Der Konzern
Von Stefan Franke
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Über dieses E-Book
Der Konzern scheint durch einen gewaltigen, undurchschaubaren bürokratischen Apparat alle zu kontrollieren und dabei unnahbar und unerreichbar zu bleiben. Die Angestellten fühlen sich einer nicht direkt greifbaren, seltsam bedrohlichen Hierarchie ausgesetzt.
Bei Überschreitung der Vorschriften – so wird gemutmaßt – droht Schlimmes. Tatsächlich werden von der Konzernleitung aber nie erkennbare Sanktionen gesetzt. Anfangs voll Ehrgeiz und Zuversicht, fühlt sich Köhler zunehmend ohnmächtig angesichts der Diffusität und Undurchschaubarkeit des Systems, in das er sich verstrickt.
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Buchvorschau
Der Konzern - Stefan Franke
DER KONZERN
STEFAN FRANKE
DER KONZERN
Roman
leerleerMit freundlicher Unterstützung der MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien
leerWienkulturleerleerKulturleerStefan Franke: Der Konzern
Roman
Hollitzer Verlag 2021
Umschlaggestaltung und Satz: Daniela Seiler
Hergestellt in der EU
Alle Rechte vorbehalten
© HOLLITZER Verlag, Wien 2021
www.hollitzer.at
leerleerISBN 978-3-99012-890-9
Mein Dank gilt F. K.
Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg;
was wir Weg nennen, ist Zögern.
Franz Kafka
1
Es war spät, als Florian Köhler ankam. Der Flughafen lag in tiefem Schnee. Es war die letzte Maschine, die in dieser Nacht landete. Von der nahen Stadt war nichts zu sehen. Nebel und Dunkelheit umgaben alles.
Wenige Menschen standen herum.
Er war müde und hatte Kopfschmerzen. Im Hotel wartete man bereits auf ihn. Seine Suite war belegt, ein Missverständnis; ein selten vorkommender, nicht zu erklärender Systemfehler, meinte die Rezeptionistin gelangweilt. Ein Raucherzimmer war jedenfalls verfügbar, Internetanschluss und sprachgesteuerte Assistentin – kurz SAM genannt – inbegriffen. Die junge Frau lächelte geschäftsmäßig und drückte ihm einen Gutschein in die Hand. Ein kostenloser Drink in der Hotelbar, mehr hatte sie nicht zu bieten.
Er war damit einverstanden.
Dem diskret im Hintergrund wartenden Pagen händigte Köhler Mantel und Koffer aus und bedankte sich mit einem Geldschein.
Dann betrat er die Bar und setzte sich in einen der schweren Ledersessel. Er bestellte einen Whisky und ignorierte die übrigen Gäste, auch die blonde Frau, die ihn interessiert musterte.
Köhler war eine Erscheinung. Groß, schlank, muskulös. Er wusste das in Szene zu setzen und trug den taillierten Alpaka-Anzug, das Hemd ohne Krawatte und die Maßschuhe mit einer gewissen Verachtung. Sein Gesicht war makellos, sein Blick neugierig und offen, seine blauen Augen vereinnahmend. Er war fast vierzig, wirkte aber deutlich jünger. Er war ein Mann, der auf Frauen Eindruck machte. Heute aber sah man ihm den Stress und Schlafmangel an. Nachdem er seinen Drink gekippt hatte, ging er auf sein Zimmer. Er zog sich aus, nahm ein Aspirin, legte sich auf das Bett und schlief sofort ein. Kurz darauf klopfte es, erst vorsichtig, dann immer fordernder.
Köhler stand auf.
Er hasste Störungen dieser Art, öffnete die Tür nur einen Spalt weit und sah in das feiste Gesicht eines Mannes. Seine Entschuldigung dafür, Köhler aufgeweckt zu haben, war eine reine Floskel.
Der Ruhestörer stellte sich als Assistent des Vorstands vor und verkündete mit lauter Stimme: »Das Hotel ist im Besitz des Konzerns, wer hier wohnt ist gewissermaßen Teil des Konzerns und benötigt für den Verbleib im Hotel eine Erlaubnis.«
Köhler schaute ihn schlaftrunken an.
»Haben Sie eine solche Erlaubnis? Sind Sie überhaupt Gast des Konzerns? Und wer trägt die Kosten für Ihren Aufenthalt?«, fragte der Mann stakkatoartig.
Köhler war jetzt hellwach, strich sich die Haare aus dem Gesicht, blickte dem Mann scharf in die Augen und sagte: »Mein Zimmer zahle ich mir schon selbst, da machen Sie sich bitte keine Gedanken. Ich komme zurecht.«
»Sie glauben das wirklich?«, fragte der Dicke lächelnd.
»Ich verstehe nicht ganz. Sie meinen, dass mir der Konzern erst eine Erlaubnis erteilen muss, damit ich überhaupt hier logieren darf, was soll dieser Unsinn?«
»Das erkläre ich Ihnen sehr gern. Jeder, ob Mitarbeiter oder Gast, bekommt eine Kennung, die auf dem Handy gespeichert wird und jederzeit vorzuweisen ist. Außerdem hat man sich an den strikten Verhaltenskodex des Konzerns zu halten.«
»Dann werde ich mir diese Kennung besorgen, und auch der Verhaltenskodex bereitet mir keine schlaflosen Nächte«, erwiderte Köhler etwas gelangweilt und wollte die Tür schließen, aber der Dicke hatte seinen Fuß bereits auf der Schwelle.
Er lachte.
»Von wem denn? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie so einfach eine Kennung bekommen? Und der Verhaltenskodex ist ein vierhundert Seiten langes Lehrbuch. Manche haben Jahre gebraucht, um auch nur ansatzweise zu verstehen, was der Konzern ihnen damit sagen will. Die Prüfung findet alle zwei Jahre statt und erst danach, vorausgesetzt, dass man bestanden hat, darf man die Kennung beantragen, aber diese Vorgehensweise ist Ihnen sicher bekannt.«
»Die Konzernleitung ist über mein Kommen informiert, es wird es ein Leichtes sein, die Erlaubnis schnell und unbürokratisch zu bekommen«, antwortete Köhler gelassen.
»Jetzt um diese Zeit? Noch dazu wird das Wetter immer schlechter, da ist niemand mehr erreichbar.«
»Also gut, ich werde mich morgen früh darum kümmern. Reicht das?«
Der Dicke bekam einen roten Kopf und brüllte, ohne auf die anderen Gäste Rücksicht zu nehmen: »Was glauben Sie eigentlich? Ich habe Sie geweckt, um Ihnen zu sagen, dass Sie das Hotel unverzüglich verlassen müssen. Hier ist kein Platz für Sie, daher fordere ich Sie auf, Ihre Sachen zu packen und sich quasi in Luft aufzulösen.«
Köhler hätte gern zurückgebrüllt, doch er war ein Mann, der seine Emotionen jederzeit im Griff hatte, also blieb er auch in dieser Situation ruhig: »Ende der Diskussion«, sagte er betont leise, »Sie gehen jetzt besser, ich werde mich morgen über Sie beschweren, davon können Sie ausgehen. Offenbar wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben: Mein Name ist Köhler, Doktor Florian Köhler. Zertifizierter Evaluierer der Extraklasse. Der Konzern hat mich einfliegen lassen und jede Minute, die ich hier mit Ihnen verbringe, kostet ein kleines Vermögen. Meine Assistenten erwarte ich morgen, sie werden ebenfalls hier wohnen, ob es ihnen passt oder nicht. Mein Flug hatte ein Delay, daher mein spätes Eintreffen. Dass es heute nicht mehr möglich ist, meine Ankunft der Konzernleitung zu melden, versteht sich von selbst, aber mit meinem Kommen musste jedenfalls gerechnet werden. Für heute habe ich genug und wünsche eine ›Gute Nacht‹!«
Der Dicke sagte emotionslos: »Ich werde telefonisch nachfragen, ob Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen, dann wird sich alles aufklären.«
Er war mittlerweile ganz in das Zimmer getreten und setzte sich ungefragt auf die Couch. Köhler wunderte sich, dass er ihn nicht daran hinderte. Als ginge ihn das alles nichts mehr an, legte er sich wieder in sein Bett und sah von dort aus dem Dicken zu. Offenbar hatte dieser die falsche Nummer gewählt, aus seinem Handy war ein lauter Piep-Ton zu hören. Ungeduldig drückte er auf dem Display des Telefons herum, murmelte dabei Unverständliches und trommelte zwischendurch nervös mit der Hand auf seinen Oberschenkel. Köhler glaubte im falschen Film zu sein.
Von draußen machte sich das Wetter bemerkbar. Der Wind heulte und dicke Schneeflocken flogen gegen das Fenster.
Endlich schien jemand abgehoben zu haben. Der Dicke, der sich als Winterberg vorstellte, erzählte, was vorgefallen war. Dann schwieg er minutenlang und nickte unaufhörlich mit dem Kopf, schließlich legte er auf.
Eine Weile war es still.
Köhler blieb gelassen, schaute an die Decke, dachte nach. Winterberg schien auf einen Rückruf zu warten, eine Reaktion, irgendetwas in der Art.
Dann läutete es.
Offenbar nur eine kurze Nachricht.
»Ich habe es ja gewusst!«, brüllte er los. »Sie sind ein Lügner, ein Spion, vielleicht sogar Terrorist.«
Einen kurzen Augenblick glaubte Köhler zu träumen, das alles musste ein Produkt seiner Fantasie sein. Winterberg stand breitbeinig vor ihm. Dann läutete es wieder.
Winterberg war jetzt deutlich unterwürfiger und sagte: »Ein Missverständnis, eine Verwechslung. Was soll ich Herrn Dr. Köhler nur sagen? Ich kann doch nicht … aber wie … es ist doch nicht möglich …«
Köhler atmete innerlich auf.
Man hatte ihn anerkannt und also auch erwartet. Eine merkwürdige Vorgehensweise, aber er hatte nun endlich Ruhe und die Gewissheit, sich hier zu Recht aufzuhalten. Dem sich unterwürfig nähernden Winterberg winkte er ab, da er von solchen Menschen keine Entschuldigung anzunehmen pflegte. Freundlich, aber bestimmt, bat er Winterberg zu gehen.
Endlich war er allein.
Er ging ins Badezimmer, duschte lange und fiel todmüde ins Bett.
2
Am nächsten Morgen betrat Köhler ausgeruht und guter Dinge den Speiseraum. Das Buffet war atemberaubend und die kulinarische Vielfalt der Inbegriff eines frivol luxuriösen, endlos köstlichen Frühstücks, das dem Hungrigen einen Vorgeschmack auf das Paradies versprach. Köhler begnügte sich jedoch mit einem Oolong-Tee und zwei Eiern im Glas. Nachdem er die Zeitung gelesen hatte, wollte er sich zur Konzernzentrale fahren lassen. Doch der unsägliche Winterberg, den er im Frühstücksraum erst gar nicht wahrgenommen hatte, setzte sich unaufgefordert an seinen Tisch.
»Ich freue mich auf Ihren ersten Arbeitstag, Herr Doktor.«
»Und ich freue mich auf mein Honorar«, antwortete Köhler, »das stattlich ausfallen wird, davon ist auszugehen.«
»Über die Bezahlung kann ich Ihnen keine Auskunft geben, aber es gab in finanziellen Angelegenheiten noch nie einen Grund zur Klage.«
Winterberg saß Köhler ziemlich nahe, doch nicht so nahe, dass es ungehörig gewesen wäre.
Köhler blickte beiläufig aus dem Fenster.
Vor dem Hotel parkten einige schwarze Limousinen, die dazugehörigen Chauffeure standen tatenlos herum und rauchten.
»Was für Aufgaben haben Sie eigentlich sonst noch wahrzunehmen, abgesehen einmal von Ihrem Assistenzposten im Vorstand?«, fragte Köhler gelangweilt.
»Nun, wie soll ich es erklären, eigentlich nicht sehr viele, wenn man von einigen Telefonaten und der Teilnahme an Meetings absieht, um ehrlich zu sein, kümmere ich mich nur um das Hotel. So ist auch der Vorstand auf mich aufmerksam geworden. Fleiß ist das oberste Gebot und wird stets vom Konzern gefördert«, antwortete Winterberg verlegen.
Köhler lachte.
Die Worte Winterbergs schienen einstudiert zu sein, er war einfach eine lachhafte Figur.
»Ein Hotelier also, das ist doch ganz ausgezeichnet. Werden Sie meine neuen Mitarbeiter auch gut im Hotel unterbringen?«
Winterberg schaute verlegen zu Boden, rückte näher an Köhler heran und sagte: »Eigentlich ist das Hotel ausgebucht, aber ich werde mich sofort darum kümmern. Ganz sicher, Herr Doktor, werde ich ein paar Zimmer zur Verfügung stellen können, machen Sie sich da keine Sorgen. Aber werden Ihre Leute nicht Tag und Nacht arbeiten?«
»Das hat Sie nicht zu interessieren, aber davon einmal abgesehen haben Sie recht, es könnte sein, dass sie zeitweise auch in der Zentrale übernachten.«
Winterberg runzelte die Stirn und rückte näher.
»Sollte ich sie vorwiegend in der Zentrale benötigen, wird es auch vernünftiger sein, wenn sie gleich dort bleiben, aber ich fürchte, dass sie sich nicht wohl fühlen werden.«
»Kennen Sie den Konzern denn so gut, Herr Doktor?«, fragte Winterberg.
»Ich kenne viele Konzerne, da gleicht einer dem anderen, also kenne ich sie alle, da wird mich nichts überraschen können.«
Köhler stand auf, da ihm die Nähe Winterbergs unangenehm zu werden begann. Die Gespräche mit dem Dicken waren außerdem nicht sehr befruchtend und gingen ihm allmählich auch auf die Nerven. Winterberg erhob sich ebenfalls.
Im Weggehen fiel Köhler ein dunkles Porträt auf. Es zeigte das Bild eines etwa sechzigjährigen Mannes. Etwas Düsteres, Unangenehmes ging von dem Gemälde aus. Der Mann auf dem Bild hatte buschige, graue Augenbrauen und einen stechenden Blick, der dem Betrachter, wohin er sich auch bewegte, zu folgen schien.
»Wer ist das? Der Firmengründer?«, fragte Köhler.
Er stand jetzt unmittelbar vor dem Porträt und schaute es ganz genau an.
»Korrekt«, sagte Winterberg, »das Bild zeigt den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden.«
»Offenbar ein Patriarch.«
»Richtig. Ein beinharter Machtmensch, der über Leichen ging. Von nichts kommt eben nichts.«
»Das ist nicht zu übersehen, ein Mann von großem Einfluss. Furchteinflößend und böse.«
»Das trifft es auf