern und noch viele andere gaben mit folgenden Worten bekannt, dass es vom 30. März bis 15. April 2001 einen kleinen Jungen namens Austin Zwetsloot gegeben hat: „Tschüss, mein wunderschönes Königskind, so lieb und so gelassen, Deine Wärme strahlte so tapfer bis plötzlich die Sonne verschwand. Aber am dunklen Himmel, wenn man nach rechts oben schaut, sieht man ein ganz kleines Sternlein, das sein Licht auf uns scheinen lässt..."2

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    Auch in deutschen Zeitungen findet man heutzutage ähnliche Anzeigen: Ein Leben von „nur" 14 Tagen oder gar nur einen Tag? Es gibt Tage, an denen mehr Fragesätze als Antworten gesprochen werden. Es sind angefragte Tage – Fragen vom Leben, über das Leben.

    Eine unserer wichtigsten Fragen hinsichtlich von Palliative Care wird dabei immer sein: Wie und wo erlebte diese Familie so prägende Tage? Was geschah? Die Trauer, die ein so kurzes Menschenkinderleben betrauert, wird nicht selten unterschätzt. Gute Betreuungsmodelle, so wie ich diese z.B. in der Augsburger Kinderklinik kennen lernte, suchen spezifisch nach Möglichkeiten der ganzheitlichen Betreuung dieser Eltern. Pädiatrische Palliative Care als Hauptbestandteil der Begleitung und Begegnungen zielt auf eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern. Hier gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch krankheitsspezifische Aspekte. Allen Betroffenen gemeinsam ist die Unheilbarkeit. Speziell in der pädiatrischen Palliative Care liegen schon viele Erfahrungen mit multi-disziplinärem Arbeiten vor, sowohl inter- als auch infra-professionell, sowie in der Zusammenarbeit mit den Familien. Hier will ich die letzte Phase der Krankheitsverläufe und die Zeit danach fokussieren, und zwar spezifisch nach Wissens-, Handlungs- und Reflektionsbreite der pädiatrischen Palliative Care. Meine Arbeit in der Palliative Care besteht aus der Suche nach Schulungskonzepten für diese Begleitung. Ich frage vor allem: Wie wird geschult, was wird geschult und wo und wer wird geschult? Der klinische Teil meiner Arbeit beginnt da, wo die Kliniken oft abgeben (müssen): in der Begegnung von Tod und Leben und dem langen Weg danach. Meine Erfahrungen aus diesem klinischen Standbein erlauben mir eine „Rückübersetzung" auf die Schulungskonzepte. Letzteres bewegt sich zunehmend in Richtung präventivem Denken, d.h.: Die Verstorbenen weiterhin ehren, indem wir aus der Begleitung und Sorge, welche sie bekamen, noch weiter lernen und eine nächste Begleitung an dem Gelernten verbessern oder qualitativ auf demselben Niveau überwachen. Es müssen ja noch weitere einen ähnlichen Weg gehen. Erfahrungsreflexion, Analyse, Interpretation, aber auch zunehmend Forschung an größeren Gruppen sind dabei wichtige Rückmeldungsmechanismen.

    Definition von Palliative Care

    Der Begriff Palliative Care3 hat auch im Deutschen Einzug gehalten. Diejenigen, die diese Art Care ausführen, möchte ich hier als „Carer" bezeichnen. Das enthebt mich der Notwendigkeit, immer alle Bereiche aufzuzählen, die in der Palliativ Care aktiv sind: Medizin, Krankenpflege, Psychologie, Sozialarbeit, Seelsorge, Ehrenamt. Um einige der Aufgaben, die diese Carer gemeinsam haben, in den Fokus zu nehmen, ist die WHO-Definition von Palliative Care von Bedeutung: Palliative Care ist die aktive ganzheitliche Begleitung (Care) eines Patienten in dem Krankheitsstadium, in dem dieser nicht mehr auf eine kurative Behandlung reagiert und die Kontrolle der Schmerzen und anderer Symptome, sowie die psychologische, soziale und spirituelle Problematik im Vordergrund stehen. Ziel von Palliative Care ist die höchstmögliche Lebensqualität, sowohl für den Patienten als auch für seine Angehörigen. Palliative Care unterstützt das Leben und betrachtet Sterben als einen normalen Prozess. Palliative Care zielt auf Schmerzfreiheit und Linderung anderer belastender Symptome; sie integriert physische, psychische und spirituelle Aspekte der Patientenbetreuung, hilft dem Patienten, damit er bis zum Tode so aktiv wie möglich leben kann, und unterstützt die Familie, damit diese bis zu seinem Tode mit der Krankheit sowie nach seinem Tode mit der Trauer (bereavement) umgehen kann." (aus: World Health Organisation: Cancer Pain Relief and Palliative Care. Technical Report Services 804, Genf 1990) Die hier genannten „physischen, psychischen und spirituellen Aspekte verlangen Berufswissen und Können, das in der westlichen Gesundheitswelt auf unterschiedliche Berufe verteilt ist. In den Kursen „Trauer erschließen wird auf die Nahtstellen der verschiedenen Berufsgruppen mit den Trauerwissenschaften geschaut, so dass diese Konzepte ihren reflektierten Platz in den Handlungsschemen bekommen können.

    Einzigartige Aspekte der (pädiatrischen) Palliative Care

    Die weiteren in der obigen WHO-Definition hervorgehobenen Worte weisen dann auf drei meines Erachtens einzigartige Aspekte der Palliative Care (nicht nur der pädiatrischen) hin:

    Palliative Care bezieht sich auch auf den menschlichen Kontext, in dem der Patient sich befindet.

    Palliative Care definiert sich inklusive dem Tod.

    Palliative Care bezieht sich auch auf die durch den Todesfall ausgelöste Trauerperiode.

    Die Trauer der Carer kommt in dieser Definition nicht vor, sie spielt jedoch ebenfalls eine wichtige Rolle bei Palliative Care. Wie wir sehen werden, war diese auch Ziel einiger Untersuchungen.

    Der menschliche Kontext

    1. Das kranke Kind

    Die krankheitsbedingten Faktoren der pädiatrischen Palliative Care sind (in Deutschland und anderswo) von Ärzten zu bearbeiten. Immer wieder hört man, dass es da beispielsweise im Feld der Schmerzerforschung bei Kindern mangelt.4 Meine Lehraufgaben liegen mehr im Bereich des Umgangs mit dem Kind: „Jedes Kind hat ein Anrecht auf ehrliche, persönliche, taktvolle und nicht ausweichende Antworten."5 Diese Aussage aus dem deutschen Raum unterstreicht eine angloamerikanische Studie.6 Die Forschergruppe hat die Mythen und Realitäten im Bereich Kinder und Tod aufgelistet und viele der herrschenden Einstellungen in Frage gestellt. Selbstverständlich sollte die Care-Einheit richtungs- und tempoweisend sein. Dabei sind neben dem Alter des Kindes viele weiteren Faktoren zu berücksichtigen. Die Grundhaltung besteht in einem offenen, nicht schonenden Umgang mit den kranken Kindern. Dies betonen auch andere Untersuchungen. Die nachstehenden Beiträge von Beate Ergenz und Erika Müller, sowie von Hubertus Busch zeigen in Bezug auf unterschiedliche Berufsgruppen, wie das eigene „Carer-Sein und der mutige, offene Umgang mit Menschen am Ende des Lebens von den Professionen selbst in Einklang gebracht werden. Das Wort „Umgang verdeckt die in diesen Beiträgen umgesetzte, berufsbezogene Frage nach einem befähigenden Umgang. Ein solcher Umgang gehört in der Palliative Care zunehmend zum normalen Konzept.

    Gerade in der pädiatrischen Palliative Care ist das multi-disziplinäre Arbeiten schon jahrelang entwickelt worden. I. Byock7 vergleicht die Stadien des Sterbens mit denen der Entwicklung eines Kindes. In einem aktuellen Artikel beschreibt er, dass die Art der Begleitung bei pädiatrischen Krankheiten zu einer Ethik tendiert, die das Ausdehnen favorisiert und insofern eine „addierende Ethik darstellt.8 Dagegen bezeichnet er unsere kleinliche Art, mit alten sterbenden Menschen umzugehen, als eine sich verengende („subtrahierende) Ethik. In diesem Sinne finden sich also in der Pädiatrie schon viele günstige Ausgangspunkte, die für die Palliative Care vorbildlich sein könnten.

    2. Die Eltern

    In diesem multi-disziplinären Gefüge sind Eltern von schwerstkranken Kindern auch in Deutschland schon sehr lange Teil des pädiatrischen Teamworks. Die Frage nach einem befähigenden Umgang ist jedoch auch weiterhin in der Forschung und Beschreibung zu reflektieren. Eltern können für den Weg, der vor ihnen liegt, nach den richtigen Worten und den adäquaten Handlungsweisen mitsuchen. So lernen sie zum Beispiel in und von den oft krankheitsspezifischen Elterngruppen.

    Barbara Monroe, Sozialarbeiterin und jetzige Direktorin des St. Christopher’s Hospice in London, sagte zu den Begegnungen mit Eltern sterbender Kinder: „Ich kenne keine Gruppe, die unter derartig schweren Umständen so schnell lernt wie die Eltern kranker Kinder."9 Eine Studie über die Erfahrungen von Eltern in fünf Ländern zeigte mehr Übereinkünfte als Unterschiede.10 Trotz geografischer und kultureller Unterschiede (die befragten Mütter wohnten in Kanada, Griechenland, Hongkong, Norwegen und den USA) ging es diesen Müttern hauptsächlich um ein Thema: die Kommunikation. Die Notwendigkeit so lange wie möglich, egal wie war dem Bedürfnis nach menschlichen Interaktionen untergeordnet. Eine weitere Studie von D. Papadatou11 zeigte, dass es Eltern auch nicht um das Streicheln oder Küssen ihrer Kinder als Zeichen der Zugewandtheit geht. „Das können wir selbst", sagen diese Mütter. Sie brauchen vielmehr Mitleben, Dasein, Antworten und Begleitung auf dem wohl schweren, aber unvermeidlichen Weg.

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