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Gaia Knights
Gaia Knights
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eBook377 Seiten4 Stunden

Gaia Knights

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Über dieses E-Book

Kirvas verbringt seine Freizeit am liebsten in der Welt der VR-Spiele. Während er eine Mission im VR-Spiel Gaia Knights spielt, gelangt er in die fantastische Welt des Videospiels. Plötzlich sind die Gefahren des Spiels für ihn real.
Unvermittelt wird er von einer Gruppe schwarz gekleideter Männer attackiert und entkommt ihnen nur knapp.
Er trifft LaDèra, die ihn - zunächst widerwillig - bei der Suche nach einem Rückweg in seine Welt unterstützt. Doch schon bald muss Kirvas feststellen, dass eine dunkle Macht ihn an seiner Rückkehr zu hindern versucht. Zudem scheint LaDèra mehr zu wissen, als sie ihm gegenüber preisgeben will. Was verheimlicht sie ihm? Kann Kirvas der dunklen Macht entkommen und in seine Welt zurückkehren?
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum19. Okt. 2020
ISBN9783740796846
Gaia Knights
Autor

Sibylle D. Sillmen

Die Autorin, Jahrgang 1982, entdeckt schon als Jugendliche ihre Liebe zur Fantasy-Literatur. Geprägt wird sie insbesondere durch die Romane von Marion Zimmer-Bradley und Wolfgang Hohlbein. Aus einem gegebenen Versprechen entsteht ihr Debüt-Roman, Gaia Knights. Das Licht Velmonts erzählt nun die Geschichte, die ihren Anfang in Gaia Knights nimmt, weiter.

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    Buchvorschau

    Gaia Knights - Sibylle D. Sillmen

    Für Nico

    Die Autorin, Jahrgang 1982, entdeckt schon als Jugendliche ihre Liebe zur Fantasy-Literatur. Geprägt wird sie insbesondere durch die Romane von Marion Zimmer-Bradley und Wolfgang Hohlbein.

    Gaia Knights ist ihr Debüt-Roman und zugleich die Erfüllung eines Versprechens.

    Inhaltsverzeichnis

    Geschichtsunterricht

    Begegnungen im Flur

    Ein Laden, der nichts verkaufen will

    Hausaufgaben

    Kämpfe!

    Der Weg zur Bibliothek

    Gewitterwolken

    Deyra und ein Bär

    Ein Ort der Schande

    Schwarze Ritter

    Zu spät!

    Rufers oder Ruferus, Gaia oder Gaya!

    Analoge Karte mit GPS

    Unter fremden Sternen

    Ein ungeheuerlicher Verdacht

    Schleimranken und eine Art Plan

    Theresa

    Götter, Spieler und Entwickler

    Vhom

    Wilde Kreaturen

    Im Haus eines Freundes

    Lenier

    Geschichte des Hütertums und eine Prophezeiung

    Ein fast perfekter Tag

    Schwerttraining und ein Wort

    Am Anlegesteg von Vhom

    Missverständnisse

    An Bord der Daria

    Auge in Auge mit einem Traum und einem Albtraum

    Bewegungen im Nebel

    Die Plansoura – Pullebene

    Solamuerta

    Der Nebel

    Das Land der Gottheiten

    Rückkehr nach Vhom

    Thoram – Die Donnerschlucht

    In der Skravor

    Ein ungebetener Gast

    Im Ravon

    Im Weißen Berg

    Begegnung mit dem Schicksal

    Zurück in Velmont

    Der Weg über die magische Brücke

    Dunkelheit im Herzen

    Theresa und der Diamond-Head-Up-Beamer Prisma

    Risse in der Maske

    Die Rückkehr der Späher

    Das Gesicht der Dunkelheit

    Trainiere

    Geschichtsunterricht

    Die Luft war erfüllt vom Klang des Stahls, der auf Stahl schlug. Um ihn herum starben seine Waffenbrüder, durchbohrt von den mächtigen Zweihändern der schwarzen Ritter, oder erschlagen durch die Morgensterne der Berserker. Die Schreie der Verwundeten brachten sein Trommelfell schmerzhaft zum Vibrieren. Sie hatten niemals eine Chance gehabt. Das einst zehntausend Mann zählende Heer des Weißen Königs war in kleine Gruppen zersplittert. Von der militärischen Ordnung war nichts mehr zu erkennen. Zu gewaltig war der Ansturm der schwarzen Armee gewesen und auch jetzt drängten noch weitere Kämpfer über die Hügel, hinunter in die Ebene, die zur Kampfarena geworden war. Ein schriller Pfiff übertönte den Kampflärm und ließ die Männer in seiner Nähe aufschreien. Sie riefen seinen Namen und… Moment! Sie riefen seinen Namen?

    »Herr Eiländer!«

    Kirvas schrak auf und schaute in die wütend blitzenden Augen seines Geschichtslehrers. Es war unnatürlich still im Klassenzimmer und aus den Augenwinkeln erkannte er, dass seine Mitschüler ihn anschauten. Wie oft hatte ihn Rufers bereits angesprochen? Und, vor allem, was wollte er von ihm? Sein Blick glitt über den Tafelaufschrieb. Doch statt eines Textes, der ihm einen Hinweis auf die gestellte Frage geben konnte, las er nur ein einziges Wort: Kelten.

    »Also? Ich höre?«, sagte Rufers.

    »Ähm«, zögerte Kirvas. Was sollte er antworten, wenn er die Frage nicht kannte?

    »Ja«, sagte Rufers, »Ich kann Ihren Gedankengang nachvollziehen! Bitte erklären Sie das noch etwas genauer!«

    Kirvas presste die Lippen aufeinander. Sollte er das Offensichtliche zugeben? Sollte er einfach sagen, dass er mit den Gedanken nicht bei der Sache war? Sein Blick glitt über die Gesichter seiner Mitschüler. Sie alle versuchten ihr Grinsen zu verbergen, wohl wissend, dass Herr Rufers eine solche Respektlosigkeit nicht ungestraft ließ.

    Auf der anderen Seite ließ er jedoch auch Unaufmerksamkeit nicht ungestraft. Kirvas entschied sich für einen Schuss ins Blaue. Er holte tief Luft und sagte dann:

    »Als Kelten bezeichnete man seit der Antike eine Volksgruppe, die in der Eisenzeit in Europa gelebt hat. Sie revolutionierten die Waffen – vor allem die Schwerter – indem sie ihre Elastizität erhöhten. Das erreichten sie, indem sie verschieden harte Stahlstränge zusammenschmolzen. Ein so geschmiedetes Schwert hielt einer Belastung viel länger stand und sicherte ihnen so einen Vorteil im Kampf.«

    War das die richtige Antwort gewesen? Kirvas beobachtete aus den Augenwinkeln seine Mitschüler. Das Grinsen war wieder aus ihren Zügen verschwunden und zumindest Frank, aus der letzten Reihe, hatte seine Wangen aufgeblasen und nickte anerkennend. Doch genügte diese Antwort auch Rufers? Kirvas wagte es nicht, den Blick seines Geschichtslehrers, der ihn an den Blick eines Falken erinnerte, zu erwidern. Die Stille im Raum hielt an und zehrte an seinen Nerven.

    »Nun gut«, erlöste ihn schließlich Rufers, »Wieder rettet Ihnen Ihre schnelle Auffassungsgabe Ihre Note, Herr Eiländer. Trotzdem wünsche ich mir mehr Aufmerksamkeit von Ihnen.«

    Puh! Das war knapp gewesen.

    »Geht klar«, antwortete Kirvas mit belegter Stimme und sah zu, wie sich Rufers wieder der Tafel zuwandte. Doch mitten in der Drehung hielt sein Geschichtslehrer erneut inne, schnipste mit den Fingern und drehte sich in einer schnellen Bewegung wieder um. Er stützte seine Hände auf Kirvas’ Tisch ab und fixierte ihn aus stechend grünen Augen. Kirvas erschrak und zuckte zurück.

    »Da ich gerade deine ungeteilte Aufmerksamkeit habe«, begann er erneut, löste seine Hände von der Tischplatte und strich sich langsam mit der flachen Hand über seinen ergrauten Bart. Das kratzende Geräusch der Barthaare an der Handinnenfläche seines Geschichtslehrers war in diesem Augenblick das einzige Geräusch im Klassenzimmer. Ging es nur ihm so, oder wagten seine Mitschüler auch nicht zu atmen. Oh! Wie Kirvas es doch hasste, wenn Rufers das tat!

    »Wann kann ich mit deinem Aufsatz rechnen?«

    Oh, oh, dachte Kirvas und schluckte krampfhaft gegen den Kloß in seinem Hals an.

    »Bin in den letzten Zügen«, brachte Kirvas krächzend hervor und gab sich ernsthaft Mühe, unter dem Blick seines Lehrers unsichtbar zu werden.

    »Ich übersetze deine Antwort«, sagte Rufers, »Du hast noch nicht einmal begonnen.«

    Ertappt! Natürlich hatte Kirvas bereits im Internet recherchiert. Er hatte sich auch schon rund achtzig Seiten über die Kelten ausgedruckt und seinen Notizblock bereitgelegt. In diesem Augenblick erschien das Bild seines Notizblocks vor seinem geistigen Auge. Er sah ihn ganz deutlich neben den Ausdrucken liegen und seine Seiten erstrahlten im unschuldigen Weiß. Was sollte das überhaupt? Wieso verlangte Rufers im Fach Geschichte einen Aufsatz über das Leben der Kelten? Gehörte eine solche Hausarbeit nicht in das Fach Deutsch? Vielleicht trug auch das Gefühl, eine sinnlose Hausarbeit erledigen zu müssen, dazu bei, dass Kirvas sich nach der Schule lieber mit seinem VR-Helm auf dem Kopf und den Cyberhandschuhen an den Händen auf die Motionplattform gestellt hatte, um so zu versuchen, die 45-Minuten-Mission in seiner neuesten Errungenschaft, dem Videospiel »Gaia Knights« zu bestehen, anstatt sich um seine Hausaufgaben zu kümmern.

    Doch auch seine Bemühungen im Videospiel waren nicht von Erfolg gekrönt gewesen, so dass er wertvolle Zeit, die er für seine Hausarbeit benötigt hätte, verloren hatte. Genügte die verbliebene Zeit nun noch, um einen Aufsatz zu Rufers Zufriedenheit zu erstellen?

    »Noch drei Tage, Herr Eiländer! Setze deine Noten nicht leichtfertig aufs Spiel!«

    »Bestimmt nicht«, erwiderte Kirvas und erschrak. Rufers hatte sich etwas abgedreht und so den Blick auf die Tafel freigegeben. Ganz deutlich sah Kirvas weiße, pupillenlose Augen, die ihn von der Tafel aus anschauten. Sie fixierten ihn, während sich Rufers langsam von ihm abwandte. Wieso reagierte niemand? Sah nur er diese Augen? Kirvas schaute nach links und rechts. Doch keiner seiner Mitschüler zeigte eine Regung. Wieder schaute er zur Tafel. Die Augen waren noch da.

    Er konnte sie ganz deutlich über dem Wort »Kelten« sehen. Verlor er den Verstand? Kirvas schloss die Augen und presste sie fest zu. So zählte er langsam bis zehn und öffnete sie dann wieder. Rufers hatte die Tafel erreicht und schrieb bereits an seinem Tafelaufschrieb weiter und die weißen Augen waren verschwunden. Doch was war das? Huschte da ein Schatten über die Gesichter seiner Mitschüler? Kirvas fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Er musste hier weg!

    Begegnungen im Flur

    Die letzten zwanzig Minuten des Geschichtsunterrichtes verliefen schleppend. Kirvas versuchte sich auf den Stoff zu konzentrieren, doch es wollte ihm nicht gelingen. Selbst als Rufers über die Waffenherstellung sprach, ein Thema, das ihn sonst begeisterte, konnte er dem Unterricht nicht folgen. Ständig hörte er das helle Klirren von Waffen, die aufeinanderschlugen und sah huschende Schatten über seine Mitschüler gleiten. Was war nur los? Immer wieder musste er sich über die schweißnassen Wangen wischen. Er versuchte tief zu atmen um seine Panik zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht. Konnte er die Geräusche und diesen eigenartigen Schatten aussperren, indem er die Tischplatte vor sich anstarrte? Warum läutete die Schulglocke nicht und setzte dem Unterricht ein Ende? Endlich erklang der helle Ton der Schulglocke und Rufers Worte gingen in der Geräuschkulisse aus raschelnder Kleidung, schnappenden Verschlüssen und rutschenden Stühlen unter. Mit dem Schlag der Schulglocke endete auch Kirvas’ Schultag. Alles in ihm schrie, dass er den Raum sofort verlassen musste, doch während seine Mitschüler fluchtartig das Klassenzimmer verließen und sich ins Wochenende verabschiedeten, blieb er allein reglos sitzen und starrte auf die Tischplatte.

    »Wochenende, Mann«, drang Lennards Stimme an sein Ohr und löste ihn aus seiner Erstarrung. Hastig schaute er sich im Raum um, darauf gefasst, irgendwo die Augen oder den Schatten zu sehen. Doch er sah weder die Augen, noch den Schatten. Als hätte der Schatten das Klassenzimmer mit den anderen verlassen, dachte er. Nur Lennard war noch da und grinste ihn an. Lennard und Rufers, korrigierte sich Kirvas in Gedanken. Der Lehrer saß hinter dem Pult und sortierte seine Aufschriebe. Doch war dem tatsächlich so? Ganz deutlich fühlte Kirvas Rufers Blick auf sich ruhen. Es fühlte sich wie ein ständiger Druck zwischen den Schulterblättern an, während Kirvas von seinem Platz aufstand, seine Unterlagen ergriff und sie in seinen Rucksack schob. Gerade hatte er nach seinem Stuhl gegriffen, um ihn an den Tisch zu schieben, als ihn Rufers ansprach.

    »Kirvas«, sagte er in eindringlichem Ton.

    Würde nun die Strafe für seine Unaufmerksamkeit im Unterricht folgen? Kirvas hielt in der Bewegung inne und schaute Rufers an.

    »Ich rate dir dringend an, weniger Zeit in der virtuellen Welt zu verbringen. Unterschätze nicht die Gefahren, die eine virtuelle Welt birgt! Beschäftige dich etwas mehr mit dieser Welt. Besuche ein Fitnessstudio oder die neu eröffnete Kletterhalle in der Innenstadt. Wer weiß? Irgendwann wirst du vielleicht kräftigere Muskeln gebrauchen können.«

    Beinahe reflexartig wollte Kirvas sich rechtfertigen und Rufers versichern, dass er sich nicht nur in der virtuellen Welt aufhielt. Doch bevor er die richtigen Worte gefunden hatte, hatte sein Lehrer bereits seine alte, speckig glänzende Ledertasche ergriffen und den Raum verlassen. Kirvas konnte beobachten, wie er schnell den Flur in Richtung Haupttreppe entlang ging, nach links in Richtung Treppe abbog und schließlich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Nun war er mit Lennard alleine.

    »Hey Mann«, sprach ihn Lennard auch sofort an, »Was ist los?« »Weiß nicht, was du meinst«, antwortete Kirvas.

    »Oh doch! Das weißt du ganz genau! Du warst voll weggetreten und weiß wie die Wand. Als hättest du einen Geist gesehen.«

    Du weißt nicht, wie Recht du hast, dachte Kirvas und presste die Lippen zu blutleeren Strichen zusammen. Sollte er Lennard von seinen Halluzinationen erzählen? Und wenn er es tat, würde Lennard dann zu seiner Mutter rennen und ihr davon erzählen? Würde sie, die Allgemeinärztin, dann darauf bestehen, dass Kirvas sich in Therapie begab? Und, wenn ja, konnte er Lennards Mutter widersprechen? Immerhin ersetzte Kamilla Kirvas die eigene Mutter, die er niemals hatte kennen lernen dürfen. Allein der Gedanke an eine Mutter, brachte Kirvas die Erinnerung an seine früheste Kindheit zurück. Niemand konnte ihm sagen, was genau mit seinen Eltern geschehen war, doch die Umstände, unter denen Kirvas gefunden worden war, legten nahe, dass seine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren. Ihn selbst hatten Rettungskräfte als Dreijährigen am Rande eines Feldweges in der Nähe eines brennenden Fahrzeuges gefunden. Er konnte sich daran erinnern, dass ein Mann in einer Feuerwehruniform auf ihn zugekommen war und ihn ergriffen hatte. Dieser Mann hatte ihm viele Fragen gestellt, die Kirvas jedoch nicht beantworten konnte. Ein anderes Gesicht tauchte in seiner Erinnerung auf. Es gehörte der Notärztin, die schließlich sagte, dass er wohl einen schweren Schock erlitten hatte. Das letzte Bild aus jener Nacht, an das sich Kirvas erinnern konnte, waren meterhohe Flammen, die ein Autowrack vollständig zerstörten. Kamilla hatte einmal gesagt, dass die Flammen unnatürlich heiß gewesen waren, so dass sich kein Mensch dem Autowrack hatte nähern können. Selbst die Löschmittel, die die Feuerwehr benutzt hatte, verdampften, bevor sie die Flammen erreicht hatten. Später hatte ein Brandsachverständiger wohl die Hitze der Flammen mit der Hitze eines Blitzes verglichen. Sollten sich menschliche Überreste in dem Wagen befunden haben, so hatten die Flammen diese restlos zerstört. Das war auch der Grund, warum er niemals zur Adoption freigegeben worden war. Nun, mit siebzehn, lebte er als sogenannter Interner in einer kleinen Wohneinheit im Wohntrakt des Schloss-Gymnasiums, auf dem er seit diesem Jahr die Oberstufe besuchte. Der Staat bezahlte ihm unter Vorbehalt eine Vollwaisenrente, von der er die Miete für sein Zimmer, sein Essen und seine Kleidung bezahlen konnte. Ab und an blieb auch noch ein Betrag zur Erfüllung kleiner Wünsche übrig. Alles, was er sich nicht leisten konnte, machte Kamilla für ihn möglich. So hatte er es ihr auch zu verdanken, dass er stolzer Besitzer einer vollständigen VR-Ausrüstung war und sich seither nicht mehr so intensiv um seine Hausaufgaben kümmerte. Doch Kamilla war nicht seine Erziehungsberechtigte. Er konnte ihr widersprechen, wollte sie, dass er sich in Therapie begab. Vielleicht half ihm ein Gespräch mit Lennard ja tatsächlich, seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Kirvas atmete tief durch, ehe er leise sagte:

    »Vielleicht dreh’ ich gerade tatsächlich durch und seh’ Geister.«

    So! Jetzt war Lennard im Bilde. Was hielt er nun von ihm? Kirvas suchte in Lennards Gesichtszügen nach einem Hinweis, dass er sich gerade vor ihm lächerlich gemacht hatte. Doch er fand keinen. Im Gegenteil! »Erzähl«, forderte ihn Lennard auf und trat näher.

    Mist! Konnte er jetzt noch irgendwie zurück? Wohl eher nicht, beschied Kirvas und holte tief Luft.

    »Also«, begann er, »Du weißt doch, dass ich Gaia Knights zocke.«

    Lennard nickte und Kirvas fuhr fort:

    »Ich häng’ da an ’ner Mission fest. Da befindest du dich in einer gewaltigen Schlacht um eine Stadt. Weiß nicht, wie oft ich die Mission schon gestartet hab’, aber ich glaub’ ich hab’s übertrieben, Mann.«

    »Und wie kommst du drauf?«

    Kirvas zog die Schultern an. Wenn er nun weitersprach, konnte er sich vor seinem Freund zum Idioten machen. Andererseits spürte er den Drang, sich jemandem anvertrauen zu wollen. Also schaute er sich hastig um und vergewisserte sich, dass niemand, außer Lennard, seine Worte hören konnte. Soweit er erkennen konnte, war der Flur vor dem Klassenzimmer menschenleer. Auch war er sich sicher, dass sich niemand hinter der geöffneten Tür versteckte, um ihn und Lennard zu belauschen. So aufregend waren ihre Gespräche auch nicht. Kirvas räusperte sich und sagte dann:

    »Es ist so: Im Unterricht war ich plötzlich wieder in der Schlacht. Nicht so, dass ich mitmachen konnte. Irgendwie bewegte ich mich wie ein Geist zwischen den Kämpfern. Um mich ’rum waren die schwarzen Ritter, ich hörte die Schreie der Männer und die Geräusche, die du eben im Spiel hörst. Es war alles da. Dann sprach mich Rufers an…«

    »Das war krass!«, fiel ihm Lennard ins Wort, »Jeder hat gesehen, dass du nicht aufpasst hast. Alle haben drauf gewartet, dass du dich voll lächerlich machst. Und dann packst du einen Lexikontext aus. Respekt, Mann!«

    Kirvas fühlte, wie sich, ohne sein bewusstes Zutun, sein Kiefermuskel schmerzhaft zu verkrampfen begann. Das hatte wohl auch Lennard bemerkt. Er musterte Kirvas, ehe er ihn fragte:

    »Was ist?«

    Gute Frage! Kirvas wandte sich von Lennard ab und schaute zur Tafel hinüber. Langsam schloss er seine Hände zu Fäusten, als ihn die Erinnerung an die weiß glühenden Augen einholte.

    »Dieses Viech aus der Schlacht…«, flüsterte er, während er an die Tafel starrte.

    »Was ist damit?«

    Kirvas atmete tief durch, ehe er weitersprach:

    »Ich sah seine Augen. Sie befanden sich genau dort! Hinter Rufers, Lenn! Sie waren da, als er mit mir sprach! Mann Lenn! Dieses Viech war da, obwohl ich nicht mehr in Gedanken war. Es war hier! Verstehst du? Hier! In diesem Raum!«

    Nun wusste Lennard, was Kirvas quälte. Würde er ihn nun verurteilen? Würde er ihn als Spinner abtun und ihn einfach stehen lassen? Kirvas löste seinen Blick von der Tafel und schaute wieder zu Lennard. Er sah die Grübelfalte zwischen Lennards Augenbrauen, die sich immer dann bildete, wenn Lennard intensiv nachdenken musste. Kurz schürzte er die Lippen, ehe er sagte:

    »Glaube davon hab’ ich schon mal was gehört, oder gelesen. So genau weiß ich das nicht mehr. Das passiert bei VR-Games häufiger. Wenn du zu lange spielst, weiß dein Hirn irgendwann nicht mehr, was echt ist und was nicht. Das Gehirn versucht dann die Mission zu beenden und packt dir das Spiel in die Realität, oder so ähnlich.«

    Kirvas atmete tief durch. Lennard hielt ihn also nicht für verrückt und versuchte tatsächlich ihm zu helfen.

    »Na toll«, sagte Kirvas, »und wie krieg ich das wieder los?«

    »Indem du die Mission beendest«, antwortete Lennard.

    »Erst mal können, Mann! Ich kämpfe erst gegen hunderte von Rittern, dann bin ich beinahe KO und dann kommt noch so’n Endboss der dieses Viech beschwört, das mir dann den Rest gibt.«

    Kirvas ergriff seinen Rucksack und schwang ihn sich auf den Rücken. Mit schnellen Schritten hielt er auf die Klassenzimmertür zu. Doch Lennard folgte ihm. Er hörte seine Schritte hinter sich und sah in seinem Augenwinkel, wie er ihn einholte.

    »Lass mich mal machen!«, sagte Lennard, als er wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, »Wir haben Zuhause das schnelle Internet. Ich schau nach ’nem Forum und schick dir die Lösung per Message. Dann kannst du wieder ruhig schlafen und… Was ist jetzt schon wieder?«

    Kirvas war wieder stehen geblieben und schaute zur Haupttreppe hinüber, an der sich eine Mädchengruppe gefunden hatte. Sie würde er überall erkennen. Er sah ihre kleine Stupsnase, ihre samtenen Lippen und ihr feines, blondes Haar, das ihr bis zu den Schultern reichte und mit Schmetterlingsklammern zusammengehalten wurde. An ihren Handgelenken glitzerten verschiedene Armbänder. Kirvas’ Handflächen wurden feucht, während er beobachtete, wie sich Theresa eine vorwitzige Haarsträhne aus den Augen strich und versuchte sie sich hinter ihr Ohr zu klemmen. Gerade lachte sie auf und schaute zu ihm herüber, als Lennard wieder in sein Blickfeld trat und die Augen verdrehte.

    »Theresa«, sagte er, »war ja klar! Weißt du, was sie sich seit neuestem von einem Verehrer wünscht? Einen von diesen neuen Diamond-Head-Up-Beamern, Mann. Du weißt schon! Die Dinger, die man ans Phone ansteckt und die dann den Bildschirm so anheben, dass er vor deinen Augen schwebt. Mit dem Ding musst du das Display nicht mehr berühren, sondern kannst die Befehle durch Berührungen in der Luft eingeben. Aber, das ist ja noch nicht genug. Es soll ja nicht irgendein Diamond-Head-Up-Beamer sein. Nein, Mann! Die will den Prisma. Du weißt schon! Dieses endgeile Teil, das du mit deiner Stimme steuerst. Und wenn du deinem Smartphone dann noch sagst, dass du Kontaktlinsen trägst, erscheint das Display nicht vor dir schwebend, so dass jeder mitlesen kann, sondern direkt in deinen Augen, weil der Prisma dir das Bild einfach direkt auf die Kontaktlinsen schickt. Der ist unbezahlbar, Mann! Ähm, hörst du mir überhaupt zu?«

    Kirvas hatte Lennards Worte gehört, war jedoch nicht fähig gewesen, seinen Blick von Theresa abzuwenden. Auch jetzt starrte er sie noch an, obwohl er wusste, dass Lennard auf seine Reaktion wartete. Er wartete vergebens und seine Stimme klang resigniert, als er weitersprach:

    »Aber da ich ja weiß, dass du eh nach dem Prisma schauen wirst, habe ich dir den raus gesucht. Außerdem hab ich dir einen Laden in der Nähe raus gesucht, der den wohl führt.« Lennard zog sein Smartphone hervor und wischte schnell darüber.

    »Da!«, sagte er, »jetzt hast du den Link zum Laden und jetzt…«

    Plötzlich wurde Kirvas von starken Händen gepackt und förmlich gegen die Flurwand geworfen. Seine Schulter schmerzte als er sich erschrocken aufrichtete und seinen Angreifer anschaute.

    Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, ergriff David ihn am Kragen und drückte ihn derart gegen die Wand, dass Kirvas den Kontakt zum Fußboden verlor und einige Zentimeter über dem Boden schwebte. Wo war der denn so plötzlich hergekommen? Und, was vielleicht noch wichtiger war, was wollte er von ihm?

    »Hör auf, mein Mädchen anzugaffen! Die gehört mir! Klar!«

    Sein Mädchen? Kirvas war zu keiner Reaktion fähig. Wie erstarrt hing er da und starrte David an. Seine innere Stimme schrie ihn an, er solle sich das nicht gefallen lassen, doch sein Körper versagte ihm den Dienst. Es war Lennard, der schließlich reagierte. Er drängte sich zwischen Kirvas und David, boxte David in die Rippen und stieß ihn dann von Kirvas fort. Kirvas hatte wieder festen Boden unter den Füßen und beeilte sich, mehr Abstand zwischen David und sich zu bringen.

    »Mach dass du weg kommst, David«, hörte er Lennard fauchen, »Der hat sie doch gar nicht angeschaut. Selbst wenn, steht dein Name drauf? Trägt sie deinen Ring?« War es möglich, dass Lennards Worte Wirkung zeigten? Kirvas starrte David an. Er sah, wie sich der ältere kurz an die Rippen fasste, hörte, wie David durch die Nase schnaubte und beobachtete, wie er sich dann tatsächlich abwandte. Noch bevor er ging, warf er Kirvas einen tödlichen Blick zu.

    »Irgendwann wird dein Wachhund nicht bei dir sein! Dann bist du fällig«, knurrte er und Kirvas fuhr erneut der Schrecken in die Glieder. Nicht jedoch, weil David ihm öffentlich gedroht hatte. Kirvas war sich sicher, dass Davids Augen für den Bruchteil einer Sekunde rot aufgeleuchtet hatten. Neben ihm knurrte Lennard und schickte David ein

    »Wuff!«, hinterher, als dieser sich in Richtung Treppe entfernte, die Treppen hinuntersprang und schließlich aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

    »Vollidiot«, sagte Lennard und an Kirvas gewandt:

    »Alles okay?«

    »Ja, Mann«, sagte Kirvas und rieb sich die schmerzende Schulter, »Alles gut. Ich geh’ nach Hause und kümmere mich um meine Hausarbeit.«

    Nichts war in Ordnung und wahrscheinlich wusste das Lennard auch. Kirvas sah, wie Lennard ihn lange musterte, ehe er seine Stirn in Falten legte und Kirvas’ Blick suchte. Doch Kirvas wich seinem Blick aus. Er wollte nicht weiter über seine Gefühle sprechen.

    Vielleicht hatte er auch schon zu viel gesagt. Warum hatte er überhaupt mit Lennard gesprochen? Seit er denken konnte, hatte er doch alles mit sich selbst ausgemacht. Mit dem Zusammentreffen mit David würde es auch wieder so sein! Er würde in sein Zimmer gehen, sich noch einmal über David und sein Getue aufregen, auf ein Kissen einschlagen und schließlich so tun als sei nichts geschehen. Doch nach allem, was er Lennard erzählt hatte, würde ihn sein Freund einfach gehen lassen?

    »Alles klar Mann«, sagte Lennard plötzlich und hob seine Hand zu einem High Five, »pass auf dich auf.«

    Was war geschehen? So hatte sich Lennard ja noch nie von ihm verabschiedet. Fand er ein High Five sonst nicht Oldschool? Ach, was soll’s! Kirvas zuckte die Achseln und schlug ein. Dann schaute er Lennard nach, wie er geschwind die Treppen des Nebenaufganges heruntersprang, und schließlich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Erst jetzt wandte er sich ab und ging am Treppenaufgang der Haupttreppe vorbei. Kirvas war erleichtert, dass sich die Gruppe um Theresa bereits aufgelöst hatte, so dass er unbehelligt von hämischen oder bemitleidenden Blicken den schmalen Flur, der ihn in den Wohntrakt der Internen und zu seinem Zimmer führen würde, erreichen konnte.

    Ein Laden, der nichts verkaufen will

    In seinem Zimmer angekommen, ließ er seinen Rucksack achtlos auf den Boden des kleinen Flures hinter der Eingangstür fallen, entledigte sich seiner ausgetretenen Sportschuhe, ohne die Schnürsenkel zu öffnen und betrat den Raum, der für ihn Wohn-, Ess- und Schlafbereich zugleich war. Sein Blick glitt zur kleinen Kochnische in den Nebenraum. Kurz überlegte er, ob er sich noch etwas aus dem Kühlschrank holen sollte, entschied sich dagegen und ließ sich einfach auf sein Bett fallen.

    »Was für ein Tag«, flüsterte er, während er an die Decke starrte und dem stetigen Tropfen des Wasserhahns in der Küche lauschte. Doch das tropfende Wasser war nicht das einzige Geräusch, das er hörte. In den Bäumen vor seinem Fenster, durch das Fensterglas kaum gedämpft, erklang das Krächzen der Raben, die sich bereits seit mehreren Tagen im Schulhof sammelten. Von Tag zu Tag wurden es mehr Tiere, die in den Zweigen der Pappeln saßen und den Wohnkomplex beobachteten. Vielleicht litt er ja schon unter einem Verfolgungswahn, aber Kirvas hatte das Gefühl, als würden sie sein Fenster beobachteten. Aber wie groß waren denn die Chancen, dass die Raben ausgerechnet ihn beobachten würden? Kirvas schüttelte den Kopf und starrte an die Holzverkleidung der Zimmerdecke. Er folgte den Linien der Holzmaserung mit seinem Blick.

    »Kaum zu glauben«, flüsterte er, »Zur Zeit der Kelten mussten die Menschen solche Bretter mühsam mit der Hand aus einem Stamm heraushobeln. Heute erledigen das Maschinen. Laute Maschinen, die einem die Ohren klingeln lassen, wenn man keinen Ohrenschutz trägt.« Klingeln!

    Der Klingelton seines Messengers ließ ihn aufschrecken. Wie lange hatte er so dagelegen und die Decke angestarrt? Schnell griff Kirvas nach seinem Smartphone und entsperrte das Display. Er sah die kleine Zwei neben dem Messenger-Symbol, die verschwand, als Kirvas das Symbol berührte und die Chatübersicht öffnete. In der Chatübersicht tauchte sie dann neben Lennards Namen auf. Wie es aussah, hatte Lennard tatsächlich ein Forum gefunden, in dem jemand wusste, wie man die 45-Minuten Mission in Gaia Knights bestehen konnte.

    Kirvas las: »Okay Mann, pass auf! Du beginnst am Zugang zum Kerker und läufst bis zum

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