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Ein Laib Brot, ein Krug Milch
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eBook284 Seiten3 Stunden

Ein Laib Brot, ein Krug Milch

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Über dieses E-Book

Josef Friedrich Perkonig war der bedeutendste Kärntner Dichter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1890 in Ferlach im Rosental geboren, schildert er in realistischer Darstellung das bäuerliche Leben seiner Heimat: Das harte Tagewerk ist eingebettet in eine unmittelbar erfahrene Natur, seltsam drohend und lockend zugleich. Heidnische und christliche Motive mischen sich, Geburt und Tod, Liebe und dunkle Leidenschaft stehen in engem Verhältnis. Doch nicht nur von den Bauern seiner Heimat erzählt Perkonig, auch das alte Handwerk der Büchsenmacher und die frühe Industrie der Drahtzieher treten dem Leser entgegen. Essayistische Abschnitte führen in die Welt der Kärntner Slowenen und schildern die bunte Vielfalt der Hausierer, Schausteller und Sonderlinge, die die Südkärntner Täler bevölkerten. In all seinen Gestalten spürt man, was Perkonig von sich selbst sagte: "Ich höre den Kelten in mir rumoren, spüre den Germanen grübeln und den Slawen träumen."
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Aug. 2020
ISBN9783853653128
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    Buchvorschau

    Ein Laib Brot, ein Krug Milch - Josef F Perkonig

    Perkonig-Gesellschaft

    ERZÄHLUNGEN

    Ein Laib Brot, ein Krug Milch

    Am zwölften März um die Mittagszeit springt die Sonne aus dem Berg, gerade nur für ein paar Augenblicke, daß man sie wieder sehen kann; ausgelöscht ist sie also in vier Monaten hinter dem Gebirge nicht, sie macht ein paar winzige Schritte in den freien Himmel hinein, daß man sie leuchten und glänzen sieht und daß die steinalte Sonnenuhr auf der Hauswand in der Rauth schnell die Mittagstunde schlagen kann, dann ist sie auch schon wieder dahin, in den anderen grauen Kalkberg hinein. Der Stundenschlag der Sonnenuhr geht über steiniges Feld und dürre Wiese hin, bis hinauf in den steilen Wald des Ainetter, aber auch nicht ein Haar über seine Marchen hinaus, und genau so weit hören sie auch, wie das goldene Sonnenlicht rauscht, da es zwischen zwei Felszinken für ein paar Augenblicke seine Macht wieder errungen hat.

    An den ersten Sonnensprung am zwölften März denken die Ainetterischen seit anno Schnee einen Winter lang immer wieder; wird die Sonne ein roter Kürbis sein und ein gutes Jahr verheißen, oder ein blasser Eidotter und einen dürftigen Sommer anzeigen, oder wird sie sich gar hinter Gewölk verstecken und die Leute in der Rauth um ihre Feier bringen?

    In der Rauchküche. Vater, Tochter und zwei Söhne saßen auf dem Herd, von der Flamme angeglüht, und die Bäurin kochte das Abendmahl. Die fünf müden Menschen schwiegen, aber es redete für sie alle der Herd; er war so alt wie das lärchene Haus, und um sein Feuer waren alle Geschlechter gesessen, die darin wohnten, und jedes hatte denselben ehrwürdigen Namen; der währte an diesem Herde nun schon beinahe vierhundert Jahre lang.

    (Mein Herz ist im Hochland)

    Alle Jahre am zwölften März geschieht das nämliche: die Ainetterleute stehen, angetan wie am Sonntag, um den Tisch herum und warten andächtig, bis die Sonne aus dem Berge kommt, dann wird sie dort durch das kleine tiefe Fenster scheinen, der Glanz wird sich auf die wurmstichige Tischplatte legen, gerade nur auf sie und sonst nirgendshin in der Stube, es ist ein dickes Sonnenlicht, so dick, daß es das Fenster genau ausfüllt. Es stürzt sich herrisch auf den Tisch, die Sonne ist hinter den Bergen hungrig geworden, kein Wunder, wenn sie beinahe vier Monate lang hat fasten müssen, aber der Tisch ist gedeckt, wie zu Zeiten des ersten Ainetter, der schon die Sonne gefüttert hat.

    Ein Laib Brot, ein Krug Milch, es ist immer dieselbe Zehrung, die man ihr hinstellt auf den Tisch, davon sie essen und trinken wird bei ihrer kurzen Einkehr; es ist noch immer der grünliche, bauchige Tonkrug des ersten Ainetter, der die Sonnenuhr an die Hauswand sinniert hat, nicht einmal der Henkel ist abgebrochen.

    Der jetzige Ainetter ist erst zu Lichtmeß aus dem Kriege heimgekehrt und hat ein hölzernes Bein und ein steinernes Herz mitgebracht.

    „Wir haben in dem Jahr zu wenig Brot, sagte er in den ersten Märztagen, „und es sind nicht die Zeiten für verschimmelte Bräuche.

    Die Ainetterin blickt ihn mit großen Augen stumm an, als so die kranke Welt aus ihm redet.

    Es ist wahr, die letzte Gerste wird bald vermahlen sein, und sie essen wochenweise Erdäpfel statt Brot; die Sonne im vorigen Jahr war nicht umsonst wie eine weiße Topfenkugel. Am zwölften März aber bringt die Bäuerin den Brotlaib, sie drückt ihn an den Bauch und wischt mit der Blaudruckschürze die graue, schwarz durchsprengelte Asche von ihm ab; dann legt sie ihn auf den Tisch.

    „Es ist an dem Brot genug", meint der Ainetter finster, denn die eine Kuh ist im Herbst am Milchfieber eingegangen, er hat sie nicht mehr angetroffen; die andere hat sich an der früh aperen Wiese eine Kolik an den Leib gefressen, und er mußte sie selber schlagen; und die dritte hat noch das Kalb. Es ist also keine Milch beim Haus, und hie und da muß man sie vom Bödner in der Äußeren Rauth ausleihen. Wenn der Krug nur nicht so groß wäre!

    Die Ainetterin geht aus der Stube und kommt mit dem vollen Krug, sie wischt mit der Schürze den Rand ab, daß jemand rein zu trinken hat, und stellt ihn neben den Brotlaib hin. Und jetzt kann die Sonne kommen, sie findet Speise und Trank vor.

    Die Ainetterin schaut hinauf zu dem Berg, schon hat er auf der einen Seite, wo die Sonne aus ihm springen wird, einen silbernen Rand, sie weiß es von anderen Jahren her, daß es nun nicht mehr lange währen wird; gleich darauf ist der Rand dunkler und wird bald wie Kupfer sein.

    Jetzt ist es nahe an dem heiligen Augenblick, und man darf die Sonne nicht versäumen, es wäre ein nie begangener Frevel, auf den göttlichen Gast nicht zu achten, der sich schon angekündigt hat und gleich durch das Fenster eintreten wird.

    Und nun gilt es, die ganze Familie beisammen zu haben, sonntäglich gewandet sind die drei Knaben schon seit dem frühen Vormittag, aber noch schwärmen sie draußen herum. Der Großvater, ja, der ist in der Stube, er sitzt steif und still auf der Ofenbank seit dem Morgengrauen, es leidet ihn die halben Nächte nicht im Bett, und er zieht mühsam die Luft ein, gegen Mittag nimmt das Asthma zu, wie alles mit dem Tage aufsteigt, das Wasser im Leib, der Brand in der Wunde; er ist blau im Gesicht und netzt die Lippen mit der Zunge. Die Ainetterin weiß, er möchte einen Schluck Milch.

    Zwei Buben hat sie schnell herinnen. Stephan, der Älteste, tritt hin zum Tisch und verlangt von dem seltenen Brot, gerade die vergangene Woche haben sie es alle wieder nicht gehabt. Da besinnt er sich, für wen der Brotlaib gerichtet ist, erschrickt ein wenig und berührt ihn nur mit dem Zeigefinger behutsam; den Finger aber leckt er ab.

    „Die verdammte Sonne", neidet er; für einen vierzehnjährigen Knaben ist es schon ein furchtbarer Fluch.

    Der Ainetterin stockt der zornige Verweis im Munde, denn der Mann ist eingetreten, und sie möchte ihn nicht zum Helfer für Stephan machen. Er hat kein Sonntagsgewand an, das Holzbein ist hoch hinauf schmutzig vom Stallmist, als hätte er mit ihm absichtlich darin herumgerührt, aber er ist noch zur rechten Zeit gekommen. Wohl tut er, als suche er etwas in der Stube, aber sie weiß, daß er nichts finden will.

    Gleich hinter ihm schreitet Franz, der Mittlere, durch den Hausflur herein. Was für eine Trompete so eine fünfjährige Stimme schon sein kann! Er stößt die Tür mit dem Fuß auf und reckt eine blutige Hand vor sich her. Rührt das von einem Messer, einer Glasscherbe, einem Draht, die Mutter kann es jetzt nicht erfragen, sie kann auch nicht die Leinwand aus der Truhe droben holen und einen Fleck davon abschneiden, die Hand soll bluten, die Hand muß bluten, jetzt, da die Sonne in jedem Augenblick aus dem Berge springen kann.

    Florian, der Jüngste, mag schon mit drei Jahren kein Blut sehen; es würgt ihn zuerst ein paarmal, dann tritt er von einem Fuß auf den anderen und fängt an zu weinen. Die Ainetterin weiß, was es zu bedeuten hat, aber sie kann den zappelnden Florian jetzt nicht zum hohen Schierling hinausführen, wo er eigensinnig immer zu hocken wünscht, und sie läßt das kleine große Unglück geschehen.

    Haben sich vier Mannsleute, zwei laute und zwei stille, gegen sie verschworen, die von dem Hausgeist in ihrer Treue bestärkt worden ist, warum sollte es nicht auch das fünfte Mannsbild tun? Sie wirft einen Blick auf den Großvater, er ist violett im Gesicht, zwischen den Lippen stehen ein paar kleine Blasen, er reckt den Kopf hoch aus dem Hals; und wenn er jetzt in den letzten Zügen läge, sie könnte nichts anderes tun, als ihm zu heißen, mit dem Sterben zu warten.

    Zuerst muß die Sonne zu Besuch gewesen sein … jetzt … jetzt blitzt ein Strahl über den Tisch … und noch einer … noch einer … wie drei lange, leuchtende Messerklingen, sie schneiden den Brotlaib an, sie tauchen in die Milch. Und dann fällt die ganze Sonne über die Gaben her; oh, hat die hungrige Sonne eine Gier, sie hat nur ein paar Augenblicke Zeit, sich zu sättigen, es ist ein wildes Gerausch von dem Licht in der Stube, sie hören es alle, bis zu dem Büblein mit der Rotzglocke unter der Nase hinab, und einen Sonnensprung lang setzt ihr Leben aus.

    Auf einmal ist es kirchenstill in der Stube, ein dünner Strahl greift noch an den Tischrand, es ist ein blinder Strahl, er findet nicht mehr zu Brotlaib und Milchkrug hin. Der andere Bergrand oben ist noch Kupfer, bald wird er Silber sein und zuletzt nur noch ein eisgrauer Fels.

    Und nun wird Blut wieder Blut und Ungemach wieder Ungemach, ein finsterer Mann geht aus der Stube, als müßte er anderswo im Haus suchen, was ihm hier nicht unter die Augen gekommen ist. Der Großvater sinkt in sich zusammen, die Brust hat wieder Luft, und Stephan möchte von dem Brotlaib mit den Fingern ein Stück schwarzbraune Rinde abbrechen.

    „Es ist steinhart, sagt die Ainetterin ruhig, als höre sie das Zetern und Winseln der jüngeren Knaben nicht, „seit Heiligen-dreikönig aufgespart.

    Sie trägt den Brotlaib wie eine riesige dunkle Hostie vor sich zum Herd und legt ihn in das Feuer; er beginnt bläulich zu brennen und bald schlagen an manchen Stellen winzige gelbe Flämmchen aus ihm.

    „Wir müssen es der Sonne nachschicken", sagt sie geheimnisvoll, und alle drei Knaben schweigen plötzlich am Herde, bis der Brotlaib dunkelrot glüht wie ein Holzscheit.

    Aber sie fangen wieder an zu jammern, zu schreien, zu winseln, als die Ainetterin den Krug holt. Sie sieht wohl, wie sich der alte Ainetter die blauen Lippen leckt und der Milch nachstarrt.

    „Die Sonne ist durstig, sagt sie draußen im Flur zu den drei wieder verstummenden Knaben, die sie begleiten, „wir dürfen sie nicht verkürzen.

    Und sie vergessen Hunger, Schmerz und Unbehagen, während die Mutter die Milch dahin gießt, wo sie am Zaun in sieben Wochen die Sonnenblumen pflanzen wird. Der Ainetter schaut ihr vom Stall aus zu und wendet sich finster ab.

    Die Ainetterin lächelt ein wenig, soweit ihr ernstes Gesicht überhaupt lächeln kann. Fünf merkwürdige Mächte haben ihr in diesem Jahr etwas verwehren wollen, was nicht aufhören darf. Und die Sonne hat doch ihren Laib Brot, hat doch ihren Krug Milch!

    Der Heilige Abend

    Der Bauer Cüraß lag gelähmt im hochgetürmten Bette; der bunte Kattun blähte sich über seinem ohnmächtigen Leibe. Die Krankheit hatte vor fünf Jahren begonnen, als er in einem Frühherbst, getrieben von der Sorge des Bauers, der viel Vieh besitzt, auch das sauere Gras mähte und dabei nach einem Regen, der durch fünf Tage die Gewässer auskühlte und im Gebirge schon zu Schnee wurde, einige Stunden lang bis hoch über die Knöchel im kalten Wiesensumpf stand. Zuerst rieselte es ameisenhaft in den Zehen, dann entschwand ihnen das Gefühl, später stieg die Lähmung in den Beinen immer höher und höher; der Gang wurde unsicher und tölpisch, und eines Tages konnte der Bauer Cüraß überhaupt nicht mehr gehen.

    Er wollte es zunächst, auf den Tod erschreckt, selbst nicht glauben, aber jeder Versuch, der sich gegen die furchtbare Erkenntnis aufbäumte, endete damit, daß der unbeholfene Leib hinfiel wie ein Stück lebloses Holz. Als es dann so weit war, daß der Cüraß sein grausames Unglück vor sich selber nicht mehr verleugnen konnte, weigerte er sich, das Bett zu verlassen. Bei dem regungslosen Liegen oder Hocken blieb ihm stets noch die Hoffnung, er sei in den vielen Wochen, die er so verbrachte, allmählich gesünder geworden, ihm selber unbewußt, und er könne nun gehen, wenn er nur wieder wolle.

    Der einzige Sohn war an der Auszehrung* gestorben; wenn die Kuckucke schreien und der Jauk** aus dem Süden daherweht, endet oft diese Krankheit der dumpfen Stuben und der müden Geschlechter. Die einzige Magd wanderte zu Michaeli fort, sie wollte nicht bei einer unheimlichen Bäuerin bleiben, die irr sprach und irr tat.

    Die Nachbarn, denen die eigenen Sorgen genug Mühe machten, merkten zwar nichts von der hintersinnigen Art der Frau, doch die Magd hatte oft beteuert, die Bäuerin rede manchmal zu sich selber, gehe wie verloren herum und habe ihr einmal unter greulichem Lachen befohlen, die Hacke in den Holzblock zu schlagen und den Stiel zu melken.

    Das Korn war schon überreif und halb ausgefallen, als es spät von der Magd mühsam mit der Sichel geschnitten wurde; der Buchweizen wurde auf dem Acker des Cüraß in diesem Jahr nicht gesät, die Kürbisse faulten draußen im Türkenstroh*, soweit man sie nicht gestohlen hatte, die Rüben holte überhaupt niemand, sie froren unter dem Schnee ein.

    Beinahe an jedem Abend schrie der Bauer im Bett mit heiserem Zorn nach der Bäuerin, wenn das hungrige Vieh plärrte, dem sie wieder das Futter zu geben vergessen hatte. Denn mit der Dämmerung bekam etwas Seltsames Gewalt über sie; am Morgen und zu Mittag erhielten die Tiere, was ihnen gebührte, da blieben sie auch ruhig.

    Mit den beiden Leuten sollte die Sippe der Cüraß aussterben. Er lag mit seinen wenigen Verwandten in trotzigem Zerwürfnis; über der Familie des Weibes aber hing unseliges Geschick. An Menschen verkam alles auf unnatürliche Weise: ein Bruder war bei einer grausigen Wirtshausrauferei, von der noch jahrelang später die weite Gegend redete, erstochen worden; der zweite ertrank im Rausch in einem ganz seichten Bache; die Schwester geriet in der Stadt auf Abwege, begann als Dienstmädchen, wurde verdorben und verscholl; ein verarmter Onkel wanderte aus, Sturm spülte ihn ins Meer, noch ehe er das Land seiner Hoffnung erreicht hatte; ein anderer, der Mesner und Organist war, ritzte sich, als er die Orgelpfeifen putzte, an einem Finger und starb qualvoll an der winzigen Wunde.

    Der Cüraß sah sich zuletzt rundum mit der Bäuerin allein. An einem trüben Oktobernachmittag, als der griesgrämige Wind den gelben Nußbaum vor dem Fenster zauste, schrieb der hergebetene Lehrer für ihn das Testament; zwei Nachbarn kamen als Zeugen, aber erst, als dem Bettlägerigen halb und halb einleuchtete, daß die Schrift ohne derartige Zeugenschaft ungültig sei.

    Wenn der Name Cüraß schließlich mit Mann und Weib ausgelöscht sein würde, sollte der Hof der Gemeinde gehören, Äcker, Wiesen und Wald sollten zur Nutznießung aufgeteilt werden.

    Seitdem die Nachbarn solchen Zuwachs erwarten durften, schlich manchmal am Abend ein scheuer Schatten am Fenster vorüber. Die Bauern erkundeten heimlich, wie ihre Aussichten standen, das reife Holz gedachte der eine bald zu schlagen, das Kleefeld paßte dem anderen, und ein dritter brauchte gerade noch eine Wiese; der Cüraß hatte einen gut gedüngten Boden, und in seinem Stall war noch nie die Klauenseuche gewesen.

    Aber die scheltende und rufende Stimme war an jedem Abend gleich stark. Die Lungensucht, die das Leben ausbläst, wie der Wind das Licht, nagte nicht an ihr. Und sonst? Das Bett zehrte und zehrte auch nicht. Den Kranewetter hatte mit sechzig Jahren der Schlag hingeworfen, er lag bis an die neunzig Jahre. Der Cüraß konnte vielleicht auch von solcher zähen Zucht sein. Und die lauernden Bauern gingen mürrisch vom Fenster oder vom Stall, in dem sie die Bäuerin laut zu den Tieren reden hörten.

    Nicht so aber gingen die Vagabunden vom Hofe, die Zigeuner, die Fechtbrüder, die Wandermusikanten; sie molken die Kühe, nahmen ein Huhn mit oder stahlen Honig; die verwegensten von ihnen brachen wohl auch in das hilflose Haus ein.

    Nicht so mied auch das Bauernunglück den Hof: Schweine gingen am Rotlauf ein; eine geblähte Kuh, die sich an Rüben überfressen hatte, mußte gestochen werden, die Wunde verschmutzte, und das Rind kam um; das Pferd verhungerte elend an der Maulsperre.

    Der geschlagene Bauer jammerte und fluchte auf seinen Zustand, auf die Nachbarn, die ihm nicht halfen, und auf Gott, der ihm alles geschickt hatte. Das Weib hörte kaum auf ihn, es grübelte nur stumpfsinnig in sich hinein.

    In der Dämmerung des Heiligen Abends schob die Bäuerin Glut aus dem Kachelofen auf eine alte blecherne Kehrichtschaufel und legte Weihrauch, Speik und ein Föhrenzweiglein dazu. Dicker grauer Rauch stieg auf und umqualmte ihren Kopf. In dem Flur mengte sich der wohlduftende Rauch mit der kalten Luft, in der auch der Hauch des Atems sichtbar wurde. Das wachsende Eis des Teiches tönte dumpf und melancholisch in das Haus herein.

    Die Bäuerin schritt langsam; von ihren Lippen tröpfelten die Gebete. Es fröstelte sie, als sie, das Gesicht rot von dem Widerschein der Holzglut, aus dem Stalle zurück zum Hause ging. Den Türriegel schob sie vor und stieg die Treppe hinauf. Oben in den kalten Stuben, wo es nach Äpfeln und gewaschener Leinwand roch und wo in dem steinalten Gebälk vornehmlich der Holzwurm bohrte, schlug der räuchernden Frau die Schwermut unbewohnter Zimmer entgegen.

    Der Mann, der unten im Dunkel lag, hörte die Frau mit vorsichtigen Schritten droben über den schadhaften Fußboden gehen, und er wußte wohl zu deuten, warum sie so achtsam ging; kein Bröcklein Glut durfte ihr entfallen, denn sonst kam Hungersnot ins Haus; fiel die Glut im Stalle auf den Boden, kam die Viehseuche, auf dem Dachboden bedeutete es Feuer, in der Stube gar den Tod.

    Und der Cüraß wünschte inbrünstig, daß die Bäuerin jetzt auf dem Räuchergang klaren Kopfes bleiben möge.

    Die kleinen Fenster in den dicken Mauern waren graue viereckige Augen, die den liegenden Mann anstarrten. Bald hörte er das Geräusch der Tritte über sich nicht mehr; das Weib war wohl auf den Dachboden gestiegen. Die hölzerne Decke krachte einige Male, die Luft war heiß wie in einer Backstube, wahrscheinlich hatte die Bäuerin wieder zuviel Holz in den Kachelofen gelegt. Der Cüraß zerrte die Tuchent mühsam von seinem Leibe fort, die Füße lagen wie zwei Bleiklumpen weitab von ihm, der Hals war ihm auf einmal ganz dünn geworden, er bekam zu wenig Luft.

    Der feierliche Rauch, der aus dem Flure durch die Türritzen drang, brachte einen lauen, süßlichen Duft bis zum Bett. Es war dem Bauer plötzlich unheimlich zumut, er wollte nach der Bäuerin rufen, unterließ es aber doch, denn er besann sich, daß sie auf ihrem Gange betete und er sie nicht mit seiner Stimme erschrecken dürfe. Da zog er die schwere Tuchent wieder an sich.

    Die Frau vertrat sich an den schadhaften Stufen, sie taumelte ein paar Augenblicke lang, und dabei fiel Glut über die Stiege in den Flur hinab. Die Bäuerin zuckte zusammen; wie betäubt von dem dicken Rauche war sie gegangen, nun, da sie unachtsam gewesen war, wachte sie erschreckt auf. Schmerzhaft wurde es ihr plötzlich bewußt: die verstreute Glut in dem Flur bedeutete Wandern.

    Mit den bloßen Fingern, so leise, daß es der Cüraß nicht hören konnte, hob die Bäuerin die glimmenden Stückchen wieder auf die Schaufel. Von dem großen Tische in der Vorhausecke, wo in der warmen Zeit der früheren glücklichen Jahre Bauer, Bäuerin, Sohn und Magd um die Schüssel gesessen waren, vor jedem Mahle Gott anmurmelnd, nahm sie aus einem zusammengedrehten Papier einige Körner Weihrauch; mit leisem Knistern antwortete die beschenkte Glut, dichter wurde der aufwallende Rauch.

    Das Weib drückte mit dem einen Ellenbogen die Klinke nieder und stieß mit dem Fuß die Türe der Stube auf, wo der Mann sein qualvolles Lager hatte, wo sie in den wenigen Viertelstunden, die wie schmale

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