Verschollen im Pazifik: 74 Tage im treibenden Boot
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Über dieses E-Book
Ein spannender All Age Roman nach einer wahren Begebenheit.
Ähnlich wie Verschollen im Pazifik
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Buchvorschau
Verschollen im Pazifik - Bernt-Olov terFehn
Schmidt
Impressum
Bernt-Olov terFehn
Verschollen im Pazifik
74 Tage im treibenden Boot
Bernt-Olov terFehn – Verschollen im Pazifik
1. Auflage –2020
© Betts & Atterbery im vss-verlag, Frankfurt
Titelbild: Corinna Haase unter Verwendung eines Fotos von www.pixaby.com
Lektorat: Oliver Schmidt
DAS VERHÄNGNISVOLLE WRACK
Charles Limon peilte über den Vorsteven der Motorbarkasse auf die See, orientierte sich kurz nach der Felsenpitze des Trois Fre res und drehte sich um.
„Komm her, Antoine!" rief er seinem Sohn zu. Der kniete mit seinem Freund, dem Mechaniker Franky Ronsart, auf der achteren Ducht und beobachtete gespannt eine auslaufende Angelschnur.
Widerwillig drehte sich der junge Seychellaner um und sah seinen Vater fragend an.
„Komm her!" wiederholte Charles Limon. Über das windgegerbte Gesicht huschte ein ungeduldiges Zucken.
Antoine schwang sich von der Bank und durchquerte mit drei kurzen Schritten das Cockpit der Motorbarkasse Port Victoria III. Er liebte es gar nicht, beim Fischen gestört zu werden; aber er wusste genau, dass dieser Befehlston seines Vaters jeden Widerspruch ausschloss.
Was konnte der nur von ihm wollen, so kurz vor der Einfahrt nach Port Victoria, dem Hafen der Insel Mahe? „Nimm das Ruder, Antoine!" befahl Charles Limon. Er versuchte vergeblich seine finstere Miene zu bewahren. Der Schalk spielte in den vielen kleinen Falten um seine schwarzen Augen und strafte seinen strengen Ton Lügen. Antoines Enttäuschung über die Unterbrechung des Fischfangs war verschwunden. Zwar schaute er noch etwas ungläubig zu seinem Vater auf, aber er konnte seine Freude nicht mehr verbergen.
„Wirklich, das ist ja ..." Ein freundschaftlicher Rippenstoß des Bootseigentümers unterbrach ihn.
„Übernehmen sollst du! Kurs liegt an. Die Einfahrt durch das Korallenriff musst du selbst finden." Charles Limon trat zurück und gab seinem Sohn die Speichen des Steuerrades in die Hand.
Antoine schluckte und spürte, wie die Innenseiten seiner Hände feucht wurden. Eine Weile kam er sich ganz verlassen vor, nachdem sein Vater nachlässig nach achtern geschlendert war und betont umständlich seine Pfeife in Brand steckte. Dann hatte er nur noch Augen für die Bugspitze der Port Victoria III, die durch die Übergabe des Ruders erheblich von der Landmarke abgewichen war. Eine schnelle Drehung des Rades brachte die Barkasse wieder auf den richtigen Kurs. Doch der kurze Augenblick der Unsicherheit hatte genügt, die bisher schnurgerade Linie des Kielwassers, das sich wie ein silberner Streifen achteraus zog, in eine Schlangenlinie zu verwandeln.
„He, Seemann, du fährst ja Karussell! grölte der englische Kapitän John Seymore, einer der beiden Passagiere, die Vater Limon von der Insel Praslin nach Mähe zurückbrachte. „Hättest mal zu meiner Zeit Schiffsjunge sein sollen auf der alten ,Astarte‘. Da könntest du jetzt nicht mehr aus den Klüsen gucken, so hätte dich der Bootsmann kielholen lassen! — Und überhaupt
, wandte er sich finster an den Bootsbesitzer Limon, „es ist reichlich leichtsinnig, ausgerechnet hier vor der schwierigsten Einfahrt im ganzen Seychellenarchipel Ihrem Sprössling das Ruder anzuvertrauen."
Charles Limon nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte über Bord und drehte sich dann zu dem Engländer um.
„Ihre Besorgnisse sind unbegründet, Kapitän. In der Familie Limon hat noch keiner ein Schiff auf Grund gejagt, noch nicht einmal eine Barkasse." Achselzuckend ließ er den Kapitän sitzen, ging zum Ruder und legte Antoine beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Verdammter Lausebengel, was gibt’s hier zu grinsen!" Wie eine Bulldogge stürzte sich Seymore auf Franky.
Doch der behände Mischling war mit einem Satz auf dem Vordeck der Barkasse, wohin ihm der dicke Kapitän nicht folgen konnte. Sein Grinsen war an Unverschämtheit wirklich durch nichts zu überbieten. Vor lauter Wonne verzog sich das dunkelbraune Gesicht des siebzehnjährigen Mechanikers, dessen Farbe das ganze bunte Völkergemisch der Seychellen wiedergab: Weiße, Bantus, Chinesen und Inder.
„Na, warte, sobald wir festgemacht haben, kriegst du dein Fett!" fauchte der Engländer wie eine Pumakatze und beschwerte sich wieder bei Charles Limon.
Der Bootseigentümer wies seinen Mechaniker zurecht und gab ihm den Auftrag, die Luke zum Motor zu heben und den Gang der Maschine zu überprüfen. Dadurch verschwand Ronsarts Gesicht für die nächste Zeit aus dem Blickfeld des wütenden Engländers.
Dieser machte seiner Empörung über die Zustände an Bord der Port Victoria III jedoch weiter ausgiebig Luft. Da die beiden Limons vollständig in das Steuern des Bootes vertieft waren, wurde zwangsläufig der zweite Passagier, ein indischer Händler, sein Opfer.
„Unvorstellbar, was die heutige Jugend sich alles leistet. Zu meiner Zeit..."
Der Inder hörte nicht zu. Geistesabwesend blickte er über den wutschnaubenden Kapitän Seymore hinweg. Dabei strich er über sein weißes Oberkleid. Nur ab und zu wandte er sich auf der Bank und spuckte einen Strahl Betelblättersaft in die See. Der Händler war ein ebenso tüchtiger wie schweigsamer Mann. Alle kannten ihn auf sämtlichen Inseln der Gruppe. Für viele Bewohner der abgelegenen kleinen Eilande bedeutete sein Besuch eine Art Fest. Wie er eigentlich hieß, wusste keiner mehr. Man nannte ihn einfach Mister Pandit, weil er in seinem weißen Anzug mit der kleinen Mütze genauso aussah wie der frühere indische Premierminister Pandit Nehru.
Antoine Limon hatte jetzt das Boot wieder vollständig in der Gewalt. Ruhig und sicher schoss die Barkasse dahin. Ihr Rumpf hob und senkte sich rhythmisch mit den anlaufenden Wogen. Jetzt hatte der junge Steuermann Zeit, sich dem Hochgefühl ganz hinzugeben, das ihn ergriffen hatte, als sein Vater ihm das Ruder übergab. Zum ersten Mal durfte er die Port Victoria III vor der Einfahrt in den Hafen übernehmen und durch die schwierigen Gewässer steuern. Antoine war wie alle Bewohner des Seychellenarchipels von frühester Jugend auf wohl vertraut mit allem, was mit der See zusammenhing. Den größten Teil seiner sechzehn Lebensjahre hatte er auf dem Wasser verbracht. Aber dass ihn sein Vater, einer der besten Seeleute der Inseln, jetzt steuern ließ, kam einem Steuermannsexamen auf große Fahrt gleich.
Die Barkasse war eine von dreien, die Charles Limon gehörten. Er war der zuverlässigste und erfahrenste Bootssteuerer der Hauptinsel Mähe. Entsprechend ausgezeichnet ging sein Geschäft. Wer von den Einwohnern der Haupt- und Hafenstadt Port Victoria eine Fahrt nach einer der vielen hundert andern Inseln des Archipels zu machen hatte, nahm am liebsten eine Barkasse Limons.
Die Motorbarkasse Port Victoria III, mit der Antoine so stolz zum ersten Mal die Hafeneinfahrt ansteuerte, war kein gelecktes Vergnügungsfahrzeug. An vielen Stellen der Bordwand war die Farbe abgeplatzt. Sie hielt bestimmt keinen Vergleich mit den eleganten Verkehrsbooten oder Wassertaxis in den Häfen von Tokio, Plymouth oder New York aus. Obwohl ihre Abmessungen mit 11,5 m Länge und 2,6 m Breite wenig von der Norm dieser Fahrzeuge abwichen, sah man ihr den harten Dienst in den Gewässern dicht unter dem Äquator an.
Die Seychellen, einer der kleinsten Staaten der Erde und ehemalige Kronkolonie Ihrer Britischen Majestät, sind eine Sammlung von Vulkanen und Korallenriffen. Etwa tausend Kilometer nordöstlich vom letzten Zipfel Madagaskars und ungefähr doppelt soweit von der afrikanischen Küste liegt diese Inselgruppe im Indischen Ozean. Fünfundneunzigtausend Bewohner, davon noch keine zweitausend Weiße, werden von einem gewählten Präsidenten regiert. Die Inseln sind von einer einzigartigen Naturschönheit.
„Das ganze irdische Paradies", wie Kapitän Seymore spottete, liegt zwischen vier und sechs Grad südlich des Äquators und siebenundfünfzig Grad östlicher Länge von Greenwich.
Die Barkasse war auf lange Hochseefahrten zwischen den Inseln eingerichtet. Die Bulleyes der Kajüte unter dem kräftig verstärkten Ruderstand konnten mit verschraubbaren Blenden gesichert werden. Der Wellenbrecher über dem Steven war aus starkem Stahlblech. Dicht dahinter lag sogar ein kleiner, stämmiger Zweiflunkenanker vor einer Handwinsch mit beachtlicher Taulänge. Und neben dem Steuerrad stand, fest auf die Decksplanken verschraubt, der Sockel eines richtigen Kompasses. Die Port Victoria machte ihre acht Knoten bei mäßigem Seegang, und in ihrem breiten Cockpit konnte sie über zwei Tonnen Ladung schleppen.
Auf dieser Fahrt war ihre Tragfähigkeit bei weitem nicht ausgenutzt. Der Inder hatte nur einige Körbe und Säcke voller Warenmuster mit. Sonst bestand die Ladung nur aus den Koffern und Seesäcken des Engländers sowie einigen Rollen alter Stahltaue, die Vater Limon auf der Insel Praslin billig erstanden hatte. So war das kleine Maschinenschapp, unter dem mittschiffs der Motor tuckerte, für den Mechaniker leicht zugänglich. Antoine steckte die Zunge zwischen die Zähne. Er beschattete mit der Linken die Augen und starrte durch