Deutsche Indianer: Eine kleine Kulturgeschichte über Freiheit, Blutsbrüder und letzte Mohikaner
Von Denise Wheeler
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Deutsche Indianer - Denise Wheeler
Abbildungsverzeichnis
Der Indianerkult in Deutschland
Sind Sie als Kind Indianer gewesen? Haben Sie als stolzer Krieger für eine gerechte Sache gegen die Bleichgesichter und ihre korrupte Welt gekämpft?
Haben Sie sich darin geübt, Schmerzen und Demütigungen zu ertragen, getreu dem Sprichwort: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz"?
Oder haben Sie in liebevoller Handarbeit Friedenspfeifen gebastelt und Mokassins aus Fensterleder mit Perlen bestickt?
Interessieren Sie sich immer noch für alles, was mit Indianern zusammenhängt? Und haben Sie sich schon einmal gefragt, warum?
In vielen Ländern Europas gehört das Cowboy-und Indianerspiel zur Kindheit. Dass aber die Indianer die Guten und die Cowboys die Schurken sind, das gibt es so nur in Deutschland. Seit Generationen laufen junge Deutsche zu den Indianern über. Die Deutschen bewunderten den Indianer nicht nur wegen seiner Kampftüchtigkeit, seiner Loyalität und seiner Selbstbeherrschung, sondern auch wegen seiner Großzügigkeit, seiner Bescheidenheit und seiner Friedensliebe. Sie glaubten vor allem, dass er ein glücklicheres und erfüllteres Leben führte als sie, in Harmonie mit seinen Mitmenschen und der Natur. Dieser Glaube konnte so weit gehen, dass manche daraus einen Beruf machten und sich als Ethnologen oder zumindest Hobby-Ethnologen ein Leben lang der Erforschung indianischer Kulturen widmeten, um den Indianern nahe sein zu können. Eva Lips zum Beispiel, die Frau des Indianerforschers Julius Lips, schrieb 1964 in einem Buch über die Forschungsaufenthalte ihres Mannes bei den Ojibwa-Indianern:
„So gehört es zu den allergrößten Erlebnissen, die mir geschenkt wurden, zu sehen, wie Jules im Land der Indianer eine Heimat fand, wie er, der sich ihrem Wesen von Kindheit anverwandt gefühlt hatte, diese Verwandtschaft nun leben durfte, wie sie ihn aufnahmen, wie sprachliches Verstehen […] sich anbahnte, und vertiefte, wie Jules unter ihnen ein Leben führte als Beschenkter und Arbeitender, als Lernender und Forscher, als ehrfürchtiger Gast und Kamerad – das Leben eines Bruders der Menschen der Wildnis, ihrer Tiere und Pflanzen"¹
Dieses Buch möchte der deutschen Indianerbegeisterung auf den Grund gehen. Es möchte Fragen beantworten wie: Woher kommt dieses Gefühl der Verwandtschaft mit den Indianern? Seit wann gibt es dieses Phänomen? Warum identifizieren sich die Deutschen gerade mit den Indianern und nicht mit irgendeinem anderen „Naturvolk"? Warum sind ausgerechnet die Dakota unsere liebsten Indianer? Warum war die Indianerbegeisterung besonders in der DDR so lebendig? Was sagen die Indianer in den USA dazu, dass wir uns ihre Kultur aneignen? Und schließlich: Warum hat das Interesse am Indianer so sichtbar nachgelassen?
Zwei Bemerkungen möchte ich vorausschicken. Erstens, in diesem Buch wird es nur gelegentlich um die echten Indianer, um die Native Americans gehen. „Den Indianer", von dem hier die Rede sein wird und der im Zentrum der Indianerbegeisterung steht, gibt es in der Realität nicht. Er ist eine Erfindung von Nicht-Indianern, von Missionaren, Dichtern, Abenteurern, Politikern, Zirkusdirektoren und Filmproduzenten.
Er ist ein Klischee, das sich im Laufe der letzten 200 Jahre immer wieder gewandelt hat und das dadurch lebendig geblieben ist. Neue Eigenschaften sind hinzugekommen, andere sind unverändert geblieben und nur etwas in den Hintergrund getreten. So konnte der Indianer nacheinander und oft sogar gleichzeitig all das sein: edler Wilder, Vertreter einer untergehenden Rasse, Freiheitskämpfer, Patriot, mutiger Krieger, Friedensbote, Blutsbruder, antiimperialistischer Widerstandskämpfer, Heiler und schließlich spiritueller Führer. Was dieses Buch zeigen wird ist, wie die Deutschen mit dem Indianer gedanklich immer wieder Entwürfe dessen durchgespielt haben, was es bedeutet „deutsch" zu sein. Wie das vor sich ging, wird an konkreten Beispielen aus Literatur, Film, Kunst und Sachbuch vorgeführt.
Zweitens ist das Thema „Indianer" sehr emotionsgeladen, eben weil es dabei eigentlich um uns selbst, um unsere eigene Identität geht. Bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts sind Kinder in Deutschland mit dem Indianer sozialisiert worden, in dem sie Abenteuerbücher lasen, Indianerfilme sahen und Indianer spielten. Wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern, dann tun wir das mit einer gewissen Portion Sentimentalität. Wir neigen dazu, die Helden unserer Kindheit und ihre Ideen zu verteidigen, ganz gleich ob wir nun die Bücher von Karl May, Fritz Steuben oder Liselotte Welskopf-Henrich gelesen haben oder ob uns mehr die Westernfilme der 1960er und 1970er Jahre geprägt haben. In diesem Buch wird die Geschichte der deutschen Indianerbegeisterung erzählt, aber nicht der Versuch unternommen zu entscheiden, welches Bild vom Indianer authentischer, realistischer oder besser ist als das andrere. Wenn es dabei Anregungen bieten kann, etwas genauer und kritischer über die Botschaften nachzudenken, die uns die Indianerfiguren unserer Kindheit vermittelt haben, um so besser.
Chingachgook. Die Missionierung der Delawaren in Pennsylvania
Die ersten deutschsprachigen Berichte über die Indianer Nordamerikas wurden Ende des 17. Jahrhunderts von Pietisten verfasst, die hohe moralische Ansprüche an sich selbst und ihre Mitmenschen stellten. Sie fühlten sich den Indianern oft sehr viel näher als ihren eigenen, weniger frommen Landsleuten, die sie als „alte Christen bezeichneten. Sie selbst sahen sich als „neue Christen
, als neu geboren im Glauben. Der Pietismus war eine Frömmigkeitsbewegung innerhalb der lutherischen Kirche, die sich zu dieser Zeit in Europa stark ausbreitete. Die ersten Pietisten waren Professoren, Juristen, Theologen, Studenten und gebildete Adlige, die sich in Privathäusern oder Gaststätten trafen, um in kleinem Kreis eifrig die Bibel zu studieren. Sie glaubten, dass man das wahre Christentum nur außerhalb der etablierten Kirche leben könne. Bei ihnen stand die persönliche Beziehung zu Gott im Mittelpunkt. Religion war für sie etwas, das den ganzen Menschen ergreift. Sie distanzierten sich von den für sie oberflächlichen Lippenbekenntnissen und den steifen Ritualen, wie sie in den Landeskirchen der absolutistischen Kleinstaaten üblich geworden waren.
Als die Jahrhundertwende näherrückte, glaubten viele Pietisten, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorstünde und dass man sich auf die baldige Ankunft des Heilands durch ein Leben in tätiger Nächstenliebe vorbereiten sollte. Einige wollten dies weit ab von den Ablenkungen der Welt in den unberührten Wäldern Nordamerikas tun. So folgte 1683 die Pietisten-Gemeinde in Frankfurt am Main einer Einladung William Penns, der schon seit Jahren unter deutschen Protestanten um Siedler für seine Quäkerkolonie in Amerika geworben hatte, und schickte den 32-jährigen, mittellosen Juristen Franz Daniel Pastorius nach Pennsylvania, um Land zu kaufen. Es entstand die erste deutsche Siedlung auf amerikanischem Boden: Germantown. Die Stadt wurde zu einem wichtigen Zentrum der deutschen Siedlungsbewegung in Amerika. Bis 1756 wanderten etwa 100.000 Deutsche nach Nordamerika aus, von denen die meisten in Pennsylvania blieben. Die ersten Einwohner von Germantown waren jedoch keine Pietisten aus Frankfurt, sondern 13 Mennonitenfamilien aus Krefeld. Sie waren keine hochgebildeten Akademiker, sondern einfache Weber. Pastorius wurde ihr Bürgermeister, Lehrer und Seelsorger.
In der Hoffnung, einige seiner Frankfurter Glaubensgenossen doch noch zu einer Übersiedlung in die Neue Welt überreden zu können, verfasste Pastorius fünf Jahre nach seiner Ankunft in Amerika eine ausführliche Beschreibung Pennsylvanias. Sie wurde 1700 in Deutschland veröffentlicht und ermutigte viele Ausreisewillige dazu, den Sprung nach Amerika zu wagen. Wie das in derartigen Pamphleten oftmals üblich war, schilderte Pastorius die Kolonie als eine Art Paradies: Der Boden sei fruchtbar, das Wasser süß, die Luft mild, der Gesang der Vögel lieblich, die Einwohner harmlos und unschuldig wie Adam und Eva vor dem Sündenfall. In Pennsylvania hatten es die Siedler mit den Lenni Lenape zu tun, die die Engländer Delawaren nannten. Sie hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend vor den Weißen zurückgezogen, so dass Pastorius sie wohl kaum aus persönlicher Anschauung kannte, als er über sie schrieb: „Sie befleißigen sich einer auffrichtigen Redlichkeit/ halten genau über ihre Versprechen/ bekriegen und beleidigen niemanden; sie beherbergen die Leute gerne/ und sind ihren Gästen dienstfertig und treue."² Sie seien nicht schwatzhaft und es gehe ganz anständig bei ihnen zu. Vielweiberei oder lose Ehesitten gebe es bei ihnen nicht. Ihre Hütten bestünden aus gebogenen jungen Bäumen, die sie mit Baumrinde abdeckten und auch sonst bräuchten sie nicht viel:
„Ihre Tafel und Banck war die liebe Erde/ ihre Löffel waren Muscheln/ damit sie das warme Wasser aussuppeten/ ihre Teller waren des nechsten Baumes Blätter/ die sie nach der Mahlzeit weder mühsam abspühlen/ noch zu künftigem Gebrauch sorgsam bewahren dörffen. Ich dachte bei mir/ diese wilden Leute haben die Lehre von Jesu von der Mässigkeit und Vergnügsamkeit ihr lebtag nicht gehöret/ und thun es doch denen Christen weit hervor."³
Pastorius berichtete weiter, dass die Indianer viel Zeit in „continuirlichen Müßiggang"⁴ vor allem mit Tabakrauchen, Gesang und dem Bemalen ihrer Gesichter verbringen. Sie schienen sich keine Gedanken um ihre Zukunft zu machen und zum Beispiel Vorräte für den Winter anzulegen. Aber auch daran fand Pastorius nichts zu tadeln. Denn war das nicht ein Zeichen von Gottvertrauen? Hatte nicht auch Jesus von den Vögeln auf dem Feld gepredigt, die sich nicht um Nahrung und Kleidung sorgen, und die Gott dennoch erhält?
Wohlwollend bemerkte Pastorius auch, dass die Delawaren keine Götzen anbeteten, wie die Heiden andernorts, sondern „einen allmächtigen und gütigen Gott/ der dem Teuffel seine Macht beschränke. Sie glaubten an die Unsterblichkeit der Seele und an eine Art letztes Gericht, an dem ein guter Lebenswandel belohnt und ein schlechter bestraft werde. Der Schritt zum Christentum schien für sie also nicht besonders groß zu sein. Für Pastorius waren die Indianer ohne Sünde. Ihre paradiesische Lebensweise war jedoch bedroht, und zwar durch „das Babylonische
, durch die Verlockungen des Bösen in der Welt, von dem sich die Pietisten selbst abgewendet hatten. Den Indianern trat „das Babylonische vor allem in Gestalt von Händlern gegenüber, die sie betrogen, die ihnen Waffen und Alkohol verkauften und sie so von europäischen Gütern abhängig machten. Durch solche „Maulchristen
, wie Pastorius sie nannte, weil sie behaupteten, Christen zu sein, sich aber nicht wie Christen benahmen, lernten die Indianer Verhaltensweisen kennen, die es in ihrer Welt vorher nicht gegeben habe. Ihr guter Charakter werde durch Alkohol, Betrug und Raub verdorben.
Die Pietisten, die 50 Jahre nach Pastorius’ Ankunft in der neuen Welt, die Mission der Indianer tatsächlich in Angriff nahmen, bewunderten die indianische Lebensweise allerdings nicht, sondern hielten sie für sündhaft und teuflisch. 1741 gründeten die Brüder und Schwestern der aus der Oberlausitz stammenden Herrnhuter Brüdergemeine die Stadt Bethlehem in Pennsylvania, die zum Zentrum der Herrnhuter in Amerika wurde. Ihr Anliegen war es, die aus ihrer Perspektive armen Heiden aus den Fängen des Satans zu befreien und sie mit der frohen Botschaft von Gottes Gnade bekannt zu machen. Wobei ihnen bewusst war, dass dies keine leichte Aufgabe werden würde. Denn die Heiden in Amerika zeichneten sich „durch besondere Wildheit, Steifsinn, und Hartnäckigkeit aus, wovon sie vielleicht von keinem anderen Volk auf Erden übertroffen werden".⁵ So steht es jedenfalls im Vorwort eines Buches, das die Geschichte der Herrnhuter Indianermission erzählt. Geschrieben hat es 1789 der damalige Bischof der Brüdergemeine Georg Heinrich Loskiel. Er stützte sich dabei auf die Tagebücher und Berichte der Missionare vor Ort.
Der Gründer der Herrnhuter, Graf Nikolaus von Zinzendorf, war in der pietistischen Erziehungsanstalt August Hermann Franckes in Halle erzogen worden. Gleich nach dem Studium der Rechtswissenschaften ließ er sich auf seinen Gütern in Ostsachsen nieder und versuchte, die Idee eines Lebens in tätiger Nächstenliebe mit einer Gemeinde von Gleichgesinnten in die Tat umzusetzen. 1722 hatte er einigen versprengten Anhängern von Wiedertäufersekten, die aus dem benachbarten Mähren vertrieben worden waren, auf seinem Gut Berthelsdorf Asyl gewährt. Mit ihnen gründete er den Ort Herrnhut. Während zur gleichen Zeit ihr Landesvater, König August der Starke, sich dem Ausbau Dresdens zu einer barocken Residenzstadt widmete und Schlösser wie den Dresdner Zwinger oder Schloss Pillnitz als Kulisse für rauschende Feste errichten ließ, beschlossen die Brüder und Schwestern in Herrnhut, nach dem Vorbild der urchristlichen Gemeinden, in Arbeits-und Gütergemeinschaft von der Feldarbeit zu leben. Sie verweigerten den Wehrdienst und leisteten keine Eide. Selbst die Gemeindeämter richteten sie nach dem Neuen Testament aus.
Angefeindet von anderen Adligen und von orthodoxen Theologen, wurde Zinzendorf 1732 aus Sachsen verbannt. Er ging mit einigen Anhängern nach Hessen und begann, viel zu reisen. In dieser Zeit des Exils fiel der Entschluss, sich der Heidenmission zu widmen. Jedes Mitglied der Brüdergemeine, egal ob Mann oder Frau, konnte Missionar werden. Zinzendorf besorgte das notwendige Geld beim Adel Europas. Da er verwandtschaftliche Beziehungen zum dänischen Königshof hatte, gingen die ersten Missionare in dänische Kolonien nach Grönland und auf die westindische Insel