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Heidelust und Vogelschießen
Heidelust und Vogelschießen
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eBook250 Seiten3 Stunden

Heidelust und Vogelschießen

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Über dieses E-Book

Marc Manske ist Journalist bei der kleinen Regionalzeitung "Heide Rundschau". Dort lernt er durch filmreife Umstände den neuen Schützenkönig und einige skurrile Personen kennen. Als er einen Anruf erhält, um über einen brisanten Fall aus der Vergangenheit zu berichten, ahnt er nicht, wie aktuell diese Vorgänge immer noch sind und wie tief er schon persönlich in den noch immer andauernden Ereignissen steckt ...
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum9. Okt. 2020
ISBN9783959494250
Heidelust und Vogelschießen

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    Buchvorschau

    Heidelust und Vogelschießen - Lucas Timm

    Lucas Timm

    Queer

    E-Book, erschienen 2020

    Copyright © 2021 MAIN Verlag, Eutiner Straße 24,

    18109 Rostock

    www.main-verlag.de

    www.facebook.com/MAIN.Verlag

    order@main-verlag.de

    Text © Lucas Timm

    ISBN: 978-3-95949-425-0

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    2. unveränderte Auflage 2021

    Umschlaggestaltung: © Marta Jakubowska, MAIN Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 1237197589 / 1311810974

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten

    dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv,

    nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    Wer ein E-Book kauft, erwirbt nicht das Buch an sich, sondern nur ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht an dem Text, der als Datei auf dem E-Book-Reader landet.

    Mit anderen Worten: Verlag und/oder Autor erlauben Ihnen, den Text gegen eine Gebühr auf einen E-Book-Reader zu laden und dort zu lesen. Das Nutzungsrecht lässt sich durch Verkaufen, Tauschen oder Verschenken nicht an Dritte übertragen.

    Inhalt

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Epilog

    Prolog

    Trotz regennasser Straße und aufziehender Gewitterwolken drückte Marc erneut fest auf das Gaspedal seines blauen VW-Käfers. Mit quietschenden Reifen preschte er bei gelbem Licht über die Ampel und drehte die Musik auf volle Lautstärke. Der süße Geruch der ofenfrischen Brötchen, die er bereits vor dem ersten Hahnenschrei in der Tankstelle an der Hauptstraße gekauft hatte, verdrängte den Mief von Abgasen und Benzin.

    Noch war es dunkel. Die wenigen Laternen, die dem Weg entlang der weiten Felder, Nacht für Nacht ihren treuen Dienst erwiesen, flackerten bereits ungeduldig, um sich kurz darauf eine verdiente Auszeit zu nehmen.

    Hinter den dichten Tannen leuchtete der Himmel in zartem Rosa. Ein Bussard, der konzentriert nach Frühstücksbeute Ausschau hielt, kreiste trügerisch entspannt in der Nähe des Fischteichs, in dem Marc als Kind stundenlang nach Kaulquappen und Fröschen gefischt hatte. Außer ihm war kaum ein Mensch unterwegs. »Se a vida é« von den Pet Shop Boys lieferte den perfekten Soundtrack für den Beginn eines neuen Tages. Also stimmte der Frühaufsteher munter mit ein, während ihn sein Wagen entlang zahlreicher Pferdeweiden und Bienenkörben Richtung Heimat führte »Se a vida é, I love you, feel the morning sun …«

    In Momenten wie diesem war sich der Frühaufsteher sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ein Leben auf dem Land war genau das, was er gebraucht hatte, um glücklich zu sein.

    ~ * ~

    Noch vor wenigen Wochen sah sein Alltag komplett anders aus. Wie habe er nur glauben können, dies gerade in Berlin toppen zu können? Die Hektik, die vollen Straßen und dieses selbstherrliche »Ich bin ein Berliner«-Getue gingen ihm bereits nach wenigen Tagen auf die Nerven. Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es speziell für schwule Männer in Großstädten viel mehr Möglichkeiten zur körperlichen Vereinigung gab, als er sich hätte erträumen können. In sechs Monaten konnte Marc die Anzahl der Männer, mit denen er Sex hatte, um über achthundert Prozent erhöhen, was bei drei erotischen Abenteuern vor seinem Umzug nicht gerade eine überraschende Entwicklung dokumentierte.

    Marc war ein Landei und es war ihm schnell egal, ob die gepiercten und tätowierten Alternativen ihn mit einem befremdeten Blick musterten, wenn er mit der Sprache herausrückte, dass er eigentlich in der Lüneburger Heide zu Hause sei. »Ja richtig. Das ist da, wo die Heidschnucken den Mähdreschern die Wege zum Feld versperren und Hühner tatsächlich noch frei herumlaufen dürfen.«

    Es gab sogar ein paar Typen, die es anmachte, ein Unschuldslamm aus der Einöde flach zu legen. Doch Marc strebte nach etwas anderem – Nähe und Geborgenheit. Er sehnte sich danach, sich ein Zuhause aufzubauen, welches die anonymen Menschenmassen und zugepflasterten Straßenzüge unbedeutend erscheinen ließ. In Tempelhof wollte dies nicht gelingen, so sehr er es auch versuchte.

    Ein Klick auf die Webcam vom Restaurant Heidekrug in Hanstedt machte ihm klar, dass es ein Fehler gewesen war, die blumige Landluft gegen den Mief von Welt einzutauschen. In der Szene mischten sich nachts teure Aftershaves mit dem stechenden, nach Desinfektionsmittel riechenden Gestank von Poppers, dem offiziell verbotenen Lustmacher, der nur unter der Ladentheke einiger Sexshops verkauft wurde, und Zigarettenqualm. Tagsüber hingegen begleitete einen der Angstschweiß psychisch in Mitleidenschaft gezogener Hausfrauen in überfüllten U-Bahnen. Nur die Imbisse und Dönerbuden, die einem an jeder Ecke die Dünste ihrer Abluftanlage in die Nase pusteten, konnten diesen Ekel noch toppen. Hinzu kam die bittere Erkenntnis, trotz intensiver Anstrengungen auch beruflich nicht wirklich den großen Wurf in der Medienhauptstadt Berlin landen zu können.

    Von seinen Gedanken angewidert, polterte Marc die Treppe seines Wohnblocks hinauf. Nicht einmal einen Fahrstuhl gab es in dem anonymen Mehrfamilienhaus, welches er sein Heim nennen sollte. Genervt schloss der Zugereiste die Tür zu seinem Reich auf, um sie anschließend mit einer gewissen Dramatik von innen wieder zuzuschmeißen. Für einen Moment musste er selbst über sich lachen. Was hatte die Hauptstadt nur für einen Menschen aus ihm gemacht?

    Marc setzte sich an den blaugestrichenen Küchentisch, klappte andächtig den Deckel seines Notebooks zu. Als Nächstes schlurfte er durch den engen Flur ins Schlafzimmer, schaute eine Weile durch das schmale Fenster auf die laute Straße vor seinem Haus und griff nach seinem Plüschschwein Erika, das erwartungsvoll grinsend auf dem Kopfkissen saß. Der junge Mann drückte seine Nase liebevoll in das abgegrabbelte Vieh! Er hatte einen Entschluss gefasst: »Erika! Das war’s. Mir reicht’s. Ich halte es hier keine Nacht mehr aus. Wir fahren zurück nach Hause! Der Albtraum ist vorbei.«

    Home is, where the heart is – Marc wollte zurück zu seinen Freunden, der Natur, der Ruhe, die für ihn Heimat bedeutet. Er sehnte sich danach, mit Vogelzwitschern oder Hahnenkrähen aufgeweckt zu werden und begleitet von Grillenzirpen abends entspannt ins Bett zu sinken.

    Kapitel 1

    Marc Manske war ein Mann, der weiß, was er will. Genauer gesagt, war er gar kein richtiger Mann. Wenn es nach ihm ginge, dann durfte man den Achtundzwanzigjährigen höchstens als »jungen Mann« bezeichnen, denn ein Mann war für den Journalisten nur ein Mensch, der in seinem Leben etwas erreicht hatte. Jemand, der von sich selbst sagen konnte, »Ich habe es zu etwas gebracht«, nicht, dass er sich auf einem großen Wurf ausruhen würde. Nein, er würde sich und der Welt wieder und wieder beweisen, dass er sein Leben meisterte und es zu etwas gebracht hatte. Doch leider rückte der angepeilte Erfolg auch an diesem Samstagmorgen noch einmal in weite Ferne.

    Dabei war es eine großartige Story, die Marc von einem geheimen Informanten zugespielt wurde: Deutschlands Erfolgsregisseur Sigmar Mohlensachser habe die Crème de la Crème der TV-Stars zusammengetrommelt, um ein Remake des 50er-Jahre Klassikers »Heideschulmeister Uwe Karsten« an Originalschauplätzen im schönsten Landstrich Deutschlands erneut auf die großen Leinwände zu bringen. Neben Heike Makatsch und Senta Berger fielen sogar Namen wie Sky Dumont und Veronika Ferres. Dieses wichtige Ereignis würde den ohnehin schon florierenden Tourismus in der Nordheide ein ganzes Stück weiter vorantreiben. Auch für ihn wäre dadurch ein großer Schritt auf der Karriereleiter möglich.

    Dies sollte Marcs Durchbruch werden. Nach nunmehr elf Monaten, in denen der junge Mann missmutig über Vandalismus an Bienenkörben und ausgerissene Bullen berichtet hatte, von einem Dorffest zum nächsten hetzte und alte Frauen in Heidjertrachten beim Brotbacken ablichtete, war nun der Moment gekommen, seinen journalistischen Spürsinn und die dazugehörige Portion Können unter Beweis zu stellen.

    Fünf Tage lang feilte der engagierte Redakteur an seiner ersten Titelstory, die er für die »Heide Rundschau« schreiben durfte, befragte Lokalpolitiker, Zeitzeugen und traf sich sogar mit einer Statistin, die im jungen Alter von sieben Jahren hautnah an den Dreharbeiten beteiligt gewesen war. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

    »Die Neuverfilmung dieses Klassikers ist ein historischer Meilenstein, der den Zuschauern durch wundervolle Bilder und ausgefeilte Charaktere vermittelt, dass Idylle und Lebenslust nur einen Namen haben können: Lüneburger Heide! Der Heideschulmeister kann kommen! Wir freuen uns auf seine Heimkehr!«, brachte die Kulturbeauftragte, Simone Strauch, das Ereignis gewohnt professionell und überzeugend auf den Punkt.

    Endlich war wieder etwas los in diesem idyllischen Kaff. Einen Fall, wie den des sogenannten Heidemörders, der Ende der Achtziger deutschlandweit für Aufsehen gesorgt hatte, würde es sicherlich so schnell nicht wieder geben. Der »Spiegel« und die »TAZ« hätten sich damals die Finger nach weiteren Geschichten aus Insiderkreisen geleckt, doch konnte Marc Manske zur Tatzeit altersbedingt noch nicht einmal seinen eigenen Nachnamen buchstabieren.

    Frischer Kaffeeduft zog durch die Küche, während der selbst ernannte Star-Journalist den Frühstückstisch deckte.

    Ungeduscht und nur mit einem flauschigen Morgenmantel bekleidet, schlenderte er durch den Vorgarten, um die druckfrische »Heide Rundschau« aus dem Briefkasten zu holen. Der junge Bote machte sich für gewöhnlich nicht die Mühe, das Anzeigenblatt an seinen richtigen Ort zu stecken. Auch an diesem Morgen klemmte die dicke Wochenendausgabe lieblos an der morschen Gartenpforte. Immer dieser Stress und Zeitdruck. Vielleicht traute sich der Teenager nicht, die Postbox anzufassen. Rost gemischt mit Vogelmist und Spinnenweben ließen die rote Oberfläche nur noch erahnen. Oder war es die Schräglage des halb geöffneten Briefkastens, die das Berühren zu einer Art Geschicklichkeitsspiel werden ließ? Fällt er oder fällt er nicht? Es war den Austrägern nicht zu verdenken, dass sie die Verantwortung für den historischen Metallkasten nicht übernehmen mochten. Der junge Redakteur konnte sich glücklich schätzen, dass Post und Wurfsendungen überhaupt bei ihm ankamen, da das nächste bewohnte Haus fast zwei Kilometer von seinem eigenen Grundstück entfernt lag.

    ~ * ~

    Wieder zurück am Küchentisch genehmigte Marc sich einen großen Schluck aus seiner Kuh-Tasse, klappte den Anzeiger ehrfürchtig auf und strich das vom Knicken gewellte Deckblatt geradezu liebevoll glatt.

    Doch was war das? »Känguru Wicki zurück im Wildpark.« Eine Schlagzeile über die Heimkehr des seit einigen Tagen vermissten Ausreißers, die unbedeutender nicht hätte sein können, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Wie konnte seine intrigante Kollegin Jutta es nur wieder schaffen, den brummigen Redaktionsleiter gegen die perfekt recherchierte Superstory aufzuhetzen und in letzter Sekunde alles umzuschmeißen? Mit hochrotem Kopf überflog der Gehörnte das Titelblatt und entdeckte immerhin eine kleine Ankündigung seines Artikels in der Zeitungsmitte.

    Wutentbrannt wühlte sich der Journalist durch Unfallmeldungen und anderen Dorfquatsch, wie er die lokalen Nachrichten immer bezeichnete. Da war sie. Die Doppelseite erschien perfekt aufgeteilt. Alles so, wie Marc es mit dem Grafiker abgesprochen hatte. Fakten mischten sich mit wundervollen farbig gedruckten Fotos der Originalschauplätze des Heide-Klassikers. Kleine gezeichnete Heidschnucken, die mit Filmklappen in den Hufen wedelten, zierten den unteren Seitenrand.

    Dazu ein wenig reißerisch, aber dennoch nicht zu dick aufgetragen, die Riege der Stars und Hinweise auf geheime Quellen, die den Filmdreh in den kommenden Monaten untermauerten.

    War dies der große Wurf, der ihm die Tür bei namhaften Zeitungen wie der »Frankfurter Allgemeinen« oder »TAZ« öffnen würde? Nicht, dass Marc noch einmal den Fehler machen würde, seine Heimat zu verlassen. So viel hatte er aus seinem Umzug nach Berlin gelernt. Aber eine Anfrage von ganz »oben« würde seinem Ego guttun.

    ~ * ~

    Wieder und wieder las er sich selbst die fett gedruckte Überschrift vor: »Klappe die Zweite – der Heideschwulmeister kann kommen« Untertitel: Die Kulturbeauftragte Simone Strauch im Interview mit Marc Manske.

    Noch einmal überflog er seinen eigenen Namen, als ihm plötzlich der Tippfehler im Titel ins Auge fiel. Hatte er sich nur verlesen? Ein Schauer lief dem jungen Mann über den Rücken. Im selben Moment verkrampfte sich sein Magen und Schweiß sammelte sich auf Marcs Schläfen …

    Das konnte nicht wahr sein: »Heideschwulmeister« Was für ein Fauxpas!

    Wie konnte das nur passieren? War dies nun die Quittung dafür, dass er während der Berichterstattung immer wieder durch einschlägige Internetseiten gesurft war und etwas Entspannung gesucht hatte, um sich anschließend wieder zu hundert Prozent auf die Arbeit konzentrieren zu können? Das Drücken einer falschen Tastenkombination schien unwahrscheinlich. Wie gelähmt startete Marc seinen Computer, um die Original-Datei zu sichten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Summen des Rechners sich beruhigte und der Text sich langsam aufbaute. Vor Schweiß klitschnass entledigte sich der junge Mann seines Morgenmantels und starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm. »Klappe die Zweite – Heideschulmeister Uwe Karsten kann kommen – die Kulturbeauftragte Simone Strauch im Interview mit Marc Manske.« Alles korrekt.

    Scham und Verzweiflung mischten sich mit Misstrauen und Ärger. Wer wollte ihm derartig Böses und legte es bewusst darauf an, seine Karriere zu zerstören und ihn obendrein zum Gespött des gesamten Dorfes zu machen? War die junge Schicki-Micki-Kollegin tatsächlich zu einer solchen Gemeinheit fähig?

    Das Klingeln des Telefons kam dem Aufruf zur Hinrichtung gleich. Ein kleinlautes »Hallo, wer spricht?«, wurde durch lautes Brüllen übertönt, »Kommen Sie umgehend zu mir ins Büro. Das wird Konsequenzen haben. Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten Zeit, die Sache irgendwie wieder geradezubiegen … sonst … sonst.«

    Die Leitung war tot. Walter Petermann, der ewig schlecht gelaunte Redaktionsleiter hatte sich in Aggression und Lautstärke wieder selbst übertroffen. Diesmal jedenfalls zu Recht.

    Nicht, dass Marc Manske sich auch nur im Geringsten irgendeiner Schuld bewusst war – doch wer würde ihm glauben, dass er das Opfer einer bösen Intrige war und ihm der doppeldeutige Schreibfehler nur untergeschoben wurde?

    ~ * ~

    Fünfzehn Minuten später der große Showdown im Konferenzraum der »Heide Rundschau«:

    »Fünfzigtausend Leserinnen und Leser werden heute mit Hohn und Unverständnis auf unsere Redaktion zeigen. Zielscheibe des Spotts ist unsere arme Kulturbeauftragte. Ein jeder wird sich fragen, wie dumm manche Menschen sein können«, schrie der übergewichtige Junggeselle durch den Raum und knallte dabei immer wieder seine fleischige Faust auf den Tisch, bevor er die Katastrophe weiter heraufbeschwor: »Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Inserenten in Zukunft auf Anzeigen in der »Heide Rundschau« verzichten werden, um ihrem eigenen Ruf nicht zu schaden!«

    Alle Anwesenden kannten kritische Situationen wie diese nur zu gut und wussten, dass es für den Moment das Beste war, den Mund zu halten.

    »Es ist mir ganz egal, wer für diesen Fehler verantwortlich ist, ob es einfach nur menschliches Versagen, eine boshafte Verschwörung oder sexuelle Verwirrtheit in Kombination mit Untervögelung ist! Das hier wird uns ewig anhängen. Der Samtgemeindebürgermeister selbst hat mich heute früh um sieben Uhr vierundzwanzig aus dem Bett geklingelt und erwartet eine öffentliche Entschuldigung. Und zu was der sonst fähig ist, brauch ich wohl nicht weiter auszuführen. Schlimmstenfalls stampft er noch den ganzen Verlag ein«.

    ~ * ~

    »Ich …«, setzte Jutta zum Gegenangriff an.

    »Sie sprechen nur, wenn ich Sie dazu auffordere. Ich kann mir schon denken, was passiert ist«, schnauzte der rotgesichtige Petermann los.

    Etwas sanfter an Marc gewandt: »Fahren Sie gleich los zur Kultur-Schnepfe. Ziehen Sie sich ein schönes Hemd an und kaufen ihr in ›Ingos Gartenparadies‹ noch etwas buntes Gestrüpp.

    Das sollte reichen, um das verschreckte Huhn wieder versöhnlich zu stimmen. Zur Not machen Sie ihr noch ein paar plumpe Komplimente über frischen Morgenteint oder die raubtierhafte Lockenpracht. Immer schön dick auftragen. Frauen sind einfach zu beeindrucken. Letzte Woche war sie jedenfalls noch voll des Lobes über ihre zuvorkommenden Manieren. Zur Not legen Sie sich bitte noch etwas mehr ins Zeug und zeigen etwas Körpereinsatz. Wie Sie wissen, ist Frau Strauch seit gut einem Jahr verwitwet. Da wird ein junger Kerl wie Sie ihr mal ganz guttun. Und nicht vergessen: Es geht hier schließlich um unsere Jobs. Und nun raus aus meinem Büro. Alle beide. Ich will vor Montag nichts mehr von Ihnen hören oder sehen. Ist das klar?«

    An der Tür wandte sich der Mittfünfziger direkt an die Intrigantin: »Jutta. Sie übernehmen Manskes Wochenenddienst. Der benötigt seine Kräfte anderweitig. Ich selbst mache mir einen gemütlichen Tag mit meinen Kegelbrüdern: Grillen und Fassbier am Köhlerhüttenteich. So gutes Wetter wie heute hatten wir schließlich lange nicht. Das muss ausgenutzt werden.«

    ~ * ~

    Mit versteinerter Miene knallte Jutta

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