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Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi
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eBook431 Seiten6 Stunden

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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Über dieses E-Book

Totgesagte leben länger... oder vielleicht doch nicht? Als sich nach Elfi Vohwinkels plötzlichem Tod in Fuensanta ihr Mann Christof und ihre Schwester Male bei ihrer Exhumierung erneut gegenüberstehen, ist der Sarg nicht nur zu Rechtsanwalt Burhems großem Erstaunen leer. Für Male steht fest: Christof hat Elfi ermordet! Der Ehemann verstrickt sich in Widersprüche, liefert dann aber ein stichfestes Alibi, was jedoch nichts daran ändert, dass Male weiterhin von seiner Schuld überzeugt bleibt. Nur Dr. Burhem lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und macht eine interessante Entdeckung: Das Foto einer gewissen Madame Sedlacek sieht Elfi verblüffend ähnlich. Wer nicht gestorben ist, muss doch noch am Leben sein... -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum21. Okt. 2019
ISBN9788711507261
Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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    Buchvorschau

    Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz

    www.egmont.com

    Erster Teil

    I

    Nette Zeit! — Fünf Uhr in der Früh! Der Medizinalrat gähnte, während er vor dem Friedhofseingang aus dem Auto kroch. Er schaute zurück. Dort hinten verschwamm, im Dunst des blassblauen Junimorgens, ein endloses Häusermeer. „Jetzt steigen die Leute in Berlin erst aus den Betten!

    „. . . und die Toten aus den Gräbern . . ."

    Der Begleiter des Gerichtsarztes sprach das beiläufig. Er ging auf das trotz der frühen Stunde schon offene Gittertor zu, woe in alter Wärtet mit dem Schlüsselbund in der Hand Wache hielt.

    „Ich bin der Rechtsanwalt Doktor Albert Burhem! sagte er schnell und nervös. Unruhe zuckte auf seinem glattrasierten, scharfen Gesicht. Er griff ungeduldig nach einem Stück Papier in der Hosentasche. „Hier der amtliche Zulassungsschein für mich als den Rechtsfreund der Familie Matteis, zu der für heute fünf Uhr morgens behördlich angeordneten Exhumierung der Leiche der Frau Elfriede Vohwinkel, geborenen Matteis!

    „Jerade die Allee lang und den zweiten Weg links, Herr Doktor! Der Alte legte die Hand an den roten Mützenstreifen und wante sich dem zweiten, dem Graubart, zu. „Morjen, Herr Medizinalrat! Ooch mal wieder hier bei uns stillen Leuten? Det scheint ja heute wieder ’n janz fauler Zimt zu sein! Jestern, bis das Tor jeschlossen wurde, war schon ein Menschenjedrängel um das Irab von der jungen Frau! Ob bei der ihren Tod wirklich nich allens mit rechten Dingen zugegangen sei, wollten die Leute von mir hören! ,Kann ick det wissen?‘ hab’ ick jesagt. ,Davon hat det Jericht selber noch keenen richtigen Bejriff von ’ner blassen Ahnung!‘

    „Wir werden ja sehen, lieber Freund!" Der Kreisarzt schüttelte kurz und abwehrend den Kopf. Er und der Rechtsanwalt gingen den breiten Sandweg entlang. Sie streiften mit den Strohhüten die taufeucht niederhängenden Trauerweiden. Still standen die schwarzen Türme der Zypressen. Diamantene Wassertropfen funkelten an den Farnstauden und Grashalmen. Finkenschlag und Spatzengezirpe allein trillerte in der tiefen Morgenstille. Dann räusperte sich der Rechtsanwalt Burhem. Sein ironisch kluges Gesicht sah plötzlich resigniert und müde aus, älter als vorhin.

    „Jetzt steigen die Toten aus den Gräbern . . .," wiederholte er, aus seinen Gedanken heraus. Er wurde in einer raschen Veränderlichkeit seines Wesens mit einem Schlag wieder lebhaft. Sein hageres Antlitz — an sich ein mathematisches Antlitz voll Verstandeslinien — füllte sich mit dem beweglichen Widerspiel neuer Einfälle. Er putzte gewohnheitsmässig seinen goldenen Zwicker, setzte ihn wieder auf und betrachtete das Gewimmel der Grabsteine umher.

    „Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, sagte er rasch und vertraulich zu dem kleinen, dicken, alten Herrn neben ihm, „dass die wenigsten Menschen leben? Weitaus die meisten Menschen sind schon längst wieder tot! Wenn es zu einer Abstimmung käme, würde der Tod mit zehn Pferdelängen über das Leben siegen! Die Toten sind — ganz unter uns — in einer kolossalen Überzahl! Also warum schlägt man sich zur Minderheit! Warum lebt man? Oder legt so viel Wert auf das Leben? Es ist doch nur ein Übergang vom Nichts ins Nichts. Der Genuss eines ganz kurzen Erbrechts!

    „Ihre Sorgen möchte ich haben, Herr Doktor!"

    „Wissen Sie, wo mir das dämmerte? Bei ’ner Testamentseröffnung, vor Jahren, in einem alten Ahnenschloss! Immer dreissig Vorfahren an den Wänden auf einen der drei noch Lebenden! Unten in der Gruft die Kerzen in unserer Hand nur wie Lichtpünktchen in der schwarzen Nacht über unzähligen Särgen. Dieses Lichtpünktchen nennt man nun grossartig das Leben. Lachbar! Das Leben ist einfach eine kurze Unterbrechung des Todes. Diese Unterbrechung ist unnötig! Das Leben ist ’ne miserable Angewohnheit! Immer rundum — wie ’n Karussell! . . . Höherer Stumpfsinn . . ."

    „Sie sehen so gelb aus! Sie haben sicher wieder die Nacht durchgespielt!"

    „Ja — was soll man denn sonst nachts machen?"

    „Schlafen!"

    „Ich schlafe doch nicht. Schon seit zwei Jahren, seitdem ich geschieden bin, nicht mehr! Seitdem kann ich die Weiber nicht recht leiden. Und die Männer mag ich auch nicht! Na — und sonst hat die Schöpfung doch nicht viel auf Lager!"

    Auf dem hageren, scharfen Antlitz des Rechtsanwalts Burhem kämpfte wieder, wie Sonne und Schatten im April, die logische Kälte juristischen Denkens mit dem heissen Kampftemperament des Verteidigers.

    „Nee — mir ist manchmal katzenjämmerlich zumut, lieber Medizinalrat! Dann frage ich mich: was hat denn das alles eigentlich für einen Zweck?"

    „Was denn — alles?"

    „Na — Gott: alles! — Berlin da hinten — die Grabkreuze da vorn — alte und neue — die Kapelle dort drüben — das Leben — der Tod . . .! Zu so ’ner ausgefallenen Stunde wie jetzt, wo jeder vernünftige Mensch zu Bett geht, finde ich das Leben sträflich langweilig! Nie was Neues!"

    „Und das sagen Sie, Doktor Burhem? Der alte Herr blieb entrüstet stehen. „Sie, den Tausende Ihrer Kollegen beneiden — der es mit noch nicht vierzig zu einem der berühmtesten Verteidiger von Berlin gebracht hat — der Geld verdient, wie er nur will, der über eine wahrhaft unheimliche Beredsamkeit verfügt — der dabei — verzeihen Sie, aber ich habe Sie zu oft im Gerichtssaal gehört — zugleich eine phänomenale Klarheit des Denkens besitzt . . .

    „Es müsste mal was Besonderes passieren!" sagte sinnend der Rechtsanwalt Burhem, ohne recht zuzuhören. Der Medizinalrat marschierte zornig weiter.

    „Sie, der Sie in den grössten Sensationsprozessen der letzten Jahre als Verteidiger die Hauptrolle spielten . . ."

    „Sensationen? Der Rechtsanwalt betrachtete zerstreut im Vorbeigehen die Grabsteine . . . „Sensationen sind meist das Alleralltäglichste! Es gibt nichts Banaleres als Sensationen!

    „Sie hatten doch Fälle, bei denen einem der Atem stillstand!"

    „Das Allerlangweiligste auf der Welt sind die sogenannten interessanten Fälle! Der Jurist bog mit dem Arzt in den Seitengang zur Linken. „Zum Beispiel diese Affäre hier, heute morgen — mit der Ausbuddelung dieses Sarges — obwohl ganz Berlin seit vier Wochen davon spricht! . . . Sehen Sie mal: da ist also eine reizende junge Frau — gekannt habe ich sie nicht — aber alle Welt sagt: sie war reizend. Die reizende junge Frau stirbt vor einem Jahr. Nein. Sie stirbt eigentlich nicht. Denn ihr Bild bleibt doch in der Erinnerung derer, die sie kannten. Noch in fünfzig Jahren murmelt ein Greis, der jetzt eben die Wahlmündigkeit erreicht hat: Gott — was war sie reizend! Aber mit dem schönen Bild begnügen wir uns nicht. Wir sind moderne Menschen. Wir sind Hunnen. Wir zerteppern, wenn’s sein muss, den schönsten Regenbogen. Wir reissen die sterblichen Überreste von etwas, was einmal reizend war, aus dem Grab, nur, um uns die Vergänglichkeit alles Irdischen zu Gemüte zu führen . . .

    „Warum haben Sie denn dann dabei die Vertretung der Familie Matteis übernommen?"

    „Weil ich im letzten Jahr schon wiederholt Rechtsbeistand der Automobilfabrik Emil Matteis A.G. draussen an der Oberspree war, deren Aktien . . ."

    „Gestern an der Nachtbörse 117 Geld — ich wollt’, ich hätte welche!"

    „. . . also deren Aktien sich sämtlich im Besitz der Familie befinden! Nachdem Fräulein Matteis mich nun ausdrücklich gebeten hatte, hier dabeizusein . . ."

    „Wieso Fräulein Matteis und nicht die Eltern?"

    „Der Vater ist doch schon längst tot, und die Mutter hat nichts zu sagen. Fräulein Matteis ist der Mittelpunkt der Familie und die Seele vom Geschäft . . ."

    „Die Rennfahrerin?"

    „Ja. Auch. Nebenbei. Alles für die Firma. Für die Firma fährt sie auch nach dem Mond. Also nachdem dieses höchst energische Fräulein Matteis nun einmal vorsätzlich und seit Wochen das unbestimmte Gerede, mit dem Tode ihrer Schwester stimme etwas nicht, gegen ihren Schwager in Umlauf gebracht un ganz Berlin, einschliesslich der Behörden, in Aufregung versetzt hat, kann ich, als Rechtsfreund der Firma und Familie, ihr meinen Beistand nicht versagen! Klar — nicht?"

    „Sagen Sie mal . . . ich wollte die ganze Zeit schon den Entschluss fassen und Sie im Vertrauen fragen: Glauben Sie, für Ihre Person, denn wirklich, dass bei dem Tod der jungen Frau Vohwinkel nicht alles in Ordnung war?"

    „Ich glaube gar nichts! sagte der Rechtsanwalt Burhem schroff. „Wir werden in der nächsten Stunde in unbefugter Weise die Ruhe des Todes stören. Wir werden ein Etwas der Erde entreissen, das vor einem knappen Jahr noch eine der hübschesten und elegantesten Frauen von Berlin war — viel hübscher noch als ihre jüngere Schwester, die Male Matteis — sagt man wenigstens allgemein! Ich habe diese arme Elfi Vohwinkel nicht mehr gekannt. Ich trat erst später mit der Familie Matteis in Berührung . . . Überhaupt: warum ist denn ein so alter Mann wie Sie noch so neugierig?

    „Sind Sie’s denn gar nicht?"

    „Worauf denn? Wir werden ans Werk gehen! Wir werden feststellen, ob der Architekt Christof Vohwinkel im Grunewald bei Berlin falsche Angaben über den im Ausland erfolgten Tod seiner Gattin Elfi gemacht hat, wie es seine Schwägerin Male jedem, der es hören will, erzählt, oder nicht! An sich ist das eine so gleichgültig wie das andere. Es geht wirklich niemanden etwas an, ausser den Beteiligten und dem Untersuchungsrichter!"

    „Da drüben steht der Richter schon an dem Grab! Neben den Arbeitern mit den Schaufeln!"

    „Und noch zwei Herren!"

    „Der blonde Jüngling mit der Mappe unter dem Arm ist offenbar der Gerichtsschreiber! Aber der andere, der wie ein Heldenschauspieler aussieht? . . . Ein auffallend schöner Mensch — finden Sie nicht auch? — nur elend bleich . . ."

    „Es gibt doch noch etwas Neues unter der Sonne!" sprach der Rechtsanwalt Burhem dankbar und förmlich erleichtert.

    „Was denn — um Gottes willen? Wenn Sie das schon sagen. . ."

    „Dieser schlanke, grosse Mann dort drüben, der Verteidiger hatte, um besser zu sehen, seinen goldenen Zwicker abgerieben und wieder aufgesetzt, „dieser Mann mit dem bartlosen, südlichen Krauskopf, der, wie Sie richtig bemerken, mit seinem breitrandigen Schlapphut und seinem etwas zu hellgrauen, tadellosen Sommeranzug an einen Künstler, erinnert, ist in Wirklichkeit ein Stück Künstler — nämlich ein sehr gesuchter Berliner Architekt, des Namens Christof Vohwinkel . . .

    „Was . . .?"

    „. . . und bringt es tatsächlich fertig, sich persönlich zu der von ihm beantragten Exhumierung einzufinden!"

    „. . . das spricht für sein gutes Gewissen!"

    „. . . oder für seine guten Nerven!"

    „Oder für beides!"

    Der Medizinalrat und der Verteidiger näherten sich dem prunkvollen, von einem schmiedeeisernen Kunstgitter umschlossenen schwarzen Marmorobelisken, auf dem eine Inschrift mit noch ganz frischen Goldlettern verkündete, dass Frau Elfriede Vohwinkel, geborene Matteis, im blühenden Alter von sechsundzwanzig Jahren, vor einem Jahr, in dem Dorf Fuensanta, nahe der Stadt Orihuela, in der spanischen Provinz Murcia, rasch und unerwartet durch ein Klimafieber ihrem Gatten, ihrer Mutter und Schwester entrissen worden war. Der Rasen rings um das Grabmal und der Kiesweg davor war, noch vom gestrigen Tag her, durch die Fussspuren von Hunderten von Neugierigen zertreten. Seitlings, unter dem Fliedergebüsch, staute sich ein Stapel übereinander geworfener frischer und welker Blumensträusse und Kränze. Da, wo sie um den Sockel der Säule gelegen, knirschten jetzt die Schaufeln der Arbeiter im Erdreich. Die braunen Schollen flogen taktmässig aus der Grube, türmten sich am Rand zu einem Haufen und füllten die kühle Morgenluft mit einem würzigen, weisslichen Dunst.

    „Sie sehen: ich bin schon mitten in der Arbeit drin, Herr Doktor Burhem! sagte der Richter, ein alter Waffenstudent mit einem Durchzieher vom Mundwinkel bis zum Ohr und gespaltenem Nasenflügel. „An sich ist ja auch nach der Strafprozessordnung Ihre Anwesenheit durchaus nicht erforderlich!

    „Sehr liebenswürig! Aber die Teilnahme des Witwers bei diesem unbehaglichen Akt hier noch viel weniger!"

    „Ich habe den Mann nicht eingeladen! Aber ich besitze keine gesetzliche Handhabe, ihn fortzuschicken. Na — der olle Medizinalrat redet ihm ja dort ernstlich ins Gewissen!"

    „Ich hatte, bis jetzt eben, nur das Vergnügen, Sie aus den steinernen Kindern Ihrer Laune — so manchem aparten Landsitz im Grunewald und am Wannsee — zu kennen, Herr Architekt Vohwinkel! sagte drüben an dem halb offenen Grab der graubärtige Gerichtsarzt. „Gestatten Sie mir, da wir uns nun persönlich nähergetreten sind, eine offene Bitte: Gehen Sie! . . . Lassen Sie uns, die wir hier amtlich anwesend sind, mit dieser Sache hier allein! Ich bin ein alter Praktikus! Sie sind ein Laie! Sie muten Ihren Nerven hier eine Belastung zu, die völlig unnötig ist!

    Der schöne, schlanke Mann ihm gegenüber hatte den breitrandigen Künstlerhut abgenommen. Er fuhr sich gereizt und unruhig mit der flachen Hand über sein krauses, dunkles Haar. In seinen regelmässigen, glattrasierten, sehr bleichen Zügen hatte der Mund etwas Weichliches. Weich war auch der Ausdruck seiner blau umschatteten Augen. Über Mittelgrösse, in der Straffheit seiner dreissig Jahre, musste er sich zu dem kleinen, graubärtigen Medizinalrat hinabbeugen, während er helblaut, mit einer vor Zorn und Erregung zitternden Stimme, aber doch ruhig, sagte: „Ich habe die Exhumierung bei Gericht beantragt! Zur Ermittlung der Wahrheit! Ich fürchte die Wahrheit nicht! In keiner Form! Darum bin ich hier!"

    „Was gäbe der Mann für einen diskreten Schauspieler! murmelte drüben der Rechtsanwalt Burhem. Neben ihm die Stimme des Richters: „Wir wissen noch durchaus nicht, Herr Doktor, ob er ein Schauspieler ist!

    „Ich wollte mich natürlich auch in keiner Weise über den Fall selbst äussern! . . . Mur — wie der Mann jetzt eben sprach — ich fühlte so im Ohr — Gott weiss, wieso und woher — so ein Paar merkwürdige Theatertöne . . . Der Verteidiger ging auf den Architekten zu. Er reichte ihm nicht die Hand. Er lüftete nur, mit einer kühlen Verbeugung, den Hut. „Mein Name ist Burhem! Sie entsinnen sich vielleicht: wir trafen uns schon neulich einmal, im Zimmer des Herrn Untersuchungsrichters hier, bei Ihrer Vernehmung!

    „Und jetzt sind Sie im Auftrag meiner Schwägerin Male Matteis hier erschienen?" sagte der schöne Mann.

    „Als Vertreter der Familie Matteis!"

    „Die Male und die Familie Matteis sind ein und dasselbe — be idem Schreckensregiment, das meine Schwägerin über ihre Mutter, über die Fabrik und den ganzen dazugehörigen Klüngel von Philistern führt! Sie werden zugeben: ohne Ihre Klientin, Herr Doktor, wäre es nie zu der Szene gekommen, die uns jetzt bevorsteht!"

    „Ich habe hier nur ein Amt und keine Meinung, Herr Vohwinkel!"

    „Aber wenn, durch diese furchtbare Formalität, alle die dunklen Gerüchte über den Tod meiner armen Frau zerstreut sind, die Fräulein Male Matteis seit Monaten in Berlin verbreitet, und ich in wenigen Stunden gerichtlich gerechtfertigt dastehe, der Architekt Christof Vohwinkel hob sich in den Schultern — jetzt sah man an der harten Energie der Stirnfurchen, dem kaltblütigen, rasch entschlossenen Ausdruck der Augen, dass er nicht nur ein Liebling der Frauen, sondern auch ein Mann des Berliner Erfolgs war —, „dann, Herr Rechtsanwalt Burhem, werde ich mir erlauben, gegen mein Fräulein Schwägerin schonungslos wegen Verleumdung vorzugehen! Das können Sie der jungen Dame in meinem Namen ausrichten!

    „Ich habe Fräulein Matteis natürlich schon längst pflichtmässig darauf aufmerksam gemacht, dass sie unter Umständen eine empfindliche Strafe riskiert! Zwei Jahre Gefängnis im Höchstfall sind nicht von Pappe! Eindruck hat mein Sermon auf Fräulein Matteis nicht gemacht! Sie wolle Gewissheit haben — sagt sie — um jeden Preis!"

    „Sie soll den Preis, der ihr gebührt, kriegen! Ich bringe meine teure Schwägerin schon noch hinter Schloss und Riegel! Melden Sie ihr das nur: ich sei entschlossen, diesen Kampf mit ihr bis zum bitteren Ende zu führen!"

    „Darf ich bitten, jetzt die Privatgespräche beiseite zu stellen! sagte herantretend, durch das Kollern der Erdbrocken, der Richter. „Herr Vohwinkel, da Sie nun schon einmal da sind, wollen wir die Zeit bis zur Beendigung der Ausgrabung nutzen und den Herrn Medizinalrat, für seine Untersuchung nachher, ein wenig über den Fall orientieren! Also Sie befanden sich, jetzt gerade vor ungefähr einem Jahr, mit Ihrer Gattin in Spanien?

    „Ja. In einem kleinen Dorf, eigentlich einer Palmenoase aus der Maurenzeit, in der südspanischen Provinz Murcia!"

    „War es denn da, im Sommer, nicht blödsinnig heiss?"

    „Es herrschte eine afrikanische Temperatur! Man nennt diese Gegenden im Spanischen die Bratpfanne!"

    „Und in diese Bratpfanne mussten Sie hinein?"

    „Auf Drängen meiner Frau. Eigentlich wollte sie nach Afrika. Das war im Juni ganz unmöglich. So bot ich ihr Südspanien als Ersatz!"

    „Warum gingen Sie denn nicht lieber mit Ihrer Gattin irgendwohin, wo es nett war — nach Heringsdorf — oder Norderney — oder meinetwegen an den Lido?"

    „Sie haben meine Frau nicht gekannt! sagte der Architekt Vohwinkel langsam. „Sie war äusserlich der verhätschelte Liebling ihrer ganzen Umgebung, innerlich ein zerrissener, ewig suchender, ewig sich nach irgend etwas sehnender Mensch. Sie hatte alle Möglichkeiten, glücklich zu sein, und fand das Glück nie und schob die Schuld daran allen anderen Dingen und Menschen, nur nicht sich selber zu. So war ihr, jetzt vor einem Jahr, auf einmal alles um sie herum, hier im gewohnten Geleise des Lebens, verhasst. Sie war in einer krankhaften, nervösen Stimmung. Nur fort! Fort! Aus Berlin! Aus Deutschland! Womöglich aus Europa! An irgend einen ganz entlegenen Ort am Ende der Welt . . .

    „. . . aber mit Ihnen zusammen?"

    „Das eben war ja der Zweck dieser . . . dieser Flucht in die Wüste — möchte ich sagen . . ."

    „Herr Vohwinkel, ich verstehe nicht ganz! Sie und Ihre Gattin lebten doch auch in Berlin beieinander . . ."

    Der Architekt Vohwinkwl schwieg eine Weile. Auf seinem schönen, etwas verächtlichen Gesicht kämpfte ein Entschluss.

    „Es war die Eifersucht! sagte er dann. „Es ist ja kein Geheimnis: ich gelte — natürlich masslos übertrieben — für einen Mann, der viele Erfolge beim andern Geschlecht hat — sogar dann, wenn er sie nicht sucht! Das bildete, wie alle Welt, auch meine Frau sich ein, weil es ihr von allen Seiten eingeredet wurde. Das war ihr Kummer — das war ihre fixe Idee. Ihre Hoffnung: sie wollte mich einmal ganz für sich haben — ohne irgend einen Dritten! Oder vielmehr eine Dritte! Wochenlang! Dann würde alles gut. Ich tat ihr den Willen. So gerieten wir in dieses Stück Spanien, das unbekannter ist, als manches Land in Afrika.

    „Wie lange waren Sie im ganzen verheiratet, Herr Vohwinkel?"

    „Zwei Jahre."

    „Nun — und in diesem Dorf — ich kann mir den Namen nicht merken . . .?"

    „In Fuensanta wohnten wir einige Wochen in der einzigen vorhandenen Fonda Parador de San Joaquin. In dieser Maultiertreiber-Herberge muss meine Frau etwas gegessen haben, was ihr bei der glühenden Hitze nicht bekam. Sie erkrankte schwer. Der Arzt dieses Distriktes, Doktor Francesco-Javier Muñoz y Macha, konnte sie nicht retten. Sie starb innerhalb von achtundvierzig Stunden. Der von dem Doktor ausgestellte amtliche Totenschein befindet sich bei Ihren Akten. Ich erfüllte in Spanien alle Formalitäten. Ich machte dem Alkalden und dem Pfarrer, Don Luis Jesus Maria Bustillo, Anzeige. Die Einsegnung der Leiche musste bei der grossen Hitze rasch erfolgen. Ich erwirkte von den spanischen Behörden die Erlaubnis zur Überführung des Sarges nach Deutschland und bestattete ihn, nach Erfüllung aller hiesigen gesetzlichen Vorschriften, hier an Ort und Stelle. Man kann nicht umsichtiger, korrekter und pietätvoller verfahren, als ich es tat. Mich trifft wahrlich nicht der Schatten eines Vorwurfs."

    „Und — damit wir uns ganz richtig verstehen — dieser Sarg hier unten in der Tiefe ist der, den Sie selbst aus Spanien überführten . . .?"

    „. . . und den ich vor meinen Augen hier in der Erde versinken sah!"

    „Gut — dann müssen wir diesen Sarg jetzt noch einmal auf kurze Zeit aus der Erde ans Tageslicht bringen!"

    2

    Zwischen dem lockeren Erdgeröll in der Tiefe blinkten jetzt schon an einzelnen Stellen die verrosteten Flächen eines Zinksarges. Die Arbeiter knieten in Hemdärmeln und bastelten mit Stahltrossen, die sich wie dünne Schlangen in ihren Fäusten wanden, und knüpften sie um den noch halb unsichtbaren, schweren Metallkasten da unten. Der Medizinalrat hatte sich steifbeinig rücklings in die Grube rutschen lassen, sammelte dort Sand- und Lehmproben und stopfte sie in ein verschraubbares Aluminiumgefäss. Der Untersuchungsrichter und der Gerichtsschreiber sahen ihm zerstreut zu. Der Architekt Vohwinkel stand neben ihm so ruhig, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Der Rechtsanwalt Burhem lief ungeduldig mit kleinen, schnellen Schritten auf und ab. Plötzlich machte er jäh halt und schnalzte ärgerlich mit der Zunge.

    „Das hat gerade noch gefehlt! murmelte er nervös. Er schob mit einem flüchtigen „Pardon! den Protokollführer beiseite und eilte den Kiesweg entlang. Von der Hauptallee her näherte sich da, flüchtigen und energischen Schrittes, eine junge Dame im weissen Sommerkleid und Strohhut mit weissem Band auf dem kurzen, dunkelblonden Haar. Sie war mittelgross, von sportschlanker, aber kräftiger Gestalt, nicht hungerdünn, sondern mit den Umrissen ihres Geschlechts. Ihr hübsches Gesicht war von festem Schnitt, mit dem sachlichen kühlen Ausdruck des modernen Mädchens. Sie hatte den Mund atemlos halb offen. Sie richtete ihre hellbraunen Augen zornig auf den Rechtsanwalt. Sie rief schon von weitem mit heller erregter Stimme: „Das ist ja wirklich reizend von Ihnen, Herr Doktor!"

    „Sind Sie denn verrückt geworden, Fräulein Matteis?"

    „Sie geben mir mit keinem Wort Nachricht, dass heute die Exhumierung stattfindet! Zufällig habe ich es vorhin erfahren! Ihr Chauffeur hat es gestern abend unserm erzählt und der wieder meinem Mächen! Und die entschloss sich schliesslich, mich heute bei Sonnenaufgang zu wecken und mir’s ins Ohr zu schreien . . ."

    „Und da sind Sie hier heraus . . .?"

    „Da bin ich!"

    „Sie werden doch nicht die wahnsinnige Idee haben, sich . . . sich mit dahin stellen zu wollen . . .?"

    „Nein. Das natürlich nicht! Male Matteis wurde etwas blass. Sie war noch immer ausser Atem. „Aber irgendwo in der Nähe muss ich bleiben und erfahren, was vorgeht . . .

    „Sie hätten zu Hause bleiben sollen . . ."

    „Ich halte es zu Hause nicht aus! Ich bin viel zu aufgeregt!"

    Die Hitze auf Male Matteis Wangen kehrte wieder. „Da . . . da haben wir’s ja . . . Na also . . . Ihre braunen Augen leuchteten feindselig auf. Sie deutete mit der Hand den Weg hinab. „Ich wusst’ es ja . . . da steht er!

    „Es war unmöglich, Ihren Schwager zum Weggehen zu bewegen . . ."

    „Wenn er nicht da wäre, würde ich auch wieder weggehen! Aber ich hab’ es mir ja gedacht! . . . Deswegen hat’s mich ja hier hinaus getrieben! Solange er da ist, halte ich mich auch hier irgendwo in der Nachbarschaft! Ich räume ihm nicht das Feld! Gott weiss, was er angibt, wenn er freies Spiel, ohne mich, hat . . ."

    „Er wird ja gar nicht gefragt! Es handelt sich jetzt nur um den Sarg . . ."

    „Ach — er mischt sich doch ein . . . er redet . . . er gibt Erklärungen ab. Er streut dem Gericht Sand in die Augen. Das tut er bei allen Menschen. Das hat er auch bei meiner armen Schwester getan. Mir macht er nichts vor! . . . Ich kenn’ ihn! Sehen Sie nur, wie er sich bei meinem Anblick achselzuckend abwendet! Ich komme ihm hier sehr ungelegen! Das weiss ich!"

    „Wie sind Sie denn überhaupt hereingekommen, Fräulein Matteis, ohne Ausweis? Der Pförtner hätte Sie gar nicht durchlassen dürfen!"

    „Der hat mich auch weggeschickt!"

    „Na — und da . . ."

    „Die Strassen sind ja noch ganz leer! sagte das junge Mädchen. „Da bin ich über die Kirchhofmauer geklettert. Furchtbar einfach!

    „Die Mauer ist doch für Sie zu hoch!"

    „Es kamen zwei Strassenbahner vorüber. Die hab’ ich gebeten, mich beim Hinaufkrabbeln zu halten! Die waren gleich dabei!"

    Male Matteis sagte das mit sachlicher Ruhe. Einen Augenblick spielte ein verstecktes, waghalsiges Lächeln um ihre Mundwinkel. Dann gewann ihr junges Gesicht wieder seinen frühreifen Ernst.

    „Nein! Ich lasse meinen Schwager in dieser entscheidenden Stunde nicht ausser meiner Reichweite! sagte sie knapp und schroff. „Ich werde dort drüben, auf der Bank vor dem Häuschen von dem Friedhofsgärtner, sitzen! Dorthin bringen Sie mir, bitte, sofort Nachricht, wenn . . .

    „Und wenn Ihr ganzer Verdacht sich jetzt in Wohlgefallen auflöst? Der Rechtsanwalt Burhem wollte sich nervös eine Zigarette anzünden, besann sich, dass sich das hier nicht schickte, und steckte heftig die Silberdose wieder ein. „Ich hab’ es Ihnen von Anfang an gepredigt, Fräulein Matteis, dass Sie bei der Geschichte sich noch die tollsten Unannehmlichkeiten zuziehen werden! Aber Sie wollten ja nicht hören!

    „Nein. Ich will Gewissheit haben, wie meine Schwester gestorben ist! Dann hab’ ich wenigstens von jetzt ab Ruhe!"

    „Irrtum, meine Gnädigste! Ihr Schwager wird Sie nach Feststellung des Tatbestandes wegen Verleumdung verklagen!"

    „Mag er!"

    „Sehen Sie, wie der Mann da drüben steht! Das verkörperte gute Gewissen! Wenn er den Kirchhof hier mit ’ner weissen Weste verlässt, haben Sie nichts mehr gegen ihn in der Hand ausser Ihrer moralischen Überzeugung! Auf die geben die Schöffen in Moabit nicht ’nen Groschen!"

    „Na — dann brumm’ ich eben! Ich bin der Elfi das schuldig! Ich hab’ die Elfi zu lieb gehabt! Ich bring’ dem Andenken der Elfi jedes Opfer! Übrigens — Sie sagen, ich hab’ nichts in der Hand! Bitte: hier!"

    „Was ist denn das für ein Brief?"

    „Ich habe schon vor vier Wochen an den Arzt in dem spanischen Nest geschrieben, der den Totenschein ausgestellt hat! Unser Korrespondent für Südamerika in der Autofabrik hat den Brief in das Spanische übersetzt. Gestern ist der Brief als unbestellbar zurückgekommen! Da — bitte — lesen Sie die Adresse: ,An den Medico Señor F. I. Muñoz y Macha in Fuensanta!‘ Und da der Vermerk von der Post dort: ,Destinatario aqui desconocido.‘ Das heisst auf deutsch: ,Adressat hier unbekannt.‘ Halten Sie das auch nur für ein moralisches Argument, Herr Doktor?"

    „Hm . . . komisch . . ."

    „Ich habe mich auch an den Pfarrer dort gewendet — mit der Bitte um einen Auszug aus dem Kirchenbuch! Eingeschrieben! Sehen Sie hier den Schein! Glauben Sie, der Reverendisimo Párroco L. I. M. Bustillo hätte jemals geantwortet? Nicht die Spur! Das sind nun meinem Schwager seine Zeugen!"

    „Er hat doch ihre behördlichen Bescheinigungen . . ."

    „Die sind natürlich gefälscht! Fräulein Matteis sagte das in einer vollen, beinahe lächelnden Ruhe. Aber ihr frisches, junges Gesicht hatte dabei einen starren, in sich gekehrten Ausdruck. „Also, Herr Doktor, ich erwarte Sie dort drüben — wirklich im Fieber . . . an dem Gärtnerhäuschen!

    „. . . ’n Augenblick, gnädiges Fräulein! Ich glaube, der Richter will Sie sprechen!"

    Der Untersuchungsrichter kam mit langen Schritten heran und verbeugte sich.

    „Ich höre eben von Herrn Vohwinkel, dass Sie Fräulein Matteis sind! begann er schnell und energisch. „Also, gnädiges Fräulein — das geht nicht, dass Sie auch noch hier aus der Versenkung auftauchen . . .

    „Ich war im Begriff, mich zurückzuziehen!"

    „Fräulein Matteis hat mir nur eben noch diese beiden Schriftstücke gezeigt!" versetzte der Rechtsanwalt. Der Richter prüfte sie und runzelte die Narben auf der Stirne.

    „Ich werde sie zu den Akten nehmen und das weitere veranlassen! sagte er. „Aber trotzdem und immerhin, gnädiges Fräulein . . . Sie gelten, wie ich höre, für eine junge Dame von ganz ungewöhnlicher Umsicht und Tatkraft . . .

    „Fräulein Matteis leitet doch, zusammen mit dem technischen und dem kaufmännischen Direktor, die ganze Autofabrik!" ergänzte Doktor Burhem.

    „Sie haben sich als Streckenfahrerin bei Bergrennen und Zuverlässigkeitsprüfungen wiederholt für Ihre Firma Auszeichnungen geholt?"

    „Gott sei Dank!"

    „Sie sind auch weit in der Welt herumgekommen . . .?"

    „Ich war dreimal längere Zeit in Fabrikangelegenheiten in Amerika!"

    „Also — dann müssten Sie sich doch, bei Ihrer Weltund Menschenkentnis trotz Ihrer jungen Jahre, selbst sagen, Fräulein Matteis: Herr Vohwinkel hat von sich aus, aus freien Stücken, die Exhumierumg beantragt!"

    „Nein. Weil ich ihn dazu gezwungen habe!"

    „Herr Vohwinkel gab bei diesem Anlass eine völlig klare und plausible Darstellung der Vorgänge, um die es sich handelt! Ich habe ihn selbst vernommen!"

    „Wie oft, Herr Richter?"

    „Einmal! Das genügte doch in diesem Fall!"

    „Das habe ich nun anders gemacht! sagte Male Matteis. „Vom Augenblick ab, wo mein Schwager als Witwer aus Spanien zurückkam und ich sein Gesicht sah . . . Sein Gesicht hat mir genug gesagt . . . Das heisst, es sagte mir natürlich nichts von dem, was wirklich passiert ist . . . Von da ab hab’ ich Fragen gestellt — so beiläufig — jeden Tag mal — ich habe genau zugehört, wenn er meiner Mutter un meinem Onkel, dem Pfarrer und den andern Verwandten die traurige Geschichte immer wieder haarklein erzählt hat, und habe mir immer gleich hinterher jede Einzelheit ebenso wörtlich aufgeschrieben!

    „Nun — und das Ergebnis, gnädiges Fräulein?"

    „Entscheidende Augenblicke behält man natürlich fest in der Erinnerung! sagte Male Matteis ruhig und entschieden. „Die sind, wie sie sind — wenn man sie noch so oft berichtet! Und kleine Dinge kann man natürlich vergessen. Aber wenn man sich an sie entsinnt, dass sind sie auch wie sie sind — und nicht heute so und morgen so! Das war der Fehler meines Schwagers in seinem sonst fabelhaft angelegten Plan. Dadurch hat er sich verraten! Er hat eine Unmenge unwesentliche Sachen, auf die nur ich allein geachtet habe, jedesmal verschieden dargestellt und auf die Weise meinen Verdacht immer mehr bestätigt!

    „Worin hat er sich denn widersprochen?"

    „Kann er einmal die Nacht hindurch tränenüberströmt bei hellem Mondschein am Bett von der toten Elfi sitzen und das nächste Mal beim Geflacker von einem Talglicht in sternenloser Nacht? Kann der Posadero, der Wirt von der Fonda de San Joaquin, einmal ganz gut Katalonisch verstehen und das andere Mal kein Wort ausser Kastilianisch? Klagte die Elfi zuerst morgens oder des Mittags über Kopfschmerzen und Mattigkeit? Beides hat er zu verschiedenen Malen behauptet! Liess er den Arzt sofort oder erst am Abend rufen? Ich habe beides aus seinem Mund gehört! Und daraus habe ich mir meine Überzeugung gebildet! Was in Wirklichkeit dort in Fuensante geschehen ist, das weiss ich nicht! Aber, was Herr Christof Vohwinkel von dort berichtet, dass es geschehen sei — das weiss ich, dass es nicht wahr ist! Und wenn er lügt, muss er doch wohl seine guten Gründe haben, die Wahrheit nicht zu sagen!"

    „Und was halten Sie für die Wahrheit?"

    „. . . das ser meine Schwester umgebracht hat! sagte Male Matteis halblaut mit einer gepressten, ganz leidenschaftslosen Stimme, im Tonfall des Alltags. Die beiden, der Richter und der Rechtsanwalt, sahen sich an und schwiegen. Sie began wieder, immer mit derselben kalten Sachlichkeit: „Das heisst — um mich korrekt auszudrücken: Wenn ich sage ,umgebracht‘. . . so will ich damit sagen, dass mein Schwager die moralische Schuld am Tode meiner Schwester . . .

    „Schnell, gnädiges Fräulein! Springen Sie hinter mich!"

    „Herr Vohwinkel — Sie werden sich doch nicht an einer Dame vergreifen!"

    „Nein! Ich halte an mich! Der Architekt Christof Vohwinkel stand, am ganzen Körper zitternd, vor den dreien. Er hielt den breitkrempigen Künstlerhut in der Hand. Er strich sich wildatmed über das krause, dunkle Haar. Auf seinem weichen schönen Gesicht jegten sich fliegende Röte und weisslicher Schein. „Ich begrüsse die letzten Worte, die ich, im unbemerkten Herantreten, aus dem Mund meiner Schwägerin hörte! Ich bitte, diese Worte zu protokollieren, Herr Richter . . .

    „Ich widerrufe nichts!"

    „Da wagt sich die Verleumdung endlich einmal frech unter die freie Sonne . . ."

    „. . . aber ich war noch nicht zu Ende!"

    „Ich habe genug gehört! Und ich glaube, die beiden Herren auch! Setzen Sie sich bitte in meine Lage, meine Herren, um meine Aufwallung eben, die ich bedauere, zu entschuldiges! Ich ein Mörder! Ein Mörder meiner armen Frau! Das muss ich mir öffentlich von einem hysterischen jungen Mädchen sagen lassen . . ."

    „Na. . . hysterisch gerade, Herr Architekt . . ."

    „. . . hysterisch in der blinden Liebe zu ihrer Schwester, die Fräulein Male Matteis zu diesen Irrsinnsausbrüchen verleitet! Ja — glauben Sie denn, ich hätte meine Frau nicht ebenso geliebt? Mehr noch!"

    „Elend hast du sie erst um ihr Lebensglück gebracht und dann um ihr Leben!" sagte Male Matteis leise zwischen den Zähnen.

    „Ich habe meine Frau so geliebt wie sie mich! Ihre letzten Gedanken galten mir! Sie hat mir alles verziehen! Das sagt mir untrüglich mein Gefühl. Ich lebe ja jetzt, in der Erinnerung, nur noch für sie und mit ihr. Ich lebe völlig zurückgezogen in meiner Villa im Grunewald. Ich bin ein Einsiedler geworden — fast ohne Verkehr mit den Menschen. . . und unter den Menschen nun gar mit den Frauen. Ich sehe keine Frau mehr an . . ."

    „Um durch diesen nachträglichen Kult mit der armen Elfi jeden Verdacht zu zerstreuen!" Das junge Mädchen stand, die Hände in den Seitentaschen ihrer

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