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Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2: Band zwei: Die Entwicklung des Denkens
Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2: Band zwei: Die Entwicklung des Denkens
Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2: Band zwei: Die Entwicklung des Denkens
eBook524 Seiten6 Stunden

Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2: Band zwei: Die Entwicklung des Denkens

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Über dieses E-Book

In Band zwei der "Illustrierte Wanderungen durch das Denken" führt der Autor Sie durch die wunderbaren Landschaften der modernen Wissenschaften. In diesem Buch werden die benötigten Basisbegriffe zugänglich erklärt und die Geheimnisse der Relativitätstheorien gelüftet. Man versteht nicht nur besser wie diese Art von Mathematik funktioniert, es wird auch klar warum sie wichtig ist. Niemand braucht davor zurückzuschrecken seine Texte über Mathematik und Physik zu lesen: Sie sind auch ohne besondere Vorkenntnisse verständlich. Die Welten der Quantenmechanik und des Universums werden auf ähnliche Weise erklärt. Es kommt auf den Zusammenhang an um das ganz Kleine und das ganz Große zu verstehen. Diese Fortschritte im menschlichen Denken haben aber eine gefährliche Nebenwirkung: die Entfremdung. Wie konnte es dazu kommen?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Apr. 2020
ISBN9783751910453
Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2: Band zwei: Die Entwicklung des Denkens
Autor

Huub B. Hilgenberg

Hubertus B. Hilgenberg ist Philosoph und Wissenschaftler. Unsere gegenwärtigen Herausforderungen bedürfen eines holistischen Blicks um die Probleme in ihrem Kontext zu verstehen und Auswege zu finden.

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    Buchvorschau

    Illustrierte Wanderungen durch das Denken 2 - Huub B. Hilgenberg

    Inhalt

    Der Anlass

    Danksagung

    Wissenschaftsphilosophie

    Fakten, Meinungen und Vermutungen

    Sprache

    Was ist ein Naturgesetz?

    Realismus oder Idealismus?

    Mathematik

    Was ist eigentlich Mathematik?

    Zahlen und Räume

    Der Zufall und die Unendlichkeit

    Mathematik in der Welt der Automatisierung

    Es gibt keinen Weizen ohne Spreu

    Zukunftsprognosen

    Die Spezielle Relativitätstheorie (SRT)

    Zeitdilatation und Längenkontraktion

    Raumzeitdiagramme und was sie uns sagen

    Die allgemeine Relativitätstheorie (ART)

    Zeitdilatation und Längenkontraktion unter der ART

    E=mc²

    Quantenmechanik

    Der Anfang

    Die vier fundamentalen Naturkräfte

    Die Quantenteilchen

    Kernspaltung und Kernfusion

    Erstaunliche Experimente

    QM Interpretationen und Erklärungsversuche

    Die Bell’sche Ungleichung

    Die Quantengravitation

    Die String- und Superstring-Theorien

    Höhere Dimensionen

    Grundlagen der quantenmechanischen Mathematik

    Feynman-Diagramme:

    Wahrscheinlichkeiten der QM-Prozesse

    Die Zeit und die Raumzeit

    Die Welt aus Sicht der Quantentheorie

    Nochmal: was ist eigentlich Mathematik?

    Astronomie

    Eine kurze Entstehungsgeschichte des Universums

    Die Entstehungsgeschichte der Erde

    Schwarze, Weiße und Wurmlöcher

    Multiversen

    Das holographische Multiversum; das Spiel mit den Dimensionen

    Dunkles Universum, was ist los mit der Schwerkraft?

    Es gibt eigentlich nur Zahlen ….?

    Sind wir allein im Universum?

    Die entfremdete Wirklichkeit

    Entfremdung und Fetischismus

    Entfremdung als Folge der Kultur

    Wissenschaft in der Krise

    Die Entfremdung von unserem Wissen

    Der Mensch, das Tier das weiterdenkt

    Evolution und Gesellschaft

    Wissenschaft und Technik

    Immer weiter?

    Empfehlungen zum Weiterlesen

    Übersicht der Abbildungen:

    Umschlag: Die Geschwister

    Sudoku

    Die Zeit

    Das Doppelspalt-Experiment

    Die Kulissenlandschaft

    Richtungslos

    Die unerträgliche Leichtigkeit des Daseins

    Maske 1 und 2

    Der Mittelpunkt

    Der Anlass

    In diesem zweiten Teil der »Illustrierte Wanderungen durch das Denken« handelt es sich um drei Bereiche die nah miteinander verwandt und ein Beispiel für die Leistungen des modernen menschlichen Denkens sind: Mathematik, Quantenmechanik und Astronomie. Diese drei Fachgebiete haben unseren Blick auf die Welt grundlegend verändert. Seit der homo sapiens in die Welt blickte, vertraute er auf seine Sinnesorgane. Der moderne Mensch hat jedoch seit den Entdeckungen von Max Planck und Albert Einstein und der darauf folgenden Entwicklung der Wissenschaften gelernt, nicht länger kritiklos dem was unser Körper wahrnimmt zu vertrauen, sondern besser über die verschollene Logik hinter den Wahrnehmungen nachzudenken.

    Je weiter wir von den Fähigkeiten unserer Sinne entfernt sind, desto mehr brauchen wir unsere Vernunft um die Wahrnehmungen und die Messergebnisse richtig zu interpretieren. Logisches und widerspruchfreies Denken muss man mehr denn je einsetzen.

    Oft wird die Mathematik nur als Hilfswissenschaft zur Unterstützung anderer Forschungsbereiche betrachtet obwohl sie sich seit dem achtzehnten Jahrhundert zunehmend eigene Ziele gesetzt hat. Wenn man über moderne Physik und Astronomie spricht, ist die unterstützende Rolle sicherlich der Fall. Auch bei der Wirtschaftslehre, Biologie und Chemie braucht man rechenkundiges Verständnis um verstehen zu können wie diese Kenntnisgebiete sich weiterentwickelt haben. Gerade bei der Quantenmechanik und der Astronomie hat sie jedoch eine noch viel wichtigere Rolle bekommen: Um die Phänomene überhaupt zu verstehen, ist eine abstrakte Abbildung der Wirklichkeit unverzichtbar. Ein Schwarzes Loch zum Beispiel ist furchterregend und kaum direkt wahrnehmbar. Nur mit zahlenmäßigen Modellen und Formeln kann man einigermaßen verständlich machen was da eigentlich vorgeht. Die Wirklichkeit, sowohl im ganz Großen als auch im ganz Kleinen, kann gar nicht mehr ohne Erklärungen aus der Mathematik erfasst werden: sie ist die einzige Sprache, die dazu geeignet ist die Entitäten und Ereignisse genau genug zu beschreiben. Diese Vorgehensweise bringt freilich auch Risiken mit sich. Die Rechenkunst ist eine rein logische Wissenschaft; man kann sie betreiben ohne jegliche Beziehung zu der Wirklichkeit. Ein Beispiel dafür liefert uns die spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein. Gemäß dieser Theorie brauchen zwei Ereignisse, die wir als gleichzeitig empfinden, überhaupt nicht gleichzeitig geschehen zu sein! Was wir wahrnehmen ist also nicht in Übereinstimmung mit der Theorie; also stellt sich die Frage wer Recht hat: Unsere Sinne oder eine von uns aufgestellte Theorie. Nur sehr genaue Messungen konnten uns hier die richtige Antwort liefern. In der Quantenmechanik messen wir Vorgänge die noch weiter von unserer Vorstellungskraft entfernt sind. Auch hier stellt sich eine ähnliche Frage: sollten wir unserer Logik glauben oder doch lieber den abstrakten Modellen, die zumindest teilweise eine schlüssige Antwort darstellen.

    Ein zweites Merkmal der Mathematik ist ihre Neigung die Aussagen so allgemein wie möglich zu machen. Wir sind daran gewöhnt in einem dreidimensionalen Raum zu leben. Im Prinzip haben alle Gegenstände drei Abmessungen: eine Länge, eine Breite und eine Tiefe. Manchmal können wir eine der drei Abmessungen vernachlässigen; wenn wir uns z.B. ein Blatt Papier anschauen, sehen wir nur eine Länge und eine Breite, die Dicke des Papiers interessiert uns nicht. Mehr als drei räumliche Dimensionen sind uns jedoch total fremd. Mathematiker definieren Objekte in einem Raum mit Koordinaten; jede Abmessung bekommt eine Zahl. Statt einer dreidimensionalen Räumlichkeit, sprechen sie am liebsten über Räume mit n-Dimensionen, wobei n beliebig groß sein darf. Eine Beziehung mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit geht dann sofort verloren; die rechnerischen Formeln sollten allerdings korrekt bleiben. Die Bedeutung dieser Formeln bleibt jedoch auf der Strecke, ein Problem, dem wir uns regelmäßig stellen müssen. Was bedeutet eine rein mathematisch fundierte Behauptung eigentlich?

    Um das alles besser zu verstehen sollte man sich erst im Klaren sein, was die wahre Art der Rechenkunst eigentlich ist und was deren Nutzen und Grenzen sind. Schon bald wird man feststellen, dass sie im letzten Jahrhundert eine gewaltige Entwicklung durchgemacht hat, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in ihren Anwendungen. Im Grundlagenwissen haben Rechenmeister wie David Hilbert und Gottlob Frege versucht die fundamentalen Schwächen zu beseitigen indem man eine neue Fundierung entworfen hat. Tausende Jahre lang hat man mit Zahlen gerechnet die der Natur entliehen waren: die natürlichen Zahlen. Der Vorteil dieser Zahlen ist das jeder sich sofort eine Vorstellung ihrer Bedeutung machen kann. Für eine Weiterentwicklung der Mathematik war es anfangs des zwanzigsten Jahrhundert wichtig alle Widersprüchlichkeiten zu beseitigen. Das beinhaltete unter anderem die Einführung ganz neue Zahlenarten. Neue Anwendungen, wie sie in den Relativitätstheorien oder der Quantenmechanik gebraucht werden, sind auf diesen neuen Zahlen gegründet um sicher zu stellen, dass die Grundlagen stabil und richtig sind. Vielleicht hat sich deshalb Albert Einstein einmal zu der Aussage hinreißen lassen: » Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr«.

    Gerade in der Quantenmechanik liefern die Rechenmeister die zentralen Voraussetzungen. Das ganze abstrakte Gebilde, womit das Verhalten der Elementarteilchen beschrieben wird, fordert einen neuen Formalismus. Mit unserer tagtäglichen Logik können wir diese Welt nicht verstehen, auch viele Wissenschaftler haben es schwer sich mit einer anderen Logik vertraut zu machen. Wenn man allerdings die richtigen Postulate benutzt ist man trotzdem in der Lage, Quantenzustände zu beschreiben, zu interpretieren und vorherzusagen. In wie weit die mathematische Beschreibung der Wirklichkeit entspricht bleibt dennoch eine offene Frage und ist der Grund, weshalb es so viele unterschiedliche Interpretationsversuche gibt. Auch philosophisch gesehen ist die Welt der Elementarteilchen interessant weil es erneut alte Fragen über Realität, räumliche Position, Masse und Modelle zu beantworten gibt. Gerade die Kombination unterschiedlicher Sichtweisen macht die Welt der kleinstmöglichen Teilchen so faszinierend, es ist als ob man einen anderen Planeten mit völlig anderen physikalischen Gesetzen betritt. Nicht verwunderlich dass mancher sich entfremdet fühlt.

    In der Astronomie kommt vieles von dem was wir aus Mathematik und Physik wissen zusammen. Dieses Fachgebiet ist eine schöne Illustration dafür was man erreichen kann, wenn mehrere Fachgebiete zusammenarbeiten. Neue Perspektiven werden eröffnet: bisher unbekannte Planeten, unendlich ferne Sterne und Galaxien. Dort in der Ferne spielen sich Ereignisse ab die uns auf Erden nie begegnet sind; angsterregende aber auch wunderschöne. In den Himmel blicken heißt gleichwohl sich besser unserer Position und Bedeutungslosigkeit bewusst zu werden. Es regt zum Nachdenken über das was uns wirklich wichtig ist und uns zu bedeuten hat an. Hat es überhaupt einen Belang? Sind wir nur zufällig da, oder hat unser Dasein einen besonderen Sinn und wenn ja, für wen? Können wir diese Frage überhaupt beantworten? Nachdenken über das Wissen heißt auch, nachdenken über das nicht-Wissen oder das Nicht-Wissen-Können.

    In der Planung steht noch Teil drei: »Die Zukunft des Denkens«. Ich werde untersuchen ob unsere Fähigkeiten ausreichen um die Zukunft zu bewältigen. Klar ist jedenfalls, dass ein Denken aus der Vergangenheit nicht genügt. Außer einer ständig wachsenden Beschleunigung spielt eine zunehmende Komplexität die Hauptrolle wenn es um Zukunfts-Szenarien geht. Daher bleiben uns eigentlich nur zwei Lösungsansätze: Entweder die Zukunft nach unseren Denkfähigkeiten gestalten und alle damit verbundenen Risiken im Kauf nehmen, oder unsere Denkleistungen verbessern.

    Wir haben die Wahl.

    Danksagung

    Dieses Band zwei der Wanderung ist das Ergebnis großer Anstrengungen mehrerer Personen. Alle Mitglieder der philosophischen Runde habe ich zu danken für ihre Beiträge in unserer Runde. Die Vielseitigkeit der Meinungen ist eine unerschöpfliche Quelle meiner Inspiration gewesen.

    Mein Besonderer Dank geht an meinen Studienfreund Gerrit Terink, der die Textvorschläge über Quantenmechanik überprüft hat, und an Eckhard Froese, der mir sehr geholfen hat meine Gedanken verständlich und einwandfrei zu formulieren.

    Die virtuelle Wandergruppe durch das Denken ist in diesem Band zwei immer noch unterwegs. Ihre Erfahrungen habe ich kurz zusammengefasst und am Anfang jedes Kapitels festgehalten. Alle Namen, Aussagen und Ereignisse der Gruppe sind frei erfunden. Jegliche Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist Zufall.

    Fußnoten und Verweisungen habe ich am Ende jedes Kapitels zusammengefasst. In dem betreffenden Text sind sie als (x) markiert. Das letzte Kapitel enthält eine Liste von Büchern, die ich zum Weiterlesen empfehlen kann.

    Wissenschaftsphilosophie

    »Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen« (1).

    Wissenschaftler sammeln Daten und sind immer auf der Suche nach der besten Erklärung ihrer Wahrnehmungen. Philosophen fragen sich ständig was eigentlich eine »beste Erklärung« heißen darf. Wer das Buch »Der Name der Rose« von Umberto Eco gelesen hat, hat Bekanntschaft mit dem scharfsinnigen Mönch William von Baskerville gemacht, von dem Autor nach seinem Vorbild der Franziskaner Mönch William von Ockham (1287-1347) beschrieben. Der letztere hat mit seinem Messer Furore gemacht: Ockhams Rasiermesser. William von Ockham spielte eine wichtige Rolle in dem mittelalterlichen Universalienstreit. Die Denker des Mittelalters waren sich uneinig ob Allgemeinbegriffe (abgeleitet von den Platonischen Ideen) wirklich existieren. Unser William bezog eine extrem nominalistische Position: Die Nominalisten sind davon überzeugt, dass Allgemeinbegriffe nur gedankliche Konstruktionen sind und nicht wirklich existieren. Ockhams Rasiermesser hat in der Wissenschaftsphilosophie die Bedeutung bekommen dass die einfachste Theorie (oder Erklärung) im Prinzip auch die beste Theorie ist. Wenn man alles Überflüssige wegschneidet, bleibt nur noch die Wahrheit übrig. Der britische Detektiv Sherlock Holmes hantierte bei seiner Suche nach dem Täter des Verbrechens in gleicher Weise.

    Trotzdem zeigt Ockhams Messer uns nicht immer den Weg zu der besten Theorie, denn wie weiß man genau was überflüssig ist? Die Schwierigkeit im Umgang mit Theorien ist, dass sie die Folge von reinem Denken sind. Natürlich, am Anfang einer neuen Theorie stehen meistens eine Frage und eine Reihe von Versuchsdaten. Die Herausforderung ist, diese Daten zu erklären. In dieser Phase der Forschung braucht man seine Vorstellungskraft und logische Vernunft um Fakten mit einer Erklärung zu ergänzen. Wo das einbildende Denken ins Spiel gebracht wird, ist das Begehen von Fehlern eigentlich kaum zu vermeiden. Mit als Folge dass in der Physik bereits akzeptierte Theorien regelmäßig von anderen, die zu einer noch besseren Erklärung imstande sind, abgelöst werden. Unser Wissen, muss man daher sagen, ist nur ein vorläufiges Wissen.

    In der Physik enthält eine Theorie meistens eine Anzahl von widerspruchsfreien und zusammenhängenden Formeln. Viele Theorien, wie die Gravitationstheorie, haben eine lange Geschichte. Die Denker im antiken Griechenland hatten ein geozentrisches Weltbild: Die Erde stand im Mittelpunkt. Deshalb war Aristoteles der Meinung dass die Gravitation eine Schwerkraft ist die alle Elemente zum Mittelpunkt der Erde treibt. Deshalb sprechen wir immer noch über die Schwerkraft wenn wir die Gravitation meinen. Solange wir auf Erden bleiben ist das kein Problem weil die Anziehungskraft der Erde die aller anderen Massen normalerweise mehrfach übertrifft. Erst Nikolaus Kopernikus erweiterte 1543 die Gravitationstheorie bis ins Weltall, er ging davon aus, dass alle Himmelskörper eine Anziehungskraft ausüben. Das Heliozentrische Weltbild revolutionierte die Naturwissenschaften; ein neues Zeitalter der Astronomie hatte angefangen. Auf Grund biblischer Zitate versuchte mancher die neue Theorie zu wiederlegen. Außerdem: Wenn sich die Erde mit großer Geschwindigkeit um die Sonne drehen würde, müsste man doch einen ständigen Fahrtwind spüren und müssten Steine doch schräg zur Erde fallen? Erst die Beobachtungen von Galileo Galilei und die Berechnungen von Johannes Kepler konnten die Kollegen überzeugen, aber da waren wir in der Geschichte schon viele Jahre weiter. Das Gravitationsgesetz von Isaac Newton gab den Beobachtungen eine mathematische Fundierung, das Newtonsche Gravitationsgesetz: Die Anziehungskraft F zweier Massen (m1 und m2) ist gleich:

    F = G (m1*m2)/r²,

    wobei G die Gravitationskonstante und r der Abstand zwischen den beiden Massen ist. Newton war klar, dass diese Anziehungskraft überall im Universum gleichermaßen seinen Einfluss ausübte. Die Bahnen von Planeten und des Mondes konnten berechnet werden, genauso wie die Fallgeschwindigkeiten von Gegenständen auf der Erde. Ohne die Anziehungskraft zwischen der Erde und ihrem Himmels-Trabanten würde letzterer sich einfach geradlinig von uns entfernen. Newton konnte die Wirkung der Gravitation zwar wahrnehmen und berechnen, wie sie jedoch genau funktionierte konnte er nicht sagen; er war darüber nur verwundert. Seine Theorie hielt lange stand und auch heutzutage wird das Newtonsche Gravitationsgesetz noch häufig benutzt. Albert Einstein jedoch zeigte Anfang des zwanzigsten Jahrhundert, dass Newtons Theorie unter ganz extremen Bedingungen, wenn es zum Beispiel um die Beeinflussung des Lichts durch die Sonne geht, nicht ausreicht. Einstein wählte andere Ausgangspunkte und kam mit einer ganz anderen Theorie: Die Allgemeine Relativitätstheorie (ART). Wir werden diese noch ausführlicher besprechen.

    Außer Formeln enthält ein physikalisches Gesetz einen Text oder auch mehrere Prinzipien um Ausgangspunkte und Wirkungsgebiet zu beschreiben. Wie schwierig das manchmal ist lässt sich beim Mach`schen Prinzip, genannt nach Ernst Mach, illustrieren. Er wehrte sich gegen Newtons` Idee eines absoluten Raums. Mach behauptete dass alle Bewegungen nur relativ zu anderen Körpern zu definieren sind; es gibt also kein bevorzugtes System um Bewegungen zu bestimmen. Eine Idee, die Einstein aufgriff als er seine ART entwickelte. Diese Idee ist schwer in Worte zu fassen, es gibt also mehrere Beschreibungen. Jeder Physiker weiß dennoch genau was damit gemeint ist. Die Sprache spielt folglich bei Theorien eine wichtige Rolle, sie ist aber zugleich ihre Achillesferse.

    Man hat Vermutungen, Meinungen, Fakten (und seit kurzem auch die vielbesprochenen alternativen Fakten, die wir dennoch weiter außer Acht lassen). Wenn es um Forschungsdaten geht, reden wir gerne ausschließlich über objektive Fakten. Meinungen und Fakten sollten also immer klar voneinander zu unterscheiden sein. Danach sollten Fakten in einer eindeutigen Sprache bewertet und erklärt werden. Dieses Vorgehen beinhaltet zwei Aspekte: die Sache worüber man redet und die Sprache die man dafür benutzt. Wie kann man sicher sein die richtigen und eindeutigen Aussagen zu machen? Die Wissenschaftsphilosophie kann uns dabei helfen.

    Fakten, Meinungen und Vermutungen

    Der bekannte amerikanische Physiker Richard Feynman (1918-1988) sagte mal dass die Wissenschaftsphilosophie für die Wissenschaft genau so viel Bedeutung hat wie die Ornithologie für die Vögel. Feynman hatte oft recht, dennoch meine ich dass er hier reinen Unsinn verkündigt hat. Die Wissenschaft lebt von Fakten, denn nur auf Grund von Fakten kann man die Wirklichkeit objektiv beschreiben. Was man allgemein gesprochen unter Fakten versteht ist eine Beschreibung der Realität, und zwar möglichst objektiv. Wenn man demnächst seine Beobachtungen klar und eindeutig definieren kann, hat man diesen Teil der Wirklichkeit doch gut beschrieben, oder?

    Dass die Wirklichkeit manchmal völlig anders sein kann, beweist folgendes Beispiel (2). Ein Kriminalbeamter möchte gerne untersuchen ob Ausländer häufiger Straftaten begehen als Inländer. Schon diese Fragestellung zeigt eine gewisse Kausalitätserwartung und die Ergebnisse seiner statistischen Untersuchung bewahrheiten scheinbar seine Voreingenommenheit. Er findet heraus, nachdem er die gesamten Kriminalitätsdaten analysiert hat, dass Ausländer fast zweimal öfters Straftaten begehen als Inländer. Was er jedoch übersieht ist die Tatsache dass in einer bestimmten Stadt, wo die Kriminalität besonders hoch ist, außerordentlich viel Ausländer wohnen. Pro Einwohner jedoch ist auch dort kein Unterschied zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu messen. Weil diese Daten rücksichtslos in die Gesamtzahlen aufgenommen wurden, konnte eine falsche Schlussfolgerung gezogen werden. Das aggregieren von Zahlen erzeugt nicht bestehende Zusammenhänge; kombiniert mit den Vorurteilen des Untersuchers ergibt sich eine scheinbar unwiderlegbare aber falsche Schlussfolgerung! Er hat übersehen dass offensichtlich auch andere Faktoren die verwendeten Daten beeinflussen. Fakten können zwar die Wirklichkeit möglichst objektiv beschreiben, jedoch nicht alle Fakten sind objektiv!

    In der Naturforschung ist die Sache noch etwas komplizierter. Viele Wahrnehmungen können nur mit ausgeklügelten Messinstrumenten durchgeführt werden. Dann kommen schon schnell mehrere Frage auf, beispielsweise: ob die Instrumente richtig eingestellt wurden, ob die Messung ordnungsgemäß stattgefunden hat, ob die Ergebnisse richtig interpretiert wurden und ob der Bericht in Übereinstimmung mit der Messung ist. Und dann sprechen wir noch nicht über die Frage mit welchem Motiv und Ziel gemessen wurde, oder anders gesagt: Welches Paradigma schwebte bei der Vorbereitung den Forschern vor Augen? So muss man auch noch miteinbeziehen dass ein Experiment immer eine Vereinfachung der Wirklichkeit benötigt; man kann ja nicht die ganze Wirklichkeit mit einem Schlag messen! Darüber hinaus gibt es mathematische und physikalische Aussagen die überhaupt nicht mit Wahrnehmungen untermauert werden können; wie der rechnerische Unvollständigkeitsbeweis (die Frage ob es eine größtmögliche Primzahl gibt) oder die Unschärferelation in der Quantenmechanik. Grund genug, um zu zahlreichen Widersprüchen, Unklarheiten, Doppeldeutigkeiten oder Ungenauigkeiten zu kommen. Kein Wunder also, dass ein Großteil der Diskussionen unter Physikern gerade dieses Thema berührt!

    In der Philosophie ist das Finden der Wahrheit ein erstes Anliegen. Philosophen wissen dennoch, dass es die Wahrheit in absolutem Sinne nicht gibt. Seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts werden nur Aussagen für wahr gehalten wenn diese überprüfbar sind. Dies schließt schon vieles bezüglich Theologie, Ethik oder Ästhetik aus. Die Mitglieder des Wiener und Berliner Kreises nannten diese Geisteshaltung »Logischer Positivismus«, was so viel bedeutet wie: Nur empirisch gesammelte, eindeutige Daten und eine logische Schlussfolgerung können zu einer überprüfbaren Wahrheit führen. Später, als die Sozialwissenschaften sich entwickelten, wurden diese Bedingungen ein wenig abgeschwächt, das Prinzip blieb jedoch aufrecht erhalten. Dennoch blieb die zentrale Frage wie die gewonnenen Einsichten eindeutig übertragbar sind. Der Brite Bertram Russell (1872-1970) meinte dass all unsere Kenntnisse noch etwas an Zweifel und Zweideutigkeit haben, sie sind eigentlich nur ein »best guess«, eine bestmögliche Einschätzung.

    In der analytischen Philosophie wird der Frage nachgegangen in wie fern unsere tagtägliche Sprache überhaupt für eindeutige wissenschaftliche Aussagen geeignet ist. Gottlob Frege (1848-1925) meinte, man brauche eine bessere Sprache: Eine direkt von der Logik abgeleitete formale Sprache; die Prädikatenlogik. Diese Art von Logik wird immer noch in der Softwareentwicklung benutzt. Frege wurde ein Wegbereiter für Ludwig Wittgenstein, der in diesem Bereich später bahnbrechende Arbeit geleistet hat. Freges »Vorarbeit« für Wittgenstein bestand darin, dass er einen klaren Unterschied zwischen Begriffen machte und diese teilweise neu definierte. Ein Eigenname z.B. hat für ihn nur eine Bedeutung wenn es einen eindeutigen Bezug auf die Wirklichkeit gibt. Der Sinn eines Satzes, so Frege weiter, bezieht sich direkt auf den Gedanken, der dahinter steckt.

    Wenn ich einen Satz ausspreche kommuniziere ich also inhaltlich mein Urteil. Dieses entspricht nicht immer der Vorstellung des Zuhörers. Angenommen ich sage: »Das ist ein schönes Bild«, dann habe ich meinen Gedanken über das Bild geäußert. Die Frage ist jedoch, ob mein Zuhörer dem Wort »schön« dieselbe Bedeutung zuteilt. Deshalb, sagt Frege, müssen wir die objektive Bedeutung, die immer gleich bleiben soll, von der subjektiven Vorstellung trennen. Wir werden später, in dem Kapitel über Mathematik, untersuchen, welche Konsequenzen es hat, wenn wir zum Beispiel den Satz »Der König von Frankreich ist kahl« erörtern.

    Zusammengefasst bedeutet es für die Naturwissenschaften dass eine Messung keinen Sinn hat, wenn man nicht in der Lage ist die Ergebnisse eindeutig sprachlich zu kommunizieren: Was hat man gemessen, warum wurde gerade diese Messung durchgeführt, wie wurde gemessen und welche Schlussfolgerung darf man auf Grund der Ergebnisse ziehen.

    Sprache

    Die Kritik der Sprache bekam im deutschsprachigen Raum mit Ludwig Wittgenstein erneut viel Interesse. Seine erste und während seiner Lebenszeit einzig vollständige Veröffentlichung ist » Tractatus logico Philosophicus «; erschienen 1921 in deutscher Sprache.

    Das Ziel Wittgensteins war ambitioniert: Eine Verbindung herzustellen zwischen der Sprache, die wir benutzen, und der Wirklichkeit, die wir mit unserer Sprache beschreiben möchten. Ein Unterfangen, das uns, um unsere Sprache besser zu verstehen, riesige Schritte vorwärts gebracht hat, aber ebenfalls auf heftige Kritik, inklusive von dem Schriftsteller selbst, gestoßen ist. In seinem posthum veröffentlichten »Philosophische Untersuchungen« wurde manche Behauptung aus Tractatus widerrufen. Allerdings haben beide Ausgaben viel Sinnvolles zu erzählen.

    Der Anlass für Wittgenstein war ein Thema das auch schon zwischen Platon und Aristoteles aktuell war. Platon hatte eine Ideenlehre entwickelt. Er meinte dass wir die wahre Art der Dinge nicht erfassen können. Er machte einen Unterschied zwischen der Sinneswelt (das Wahrnehmbare) und der Ideenwelt (das Denkbare). Weil Ideen eine ganz andere Natur als die Dinge in der Sinneswelt haben bleibt es ein offenes Problem, wie die Ideen ihren Einfluss auf die Sinneswelt nehmen können. Deshalb hielt Aristoteles die Ideenlehre Platons für einen Kategorienfehler. Von dieser Art von Denkfehlern haben wir schon, wenn das menschliche Bewusstsein im Rahmen des Leib-Seele-Problems zur Sprache kam, einige Beispiele gesehen. Der Unterschied der Kategorien, den Aristoteles zwischen wahrnehmen und wissen machte, ist, dass eine Wahrnehmung nur eine einzige spezifische Situation betrifft und das Wissen sich auch mit der Frage nach dem Warum beschäftigt und die Tür zu einem allgemein gültigen Gesetz öffnen kann. Diese Streitfrage kommt in der Philosophie wieder wie eine Bombe zurück als, viele Jahrhunderte später, der Idealismus und der Empirismus einander gegenüber standen.

    Wittgenstein war Logiker und wollte Klarheit über die Welt: ihre Beschaffenheit und wie wir sie zum Ausdruck bringen können. Schon Immanuel Kant meinte dass wir die (Dinge in der) Welt niemals komplett erfassen können; denn die Dinge »an sich« zeigen sich nicht und können wir uns nur in unserem menschlichen Verstand vorstellen. Die Grenzen dieser Vorstellung sind deshalb auch die Grenzen meiner Kenntnis der Welt. Wittgenstein meinte, dass eher die Sprache uns die Grenzen aufzeigt, denn unsere Gedanken brauchen eine Sprache um verstanden werden zu können.

    Tractatus eröffnet mit dem Satz: »Die Welt ist alles was der Fall ist« und endet mit: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«. Mit diesem letzten Satz fasste Wittgenstein zusammen was er als die endgültige Lösung der Philosophie sah: Wenn man seinen Gedanken nicht klar und eindeutig zum Ausdruck bringen kann: vergiss es! Seine Gedanken legte er in klar definierten logischen Schritten fest. Ich werde einige davon näher erklären.

    »Das logische Bild der Tatsache ist der Gedanke«. Beispielsweise wenn man sagt: »Die Mutter ist größer als das Kind«, hat man zwei Gegenstände benannt und eine Relation zwischen den beiden gedacht und zum Ausdruck gebracht. Sinnvolle Sätze bezeichnen mit ihrer Logik die Welt auf eine eindeutige Weise. Komplexe Sätze können als eine Zusammenstellung dieser Art Elementarsätze gedacht werden. Die Elementarsätze können alle entweder wahr oder falsch sein, aber immer sinnvoll (d.h. möglich und überprüfbar). Die Gesamtheit der wahren Sätze ist die Gesamtheit der Naturwissenschaft, so wie der erste Satz im Tractatus das zum Ausdruck bringt. Das Denken sollte sich daran ein Beispiel nehmen und unsinnige (d.h. nicht zu überprüfende) Fragen und Sätze vermeiden. Wenn man sich zum Beispiel fragt was der Sinn des Lebens sei, dann sollte zuerst klar gemacht werden was man unter »Sinn« zu verstehen hat. Wenn man das nicht erklären kann, wird die Frage sinnlos.

    Wir brauchen keine Erklärungen, sondern nur exakte Beschreibungen! Die von Wittgenstein vorgeschlagene Idealsprache ist für Philosophen und Wissenschaftler das Werkzeug um die Gedanken eindeutig und überprüfbar zum Ausdruck zu bringen. Jede Frage erhält dann nur eine Antwort: nämlich die richtige. Satz 6.5.4. in Tractatus lautet: »Man sieht die Welt richtig wenn man die sinnvollen von den unsinnigen [Sätze] getrennt hat und kann die Leiter, auf der er hinauf gestiegen ist, weggeworfen werden«. Denn wenn man alle zugrunde liegenden Elementarsätze überprüft hat und sie wahr sind, kann man seine Schlussfolgerung für wahr halten und die aufbauenden Sätze sind dann überflüssig geworden.

    Jahre später widerrief Wittgenstein seine in Tractatus veröffentlichte Meinung. Er kam zu der Überzeugung dass die Sprache doch nicht so eindeutig zu gestalten ist wie er sich das vorgestellt hatte: »Die Bedeutung eines Ausdruckes nur daran einzusehen ist, wie er in unserer normalen Sprache gebraucht wird«. Wittgenstein introduziert also die Umwelt, der Gebrauch einer Sprache, um die Bezeichnung aufzuklären. Der Gebrauch bestimmt die Bedeutung, denn die Bedeutung ist etwas Soziales. Zusammengenommen nannte er es: Das Sprachspiel. Eine Zerlegung in Elementarelemente (lies: eindeutige Elementarsätze) ist deshalb unmöglich!

    Können wir denken ohne Worte? Nein, denn nicht wir denken die Sprache, sondern die Sprache denkt uns. So wie wir die Welt sehen, so bringen wir sie zum Ausdruck. Ich werde dir später in diesem Band z.B. die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik vorstellen, zwei naturwissenschaftliche Theorien, die beide experimentell bestätigt wurden, aber ein komplett anderes Bild der Welt darstellen. In Wittgensteins Welt sind das zwei unterschiedliche Sprachspiele. Jedes Sprachspiel hat seine eigenen Spielregeln. Wie das Schachspiel, das man nur spielen kann wenn man die Spielregeln kennt und die Figuren auf dem Schachbrett versteht. Wenn aber jeder sein eigenes Sprachspiel entwerfen kann, ist die Verwirrung doch komplett, oder? Das stimmt aber nur dann, wenn man nicht auf die Verwandtschaft aller Spiele schaut; denn es gibt immer eine Gemeinsamkeit. Wichtig ist es also die Verwandtschaften zu definieren.

    Jürgen Habermas (deutscher Philosoph, geb. 1929) nimmt diese Herausforderung an und definiert unterschiedliche Rationalitäten die zweckorientiert festgestellt worden sind. Wenn die Bedingungen und Ausgangspunkte unterschiedlich sind, wie es in der Quantenwelt und den Relativitätstheorien der Fall ist, können die Aussagen nicht ohne weiteres einander gleichgesetzt werden und auch nicht zu unserer vertrauten Welt übersetzt werden. Sogar die Art und Weise wie ein Wort ausgesprochen wird, bestimmt dessen Bedeutung. Eine bestimmte Aussage kann sowohl eine Meinung, ein Wunsch, eine Anweisung, ein Befehl oder einfach eine bedeutungslose Bemerkung sein.

    Wenn wir die Sprache der Naturwissenschaften verstehen wollen, sollten wir uns mit deren Umwelt vertraut machen. Das heißt meistens: Man soll die Bedingungen und Ziele kennen. Welche die genau sind, darüber kann uns die Philosophie aufklären. So betrachtet kann sie für die Wissenschaft doch eine große Bedeutung haben.

    Was ist ein Naturgesetz?

    Wenn wir darstellen möchten dass etwas unumgänglich ist sagen wir »Es ist wie ein Naturgesetz«, denn diese stehen für Zuverlässigkeit und eine immer geltende Wirksamkeit. Harald Lesch sagt gerne: » Ein Naturgesetz ist nicht verhandelbar «. Und wir alle wissen intuitiv was mit einem Naturgesetz gemeint wird. Trotzdem ist der Begriff nicht so selbstredend.

    Überall um uns herum gelten die Naturgesetze. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir fast vergessen haben was eigentlich ein Naturgesetz beinhaltet. Trotzdem ist jedem klar, dass diese Gesetze greifen: Ohne Gravitation würde unsere enge Beziehung mit der Erde plötzlich ein ganzes Stück lockerer und wir würden uns sogar ganz von unserer Sonne verabschieden müssen. Alle kennen Beispiele von Naturgesetzen oder deren Folgen: Die Erde umkreist die Sonne in einem Ellipse, Wasser kocht unter atmosphärischem Druck bei 100 Grad Celsius und die Lichtgeschwindigkeit in Vakuum beträgt fast 300.000 Km pro Sekunde, oder gut eine Milliarde Stundenkilometer. Das alles ist wie Fakten: wahr und unveränderlich.

    Wo kommen die Naturgesetze her? Religiös denkende Menschen würden sagen dass Gott sie mit der Schöpfung bestimmt hat. Diese Sichtweise hat zwei Schwächen: erstens gibt es atheistische Wissenschaftler und wie sollte man sie überzeugen? Zweitens ist unklar ob, wie und warum Gott sie für uns erkennbar gemacht haben soll. Die meisten Kosmologen gehen davon aus dass unsere Naturgesetze direkt nach dem Urknall entstanden sind. Im Prinzip hätten sie auch völlig anders aussehen können und eine ganz andere Wirklichkeit wäre entstanden. Es gibt also eine sehr enge Beziehung zwischen unseren Naturgesetzen und der Natur, die uns umgibt. Man könnte sich fragen ob die Gesetze und die Naturkonstanten ewig und überall gelten. In dem Kapitel über Astronomie wird diese Frage weiter erörtert, vorläufig kann man davon ausgehen dass das der Fall ist.

    Es liegt in der Logik, dass wir in der Lage sind die Naturgesetze auf Grund von Wahrnehmungen zu formulieren: Die Beobachtung, dass manche Ereignisse miteinander verbunden sind, führt zu der Schlussfolgerung dass es eine gewisse Gesetzmäßigkeit geben muss. Es kann doch kein Zufall sein dass die Erde wiederholt genau in einem Jahr die Sonne umkreist und gleichzeitig selbst immer wieder 365,2425 Umdrehungen um die eigene Achse gemacht hat? Der britische Philosoph David Hume hat diesen Standpunkt bestritten indem er meinte dass wir den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung überhaupt nicht wahrnehmen können, sondern dass wir uns das nur einbilden. Wenn zwei Kugeln miteinander kollidieren liegt es nicht in der wahrnehmbaren Natur der Kugeln dass sie nachher beide eine andere Geschwindigkeit und Richtung bekommen haben. Was wir wahrnehmen sind nur die Folgen; die Ursache, wirksam im Moment der Kollision, bleibt für uns verborgen. Deshalb können wir niemals sicher sein dass jedes künftige Experiment dieselben Ergebnisse zeigen wird, obgleich die Wahrscheinlichkeit zunimmt je mehr Prüfungen durchgeführt wurden. Dennoch, so lange wir die Ursache nicht bis ins kleinste Detail erforscht haben, bleibt immer eine Chance bestehen dass ein nächstes Experiment ein total anderes Ergebnis bringt.

    Darüber hinaus kann es so sein, dass eine Theorie, die auf Grund bestimmter Beobachtungen formuliert wurde, auch eine alternative Theorie haben könnte. Man braucht nur die gesammelten Daten, bewusst oder unbewusst, auf eine bestimmte Art und Weise zu manipulieren. Wenn beide Theorien, die einander wiedersprechen, bestätigt werden welche ist denn die richtige? Diese s.g. Unterdeterminiertheit war für den Philosoph Willard van Orham Quine (1908-2000) Anlass empirische Daten nur holistisch (d.h. in einem größeren Zusammenhang) bewerten zu wollen (3). Die Einheit des Wissens ist führend in der Frage welche Theorien für wahr gehalten werden können. Sind die Naturgesetze doch nicht so sicher wie wir immer gedacht haben? Empirie als einziges Standbein genügt offensichtlich nicht.

    Es hängt ebenso von der Richtigkeit der Annahmen und Umstände ab, ob eine Theorie oder ein Gesetz der Wirklichkeit ausreichend nah kommt. Nur wenn Ausgangspunkte und Umstände stabil und wohldefiniert sind hat man eine Grundlage für zuverlässige Wahrnehmungen die zu Naturgesetzen führen könnten. Man kann sich fragen ob diese theoretische Bedingung praktisch überhaupt realisierbar ist, denn in der Natur ist alles mit allem verbunden. Welche Verbindungen man außer Betracht lassen kann und welche nicht, ist nicht immer klar.

    Wenn man festgestellt hat, dass bei einer bestimmten Spezies 51% der Nachkommen männlich sind, hat man nur eine statistische Wahrscheinlichkeit formuliert. Von welchem Geschlecht die oder der nächste Nachkömmling sein wird bleibt unklar. Gibt es einen wesentlichen Unterschied zu dem Beispiel der zwei Kugeln von Hume? Ist alles Wissen nur vorläufig bis ein Experiment uns das Gegenteil zeigt?

    Klar ist, dass Naturgesetze nicht nur als Folge von Beobachtungen formuliert werden können. Wenn Isaac Newton behauptet dass alle Objekte, worauf keine Kraft ausgeübt wird, entweder in Ruhe oder in einer geradlinigen Bewegung bleiben, können wir das auf Erden nicht messen. Hier gelten überall die Schwerkraft und meistens auch der Einfluss der Erdatmosphäre. Dennoch ist es ganz logisch dieses Gesetz als wahr anzunehmen, aber nur wenn man es mit den anderen Gesetzen Newtons über Bewegungsursachen in Verbindung bringt. Erst dann wird klar, dass eine Beschleunigung a abhängig ist von einer Kraft F, geteilt durch die Masse m: a = F/m. Mit anderen Worten: Ohne Kraft keine Beschleunigung. Nur in Zusammenhang also können die einzelnen Gesetze akzeptiert werden. Wenn man die überprüfbaren Gesetze mit Wahrnehmungen bestätigt bekommt nimmt die Glaubwürdigkeit von allem anderen ebenfalls zu. Wenn mit den Formeln auch die künftigen Ergebnisse vorab richtig berechnet werden können, wird die Beweiskraft weiter unterstützt.

    Zusammengefasst können Naturgesetze nur dann als (vorläufig) zuverlässig gelten wenn sie die folgenden Bedingungen erfüllen: 1. Bestätigt von einer ausreichend großen Zahl von Wahrnehmungen die auch eindeutig annehmbar erklärt werden können. 2. In einen größeren Rahmen von Gesetzen passen. 3. Aussagen kommender Experimente vorhersagen können.

    Selbst dann, wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind, bekommen wir keine Sicherheit dass die von uns formulierten Naturgesetze richtig und vollständig sind. Wenn man sich die Geschichte von tausenden Jahren Wissenschaft anschaut, sieht man wie oft Gesetze ergänzt oder sogar ersetzt wurden weil man neue Einsichten erworben hat. Der Grund dafür ist dass jedes Gesetz bestimmte Annahmen und Voraussetzungen kennt. Die wichtigste ist wohl, dass die Wirklichkeit vereinfacht abzubilden ist, ohne wichtige Einflussfaktoren ignorieren zu müssen.

    Der britische Mathematiker und Philosoph (welch eine herrliche Kombination!) Alfred North Whitehead (1861-1947) warnte uns schon mit seinem Schlagwort: »Der Trugschluss der unzutreffenden Konkretheit«. Je abstrakter und schwieriger die physikalischen Theorien sind, desto vorsichtiger muss man mit deren Deutung sein. In der Quantenmechanik zum Beispiel wissen wir nicht was sich da unten alles abspielt; wir können nur die Ergebnisse unserer Experimente als »Berichte aus der Unterwelt« mit unserer Logik interpretieren. Und das liefert uns merkwürdige Schlussfolgerungen, die unter Forschern Anlass zu heftigen Diskussionen geben. Sogar die Aussage »Wir wissen nur was wir gemessen haben, alles andere bleibt unklar« ist angreifbar, denn wir wissen oft gar nicht was wir gerade gemessen haben denn die Teilchen sind so klein, dass wir sie nicht beobachten können ohne sie zu beeinflussen!

    Nachdem die Relativitätstheorien gefestigt waren wurde klar, dass der Raum niemals mehr derselbe bleiben würde. Vorher rechnete man mit der sinnesnahen euklidischen Systematik um Geometrien zu beschreiben. Alle natürlichen Ereignisse konnten eindeutig beschrieben werden und die Naturgesetze konnten mit ihren Formeln auch die Auskünfte der Experimente richtig und vollständig beschreiben. Wir nennen das jetzt die Newtonsche oder klassische Physik. Die allgemeine Relativitätstheorie benötigt eine ganz andere Systematik: Die Riemannsche Geometrie. Whitehead sprach von einer Krise: Welche Geometrie ist denn die richtige? Ihm zufolge sind wir gezwungen die alltäglichen Erfahrungen und Intuition zu verlassen, um eine vertrauenswürdige Vorstellung der Natur zu erlangen. Die Frage ist nur: Sind die neuen Einsichten zuverlässig? Eigentlich müsste man, um diese Frage beantworten zu können, einen schließenden Gesamtblick auf die ganze Welt haben. Etwas wozu wir, ihm zufolge, nicht imstande sind weil dieser Blick die Realität übersteigen wird und wir auf die Metaphysik angewiesen sind. Eine Domäne, worüber die Wissenschaften uns außer Spekulationen nichts sagen können.

    Whiteheads Dilemma ist der Grund weshalb die Naturwissenschaften eine lange Geschichte

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