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Pia Faller: Roman
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eBook252 Seiten3 Stunden

Pia Faller: Roman

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Über dieses E-Book

Der Klavierstuhl, der Bleistift in der Hand der Lehrerin, der Schein der Lampe: Bruchstückhaft
kehren die Erinnerungen des Erzählers an den Klavierunterricht in seiner Kindheit zurück, der abrupt endete, als die Lehrerin eines Tages unerwartet wegzog. Von der Frau hat er nie wieder gehört, doch ihre Tochter, Pia Faller, tritt nun plötzlich wieder in sein Leben. Eine Spurensuche zwischen Berlin und Linz beginnt … Der erstmals 1973 erschienene Roman von Franz Tumler ist eine intime literarische Annäherung an das Thema Vergangenheit und Erinnern.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum19. Juni 2019
ISBN9783709938713
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    Buchvorschau

    Pia Faller - Franz Tumler

    Verlag

    I

    An einem Nachmittag Juli, und bei bereit gestellten Sachen, weil er am Abend wegfahren will; und bei leerer Zeit, die er vor sich hat, vier Uhr, drei Stunden bis sieben Uhr, da will er fahren, aber fertig gepackt sie noch einmal anrufen, sehen und dann fahren – da fällt ihm etwas ein von ihr und ihm, das er ihr sagen will bei so wenigen gesprochenen Worten, bei so kurzer Bekanntschaft; sie sagte etwas von Musik, die sie neben ihrer Arbeit mache, in ihrem Zimmer, Klavier und Noten; und er sagte dann: Ich habe aufgehört mit Musik; und sagte ihr die Musikstücke, mit denen er aufgehört hatte, zwölf Jahre alt, dann dieselben Musikstücke immer wieder gespielt, viele Jahre, aber eines Tages aufgehört zu spielen.

    Nun kommt etwas von Zimmer und Klavier, wo sie spielt, ganz wenig, die weißen Blätter aufgeschlagen. Ich hatte es mir so nicht vorgestellt. Ich hatte sie bei den paar Malen, die ich sie getroffen hatte, immer nur bis an die Haustür gebracht, nun ging ich zum ersten Mal hinauf. Ein Haus mit verwitterter Fassade aus der Zeit vor 1914, drei Stockwerke, im dritten neben der geschnitzten Tür und dem trapezförmigen Messinggriff zum Anheben für die Klingel drei Namen: der ihre, Elfriede Schantl; dann der eines Untermieters, von dem sie mir erzählt hatte, daß er ausgezogen sei; dann eines Mannes Putzger, von dem ich wußte, daß sie mit ihm gelebt hatte, jetzt nicht mehr ganz mit ihm lebte; er wohnte wo anders, aber hatte noch Sachen da, so das Klavier, das ihm gehörte (in dieser Wohnung, die ihm auch gehörte), und kam noch. Ich wußte nicht so genau, wie das war; innen sah ich es genauer.

    Eine Menge Sachen von diesem Mann Putzger: Bilder, die er gesammelt hatte, Möbel, eine Art Magazin, alles zusammengerückt in dem großen Durchgangszimmer mit Namen „Berliner Zimmer" dieser alten Wohnungen, dahinter ihr eigenes war mit Bett, Büchern, Tisch und Kasten: ein kleines Zimmer, Kabinett, auf der Hofseite; und vorne, auf der anderen Seite des vollgeräumten Durchgangszimmers, ein leeres Zimmer, aus dem der Untermieter ausgezogen war, und das sie sich eben neu einrichten wollte, angefangen von Tapeten und frisch gestrichenem Fußboden, sie sagte: Ich will aus dem kleinen Zimmer raus.

    Ich war mit ihr in dem kleinen Zimmer, sie zeigte mir auch das neue leere Zimmer. Ehe wir weggingen, blieb sie in dem noch vollgeräumten Zimmer des nicht mehr ganz anwesenden Mannes stehen – dort stand das Klavier. Sie setzte sich auf den Drehstuhl und spielte von dem Blatt, das aufgeschlagen war. Es war ein Lied. Nach den paar Takten Anfang kam Gesang. Ich hörte ihre Stimme. Sie unterbrach sich, ließ die Hände auf den Tasten, schlug sie weiter an, aber sagte: Ich kann nicht singen. Ich kann auch nicht vorspielen, nur spielen.

    Ich sah auf ihren Nacken, auf ihr Haar, auf die Hände. Ich sagte: Ein so schöner Ton. Und kannst du eine Non greifen, und eine Dezim? – Es war ein Reden an der Oberfläche, aber dann, bei Nichtreden, als wir weggingen, ein Mitreden von Dingen: das Bild, als ich auf ihre Hände sehe, auf ihre Stimme höre, die den aufgeschriebenen Gesang nur spricht, und dann abbricht.

    Dann kommt: er wird sie sehen, was wird sein. Er hat dieses Bild: Ton, hören. An diesem Nachmittag Juli, als ich auf Nani (wie sie sich nennt) warte, aber da gab es eine Wendung in der Sache. Ich wollte sie anrufen, aber schob dann Anrufen auf. Da war sie es, die anrief. Ich sagte, daß ich auf sie warte; sie sagte: Bis gleich!

    Es klingelte. Ich öffnete. Da stand nicht Nani vor der Tür, sondern eine junge Bekannte, Ditha Meersburg, von der ich ihr erzählt hatte. Die Vorgeschichte dieser Bekanntschaft: Sehen und Wiedersehen, zuletzt ein Gespräch am Tisch einer Kneipe in Gesellschaft gemeinsamer Freunde. Das Thema dieses Gesprächs: Tabletten, Gift. Zwei Wochen später die Nachricht, daß Ditha in eine Heilanstalt gebracht worden sei. Mein Anruf dort, ihre Bitte, sie abzuholen, da sie entlassen werde. Als ich hinkam, war sie am Abend zuvor schon allein weggegangen, ohne Erlaubnis. Vergeblicher Versuch, sie zu erreichen. Aber nun stand sie vor der Tür. Sie hatte gehört, daß ich wegfahren wollte, und fragte mich, ob ich sie mitnehmen könne. Sie sagte nicht, wohin; ich fragte auch nicht sofort, ich sagte ihr, daß ich Nanis Besuch erwarte. Es war ihr recht, daß ich sie bat, in drei Stunden wiederzukommen, da könnten wir weiter sehen und vielleicht auch fahren. Sie blieb kurze Zeit. Sie hatte eine Flöte aus Ton mitgebracht. Ich hatte nicht gewußt, daß sie spielte. Aber als ich eine von Nanis Schallplatten auflegte, staunte ich, wie sie nachahmerisch sicher zu dem schwierigen Stück die Hauptstimme noch einmal blies. Sie hörte auf. Die Flöte ließ sie zurück.

    An diesem Nachmittag Juli, „ich werde sie sehen", da kommt neu der Inhalt der Geschichte, die er ihr erzählen will, was ihm eingefallen ist von ihm und ihr, daß er es ihr sagen will; zuerst von ihm:

    mir fallen zwei Dinge ein, die ich lange schon schreiben will, jetzt für sie schreiben will, ich fange schon an, während ich auf sie warte, damit halte ich sie fest; aber es sind Erinnerungen, von denen ich nur Namen und Zeichen habe

    die eine: der zerspellte Fingernagel, vom Kindergewehr, und wie ihm gesagt wurde, daß er aus dem Spital weggelaufen wäre, daran kann er sich nicht erinnern – hat aber den Spalt im Nagel

    die zweite: Anfang des Klavierspielens – es kam ihm, wenn er es schreiben wollte, immer langweilig vor: Beschreibung des Hauses, dreistöckiges Haus, derselbe Schnitt der Wohnungen – ich, als Kind, fünf Jahre alt, im Parterre; oben im dritten Stock, im „Kabinett", das Klavier der Frau Faller. Ich weiß, daß diese Frau mich zum Klavierspielen gebracht hat, mir die ersten Stunden gegeben hat oben bei ihr mit Bleistift auf dem Finger, Drehstuhl, und noch etwas – aber ich kann mich an nichts erinnern, und diese Familie oben ist dann weggezogen, wohin, weiß ich nicht. Ich habe dann weiter Klavierunterricht gehabt (ich kann sagen bei wem, kann mich an Namen, Gesichter erinnern) – aber ich habe nicht das Geringste an Erinnerung von Aussehen, Wesen der Frau Faller und ihrer Tochter, oder überhaupt etwas außer diesem Namen

    und hier der Ansatz- und Verbindungspunkt: einmal Anfangen mit Musik, dann Aufhören, jetzt wieder Organ für Musik durch diese Frau Elfriede Schantl oder „Nani", die er kennengelernt hat – und das Ende wäre: ein Heraufholen des vergessenen Anfangs und Verbindung mit dem jetzt – und Veränderung, Neues, das jetzt ist – Abreise zu dem Neuen.

    Aber ich kann die Geschichte so nicht schreiben, weil ich von ihr nichts habe außer diesem Namen in meinem Kopf: Pia Faller; und es ist nicht der Name der Hauptperson, sondern der ihrer Tochter, die ungefähr gleich alt war wie ich, fünf Jahre (später erfuhr ich, um wenig älter, sechs Jahre)

    – ich will eine Geschichte schreiben, die ich erlebt habe, aber an die ich mich nicht erinnern kann. Daher muß ich sie mir erfinden

    – ich muß zwei Geschichten schreiben, eine von jetzt, und die Geschichte von damals; aber daß ich die Sache überhaupt schreiben will, kommt von meiner Sache mit Nani jetzt: an diesem Nachmittag Juli, als ich auf sie warte (und plötzlich weiß, daß mir in der Geschichte mit ihr etwas von dieser Geschichte von früher begegnet). So muß ich diese Sache in mir und ihr jetzt hervorbringen. Vielmehr sind es auch von früher die zwei Sachen, die ich habe – und jetzt noch habe als ungetilgte Stücke auf meinem Körper und im Hirn. Von dem zerspellten Nagel kann ich eine vollständige Geschichte erzählen: er kommt von einem Kindergewehr mit Zündplättchen und Hahn. Wenn der Hahn niederschlug, knallte das Plättchen. Aber ich hatte meinen kleinen Finger der rechten Hand dort liegen, der Hahn zerschlug den Nagel – und so geht die Geschichte weiter: weil wir außen am Stadtrand von damals wohnten, nahe den Spitälern, trugen sie mich um die paar Ecken ins „Isabellen-Kinderspital, und weil ich blutete, ließen sie uns dort gleich ein, und weil ich schrie, hielten mich die Schwestern auf dem Operationsstuhl fest. Aber da war ich still, und sie ließen mit ihrem Griff nach. Diesen Augenblick benutzte ich und sprang und rannte aus dem Haus bis zu unserem Haus, und nun gaben sie es auf, mich schneiden und nähen zu lassen, daher ich den zerspellten Nagel behielt. Es ist kein Schmerz dabei. Ich hätte die Sache jetzt nicht beachtet, wäre nicht dieser Umstand, daß ich von der Geschichte, die ich erzähle, in Wirklichkeit nichts weiß, sondern sie nacherzähle, wie sie mir erzählt worden ist. Es wurde eine feste Geschichte in mir. Wenn ich mich anstrenge, erinnere ich mich an ein paar Einzelheiten: ein Schaft aus braunem Holz, ein rötliches Braun wie Kastanien, unangenehm anzufassen: faserig, weiches leichtes Holz wie von Christbäumen. Dann ein Stück Kiesweg entlang einer Hecke, sie gehörte zum Garten des „Allgemeinen Krankenhauses, hinter dem das „Haus der Unheilbaren kam; und, nach Schienen eines Industriegeleises und dem Rand des Flugplatzes und der Giebelfront einer Kaserne das „Isabellen-Kinderspital. Aber nichts von diesem Spital außer etwas von weißem Leder auf Armstützen und weißen Schwesternhauben, nichts von Schreien oder Nichtschreien und Weglaufen. Ich habe außer diesem Rotbraun von Holz und Grün der Hecke und griffigem Weiß nichts behalten. Ich habe die mir vorerzählte Geschichte. Aber ich würde auch jetzt von ihr nicht erzählen, gäbe es nicht diese zweite Sache von früher, von der ich nur diesen Namen habe: Pia Faller; und wäre nicht dieser Augenblick Juli gewesen bei schon bereit gestellten Sachen und bei aufziehendem Gewitter, so scheint es, aber man weiß nicht, ob es kommt oder nicht kommt, einstweilen schickt nur der Wind kühlere Luft herein zwischen Laub und Mauern, und die Laubzweige gehen hin und her, aber dann wieder steht das Licht auf der Mauer –, und bei leerer Zeit, als ich auf Nani warte und ihr alles von der Geschichte genau sagen wollte wegen dieser Pressung auf Zeit: zwei Stunden Abschied, und wegen der ich ihr einen Stein erzeugen will aus den an der Oberfläche gesprochenen Worten, damit der Abschied von ihr kein Aufhören ist.

    Ich frage mich, warum diese Geschichte in Gegenständen vorangeht: die Flöte von Ditha Meersburg, die Schallplatte von Nani. Sie hatte mir den Anfang auf dem Klavier gespielt, dann mir die Platte gegeben. Ich hatte sie mir jeden Tag vorgespielt. Jetzt, nach so vielen Tagen, frage ich mich, was mich in dieser Zeit beschäftigt hat, als gehörten die Gegenstände dazu.

    Der Anfang mit Nani war Zufall, es lohnt nicht, davon zu erzählen. Ich traf einen Bekannten in einer Gesellschaft von Leuten, er lud mich ein, an diesem Abend zu ihm zu kommen, er gebe ein Fest. Es war eine Einladung aus dem Augenblick. Ich ging, aus eben diesem Grunde immer noch unschlüssig, hin, traf andere Bekannte, kam mit ihnen ins Gespräch, sah dann, auf dem letzten Stuhl, eine junge Frau, sie sprach mit. Ich kannte sie nicht. Ich forderte sie zum Tanzen auf. Nach dem Tanzen war ich stiller. Ich dachte: dieser Abend ist gewesen wie er sein sollte, eine Einladung ohne Verbindlichkeit. Ich verabschiedete mich. Als ich mich von der jungen Frau verabschiedete, küßte ich sie. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, eine Person, die ich nicht mit Namen kannte, dann noch ein zweites Mal zu küssen, danach ging ich. Zwei Tage später rief mich ein Freund, der bei dieser Einladung nicht gewesen war, an und forderte mich auf, zu einer Diskussion zu gehen. Der Gegenstand interessierte mich, ich ging hin, kam zu spät und traf in einer Pause im Foyer meinen Freund mit vier anderen Leuten, darunter die junge Frau; und als es weiter ging und wir beide keinen Platz hatten, suchte ich ihr einen, wir saßen auf zwei Stühlen nebeneinander, und plötzlich gab es eine Art von in nichts gegründeter Bekanntschaft, eine Mitwisserschaft ohne viel Worte, und bei mir eine Spannung, daß ich es nicht fertig brachte, länger neben ihr zu sitzen. Ich sagte, ich müsse gehen, aber morgen sei ein freier Tag, und ich wolle bei schönem Wetter hinausfahren ans Wasser; ich lud sie dazu ein. Sie sagte: Wann? Ich sagte: Um elf. Sie sagte: Das ist spät, warum nicht zehn? Als ich um zehn auf sie wartete, sagte ich mir: was soll das, einen freien Tag in solch ein Unternehmen gesteckt; und als sie dann kam, fiel mir wie etwas Mechanisches ein, wir könnten ein Boot nehmen, ein Stück fahren. Ich sagte ihr davon nichts, aber tat es. Wir fuhren über die Bucht, machten das Boot an einem Baumstamm, der im Wasser lag wie eine Klippe, fest, der Wellenschlag drängte uns an den Stamm. Sie sagte: Kann man das Boot nicht auf der anderen Seite festmachen? Ich verstand, dorthin kamen die Wellen nicht. Das Boot lag ruhig, sie erzählte, und nach einer Zeit leerer Worte sprach sie von ihrem Musikspielen und Hören. In dem Augenblick fielen mir meine Geschichten von früher ein. Ich sagte es ihr. Es waren, bei Nichtkenntnis der Person, die gewöhnlichsten Worte bis zu dem Grad, daß ich ihr, als wir an Land gingen, sagte: Jetzt werde ich Musiker, und ich habe nie gedacht, warum das aufgehört hat.

    Einen Augenblick von draußen muß ich nachtragen. Sie lag im Boot, ich griff ihr an die Brust und fragte sie, ob sie das möge. Sie sagte mit einer nüchternen gebrochenen Stimme: Natürlich mag ich es.

    Ich sah sie acht Tage lang nicht, aber hielt wie in einer Schmutzfaust halb vergessener Worte etwas in meiner Tasche von Erinnerung fest an jetzt und früher. Und dann kam dieser kurze Besuch bei ihr: ihr Zimmer mit Gegenständen von Leben darin, das ich nicht kannte; ein plötzlicher Abstand bei diesem Kenntnisnehmen eines anderen Lebens bei ihr. Ich habe es vor mir: dieses Besetztsein durch Möbel, Bilder – ein Stoff, mit Metallfäden durchwirkt, ein Berg Wäsche, Geschirr. Mit Worten konnte ich dagegen nicht aufkommen. Aber nun blieben, als wir gingen, diese paar Takte, eine Stimme Nichtsingen, ein vergessenes Lied.

    Ich denke, es ist etwas Ähnliches wie an diesem Nachmittag Juli. Das Ähnliche ist die Aussicht auf die Bäume: hier der Baum vor meinem Fenster bei Vorflut von Gewitter; damals bei Frau Faller die Birnbaumkrone mit gelacktem Blatt. Hier: Sprechen von Musik; dort: Anschlagen auf dem Klavier.

    Aber ich habe auch von jetzt zwei Geschichten. Ich ging auf den Balkon und sah durch das Laub auf die Straße. Es war still, wegen Ferien, viele Leute verreist. Die Blätter hatten von den Gewittern des Sommers Feuchtigkeit behalten, aber waren von der modrigen Schwelluft auch schon zermürbt und brandig, der Nachgewitterwind strich sie ab auf das Pflaster. Nani kam. Ich sah sie heranfahren. Sie hielt und fuhr schnell, mit Rückwärtsgang, Einschlagen, an die Bordsteinkante unter dem Baum. Sie war da. Ich sagte ihr in die engen graudichten Augen, daß Besuch da gewesen sei, und wer es gewesen war und wieder kommen und mit mir fahren wolle; ich zeigte ihr die Flöte.

    Dann erzählte ich ihr. Dann kam Ditha. Ich sah die zwei Gestalten von jetzt, wie sie sich miteinander unterhielten: Nani mit eng gestellten Augen und gebrochener Stimme. Ditha ging mir wie Dampf auf die Haut, sie saß wie ein Geist ungekämmt da, Goldschimmer auf dem Haar, und klares, irres Reden.

    Ich glaube es nicht, daß sie irre ist, auch jetzt nicht, wo es mir jemand sagt, nach Wegfahren mit ihr, und ihrem Sprechen, daß sie zurückwill, Verständigung per Brief und Telefon; aber dann Unvermögen, sich zu verständigen. Oder ich helfe ihr durch Unglauben, sie sei irre, oder bringe mich selber in diese Sprache.

    Darauf bin ich aus.

    Nani erzählte, daß sie Putzgers Klavier inzwischen aus dem vollgeräumten Durchgangszimmer in das leere vordere Zimmer gerückt habe, das sei der erste Einrichtungsgegenstand darin. Sie erzählt eine Vorgeschichte von Transport des Klaviers, das ursprünglich in ihrem Kabinett auf der Seite gegen den Hof gestanden habe, aber das sie wegen der Enge in das Durchgangszimmer gerückt habe, zwischen die Möbel und Bilder des damals noch ganz anwesenden Mannes Putzger; sie sagt: Jetzt habe ich es nach vorn gerollt.

    Sie sagt „gerollt", und daß es eine schwere Arbeit war. Aber zwei Jahre habe sie in dem Durchgangszimmer gespielt. Und ein Jahr im Kabinett. Ich frage sie nicht, wie lange zwei und ein Jahr sind, ich denke an ihre Anstrengung jetzt. Sie sagt: Ich habe es allein gemacht, und es ging auch, mit Rollen. Das Klavier hat unter seinen Füßen Glasfüße, und zwischen den Füßen und den Glasfüßen sind eiserne Rollen. Ich mußte es lüpfen, die Glasfüße wegschubsen, dann stand es auf den Rollen und war beweglich.

    Ich hatte es an ihrem Klavier nicht beachtet. Aber nun fällt mir ein, daß es auch bei uns so gewesen war: unten an den Füßen kleinere gläserne Füße; und auch bei uns war das Klavier einmal transportiert worden. Es kam vom Kabinett ins Wohnzimmer. Der Grund war, daß wir das Kabinett abgaben, an einen Untermieter. Das war, als Frau Faller schon weg war. Ich übte im Wohnzimmer die Lektionen, die mir ihre Nachfolgerinnen angestrichen hatten. Ich machte keine Fortschritte mehr.

    Der Name Faller. Er fiel mir übrigens nicht ein wie etwas, das ich vergessen hatte, er war mir stets im Gedächtnis gewesen, ich hatte ihn nur nie gebraucht. Ich sagte es so: An diesen Namen habe ich nie mehr gedacht, die zogen damals auch weg, aber natürlich habe ich mir den Namen gemerkt. Ich sagte: In dem Stock über uns der Professor Ruth, der den Tod sah – sagte meine Großmutter, wenn er droben schrie; seinen Sohn habe ich später oft im Café gesehen, er unterrichtete Musik. Darüber die Scharitzer, deren Vorvater war Bürgermeister gewesen, deshalb hieß eine Straße in unserer Stadt „Scharitzerstraße". Darüber im dritten Stock die Faller, da gab es keinen Mann, nur die Frau Faller und ihre Tochter Pia Faller; der Frau habe ich es zu verdanken, daß ich mit Musik anfing, mit Klavierunterricht.

    Ich sagte: Aber was alle diese Leute waren, verstehe ich erst jetzt, damals dachte ich mir nichts bei den Namen. Z. B. Scharitzer, die kamen doch irgendwie aus Böhmen. Oder auf der anderen Seite: Rohrweck. Das waren Deutsch-Böhmen (und vermutlich ein ursprünglich tschechischer Name, auf deutsche Schreibung gebracht); eine Mutter, die Pension bezog, und ihre Tochter Ottilie, die ins Büro ging, blond. Und darüber die Weidinger: Hofrat Weidinger, der mit grauem Spitzbart und Lüsterjacke an einem Stock mit Silbergriff ging, und seine Frau, eine schmale Person mit Silberhaar, die sich im Gespräch immer vorbeugte, um Höflichkeit zu zeigen; und ihr Sohn Gustl, der ein Chemiker war und im Haus nebenan ein Zimmer gemietet hatte; da experimentierte er, und eines Tages explodierte etwas, da knallte es bis in unser Haus. Mir fiel alles Mögliche ein zu dem Anhalt der Namen. Aber bei Frau Faller konnte ich mich nur an den Namen der Tochter erinnern, an nichts von ihr.

    Ich sagte: Wir hatten ein Klavier, ich habe noch ein Foto davon. Ich zeigte die Fotos. Auf diesem einen ist das Klavier zu sehen, vielmehr diese schmalbrüstige Art Piano, bei uns hieß es Pianino. Vor dem Klavier eine junge Frau und ein Mann, die sich einander zudrehen, sie machen Pause. Die Frau mit vollem Haar und in weißer Spitzenbluse, der Mann mit einem Zwicker auf der Nase

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