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Heißes Blut: Thriller
Heißes Blut: Thriller
Heißes Blut: Thriller
eBook630 Seiten8 Stunden

Heißes Blut: Thriller

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Über dieses E-Book

In der südkoreanischen Hafenstadt Guam herrscht das Verbrechen. Um zu überleben, ist den Menschen jedes Mittel recht. Auch Huisu ist mit allen Wassern gewaschen. Seit zwanzig Jahren erledigt er für Old Son, den Kopf von Guams Unterwelt, die Drecksarbeit. Von Bestechung über Schmuggelei bis hin zum Auftragsmord – Huisu schreckt vor nichts zurück. Doch seine Loyalität wird nicht belohnt, und Huisu fristet ein trostloses Leben im Schatten des übermächtigen Old Son. Bis er eines Tages ein verlockendes Angebot von einem aufstrebenden Ganoven aus Guam bekommt …
Entschlossen sagt sich Huisu von Old Son los und zieht mit dem berüchtigten Yangdong ein eigenes Glücksspiel-Geschäft auf. Aber Geld fällt nicht vom Himmel, und konkurrierende Kasinobetreiber bedrohen die beiden. Als schließlich eine fremde Gang versucht, die Macht in Guam zu übernehmen, geraten die Dinge außer Kontrolle … Mit Heißes Blut legt der koreanische Bestsellerautor Un-Su Kim einen weiteren aufwühlenden Krimi noir vor, der den Leser mitten ins südkoreanische Gangstermilieu entführt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEuropa Verlag
Erscheinungsdatum11. Sept. 2020
ISBN9783958903425
Heißes Blut: Thriller

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    Buchvorschau

    Heißes Blut - Un-Su Kim

    ERSTER TEIL

    FRÜHLING

    GUAM

    Im Guam trugen die Gangster keine Anzüge.

    In allen anderen Stadtteilen von Busan, der größten Hafenstadt Koreas, wimmelte es dagegen von eleganten Gangstern, sie waren so zahlreich wie die Container, die sich auf den Hafenpiers türmten. Für diese Männer war es bekanntermaßen Ehrensache, immer einen frisch gebügelten Anzug zu tragen, und die Bedürfnisse ihrer Ehefrauen und Kinder kümmerten sie nur wenig. Es kam durchaus vor, dass sie sich selbst mit leerem Magen durch den Tag schleppten, um von dem bisschen Gesparten ihre Schuhe putzen zu lassen.

    Die Gangster von Guam hingegen ließen keine Mahlzeit ausfallen, um sich stattdessen die Schuhe putzen zu lassen. Sie hatten ja auch gar keine Anzüge. Kein Anzug, keine Schuhe, kein Putzen. So einfach war das.

    Von der Insel Yeongdo bis zum Stadtteil Oncheonjang, von Haeundae bis nach Gwangalli, von Nampo-dong bis nach Seomyeon, überall in Busan waren Gangster grundsätzlich in schwarzen Anzügen unterwegs, als kämen sie gerade von einer Beerdigung. Am Hafen von Gamcheong warteten sie in voller Montur auf die mit Schmuggelware beladenen russischen Schiffe und wärmten sich dabei verstohlen an den rostigen Tonnen, in denen die Hafenarbeiter ihre Feuer entzündeten. Hinterm Zentralbahnhof stolzierten sie wie aus dem Ei gepellt die dunklen Gassen hoch und runter, in denen sie von alternden Prostituierten Schutzgelder erpressten. Und selbst die Gangster der fernen Vorstädte, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatten, als auf dem Deich träge ihre Angeln ins Wasser zu halten und den auf dem Nakdong-Fluss vorbeitreibenden Enten nachzuschauen, warfen sich nach Sonnenuntergang in Schale, um betont gelangweilt, aber stilvoll im Licht vereinzelter Laternen durch einsame Gegenden zu streifen.

    De facto gab es nichts, woraus sich eine wie auch immer geartete Verpflichtung ableiten ließ, der zufolge ein Gangster einen Anzug zu tragen hatte; im Grunde hatte ein Gangster es nicht mal verdient, im Trainingsanzug herumzulaufen. Wie kam es also, dass sämtliche Gangster von Busan immer und überall in großer Garderobe auftraten und nur die von Guam nicht? Manche behaupteten, sie hätten eine verantwortungsvollere Einstellung zum Leben, nach dem Motto: »Was für ein Blödsinn, im Anzug herumzurennen, während deine Frau und deine Blagen am Hungertuch nagen! Wenn du Geld für die Reinigung hast, sieh lieber zu, dass deine Familie was zu essen kriegt.« Andere glaubten, dass die Gangster von Guam relativ früh eine Art Lebensphilosophie entwickelt hätten: Als Gangster sei man ja im Wesentlichen mit Herumlungern und Nichtstun beschäftigt – warum sollte man das im Anzug tun? Vielleicht mal für einen oder zwei Tage, aber immer … Wie kindisch war das denn? Fasste man diese an den Haaren herbeigezogenen Erklärungen zusammen, lief es darauf hinaus, dass die Gangster von Guam deshalb keine Anzüge trugen, weil sie als erste und einzige die Bedeutungslosigkeit ihres Gangster- Daseins erkannt hatten oder, anders ausgedrückt, weil sie durch schmerzhafte Selbstbeobachtung zu einem ausgeprägten Realitätsbewusstsein gelangt waren. Aber mal ehrlich: Hätte sich über so einen Schwachsinn nicht jeder Straßenköter vor Lachen ausgeschüttet?

    Die naheliegendste und überzeugendste Erklärung war und blieb der im Gangstermilieu von Guam verbreitete Aberglaube, dem zufolge ein Gangster im Anzug schneller im Gefängnis landete und länger dort blieb als ein Gangster im Trainingsanzug. Statistisch gesehen ließ sich das durchaus belegen: Es war völlig klar, dass ein Gangster im Anzug mehr auffiel, suspekt wirkte und dadurch ein erhöhtes Risiko lief, sich im Gefängnis wiederzufinden.

    Vater Son, Eigentümer des Hotels Mallijang und Chef des Guam-Clans, hatte in einer Rede einmal kluge Worte zu diesem Thema gefunden: »Wenn ein Land schwere Zeiten durchlebt, bekommen es als Erste die Gangster zu spüren. Das war verdammt noch mal schon immer so. Die letzten fünfzig Jahre waren hart für uns. Ein einziges Schlamassel! Japanische Kolonisation, Krieg, Militärputsche … Es ist unglaublich, durch wie viele Hände dieses Land gegangen ist! Erst die Japaner, dann die Russen, die Amerikaner, das Militär … Und jedes Mal, wenn das Land am Boden war und die Machthaber neu, waren wir die ersten Opfer. Wie heißt es so schön: Wenn einer scheißt, kriegt er ein Seidenkissen unter den Hintern, wenn einer furzt, kriegt er Prügel … Am Ende wird immer den Gangstern die Hölle heiß gemacht!

    Ich habe mir mal genauer angesehen, wie das seit der japanischen Kolonisation gelaufen ist, und ich kann euch sagen: Die Ersten, die eingebuchtet werden, sind immer die Gangster, die Anzüge tragen. In der Zeit der Kolonisation haben sich die japanischen Polizisten als Erstes auf jeden Gangster im Anzug gestürzt. Dasselbe während der amerikanischen Militärregierung und immer so weiter. Als Park Chung-hee die Macht ergriffen und angefangen hat, die Gesellschaft zu säubern – wen haben sie da reihenweise verhaftet? Wieder die Gangster im Anzug!

    Nach seinem Staatsstreich ist auch Chun Doo-hwan gleich auf Verbrecherjagd gegangen, um frischen Wind in die Gesellschaft zu bringen. Und wie sollte es anders sein, die Anzugträger mussten als Erste dran glauben. Es ist gar nicht lange her, da hat Roh Tae-woo auch wieder den Kriminellen den Krieg oder irgend so einen Quatsch erklärt und dann gleich ein paar von unseren Jungs einkassiert – in der Schlange vor der Polizeiwache waren damals nichts als schwarze Anzüge.

    Erinnert ihr euch noch an Chilbok aus dem Stadtteil Amidong? Der war auch so einer, ist dauernd in seinem schwarzen Anzug rumstolziert! Wenn er mir über den Weg lief, habe ich jedes Mal versucht, es ihm zu erklären: Mensch, Chilbok, habe ich gesagt, pass auf, was du da machst, das bringt doch nichts, sich als Gangster so rauszuputzen, ist doch nur für einen kurzen Moment, aber das Gefängnis, das ist lebenslänglich. So oft habe ich mit ihm geredet, aber er wollte nicht auf mich hören. Ergebnis? Die anderen aus seiner Bande haben ein oder zwei Jahre bekommen, im schlimmsten Fall drei oder vier, und der gute Chilbok darf jetzt fünfzehn Jahre sitzen! Und das alles nur wegen dem verdammten Anzug. Wenn man im Trainingsanzug verhaftet wird, gilt man als kleiner Gauner, aber lass dich mal im Zweireiher mit einem Sashimi-Messer in der Tasche erwischen, dann wirst du gleich in die Mörder- und Mafiosi-Schublade gesteckt, zu den Bösen, die die Gesellschaft kaputt machen. Glaubt ihr etwa, wenn eine Horde von Typen in schwarzen Anzügen durch die Gegend zieht wie ein Haufen Gymnasiasten in Schuluniform, das fällt der Polizei nicht auf? Und glaubt ihr, die Herren da oben, die sich mit Leib und Seele der Aufgabe verschrieben haben, unser Land zu führen, ärgern sich nicht, wenn sie solche Gangstertrupps im Sonntagsstaat herumlungern sehen?

    Ich sag’s euch schon seit Ewigkeiten, immer wieder sag ich’s euch: Kopf einziehen und Klappe halten, macht euch so unsichtbar wie eine tote Maus, das ist für jeden Gangster die beste Strategie. Was bringt es, wenn du Stil hast, was bringt es, berühmt zu sein? Sobald ihr’s in eurem Anzug als Dandy auf irgendeine Titelseite schafft, gibt es nur noch einen Ort, wo ihr landen könnt, und der heißt Knast. Unsereins hat doch eh nichts anderes zu tun, als rumzulungern, wozu braucht man da einen verdammten Anzug?«

    Kopf einziehen und Klappe halten – das sollte, jedenfalls wenn es nach Vater Son ging, für jeden Gangster die Devise sein …

    Natürlich missfiel die Theorie allen Gangstern, die gern im coolen Anzug unterwegs waren. Doch wer weiß, vielleicht erwies sich Vater Sons Devise eines Tages als Garant für ein langes Leben. Immerhin war er selbst das beste Beispiel.

    Mit achtzehn ins Gangstermilieu eingetaucht, hatte er fünfzig Jahre lang in Guam gearbeitet. Er war Zuhälter, Schmuggler und Betrüger gewesen, hatte illegale Kasinos geleitet und Auftragsmorde finanziert, und das alles hatte er überlebt. Er hatte das autoritäre Regime von Park Chung-hee und die Umerziehungslager von Chun Doo-hwan überstanden. Und als Roh Tae-woo dem Verbrechen den Krieg erklärte, waren alle Clan-Chefs des Landes verhaftet, der größten Untaten angeklagt und zu Gefängnisstrafen von zehn bis fünfzehn Jahren verurteilt worden, nur Vater Son war wieder einmal davongekommen. Insgesamt hatte er gerade mal achtzehn Monate im Gefängnis verbracht, wegen Zuhälterei und Zechprellerei, zwei für einen Clan-Chef geradezu lächerliche Vergehen.

    Als Langzeitüberlebender in den gefährlichen Gewässern von Guam lag Vater Son seiner rechten Hand Huisu, dem Manager des Hotels Mallijang, ständig damit in den Ohren: »Nenn mir einen von denen, die mit mir zusammen angefangen haben, nur einen Einzigen, der noch lebt. Die haben alle das Zeitliche gesegnet, oder etwa nicht? Erstochen. In Stücke gehackt. Im Knast an ihrem Reis mit Bohnen erstickt. Und warum sind sie deiner Meinung nach abgekratzt? Ich werd’s dir sagen: weil sie ihren Grips ausgeschaltet haben. Wenn ein Gangster wie ein Pfau durch die Gegend stolziert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sang- und klanglos verschwindet. Vergiss nie: Gangster sein bedeutet, dass du ein Leben lang wie auf Eiern gehst. Du bewegst dich ständig auf dünnem Eis. Wenn du in der Unterwelt überleben willst, Huisu, musst du verstohlen sein und dich so unsichtbar machen wie eine tote Maus. Wirklich gut speist man nur, wenn man heimlich speist. ›Der gut Genährte schweigt‹, haben unsere Väter gesagt. Und wo wir schon dabei sind, noch etwas: Sag den Jungs, dass sie aufhören sollen, sich tätowieren zu lassen. Ich verstehe nicht, was der verdammte Unsinn überhaupt soll, sich mit Tinte, die bestimmt gesundheitsschädlich ist, solche dummen Bilder auf die Haut zu malen. Warum soll man als Gangster wie eine wandelnde Plakatwand herumlaufen? Ist es nicht besser, mit der schönen, reinen Haut, so wie die Eltern sie uns geschenkt haben, durchs Leben zu gehen und auch in öffentlichen Bädern willkommen zu sein? Gibt es etwas Besseres als das?«

    HOTEL MALLIJANG

    Im November 1990, auf dem Höhepunkt des Krieges gegen das Verbrechen, hatte ein junger Staatsanwalt aus der Provinz Vater Son vor Gericht gebracht und mit folgenden Worten die wahre Natur dessen angeprangert, was sich im Hotel Mallijang abspielte: »Herr Richter, alle Verbrechen in Guam gehen vom Hotel Mallijang aus. Und dieser Mann hier ist seit dreißig Jahren der Eigentümer.«

    Trotz seines Ehrgeizes war es dem jungen Staatsanwalt leider nicht gelungen, auch nur eine Zeugenaussage beizubringen. Hätte er von den Tausenden im Hotel Mallijang eingefädelten Verbrechen auch nur ein einziges beweisen können, wäre Vater Son für mindestens dreißig Jahre hinter Gitter gewandert. Mit etwas gutem Willen sogar für dreihundert. Es gab so viele Anklagepunkte wie Haare auf dem Rücken einer Kuh, doch am Ende waren nur zwei darunter, für die der junge, ehrgeizige Staatsanwalt so etwas wie Beweismaterial vorlegen konnte. Es ging dabei um diffuse Aktivitäten im Bereich der Zuhälterei und Zechprellerei.

    Das Hotel Mallijang – der Name bedeutete »Zur Großen Mauer« – lag in der Mitte der langen Strandpromenade von Guam. Mit seiner geschwungenen Architektur fügte sich das zweistöckige Gebäude perfekt in den Halbmond des Strandes ein. Die Japaner hatten es 1913 erbaut und ihm seinen etwas unpassenden Namen gegeben. Fasziniert vom Charme dieses Küstenstrichs mit seinen üppigen Pinienwäldern, gründeten sie die Freizeit-Unternehmensgesellschaft von Guam und legten den ersten Strand von Joseon an. Abgesehen von den Renovierungen nach dem Koreakrieg, als die typisch japanischen Holzkonstruktionen durch Stahlbeton ersetzt wurden, sah das Gebäude noch genauso aus wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Damals gehörte es den japanischen Yakuza-Mafiosi.

    Es war eine seltsame Zeit: Nachdem die Japaner Korea okkupiert hatten, ließen sie sich in Scharen auf der Halbinsel nieder; allein in Busan waren es sechzigtausend. Insofern sollte der Hotelbetrieb weniger den Koreanern als den Japanern, die über die Meerenge nach Busan kamen, die Freizeit versüßen.

    Diese Epoche galt als die Blütezeit von Guam. Die Japaner errichteten an der Steilküste eine Seilbahn zur Schildkröten-Insel und bauten mitten am Strand einen dreistöckigen Sprungturm und eine Hängebrücke zu einer der kleinen, vorgelagerten Felseninseln. In den Zwanzigerjahren, als es in Busan nicht einmal eine Straßenbahn gab, muss die übers Meer schwebende Gondel ein atemberaubender Anblick gewesen sein. Im Sommer strömten dreihunderttausend Menschen aus allen Winkeln des Landes an die Küste von Guam. Selbst sogenannte VIPs mussten den Manager des Hotels Mallijang bestechen, wenn sie in der Hochsaison ein Zimmer haben wollten. Auch wenn der Strand noch so verdreckt war von den stinkenden Abwassern der Sashimi-Restaurants, der Bordelle und Armenviertel, gab es dort im Sommer keinen freien Quadratzentimeter Sand.

    Da die Yakuza wussten, dass ihnen ein Hotelmanager mit japanischem Namen möglicherweise zum Problem werden konnte, setzten sie einen Strohmann ein, einen gewissen Son Heungsik, den Großvater von Vater Son. Son Heungsik hatte keinerlei Schulbildung, war jedoch ein intelligenter, hellwacher Mann, zu dem die Yakuza volles Vertrauen hatten. Doch dann kam das Jahr 1945 und mit ihm Japans Zusammenbruch. Überstürzt kehrten alle Japaner in die Heimat zurück, und Son Heungsik konnte das Hotel klammheimlich übernehmen. Es gab viele Koreaner, die so vom allgemeinen Chaos profitierten und sich die Firmen oder geheimen Vermögen ihrer Chefs aneigneten.

    Dank der Methoden, die Son Heungsik bei den Japanern gelernt hatte, kam er rasch zu Geld. Geschickt führte er das Hotel und kaufte nach und nach Bars, Bordelle und Kasinos auf, die Japanern gehört hatten. So gewann er immer mehr Einfluss und kontrollierte schließlich am Hafen ein ganzes Händlernetz für illegale Importware. Als während des Koreakrieges der Regierungssitz vorübergehend nach Busan verlegt worden war, konnte er auf der amerikanischen Militärbasis Camp Hialeah Waffen und Vorräte unterschlagen, was ihm enormen Profit einbrachte. Die Jahre zwischen 1945 und 1960 waren gute Jahre für Son Heungsik. Eine Truppe von zweihundert seiner Gangster war Tag und Nacht in der Nähe des Hotels stationiert. Sein Einfluss war so groß, dass die Leute sagten, am Tag sei Rhee Syngman Präsident und in der Nacht Son Heungsik.

    Bis zum 13. Februar 1960. Auf dem Höhepunkt von Son Heungsiks Macht tauchte um drei Uhr morgens die Polizei im Hotel auf und verhaftete ihn. Drei Tage und Nächte lang prügelte man in einem Keller auf ihn ein. Als blutiges Wrack kehrte er zurück und starb zwei Tage später. Er war übel zugerichtet worden: Beim Waschen und Herrichten seiner Leiche für die Beerdigung stellte man fest, dass jeder Zentimeter Haut grün und blau geschlagen war, und alle Glieder gebrochen waren. Hintergrund für diese ungewöhnliche Brutalität war ein Konflikt mit Lee Ki-poong, der Nummer zwei der Regierung. Son Heungsik hatte das Verbrechen begangen, den Parteioberen, unter deren Schutz er sein Vermögen aufgebaut hatte, nicht ausreichend Dankbarkeit zu erweisen. Natürlich hatte er sich bedankt, aber auf seine Weise, und die reichte in Lee Ki-poongs Augen nicht aus. Der bereitete sich nämlich zu dieser Zeit auf seine Wahl zum Vizepräsidenten vor und brauchte Geld, viel Geld, denn Wahlen waren schon immer ein teures Vergnügen. Das wusste Son Heungsik, es lag also nicht an fehlendem Scharfblick, dass sein Leben ein so frühes, dramatisches Ende nahm. Im Gegenteil, sein Scharfblick war gerade das, was ihn ins Verderben stürzte. Für ihn war klar, dass dem amtierenden Präsidenten Rhee Syngman die Luft ausging und er auf sein Ende zusteuerte. Lee Ki-poongs Zeit hingegen würde bald anbrechen, und zwar schon sehr bald. Son Heungsik beschloss also, kein Geld mehr in einen alten, morschen Sack zu stecken, der bald zerreißen würde, sondern es sich für den neuen aufzusparen. Er wartete ab, um dann in die neue Regierung unter Lee Ki-poong zu investieren. Leider konnte er Lee von der Ehrlichkeit seiner Absichten nicht überzeugen. Und so stürzte ihn sein Scharfblick ins Verderben. In den drei Tagen und Nächten, in denen Son Heungsik im Keller einer Polizeiwache totgeprügelt wurde, konnte seine Familie nichts für ihn tun. Das Geflecht an Beziehungen zu Politik und Wirtschaft, das er im Laufe seines Lebens geknüpft hatte, half nicht angesichts dieser Übermacht. Einen Monat nach Son Heungsiks Tod, am 15. März 1960, wurde Lee Ki-poong durch groben Wahlbetrug zum Vizepräsidenten gewählt. Einen weiteren Monat später flüchtete derselbe Lee- Kipoong mit seiner ganzen Familie in Raum 36 der Residenz des Präsidenten. Die Liberale Partei lag nach dem Aufstand vom 19. April am Boden. In die Enge getrieben, übernahm es Lees ältester Sohn Lee Kang-seok, zu dieser Zeit Unterleutnant des Heeres, erst den Vater, die Mutter und den jüngeren Bruder zu erschießen und dann die Waffe gegen sich selbst zu richten.

    Der absurde Mord an seinem Großvater hatte Vater Son schon in jungen Jahren gezeigt, dass auch ein bekannter, einflussreicher Verbrecher gegenüber den politischen Mächten ein Nichts war und dass jeder, der die Arroganz besaß, diese Mächte herauszufordern, am Ende immer der Nagel war, den der Hammer traf. Auf dieser schmerzhaften Lektion fußte seine Theorie des die Klappe haltenden Gangsters, der sich so unsichtbar machte wie eine tote Maus.

    Vater Sons Erzeuger, Son Jeongmin, war ein groß gewachsener, kräftiger Kerl. Ein ganz normaler Mann, der wie fast alle in der Provinz Gyeongsang seine Freunde und den Alkohol liebte, viel Pflichtgefühl besaß und gern mit Geld um sich warf. Wenn einer seiner Kumpel in Gefahr geriet, fühlte er sich selbst angegriffen und zögerte keine Sekunde, dem Freund zu Hilfe zu eilen. Leider endete das Leben dieses jungen, aufrechten Mannes schon vor seinem 30. Geburtstag bei einer Messerstecherei mit einem amerikanischen Soldaten mitten in Gwangbokdong. Die Zeugenaussagen über die Ursache dieser Auseinandersetzung gingen weit auseinander. Angeblich hatte der Soldat auf offener Straße eine junge Koreanerin belästigt, worauf Son Jeongmin im Gegensatz zu den umstehenden Gaffern beherzt eingegriffen hatte. Andere behaupteten, Son Jeongmin sei wie ein Esel losgestürmt, ohne ein Wort Englisch zu verstehen. Die Koreanerin sei in Wirklichkeit die Freundin des Amerikaners gewesen, und die beiden hätten einfach nur Streit gehabt. Wie auch immer, die Sache führte jedenfalls zu allerlei Gerede: Für die einen war es der Tod eines Patrioten und ein Beispiel für den Heldenmut der Männer von Busan, für die anderen ein Tod aus Dummheit, den er sich aus Unkenntnis der englischen Sprache eingebrockt hatte – was im Übrigen zeigte, wie wichtig es für das eigene Überleben war, diese zu beherrschen. Vater Son ließ keinen Zweifel daran, wie er über den Tod seines Vaters dachte: »Er ist gestorben wie ein Idiot, weil er sich zum Narren gemacht hat. Wer als Gangster so eine dumme Show abzieht, ist weg vom Fenster, zack, aus, das war’s.«

    DAS KUCKUCKSDEPOT

    In der Lagerhalle rotierten drei riesige Ventilatoren. Vietnamesische Arbeiter hatten begonnen, Säcke mit chinesischem Chilipulver von dem Laster abzuladen, der sich durch die engen Straßen der Stadt gequält hatte. Hinter den Vietnamesen fing ein gutes Dutzend mit Kehrschaufeln bewaffneter Frauen schon an, das Importpulver mit koreanischem Chili zu vermischen. Ein scharfer Geruch breitete sich in der Halle aus.

    Das aus Ziegeln und Schiefer errichtete zweistöckige Gebäude war eigentlich nur als Speicher gedacht, Menschen sollten nicht darin arbeiten. Im Verhältnis zu seiner Größe gab es zu wenige und im Übrigen lächerlich kleine Fenster, und da weder eine Heizung noch eine Klimaanlage existierte, beschwerten sich die Arbeiter vor allem in den Winter- und Sommermonaten häufig. Doch der günstige Standort – in Hafennähe, aber abseits gelegen – hatte rasch dazu geführt, dass Vater Son das Lager für die Herstellung seines falschen Sesamöls und die Verwandlung von kalifornischen in koreanische Bohnen nutzte. Man nannte es das »Kuckucksdepot«.

    Weil es zudem als Zwischenlager für Schmuggelware diente, tauchten dort manchmal auch Luxusprodukte auf, die über den Hafen eingeschleust worden waren: Wodka, europäischer Wein, Elektrogeräte von Sony oder Aiwa, russische Pelze, Inhaltsstoffe der chinesischen Medizin. Doch in erster Linie wurden dort banalere Waren gehortet, die weniger Gewinn brachten und einen höheren Einsatz von Arbeitskräften erforderten: Bohnen, Sesam, getrocknete Sardellen und eben Chilipulver.

    Huisu war mit Vater Sons Geschäftsmodell nicht recht glücklich. Beim Schmuggeln galt eigentlich die Faustregel: je höher das Risiko, desto größer der Gewinn. Mut zahlte sich aus. Doch in Vater Sons Augen war Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Von Drogen und Waffen wollte er nichts wissen und mied grundsätzlich alle Produkte, die verstärkt vom Zoll kontrolliert wurden. Schon immer ein eher ängstlicher Mensch, war er seit dem Gefängnisaufenthalt vor einigen Jahren eine richtige Memme. Wenn man mit Chilipulver oder chinesischen Bohnen aufflog, konnte das seiner Meinung nach quasi als Mundraub durchgehen, und man kam mit ein paar Scherereien davon, die in wenigen Monaten ausgestanden waren; wer aber beispielsweise mit Waffen in Verbindung gebracht wurde, der konnte für immer einpacken.

    Das Taschentuch vor der Nase, warf Huisu einen missmutigen Blick auf die Staub- und Chilischwaden. Was nicht durch die Fenster entweichen konnte, wirbelte bis zur Decke und sank dann langsam wieder zu Boden. Die mangelhafte Luftqualität schien Vater Son nicht im Mindesten zu stören. Zufrieden lächelnd betrachtete er die Berge von Chilipulver.

    »Siehst du? Ich hab’s dir doch gesagt, Chilipulver läuft dieses Jahr. In letzter Zeit ist der Kurs ganz schön gestiegen. Ich denke, wir können den Großhandelspreis mindestens verfünffachen.« Aus seiner Stimme klang Stolz.

    »Macht Ihnen das so große Freude, die armen Bauern übers Ohr zu hauen? Kein Funken schlechtes Gewissen?«, spottete Huisu.

    »Ich gebe zu, ein bisschen unangenehm ist es mir schon. Deshalb mische ich ja wenigstens einen Teil koreanisches Chilipulver unter. Ganz ehrlich, manche nehmen nur zehn Prozent, das muss man sich mal vorstellen, wir dagegen mischen ganze zwanzig Prozent unter. Ich habe gehört, dass es in Masan manchmal sogar nur fünf Prozent sind. Das ist doch grausam. Fünf Prozent! Ich verstehe nicht, wie man so niederträchtig sein kann. Wie sollen unsere Bauern denn da überleben?«

    Huisu reagierte mit einem sarkastischen Lachen. Fünf Prozent, zehn Prozent, was machte das für einen Unterschied? Außerdem ging es Vater Son doch nur um die Papiere. Denn um das gepanschte Pulver überhaupt in den Handel bringen zu dürfen, musste man beweisen, dass man es in Korea gekauft hatte. Vater Son vermischte also ein bisschen koreanisches Chilipulver mit großen Mengen geschmuggeltem Pulver, um es dann – auf der Grundlage gefälschter Rechnungen – an die Grossisten verkaufen zu können.

    »Was gibt’s da zu lachen?«, sagte Vater Son in scharfem Ton; Huisus Grinsen hatte ihn offensichtlich gekränkt.

    »Wie bitte?«

    »Du machst dich doch gerade über mich lustig, oder?«

    »Aber nein, ganz und gar nicht.«

    »Von wegen. Gewöhn dir das gleich mal ab, dich wegen jeder Kleinigkeit über deinen Boss lustig zu machen. Sonst wirkt es zu despektierlich, und dann fangen die Jungs noch an, es dir nachzumachen.«

    Vater Son bückte sich, nahm eine Handvoll Chilipulver und rieb es prüfend zwischen den Fingern. Dann nickte er zufrieden und stieg die Treppe hinauf ins obere Stockwerk. Huisu folgte ihm. Als Vater Son die Tür zu seinem Büro öffnete, fuhr der dicke Wächter, der gerade seine jjajang-Nudeln aß, vom Stuhl hoch.

    »Seit wann sind Sie hier?«, fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über den soßenverschmierten Mund.

    »Was schaufelst du da alles in dich rein, dass du gar nicht mitbekommst, wer hier ein und aus geht? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, vor allem wenn Ware kommt?« Plötzlich war Vater Sons Zorn entfacht.

    Der Dicke sammelte hastig die auf dem Tisch verteilten Gerichte ein: Eine doppelte Portion jjajang-Nudeln, ein Teller gebratenes Schweinefleisch, ein weiterer mit Maultaschen und noch einer mit gebratenem Gemüse, dazu eine Flasche chinesischer Schnaps. Bildschirme an der Wand zeigten die Aufnahmen der Überwachungskameras, die vor Kurzem am Hauptportal, an der Hintertür, am Parkplatz und am Eingang zur Lagerhalle installiert worden waren. »Tss«, machte Vater Son, während sein Blick wütend über die auf dem Tisch verstreuten Teller wanderte. Daran gewöhnt, auf jede Laune seines Chefs einzugehen, krümmte der Dicke den feisten Körper zu einer tiefen Verbeugung.

    Der »Entleerte« nannten ihn alle. Warum man ausgerechnet ihm diesen seltsamen Spitznamen gegeben hatte, war angesichts seiner Körperfülle von annähernd 130 Kilogramm rätselhaft. Vielleicht hatten Frauen sich das ausgedacht, denn im Bett neigte er wohl tatsächlich dazu, sich allzu rasch zu entleeren. Der Entleerte war jedenfalls so dick, dass ihn jede Bewegung anstrengte und er literweise schwitzte. Bei dem gewaltigen Körper hätte es niemand vermutet, doch er hatte ein sanftmütiges, freundliches Wesen, war unendlich langsam und für Schlägereien eigentlich nicht zu gebrauchen. Kurzum: ein Koloss, aber fürs Gangsterleben völlig ungeeignet. Früher hatte er sich sein Furcht einflößendes Aussehen zunutze gemacht und als Türsteher in einer Bar gearbeitet, ein Job, in dem er sich darauf beschränkte, bedrohlich zu wirken. Doch seit einer Knieoperation konnte er nicht mehr so lange stehen. Da er früh im Gangstermilieu gelandet war, hätte er inzwischen eigentlich als einer der Altgedienten respektiert werden müssen, aber die Jüngeren verachteten ihn. Deshalb hatte Vater Son ihm die Bewachung des Lagers anvertraut. Jemand, der sich nicht gern bewegte, war bestimmt als aufmerksamer Wächter zu gebrauchen. Das hatte er jedenfalls gedacht.

    »Verdammt noch mal, was bist du für ein Idiot! Jedes Hundebaby hätte das Lager besser bewacht als du«, schimpfte Vater Son.

    »Er ist hier ganz allein zuständig, und essen oder mal aufs Klo darf er ja wohl, oder? Er kann doch nicht die ganze Zeit auf die Bildschirme starren. Ist gut jetzt. Los, du kannst zu Ende essen.« Huisu klopfte dem Entleerten beruhigend auf die Schulter, worauf der sich erneut tief verbeugte, diesmal vor ihm.

    Vater Son warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Habe ich gesagt, dass er nicht essen soll? Wenn nichts los ist, kann er sich ja meinetwegen ein bisschen entspannen, aber doch nicht gerade dann, wenn Ware kommt. Da muss man auf Zack sein.«

    »Entschuldigung«, sagte der Entleerte.

    »Wann sind die hier fertig?«

    »Im Prinzip heute.«

    »Die sollen den Laster gleich heute Nacht wieder beladen. Ist besser, der Krempel liegt hier nicht lange rum.«

    »In Ordnung.«

    »Und du, bring mir einen ssanghwacha

    Der Entleerte verließ das Büro, um ihm den Tee zu holen. Die Metalltreppe schepperte unter seinen schweren Schritten.

    Vater Son schüttelte bekümmert den Kopf. »Nichts, aber auch gar nichts an diesem Jungen gefällt mir«, sagte er.

    »Jetzt haben Sie sich nicht so. Er will doch nur wie alle das Leben in vollen Zügen genießen, nur dass sein Körper eben dabei nicht mitmacht.«

    Vater Son deutet feixend auf die vielen Teller. »Wenn man so viel isst, wie soll der Körper da mitmachen? Ist das etwa eine Mahlzeit für eine Person? Davon kann man eine ganze Bürogemeinschaft ernähren.«

    Während sich Huisu mit halbem Ohr Vater Sons Genörgel anhörte, schenkte er sich ein Glas Schnaps ein und leerte es in einem Zug. Dann brach er die Wegwerfstäbchen auseinander und nahm sich ein paar Stücke von dem Gemüse.

    Vater Son beobachtete ihn besorgt. »Hast du heute noch nichts gegessen?«

    »Ich hatte die Augen noch nicht ganz auf, da haben Sie mich schon hergerufen, wann soll ich denn da gegessen haben?«

    »Du solltest mehr schlafen. Jede Nacht versumpfst du im Kasino, und am nächsten Tag torkelst du durch die Gegend wie ein krankes Küken. Du warst doch wieder bei Jiho und hast die ganze Nacht Baccara gespielt, oder?«

    »Ich habe nicht Baccara gespielt.«

    »Du lügst. Deinetwegen stopft sich Jiho die Taschen immer voller.«

    Schweigend schluckte Huisu ein paar Bissen Gemüse. Er schenkte sich noch ein Glas ein, trank es aus und verzog das Gesicht. Der Alkohol brannte ihm im Magen.

    »Um wie viel Uhr triffst du heute Abend die Typen vom Zoll?«

    »Um sechs.«

    »Wenn ihr alles in trockenen Tüchern habt, gehst du aber sofort. Man sollte nie länger als nötig bei der angeheirateten Familie herumsitzen, es bringt nichts, und genauso wenig bringt es, länger als nötig mit Leuten herumzusitzen, die für den Staat arbeiten. Das ist schon seit Menschengedenken so.«

    »Chef Gu scheint übrigens auch zu kommen. Wird sicher ein heißer Abend.«

    »Was soll denn das heißen? Was will denn der Arsch von Bulle?«

    »Na, es hieß doch, wir gehen in eine Go-go-Bar, da will er sicher die Gelegenheit nutzen und umsonst saufen. Und mit den Mädchen hat er’s ja auch immer noch, obwohl er keinen mehr hochkriegt.«

    An dieser ebenso überraschenden wie wertvollen Information hatte Vater Son seine Freude. »Chef Gu kriegt keinen mehr hoch?«

    »Schon länger nicht. Jede Nutte hasst es, wenn sie ihn abkriegt.«

    »Wie kann es sein, dass ein Kerl, der aussieht wie ein Tiger, so ein Weichtier zwischen den Beinen hat?«

    »Wenn bei den Kerlen nichts mehr geht, halten sie sich eigentlich von den Mädchen fern und suchen sich was anderes, Pferderennen, Golf oder was weiß ich. Aber Chef Gu ist ein komischer Typ, der kann’s einfach nicht lassen.«

    »Da ist er bestimmt nicht der Erste. Genau genommen sind alle Menschen pervers.«

    Huisu warf die Stäbchen auf den Tisch und erhob sich mit einem Blick auf die Uhr.

    »Gehst du?«

    »Muss mich fertig machen. Will mich noch waschen und umziehen.«

    »Okay. Viel Spaß bei der Arbeit.«

    Doch anstatt zu gehen, blieb Huisu vor Vater Son stehen und sah ihn durchdringend an.

    Vater Son reagierte mit einem fragenden Blick. »Was?«

    »Ich brauche noch das Geld.«

    »Was für Geld? Wenn du das Geld meinst, das die Typen vom Zoll kriegen, das habe ich denen alles schon geschickt.«

    »Um Leute in eine Go-go-Bar einzuladen, braucht man Bares. Wollen Sie, dass ich den Ladys Schecks ausstelle, oder was?«

    »Also wirklich, wie kleinlich von dir – solche läppischen Ausgaben könntest du wirklich selbst übernehmen.«

    Leise schimpfend entnahm Vater Son seiner Brieftasche zwei Geldscheine. Zwei Millionen won. Huisu zog die Mundwinkel herunter, worauf Vater Son noch einen dazulegte und ihm alles hinhielt. Drei Millionen. Missmutig nahm Huisu das Geld und stopfte es sich in die Gesäßtasche. Er deutete eine Verbeugung an und verließ das Büro. Auf der Treppe kam ihm der Entleerte entgegen, der sich, eine Tasse ssanghwacha in jeder Hand, mühsam an den Aufstieg machte. Seine Kleider waren schweißnass.

    »Sie gehen schon, Herr Huisu?«

    »Ja, ich habe zu tun.«

    »Trinken Sie doch noch einen Tee, bevor Sie gehen. Er sieht vielleicht nicht so aus, aber er ist wirklich sehr gesund.«

    »Ist schon gut. Trink du doch einfach meinen, wenn er so gesund ist.«

    Um fünfzehn Uhr erreichte Huisu wieder den Parkplatz des Hotels Mallijang. Noch drei Stunden bis zu seinem Treffen. Sein Mund war wie ausgetrocknet, wahrscheinlich von den vielen zu kurzen Nächten in Folge. Außer den paar Bissen im Kuckucksdepot hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen. Sein Magen knurrte, und er war müde. In ein paar Stunden würde er den spendablen Gastgeber spielen müssen. Besser, er aß vorher noch was, duschte, zog sich frische Unterwäsche an und gönnte sich noch eine Mütze Schlaf, denn mit Typen wie Chef Gu drohte die Abendveranstaltung eine nervtötende Sache zu werden.

    Huisu warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad. Fürs Essen, Duschen und Schlafen war die Zeit zu knapp. Er ließ den Motor wieder an und fuhr Richtung Kasino.

    Auf dem Stuhl neben dem Eingang saß dösend ein Trumm von einem Mann. Auch als Huisi sich direkt vor ihm aufbaute, wachte der Typ nicht auf. Da rüttelte er ihn kurzerhand an der Schulter.

    Der Fettwanst schlug die Augen auf und begrüßte Huisu hastig. »Guten Tag, Großer Bruder Huisu.«

    »Lass mich rein.«

    Der Typ nuschelte etwas in die Sprechanlage; sofort schwang mit einem durchdringenden Piepen eine der schweren Eisentüren auf, die sich am oberen und am unteren Ende der Treppe befanden, die zum Kasino hinunterführten. Sie waren eingebaut worden, damit im Fall einer Polizeirazzia genügend Zeit blieb, das Kasino durch eine Geheimtür zu räumen. Diese Eisentüren waren so massiv, dass man selbst mit einem Schweißbrenner zwanzig Minuten gebraucht hätte, um nur eine von ihnen zu überwinden. Jedes Mal, wenn Huisu die dunkle, feuchte Treppe hinunterging, hatte er das Gefühl, in eine Katakombe hinabzusteigen. Am Fuß der Treppe angelangt, klingelte er. Durch den Spion checkte ein Mann sein Gesicht und machte auf.

    Es war Nachmittag und das Kasino trotzdem brechend voll. Huisu ließ den Blick wandern. Alle Tische waren besetzt.

    Jiho kam aus seinem Büro geschossen und verbeugte sich vor Huisu. »Großer Bruder Huisu, was verschafft mir zu dieser ungewöhnlichen Tageszeit die Ehre Ihres Besuchs?«

    »Nichts, ich hatte gerade ein bisschen Zeit.«

    »Soll ich Ihnen einen Tisch frei machen?« Mit forschendem Gesicht versuchte er, Huisus Wünsche am Gesicht abzulesen.

    Wie gern wäre Huisu an einen der Tische gegangen, an denen mit hohem Einsatz gespielt wurde, aber dafür hatte er nicht genug Geld dabei. Also zeigte er auf einen, an dem bei einer Million Schluss war. Jiho ging hin und gab einem der dort sitzenden Männer einen leichten Klaps auf die Schulter. Der Typ drehte sich verärgert um. Als er Huisu sah, erhob er sich schicksalsergeben. Mit einer Hand wischte Jiho beflissen über die Sitzfläche des Stuhls, dann bot er ihn Huisu an.

    Bei Jiho gab es nur ein einziges Spiel. Kein Poker, kein Roulette, kein Blackjack, bei Jiho wurde ausschließlich Baccara gespielt. Die Regeln dieses einfachen Spiels kapierte jeder Mensch, der nicht den IQ eines Hundes hatte, im Handumdrehen. Da es außerdem ein sehr schnelles Spiel war, das mehr als hundert Einsätze pro Stunde ermöglichte, hatte es einen hohen Suchtfaktor. Theoretisch hatten die Gäste und das Kasino eine nahezu gleiche Gewinnquote: 49 zu 51. Trotzdem gewann am Ende immer das Kasino. Und weil sich die minimale prozentuale Differenz unendlich oft wiederholte und sich zudem die Provisionen summierten, verließen die Leute das Kasino am Ende des Tages mit leeren Taschen. Bei ihren Versuchen, tiefer in die Geheimnisse des Baccara einzudringen, übersahen sie, dass sie nicht verloren, weil sie keine Ahnung von dem Spiel hatten, sondern nur deshalb, weil sie immer weiterspielten.

    Jiho war ein guter Geschäftsmann. Er war gastfreundlich und feierte gern. Kein Wunder also, dass schon so viele Idioten in seinem Kasino ihr Leben verpfuscht hatten. Die alten Leute von Guam mochten ihn. Hatten sie die Wahl, waren ihnen Ganoven, die etwas von Kundenbindung verstanden und liebenswürdig und auf intelligentem Weg Profit machten, lieber als ordinäre Gangster; eben Leute wie Jiho.

    Huisu nahm die drei Millionen, die er von Vater Son bekommen hatte, legte aus eigener Tasche zwei Millionen dazu und tauschte sie gegen Spielmünzen ein. Auf der anderen Seite des Tischs wurde er argwöhnisch von Obligation Hong beobachtet. Auch dessen chinesischer Leibwächter Changdo fixierte Huisu wie immer mit kaltem Blick. Huisu dagegen tat so, als sähe er die beiden nicht.

    Er schuldete Obligation Hong einiges Geld. Im Laufe der Zeit war es immer mehr geworden, sodass seine Schulden sich inzwischen auf dreihundert Millionen won beliefen. Und in letzter Zeit schaffte es Huisu nicht einmal mehr, die Zinsen zu bezahlen. Obligation Hong war ein gewerbsmäßiger Wucherer, der in Guam von Vater Son geduldet wurde, weil die jungen Kerle, die für ihn arbeiteten, alle von außerhalb kamen. Obligation Hongs ursprünglicher Plan, für die abscheuliche Arbeit des Geldeintreibens Gangster aus dem eigenen Viertel zu engagieren – dessen Bewohner ja alle mehr oder weniger direkt miteinander verwandt waren –, hatte sich offenbar nicht so leicht umsetzen lassen. Nun hatten sie es so geregelt, dass Obligation Hong jeden Monat Vater Son eine hübsche Summe zukommen ließ und dafür in den Kasinos, auf den Märkten und in den Bars sein Geld verleihen konnte. Vater Son stellte sich blind, was die Methoden betraf, mit denen Obligation Hong den verschuldeten Gangstern von Guam auf den Fersen war. Er hatte sich, was das betraf, klar ausgedrückt: »Geldgeschichten sind nicht mein Problem.« Eine Allianz wie die zwischen Krokodilwärter und Krokodil.

    Ob Auftragskiller oder Clan-Mitglied – wer sich bei Obligation Hong Geld lieh, hatte keine Chance, ihm zu entkommen. Wie alle Wucherer war er ein Scheusal, dem es gelang, noch aus dem ausgedörrtesten Tintenfisch Saft zu pressen. Das für Gangster eigentlich charakteristische Ehrgefühl hatte er mit seinem Eintritt ins Verbrechermilieu über Bord geworfen. Im Wesentlichen lieh er Spielern und Callgirls Geld, aber seine eigentliche Spezialität war etwas anderes: Er kaufte Gläubigern Schulden ab, die schwer einzutreiben waren. Dafür zahlte er Spottpreise von allenfalls zehn oder zwanzig Prozent der geschuldeten Summe und setzte dann die betroffene Familie, manchmal sogar entfernte Verwandte so unter Druck, dass er nicht nur den kompletten Betrag, sondern auch sämtliche Zinsen bis auf den letzten Heller eintrieb. Und auf seine Methoden hätte selbst der widerlichste Wucherer dankend verzichtet. Er war so pedantisch, so niederträchtig, so hartnäckig, so durchtrieben und gleichzeitig so intelligent, dass jeder, der es einmal mit ihm zu tun bekommen hatte, beim bloßen Gedanken daran vor Angst zitterte. Die Grausamkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wer am Ende mit allen bei der Geburt vorhandenen Körperteilen im Sarg liegen wollte, durfte nicht eine Sekunde darüber nachdenken, die Zahlung einer Schuld bei Obligation Hong aufzuschieben, und sei sie noch so klein.

    Huisu schuldete ihm allerdings inzwischen dreihundert Millionen, die Zinsen nicht eingerechnet. Trotzdem ging er im Kasino ein und aus und wechselte vor den Augen seines Gläubigers Bargeld in Spielmünzen, als wollte er ihn bewusst provozieren: Tja, ich habe Geld, aber nicht für dich, da staunst du, was?

    In Wirklichkeit hatte Huisu nicht die geringste Absicht, ihn auf die Palme zu bringen. Die widerwärtigen Methoden, die nun einmal die Geschäftsbasis von Obligation Hong waren, sein Brotverdienst sozusagen, waren ihm vollkommen egal. Huisu hatte einfach Lust zu spielen. Und mal ehrlich, dreihundert Millionen, so viel war mit Arbeit, auch mit harter Arbeit, nicht zu verdienen. Hier jedoch hatte er vor ein paar Monaten sogar dreihundertzwanzig Millionen gewonnen. Er war wie in Trance gewesen, jede Karte, die er umdrehte, war die richtige. Das Glück war ihm so hold, als hätte sich der Spielteufel auf seine Schulter gesetzt. Dreihundertzwanzig Millionen. Wenn er nach dieser Glückssträhne aufgehört hätte, wären seine gesamten Schulden beglichen gewesen. Es war zwar nicht genug Geld, um sein Hundeleben zu beenden und ein neues, sauberes Leben anzufangen, aber doch genug, um wieder Ordnung hineinzubringen und es ihm leicht zu machen. Selbstverständlich hatte Huisu es nicht geschafft, aus dem Spiel auszusteigen. An jenem Tag hatte das Glück seinen Gewinn auf dreihundertzwanzig Millionen hochgetrieben, um ihn anschließend ins Bodenlose fallen zu lassen. Er verlor alles, was er gewonnen hatte, und als sei das nicht schon genug, verschärfte Huisu seine Lage noch, indem er weitere hundert Millionen verspielte, die er sich bei Jiho lieh. So hatte er nun insgesamt, allein in diesem Kasino, bei Obligation Hong dreihundert und bei Jiho hundert Millionen won Schulden. Letztere würde Obligation Hong bald zum Freundschaftspreis von Jiho übernehmen, womit Huisu ihm dann vierhundert Millionen schuldete. Jeder andere Gangster hätte für so eine Summe bereits zehn Mal seine Arme und Beine verloren.

    Das Spiel war in vollem Gang. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, versuchte Huisu, langsam und bewusst zu atmen. Fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen, fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen … Mit dem Baccara war es genauso wie mit jedem anderen Spiel: Sobald man in Aufregung geriet, verlor man. Der Erregungspegel musste niedrig bleiben – sowohl wenn sich das Glück einstellte als auch wenn es sich davonmachte. Man musste auf seinen Emotionen reiten wie auf einer Welle. Ruhig machte Huisu seine Einsätze. Einatmen, ausatmen, einatmen …

    Nach einer knappen Stunde hatte er fünf Millionen won verloren, mit anderen Worten alles, was er bei sich gehabt hatte. Er zögerte kurz, ob er sich noch mehr Geld bei Jiho leihen sollte, doch als er die Uhrzeit sah, stand er auf.

    »Sie gehen schon?«, fragte Jiho.

    »Ja, ich habe zu tun.«

    Jiho sah sich kurz um, dann zog er ein Bündel Geldscheine aus der Innentasche seiner Jacke; über den Daumen gepeilt ungefähr eine Million won in Zehntausendern.

    »Was soll das?«

    »Ein Geschenk des Hauses, kleine Unterstützung. Jeder weiß, dass Sie in Guam der Meister aller Klassen sind, Großer Bruder Huisu. Ihre Brieftasche darf nicht leer sein.«

    »Ist schon okay.«

    »Bitte, nehmen Sie das.« Jiho stopfte ihm die Scheine in die Tasche, was Huisu mit gespielter Verlegenheit hinnahm. »Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg.«

    »Danke.«

    Als Huisu den Ausgang erreichte, versperrte ihm Obligation Hongs Leibwächter Changdo den Weg. Außer dass er Chinese war, wusste Huisu nichts über ihn. Weder, woher er kam, noch, was er früher gemacht hatte. Es gab keine Gerüchte über ihn. Dass aber ein Angsthase wie Obligation Hong nachts nur in Begleitung dieses Typen vor die Tür ging, ließ die Brutalität des Mannes erahnen. »Mein Boss will mit dir reden«, sagte Changdo in gebrochenem Koreanisch.

    Mit einem Blick auf die Uhr ging Huisu zu Obligation Hong, der Whisky schlürfend an seinem Tisch saß. Huisu nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber.

    »Willst du ein Glas?« Obligation Hongs Hand wanderte schon zur Flasche.

    Huisu winkte ab. »Was ist los?«, fragte er.

    »Du fragst mich, was los ist? Was soll zwischen uns schon sein, wenn nicht Geld?«

    Huisu sah ihn gleichgültig an. Zu diesem Thema hatte er ganz offensichtlich wenig zu sagen. Er wirkte so desinteressiert wie jemand, der zum x-ten Mal denselben Film sieht.

    »Bist verschuldet bis über die Ohren und willst hier den Klugscheißer spielen?«, fragte Obligation Hong mit einem irritierten Lachen.

    »Soll ich lieber heulen?«

    »Wenn man geliehenes Kapital nicht zurückzahlen kann, muss man wenigstens die Zinsen zahlen, bevor man sich wieder an den Spieltisch setzt, das ist ja wohl das Mindeste. Und bei dir habe ich nicht mal eine Hypothek verlangt. Aber wenn du jetzt auch noch anfängst, respektlos zu sein, Huisu, habe ich bei aller Geduld keine andere Wahl, als sehr, sehr böse zu werden.«

    »Auch unsereins muss essen. Und wenn ich Ihnen die Zinsen zahle, habe ich kein Geld mehr für Zigaretten.«

    »Hör auf mit dem Scheiß. Du hast dir gerade fünf Millionen abzapfen lassen.«

    Zum x-ten Mal sah Huisu auf die Uhr, dann gähnte er gelangweilt. »Wenn ich irgendwann den großen Coup lande, gebe ich Ihnen alles zurück. So eine Riesensumme kann man nicht abstottern, wie soll das gehen?«

    »Das war doch in Holland, oder? Wo dieser Junge mit einem Arm das Loch im Deich zugestopft hat? Kennst du die Moral von der Geschichte?«

    Huisu warf ihm einen blasierten Blick zu.

    »Wenn du ein noch so kleines Loch im Deich nicht schnellstens reparierst, stürzt am Ende der ganze Deich ein. Denn wenn er erst mal angefangen hat zu bröckeln, kann ihn nichts mehr halten, nicht mal ein Bulldozer.«

    »Wenn Sie predigen wollen, tun Sie das woanders«, entgegnete Huisu, genervt von dem dummen Gerede. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Und hören Sie endlich auf mit dem Gejammer, ich werde Ihr Geld schon nicht auffressen.«

    Obligation Hong lief puterrot an. »Wie bitte? Gejammer? Wie redest du mit einem Älteren?«

    »Verehrter Älterer, ich danke Ihnen für Ihre wertvollen Belehrungen, erlaube mir nun aber, Sie zu verlassen, weil ich zu tun habe. Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihren klugen Ratschlägen lauschen in der Hoffnung, dass ich dadurch ein dickeres Fell bekomme.« Mit diesen Worten stand Huisu auf.

    Obligation Hong, immer noch knallrot, funkelte ihn an. »Hör zu, Freundchen, ich rate dir, Vater Son weiterhin schön am Arsch zu kleben. Denn an dem Tag, an dem du das Mallijang verlässt, zahlst du brav alle Zinsen mit deinen Nieren und deinen Augen.«

    Huisu lachte angewidert. »Dreckskerl!«

    Und damit ging er ohne jede Eile zur Tür, auch wenn er die ganze Zeit spürte, wie sich Obligation Hongs hasserfüllter Blick in seinen Hinterkopf bohrte.

    Es war 17 Uhr 30, als Huisu den Wagen am Strand abstellte. Er ging zum Grillrestaurant und warf einen Blick in den Raum, den er reserviert hatte. Chef Gu und die Typen vom Zoll waren noch nicht da. Der Wirt begrüßte ihn und plapperte gleich los: Das Fleisch sei heute wirklich exzellent, er habe aber auch eine Sashimi-Platte vorbereitet, falls der eine oder andere Gast vielleicht doch lieber Fisch essen wolle. Huisu bedankte sich. Abwartend rieb der Mann wie eine Fliege die Handrücken aneinander. Schließlich gab er sich einen Ruck und fragte Huisu in diskretem Ton, ob er vielleicht wisse, wo man zu einem guten Preis einen Naturholzschrank kaufen könne, es gehe um die Hochzeit seiner Tochter. Zerstreut antwortete Huisu, er könne ihm da nicht weiterhelfen. Der Mann schien enttäuscht und versuchte es mit einer anderen Frage: Nachdem er vor ein paar Tagen Elektrogeräte für den Haushalt gesehen habe, unter der Hand importiert, wolle er gern wissen, ob es möglich sei, fünf japanische Reiskocher der Marke Elephant zu bekommen. Huisu sah ihn kalt an. Etwas verlegen erging sich der Wirt in Erklärungen, murmelte etwas davon, dass seine Tochter den Sohn einer Arztfamilie heirate, dass er befürchte, nicht genug Geld für die Aussteuer zu haben, dass die Reiskocher von Elephant die besten auf dem Markt seien und die Verwandten seines zukünftigen Schwiegersohns sich sicher sehr über einen davon freuen würden. Wieder blickte der Mann forschend in Huisus stummes Gesicht. Dann wagte er es, mit leiser Stimme anzumerken, sein künftiger Schwiegersohn komme aus einer erstklassigen Familie, und dass er fürchte, seine Tochter könne sich unterlegen fühlen. Heute verdienten er und seine Frau recht ordentlich, fuhr er fort, doch als seine Tochter klein gewesen sei, da sei das noch anders gewesen, und deshalb habe sie eine schwere Kindheit gehabt. Sie sei eine gute Schülerin gewesen, doch aufgrund der finanziellen Situation habe sie schließlich nur eine Berufsfachschule besuchen können, was er heute sehr bedauere.

    Huisu wurde langsam ungeduldig. Mit einem langen Seufzer antwortete er, dass er sich wegen der Elephant-Reiskocher erkundigen werde. Sofort hellte sich die Miene des Mannes auf. Huisu schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Wahrscheinlich eher mehr, denn Pünktlichkeit war nicht Chef Gus Sache. Auf einmal hatte Huisu einen fürchterlichen Durchhänger. Gern hätte er sich irgendwo hingelegt und kurz die Augen zugemacht. Aber wenn er blieb, würde er weiter das Geschwätz des Wirtes ertragen müssen, über seine ach so nette Tochter und den ach so vornehmen künftigen Schwiegersohn. Womöglich fragte er noch, ob auf der amerikanischen Militärbasis nicht ein Kühlschrank von General Electric aufzutreiben sei. Huisu stand auf und ging.

    Es war April

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