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Alles Recht geht vom Volksgeist aus: Friedrich Carl von Savigny und die moderne Rechtswissenschaft
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eBook231 Seiten2 Stunden

Alles Recht geht vom Volksgeist aus: Friedrich Carl von Savigny und die moderne Rechtswissenschaft

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Über dieses E-Book

Friedrich Carl von Savigny gilt als der bedeutendste deutsche Rechtsgelehrte. Die adlige Herkunft ermöglichte ihm den Zugang zu den höchsten Staatsämtern, sein feinsinniger Intellekt brachte ihn in enge Verbindung zu den maßgeblichen Dichtern der Zeit. Seine Lehre vom Volksgeist als dem Ursprung allen Rechts verband diese beiden Welten: Aus dem Gedankengut der Romantik entwarf er ein Programm, mit dem das alte Naturrecht überwunden und der Weg für eine neue Rechtsordnung gebahnt werden sollte. Aber so revolutionär seine Wissenschaft auch war, politisch stand er den Fortschritten seiner Zeit ablehnend gegenüber. Beides wirkt bis heute nach: Savignys wissen schaftliches Selbstverständnis prägt die Rechtslehre noch genauso wie seine Skepsis gegenüber politischen Veränderungen.

Dieser Spannung zwischen Aufbruch und Stagnation in Leben, Werk und Nachwirken Savignys geht Benjamin Lahusen in seinem elegant und kenntnisreich geschriebenen Savigny-Porträt nach.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum6. Dez. 2019
ISBN9783947373505
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    Buchvorschau

    Alles Recht geht vom Volksgeist aus - Benjamin Lahusen

    Kapitel.

    Dichterliebe

    Erlöser

    Ein ganzes Leben als Gedicht. In feinen fünfhebigen Jamben formulierte Karl Esmarch 1879 ein Festepos, das von nahezu religiöser Verehrung für den Jubilar getragen zu sein schien. Ein König sei es, dessen man gedenken wolle, ein Kronenträger und Prophet: »Der als Erobrer kam und als Befreier, / Der von des Rechts erlauchtem Götterbild / Mit kühner Rechte riß des Wahnes Schleier – / Der Heros ist es, dem die hohe Feier / In dieses Tempels Hallen gilt.« Aus tiefem Dunkel habe er seine Zeitgenossen ans Licht der Erkenntnis geführt, wo »Eintracht herrscht und Frieden und Versöhnung«. Alle Welt hätte sich dem neuen Helden angeschlossen; die wenigen Ausnahmen – »Buben« mit »Pfeilen giftdurchquollen« –, die gemeint hatten, es besser zu wissen, seien längst »versunken und verschollen«, vergessen hinter dem strahlenden Glanz des Siegers. Kein Wort war zu groß für dessen Taten; der Lobpreis steigerte sich im Fortgang der Ode zu einer Begeisterung, deren Maßlosigkeit selbst dem Schriftbild einige ehrerbietige Anpassungen abnötigte. »Das ist es was die Jubelklänge sagen – / Das braust in der Gesänge Melodie: /S e i th u n d e r t m a ld e rS o n n eg o l d n e rW a g e n/Z uu n s e r mS t e r n ed i e s e nT a gg e t r a g e n/E r s c h i e na u fE r d e nSavigny.« Der gewöhnliche Sperrdruck, üblicherweise zur Heraushebung des Besonderen eingesetzt, genügte nicht mehr, um die Geburt des »Genius« und »Lichtverkünders« angemessen zu würdigen. Erst der Fettdruck wurde der Einzigartigkeit des Heilsbringers gerecht.¹

    Dabei ist bereits die Existenz des Gedichts an sich Beleg für eine Sonderstellung des Geehrten. Friedrich Carl von Savigny, dessen 100. Geburtstag von Esmarch in Versform verewigt wurde, war Jurist. Und was immer sich über Juristen sagen lässt – der Gegenstand lyrischer Gesänge sind sie nur selten. Savigny aber war anders. Fast 200 Verse widmete ihm allein Esmarch; gut 20 Jahre nach dem Tod des großen Vorbildes entzog er dessen Leben und Werk irdischen Maßstäben und erhob sie ganz in mystisch-märchenhafte Sphären: Mit »Heldenarmen« und »ewalt’gem Schwerte« habe Savigny »das Geschlecht der Drachen« besiegt, den »Lindwurm« zerschmettert; jahrhundertealte Legenden hätten seiner »diamantenklaren« Geisteskraft weichen müssen und endlich überall der wahren Wissenschaft Platz gemacht, »von West und Ost und Süd und Nord«. Alle Himmelsrichtungen folgen einem Juristen. Wie gesagt: Savigny war anders.

    In gewisser Hinsicht war aber auch Esmarch anders. Die Hymne galt nämlich nicht nur einem Juristen, sie stammte auch von einem Juristen. Esmarch wurde 1824 auf der Ostseeinsel Alsen geboren, verbrachte die Kindheit in Lübeck, studierte später Rechtswissenschaften in Bonn, Heidelberg und Berlin, begleitete seinen Vater zum Paulskirchenparlament nach Frankfurt, kehrte anschließend nach Kiel zurück, um gegen die Dänen zu kämpfen, wurde nach der Niederlage 1851 Privatdozent in Göttingen und 1854 Professor für römisches Recht in Krakau. Drei Jahre später berief man ihn nach Prag, und dort blieb er bis an sein Lebensende. Die Allgemeine Deutsche Biographie beschreibt ihn als konservativen Gelehrten mit ausgeprägtem Sinn für poetische Formen.² Neben einer Monografie zur römischen Rechtsgeschichte und einem Lehrbuch zum römischen Zivilrecht schrieb er einige epische Werke und übersetzte Teile der Edda. Dass er mit Savigny jemals zusammengekommen wäre oder auch nur eine einzige Vorlesung bei ihm gehört hätte, ist nicht überliefert. Dem Dichterjuristen Esmarch genügte bereits eine ferne Ahnung, um aus Savignys Großtaten Inspiration für eigene literarische Höhenflüge zu ziehen. Ein Jurist hört von einem anderen Juristen – und dichtet. In der langen Geschichte von Recht und Rechtswissenschaft gibt es außer Savigny wohl niemanden, der ähnlich überschwängliche Reaktionen bei seinen Kollegen hervorgerufen hätte.

    Und mehr noch: Savigny fand diese Anerkennung nicht nur bei den Vertretern der eigenen Zunft. Esmarch war lediglich einer von vielen, denen Savignys Schaffen Anlass für eine literarische Auseinandersetzung bot. Nicht alle waren von derselben Anbetung getragen. Aber bereits in jungen Jahren entwickelte Savigny eine Anziehungskraft, der sich seine Zeitgenossen nur selten entziehen konnten. Und da er seit ebenso jungen Jahren in enger Verbindung mit den verschiedensten Dichtern, Schriftstellern, Künstlern, und Gelehrten seiner Zeit lebte, tauchte seine Person mehr als nur einmal in literarischen Verarbeitungen auf. Man sprach von ihm, ob Johann Wolfgang von Goethe oder Heinrich Heine, ob Karoline von Günderrode oder Wilhelm von Humboldt. Ein Jurist inmitten von Denkern. Wer war diese Ausnahmegestalt?

    Glückskind

    Friedrich Carl von Savigny wird am 21. Februar 1779 in Frankfurt am Main geboren. Die adlige Familie stammt ursprünglich aus dem französischen Oberlothringen, war aber um die Mitte des 17. Jahrhunderts ihres protestantischen Glaubens wegen nach Deutschland gekommen. Hier lebt man über Generationen hinweg in enger Fühlung mit Ordnung und Repräsentanz des alten Reiches. Damit verbindet sich ein ansehnlicher Wohlstand, aus dem schließlich ein Reichtum erwächst, der eine sorgenfreie Existenz garantiert: Savignys Großvater heiratet in die millionenschwere Familie von Cranz ein und erbt einen beträchtlichen Teil des Vermögens, als sein Schwiegervater stirbt. Der Rest geht zunächst über auf seinen Schwager, Johann Carl von Cranz, seinerseits ein hoher Beamter, der fast 20 Jahre am kaiserlichen Hof in Wien dient. Als Johann Carl 1751 kinderlos stirbt, wird Savignys Vater Alleinerbe. Zu den Hinterlassenschaften gehört auch das Landgut Trages bei Hanau, das für die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte zu so etwas wie dem Familiensitz der Savignys wird. Wie viele der Vorfahren reüssiert auch Savignys Vater Christian Karl Ludwig in einer Beamtenkarriere, die ihn bis in das Amt eines Geheimen Regierungsrates bringt. 1766 heiratet er die deutlich jüngere Henriette Philippine Groos, eine feinsinnige, gebildete und religiöse Frau, die ein ebenfalls bedeutendes Vermögen mit in die Ehe bringt.

    Gleichwohl ist dem Paar kein frohes Leben vergönnt. Der Tod hält die Familie klein. Neun Kinder sterben noch in den ersten Lebensjahren, eine Tochter im Alter von zwölf, ein Sohn mit dreizehn Jahren; so müssen die Eltern elf Kinder zu Grabe tragen, bevor 1791 erst der Vater, nur ein Jahr später auch die Mutter sterben. Obwohl das Schicksal nur ein einziges Kind der Familie am Leben ließ, war es der Welt am Ende wohlgesinnt, indem es gerade dieses eine auswählte – Ernst Landsberg, ein früher Biograf, drückt die Dankbarkeit der Gelehrten so aus: »Mit Glücksgütern zwar reichlich ausgestattet, aber völlig verwaist blieb einzig übrig ein 13jähriger Knabe, der zum Heile der Rechtswissenschaft vom Tode verschonte Friedrich Carl von Savigny.«³

    Der frühe Tod seiner Verwandten ist es auch, der dem erwählten Kind erste Erfahrungen mit dem Recht verschafft. Savigny kommt in die Obhut eines nahen Familienfreundes, Johann von Neurath, bei dem er Alternativen zu der vorgezeichneten Beamtenlaufbahn kennenlernt. Von Neurath ist Assessor am Reichskammergericht in Wetzlar, dem höchsten Gericht des alten Reiches, wo er die Tätigkeiten ausübt, die heute einem Richter zufallen. Mit dem praktischen Leben des Rechts ist er deshalb aufs Engste vertraut. Diesen Erfahrungsschatz beginnt er früh an seinen Sohn Constantin und den zwei Jahre jüngeren Savigny weiterzugeben. Schon in jugendlichem Alter erhält Savigny daher Rechtsunterricht, der sich allerdings, glaubt man den Schilderungen, vorwiegend durch Stumpfsinn auszeichnet: Auf eine lange Liste von Fragen ist eine noch längere Liste von Antworten auswendig zu lernen. Für einen freien Geist unerträglich, aber bei entsprechendem Pflichtbewusstsein trotzdem brauchbar für erste Grundkenntnisse. Zu Ostern 1795, gerade einmal 16 Jahre alt, schreibt sich Savigny an der Universität Marburg zum Studium der Rechte ein.

    Die hessische Provinz freilich hat ihm keine mitreißenden Persönlichkeiten zu bieten. Bleibenden Eindruck hinterlässt nur Philipp Friedrich Weis, ein gediegener Rechtshistoriker, dessen größte Leistung vermutlich darin besteht, den Genius des Wunderkindes zu entdecken; »ausgezeichnete Talente, scharfe Beurteilungskraft und gründliche Kenntnisse im römischen Recht« veranlassen Weis, seinen jungen Schüler ohne Bedenken zum »vorzüglichsten unter allen meinen Zuhörern während meines akademischen Lehramts« zu erklären.⁴ Das Wintersemester 1796/97 verbringt Savigny in Göttingen, damals eine der bestangesehenen deutschen Universitäten. Sein besonderes Interesse am historischen Wachstum von Recht und Gesellschaft erhält dort weitere Nahrung durch die packenden Vorlesungen von Ludwig Timotheus von Spittler.

    Die akademischen Anregungen in Göttingen sind zwar etwas vielfältiger als in Marburg; dennoch bleibt die Zeit nicht ungetrübt. Savigny begegnet erstmals einem Phänomen, das ihn zeitlebens begleiten soll. Obwohl noch keine 20, erweist sich seine Konstitution als nur eingeschränkt belastbar. Die frühe Bekanntschaft mit dem Tod hat Spuren hinterlassen; »mein Herz hat traurige Schicksale gehabt«, schreibt der junge Savigny einem Freund, nun suche er sich »hinzuhalten mit Zerstreuung und Arbeit«.⁵ Immer wieder verdunkelt eine tiefe Melancholie sein Gemüt, und immer wieder versucht Savigny, den aufziehenden Seelenschmerz durch besonderen Studienfleiß zu betäuben. Seine ohnehin zerbrechliche Physis ist solchen Anstrengungen auf Dauer nicht gewachsen. Das Studium in Göttingen betreibt Savigny mit einem strengen Ernst, der schließlich zu einem Blutsturz führt. Zur Erholung verbringt er den Sommer 1797 in ruhiger Abgeschiedenheit auf Gut Trages. Auf die Zielstrebigkeit seiner Zukunftspläne hat das kaum Auswirkungen. Er studiert noch knapp zwei weitere Jahre in Marburg und rundet anschließend seine Ausbildung mit einer längeren Kavaliersreise ab. Und hier nun nimmt eine wundersame Wandlung ihren Lauf. Aus dem begabten Juristen wird binnen kurzer Zeit ein allgemein verehrter Kulturschaffender.

    Wanderer

    Auf einer der ersten Stationen der Reise, Gut Lengfeld im Odenwald, trifft Savigny auf Karoline von Günderrode. Sie ist ein Jahr jünger als er, gleichfalls früh verwaist und hat wie Savigny einzelgängerische Neigungen, die sie jedoch auf andere Weise als er verarbeitet: Sie schreibt, leidenschaftliche, träumerische Gedichte. Savigny hinterlässt einen tiefen Eindruck bei ihr, liebevoll beschreibt sie seine »zauberischen« Augen, seinen »wunderbaren Kopf« und »den sanften Schmerz, den sein ganzes Wesen ausdrückt«.⁶ Die beiden tauschen einen flüchtigen Kuss, aber als es Zeit wäre, sich zu erklären, schweigt Savigny lange und fragt dann verlegen nach dem Wohlergehen von Karolines Bruder. Auch wenn Savigny sich nach seiner Abreise sogar bei Freunden über die »häuslichen Verhältnisse, Kindererziehung pp.« der Familie Günderrode erkundigt,⁷ bleibt er zu Karoline letztlich auf sicherer Distanz. Sein Innenleben hält er lieber verschlossen. Diese Zurückhaltung in persönlichen Dingen zeichnet sein ganzes Naturell aus; die Freunde bewundern Savignys »scharfsinnige, besonnene, gewandte, erfindsame […] Hermesnatur«, aber sie vermissen an seinem Wesen das »italienische Colorit«, jene »begeisterte und begeisternde Seligkeit, welche, das Leben verschönernd, dennoch den Tod liebt«.⁸ Leidenschaften, Abenteuer, Unwägbarkeiten sind seine Sache nicht.

    Der verliebten Günderrode empfiehlt Savigny abschließend mit altväterlicher Verbindlichkeit, sie solle »das rechte Verhältnis der Selbständigkeit zur Hingebung« suchen.⁹ Was immer das heißen mag: Mit den Abgründen der jungen Dichterin will er nichts zu tun haben. Diese fühlt deutlich, »wie weit ich von dem Ideal entfernt bin, daß sich ein S. erträumen kann«;¹⁰ was von ihm in ihrem Leben bleibt, ist nicht mehr als »der Schatten eines Traumes«.¹¹ Ein Gedicht der Günderrode erinnert an die schmerzliche Episode: »Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht, / Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten, / Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten, / Daß neue Wonne meine Lippe saugt.« Der Tag bringe ihr keine Freuden, erst in den nächtlichen Träumen finde sie »süßen Balsam«. »Drum birg’ dich Aug’ dem Glanze irdscher Sonnen! / Tauch Dich in Nacht, sie stillet Dein Verlangen / Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen«, schließt die verzweifelte Dichterin, nicht ohne dem Angebeteten das Gedicht mit dem Zusatz zu übersenden: »Solche Dinge träumt das Günderrödchen, und von wem? Von jemand, der sehr lieb ist und immer geliebt wird.«¹²

    Aber Savigny liebt nicht zurück. Vom Treffen im Odenwald zieht er weiter und reist ein gutes Jahr durch Deutschland; er kommt nach Fulda, Wartburg, Gotha, trifft Jean Paul in Eisenach, besucht Christoph Martin Wieland in Oßmannstedt, wo auch dessen Jugendfreundin Sophie von La Roche zugegen ist, über die Savigny kurz darauf mit deren Enkeln Clemens und Christian Brentano zusammenkommt – »eine der schicksalhaften Begegnungen des Zeitalters der Romantik«,¹³ die zu einer engen Freundschaft zwischen Savigny und Clemens führt. Zwischendurch arbeitet Savigny sich durch die Bibliotheken von Weimar, Leipzig, Jena und Halle, sichtet alte Drucke, sammelt Handschriften, begutachtet den Stand seiner Wissenschaft. Als er im August 1800 nach Marburg zurückkehrt, hat er bereits den Stoff für eine Dissertation im Gepäck, die er in wenigen Monaten fertigstellt. Und irgendwo auf dieser Reise muss der Entschluss zur endgültigen Reife gelangt sein, auf die höchsten Staatsämter, die Herkunft und Begabung in Aussicht gestellt hatten, einstweilen zu verzichten und stattdessen – gegen den dringenden Rat der Freunde – die Wissenschaft zum Beruf zu machen. Damit ehrt Savigny den Professorenstand auf bis dahin unbekannte Weise. In den Staatsämtern des Ancien Régime hatte sich der Adel in der Regel wohler gefühlt als an der Akademie. »Ein Wunder« nennt es Goethes Wilhelm Meister 1796, »wenn ein Mann von Geburt sich den Wissenschaften widmete«.¹⁴ Aber Savigny will mehr als nur ein Wunder vollbringen. »Ein Reformator der Jurisprudenz, ein Kant in der Rechtsgelehrsamkeit zu werden«, das sei sein Plan, so schildern Freunde seine begeisterte Ankündigung.¹⁵

    Und er macht sich gleich an sein grundstürzendes Werk. In Marburg beginnt er eine Lehrtätigkeit, die seine Zuhörer schon wegen ihrer intellektuellen Brillanz unweigerlich fesselt, dazu kommt seine imposante, großgewachsene Erscheinung und das schulterlange Haar. Zu seinen ersten Studenten gehören Jacob und Wilhelm Grimm, die bald eine grenzenlose Verehrung für Savigny entwickeln. »Dieses lehrenden Mannes freundliche Zurede, handbietende Hülfe, feinen Anstand, heiteren Scherz, freie, ungehinderte Persönlichkeit kann ich nie vergessen«, schwärmt Jacob von dem kaum älteren Lehrer,¹⁶ dem er brieflich offen bekennt: »Ich werde Sie immerfort lieb haben.«¹⁷ Die Deutsche Grammatik, die Jacob 1819 erstmals vorlegt, widmet er dem bewunderten Meister. Und Wilhelm notiert: »Ich würde ohne Bedenken mein ganzes Leben in seine Hände legen. […] Sein Muster muntert mich auf, es macht aber auch mutlos, weil man es nicht erreichen kann.«¹⁸ Diese letzte Einschätzung ist durchaus zutreffend – bis heute unerreicht geblieben ist das erste Werk, das der Dozent Savigny 1803 vorlegt: Das Recht des Besitzes, das den 24-Jährigen an die Spitze der deutschen Privatrechtswissenschaft setzt und ihn zudem zum außerordentlichen Professor in Marburg macht.

    Studiermaschine

    Savigny steht nun im Zentrum eines echten romantischen Kreises. Der Philologe Friedrich Creuzer gehört dazu, mit dem Karoline von Günderrode bald eine neuerlich schmerzhafte Affäre beginnt, die Brüder Grimm, Achim von Arnim, Clemens und Christian Brentano, und natürlich deren Schwestern, allen voran die umtriebige Bettina, die sich von Savignys stillem Wesen ebenfalls angezogen fühlt. Clemens versucht hartnäckig, Savigny mit Bettina zu verkuppeln – »es ist ein Mädchen von Gott gesandt, schüzzen sie die heilige Pflanze«, schreibt er dem gelehrten Freund im Herbst 1800,¹⁹ und auch Bettina arbeitet offen und unbekümmert für eine gemeinsame Zukunft. »Denken Sie an mich«, fordert sie von Savigny und moniert mit gespielter Entrüstung sein Desinteresse: »Ihr könnt das Posthorn von meinem Reiswagen hören und wüßtet nicht, daß ich es bin«,²⁰ und weiter: »Ich will wetten, Sie wissen nicht mehr, wie ich aussehe, ob ich braune oder blaue Augen habe«, während sie ihn umgekehrt ausführlich studiert habe: »Sie haben große Blaulichte Augen und einen sehr frommen Mund übrigens haben Sie einen sehr wunderbaren Kopf und um diesen sind Sie großer als viele andre und um 3 großer als ich.«²¹

    Aber alles Werben und Beten hilft nichts. 1804 heiratet Savigny die ältere Brentano-Schwester Kunigunde, die, deutlich spröder als

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