Der Duft des Sussita: Humorvolle Stories aus Israel
Von Robert Scheer
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Über dieses E-Book
Robert Scheer
Robert Scheer wurde 1973 in Carei, Rumänien geboren. Seine Muttersprache ist Ungarisch. 1985 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Nach einer abgebrochenen Karriere als Rockmusiker studierte er Philosophie in Haifa und Tübingen. Seit 2003 lebt er in Tübingen.
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Rezensionen für Der Duft des Sussita
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Buchvorschau
Der Duft des Sussita - Robert Scheer
ROBERT SCHEER wurde 1973 in Carei, Rumänien geboren. Seine Muttersprache ist Ungarisch. 1985 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Nach einer abgebrochenen Karriere als Rockmusiker studierte er Philosophie in Haifa und Tübingen. Seit 2003 lebt er in Tübingen. Weiteres zum Autor unter www.robertscheer.de
Von Robert Scheer erschienen bisher:
Der Duft des Sussita. Roman, Hanser Berlin (Hardcover) Pici. Sachbuch, Marta Press, Hamburg
Matthäus-Passion. Ein humorvolles Roadmovie aus Israel.
Roman, Hamsa Verlag, BoD, Hamburg
Tacheles. Ein Freibad-Roman, KDP
Über dieses Buch:
Sussita ist kein Cocktail, auch keine glutäugige Schönheit, Sussita ist der Trabi des Nahen Ostens. Welch ungeahnte Wirkung dieses Nationalauto auf Menschen und Kamele hat, wie Lothar Matthäus und Rabbi Avramoff am defensiven Mittelfeld scheitern und der erste Kibbuz privatisiert wird, davon erzählt Robert Scheer in seinem Debüt.
In zwölf miteinander verbundenen Geschichten zeigt Robert Scheer Bilder eines zutiefst zerrissenen Gelobten Landes mit all seinen Widersprüchlichkeiten und Verwerfungen. Stets präsent dabei Onkel Sauberger, der leidenschaftliche Liebhaber unkoscherer Metzgerware. Dieses Buch zeigt einen Autor, bei dem brillante Komik, eine dezidiert politische Weltsicht, kakanische Umständlichkeit und orientalische Üppigkeit eine umwerfende Melange eingehen!
Für meine Familie
INHALT
Der Duft des Sussita
Das Evangelium nach Matthäus
Front Catering GmbH
Hunger
Der Österreicher
Breakfast Club
Vienna Calling
Wellenbrecher
Richard Wagner in Tel Aviv
Vermehrt euch
Altisachen
Kamele im Schatten
DER DUFT DES SUSSITA
Der einzelne wird bei uns weder zwischen den Mühlsteinen des Kapitalismus zermalmt, noch von sozialistischer Gleichmacherei geköpft. Wir kennen und schätzen die Entwicklung des Individuums, so wie wir seine wirtschaftliche Basis, das Privateigentum, respektieren und schützen. Theodor Herzl, »Altneuland«
Im Jahr 1986, welches nach unserem, dem jüdischen Kalender das Jahr 5746 ist – denn es war vor 5746 Jahren, als für uns nicht weniger als die ganze Welt erschaffen wurde –, also, im Jahr 1986 war es endlich da, unser allererstes Auto, der Sussita, der nicht nur für uns selbst, sondern für das ganze Land die Welt bedeutete. Weiß und groß. Es stand vor unserem Haus. Wir schauten aus dem Fenster. Es gefiel uns, was wir sahen. Sehr sogar. Ein Schmuckstück, fanden wir.
Dies waren die Jahre, als Israel noch an der Weltspitze war. Wir konnten stolz sein, nicht wie heute, damals hatten wir nicht nur die besten Panzer und Gewehre und Soldaten und Bananen und Falafel, sondern auch das beste, oder jedenfalls eines der besten Autos der Welt, den Sussita.
Tatsache.
Nun stand der Stolz der Nation, der Stolz der ganzen jüdischen Religion unbefleckt in all seiner Pracht in unserer Stadt, in unserer Straße, vor unserer Wohnung. Ich bin kein nostalgischer Mensch, aber wenn ich an diese Zeiten zurückdenke, bekomme ich Gänsehaut. Schon lange hatte sich meine Familie nicht mehr so verbunden gefühlt.
Man konnte ihn, den Sussita, in einem Atemzug mit Mercedes und Toyota und Chevrolet und, ja, mit Jaguar aussprechen. Dies waren Jahre, in denen noch etwas geleistet wurde, ohne viel zu reden.
Dies waren Zeiten, in denen das Wort noch als Wort galt und das Auto noch als Auto. Nicht wie jetzt. Heute sind wir nicht mehr Weltspitze. Damals waren wir es. Und dazu hatten wir ein Auto. Heutzutage haben wir nicht einmal eigene Autos. Nur importierte Autos. Die meisten aus Japan, aber auch aus Europa und Amerika. Uns bleibt heute nur eines: die Hoffnung. Sonst haben wir nichts mehr.
Der Sussita stand also buchstäblich vor unserer Tür.
Er war mit vielen kleinen Wimpeln dekoriert. Wie ein Andachtsobjekt. Ein Kunstwerk. Ein Meisterwerk israelischer Autoingenieure, die dieses Auto jahrelang, vom einfachsten Entwurf auf dem Papier bis zur Vollendung, begleitet hatten.
Mir war, als hätte der Sussita mir zugezwinkert, also zwinkerte ich zurück, instinktiv. Hallo. Oder war es bloß ein Sonnenstrahl, der den Sussita traf und mein Auge blendete? Ein Sonnenblitz? Jedenfalls fühlte ich mich für wenige Sekunden, als wäre ich selbst das Auto.
In diesen fröhlichen Momenten hatten wir alle das Gefühl, die Fähnchen des Sussitas hätten uns willkommen geheißen. Wie die Wellen des Meeres. Es waren schöne Zeiten im Lande von Milch und Honig.
Die kleinen blau-weißen Fähnchen flatterten wie Schmetterlinge in der heißen Luft.
Wie der Sussita im Zentrum unserer Blicke, so stand der Davidstern im Zentrum der kleinen Fähnchen, blau und groß. Die kleinen Fahnen mit dem weißen Hintergrund, den zwei blauen Linien und dem Davidstern schmückten das noch ungeöffnete Geschenk. Sie winkten und begrüßten uns. Hallo, Schalom.
Der Sussita hatte viele Spitznamen: Kanaans Pferd und Samsons Eisenpferd, König Davids Stolz und Israels bewegte Kraft sind nur wenige Beispiele für die Beschäftigung der Israelis während der Wartezeit auf den Sussita.
Viele Menschen schauten damals fern oder hörten Nachrichten im Radio oder warteten. Nicht auf den Messias, was ja nach so vielen Jahrtausenden fast wie eine Selbstverständlichkeit erschien, nein, man wartete nun auf ein Auto und man musste lange warten und sich gedulden, Geduld, viel Geduld haben, man wartete gleichzeitig auf den Messias und auf den Sussita. Es war ein nationales Warten. Das ganze Land Israel wartete.
Wie die Dinosaurier sind inzwischen auch die Sussitas ausgestorben. Die Sussitas sind Vergangenheit. Meine Geschichte stammt gleichfalls aus der Vergangenheit. Eine Sussita-Geschichte. Eine gescheiterte Geschichte. Mercedes und Porsche haben überlebt. Jaguar und Toyota haben überlebt. Der Sussita konnte die Prüfung der Zeit nicht bestehen.
An diesem Tag des Jahres 1986 machten wir uns auf, in den Sussita zu steigen.
Was für ein Motor!, sagte mein Vater und gab Gas. Mein Bruder Gabriel bewegte sich unruhig. Er saß auf dem hinteren Sitz neben mir. Er saß hinter unserem Vater, der den Sussita mit aller Hingabe steuerte, während ich hinter der Mutter saß. Platz hatten wir mehr als genug. Der Sussita war bequem und enorm groß. Mehr konnte man sich nicht wünschen, sagte mein Vater ein paar Mal. Meine Mutter nickte. Ich nickte. Mein Bruder nickte.
Ich habe Hunger, sagte mein Bruder.
Keine zehn Kilometer saßen wir in dem Sussita, und er hatte Hunger.
Tatsächlich hatten wir an dem Tag nichts gegessen, vor lauter Sussita.
Auch ich hatte Hunger. Sogar meine Mutter hatte Hunger.
Also Nazareth?, fragte Mutter.
Jawohl! Nazareth.
Es dauerte nicht lange bis Nazareth.
Das Essen war gut gewürzt.
Wir kehrten zu unserem Auto zurück. Vor lauter Hunger hatten wir ihn fast vergessen. Den Sussita. Jetzt wollten wir zu ihm zurück. Doch wir konnten ihn nicht finden.
Falsch geparkt?
Könnte sein.
Abgeschleppt?
Um Gottes willen.
Gestohlen?
Auf keinen Fall.
Vergesslichkeit? Orientierungslosigkeit meines Vaters?
Bist du sicher, dass wir hier geparkt haben?, fragte Mutter.
Ja, sagte mein Vater. Vielleicht auch weiter oben?
Ja oder nein?, fragte meine Mutter.
Nein, ja. Ja, sagte mein Vater.
Wir suchten nach dem Auto. Wir liefen die Straßen ab von oben nach unten. Kreuz und quer. Wir sahen Werkstätten mit Bergen von Motoren und Keilriemen und Reifen und anderen Autoteilen, große und kleine.
Die eine moderne Werkstatt war auf das Ausschlachten von Autos spezialisiert, während eine andere, heruntergekommene, aussah wie ein Autofriedhof. Tote Autos und kranke Autos. Alle Arten, sortiert nach Typen, aus verschiedenen Jahren, guten und schlechten Zeiten.
Auch Autos, die Schönheitsoperationen zu überstehen hatten, sahen wir. Bunte und weiße. Öffentliche Busse und private. Autos. Meere und Ozeane von Wagen. Schöne und hässliche, praktische und unpraktische. Leichte und schwere Autos. Lange und kurze Autos. Breite und schmale, attraktive und abstoßende.
Wir sahen auch überall unorganische Wesen, Gummi und Eisen und Stahl und Blech. Mechanik und Technik. Fortschritt der Menschheit und ihr Untergang.
Haufen von verbogenen Scheibenwischern sahen wir in anderen kleineren Werkstätten. Kaputte und brauchbare Autoreste. Viele alte Autos und einige neue. Verkrüppelte und blinde und verbrauchte und lahme und aussätzige. Kaputte ausländische Autos und auch – Sussitas. Eine Menge Sussitas. Einer schöner als der andere.
In einer Hinterhofgarage schien es mir, als hätte ich eine Leiche gesehen. Ich erschrak. Ich konnte nicht atmen. Es roch nach Verbranntem. Ein Geruch, der den Magen umdreht. Mich ekelte dieser Geruch. Mir wurde schwindlig. Und übel.
Mein Kopf drehte sich so schnell, als wäre ich betrunken. Ohne Kontrolle. Wo bin ich? Wer bin ich? Ich hielt mir mit einer Hand den Kopf, mit der anderen den Bauch. Ich atmete schnell. Dann langsam. Einatmen und Ausatmen. Atmen. Wollte mich übergeben. Musste. Dann fragte meine Mutter etwas. Ich verstand sie nicht. Was?
Es ist keine Leiche, sagte ich.
Was sagst du?, fragte meine Mutter.
Nur Motoren, Automotoren, Leichenteile von Autos, viele kaputte Autos, sagte ich.
Neben der Hinterhofgarage stand ein Sussita. Dieser Sussita war blau. Unserer weiß. Danach entdeckte mein suchender Blick einen anderen Sussita. Schwarz. Wie der Tod. Hässlich. Und schön. Ich betrachtete den schwarzen Sussita noch einige Augenblicke, bis eine verschleierte Frau ihn verdeckte. Unwillkürlich blickte ich zum Himmel. Viele große Wolken und heiße Luft. Alles trocken. Ich schwitze. Mit meiner Zunge befeuchte ich meine Lippen. Ich schaue ins Leere. Eine Taube. Weiß? Grau? Eine wilde Taube. Autogeräusche. Ein Renault 12 und ein Peugeot 405, oder ist es ein 505? Ein Wagen, gezogen von einem Esel. Ein Auto dahinter hupt. Irritierend und laut. Der Fahrer schimpft auf Arabisch. Der Jüngling, der den Esel führt, bittet um Geduld. Das Auto überholt. Ein Subaru.
Hier ist er!, rief mein Bruder. Ich habe ihn gefunden!
Endlich, sagte mein Vater und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Tatsächlich: ein weißer Sussita.
Aber nicht unserer. Nur so ähnlich wie unserer. Neu und weiß und groß. Nein. Nicht unserer. Wir suchten weiter. Fanden ihn aber nicht. Wir fanden uns am selben Parkplatz wieder, an dem wir ihn geparkt hatten.
Mein Bruder rief uns und zeigte auf eine Autoscheibe. Ein Motor war auch da. Wie ein Skelett. Nein. Kein Knochen. Herzmuskel. Ja. Das Herz.
Offensichtlich ein Sussita-Motor.
Was war passiert.
Wir waren ratlos.
Atemlos.
Wir fragten einen Araber, ob er vielleicht unser Auto gesehen habe.
Ein Auto, sagte er mehr zu sich und fragte, was für ein Auto.
Weiß, sagte mein Vater. Ein Sussita. Ein weißer Sussita.
Der Araber schüttelte den Kopf:
Du fragst mich, wo dein Auto steht? Hier parkt ihr euer Auto? Habt ihr das Schild nicht gesehen? Schaut ihr, kommt ihr! Seht ihr?
Bist du wahnsinnig, sagte der Mann. Hier parkst du? Auf dem Schild steht doch Dschamal, Dschamal.