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Die Wiedergeborene
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eBook263 Seiten3 Stunden

Die Wiedergeborene

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Über dieses E-Book

Ein Autounfall verändert das Leben der extrovertierten Mila. Ihr bisheriger luxuriöser Lebensstil ist von einem Tag auf den anderen vorbei. Das junge Mädchen findet sich in Afrika wieder und wird hier Lada - die Wiedergeborene - genannt.Auf dem fernen Kontinent beginnt für Mila, die bisher stets im Mittelpunkt stand, ein anderes Leben - zunächst als Außenseiterin. Lada begibt sich auf die Suche nach ihrem alten Leben, ihren Wurzeln und findet unverhofft einen Weggefährten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Mai 2020
ISBN9783960742449
Die Wiedergeborene

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    Buchvorschau

    Die Wiedergeborene - Veronika Koth

    o

    Impressum:

    Personen und Handlungen sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.papierfresserchen.de

    © 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

    Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

    Telefon: 08382/9090344

    info@papierfresserchen.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Taschenbuchauflage 2017

    Titelbild: unter Verwendung von Bildern von © ilijaa + © javarman

    lizenziert AdobeStock

    Lektorat: Melanie Wittmann

    Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

    ISBN: 978-3-86196-689-0 - Taschenbuch

    ISBN: 978-3-96074-244-9 - E-Book

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    Inhalt

    Die Wiedergeborene

    Die Autorin

    Unser Buchtipp

    *

    Die Wiedergeborene

    Es klingelt. Eine Horde Jugendlicher, alle um die 16 Jahre alt, steht vor einem riesigen mintgrünen Haus. Das Gebäude ist groß, liegt in einem wohlhabenden Viertel irgendwo in Afrika und man sieht, dass die Besitzer reich sein müssen. Überall sind Verzierungen und das Baumaterial scheint teuer gewesen zu sein. Eine überdachte Veranda, die aussieht wie in einem Film, rundet den Traum von einem Haus ab.

    Ein Mädchen mit langen braunen Haaren und grünbraunen Augen öffnet die Tür. Es hat ein wunderhübsches Gesicht, das einem Engel gleicht, und eine traumhafte Figur. Die Bewohnerin lässt die anderen herein und begrüßt alle mit einem Kuss und einer Umarmung. Morgen ist ihr 16. Geburtstag, deswegen feiert sie heute mit ihren Freunden. Auf einem der aufwendig verpackten Geschenke klebt ein Zettel mit der Aufschrift:

    Für Mila! Alles Gute, Süße! Bussi, Mark.

    Das ist von ihrem Freund. Er ist groß gewachsen und man sieht seine Muskeln durch das eng anliegende T-Shirt blitzen. Jedes Mädchen würde sich auf so einen Jungen stürzen. Doch Mark und Mila sind seit einem Jahr ein relativ glückliches Pärchen, wenn man von dem einen oder anderen heftigen Streit absieht.

    Ihre Freunde haben sich alle viel Mühe gemacht, um Mila zu beeindrucken, es ist fast schon ein Konkurrenzkampf, wer das beste Geschenk für sie hat. Jeder will es ihr recht machen, sie ist das beliebteste Mädchen der Schule und jeder macht sofort das, was sie sagt. Diejenigen, die es nicht tun, werden von ihr wie Luft behandelt. Sie stellt hohe Ansprüche und sucht sich ihre Freunde ganz genau aus: Jugendliche mit reichen Eltern und einem sanften Charakter, damit sie machen, was Mila von ihnen verlangt. Die neun Mädchen und zwei Jungs, die momentan im Hausflur stehen, entsprechen mehr oder weniger ihren Vorstellungen und sind ähnlich eingebildet wie sie selbst, da sie ihr nacheifern.

    Nachdem die riesige Torte aufgegessen ist, macht sich Mila daran, die Päckchen zu öffnen. Von Nina bekommt sie ein teures Schmuckset, bestehend aus einer Kette, einem Armband und Ohrringen. Von ihrem Freund Mark eine Freundschaftskette mit einem halben Herzanhänger, er selbst hat den anderen Teil, und wenn man sie zusammenlegt, ergeben sie ein komplettes Herz. Von den anderen bekommt Mila eine Designerhandtasche, Andenken von verschiedenen Reiseorten, Kleidung und noch vieles mehr. Die meisten Geschenke entsprechen ihren Ansprüchen und sie zeigt sogar ein wenig Freude. Nach den obligatorischen Geburtstagsritualen gehen sie in den großen, renovierten Keller und veranstalten einen Discoabend, sogar inklusive einer riesigen Discokugel, die von der Decke baumelt. Doch die Feier geht irgendwann zu Ende und danach machen sich alle wieder auf den Heimweg.

    ***

    Die Feier? Ja, war ganz nett. Und die Geschenke? Na ja, geht so. Das Schmuckset sieht okay aus, aber doch ein wenig billig. Und diese Hose! Ist die aus einem Secondhandladen? Die werde ich sicher nicht tragen. Die Kette von Mark gefällt mir, sie hat sogar ein Siegel, damit man sieht, dass sie aus Gold gefertigt wurde. So etwas habe ich gern. Der Rest war auch akzeptabel. Die Torte hat zwar gut geschmeckt, doch Mama hat wieder mit der Glasur gespart und mit der Dekoration. So eine fünfstöckige Torte, das wär’s gewesen.

    Der Geburtstag insgesamt war in Ordnung, aber ich bin sicher, er hätte besser sein können. Doch das kann ich jetzt nicht mehr ändern. Ich verzieh mich jetzt besser ins Bett, denn morgen werde ich shoppen gehen. Da muss ich ausgeschlafen sein. Schließlich werde ich jeden einzelnen Laden abklappern und meine Geldbörse leer machen. Ich brauche so viele Sachen, ich könnte gar nicht alles aufzählen ...

    ***

    Sie hat eine Schwester und einen Bruder, beide können sie wegen ihrer Hochnäsigkeit nicht besonders leiden. Die Geschwister sind trotz des Reichtums der Familie am Boden geblieben und haben einen viel besseren Charakter als ihre Schwester. Auch ihrer Mutter geht Milas Art auf die Nerven und sie fragt sich oft, ob ihre Tochter anders wäre, wenn sie nicht so viel Geld hätten. Nichtsdestotrotz liebt die Mutter Mila sehr und hat viel Verständnis und Geduld mit ihr.

    Warum Mila so geworden ist, weiß keiner. Jedoch sind sich alle klar darüber, dass sie ihr liebes, braves Mädchen, das sie einmal war, zurückwollen und nicht die arrogante, eingebildete Tussi, die sie jetzt ist, um sich haben möchten.

    Früher war Mila ganz anders. Als sie ein kleines Kind war, hat die Familie viel unternommen, sie machten gemeinsam Ausflüge und hatten immer viel Spaß dabei. Jetzt hat Mila beinahe nur noch falsche Freunde und keiner aus ihrer Familie macht mehr freiwillig mit ihr einen Ausflug, geht mit ihr ins Café oder sonst wohin.

    Als kleines Kind wollte Mila immer eine Prinzessin sein und genau so mussten ihre Habseligkeiten auch aussehen: alles in Rosa, mit Glitzer und mit Prinzessinnenbildern verziert. Beinahe jedes Mal, wenn man sie sah, hatte sie ein Krönchen auf dem Kopf und pinke Kleidung an. Im Gegensatz zu heute, da Mila viel älter aussieht, als sie tatsächlich ist, kiloweise Make-up auf ihr Gesicht geklatscht hat, unpassende Kleidung in der Schule trägt und von ihrem Benehmen her unausstehlich ist.

    Im Alter von ungefähr elf Jahren war es, dass ihr Charakter sich völlig zu wandeln begann. Sie hasste mit einem Mal all jene Sachen, die sie bis zu diesem Zeitpunkt gemocht hatte, wollte alles wegschmeißen und es durch anderes ersetzen. Sie war bis dahin immer ein Mädchen gewesen, das gerne allein war und auch nicht immens viele Freunde hatte, doch seither hat sie mehr Freunde angesammelt, als man zählen kann, und ist so gut wie gar nicht mehr allein. Was genau diese Typveränderung verursacht hat, ist ungeklärt. Jedoch mochten die meisten Menschen Mila vorher lieber.

    Der nächste Morgen.

    Milas Geburtstag.

    Von den Geschenken braucht man nicht zu reden, denn Mila ist sowieso unzufrieden. Ihre Familie ist genervt von ihrer Art und ihrer Arroganz, genau wie die Lehrer. In der Schule wird ihr aus allen Richtungen ein freundliches „Alles Gute" entgegenposaunt und sie genießt es, im Mittelpunkt zu stehen und zu sehen, wie sich alle um sie herumdrängeln. Sie hat sich heute extra hübsch angezogen: ein Top mit Pailletten besetzt und eine sehr eng anliegende Jeans mit einem Schlangenmuster, das, wenn Licht darauffällt, schimmert und glitzert.

    Der Schultag vergeht schnell und Mila will eilig nach Hause, denn heute soll eine große Lieferung aus ihrem Lieblingsmarkenartikelonlineshop ankommen. Und tatsächlich: Vor der Haustür steht ein riesiges Paket.

    Mila packt es, rennt ins Haus und brüllt: „Mama, die bestellten Sachen sind endlich da!"

    Die Mutter rollt nur mit den Augen, als ihre Tochter angelaufen kommt. Im ersten Moment dachte sie wegen des Geschreis, es sei etwas passiert. Ein wenig genervt geht sie zurück in die Küche, doch sie ist froh, dass nicht wirklich etwas passiert ist. Sie könnte es sich nie verzeihen, wenn Mila etwas zustieße.

    Das Paket raschelt beim Auspacken. Zum Vorschein kommen ein Schal und eine Tasche von einem sehr teuren Designer, der weltberühmt ist. Mila hat dieses Paket schon mehr als sehnsüchtig erwartet.

    „Jetzt kann ich vor meinen Freunden angeben, ich bin so glücklich!"

    Doch die Freude hält nicht lange an, denn schon bald will das Mädchen das nächste Designerstück haben. Wie so oft ist Mila nicht mit dem zufrieden, was sie hat. Keinem macht es mehr Freude, ihr etwas zu schenken, denn wenn ein Geschenk nicht teurer als das vorherige ist, wird es als überflüssig und der Schenker als arm abgestempelt. Außerdem, wer schenkt schon gerne etwas her, wenn dies eigentlich jemandem eine Freude bereiten soll, doch genau das Gegenteil davon bewirkt?

    Mila zeigt nicht einmal bei Geschenken, die ihr gefallen, wirkliche Freude. Und man kann noch so gutmütig sein, spätestens in diesem Moment hat man keine Lust mehr.

    Als sie in der Schule gefragt wird, was sie denn bekommen habe, wie sie ihren Geburtstag verbracht hätte und vieles mehr, meint sie, dass alle Geschenke und Mitbringsel billig seien, und zeigt stolz ihre Designersachen her. Die Menschentrauben, die sich um sie herum gebildet haben, werfen einander verstörende Blicke zu und lösen sich nach und nach auf, bis nur noch wenige Jugendliche bei Mila zurückbleiben. Offensichtlich bemerken sie langsam, wie es um Milas Charakter wirklich bestellt ist.

    Diese versteht nicht, warum sie einfach stehen gelassen wird, doch sie denkt sich: „Alles nur Eifersucht! Ihr würdet wohl auch gerne so cool sein wie ich. Seid ihr aber nicht und es tut mir nicht leid, wenn ich die Wahrheit über eure Geschenke erzähle."

    Das erste Mal seit Jahren geht Mila ihren Mitschülern auf die Nerven und sie steht nicht mehr im Mittelpunkt. Sie sitzt sogar in der Pause allein auf ihrem Platz und bewundert zum gefühlt tausendsten Mal ihre Tasche und ihren Schal. Ihre Mitschüler und sogenannten Freunde schütteln nur die Köpfe und machen sich das erste Mal ernsthafte Gedanken über ihr Verhalten. Und über ihre Freundschaft.

    ***

    Was haben bloß alle? Warum muss ich allein sitzen? Können sie nicht jemand anderen als Opfer bestimmen? Sind alle so eifersüchtig auf meine Designersachen? Sollen sie sich doch auch welche kaufen, wenn sie ihnen so gut gefallen! Aber das ist noch lange kein Grund, mich wie Dreck zu behandeln. Das habe ich nicht verdient!

    Und wenn ihnen die Wahrheit über ihre Geschenke wehtut ... sie hätten es eben anders machen sollen. Jetzt ist es dafür zu spät. Aber ganz ehrlich: Ich brauche die anderen nicht. Ich habe mich und das genügt mir. Spätestens morgen werden sie mir ohnehin wieder an den Fersen hängen und wie kleine Hündchen nachlaufen.

    Ich habe auch außerhalb der Schule Freunde, und zwar richtige Freunde, nicht so komische Leute, wie es sie hier in der Schule gibt.

    ***

    Auch am nächsten Tag ist Mila wieder ganz alleine. Ein paar Mitschüler grüßen sie zwar, doch der Rest tut so, als wäre sie Luft. Sie geht voller Verzweiflung zu den Leuten, die sie gestern noch Freunde nannte, und stellt sich, die Hände in die Hüfte gestemmt, vor sie hin. Alle Blicke ruhen auf ihr.

    „Was habe ich euch denn getan, dass ihr mich wie Luft behandelt? Ich dachte, ihr seid meine Freunde? Ich verstehe euch nicht", keift Mila die anderen an.

    Die ihr Gegenüberstehenden werfen sich belustigte Blicke zu und wie auf Knopfdruck fangen alle an zu lachen und zeigen auf Mila.

    „Du bist einfach eine falsche Ziege. Wir haben dich durchschaut und nun keine Lust mehr auf dich. Wir lassen uns nicht mehr herumkommandieren, vor allem nicht von dir. Such dir neue Opfer, die du terrorisieren kannst", verspottet Nina sie hämisch und gibt ihr einen leichten Schubs, der ihr signalisieren soll, sich zu verziehen.

    Mila fühlt sich ausgestoßen und wird so wütend, dass sie ihrer ehemaligen Freundin eine heftige Ohrfeige gibt. Ihre Hand trifft jedoch die Nase, sodass sie sofort zu bluten beginnt. Tränen rinnen über Ninas Wangen, sie stürzt hastig zum Waschbecken und reinigt ihr verschmiertes Gesicht.

    Alle Augen sind auf Mila gerichtet. Keiner kann glauben, was sie gerade gemacht hat, das hätte keiner von ihr erwartet. In dem Moment kommt ein Lehrer in den Klassenraum, weil er das Geschrei gehört hat.

    Nina erklärt, was vorgefallen ist, und der Lehrer schleift Mila ins Direktorat, wo der Schulleiter sie prompt wegen ihres aggressiven Verhaltens zur Rede stellt. Sie versucht sich herauszureden, doch der Direktor mag sie ebenfalls nicht sonderlich und glaubt ihr deshalb nicht. Sie bekommt einen Eintrag ins Klassenbuch und ihr wird mitgeteilt, dass ihre Betragensnote sehr schlecht ausfallen wird. Der Vorfall ist sehr peinlich und unangenehm für Mila, doch sie kann das Geschehene nicht rückgängig machen. Es werden sogar ihre Eltern verständigt.

    Sie erwartet zu Hause ein riesiges Donnerwetter, weil sie weiß, dass ihre Eltern nichts von Gewalt halten. Das wird alles andere als lustig werden, das ist Mila klar, doch sie ist selbst schuld.

    Ihre Klassenkameraden lachen über ihr Pech, andere sind schockiert und halten auffällig viel Abstand zu dem Mädchen. Nur wenige Mitschüler fragen, was passiert ist, da sie nichts mitbekommen haben. Mila hat jedoch keine Lust, irgendetwas zu erklären, und wegen ihrer schlechten Laune vergrault sie sogar noch ihre letzten Freunde.

    Wie erwartet gibt es zu Hause eine gigantische Diskussion und Mila wird mit Taschengeldentzug und Handyverbot für einige Wochen bestraft. Sie kann nicht fassen, dass ihre Eltern ihr das antun, doch je mehr sie sich dagegen wehrt, umso strenger reagieren sie.

    Einige Wochen sind vergangen und von Milas Beliebtheit ist in der Schule nichts mehr zu sehen. Zwar reden einige Freunde wieder mit ihr, dennoch steht sie nicht mehr im Mittelpunkt und es dreht sich nicht mehr alles um sie. Anscheinend sind die meisten draufgekommen, dass Mila nicht so ein perfekter Mensch ist, wie sie alle angenommen haben.

    Endlich ist wieder ein Schultag zu Ende und Mila macht sich allein auf den Weg nach Hause. Sie geht wie gewohnt mit Kopfhörern auf den Ohren die Straße entlang und hört ihren Lieblingshit, als plötzlich ein Auto um die Ecke zischt. Ein grüner Porsche mit einem anscheinend betrunkenen Fahrer am Steuer. Er beachtet Mila nicht und sie hört so laut Musik, dass sie ebenfalls nichts sieht und nichts hört. Das Auto kommt immer näher und wird nicht langsamer.

    ***

    Mir verschwimmt alles vor den Augen. Mein Kopf tut weh und ich habe ein seltsames Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Wo bin ich überhaupt, was ist passiert?

    Ich schaue mich um und entdecke ein teures grünes Auto und daneben einen Menschen. Dieser steht jedoch nicht, sondern liegt am Boden und blutet. Ich renne hin und es fühlt sich an, als ob ich auf Wolken laufe. Ich glaube, den Boden nicht zu berühren.

    Als ich näher komme, erkenne ich die Person, die dort auf der Straße liegt. Das bin ich. Ich liege im staubigen Asphalt der Straße und sehe nicht sehr lebendig aus. Ich schaue an mir selbst hinunter und greife mir an den Bauch, doch meine Finger fassen ins Leere. Ich kann durch mich hindurchgreifen, und zwar an jeder Stelle meines Körpers. Was ist passiert? Wieso liege ich dort? Bin ich tot? Was soll das Ganze hier?

    In Biologie haben wir über Nahtoderfahrungen gesprochen, doch das ist nur ein Albtraum, oder?

    Plötzlich hört mein starres Ich auf der Straße auf zu atmen. Ich spüre etwas, das sich wie ein Stich in meiner Brust anfühlt, woraufhin die Welt unscharf wird und verschwindet. Ich versuche mich dagegen zu wehren, doch ich habe keine Chance. Ich glaube, jetzt bin ich wirklich tot.

    ***

    Mädchen mit Kopfhörern von betrunkenem

    Fahrer überfahren ‒ tot!

    So lautet die Schlagzeile, die die Tageszeitung am nächsten Morgen auf das Titelblatt gedruckt hat.

    Milas Familie traute ihren Ohren nicht, als plötzlich ein Polizist vor der Tür stand und die schreckliche Nachricht verkündete. Alle brachen in Tränen aus und waren völlig verzweifelt. Doch gegenüber dem Schicksal und dem Geschehenen sind sie machtlos. Besonders traurig, geschockt und erschüttert ist Milas Mutter. Wie soll sie diesen Verlust verkraften? Sie wird die eigene Tochter nie wiedersehen, das zu wissen, macht sie noch trauriger.

    Es ist eine Woche seit dem tragischen Unfall vergangen und heute ist Milas Begräbnis. Einige Leute aus der Schule sind gekommen, um sich von dem einst beliebten Mädchen zu verabschieden.

    Manche Mitschüler sind wirklich traurig, einige jedoch haben ganz andere Gedanken: „Die Anführerin ist weg, jetzt dürfen sich alle an mich hängen!" So ist die Jugend von heute.

    Auch wenn Milas Beliebtheit in letzter Zeit gesunken ist, einige echte Freunde hatte sie, und die sind traurig, dass sie die Zeit mit ihr nicht besser genutzt haben, doch wer hätte mit Milas plötzlichem Tod gerechnet?

    Am meisten trauert immer noch ihre Mutter. Sie war eine der wenigen, die ihre Tochter trotz ihres schwierigen Charakters nie aufgegeben und sie immer geliebt hat, auch wenn sie das nicht immer zeigen konnte. Und jetzt ist ihr ihre Tochter genommen worden. Trotzdem wird das Leben nach einiger Zeit normal weitergehen. Auch wenn der Augenblick scheinbar fernliegt, früher als gedacht wird er eintreten. Und dann wird alles weiterlaufen. Als wäre nichts geschehen.

    ***

    Afrika.

    Ein anderer Ort.

    Ein anderes Gebiet.

    Eine andere Vegetation.

    Es ist unerträglich heiß und es hat viel zu lange Zeit nicht mehr geregnet. Der Boden ist trocken und hat bereits einige Risse. Vereinzelt liegen Tierskelette herum. Man sieht kaum eine Pflanze, höchstens ein paar Bäume und ein wenig Gras.

    Inmitten dieser einsamen Umgebung liegt ein Wesen, dessen Brust sich hebt und senkt. Es kämpft mit der Hitze. Es ist ein Neugeborenes, ein Mädchen. Doch es ist nicht wie alle Einwohner in diesem Land dunkelhäutig, sondern besitzt einen hellen Teint. Es ist nicht dafür gemacht, in der Sonne zu liegen und zu sterben.

    Seine Atemzüge werden immer schwerer, als plötzlich eine Gruppe beinahe schwarzhäutiger Menschen herankommt. Das kleine Wesen bleibt nicht unbemerkt, eine jung aussehende Frau, kaum ein Stück Stoff bedeckt ihren fast nackten Körper, rennt hin und nimmt das anders aussehende Kind in den Arm. Obwohl ihre Kameraden protestieren und meinen, das Baby sei vom Teufel geschickt worden, nimmt sie es mit ins Lager.

    Die Mitglieder der Himba reagieren fast alle negativ auf das weiße Kind, als die junge Frau namens Akia mit ihm Stammesland betritt. Es handelt sich um ein kleines Volk, das sein Lager ein gutes Stück entfernt von der Fundstelle des Babys aufgeschlagen hat, ganz in der Nähe liegt ein Stückchen Urwald. Sie haben kaum zu essen und leben auch sonst sehr bescheiden, altmodisch, und sind auf die Natur angewiesen. Akia ist die Frau eines Schamanen, eines Geisterbeschwörers und Medizinmannes. Er ist einer der angesehensten Männer des Stammes, deshalb darf Akia das weiße Menschlein behalten. Der Schamane jedoch meint, dass es ein Kind ist, das schon einmal auf dieser Welt gelebt hat. Keiner weiß, wieso er diese Vermutung aufgestellt hat, doch er ist der Medizinmann, niemand würde es jemals wagen, eine seiner Aussagen anzuzweifeln. Aus diesem Grund besteht der Schamane darauf, dass das Mädchen Lada heißen soll. In der Sprache der Himba bedeutet dieser Name: Die Wiedergeborene.

    Die ersten zwei, drei Jahre wurde Lada von allen Seiten schief angeschaut, ihre Hautfarbe und die unbekannte Herkunft waren die Hauptgründe dafür. Inzwischen ist sie sechs Jahre alt und benimmt sich wie ein echtes Stammesmitglied.

    „Hast du den Topf schon geholt, Lada?", fragt ihre Mutter Akia, deren Name so viel wie Die Erstgeborene bedeutet. Sie war es, die Lada als Baby das Leben ermöglichte. Ohne diese Frau wäre die Kleine vermutlich als Säugling bereits gestorben.

    Das Essen ist sehr knapp und viele Stammesmitglieder müssen Hunger leiden. Die Kinder sind unterernährt und viele sterben bereits in jungen Jahren, auch die Erwachsenen kämpfen täglich ums Überleben. Bei jedem sieht man die Rippen deutlich hervorstehen und der restliche Körper besteht ebenfalls nur aus Haut und Knochen.

    Lada jedoch tut alles, um den anderen zu helfen, sich selbst setzt sie stets an die letzte Stelle. Wenn sie an einem Tag mehr Nahrung als ein anderes Stammesmitglied erhält, geht sie hin und teilt die ohnehin kleine Menge noch auf. Sie benimmt sich mit ihren sechs Jahren bereits erwachsener als manch anderer im Stamm. Inzwischen ist ihre Hautfarbe kein Thema mehr, sie wird von allen akzeptiert und gemocht, so wie sie ist.

    Ihr Vater Tijani, dessen Name so viel wie Bote des Propheten bedeutet, ist ein sehr weiser und angesehener Mann und immer noch der Schamane des Dorfes, keiner würde sich trauen, über ihn ein schlechtes Wort zu verlieren.

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