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Insel der Todeslinien
Insel der Todeslinien
Insel der Todeslinien
eBook421 Seiten5 Stunden

Insel der Todeslinien

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Über dieses E-Book

Im Dschungel von Peru geschehen unerklärliche Morde. Ein Name macht hinter vorgehaltener Hand die Runde. Chupacabras, das unheimliche Fabelwesen Südamerikas scheint im undurchdringlichen Dickicht sein Unwesen zu treiben.
Gleichzeitig wird am anderen Ende der Welt, auf einer schottischen Insel, eine Expedition auf die Beine gestellt, die einer der letzten Mythen der Maya-Zivilisation auf den Grund gehen soll. Auf erschreckende Weise scheinen beide Ereignisse auf geheimnisvolle Art miteinander verwoben zu sein.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum13. Okt. 2020
ISBN9783740796549
Insel der Todeslinien
Autor

Stefan Wettke

Stefan Wettke wurde in Heidelberg geboren. Während des Studiums der Germanistik und Sportwissenschaft in Würzburg begann er mit dem Schreiben. Heute lebt und schreibt er auf einem ehemaligen Pferdehof im Odenwald.

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    Buchvorschau

    Insel der Todeslinien - Stefan Wettke

    Inhaltsverzeichnis

    Isla de la Son, 87 Meilen südwestlich von Costa Rica

    Edinburgh, Schottland, zwei Wochen später

    Inverness

    Peru, zehn Meilen nördlich von Atualpa

    Dunn Island

    Peru

    Dunn Island, Schottland

    Atualpa

    Dunn Island

    Atualpa

    Dunn Island

    Atualpa

    Dunn Island

    Cosumzion

    Über Europa

    Inverness

    Dunn Island

    Brasilien

    Atualpa

    Dunn Island

    Brasilien

    Atualpa

    Brasilien

    Dunn Island

    Brasilien

    Atualpa

    Brasilien

    Atualpa

    Isla de la Son, 87 Meilen südwestlich von Costa Rica

    Inverness, Schottland

    Isla de la Son, 87 Meilen südwestlich von Costa Rica

    Atualpa

    Dunn Island

    Cosumzion

    Peru

    Atualpa

    Dschungel

    Cosumzion

    Dschungel

    Dschungel

    Dschungel

    Dschungel

    Epilog, zwei Wochen später

    Isla de la Son, 87 Meilen südwestlich von Costa Rica

    James D. Rutherford der Dritte schob mit einer hastigen Bewegung den Palmwedel zur Seite. Der Ast brach fast unter dem Gewicht seines Arms, schnellte dann aber wieder in seine ursprüngliche Lage zurück. Das Blattwerk um ihn herum raschelte.

    Drohend schienen von allen Seiten die Geräusche des Dschungels näher zu kommen. Hinter sich hörte er das näher kommende Knacken von Zweigen.

    Die Haarspitzen in seinem Nacken richteten sich auf. Er musste fort von hier. Fort von diesem verfluchten Ort. Wieder hinunter zur Lagune. Dort, wo er das kleine Boot vertäut hatte. Ein Windstoß fuhr in die Äste und das Unterholz um ihn herum. Rutherford rannte weiter.

    Mit einem Mal lichtete sich der Wald und er konnte im hellen Mondlicht eine grasbewachsene Fläche sehen.

    Mit hohem Tempo überquerte er die Lichtung und tauchte in das schützende Unterholz auf der anderen Seite ein. Keuchend hielt er an dem Stamm eines großen Baumes an. Sein Atem ging rasselnd. Dann warf er einen Blick zurück.

    Die Lichtung lag verlassen da. Dann aber bewegten sich plötzlich einige der Zweige am anderen Ende. Im nächsten Moment sah Rutherford einen dunklen Schatten in beeindruckendem Tempo die Lichtung überqueren.

    Die Angst kribbelte in seinen Fingerspitzen. Er rannte weiter. Vor ihm wurde das Gelände abschüssig.

    Dann hörte er plötzlich ein Geräusch. Es war das Rauschen von Wasser. Der Dschungelfluss. Hoffnung keimte in ihm auf. Wenn er es schaffte, den Wassermassen irgendwie zu folgen, würden sie ihn irgendwann hinuter zur Lagune führen. Er musste nur…

    In diesem Moment traf ihn ein harter Schlag von der Seite und schleuderte ihn von den Beinen. Krachend flog sein Körper durchs Unterholz und kam kurz vor dem Stamm eines weiteren riesigen Baumes zu liegen.

    Rutherford versuchte sich aufzurichten, aber erneut traf ihn ein harter Schlag gegen die Seite des Kopfes. Der Schmerz explodierte vor seinem Gesicht. Er stöhnte.

    Dann durchzuckte ihn ein weiterer Schmerz in seinem Rücken. Der Schmerz war so unwirklich scharf, dass er beinahe das Bewusstein verlor.

    Er hörte einen merkwürdigen Laut hinter sich. Dann wurde er wieder gepackt und brutal auf die Seite geworfen.

    Edinburgh, Schottland, zwei Wochen später

    »Sie sind nicht von hier«, sagte die junge Frau hinter dem Verkaufstresen und lächelte ihn an.

    Nathan Grant hob den Blick und sah der hübschen jungen Frau, die eine dicke Fleeceweste und einen beinahe ebenso dicken Kaschmirschal trug, direkt in die dunklen haselnussbraunen Augen.

    »Ist das so offensichtlich?«, fragte er und zog die Zeitschrift, die er soeben gekauft hatte, über die Ladentheke zu sich herüber.

    »Nicht direkt, nein«, sagte die junge Frau und verlagerte ihr Gewicht vom einen auf das andere Bein.

    »Aber es ist ihr Akzent. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen New York?« Sie machte ein fragendes Gesicht. »Auf jeden Fall von der Ostküste.«

    »Chicago«, antwortete Grant.

    »Natürlich«, sagte die junge Frau. »Wusste ich doch gleich.« Mit einer geschmeidigen Bewegung griff sie unter die Ladentheke und zog eine dicke Stange schwarzer Lakritze darunter hervor.

    Grant sah zu, wie sie wie ein Raubtier mit den Eckzähnen davon abbiss und anschließend anfing, geräuschvoll auf der schwarzen Masse herumzukauen.

    »Also«, sagte die junge Frau im munteren Plauderton und musterte Grant angelegentlich. »Was verschlägt Sie denn ausgerechnet hierher? Freunde? Verwandte? Urlaub?«

    Bei diesem Wort verdrehte sie sichtbar die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung.

    »Ausgerechnet hier.«

    Sie stützte die Unterarme auf den Tresen, zwinkerte ihm zu und lehnte sich interessiert nach vorne.

    Grant zögerte kurz.

    »Ich bin geschäftlich hier«, sagte er dann.

    Dann fügte er kaum hörbar hinzu: »Ich vermute es zumindest.«

    Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Der Laden war bis auf einen älteren Mann, der sich in einer der hinteren Ecken vor einem der Esoterik-Buchregale herumdrückte, völlig leer. Vermutlich langweilte die junge Frau sich hier zu Tode.

    Er musterte noch einmal das Gesicht der hübschen Frau. Das Mädchen konnte kaum älter als 20 sein.

    »Ach«, sagte die junge Frau und lehnte sich noch ein wenig weiter nach vorne. »Was machen Sie denn?«

    Grant warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach sechs Uhr morgens. Kein Wunder also, dass noch kaum ein Mensch hier war.

    »Es tut mir leid aber ich muss gehen«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. Die junge Frau nickte verständig.

    »Der 6:15 Uhr nach Inverness?« fragte sie. Grant sah sie verblüfft an.

    »Genau«, sagte er. »Woher…?«

    »Glauben sie mir«, sagte die junge Frau und drückte sich von der Theke ab, »spätestens wenn man zwei Wochen hier gearbeitet hat, kennt man den Fahrplan in- und auswendig.«

    Sie lächelte.

    Grant nickte ihr zu. Dann drehte er sich um und verließ den Laden. Der Bahnsteig war kühl und neblig an diesem Morgen. Durch die dichten Dunstschwaden konnte Grant schon beinahe die Gleisschwellen im hinteren Teil des Bahnhofs nicht mehr erkennen.

    Nach der angenehmen Wärme des Buchladens war die kühle Morgenluft hier auf der verlassenen Plattform frisch und schneidend.

    Er zog sich seinen Mantel ein wenig enger um die Schultern, dann verstaute er das Magazin in seinem Koffer und zog stattdessen einen kleinen, zusammengefalteten Zettel aus seiner Hosentasche. Kurz warf er einen prüfenden Blick darauf. Dann sah er sich suchend um.

    Gleis 9 befand sich fast am anderen Ende des Bahnsteigs, vermutlich dort, wo die Plattformen nur noch spärlich beleuchtet waren. Nach einem weiteren prüfenden Blick stapfte er los.

    Um ihn herum erwachte der Bahnsteig von Edinburgh langsam zum Leben. Grant sah Ladeninhaber, die ihre Geschäfte aufschlossen und die Waren für den Tag bereitlegten.

    Dahinter ein kleines Reinigungsfahrzeug, das den Unrat und den Dreck auf dem Boden zusammenfegte und dabei einen ohrenbetäubenden Lärm verursachte. Er seufzte und die ausgeatmete Luft verwirbelte in feinen Wölkchen vor seinem Gesicht. Außer ihm waren kaum Gäste auf den Bahnsteigen unterwegs.

    Der Zug wartete bereits mit eingeschaltetem Motor und irgendwelchen merkwürdigen Zischgeräuschen am Ende des Gleises.

    Grant überprüfte noch einmal den Fahrplan. Die Fahrt nach Inverness würde laut dem Übersichtsboard an die drei Stunden dauern.

    »Gut so«, dachte er. Vermutlich genau die richtige Zeit, um noch ein bisschen zu schlafen. Er war hundemüde. Zuerst der Flug, dann die Zugfahrt von London hierher. Nein, er war mehr als müde. Und der Jetlag tat sein Übriges dazu.

    Es war wohl eher ratsam gar nicht erst einzuschlafen, wenn er seinen Ausstieg nicht verpassen wollte.

    Das Innere des Zuges war ebenso wie der Buchladen wohl temperiert. Es dauerte gut fünf Minuten bis er das richtige Abteil gefunden hatte.

    Grant ließ seine Blicke durch den kleinen Raum wandern.

    Direkt am Fenster entgegen der Fahrtrichtung hockte in sich zusammengesunken ein älterer Mann im Tweedanzug, der eingeschlafen zu sein schien.

    Weiter vorne direkt neben der Tür ein junger Mann mit Bürstenhaarschnitt und einer wie Grant fand auffallend unschönen Tätowierung, die sich an der Seite seines Halses bis zum Ohransatz emporzog. Der Mann sah ihn aus schmalen verschlafenen Augen feindselig an.

    Grant nickte dem jungen Mann knapp zu und wuchtete dann seinen Koffer auf einen der Ablagebügel über der Bank. Anschließend setzte er sich dem älteren Mann am Fenster gegenüber.

    Zehn Minuten später verließ der Zug pünktlich den Bahnhof. Grant sah in der folgenden Viertelstunde zunächst die Innenstadt und dann die Vororte von Edinburgh an sich vorüberziehen.

    Die Besiedlung des Landes wurde immer dünner bis sie nach einiger Zeit die Stadtgrenzen völlig hinter sich gelassen hatten und dem Lauf eines mittelgroßen Flusses weiter in nördlicher Richtung folgten.

    Die typischen schottischen Hügellandschaften wurden von der Sonne in ein Meer aus Farben getaucht und das dunkle Wasser des Flusses spiegelte in seinem Lauf die Hügel und Bergkämme der Umgebung wieder.

    Nach einer Weile wandte Grant seine Aufmerksamkeit vom Fenster ab und fing den Blick des alten Mannes von gegenüber auf.

    Seit wann war der Kerl denn aufgewacht? Grant musterte den Mann genauer.

    Er trug eine merkwürdig geschwungene Hornbrille, die ihm zusammen mit den buschigen grauen Augenbrauen ein leicht bizarres Äußeres verlieh. Grant nickte dem Mann kurz zu.

    Dann kramte er in der Innentasche seines Jacketts herum und zog einen weißen Umschlag daraus hervor.

    Er sah auf. Der merkwürdige alte Kauz starrte ihn immer noch unverhohlen an.

    Ein seltsamer Typ war das. Mit dem eindeutig in die Jahre gekommenen Tweedjackett und den altmodischen braunen Schuhen sah der Mann wie ein verschrobener zerstreuter Professor aus.

    Grant musste innerlich grinsen und wandte den Blick ab. Sollte der Alte ihn anglotzen so viel er wollte.

    Er zog den Briefumschlag aus dickem Papier auf und entnahm die einzige Seite im Inneren.

    Jedes Mal aufs Neue war er fasziniert von der Textur des Papiers, das dick und gleichzeitig weich zwischen seinen Fingern lag. Das hier war eindeutig kein Papier, das man in einem Schreibwarenladen um die Ecke kaufen konnte. Grant grübelte.

    Er hatte den gleichen Gedanken schon vor einer Woche gehabt. Merkwürdig, wie sich die Dinge wiederholten.

    Oben auf der Seite war ein in roten Farben gehaltenes, altmodisches Zeichen, beinahe eine Art Wappen, eingelassen, das sich unter seinen Fingern eher wie bedruckter Samtstoff als nach Papier anfühlte. Es musste eindeutig…

    »Das darf doch nicht wahr sein.« Grant sah auf. Die Stimme war von gegenüber gekommen. Ein rauer, kratziger Bariton, der zweifellos dem alten Mann gehören musste. Er sah, wie der Kerl mit großen Augen auf das Papier in seiner Hand starrte.

    Grant sah den Alten misstrauisch an. Dann drehte er sich ein Stück zur Seite und schirmte das Blatt Papier so gut er konnte gegen die neugierigen Blicke des merkwürdigen Kauzes ab. Aber den Alten schien das nicht zu stören.

    »Sie auch?«, fragte der Mann mit unverhohlener Neugier in der Stimme. Grant warf ihm einen abweisenden Blick zu. Was wollte dieser merkwürdige zerzauste Vogel von ihm?

    »Wie bitte?«, fragte er.

    Er hätte doch einen anderen Sitzplatz aussuchen sollen. Die Fahrt würde noch fast zwei Stunden dauern.

    »Dunn Island«, sagte der Mann und zwinkerte Grant vielsagend zu.

    »Sie müssen nichts weiter sagen.« Der Mann lehnte sich zufrieden in seinem Sitz zurück. Grant hörte draußen das gleichmäßige Geräusch der Schienen. Klack klack, klack klack.

    Verblüfft sah er den alten Mann an.

    Dann antwortete er mit trockener Stimme: »Was…?«

    Der Alte ihm gegenüber lächelte.

    »Woher ich das weiß?« Grant starrte den Mann an. Der Alte hatte offenbar gefallen an dem Spiel gefunden. Ohne ein weiteres Wort griff er in die Innentasche seines Jacketts und zog einen zusammengefalteten Zettel daraus hervor. Mit einem verschwörerischen Zwinkern reichte er das Blatt an Grant. Grant zögerte, dann nahm er das Papier und faltete es auseinander. Der alte Mann ließ sich wieder in die weichen Polster seines Sitzes zurücksinken. Grant sah auf.

    »Dann sind Sie also auch..?«

    »Genau wie Sie«, schnitt ihm der Mann mit einem Lächeln das Wort ab. Es entstand eine kurze Pause. Grant warf einen kurzen Blick zu dem Jungen am anderen Ende der Kabine hinüber. Seine Augen waren geschlossen. Das Gespräch schien ihn nicht im mindesten zu interessieren.

    »Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle«, sagte der Alte ihm gegenüber und deutete im Sitzen eine leichte Verbeugung an. Die zerzausten grauen Haare auf seinem Kopf folgten der Bewegung mit einiger Verzögerung.

    »Odisson McNeal.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:

    »Dr. rer. nat. und Dr. phil.« Grant konnte immer noch nicht anders als den Alten einfach nur verblüfft anzuglotzen.

    »Und Sie sind?«, fragte der Alte und streckte ihm die Hand entgegen. Vorsichtig ergriff Grant die ihm dargebotene Hand und schüttelte sie.

    »Nathan Grant«, sagte er dann. »Allerdings ohne Doktor oder irgendeinen anderen Titel.«

    Der alte Mann lachte. »Naja, das muss ja auch schließlich nicht sein, nicht wahr?«, sagte er gönnerhaft.

    Er räusperte sich kurz. »Um ehrlich zu sein, diese Titel bedeuten mir nichts.«

    »Warum erwähnst du sie dann schon bei einer simplen Begrüßung«, dachte Grant.

    »Was Sie nicht sagen.«

    »Mir war gar nicht klar, dass ich zu einer großen Versammlung eingeladen werde«, fuhr McNeal fort. »Aus der Einladung geht nichts Derartiges hervor.«

    Es sollte wohl als Scherz gemeint sein. Grant sah auf die beiden Bögen Papier in seiner Hand hinunter. Zweifellos, es war die gleiche Art Textur des Papiers, die gleiche Schrift, das gleiche Zeichen auf dem Briefkopf, sogar der Text schien identisch zu sein.

    »Ich frage mich, wo das noch enden soll«, sagte McNeal in grüblerischem Ton.

    »Dürfte ich Ihre Einladung denn einmal sehen?« Grant reichte ihm das Blatt Papier. McNeal begann sofort zu lesen. Wieder hörte Grant das leise Klackklack der Schienen durch das Fenster.

    Der alte Mann bewegte beim Lesen leicht die Lippen und rückte sich hin und wieder die Brille auf der beeindruckenden Adlernase zurecht. Grant warf einen Blick nach unten auf das Schreiben des alten Mannes. Dann seufzte er. Das würde zweifellos eine lange Fahrt werden.

    Lieber Dr. McNeal,

    ich hoffe dieser Brief erreicht Sie bei guter Gesundheit. Da ich weiß, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, werde ich gleich zur Sache kommen und Sie nicht lange mit bedeutungslosen Floskeln langweilen.

    Ich möchte Ihnen ein Angebot machen. Ich besitze eine kleine Insel vor der Küste von Schottland. Dunn Island. Ein wirklich schönes Fleckchen Erde. Aber das tut in der momentanen Situation nichts zur Sache. Ich habe ein Anliegen, bei dem ich Ihre Hilfe benötige. Aus diesem Grund mein folgender Vorschlag. Neben diesem Einladungsschreiben finden Sie in dem Umschlag ein erster Klasse Flugticket nach London sowie die Vouchers für die weitere Reise. Ich möchte Sie über das Wochenende des 23. gerne in mein Haus auf Dunn Island einladen und das Anliegen, das ich habe, mit Ihnen besprechen.

    Bitte seien Sie unbesorgt. Es stecken keinerlei böse Absichten hinter meinem Schreiben. Alles, worum ich Sie bitten möchte ist, hören Sie sich meinen Vorschlag an.

    Ob Sie ihn annehmen oder ablehnen, allein für Ihr Erscheinen, um Ihnen Ihre kostbare Zeit zu vergüten, habe ich bereits veranlasst, Ihnen eine Summe von 50.000 Dollar zu übermitteln.

    Ich verbleibe mit den besten Wünschen

    R. S. Ludlum

    Grant ließ den Brief sinken.

    »Das ist doch nicht möglich«, sagte McNeal.

    »Es ist genau derselbe Brief.« Grant musterte den Alten über den Rand des Papiers hinweg.

    »Na das kann ja heiter werden«, sagte McNeal. Er hob den Blick und sah Grant über den Rand seiner Brille an. Dann gab er ihm das Blatt zurück.

    »Woher kommen Sie?«, fragte er, während er sich wieder zurücklehnte.

    »Aus Chicago.«

    »Chicago«, murmelte McNeal. »Soso.« Es entstand eine kurze Pause.

    »Sie sind Engländer nehme ich an?«

    McNeal zögerte. In seinem Gehirn schien es zu arbeiten. Grant schmunzelte. Womöglich versuchte sein Ego gerade die Tatsache zu verarbeiten, dass er nicht die einzig auserwählte Person war, die diesen Brief erhalten hatte.

    »Wie bitte?«, fragte McNeal. »Engländer, ja, ja, gewiss. Aber ich lebe in der Schweiz.«

    »Und wo genau?«

    »Zürich«, sagte McNeal. »Ich lehre dort mittelalterliche Sprachen an der Universität.«

    Grant bemerkte wie der Alte langsam seine Fassung wiedererlangte.

    »Meine eigentliche Leidenschaft gilt jedoch der Ornithologie«, dozierte McNeal. Die arrogante Überheblichkeit war in seine Stimme zurückgekehrt.

    »Ich habe mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht.«

    »Was Sie nicht sagen«, antwortete Grant.

    Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her. Jetzt konnte er sich drei Stunden mit einem Vogelbeobachter unterhalten. Er seufzte innerlich. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen, diese nebulöse Einladung anzunehmen.

    Langsam lehnte er sich nach hinten in die weichen Polster des Sitzes. Draußen vernahm er wieder sanft das beständige Geräusch der Schienen. Klackklack, klackklack, klackklack.

    Inverness

    Der Zug war zur korrekten Zeit im Bahnhof von Inverness eingetroffen. Das Zischen und Stampfen des Zugwagens hatte ihren Weg über die Plattform begleitet und obwohl die Entfernung zur Hafenanlage weniger als zwei Kilometer betrug, hatte McNeal hartnäckig darauf bestanden, dass sie sich ein Taxi teilen sollten.

    Nun saßen sie seit nunmehr der Hälfte der Strecke schweigsam nebeneinander auf dem Rücksitz und starrten gedankenverloren jeder zu seiner Seite des Fensters hinaus.

    »Gut so«, dachte Grant. Auf diese Weise hatte er wenigstens auf dem kurzen Stück hinunter zur Hafenanlage seine Ruhe.

    Ihr Fahrer hatte die Küstenstraße Richtung Osten genommen, die sich vor ihnen nun in mehreren Windungen an der Küste hinab zur Bucht schlängelte.

    In jeder Kurve konnte Grant auf der matt schimmernden Wasseroberfläche bereits die sanft in der Dühnung schaukelnden Segel- und Motorboote erkennen, die einen Großteil der kleinen Meeresbucht für sich beanspruchten. Die Boote lagen geschützt hinter einer vorragenden Landzunge und soweit Grant es beurteilen konnte, war der Wellengang vor dem Ausgang der Bucht um einiges höher.

    Immer wieder sah er weiße Schaumkronen und Gischtspritzer, die der Wind vor sich her Richtung Küste trieb.

    Er hob den Blick. Vor ihnen erstreckte sich die zerklüftete Küstenlinie bis zum Horizont und weiter draußen auf dem matten Grau des Meeres konnte Grant bereits die unregelmäßigen Umrisse mehrerer vorgelagerter Inseln erkennen.

    Für einen kurzen Moment überlegte er, ob eine davon bereits das angekündigte Dunn Island aus dem Brief sein mochte.

    Grant runzelte die Stirn und warf einen sorgenvollen Blick nach oben zum dunklen Grau des wolkenverhangenen Himmels. Wie lange mochte es noch dauern, bis der nächste Regen einsetzen würde?

    Einige Minuten später hielt ihr Fahrer an der Zufahrt zur Mole an.

    »20 Pfund für die paar Meter, das ist Gaunerei«, sagte McNeal, als das Taxi sich wieder entfernte.

    Der Wind hier in der geschützten Bucht war weniger stark als auf den kargen Hügeln der Umgebung. Dennoch blähte der starke Luftstrom den Mantel von McNeal beinahe wie ein Segel auf.

    Grant beobachtete belustigt, wie der Engländer versuchte, sich den nagelneu wirkenden großen Wanderrucksack umständlich auf die Schultern zu wuchten.

    »Dort hinten«, sagte er nach einem kurzen Blick auf den Zettel in seiner Hand.

    In diesem Moment war ein gewaltiges Dröhnen von der Serpentinenstraße hinter ihnen zu hören. Grant wandte sich um. Wie das Donnern nach einer gewaltigen Blitzentladung waren die Zündungen eines kraftvollen Motors beinahe über die gesamte Bucht zu vernehmen. Mit raschen Blicken suchte Grant die Windungen und Kehren der Küstenstraße ab.

    Er konnte nicht erkennen, woher der Lärm genau kam.

    Dann jedoch tauchte in einer der Spitzkehren die orangefarbene Silhouette eines breiten Sportwagens auf.

    Grant kniff die Augen zusammen. Der Motor heulte gepeinigt auf, als das Fahrzeug nun aus der Kurve wieder mit hohem Tempo herausbeschleunigte.

    McNeal neben ihm hob tadelnd die Stimme.

    »Was ist denn das für eine Höllenmaschine?«

    Das Auto legte die Strecke bis zur Bucht in einem wahnwitzigen Tempo zurück. Mehrmals sah Grant das Gefährt bereits aus einer der gefährlichen Spitzkehren fliegen, aber der Fahrer schien außergewöhnlich geschickt zu sein.

    Schließlich hielt der Wagen direkt an der Mole an und der Motor erstarb. Grant begutachtete die kantige, winklige Form der Karosserie des Autos.

    Es war ein Lamborghini mit der für die Marke typischen Keilform. Ohne Zweifel ein Fahrzeug, das ein kleines Vermögen gekostet haben musste.

    Die Fahrertür öffnete sich und ein groß gewachsener Mann mit Lederjacke stieg aus. Grant beobachtete, wie der Mann eine Tasche vom Beifahrersitz zerrte und dann durch den Wind geradewegs auf sie zukam.

    Er sah zu McNeal hinüber.

    »Was soll denn das sein?«, echauffierte sich der Engländer »Wir sind hier nicht auf einer Rennbahn. Kommen Sie.« Er wandte sich um.

    Die Gestalt aus dem Sportwagen rief ihnen durch den Wind etwas zu, das Grant nicht verstand. Allerdings hörte er den schottischen Akzent des Mannes schon aus den Gesprächsfetzen deutlich heraus.

    Als der Mann bei ihnen anlangte, setzte er die Tasche ab und streckte Grant sofort seine behandschuhte Hand entgegen.

    »Millard Struck. Ich nehme an, wir teilen uns die Charter für das Boot«, sagte er.

    Und als er McNeals veständnisloses Gesicht sah, fügte er hinzu:

    »Das sollte ein Witz sein. Ich nehme an, Sie sind auch unterwegs nach Dunn Island.«

    Grant musterte die Erscheinung des Mannes. Das schwarze, gelockte Haar war kurz geschnitten und wurde vom Wind weit weniger gebeutelt als sein eigenes. Auf der Nase trug der Neuankömmling eine modische Brille ohne Rahmen und unter dem schwarzen Leder der Jacke zeichneten sich beeindruckende Muskelstränge ab.

    »Richtig«, sagte McNeal misstrauisch. »Jetzt sagen Sie nicht, Sie sind auch hier, weil…«

    »Ich wusste bis vor einer Woche gar nicht, dass sich die Insel in Privatbesitz befindet«, schnitt ihm der Mann das Wort ab und beantwortete so gleichzeitig die Frage, »obwohl ich mich in dieser Gegend eigentlich ganz gut auskenne.«

    Er warf kurz einen Blick auf die graue Masse des Meeres hinaus.

    Für einen Moment versanken alle in Schweigen. Nur das Kreischen der Möwen über ihren Köpfen lag in der Luft.

    Schließlich ergriff Struck wieder das Wort.

    »Da das nun geklärt ist, würde ich sagen, lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren. Unsere Privatfähre dürfte schon ungeduldig auf uns warten.« Er grinste und warf einen Blick auf die Uhr.

    »Wir sind sozusagen überfällig. Kommen Sie schon.« Mit diesen Worten gab er McNeal einen kräftigen aufmunternten Klapps auf den Rücken, der diesen beinahe ins Stolpern brachte.

    Mit einer fließenden Bewegung nahm er seine Tasche vom Boden auf und ging an ihnen vorbei.

    Grant sah den Blick von McNeal und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

    Der Engländer sah es sofort.

    »Was gibt es denn da zu grinsen? Ein ungehobelter Kerl, finden Sie nicht?« Grant sagte nichts.

    Das Boot, das am Ende des Kais auf sie wartete, war ein mit neuesten Mitteln instand gesetzter altmodischer Fischtrawler, der beinahe in komplettem Weiß gehalten war.

    Man hatte die Deckaufbauten ein wenig verändert und so für Passagiere einen etwas größeren Innenraum geschaffen. Außerdem entdeckte Grant an der Rückseite des Bootes zwei niegelnagelneu wirkende Außenbordmotoren, die jedoch mehr als zwei Nummern zu groß wirkten.

    Als sie näher kamen, öffnete sich eine der Türen zu den Deckaufbauten und ein alter Mann mit wehendem weißem Haarschopf trat ihnen in dem stürmischen Wind entgegen.

    Grant blieb am Ende der Mole stehen, während der Mann McNeal und Struck die Hand schüttelte und ihr Gepäck mit geschickten Händen in das Boot verlud.

    Der Kerl war die perfekte Karikatur eines alten Seebären.

    Ein zerzauster Bart, zerschliessene Kleidung und wettergegerbte Haut, die beinahe wie grobes Leder wirkte.

    »Martin Haflock«, stellte sich der Mann vor, ehe er nun auch Grant seine rauhe Pranke reichte.

    Die Handfläche fühlte sich kühl und ein wenig wie die Oberfläche von grobem Schmiergelpapier an.

    Der Händedruck hingegen war so fest, dass Grant sich bemühen musste, keine Miene zu verziehen. Noch ein wenig fester, und der Seebär hätte ihm mit Sicherheit einen seiner Finger gebrochen.

    »Eine Hand wie die Tatze eines Bären«, dachte Grant. Eine Hand, die ein Genick zu brechen vermochte. Einfach so, ohne Mühe.

    »Kommen Sie, bevor es anfängt zu regnen«, sagte der Mann und griff nach Grants Tasche.

    Nachdem sie alle in das schwankende Boot gekletterte waren, löste der alte Mann die dicken Seile, mit denen das Boot am Steg vertäut war und ließ den Motor an.

    Er steuerte geschickt aus der Hafenanlage heraus und gab dann auf dem offenen Wasser mehr Gas. Das Boot hüpfte und sprang über die Kämme der Wellen.

    Grant warf einen Blick zurück zum Festland. Nebelwolken rankten sich um die Berge an der Küste und man konnte kaum mehr als ein paar hundert Meter ins Landesinnere sehen.

    Mit zusammengekniffenen Augen wandte er sich ab und folgte den beiden anderen ins Innere der Deckaufbauten.

    Peru, zehn Meilen nördlich von Atualpa

    Jose Cuaron fluchte und zog die Tür zu seinem Haus hinter sich zu. Dann sah er die Straße hinunter.

    Vereinzelt konnte er in den Hinterhöfen der Häuser noch den einen oder anderen Feuerschein wahrnehmen, aber die meisten Lichter waren mittlerweile bereits erloschen. Mit unbeholfenen Bewegungen schlüpfte er in seine Schuhe und verließ die hölzerne Veranda.

    Dann wandte er sich nach rechts.

    Steine knirschten unter den Sohlen seiner Schuhe während er den Blick nach vorn in das schummrige Dunkel richtete.

    Dort an der Weggabelung musste sich irgendwo der Einstieg zum Pfad befinden, der schräg den Hang hinauf zu dem eingezäunten Gehege führte. Er ließ die letzten Häuser hinter sich.

    Bald umfing ihn stockfinstere Nacht. Palmwedel rankten sich von beiden Seiten in den Weg hinein und weit vor sich konnte er das gedämpfte Bellen eines der Hunde wahrnehmen.

    Cuaron zog die kleine Taschenlampe aus seiner Hosentasche und nahm dann das Remingtongewehr von seiner Schulter. Mit einer fließenden Bewegung lud er die Waffe einmal durch und entriegelte anschließend mit einem leisen Klicken den Sicherungshebel.

    Es war das zweite Mal innerhalb von drei Tagen, dass ihn das Gebell der Hunde geweckt hatte. Er kam an ein niedriges Gatter und kletterte über den Drahtzaun dicht neben dem Tor, der den Beginn der Weiden markierte.

    Beim ersten Mal hatte er noch an einen Zufall geglaubt, aber als am Morgen des zweiten Tages eines der Herbstlämmer gefehlt hatte, war er misstrauisch geworden.

    Vor sich hörte er das Gebell der Hunde lauter werden.

    Er war bereits mehrere Meter innerhalb des Gatters. Allerdings erstreckte sich das eingezäunte Gehege gut 300 Meter den Berg hinauf. Cuaron atmete flach.

    Es war das erste Jahr, in dem er seine Weide so weit den Hang nach oben verlegt hatte.

    Er blieb stehen. Das Gebell der Hunde war nun sehr nah. Im Licht der Taschenlampe konnte Cuaron zwei Paare leuchtender Augen in der Dunkelheit erkennen. Sofort wurde aus dem Bellen ein freudiges Winseln und die beiden Augenpaare kamen rasch auf ihn zugelaufen.

    Cuaron ging weiter.

    Auf der rechten Seite tauchte aus der Dunkelheit nun der Unterstand für die Schafe auf. Er leuchtete hinüber. Die meisten Tiere drängten sich aufgeregt in die hinterste Ecke des Stalls während einige vereinzelt vor dem Eingang nervös auf und ab sprangen.

    Cuaron runzelte die Stirn.

    Zweifellos hatte irgendetwas die Tiere aufgeschreckt. Die Herde wirkte verstört. Das ansonsten beruhigende, monotone Blöken war einer aufgeregten Kakophonie gewichen.

    Immer wieder war ein dumpfer Schlag zu hören, wenn eines der Tiere gegen die hintere Bretterwand des Unterstandes gedrückt wurde.

    Die Hunde neben ihm begannen wieder zu bellen und stoben nach vorne in die Dunkelheit. Cuaron setzte sich in Trab.

    Er durfte die Hunde nicht aus den Augen verlieren.

    Bereits jetzt konnte er im schwachen Schein der Lampe nur noch die Silhouetten ihrer Körper vor sich in der Dunkelheit ausmachen.

    Dann jedoch blieben die Tiere plötzlich stehen. Cuaron beschleunigte noch einmal seinen Schritt. Dann hielt er abrupt inne. Er sah die beiden Tiere vor sich.

    Mit aufgerichteten Schwänzen bewegten sie sich knurrend um einen dunklen Umriss am Boden herum. Cuaron erkannte sofort, was es war. Mit einigen großen Schritten war er bei dem dunklen Umriss am Boden angekommen.

    Er hielt den Strahl der Stablampe direkt auf die Szenerie vor ihm gerichtet. Was zur Hölle war hier passiert?

    Mit den Fingern betastete er einige Stellen der rau wirkenden Wolle. Er befühlte behutsam Teile des Rückrats und ließ seine Finger dann langsam durch die roten Stellen des Fells gleiten. Seine Hände wurden klebrig. Das Blut war noch nicht einmal

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