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Sie werden mich kennenlernen: Die Merkel kennt mich schon
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eBook285 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Gestatten: Kaminsky, Matthias Kaminsky. Sie werden ihn kennenlernen. Ob sie ihn mögen, müssen Sie selbst entscheiden. Der Kerl ist Ossi. Baujahr 1969, aus Querfurt. Guter Name, passt zu ihm. Alles beginnt 1984 mit der Lizenz zum "Schallplattenunterhalter", Papa fährt ihn zum Diskomachen über Sachsen-Anhalts Dörfer. 1990 hat Matthias sein schwules Coming-out. Die Neunziger gehören für ihn, neben Hedonismus und Party, immer auch der Kunst. Heute zählt er praktisch zum Inventar der Berliner Popkultur, parkt mit Porno-Porsche auf dem Parkplatz der Merkel und schmiedet Pläne mit Doktor Motte. Klingt nach Hektik? Tatsächlich führt Kaminsky mehr Leben zugleich als eine Katze nacheinander. Als Techno-DJ und Schöpfer einer Marke für Fetischklamotten, Mitgründer der Loveparade-Nachfolge "Rave the Planet", Designer für Produkte und Creative Director des Berliner DDR-Museums, als Eventorganisator für die Expo, die IAA, für Schalke 04 und Toyota. Und jetzt auch noch Buchautor? – Ja doch, er ist der Held dieser deutsch-deutschen Schelmengeschichte, einer erstaunlichen, lebensbunten, unfassbar komischen Geschichte. Oder wie er selbst sagt, wenn er gepierct und tätowiert in seiner Schöneberger Stammkneipe vor einem steht: "Großartiger Unsinn!" Von der DDR, der Wende, Berlin, der Bundesrepublik und überhaupt. Und mittendrin und gern ein Stück vorneweg Kaminsky selber – nicht Mitläufer noch Wegducker, einfach ein Querkopf, der seinen Weg geht. Und dem man verblüfft dabei zusieht.
SpracheDeutsch
HerausgeberNeues Leben
Erscheinungsdatum26. Mai 2021
ISBN9783355500661
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    Buchvorschau

    Sie werden mich kennenlernen - Matthias Kaminsky

    Impressum

    Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.

    Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet,

    dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen

    oder in Datenbanken aufzunehmen.

    Fotos von Ben Montaser, Ulf Büschleb, Jörg Kempf, Rave the Planet und Matthias Kaminsky

    Verlag Neues Leben –

    eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

    ISBN E-Book 978-3-355-50066-1

    ISBN Print 978-3-355-01900-2

    1. Auflage 2021

    © Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

    Umschlaggestaltung: Ben Montaser/Verlag,

    unter Verwendung eines Fotos von Adrian Sereni

    www.eulenspiegel.com

    »Do. Or do not. There is no try.« Herr Yoda

    »Das kann nur schiefgehen.« Herr Kaminsky

    »Wenn schon Scheiße, dann mit Schwung.« Frau Kaden

    Inhalt

    Vorwort von Thomas Brussig

    Ein Prolog oder: Der Parkplatz der Kanzlerin

    Alles was Krach macht

    Familienbande

    »Matthias!!!«

    Wir Kinder von der LPG

    Die Gretchenfrage der DDR

    Mit der Disko über die Dörfer

    Was ist denn da los?

    Im Ernst ohne Ernst

    Wie baut man einen Jugendklub?

    Mehr als ein fahrbarer Untersatz

    Kurz, knapp und konspirativ

    Meine erste Love Parade

    Wo warst du?

    Die Erfindung des Wortes Fremdschämen

    Alles OKAY oder was?

    Es regnet Geld!

    Total vermessen

    Zurück zu den Anfängen

    Mausepiepchen und der Hoppelfrosch

    Jetzt aber raus aus dem Kleiderschrank!

    Ausgemustert

    Time to Say Goodbye

    Geliebte Mammutelfe

    Glamour-Zeiten

    Ich beiß dir die Eier ab!

    Apropos Autos …

    Ein Elefant in der Kneipe

    Breaking Bad

    Voll in love

    Aktion Monica

    Bye bye, Love!

    Ne richtig coole Agentur-Butze

    Ein Dickschiff namens Triad

    Brille schief, Frisur wild

    Die Streifen, die die Sportwelt bedeuten

    Heim ins Reich oder reich daheim?

    Die rasende Rita und der rauchende Rudi

    Drei besonders fiese Buchstaben

    Jetzt erst recht!

    Wieso eigentlich FTW?

    Wilde Zeiten

    Das Leben und nichts anderes – oder so

    Wer ist hier pervers?

    Und die Taschen voller Geld …

    So, und jetzt wird’s GEARig

    Du hast ja’n Stich!

    Autos und ihre Hinterlassenschaften

    Endlich: Angie!

    Auftritt Porno-Porsche im Konrad-Adenauer-Haus!

    Seehofers Talfahrt

    Wie trocknet man eine Kanzlerin ab?

    Wir haben die Wahl … oder: Ein Blowjob in Düsseldorf

    Wunder dauern etwas länger

    Ich will raus!

    Ein Knie am Boden

    Mit beiden Knien am Boden

    Hier hast du einen Grundriss!

    Die Rechnung der Wirtin

    Ich krieg die Motten und mach mich vom Acker

    Gibt es Matthias Kaminsky wirklich, und wenn ja, warum soll ich seine Biografie lesen?

    Thomas Brussig

    Dieses Vorwort möchte ich mit einem Geständnis beginnen: Ich lese gern Biografien. Das ist für einen Schriftsteller deshalb ein Geständnis, weil Biografien gemeinhin als literarisch minderwertig gelten, als Trash. Und zwar, weil in ihnen keine Handlung gestaltet ist, weil in ihnen, im Gegensatz zu Shakespeare, nicht das Eine aus dem Anderen hervorgeht und dem Geschehen jegliche Folgerichtigkeit abgeht. (Wenn doch, hat der Verfasser nachgeholfen und eine Lebensgeschichte konstruiert; dann handelt es sich erst recht um Trash.) Nein, das wahre Leben gibt eine ziemlich unliterarische Form vor: ein unablässiges »und dann und dann und dann«. Und das prägende Stilmittel: Zufälle.

    Nun ist es aber so, dass ich nur in Biografien dem Leben beim Walten zuschauen kann. Das wahre Leben bietet Zufälle und Episoden, die so irre sind, dass kein Autor es wagen würde, sie zu erfinden. Mit anderen Worten: Biografien wohnt eine Wahrheit über das Leben inne, die die hohe Literatur längst weggekärchert hat.

    Gut, nun wissen wir, warum wir überhaupt Biografien lesen sollten. Aber wieso ausgerechnet die von Matthias Kaminsky?

    Die kurze Antwort lautet: Weil das ein faszinierender Zeitgenosse ist. Halb Unternehmer, halb Künstler, mit einer gehörigen Portion Schlawinertum und kleinkriminellen Spurenelementen, sowohl Organisations- wie Desorganisationstalent. Matthias Kaminsky hat so viel erlebt, dass sogar Rapper vor Neid sprachlos werden. Irgendwann beim Lesen habe ich begonnen, all die armen Vorstandsvorsitzenden, Mandatsträger und Talkshowgäste zu bedauern. Wenn man niemals so gelebt hat wie Kaminsky, wozu lebt man dann überhaupt? Und all die Mütter, die schlaflose Nächte durchmachen, weil ihre Söhne oder Töchter vor oder nach dem Abi keinen Plan haben, können sich beim Lesen dieses Buches beruhigen, und begreifen: Es geht auch ohne Plan und ohne Abi. Matthias Kaminsky hat das Leben ohne Plan vielleicht zum Prinzip erhoben, auf jeden Fall zur Perfektion gebracht. Er versteht es, Chancen zu erkennen und am Schopfe zu packen. Er hat ein Gespür für den Moment, in dem er einen Neuanfang wagen oder Gewohntes hinter sich lassen sollte. Irgendeine Tür öffnet sich ihm immer. Nicht selten ist es eine Tapetentür. Doch in verborgenen Räumen finden sich bekanntlich oft die interessantesten Dinge.

    Es gibt einiges, was sich von Kaminsky abzugucken lohnt: Sein Optimismus. Die Antennen für den richtigen Moment. Die Fähigkeit, Rückschläge wegzustecken und mit ollen Kamellen abzuschließen. Seine Gabe, immer mit nur einem blauen Auge davonzukommen. Und das Talent, sich neu zu erfinden. Nennen wir das alles der Einfachheit halber »Kaminsky-Methode«.

    Natürlich war es nicht Matthias Kaminskys Idee, sein Leben aufzuschreiben. Der Einfall kam von Martina Kaden, die als ehemalige B.Z.-Kulturredakteurin jahraus, jahrein all die schrägen Vögel traf, die sich in Berlins Kulturszene tummeln, und die dank ihres geschulten Blickes sofort erkannte, auf welches Juwel sie gestoßen war, als ihre Wege sich mit denen Kaminskys kreuzten. Es ist vielleicht das größte Wunder dieses an Wundern nicht armen Buches, dass ausgerechnet eine Redakteurin eines großen Boulevardblattes sich die Demut bewahren konnte, die für eine solche Erzählung Voraussetzung sein muss. Ob Matthias Kaminsky weiß, was er mal wieder für ein Glück hatte, dass er jemanden traf, der sein Leben in ein Nonstop-Lesevergnügen verwandeln konnte?

    Und wie es bei ihm gar nicht anders sein kann, wird sich aus diesem Buch bestimmt etwas Neues ergeben, das nie so geplant war. Zum Beispiel eine Netflix-Serie. Es handelt sich immerhin um eine Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte, die in der DDR beginnt, den Wende- und Nachwendeirrsinn aber so richtig mitnimmt, sich der Schwulenszene widmet, und die nicht nur von der DDR-Provinz, sondern auch vom heutigen Berlin klug und genau erzählt. Kaminskys Erfolge lösen sich mit Schicksalsschlägen ab, es gibt jede Menge Glück und jede Menge Verlust, Unfälle, Krankheiten, Insolvenzen, es gibt Containerladungen an filmreifen Momenten … Warum ich ausgerechnet auf eine Netflix-Serie komme? Nun, es gibt dort bereits eine Serie mit dem Titel »Die Kominsky-Methode«, mit o. Es will wohl was bedeuten, dass der Titel »Die Kaminsky-Methode« noch zu haben ist.

    Ein Prolog oder: Der Parkplatz der Kanzlerin

    »Tut mir leid, Matthias, aber du bist ein Buch!«

    »Hä? Wie kommste denn darauf?«

    »Na, entschuldige bitte! Schließlich erzählst du mir hier eine heiße Story nach der anderen aus deinem aberwitzigen Leben, ich falle von einem Staunen ins nächste. Das wird doch garantiert nicht nur mir so gehen!«

    Wir stehen in unserer Schöneberger Stammkneipe, in der wir uns vor zwei Jahren kennenlernten. Naja, eigentlich haben wir uns zunächst nur so ein bisschen beäugt, von Tresenecke zu Tresenecke. Erst nach dieser 30-Jahre-Love-Parade-Pressekonferenz mit DJ Dr. Motte im Nineties Berlin wird aus dem Äugen ein Quatschen. Matthias Kaminsky segelt auf mich zu: »Wir kennen uns, wir trinken am selben Ort!«

    So kommt der Stein ins Rollen. Seither trinken wir gemeinsam. Und reden. Vielmehr, er erzählt, ich höre zu, lache und staune.

    Und habe jetzt diese Buchidee.

    »Wie soll denn das gehen?« Er guckt missmutig.

    Ich: »Na, ungefähr so …«

    »Tach, Kaminsky!«

    Es knackt im Lautsprecher. »Guten Tag, Herr Kaminsky. Sie werden bereits erwartet.«

    »Wo kann ich’n hier parken?« – »Ah, Sie sind mit dem Wagen gekommen …« (Die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich stehe mit meinem derzeitigen Porno-Porsche vor dem Konrad-Adenauer-Haus.) »Fahren Sie bitte in die Tiefgarage und stellen Sie Ihr Fahrzeug auf den Platz von Frau Dr. Merkel.«

    Halt, halt, halt!

    Wie kommt ein tätowierter Irokesenträger mit Nasenring im Porno-Porsche auf Angies Parkplatz im Konrad-Adenauer-Haus? Und sitzt wenig später bei ihr im Büro?

    Tja, liebe Leute, das gehört so zu dem großartigen Unsinn, mit dem ich es eigentlich die ganze Zeit zu tun habe. Manchmal stelle ich mich neben mich, verschränke die Arme, die tätowierten, und denke: Was war denn das jetzt schon wieder?

    Also, noch mal ne ordentliche Vorstellung: Gestatten, Kaminsky, Matthias Kaminsky, Designer mit Händchen für Kreativ-Organisation. Museen, Ausstellungen, Messen, Firmen- und Polit-Events … Eigentlich ist nichts vor mir sicher. Ich hab aber auch schon Partys organisiert, Diskotheken und Motorräder gebaut, diverse Sachen mit Vollstoff an die Wand gefahren und betreibe einen Fetisch-Laden in Berlin-Schöneberg.

    So weit, so normal. Alles dazwischen ist chaotisch, strange, verrückt. Großartiger Unsinn eben.

    Seid Ihr bei mir? Habt Ihr Lust? Wollt Ihr mich kennenlernen? Müsst Ihr wohl, sonst würdet Ihr das hier nicht lesen. Also schnallt Euch an, Ihr werdet mich kennenlernen! Und das mit der Merkel klären wir später.

    »Spinnst du?« Matthias fährt mir voll in die Parade, als ich ihm diesen Einstieg ins Buch skizziere. »Wenn du denkst, du kannst so tun, als ob ich das alles selbst schreibe, hast du dich geschnitten! Ich schmücke mich nicht mit fremden Federn! Ist ja schließlich deine Idee! Also komm mal schön raus aus deiner Schreibecke, Schätzelein!«

    »Was? Ich? Neeneenee! Ich bin Journalistin, das macht man nicht. Ich bin dein Geist!«

    »Dann machen wir’s eben nicht!« Er verschränkt die Arme.

    »Das wäre aber echt schade!« Ich verlege mich aufs Jammern.

    »Na, dann bist du mit drin!« Er grinst.

    Okay, das geht jetzt ein bisschen so hin und her. Aber der Kerl lässt nicht locker. Dann versuche ich’s eben.

    Guten Tag, Martina Kaden hier. Journalistin. Nach einigen »Wossi«-Jahren als Super-Illu-Reporterin und vielen, vielen Jahren Kulturjournalismus bei der Berliner B.Z. (gefühlt 300 Interviews mit Claus Peymann und 1000 Rettet-die-Kudamm-Bühnen-Geschichten) bin ich letztens in die Altersteilzeit gesegelt. Und anstatt die Nase in die Sonne zu halten (ich krieg eh immer nur Sonnenbrand), nerve ich Herrn Kaminsky mit ausufernden Recording-Sessions. (Er nennt das Diktat! Dass ich nicht lache!) Jetzt sitze ich im selbst gewählten Homeoffice und schreibe dieses Buch. Soll eine Biografie werden. Hab ich noch nie gemacht. Keine Ahnung, ob ich das kann.

    Aber versuchen wir’s mal. Und meine Kommentare setze ich einfach kursiv. Mit Sternchen.

    ***Ungefähr so: Also, der Kerl ist Ossi. Baujahr 1969, geboren in Querfurt/Sachsen-Anhalt. Guter Name, passt zu ihm. Matthias: »Wenn du jetzt was vom Querkopf aus Querfurt schreibst, bin ich raus.« Ich: »Na gut, dann sprechen wir eben von einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung? Ist das genehm?« Gebrummte Zustimmung.***

    Alles was Krach macht

    ***Also zurück nach Querfurt. Bisschen ruhig, 11000 Einwohner, Mittelalter-Idyll zwischen Burg und Stadtmauer. Da wächst man zwar recht behütet auf, aber für Flausen ist jede Menge Platz. Und jede Menge Infrastruktur. Heute veröden kleine Städte, in Querfurt gibt’s alles – Werkstätten, Läden, ziemlich pittoresk mit einer 1100 Jahre alten Burg mittendrin. Jetzt du, Matthias!***

    Okay, und ganz da oben, auf dem Turm der Burg, auf den man hinaufklettern kann, prangt diese Schieferplakette mit dem Namen meines Vaters »Walter Kaminsky«. Der hat als Dachdeckerlehrling an dem Zwiebeldach des Turms mitgedeckt. Und ich bin als Dreikäsehoch natürlich stolz wie Bolle. »Da steht Papa!«, erkläre ich jedem, den ich da hoch schleppe.

    Aber noch mehr interessiere ich mich für alles, was Krach macht, zischt und bollert und rollt und fliegt …

    Weihnachten, Anfang der siebziger Jahre: Die ganze Landschaft tief verschneit, das ist, anders als heute, an der Wintertagesordnung. Kaminskys zu Besuch bei Opa und Oma Hartinger in Esperstedt. Anfahrt per Bummelbahn, drangehängt an diese riesige Dampflok. Dicker weißer Rauch, rußgeschwängert, und all das im tiefen Schnee. ***Herrlich! Ich sehe es vor mir! Ein echtes Kleinejungswintermärchen!***

    Dieser kleine Junge ist jedoch ein bisschen ängstlich, weil die Dampflok so riesig vor ihm steht. Aber auch schon fasziniert.

    Die Fahrt geht durch verschneite Landschaft und tiefe Täler, die wir auf riesigen Stahlbrücken überqueren. Den Duft der grünen Kunstledersitze der Reichsbahnwaggons habe ich immer noch in der Nase. Angekommen in Esperstedt, geht mein erster Weg zu dem Signalhäuschen, wo die Weichen noch mit großen mechanischen Wippen gestellt werden.

    Opa Hartinger ist ja Gleisbauer, der kann alles prima erklären. Und vor allem hat er als Mitarbeiter der Reichsbahn einen Freifahrtschein, der kommt immer dann zum Einsatz, wenn der Vorrat aus Eberswalder Würstchen – Mangelware in der DDR und total lecker! – zur Neige geht. Ich mit Opa auf großer Hamsterfahrt! Und hinterher bepackt mit Wurstdosen. Ein Spaß!

    Zu Weihnachten wird auch immer die große Modelleisenbahn Marke Piko Spurweite TT ausgepackt, denn dazu gibt es jedes Mal neue Waggons und anderes Zubehör. Die Bahn steckt in einem riesigen Klappkoffer, der sich auf 2 x 1,50 Meter öffnen lässt. Das Scharnier in der Mitte ist als Autobahnbrücke getarnt und hat zwei Tunnel, durch die das Bähnchen schnurrt. Natürlich werden mir die drei Meter schnell zu klein, aber zum Glück gibt es die Weiche 4, die im Koffer-Nichts endet. Und die wird dazu genutzt, die Bahn kreuz und quer durch Hartingers Wohnzimmer zu verlegen. Was immer dann in großem Geschimpfe endet, wenn Mutter Gretelchen beim Essenauftragen über die Gleise stolpert.

    Die Eisenbahn, riesig groß und kofferklein, ist jedenfalls der Anfang meiner Technikbegeisterung. Heute sind es schnelle Autos (neben den Porno-Porsches fahre ich mit Vorliebe AMG oder meine hochgetunte Rennpappe – Trabant, mit 100 PS) und Motorräder von Aprilia und Ducati. Hab ich erwähnt, dass fünf davon in meiner Küche stehen? Nee? Okay, jetzt wisst Ihr Bescheid.

    Als kleiner Junge entwickle ich jedenfalls eine Leidenschaft fürs Auseinandernehmen und Neuzusammenbauen. Kein Spielzeugauto ist vor mir sicher. Da wird erst das Dach abgesägt, dann das Fahrwerk tiefergelegt. Und schließlich muss das Ding selbstverständlich auch noch neu lackiert werden. Das versuche ich mit Filzstiften. Was leider schiefgeht. Beim Staubwischen nimmt Gretelchen das vor sich hin trocknende (so hoffe ich) Auto hoch und hat die ganze blaue Farbe an den Fingern. Da hält sie bombenfest, leider nicht an meinen Spielzeug-Cabrios. Den Schrei »Matthias!!!« höre ich da nicht zum ersten und letzten Mal.

    Meine nächste große Liebe entdecke ich mit 12/13, als mich mein Bruder Thomas – elf Jahre älter als ich, aber genauso technikverrückt – in die AG Flugmodellbau mitnimmt. Da konstruieren wir nicht etwa kleinklein, sondern richtig große Modellflugzeuge aus ultraleichtem Balsaholz, zwei Meter Spannweite. Ausgestattet mit elektrischen Stellmotoren, Höhenrudern, Seitenrudern, Querrudern und Funkfernsteuerungen, wie man sie heute von Drohnen kennt. Und alles von Grund auf: erst je nach Auf- und Abtrieb-Anforderung das Profil für die Tragflächen bestimmen, dann ein Musterprofil bauen, einzelne Rippenbögen schleifen und die Flügel mit Spezialpapier und Folien bespannen. Zum Schluss alles laminieren.

    Richtig aufregend wird es, wenn wir von Vattern, der inzwischen vom Dach runtergeklettert und zum Busfahrer mutiert ist, zu den Wettkämpfen kutschiert werden. Im 23 Kilometer entfernten Laucha liegt mitten im Weinbaugebiet des Unstruttals ein Sportflugplatz, der noch aus Nazizeiten stammt. Für uns Jungs ein Riesen-Abenteuerspielplatz, der Lust macht auf Luftfahrt, Sportfliegerei und Fallschirmsprung. Alles für umme und gesponsert von der Gesellschaft für Sport und Technik – selbstverständlich mit Hinblick auf eine Zukunft bei der NVA ***für ganz Junge: Nationale Volksarmee***. Unsere Flugmodellbau-AG ist da nur das erste Rädchen im allumfassenden Bürgerbespaßungsunterfangen.

    Familienbande

    Weihnachten bei Hartingers wird in den Siebzigern abgelöst durch Weihnachten bei meinen Eltern. Später dann bei meinem Bruder Thomas. Der ist wie gesagt elf Jahre voraus, ich bezeichne mich immer gern als Betriebsunfall, was Gretelchen jedes Mal ärgert. Im letzten Jahr ist die Tradition übergesprungen auf Thomas’ Tochter Nicole, die ihn 1997 mit 39 Jahren zum Opa macht. Die größte Krise seines Lebens! Bisher … Denn Nicoles Sohn Philipp ist auch schon über 20. Wäre doch witzig, wenn mein Großneffe meinen Bruder, der heute als Prüfingenieur bei der Dekra arbeitet, noch vor Renteneintritt zum Urgroßvater machen würde. Wäre dann noch so ein Betriebsunfall. Was ja auch ne schöne Familientradition ist. Ich muss Philipp mal anrufen, ich höre, der hat eine Freundin. Hehehe!

    Mutter Gretel (eigentlich Margarete, aber so nennt sie keiner) ist die Tochter von Opa Hartinger. Der heißt Michel und stammt wie Oma Maria aus Siebenbürgen. Während der Nazizeit muss die Oma mit Gretelchen und Brüderchen Josef auf den Treck erst nach Polen (Motto: Hier habt ihr Land, macht was draus!) und später, als sich die 1000 Jahre nach zwölf Jahren dem Ende zuneigen, Richtung Westen. In Esperstedt gelten sie als Polen, obwohl sie doch diesen österreichisch klingenden k.u.k.-Zungenschlag aus Siebenbürgen sprechen.

    Während sich Oma Maria also mit Kindern und Bollerwagen durch Europa schlägt, macht sich Opa Michel bei der SS in Norwegen einen lauen Lenz. Als ich später mal in einer Schublade krame und seinen alten Wehrpass zutage fördere, ist er stinksauer. Sollte ein Geheimnis bleiben. Aber wenn Jugend forscht, dann forscht sie eben. Tut mir auch nicht wirklich leid. Auch wenn es erst ne Tracht Prügel setzt und er sich dann einen Kümmel genehmigen muss.

    Opa Michel ist der Drache in der Großelterngeneration, Gretelchen hat das stürmische Temperament in der Elterngeneration. Im Moment versucht sie gerade, die Macht im Altersheim an sich zu reißen. Böse Zungen behaupten, dass ich diese Tradition heute fortführe. Immer wenn ich mal in der Firma vor mich hin gifte, heißt es: »Reiß dich zusammen, Gretelchen!«

    Jedenfalls ist diese ganze krumme bucklige Mischpoke technikverrückt. Manchmal auch nur verrückt. Opa Hartinger zum Beispiel spürt immer wieder einen Forscherdrang mit fatalen Konsequenzen. So, als er die Kaffeemühle bei laufendem Motor aufschraubt, um zu sehen, wie der Betrieb von innen aussieht. Oma Maria, sonst die Langmut in Person, kriecht danach zeternd über den Küchenboden, um das kostbare Mahlgut wieder einzusammeln. Denn Kaffee – Mangelware und sündteuer in der DDR – verplempert man nicht!

    Oder noch schlimmer: In einem Winter muss ich das Bett erkältungsbedingt hüten. Opa Michel soll Fieber messen. Er ist sich nicht sicher, ob das alte Thermometer noch funktioniert. Und will es in einem der Wassertöpfe austesten, die Oma Maria immer heiß auf dem Herd stehen hat. Er steckt das Ding also ins heiße Wasser, und es kommt, wie es muss: Das Quecksilber schießt hoch, das Glas zerbricht. Überall kullern diese winzigen Quecksilberkügelchen durch Marias Küche. Sogar in der Suppe schwimmen sie. Oma Maria ist not amused und fegt das flutschige Zeug zusammen.

    Ist aber nicht giftig, neenee. Auch das Asbest, das mein Vater und ich für den Ausbau unserer Garage zusammensägen – frag nicht nach Sonnenschein! –, ist in den siebziger/achtziger Jahren komplett ungefährlich. Wir machen uns jedenfalls keinen Kopf. Und zeigen bisher auch keine sonderlichen Spätschäden.

    Der andere Opa, Willy Kaminsky, Vater von Walterchen, Onkel Heinz und Tante Rosi, geht in die Familien-Annalen

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