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Jungenliebe: Geschichten, die das Leben schreibt
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eBook359 Seiten5 Stunden

Jungenliebe: Geschichten, die das Leben schreibt

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Über dieses E-Book

In vier Geschichten beschreibt die Autorin Selma Sell, wie es pubertierenden Jungen ergeht, die sich nach Liebe sehnen, und wie plötzlich ihre Herzen unverhofft in eine andere Richtung schlagen.
Ist es die wahre Liebe?
Wie reagieren die Menschen aus ihrem Umfeld, wenn sie von der gleichgeschlechtlichen Liebe erfahren?

Tauchen Sie ein in die Welt der Jungenliebe und fiebern Sie mit den jungen Liebenden mit.
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2019
ISBN9783957202901
Jungenliebe: Geschichten, die das Leben schreibt

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    Buchvorschau

    Jungenliebe - Selma Sell

    Buchempfehlungen

    Glück im Unglück

    Christoph, ein einundzwanzigjähriger, hochgewachsener, schlanker junger Mann, ist von der Natur mit seinem guten Aussehen und einer besonderen Ausstrahlung ausgestattet worden. In seiner Schulzeit wurde er von vielen Mädchen nicht nur wegen seiner leuchtenden hellblauen Augen angehimmelt, sondern gerade wegen seines coolen und witzigen Auftretens. Er war nicht nur bei den Mädchen beliebt, sondern er hatte auch viele Freunde unter den Jungen.

    Diese Wirkung hat sich bis heute sogar noch verstärkt, sodass er damit umzugehen lernen musste, ohne auf andere überheblich zu wirken.

    Heute ist Christoph immer noch der sympathische Junge von nebenan, der durch seine lässige Art seine Freunde immer genauso wie früher beeindrucken kann, und doch zugleich verantwortungsvoll und erwachsen geworden ist.

    Christophs freundliches und hilfsbereites Wesen kommt bei seinen Freunden gut an. Und was sein Inneres angeht, ist er ein vertrauenswürdiger und offener Mensch.

    Viele beneiden ihn deshalb und möchten insgeheim ein bisschen wie er sein. Eigentlich könnte Christoph sich darauf etwas einbilden, aber er ist nicht von der Sorte, die hochnäsig durch die Gegend laufen und mit all ihren angenehmen Vorzügen prahlen. Und dennoch steckt in ihm immer noch ein kleines Kind, das ab und zu aus ihm heraus will.

    Sein schwarzes, leicht gewelltes Haar reicht ihm fast bis auf die Schultern, da er vorhat, es wieder länger zu tragen, und ohnehin nicht gerne zum Friseur geht.

    Seine Ausbildung hat er schon längst hinter sich gelassen und arbeitet in einer Möbelfabrik als Tischler und Schreiner. Sein handwerkliches Talent und Können lassen ihn mit akribischer Sorgfalt und Leidenschaft in seiner Arbeit aufgehen. Daher hat er sehr gute Chancen, sein Ziel auf einen Meisterbrief zu richten.

    An einem schönen Samstagmorgen, der jeden Naturfreund aus dem Häuschen lockt, um die warmen Sonnenstrahlen des Sommers zu genießen, ist auch Christoph schon um 9 Uhr mit seinen Rollerskates unterwegs. Er lenkt seine schwungvollen Bewegungen Richtung Freizeitpark, der sich nicht weit von seinem Zuhause befindet.

    Als er die Sportanlagen dort im Park mit einigen anderen in Besitz nimmt und die Welt um sich vergisst, stößt er plötzlich mit einem der Jungen auf der U-förmigen, bis zu drei Meter hohen Skaterbahn zusammen. Die Kollision ist so stark, dass die beiden Jungen für einen Moment regungslos daliegen. Ihr Aufprall mit der Stirn auf dem harten Asphalt lassen bei beiden eine tiefe Wunde aufklaffen, deren Größe nicht gleich erkennbar ist. Dazu kommen noch eine Gehirnerschütterung und fürchterliche Schürfwunden an Armen und Beinen hinzu.

    Es sieht ziemlich schlimm aus.

    Einer der anderen Rollschuhläufer, der den Unfall gesehen hat, ruft sofort einen Krankenwagen und kann somit genau dem Notarzt den Unfall beschreiben.

    Als zwei Sirenen von weitem zu hören sind, befürchten alle im Park, dass hier etwas Schlimmes passiert sein musste. Viele Gaffer eilen zur Unfallstelle und sehen auch schon zwei Krankenwagen mit Blaulicht heranfahren. Ein Arzt und je zwei Helfer steigen aus und eilen mit einer Arztasche zum Unfallort.

    »Hallo, können Sie mich hören? Können Sie sich bewegen?«, fragt einer der Ärzte die Verunfallten.

    »Ja, ich kann Sie hören, aber ich kann mich nicht von der Stelle rühren. Meine rechte Schulter schmerzt fürchterlich«, antwortet Christoph und schneidet eine schmerzerfüllte Grimasse.

    Beide Ärzte ziehen je eine Betäubungsspritze auf und verabreichen sie den Verletzten, da sie die starken Schmerzen nicht aushalten können. Dann werden sie mit einer Trage je in ein Auto verfrachtet und in das nahegelegene Krankenhaus in die Unfallstation abtransportiert.

    Getrennt voneinander werden beide untersucht, und ehe sie sich versehen haben, liegen sie mit einem Betäubungsmittel in ihrem zugeteilten Zimmer im Bett und schlafen.

    Am Nachmittag, als Christoph seine Augen aufschlägt, blickt er überrascht in zwei leuchtende hellblaue Augen, in jene des blonden Jungen, der ihn auf der Bahn im Freizeitpark zu Fall gebracht hat.

    Ihre Betten stehen nebeneinander; an der Seite, zwischen den beiden Fenstern, ein kleiner viereckiger Tisch mit drei Stühlen. Ihre Schränke befinden sich auf der anderen Seite neben dem Waschraum.

    »Du Idiot! Das habe ich nur dir zu verdanken, dass ich hier im Krankenhaus gelandet bin. Hast du denn nicht gesehen, dass ich auf der Piste war?!«, ist das Erste, was Christoph zu seinem Zimmergenossen ziemlich erbost von sich gibt.

    »Ja, ich wollte dir doch nur bei deinen tollen Sprüngen zusehen, bin aber oben von der Kante mit meinen Rollschuhen abgerutscht, als ich mich dort hinsetzen wollte, und dann konnte ich den Fall nicht mehr stoppen.«

    »Ach so? Na gut, dann fangen wir einfach noch mal von vorne an«, sagt Christoph und stellt sich jetzt mit freundlichem Ton vor: »Ich bin Christoph und einundzwanzig Jahre alt.« Insgeheim wundert er sich, dass er mit ihm im selben Zimmer liegt.

    »Ich heiße Oliver und bin neunzehn Jahre alt«, antwortet der Junge schüchtern, dessen Kopf ebenfalls mit einer Mullkompresse verbunden ist. Noch dazu schaut bei ihm ein Gipsfuß unter seiner Bettdecke hervor.

    Der von der Statur her etwas kleinere Junge als sein Bettnachbar ist sehr aufgeweckt und findet schnell Kontakt zu anderen Menschen, die ihm sympathisch sind.

    »Meine Güte, wir haben uns ziemlich schwer verletzt, was? Das ging alles so schnell, ich kann das immer noch gar nicht fassen. Aber Gott sei Dank spüre ich keine Schmerzen mehr«, sagt Christoph.

    »Können wir auch nicht, die haben uns ’ne Dröhnung vom Feinsten gegeben, und das ist auch gut so, denn ich konnte mich am Unfallort überhaupt nicht mehr bewegen. Hat der Arzt dir schon gesagt, was los ist?«, fragt Oliver sein Gegenüber.

    »Ja, ich habe einen doppelten Schulterbruch und dazu noch eine Gehirnerschütterung, den Rest siehst du ja.«

    »Ich habe außer der Verletzung an meiner Stirn auch eine Gehirnerschütterung, sagte mir die Schwester, die mich geröntgt hat.«

    »Ich muss meine Mutter noch anrufen, die hat keine Ahnung, was passiert ist. Die wird gleich in Ohnmacht fallen, wie ich sie kenne, denn sie ist immer so überfürsorglich«, meint Christoph nachdenklich.

    »Gute Idee, ich werde auch einen Anruf tätigen müssen, aber ich komme an meins nicht ran, es liegt im Schrank, dort, wo meine Klamotten sind. Ich klingle mal, dann wird die Schwester sie uns bestimmt geben.«

    Sie lächeln sich an, und Oliver drückt sogleich den roten Knopf, der wie eine Glocke aussieht und in greifbarer Nähe liegt.

    Es dauert nicht lange, und eine nette Krankenschwester betritt den Raum. »Na, Jungs, seid ihr schon wach?«, fragt sie und schenkt den beiden ein charmantes Lächeln.

    Oliver fragt gleich nach ihren Handys.

    »Die habe ich in eure Nachttische gelegt.« Sie schaut beide an und sagt amüsiert: »Der Stationsarzt kommt in einer halben Stunde, dann erfahrt ihr zwei, wie es mit euch weitergehen soll und wann ihr entlassen werdet.« Anschließend verlässt sie wieder den Raum.

    Als die beiden mit ihren Elternteilen telefoniert haben, liegen sie nur da und schauen sehnsüchtig aus dem offenen Fenster hinaus. Sie nehmen das Zwitschern der Vögel wahr und genießen die Stille, die sich nun in ihrem Zimmer breitmacht. Nach kurzer Zeit fallen ihre Augen vor Müdigkeit zu, und sie schlafen erschöpft wieder ein.

    Als es plötzlich an die Tür klopft, vernehmen die Patienten eine liebliche Frauenstimme: »Guten Tag«, und die Person schließt leise die Tür hinter sich. Eine gutaussehende Frau so um die vierzig stellt zuerst eine Reisetasche auf einem Stuhl ab und geht auf einen der beiden Jungen zu. »Hallo, Chris, was machst du bloß für Sachen? Bist du nicht schon aus dem Alter raus, noch mit solchen Dingern durch die Gegend zu rasen?«, und sie lächelt ihn dabei mitfühlend an. Sie rückt einen Stuhl vor das Bett ihres Sohnes, setzt sich drauf und wartet ab, was er ihr zu sagen hat.

    »Ich glaube auch, denn irgendwann ist ja mit vielem Schluss. Ich fühle mich zwar dafür noch nicht zu alt, aber ich will auch nicht noch einmal deswegen hier im Krankenhaus landen. Ich habe beschlossen, meine Rollerskates zu verschenken, ich kenne da jemanden, der würde sich darüber tierisch freuen.«

    Die Mutter lächelt ihn an und wendet sich gleich fragend an Oliver: »Bis du derjenige, der mit Chris zusammengestoßen ist?«

    »Ja, aber wir waren beide an dem Unfall schuld. Ich bin von der oberen Kante der Rollerbahn abgerutscht und konnte mich nicht mehr halten. Christoph ist zur gleichen Zeit mit seinen Rollern rückwärts runtergerauscht und hat mich nicht fallen sehen. Das war’s dann auch schon.«

    »Na ja, bis zur Hochzeit ist alles wieder gut«, sagt die Mutter, und die drei können sich über diese Bemerkung das Lachen nicht verkneifen.

    Es klopft erneut an die Tür, und Olivers Vater betritt mit besorgtem Gesicht das Krankenzimmer, begrüßt alle Anwesenden und steuert geradewegs auf seinen Sohn zu. »Wie siehst du denn aus, mein Junge? Es hat dich ganz schön erwischt, was? Ich hoffe, dass dir das eine Lehre war und du deinen sportlichen Übermut nun zügeln wirst.«

    »Ach, weißt du, meine Rollerskates sind sowieso hinüber, und neue werde ich mir bestimmt nicht mehr kaufen. Ich habe keine Lust, mir so was noch einmal anzutun. Darüber brauchst du dir also keine Sorgen mehr machen, Paps.«

    Dann lächelt auch der Vater Oliver an, packt ein paar Sachen aus und legt sie gleich in den Spind rein.

    »Sag mir, falls ich was vergessen haben sollte, ich komme morgen noch nach Feierabend vorbei und bringe dir den Rest mit, ja?«

    »Danke, Paps.«

    Die beiden Elternteile unterhalten sich noch rege mit ihren Söhnen, bevor sie gemeinsam das Zimmer verlassen.

    Kurz darauf betritt der Stationsarzt das Krankenzimmer und erklärt den beiden den Werdegang für die nächsten Tage, die sie hier noch ausharren müssen. Dann verschwindet der Arzt wieder so schnell, wie er gekommen ist.

    »Mann, das ist ja hier wie im Taubenschlag. Erst kümmert sich keiner um uns, und jetzt kommen alle auf einmal. Das ist schon komisch, was?«

    »Ja, Oliver, so spielt nun mal das Leben«, antwortet Christoph und grinst ihn dabei schelmisch an. Greift sich sein Handy und beginnt, darauf zu spielen. Weil das Gerät aber verschiedene Töne von sich gibt, fragt Oliver. »Was spielst du denn da?«

    »Ach, es ist nur ein lumpiges ›Drei gewinnt‹-Spiel, weiter nichts. Die richtigen Spiele habe ich zu Hause. Die machen viel mehr Spaß, da geht die Post ab, wenn Mike, das ist mein Freund, und ich zusammen die Playstation quälen. Aus den Baller-Spielen mache ich mir nichts, viel lieber nehme ich mir da die Such- und Geschicklichkeitsspiele vor, die wohl fast jeder kennt.«

    »Und was hältst du von Computerspielen?«

    »Ach die sind mir auf die Dauer am PC zu unbequem, viel lieber fläze ich mich auf mein Bett, das ist viel bequemer«, antwortet er Oliver.

    »Ich habe auch ’ne PS, und Fläzen finde ich auch toll, ich bin auch nicht der ausdauernde PC-Spieler, weil man da meistens so steif und verkrampft am Schreibtisch sitzt. Hinterher tun mir meisten sämtliche Knochen weh«, antwortet Oliver, und beide grinsen sich dabei wohlwissend an.

    Nun geht schon wieder die Zimmertür auf, und das Abendessen wird von Schwester Inge serviert.

    »Na, Jungs, habt ihr schon Hunger? Wenn ja, dann guten Appetit!«, meint sie und stellt ein Tablett mit Brot, Wurst und Käse direkt ans Bett der beiden. »Ich komme gleich wieder und bringe euch noch was zum Trinken. Was wollt ihr denn haben?«, fragt sie noch.

    »Ich hätte gerne ein Glas Saft und ein Glas Milch«, gibt Oliver zurück.

    »Und was kann ich dir bringen?«, fragt sie Christoph und schaut ihn freundlich an.

    »Ich hätte das Gleiche, was mein Zimmergenosse möchte«, antwortet er spontan.

    »Ist gut, kommt sofort …« Dann verlässt sie den Raum und ist schon in wenigen Minuten mit den bestellten Getränken wieder zurück.

    Bevor sie die Jungs wieder sich selbst überlässt, weist sie freundlicherweise auf die Klingel hin, falls die zwei noch was benötigen sollten, dann verlässt sie lächelnd das Zimmer.

    »Das sieht nicht schlecht aus, hoffentlich schmeckt es auch so«, meint Christoph und kichert in sich hinein.

    »Hmm, schmeckt gut. Für ein Krankenhausessen gar nicht mal so schlecht«, stimmt Oliver zu, stellt gerade fest, dass er einen ziemlich großen Hunger hat, und haut rein.

    »Na, das ist doch wenigstens was, dass wir hier nicht verhungern müssen«, gibt Christoph noch von sich, ehe er es sich auch schmecken lässt.

    Kaum sind die beiden mit dem Abendessen fertig, öffnet sich die Tür, und Schwester Inge kommt mit einem Wagen, bestückt mit Medikamenten, herein.

    »So, meine Herren, hier ist euer Nachthupferle. Aber bitte erst zur Nachtruhe einnehmen, denn da ist ein starkes Schlafmittel drin, nicht dass ihr mir schon während des Waschens einschlaft und umfallt, verstanden?«

    Als Erstes geht sie zu Christoph, stellt den winzigen Plastikbecher auf seinen Nachttisch und wendet sich anschließend an Oliver, der die gleiche Dosis erhält.

    »Duschen dürft ihr noch nicht, aber wenn ihr Hilfe beim Waschen benötigt, stehe ich euch gern zur Verfügung«, sagt die Schwester amüsiert. »Die Nachtruhe beginnt hier um 22 Uhr«, fügt sie noch hinzu.

    Christoph und Oliver schauen sich an, und Christoph antwortet sogleich: »Nee, nee, lassen Sie mal, das können wir schon alleine, wir werden uns einfach gegenseitig beim Frischmachen helfen, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen machen, Schwester Inge.« Dabei schenkt er ihr ein verschmitztes Lächeln.

    »Also, euch beiden eine gute Nacht, falls wir uns heute nicht mehr sehen sollten.«

    »Gute Nacht, Schwester«, antwortet Oliver schüchtern und grinst schelmisch in sich hinein.

    Auch Christoph wünscht ihr eine gute Nacht.

    Kaum hat sie die Tür hinter sich geschlossen, sehen sich die beiden an und müssen unweigerlich herzhaft lachen.

    »Ist das von dir ernst gemeint, dass wir uns gegenseitig waschen?«, fragt Oliver ungläubig.

    »Natürlich nicht. Ich denke, das kriegt jeder von uns schon alleine hin, oder?«

    »Ich hätte nichts dagegen, wenn mich die Schwester waschen würde«, sagt Oliver und grinst Christoph mit erröteten Wangen an.

    »Und warum hast du ihr das nicht gesagt? Sie hat es uns doch angeboten.«

    »Ach Quatsch, das war nur ’n Witz. Ich wollte nur mal sehen, wie du darauf reagierst«, fügt Oliver schnell hinzu, und schon müssen beide fürchterlich lachen, dass es noch ein Weilchen dauert, bis sie sich wieder beruhigt haben.

    Als der sonnige Nachmittag zur Neige geht und der Abend sich ankündigt, sind die Jungen je in ein Buch vertieft, die ihnen die Stationsschwester aus der Krankenhausbücherei mitgebracht hat, um für die zwei etwas Abwechslung und Kurzweile zu schaffen. Diese Geste wissen sie auch zu schätzen.

    Nun ist es an der Zeit für die beiden, sich etwas frischzumachen. Jedes Krankenzimmer verfügt über einen integrierten Sanitärraum, der mit einer Duschkabine, einem Waschbecken und einer Toilette ausgestattet ist.

    Christoph geht als Erster in den kleinen abgeteilten Raum und putzt sich zuerst die Zähne, weil das die leichteste Übung von dem ist, was ihn noch so erwartet. Er setzt sich auf die Toilette und leert endlich seine übervolle Blase, die ihn schon länger gedrückt hat. Anschließend spritzt er sich etwas Wasser ins Gesicht, tupft es ab und verteilt das Duschgel auf dem Waschlappen.

    Als Nächstes will er sich intim waschen, stellt aber fest, dass es ihm nicht so gelingen will, weil sich durch diese Bewegung seine Schmerzen in der Schulter bemerkbar machen und hier der Spaß für ihn aufhört. Leise sagt er zu sich selbst: »So, das reicht für heute, morgen ist auch noch ein Tag« und verlässt den Waschraum.

    »Hach, ist das schön, sich etwas frischmachen zu können«, sagt er mit einem Lächeln auf seinen Lippen und steigt in Zeitlupe wieder in sein Bett.

    »Ja, das glaube ich dir gern, denn ich bin auch durchgeschwitzt. Kein Wunder, bei der Hitze.«

    Nun steht Oliver auf und geht mit seinen zwei Krücken zur Toilette und kommt mit dem Waschen gut klar. Strahlend verlässt auch er frisch und duftend die Kabine und humpelt zu seinem Bett zurück. Er legt sich hin und liest weiter in seinem Buch.

    Christoph dagegen spielt jetzt »Drei gewinnt« auf seinem Handy.

    Kurz vor der Nachtruhe nimmt sich jeder sein Becherchen und schluckt die Schlaftablette mit Tee hinunter. Dann wünschen sie sich noch gegenseitig eine gute Nacht, bevor sie total fertig einschlafen.

    Am nächsten Morgen werden Christoph und Oliver vom Lärm auf dem Flur geweckt. Kaum haben sie die Augen geöffnet, steht Schwester Carmen, die diese Woche Frühschicht hat, mit dem Medikamentenwagen im Zimmer.

    »Guten Morgen allerseits, ich habe euch euer Lieblingsfrühstück mitgebracht«, lächelt sie und kommt schon auf Christoph zu, der bereitwillig den linken Arm freimacht, um eine Spritze gegen die Schulterschmerzen verpasst zu bekommen. »Hmm, das schmeckt aber fein«, sagt er sarkastisch und grient die Schwester schelmisch an.

    Als Oliver an die Reihe kommt, hat er ebenfalls einen Spruch auf den Lippen: »Was ist das für ein Rezept, so köstlich habe ich selten gespeist!«

    Alle drei müssen herzhaft darüber lachen.

    »Aua, stöhnt Christoph, weil er beim Lachen jedes Mal vergisst, dass er trotz der Spritze die Schmerzen noch spüren und deshalb nicht ungehindert lachen kann, wie er es gerne möchte.

    Kaum hat Schwester Carmen das Zimmer wieder verlassen, betritt eine andere Krankenschwester ihr Zimmer, um das eigentliche Frühstück zu servieren.

    Als sie wieder unter sich sind, fragt Oliver: »Was machst du so? Ich meine, was arbeitest du?«

    »Na ja, ich arbeite in der Holzbranche. Ich bin von Beruf Tischler, Schreiner und Drechsler, ich fertige Möbel an. Meine Firma befindet sich im Stadtbezirk Köpenick, dort ist mein Domizil«, antwortet Christoph und ist nun gespannt, was sein Gegenüber beruflich macht.

    Oliver antwortet ihm ebenso ausführlich: »Ich habe dieses Jahr meine Ausbildung als Handelskaufmann mit ›Sehr gut‹ abgeschlossen und wurde deshalb auch von meiner Firma übernommen. Ich bin Angestellter in der Schuhfabrik im Stadtteil Neukölln und bin dort für den Einkauf von Materialien zuständig. Du weißt schon: Leder, Schnallen, Sohlen und so weiter. Meine Arbeit macht mir viel Spaß, und das Geld stimmt auch.«

    »Das hört sich gut an, Oliver. Da hast du wohl auch Glück gehabt, denn heutzutage ist es nicht leicht, sich einen Beruf aussuchen zu können, der einem auch gefällt, so wie wir es noch konnten, was?«

    »Ja, da hast du vollkommen recht.«

    Als sie fertig mit dem Frühstücken sind, legen sie sich zurück in ihre weichen Kissen und sehen sich eine Tierdokumentation im Fernseher an. Von der monotonen Stimme des Reporters duseln die Jungs in den Schlaf.

    Gegen 12 Uhr wird plötzlich die Tür aufgerissen und den beiden das Mittagessen am Bett serviert. Noch etwas benommen vernehmen sie, wie ihnen die Schwester die Rückenlehne hochstellt, damit sie bequem ihr Essen einnehmen können.

    »Guten Appetit, euch beiden«, sagt die Schwester und schließt die Tür hinter sich.

    »Hm, das schmeckt aber gut, und dir, Christoph?«

    »Ja, mir auch. Was hast du dir bestellt? Ich habe Gulasch mit Kartoffeln und rote Beete zum Nachtisch.«

    »Ich habe Milchreis mit Zimt und Apfelmus, dazu noch einen Schokopudding mit Vanillesoße.«

    »Nicht schlecht«, antwortet ihm Oliver begeistert.

    In der kurzen Zeit, in der die beiden jungen Leute sich kennen, haben sie sich gut angefreundet und teilen den gleichen Humor. Besonders, wenn Christoph seine lockeren und witzigen Sprüche in Gegenwart der Krankenschwestern loslässt, kann sich Oliver vor Lachen kaum noch halten.

    In dem Moment vergessen sie, dass sie eigentlich hier eine triste Woche verbringen müssen. Gemeinsam wollen sie alle Untersuchungen überstehen, bevor sie wieder entlassen werden und sich anschließend noch ein paar Wochen auskurieren müssen.

    Nach der Mittagsmahlzeit werden die zwei allmählich müde. Sie lassen sich von Schwester Carmen ihre Kopfteile zum Schlafen wieder zurückstellen, schließen dann ihre Augen und schlafen auch schon ein.

    Es vergehen zwei Stunden, dann werden die Jungen durch ein Klopfen an der Tür geweckt – und herein kommt Luise, Christophs alte Schulfreundin, mit der er ab und zu, wie mit seinem Freund Mike, gerne abhängt und sie schon so einiges zusammen erlebt haben.

    »Hallo, Chrissie«, sagt Luise lächelnd und setzt sich auf seine Bettkante. »Du alter Schlingel hast ja nicht auf mich hören wollen, als ich dir erst neulich davon abgeraten habe, noch in die Rollerskates zu steigen, aber nein, du hast es ja so gewollt! Ich hoffe, du hast daraus gelernt und stellst diese Dinger endgültig in die Ecke.«

    »Ja, ja, das hab ich nun davon. Du meckerst und ich habe die Schmerzen.«

    Dann streichelt sie Christoph über seinen Schopf und gibt ihm mitfühlend ein Küsschen auf die Wange.

    »Hier, ich habe dir ’ne Kleinigkeit mitgebracht, damit du keine Langeweile hast. Es ist ein Rätselheft und ein paar Süßigkeiten, du nascht doch so gern, nicht wahr, mein Kleiner?«, sagt Luise und zwinkert ihm lächelnd zu.

    Da müssen alle im Zimmer lachen.

    Nun klopft es wieder an die Tür. Es sind Lucas und Jenny, die jetzt ins Zimmer schneien und sich nach Oliver umschauen.

    »Guten Tag«, begrüßen die beiden alle im Raum anwesenden Leute und gehen schnurstracks auf ihren Freund zu, der sie mit einem Grinsen empfängt.

    »Schönes Ding, Alter, was du dir da geleistet hast, was?«, sagt sein Freund Lucas und kichert in sich hinein.

    Im Gegensatz zu ihm gibt seine Freundin Jenny ihm einen Kuss auf die Wange und meint nur: »Halt die Klappe, Luc, schließlich hast du ja vor einem Jahr auch einen schlimmen Unfall gehabt.«

    Dann müssen die drei lachen.

    Jenny schielt jetzt zu Christoph und lächelt ihn an, aber sein Blick ist tatsächlich auf Oliver gerichtet, denn dessen wunderschönes Lachen fasziniert ihn immer mehr. Es hört sich für ihn so erfrischend und kindlich an und zaubert ihm immer wieder ein Schmunzeln auf die Lippen.

    Durch die Besucher wird die Geräuschkulisse verstärkt. Man hört ein immer lauter werdendes Schnattern und ein fröhliches Kichern, während sich alle zwanglos unterhalten.

    Als es nun Zeit wird, wieder Abschied von ihren Freunden zu nehmen, und sie wieder alleine sind, beherrscht plötzliche Stille den Raum, die fast schon zu spannungsgeladen wirkt und von Christoph durch die Frage aller Fragen entschärft wird: »War das deine Freundin?«

    »Nein, sie ist nur eine Freundin aus alten Tagen.«

    »Wie meinst du das, Oliver?«

    »Na ja, ich kenne sie schon seit der fünften Klasse, und es hat sich nur eine kumpelhafte Freundschaft entwickelt, aber eine richtige Freundin, wie du es vielleicht meinst, ist sie nicht.«

    »Ach so«, sagt Christoph amüsiert.

    »Und bei dir? War dieses Mädchen von vorhin vielleicht deine Freundin, Christoph?«

    »Nö, wir sind auch nur alte Freunde. Ich kenne sie auch aus meiner Schulzeit. Seit der dritten Klasse sind Mike und ich mit ihr befreundet und haben so unseren Spaß. Meine eigentliche Freundin ist vor ein paar Monaten ins Ausland gegangen, weil sie Austauschstudentin ist und dort ihr Praktikum für ein Jahr absolviert. Wir haben uns nichts versprochen, weil eine Fernbeziehung meistens nicht funktioniert.«

    »Ja, das glaube ich auch, denn viele Beziehungen gehen früher oder später doch entzwei, weil man sich auseinandergelebt hat oder die gemeinsamen Interessen sich geändert haben; Gründe gibt es jedenfalls genug dafür.«

    Die Jungen sehen sich verlegen an und werden dabei rot im Gesicht.

    Beide merken plötzlich, dass sie sich für den anderen mehr interessieren und möchten gegenseitig noch viele Fragen beantwortet haben. Sie schauen sich lange in die Augen und spüren plötzlich beide, wie sich ein warmes Gefühl in ihrem Körper ausbreitet, und wenn man genau hinhört, könnte man tatsächlich ein winziges Knistern zwischen den beiden Jugendlichen hören.

    Um die peinliche Situation wieder in den Griff zu bekommen, räuspert sich Christoph und fragt verlegen: »Äh, willst du das Rätselheft von mir haben, ich habe eh keine Lust darauf. Ist mir im Moment zu anstrengend, und mit der linken Hand kann ich sowieso nicht schreiben.«

    »Ja, ich habe beide Hände frei, und das macht mir tierischen Spaß, mein Wissen zu testen, denn dann fühle ich mich anschließend richtig gut, wenn ich viele Kästchen ausgefüllt habe.«

    »Hier, fang!«, sagt Christoph, und schon fliegt das Heft durch die Luft.

    »Danke«, sagt dieser grinsend und kramt gleich aus seinem Nachttisch einen Stift heraus.

    Und somit ist es zwischen den beiden wieder locker und entspannt, da die peinliche Situation verschwunden ist.

    Mann, hab ich Schwein, ich hab gerade noch so die Kurve gekriegt, denkt sich Christoph, liest weiter in seinem Buch und sieht trotzdem öfter mit einem verstohlenen Blick zu Oliver hinüber, der ihn hin und wieder mit einem Schmunzeln verlegen ansieht. Nun bemerkt Christoph die feinen Gesichtszüge seines Nachbarn und ertappt sich gleichzeitig dabei, wie intensiv er Oliver mustert.

    »Was ist?«, fragt Oliver ihm amüsiert, weil er die Blicke seines Gegenübers gespürt hat, und sieht Christoph mit errötenden Wangen an.

    »Äh, eigentlich nichts. Mir ist nur aufgefallen, dass du gar nicht so übel aussiehst.«

    »Was? Wie meinst du das?«

    »Na ja, ich finde, du hast ein recht … wie soll ich sagen … feminines Gesicht und siehst so zart aus. Mir kommt es vor, als würde neben mir ein Mädchen liegen und kein Junge.«

    »Ja, das habe ich schon oft gehört, aber mir ist es egal, was andere sagen, schließlich bin und bleibe ich ein Junge«, antwortet ihm Oliver, und wieder errötet er.

    »Mir kommt es vor, als würden wir uns schon länger kennen, obwohl das ja nicht sein kann, denn ich habe dich zuvor im Park noch nie gesehen. Aber jetzt, da wir hier mit unseren Gebrechen im Zimmer liegen, finde ich, dass wir uns ausgesprochen gut verstehen, meinst du nicht auch, Olli?«

    »Ja, das finde ich auch. Wir haben einen guten Draht zu einander, das ist mir auch schon aufgefallen. Es wäre vielleicht blöd, mit einem im Zimmer zu liegen, den man überhaupt nicht leiden kann.«

    »Ach, du magst mich?«, fragt Christoph amüsiert und kichert in sich hinein.

    »Verstehe das bloß nicht falsch, aber wenn ich ehrlich bin, siehst du auch gut aus, bei dir müssen ja die Mädchen Schlange stehen, was?«

    Christoph antwortet ungeniert: »Bei dir ist es doch bestimmt auch nicht anders, oder? Aber lass dich nicht täuschen; ich hatte bisher keinen allzu großen Verschleiß an Mädchen, denn Peggy war bis jetzt die einzige längere Beziehung, die ich hatte.

    Und, wie steht’s da mit dir, Don Juan?«, gibt er ihm zur Antwort und zwinkert ihm grinsend zu.

    »Ich hatte schon mehrere Freundinnen, aber von einer wollte ich mehr als nur Händchenhalten. Sie war richtig süß, doch leider war sie auch untreu, und das kann ich nicht verzeihen. Als ich es von dem Typen erfahren habe, dass er ein Verhältnis mit meiner Freundin hatte, war ich von den Socken. Ich machte sofort Schluss mit ihr, denn der Kerl war einer aus meinem Haus, der sich

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