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Herman
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eBook239 Seiten3 Stunden

Herman

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Über dieses E-Book

Herman findet sein leben soweit ganz in Ordnung. Er mag die rothaarige Ruby, in deren Haar womöglich ein paar Vogelnester versteckt sind. Er mag seine Mutter, die mit ihrem lauten Lachen die Rahausuhr zum Stillstand bringen kann. Und seinen Vater, der als Kranführer bis ans Ende der Welt sieht. Doch dann gerät seine ganze Welt eines Tages ins Wanken: Herman hat eine seltene Krankheit und bekommt innerhalb weniger Tage eine Glatze. Danach ist nichts mehr im Lebe so, wie es vorher war. Schräg - und mitten ins Herz! Ein literarisches Kleinod aus dem hohen Norden - in der Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis. Vom Autor des hochgelobten und vielfach ausgezeichneten Romans "Der Halbbruder"-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum21. Okt. 2019
ISBN9788711336427
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    Buchvorschau

    Herman - Lars Saabye Christensen

    3-423-78051-7

    HERBST

    Kapitel 1

    Herman legt den Kopf in den Nacken und starrt in den Baum hinauf, dessen Blätter golden und rot sind und schon ganz locker sitzen. Zwischen den dünnen, schwarzen Zweigen sieht er den Himmel, an dem die Wolken in alle Richtungen jagen. Ihm wird leicht schwindlig davon, so zu stehen, es ist, als würde er selbst in voller Fahrt davonrasen. Aber gleichzeitig ist das auch ganz angenehm, jedenfalls für eine Weile, wenn er nur nicht mit dem Monolithen¹ weiter hinten zusammenstößt. Er schließt die Augen, aber da fällt er immer weiter nach vorn, er öffnet sie schnell wieder und atmet erleichtert auf. Noch immer ist er im Frogner-Park, hat sich nicht mehr als einen Zentimeter fortbewegt.

    Und dann sieht er, daß das erste Blatt fällt! Es hängt am Ende eines Astes und wirkt ziemlich wackelig. Der Wind dreht es im Kreis, dann segelt es zum Springbrunnen wie ein Dompfaff, dem die Luft ausgegangen ist. Herman läuft hinterher, wobei er auf den roten, unruhigen Punkt in der Luft starrt. Der Wind hebt und senkt das Blatt, Herman rennt im Zickzack über den Kies und hofft, daß er heute morgen seine Schnürsenkel mit dem doppelten Hexenknoten geknotet hat. Und dann scheint es, als ob das Blatt – oder der Wind – aufgibt, es sinkt müde zu Boden, direkt auf Hermans Füße zu. Der bleibt abrupt stehen, öffnet den Schnabel sperrangelweit, nimmt Anlauf und fängt das Blatt mit dem Mund, gekonnt wie ein hungriger Ameisenbär.

    Und genau in dem Moment merkt er, daß ihm jemand nachspioniert; jemand, der hinter einer der Parkstatuen steht, er entdeckt einen rosa Ranzen. Herman bleibt stocksteif stehen, das Blatt im Mund. Es schmeckt nicht gerade großartig, aber er hat schon Schlimmeres erlebt, zum Beispiel die feste Schicht auf dem Schokoladenpudding, Haut auf der Milch, oder die Aale, die Vater beim Bootsanleger fischt. Plötzlich ist der Ranzen wieder verschwunden, aber er weiß, daß dort immer noch jemand steht, hinter der Statue der dicken Frau, der mindestens sechs Kinder in den Haaren hängen. Und während er so dasteht und nicht recht weiß, was er tun soll, schluckt er das Blatt hinunter. Und es ist ganz komisch, sich vorzustellen, daß dasselbe Blatt vor kurzem an einem riesigen Baum hing und jetzt mitten in seinem Magen liegt. Vielleicht braucht er nun kein Gemüse mehr zum Mittag zu essen?

    Da kommt der Jemand hinter der Statue hervor. Es ist Ruby, Ruby aus seiner Klasse. Sie hat die ganze Zeit hinter der Statue gestanden. Herman weiß nicht so recht, ob ihm das wirklich gefällt. Ruby hat eine Menge roter Haare, einige behaupten, es seien fünf Vogelnester darin. Sie hält die Hände hinter dem Rücken, als hätte sie ein großes Geheimnis. Sie schaut Herman komisch an, das eine Auge halb geschlossen.

    »Ißt du Blätter?« fragt Ruby.

    »Manchmal.«

    »Du bist der erste, den ich kenne, der Blätter ißt.«

    »Dann kennst du nicht viele«, sagt Herman und holt seinen Ranzen von der Parkbank.

    Ruby läuft hinterher und schaut ihm direkt ins Gesicht.

    »Verfolgst du mich?« fragt Herman.

    Ruby lacht laut, und noch mehr Blätter fallen von den Bäumen. »Ich habe meine Ente mit Karotten und Wurst gefüttert. Vielleicht wirst du jetzt krank. Du siehst schon ganz krank aus.«

    »Ich bin frisch wie ein Fisch«, sagt Herman. Das pflegt sein Großvater zu sagen, obwohl er in einem Himmelbett im dritten Stock eines Hauses liegt und nicht gehen kann. Aber vielleicht sagt er das gerade deshalb: frisch wie ein Fisch.

    »Fische essen keine Blätter«, sagt Ruby.

    »Die essen Regenwürmer. Das ist schlimmer.«

    Sie gehen zusammen über die Brücke. Ein Stadtstreicher hat unter der Statue des Trotzkopfes geschlafen und schaut genauso wütend drein. Die Becken vom Frogner-Schwimmbad sind leer und grün, und der Zehnersprungturm ragt bis in den Himmel. Bald wird es anfangen zu regnen. Unter der Brücke schwimmen die Enten durcheinander und wissen nicht, wohin. Ein Schwan öffnet seine Flügel, schafft es aber doch nicht ganz und legt sie wieder zusammen. Ruby lehnt sich übers Geländer und zeigt hinunter:

    »Da ist meine Ente!«

    »Deine Ente?«

    »Die ich immer füttere.«

    »Wie kannst du die Enten denn unterscheiden?«

    Ruby wendet sich Herman zu, schüttelt den Kopf, ihre riesige rote Mähne wippt auf und ab, aber Vögel fliegen jedenfalls nicht heraus.

    »Sag’ ich nicht.« Doch dann fügt sie schnell hinzu: »Vielleicht ein andermal.«

    Sie gehen weiter zum Parktor, ohne zu reden. Als sie im Kirkeweg stehen, tritt Ruby noch ein wenig näher und starrt Herman lange ins Gesicht. Der wird langsam nervös.

    »Sehe ich jetzt krank aus?«

    »Deine Augen sind knallgrün. Und deine Nase ist orange!«

    Damit läuft sie nach Majorstua hinauf. Bei Oscar Mathiesens Firmenhaus dreht sie sich um und winkt, aber das sieht Herman nicht, er ist bereits auf dem Heimweg nach Skillebekk. Und jetzt fühlt er sich wirklich schlecht. Vielleicht wird er doch krank, vielleicht wachsen seine Arme zu Ästen, und jemand kann sie als Brennholz gebrauchen, wenn der Winter kommt. Er spürt das Blatt dort unten im Magen, es liegt schräg und kitzelt. Seine Arme werden schon steif, er muß sie an den Körper pressen. Er betrachtet sich beim Friseur in der Bygdöy-Allee im Spiegel, das ist so ein Spiegel, in dem er sich auch im Profil sehen kann, wenn er sich vorbeugt und den Kopf dreht. Und jetzt kriegt er wirklich Angst. Er erkennt sich nicht wieder. Die Nase ist ein Tannenzapfen, die Ohren ähneln einem Spechtbau, und sein Haar liegt wie hellgrünes Moos festgewachsen auf der Stirn. Herman läuft weg, bevor der Dicke ihn entdeckt, und versteckt sich in einer Einfahrt. Dort faßt er einen Entschluß – er steckt den Finger in den Hals, genau wie Vater es manchmal sonntags tut. Herman steckt den Finger so tief hinein, daß er fast am Blatt kratzen kann. Und da kommt es in voller Fahrt herauf, zusammen mit dem Schulbrot und zwei Bonbons, die er auf dem Weg zur Schule gefunden hat. Das Blatt ist immer noch rot und riecht schlimmer als Turnschuhe. Eine Windböe fegt es in die Straße, dort rollt es hochkant den Rinnstein entlang, und dann ist das Blatt zwischen den Gitterstäben eines Gullis verschwunden. Herman richtet sich auf und fühlt sich bereits besser. Eigentlich schade um die Bonbons, denkt er und überlegt, ob er sie noch einmal essen soll. Das macht er auch und trottet langsam die Gabelsstraße hinunter.

    Es fängt an zu regnen. Trotzdem mag Herman das letzte Stück nicht rennen. Und als er in seine Straße einbiegt, stößt Pfand im Erdgeschoß sein Fenster auf und zeigt sein Gesicht, das ganz rostig und mager aussieht. Es heißt, daß Pfand einmal Hausmeister beim König war, aber er wurde gefeuert, weil er sich in eine belgische Prinzessin, die zu Besuch war, verliebt hatte oder weil der König herausfand, daß er eigentlich ein Ausländer aus Schweden ist. Pfand ist entweder sehr laut oder sehr still. Heute ist er vorwiegend still, das hängt damit zusammen, daß Montag ist.

    »Hermanjunge«, flüstert er. »Komm mal her.«

    Herman kann es gerade noch hören. Er geht näher heran.

    »Kannst du für mich ein paar Pfandflaschen einlösen?«

    »Man hat keine Zeit«, flüstert Herman. »Vielleicht morgen.«

    »Morgen ist leider auch noch ein Tag«, murmelt Pfand und schließt leise sein Fenster.

    Kapitel 2

    Herman steht mit nacktem Oberkörper im Badezimmer und wäscht sich, zusammen mit Vater. Hermans Vater ißt nämlich niemals etwas, ohne sich vorher gründlich zu waschen – nicht nur die Hände, sondern alles oberhalb der Gürtellinie, und vor allem die Achselhöhlen. Selbst wenn Vater nur eine einzige Scheibe Brot beim Radiowunschkonzert in sich hineinmümmeln will, muß er raus, sich den Oberkörper schrubben und das Hemd wechseln. Auf die Dauer ist das ein bißchen anstrengend, aber es ist auch ganz prima, so zusammen mit Vater mit nacktem Oberkörper dazustehen und die Muskeln zu zeigen. Hermans Oberarme sind noch nicht so recht zu gebrauchen, aber das wird schon kommen, wenn er aufhört, Blätter zu essen. Außerdem hängt der Spiegel so hoch, daß er nur seine Haare erspähen kann, während Vater so groß ist, daß er fast bis an die Decke reicht und sich hinunterbeugen muß, wenn er sich die Haare mit dem blanken Metallkamm, auf den er so stolz ist, kämmt. Hermans Vater ist Kranführer.

    »Hast du heute irgendwas Dummes gemacht?« fragt Vater, während er gewissenhaft den Kamm betrachtet, bevor er ihn in die Hosentasche steckt.

    Herman muß gründlich nachdenken.

    »Nicht daß ich wüßte«, sagt er.

    »Das kann ich mir denken. Denn sonst hätte ich es ja gesehen, nicht?«

    Vater knufft ihn in den Rücken, und beide kichern. Herman lehnt den Kopf zurück und schaut zu Vater hoch, und für einen Augenblick ist es fast wie unter dem Baum im Frogner-Park, aber von Vaters Kopf lösen sich keine Blätter.

    »Hast du heute ein paar Engel gesehen?« fragt Herman.

    »Auch heute keinen einzigen«, seufzt Vater und schmiert sich unter beide Arme Deodorant. Danach darf Herman es sich ausleihen, es brennt teuflisch, aber das muß vielleicht so sein, wenn es so gut riecht. Und dann können sie hören, daß Mutter einen Teller auf den Boden fallen läßt, und das bedeutet, daß das Mittagessen fertig ist.

    Heute ist Montag, und Montag heißt soviel wie Resteessen. Das ist nicht gerade Hermans Lieblingsspeise. Er rätselt immer darüber, woher die Reste eigentlich kommen, denn er kann sich nicht daran erinnern, Samstag oder Sonntag etwas gegessen zu haben, was den Resten ähnelt. Herman hat den bösen Verdacht, daß es Vaters Aal ist, der in den rätselhaften Auflauf geschmuggelt worden ist. Außerdem ist er heute sowieso nicht besonders hungrig. An solchen Montagen pflegt Vater ihn immer zu fragen, ob er krank sei oder ob er nicht mehr wachsen wolle; alles in allem bringt das Resteessen eine Menge Lästiges mit sich.

    Herman stochert auf dem Teller herum, und draußen regnet es weiter. Eine schmutzige Taube sitzt auf dem Fensterbrett und gurrt ganz für sich allein, dann fliegt sie über die Straße und landet auf einem Ast. Die Vögel haben es gut, die brauchen keine Regenjacke und keinen Südwesterhut, denkt Herman. Aber wenn es, wie in Afrika, 40 Tage hintereinander regnet, vielleicht brauchen sie dann Schwimmreifen und Schnorchel?

    »Bist du krank, Herman? Oder willst du nicht mehr wachsen?«

    Vater redet mit vollem Mund und bedient sich zum vierten Mal. Trotzdem ist noch genug Aal im Auflauf.

    »Man hat schon gegessen«, sagt Herman.

    »Schon gegessen? Wo denn?« fragt Mutter.

    »Im Frogner-Park.«

    »Du sollst nicht zwischen den Mahlzeiten essen«, sagt Vater. »Dann wächst du nur in die Breite, nicht in die Höhe.«

    »Soll nicht wieder vorkommen«, sagt Herman und schaut wieder aus dem Fenster. Die Taube ist jetzt weg, aber der Regen ist noch da, senkrecht vom Himmel. Gott muß gut schwimmen können, denkt Herman, ganz zu schweigen von Jesus, der in seiner Jugend übers Wasser ging.

    Herman ist stolz, daß sein Vater Kranführer ist. Eine Weile hat er überlegt, ob er selbst auch diesen Berufsweg einschlagen soll. Aber wenn ihm schon schwindlig wird, sobald er nur auf einem Hügel steht oder in einen Baum guckt – ist es da nicht ziemlich unwahrscheinlich, daß er es schafft, mindestens zehn Kilometer hoch in der Luft zu sitzen, hinunterzugucken und gleichzeitig mit dem Haken ein schweres Kabel hochzuheben und es in eine Nähnadel einzufädeln?

    Mutter schiebt die Reste von Hermans Teller auf ihren. Mutter hat immer am meisten Hunger, obwohl sie klein und dünn ist. Sie arbeitet in Jacobsens Kolonialwarengeschäft an der Ecke. Herman geht gerne nach der Schule dorthin, am besten gefällt ihm der Duft der Kaffeemaschine hinter dem Tresen. Es ist komisch, daß etwas, was so schlecht schmeckt, so gut riechen kann.

    »Heute hatten wir einen Kunden, der versuchte, die Kasse zu klauen«, erzählt Mutter. »Er warf mit Tomaten und bedrohte uns mit einer Hand Bananen!«

    »Das war doch nicht Pfand?« fragt Herman.

    »Natürlich war es nicht Pfand! Pfand kommt nicht auf solche Ideen.«

    »Wieviel Geld hat er denn genommen?«

    »Er rutschte auf einer Bananenschale aus und flüchtete!«

    Mutter muß Messer und Gabel hinlegen, während sie lacht. Und wenn Mutter lacht, entgleisen die Züge am Westbahnhof, die Fähre nach Nesodden sinkt, und die Uhr am Rathausturm bleibt stehen. Vater holt langsam Luft und wartet, bis es wieder still ist.

    »Das ist nicht ganz wahr so, Mutter«, seufzt er.

    »Wahr oder nicht«, sagt sie. »Jacobsen junior rief jedenfalls die Polizei an und meldete einen bewaffneten Überfall. Er dachte, die Tomaten wären Blut.«

    »Der eitle Protz von einem Angsthasen! Der läuft doch schon zur Polizei, wenn er einen Kugelschreiber vermißt.«

    »Na, er tut sein Bestes.«

    »Ja, und das ist Kugelschreiber zählen und sich aufspielen.«

    Herman schaut Vater und Mutter an und denkt nach.

    »Vielleicht war es Gustav Vigeland²«, sagt er.

    Vater legt ebenfalls Messer und Gabel hin und seufzt noch ein paarmal tief auf. Mutter tauscht ihren Teller mit Hermans und beugt sich plötzlich näher zu ihm, genau wie Ruby. Er wird wieder leicht nervös, vielleicht hat er ja doch nicht das ganze Blatt herausgekriegt, vielleicht ist er dabei, ein Baum zu werden, ohne es zu wissen.

    »Morgen mußt du dir die Haare schneiden lassen«, sagt sie.

    Herman ist erleichtert.

    »Geht in Ordnung.«

    »Und du hast nicht vergessen, daß du Großvater besuchen sollst?«

    Herman schüttelt den Kopf, daß die Locken in alle Richtungen fliegen und ein paar Haare auf den Tisch herabrieseln.

    »Man ist nicht so vergeßlich«, sagt er.

    Mutter bürstet die Haare weg und schaut Herman wieder an.

    »Ich glaube fast, daß du bald ein Haarnetz tragen mußt!« lacht sie.

    Herman lacht auch laut, aber nicht so laut wie Mutter, das kann er nicht, während Vater den Tisch abräumt und alles auf einmal hinausträgt, ohne auch nur einen Zahnstocher zu verlieren.

    Wenn Herman sagt, daß er Hausaufgaben machen muß, kommt er um den Abwasch herum. Darum sagt er das meistens nach dem Mittagessen. Er geht in sein Zimmer, holt sein Arbeitsheft heraus und schreibt: Der Frogner-Park von Gustav Vigeland. 58 Figuren auf der Brücke. 4 Echsen aus Granit. Der Rosengarten. Das Labyrinth. Das Monolithenplateau. 8 schmiedeeiserne Tore. Der Westplatz. Das Lebensrad. Er grübelt lange über den letzten Satz nach. Er ist etwas unschlüssig, schreibt ihn aber doch auf: Und man war sich einig, daß es ein schöner Tag gewesen war. Danach bleibt er sitzen und schaut aus dem Fenster. Die Dunkelheit ist schon da. Es ist merkwürdig, daß man die Dunkelheit sehen kann, denkt Herman. Aber sein Globus ist nicht dunkel, er leuchtet, er steht auf dem Fensterbrett und wird nie ausgeknipst. Er gibt dem Globus einen Schubs, schließt die Augen und hält ihn mit dem Zeigefinger an. Adapazari! Er radiert den letzten Satz im Heft aus und schreibt statt dessen: Wenn ich erwachsen bin, werde ich Kranführer oder reise nach Adapazari!

    Bevor er ins Bett geht, hören sie sich zusammen das Wunschkonzert an. Aber heute abend hat keiner von ihnen Geburtstag, darum erhalten sie keine Grüße. Herman findet, daß die Kirchenlieder traurig klingen, und er hofft, daß niemand darauf kommen wird, für ihn das Kirchenlied »Die große weiße Herde« zu spielen, wenn er dran ist. Während Eddie Calvert für einen Soldaten Trompete spielt, geht Vater ins Bad, und sie wissen, daß er schon wieder Hunger hat.

    »Zeit, die Segel zu setzen«, sagt Mutter und schaut von ihren Patience-Karten auf. »Und dazu muß der Kapitän an Bord sein, nicht wahr?«

    »Land ahoi!« sagt Herman und marschiert ins Bad, wo Vater mit bloßem Oberkörper steht und sich rasiert. Sein Bart kommt dreimal am Tag zum Vorschein, sonntags sogar fünfmal. Herman klettert auf Vaters Rücken, aber als er die Schultern erreicht und sie beide im Spiegel sehen kann, wird ihm wieder schwindlig, und er rutscht langsam hinunter. Vater lacht und steckt den Kopf unter den Wasserhahn. Herman knickt die Zahnpastatube achtmal um, drückt, so

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