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Totensteine: Krals sechster Fall
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eBook278 Seiten3 Stunden

Totensteine: Krals sechster Fall

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Über dieses E-Book

„In ihm regte sich eine unbändige Wut auf diese verdammte Holzkiste, die seine gewohnte Ordnung störte. Weg mit dem Ding! Särge gehören ins Feuer! Was sonst! Keine Ahnung, würde er auf Nachfrage sagen, ich hab nur das gemacht, was ich immer mache. Was konnte man ihm schon anhaben?“

Felix Overbeck studiert mit einem gefälschten Abiturzeugnis Archäologie. Als der eher sympathische Hochstapler mit einer tödlichen Schussverletzung aus dem Selbbach gefischt worden ist, führt eine Spur nach Tschechien.
Aber die Polizeibehörden der beiden Seiten landen schnell im Niemandsland der Zuständigkeiten. Was liegt näher, als bewährte Kräfte, die frei von den Fesseln der Vorschriften sind, in die Ermittlungen einzubeziehen. Der pensionierte Lehrer Jan Kral aus Selb und der ehemalige Major Josef Brückner aus Asch stoßen auf eine explosive Mischung aus Drogenschmuggel, Eifersucht und Psychoterror.

Schließlich werden die beiden Ermittler in einen verzweifelten Kampf um das Leben einer jungen Frau geführt. Gelingt die Rettung?

Die Leser bekommen in diesem packenden Fichtelgebirgskrimi einen authentischen Einblick in kriminelle Strukturen des Grenzlandes.
SpracheDeutsch
HerausgeberBurg Verlag
Erscheinungsdatum2. Nov. 2019
ISBN9783944370866
Totensteine: Krals sechster Fall
Autor

Rainer u. Birgit König

Rainer König, Jahrgang 1943, ist in Mittelfranken aufgewachsen. Nach sechs Jahren Seefahrt bei der Handelsmarine holte er das Abitur nach und studierte in Erlangen Germanistik, Geschichte und Geografie. Als Gymnasiallehrer kam er nach Selb, wo er seit 1978 lebt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Tochter Birgit König ist 1979 in Selb geboren. Nach dem Abitur ging sie zum Zoll. Seit 2003 arbeitet sie in Frankfurt am Main im Ermittlungsdienst. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt bei Gelnhausen. Die Königs haben inzwischen sieben Romane vorgelegt: • Wilder Mann, 2008 • Wilde Grenze, 2010 In Tschechien unter dem Titel Divoká hranice erschienen • Wildes Erwachen, 2012 • Wilde Visionen, 2014 • Limes – Zeit der Abrechnung, 2014 • Wildes Kristall, 2016 • Totensteine, 2018 Mehr über die Autoren: www.rabiko-autoren.de

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    Buchvorschau

    Totensteine - Rainer u. Birgit König

    Artikel

    Rainer und Birgit König

    Totensteine

    Krals sechster Fall

    Über die Autoren

    Rainer König, Jahrgang 1943, ist in Mittelfranken aufgewachsen. Nach sechs Jahren Seefahrt bei der Handelsmarine holte er das Abitur nach und studierte in Erlangen Germanistik, Geschichte und Geografie. Als Gymnasiallehrer kam er nach Selb, wo er seit 1978 lebt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    Tochter Birgit König ist 1979 in Selb geboren. Nach dem Abitur ging sie zum Zoll. Seit 2003 arbeitet sie in Frankfurt am Main im Ermittlungsdienst. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt bei Gelnhausen.

    Die Königs haben inzwischen sieben Romane vorgelegt:

       •   Wilder Mann, 2008

    •   Wilde Grenze, 2010

    In Tschechien unter dem Titel Divoká hranice

    erschienen

       •   Wildes Erwachen, 2012

       •   Wilde Visionen, 2014

       •   Limes – Zeit der Abrechnung, 2014

       •   Wildes Kristall, 2016

       •   Totensteine, 2018

    Mehr über die Autoren:

    www.rabiko-autoren.de

    Prolog

    Die beiden älteren Damen hatten beschlossen, sich im Außenbereich der Tauerschen Fischhalle zu treffen, um ihr Mittagessen einzunehmen. Es war ein ziemlich heißer Junitag und so war dieses schattige Plätzchen eigentlich ganz gut geeignet für das Vorhaben. Lotte Griegoleit hatte in der Ludwigstraße einige Besorgungen gemacht und Martha Ploß kam von ihrer Hausärztin.

    Die sonst eher redselige Martha gab sich zunächst ziemlich einsilbig, lustlos blätterte sie in der Speisekarte. Beide Damen entschieden sich schließlich für die Seniorenportion Seelachs mit Kartoffelsalat, komplettiert von einem kleinen Glas stillen Wassers. Nachdem die Bedienung die Bestellung aufgenommen hatte, stellte Martha mit leidender Miene fest:

    »I ho heind gouer köin räächden Hunger.«

    »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?«, fragte Lotte verwundert.

    »Du glabbs’des niad, wäi iich mi g’ärchert ho«, legte die Freundin los, »ower däi Doktori hout mer ieberhaabts niat zoukh’orcht. Ich soll äiescht amal oonemma, hout’s g’sagd.« Zornesfalten zeigten sich auf ihrem Gesicht und die mit reichlich Ärger und Frust versehene Klage for-derte so etwas wie Anteilnahme. Am liebsten hätte Martha natürlich eine Bemerkung gehört, die das Wort »Unverschämtheit« bemühte. Doch Lotte schien auf einmal jedes Interesse an ihrer Freundin verloren zu haben, sie wirkte abwesend und ihr Blick war in Richtung Selbbach gerichtet, der sich wenige Meter entfernt seinen Weg durch die Innenstadt bahnte.

    Scha a Greiz mit dera Frau, dachte Martha, etz is däi scho iiber fuffzich Gouer in Söll und verstäiht me niat.

    Dass sie nicht wahrgenommen worden war, konnte aber auch an der Lärmbelästigung liegen, der man in dem Biergarten ausgesetzt war: Der grenzte nämlich an seiner Westseite an die Schlossstraße, die hier als Teil einer Nord-Süd-Achse die Innenstadt mit den südlichen Stadt-bezirken verbindet. Und gerade eben hatte doch wieder so ein verrückter Motorradfahrer das ohrenbetäubende Röhren seiner Maschine vorführen wollen, als er die ziemlich steil ansteigende Hohenberger Straße, genannt Pflasterberg, ansteuerte.

    Es gab an diesem Tag aber noch eine andere Lärmquelle: Der Selbbach führte bedeutend mehr Wasser als sonst, denn in den letzten Tagen waren starke und lang anhaltende Starkregen niedergegangen. Der sonst eher müde dahinplätschernde Bach war stark angeschwollen und hatte sich in einen reißenden Fluss verwandelt. Das Hochwasser hatte auf seinem Weg von der Ascher Höhe in die Innenstadt Unmengen von Erdreich, aber auch Gestrüpp und Astwerk mitgerissen.

    »Houst mi etzat verstand’n oder soll i …?«, hob Martha an, aber sie stockte, denn Lotte hatte sich wortlos erhoben, um sich dem nahegelegenen Geländer zu nähern, das den Biergarten zum Selbbach hin begrenzte.

    »Also etzat wird’s Dooch! Spinnt däi oder gäiht’s dera niat gout?«, murmelte Martha verärgert und erhob sich ebenfalls, um sich Klarheit zu verschaffen.

    »Schau mal in den Bach und sag mir, was du siehst!«, forderte die Freundin sie auf und deutete auf eine Stelle, wo das Bett des Baches mittels einer baulichen Maßnahme etwa einen Meter tiefer gelegt worden war. Dadurch war so etwas wie ein kleiner Wasserfall entstanden, der jetzt ein tosendes Rauschen verursachte. Die bräunlich eingefärbten Wassermassen drängten samt ihrer Fracht mit Macht in das ausgewaschene Strudelloch, wo sie schäumend und sprudelnd durcheinandergewirbelt wurden.

    »Wos solle etzat dou seah?«, wollte Martha kopf-schüttelnd wissen.

    »Dann guck mal genau hin!«, bekam sie zu Antwort. »Da ist jemand im Wasser, ich hab’s genau gesehen!«

    »Ich siahr nix!«

    »Jetzt wieder ganz deutlich! Das ist doch ein Kopf! Den musst du doch sehen!«, beharrte die Freundin aufge-regt und laut genug, um auch die anderen Gäste aufmerksam zu machen.

    »Vülleicht a Vueglscheichen«, kommentierte Martha, der auch die Brille nur eine mäßige Weitsicht verschaffte.

    Schnell wurde klar, dass die Vermutung falsch war: Einige Gäste hatten sich erhoben und waren ebenfalls an das Geländer getreten und schnell hatte man sich darauf geeinigt, dass da wirklich ein Mensch im Wasser treiben musste. Ein junger Mann beseitigte letzte Zweifel:

    »Dou is a Douder drinna!«

    »Du solltest dir wirklich mal eine neue Brille verschreiben lassen«, richtete sich Lotte mit sichtlicher Genugtuung an die Freundin.

    »Duu wieder mit dein Zeich!«, grummelte Martha verärgert. »Miich hout blouß die Sunn blend.«

    »Den muss man doch rausholen!«, forderte eine anwesende Dame energisch. »Vielleicht lebt der ja noch.« Das sahen die übrigen Gäste nicht anders, obwohl nun eine Diskussion darüber ausbrach, ob da nicht ein weibliches Wesen im Wasser trieb. Schließlich sei da so etwas wie ein Pferdeschwanz zu erkennen.

    Aber ob nun Frau oder Mann, der Selbbach schien nicht bereit, sein Opfer herauszugeben. Die ziemlich steilen Uferböschungen des Baches, über die man bei normalem Wasserstand mit einiger Mühe das Strudelloch erreichen konnte, waren überflutet. Das Wasser reichte bis an die Mauern, die in diesem Bereich zu beiden Seiten als Hochwasserschutz dienen. Wer hier noch helfen wollte, dem blieb gar nichts anderes übrig, als in die Fluten zu springen, ohne dabei auf die Bergung der Person aus dem Wasser hoffen zu können. Trotzdem drängte es einen jungen Mann zur Tat. Er war schon dabei, sich der Schuhe und der Hose zu entledigen, ließ dann aber ab von seinem Vorhaben, denn die Martinshörner, die aus der Ferne ertönten, kündigten professionelle Hilfe an.

    Zunächst tauchte ein Polizeiwagen auf, wenig später waren zwei Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und ein Rettungswagen zur Stelle. Wohl hatten einige Gäste schon gleich nach der Sichtung der Person per Handy einen Notruf abgesetzt. Auf der Bildfläche erschienen jetzt aber auch Menschen, von denen nicht unbedingt Hilfe erwartet werden konnte. Ihre Motive waren eher ausgeprägte Neugier und Sensationslust.

    »Schau da däi Gaffer oa!«, ereiferte sich Martha. »Etzat fotografiern’s suagouer mit ihre Händi, des is doch a Schand! Wäi mer blouß sua, sua …«

    »… so pietätlos sein kann«, vollendete Lotte.

    »Du wieder mit dein’ Houchdeitschen! G’schmacklous ho i gmoint!«

    Ähnliche Gedanken bewegten auch die beiden jungen Polizisten, die zunächst einmal dafür zu sorgen hatten, dass der Feuerwehr der Zugang zu dem Unglücksort garantiert war. Als die Einsatzkräfte schon mit der Bergung der im Wasser treibenden Person begonnen hatten, gingen sie gegen die Gaffer vor. Ausgerüstet mit Flatterbändern, versuchten sie die Zuschauer auf eine Distanz zurückzudrängen, die keinen direkten Blick mehr auf das Geschehen zuließ. Kein einfaches Unterfangen für die beiden Beamten, denn wer lässt sich schon, die Sensation vor Augen, von seinem Logenplatz verdrängen. Natürlich gab es da vernünftige Menschen, die sich widerspruchslos zurückzogen. Wiederum auch solche, denen nur mit der Drohung einer Anzeige beizukommen war.

    Als schließlich eine zweite Streife eingetroffen war, wurden weitere Sicherungsmaßnahmen in Angriff genommen: So sperrte man die Schlossstraße für den fließenden Verkehr. Das funktionierte ganz gut, denn man konnte auch auf die Feuerwehrleute zurückgreifen, die nicht mit der Bergung beschäftigt waren.

    Allerdings hatte die Polizei noch ein Problem zu lösen: Das Geländer der Tauerschen Gartenwirtschaft war immer noch dicht belagert von den Gästen, unter die sich jetzt auch ein paar der vertriebenen Gaffer gemischt hatten.

    Es war dann eine Polizistin, die mit einer praktikablen Lösung daherkam: Im Innenraum des Geschäfts befänden sich ja ein paar Tische, außerdem könne man ein paar Garnituren direkt vor den Eingang des Geschäfts stellen. »Da können Sie ja in aller Ruhe Ihr Essen verzehren. Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir diesen Bereich hier räumen müssen!«

    Es ergab sich zwar einiges Murren, aber langsam leerte sich die Terrasse. Auch Lotte machte Anstalten, den schon halb geleerten Teller samt Besteck zu ergreifen, um den Standort zu wechseln.

    »Bleib hocken!«, giftete sie Martha an. »Mir essen dou weider, dann zohl’ mer, eascht dann genga ma!«

    »Aber du hast doch gehört, was die Beamtin …«

    »Däi koa ria’n, wos se mooch, iich bleib dou hock’n!« 

    Lotte kannte ihre Freundin viel zu gut, um zu wissen, dass ihr Abgang jetzt eine Beziehungskrise auslösen würde, die gut und gerne ein paar Tage andauern konnte. Also fügte sie sich und harrte der kommenden Dinge. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ein Polizist an sie herantrat und einen Standortwechsel anmahnte.

    Aber da lief Martha zur Hochform auf. Sie hatte an diesem Tag bereits so etwas wie eine Niederlage hinnehmen müssen und war nicht bereit, noch eine zweite zu akzeptieren:

    »Des siar’e iewerhaabt niat ei«, blaffte sie den Beamten an. »Mir hamm dou wos b’stellt und etzat ess’ mer’s. Aasserdem hamm mir dean Doudn als äiascht’s g’seah. Dou semmer doch Zeig’n, oder? Und dass S’es wissen, mei Enkelbou is bei da Bolizei, der is Kommissar.«

    Der Beamte gab nach, verpasste seiner Ansage aber einen drohenden Unterton: »Also Sie essen jetzt fertig, dann melden Sie sich bei mir und machen Ihre Aussage! Haben wir uns da verstanden?« Seine Miene zeigte deutlich, dass ihn Marthas Argumente nicht wirklich beeindruckt hatten, sondern er nur das Ziel verfolgte, den Zoff mit einer resoluten Matrone zu vermeiden.

    Martha blickte triumphierend auf ihre Freundin: »Houst des g’seah, wäi ma des mecht?«

    Lotte nickte lächelnd, behielt aber den Gedanken vom ganz großen Theater bei sich. Sie mochte nun mal solche Auftritte nicht. Das änderte allerdings nichts daran, dass sie ihre Freundin für ihr resolutes Auftreten manchmal sogar ein bisschen bewunderte. Schließlich, und das wurde ihr manchmal schmerzlich bewusst, fehlte ihr es an Durchsetzungsvermögen im Umgang mit anderen Menschen. Und wenn sich da etwas ändern sollte, musste sie ja wohl bei ihrer Freundin anfangen und der mal so richtig an den Karren fahren. Irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben.

    Die Polizei zeigte trotz gegenteiliger Ansage kein Interesse an der Aussage der beiden Damen: Das mochte daran liegen, dass bereits genügend »Erstsichtungen« zu Protokoll gegeben worden waren.

    1

    Dann muss eben der Müll runter, entschied sie sich und nahm den nicht mal halb vollen Beutel aus dem Eimer unter der Spüle. Seit fast einer halben Stunde herrschte eine Unruhe im Treppenhaus, wie sie vielleicht mal bei einem Umzug üblich war. Das ständig Rauf und Runter musste doch eine Ursache haben! Der Blick durch den Spion hatte nichts gebracht; da war nur dann Genaueres zu erkennen, wenn jemand direkt vor der Tür stand.

    Wenn sie sich nicht täuschte, hatte das Treiben etwas mit der gegenüberliegenden Wohnung zu tun. Sollte der Junge von drüben etwa …? Bei den jungen Leuten ging das heute ja mal gerne holterdipolter mit der Umzieherei. Aber dann hätte er doch was zu ihr gesagt! Schließlich hatte man ein gutes Verhältnis zueinander. Sie verfügte sogar über einen Briefkastenschlüssel von ihm und an dem Kasten klebte ein Zettel, der die Postboten an sie verwies, wenn der persönliche Kontakt nötig war. »Sie sind doch meine verlässliche Poststelle«, hatte er ihr einmal spitzbübisch lachend versichert. Diese Aufgabe verrichtete sie wirklich gerne, denn der Junge war immer nett und aufmerksam. Außerdem hatte er Manieren: Immer mal wieder stand er mit ein paar Blümchen oder irgendwelchen Naschereien vor der Tür und nahm sich dann auch die Zeit, eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken.

    Sie öffnete die Wohnungstür und blickte erstaunt und überrascht auf einen Polizisten, der wohl gerade vorhatte, bei ihr zu klingeln.

    »Frau Griegoleit?«, fragte der Beamte streng blickend.

    »Ja, das bin ich. Ich wollte gerade den Müll nach unten bringen. Aber was …?«

    »Ich habe da ein paar Fragen, die Herrn Overbeck betreffen«, eröffnete er ihr und deutete hinter sich in Richtung der offenen Wohnungstür des Nachbarn.

    »Ja, schon.« Sie blickte unschlüssig zunächst auf den Polizisten, dann auf den Müllbeutel in ihren Händen. »Den kann ich ja später …«, murmelte sie. »Aber wollen Sie nicht …?«, fragte sie schließlich zaghaft, unterstützt von einer einladenden Handbewegung.

    Der Mann übersah die Signale, denn er war zunächst einmal mit sich selbst beschäftigt: Er kramte aus der Brusttasche seiner Uniformjacke einen Notizblock samt Kuli. Dann, nachdem er sich mit Nachnamen und Dienstrang vorgestellt hatte, kam er zur ersten Frage:

    »Kannten Sie Herrn Overbeck?«

    Frau Griegoleit blickte ihn entgeistert an. »Entschuldigen Sie, ich«, hob sie unsicher an, »aber ich … ich verstehe nicht, warum Sie …?«

    Er nickte verständnisvoll und sorgte für Aufklärung: »Das ist mir jetzt klar! Sie wissen also nicht, dass Overbeck verstorben ist. Er ist gestern tot aus dem Selbbach geborgen worden. Die Umstände seines Ablebens sind noch nicht geklärt.« Wie sollte er auch wissen, dass diese nüchterne Sachlichkeit bei dieser Nachbarin nicht angebracht war?

    Die Reaktion der alten Dame überraschte den Beamten: Er empfing einen starren Blick und ein fast unmerkliches Kopfschütteln. Als ihr dann noch der Müllbeutel aus der Hand glitt und fast auf seinen Füßen gelandet wäre, dachte er sofort an einen Schwächeanfall. Er besann sich seiner Fürsorgepflicht und reagierte geradezu vorbildlich:

    »Also Sie setzen sich erscht amal, dann schau mer weider!«

    Er geleitete sie sanft durch die offen stehende Tür in die Küche, wo sie sich auf einem Stuhl niederließ.

    »Woll’n S’ wos trinken?«, fragte er freundlich.

    »Nö, nö, ich bin schon wieder in Ordnung!«, reagierte sie, um ein Lächeln bemüht. »Mir ist nur kurz ein bisschen schwummrig geworden. Wahrscheinlich der Blutdruck! Fragen Sie nur weiter!«

    Der Notizblock landete jetzt auf dem Küchentisch, obwohl sein Besitzer schon beschlossen hatte, die Befragung möglichst schnell zu beenden. Was sollte ihm denn diese alte Dame schon groß über Overbeck berichten können?

    Als er sich verabschiedete, sah er sich bestätigt: Frau Griegoleit hatte ab und zu ein Paket für den Nachbarn in Empfang genommen. Ansonsten war ihr, auch was die Gewohnheiten des Mannes anging, nichts Besonderes aufgefallen.

    Natürlich konnte er nicht wissen, welche Gefühle die Frau für den Nachbarn hegte: Die Ehe mit ihrem Mann war kinderlos geblieben. Wenn sie denn mal über dieses Thema sprach, benützte sie gerne das Bild von der verirrten Kugel, die sich ihr Mann im Krieg »eingefangen« und ihn schließlich zeugungsunfähig gemacht habe. Ihr Wunsch, ein Kind zu adoptieren, habe sich zerschlagen, weil ihr Mann nach der Gefangenschaft lange arbeitslos gewesen und dann früh verstorben sei. Und da war nun in ihrer Nähe plötzlich ein junger Mann aufgetaucht, gutaussehend, nett und zuvorkommend. Warum sollte sie nicht ein bisschen mit dem Gedanken spielen dürfen, ihn als den eigentlich gewünschten Enkel zu sehen.

    Auch konnte er nicht ahnen, dass die Dame schon längst beschlossen hatte, ihm nicht all das anzuvertrauen, was sie über Overbeck in Erfahrung gebracht hatte. Der Junge war tot und sie trauerte um ihn. Sich jetzt über seinen etwas unsteten Lebenswandel auszulassen, schien ihr schäbiger Verrat.

    Sie überlegte: Noch musste der Müllbeutel auf der Türschwelle liegen. Sollte sie ihn jetzt doch noch …?

    Das Klingeln des Telefons nahm ihr die Entscheidung ab. Dass jetzt ihre Freundin Martha mit ihr sprechen wollte, machte ihr Hoffnung auf tröstenden Zuspruch. Aber leider verfolgte die Anruferin andere Ziele:

    »Woist’es scho?

    »Was?«

    »Da Doude va gestern is dei Nachber!«

    »Weiß ich schon.«

    Das »Ach sua!« klang enttäuscht. Aber sofort besann sich Martha ihrer Verantwortung gegenüber der Freundin, der immer mal wieder der rechte Durchblick fehlte: »Du moußt fei der Bolizei derzüll’n, woss’d iewer dean Moa woist! Iich moin des mit da Post und dass’d an Schlissel fir sein Bräifkasten houst. Asserdem des mit däi Weiber und den annern Gschwart’l, des wou va ihn verkäjert hout.«

    »Aber Martha, jetzt übertreibst du …!«

    »Wos wouer is, mou wouer blei’m! Der hout doch nix g’arbert. A Student! Dou lach i doch blouß!"

    Jetzt oder nie!, dachte Lotte Griegoleit und antwortete mit einer Schärfe, die sie dann allerdings selbst erstaunte und die sie schon wieder bereute, als sie den Hörer aufgelegt hatte: »Liebe Martha, ich muss überhaupt nichts! Was ich der Polizei erzähle, entscheide ich!«

    Die für Frau Griegoleit äußerst ungewöhnlich harsche Ansage zeigte Wirkung und führte zu einem überstürzten Ende des Gesprächs: »Du wirst scha wiss’n, wosd doust. Ower kumm niat herg’rennt, wenns’d … Du woißt scho, wos i moin! Und dass’d es woißt, morng ho i koa Zeit.«

    Martha Ploß hätte eigentlich zufrieden sein können, denn sie hatte bei ihrer Freundin doch gewisse Zweifel gesät. Es widersprach nun mal deren Prinzipien, eine Amtsperson anzuschwindeln. Aber die der Kirche locker verbundene Katholikin entschied sich dann doch dafür, das als »lässliche Sünde« zu betrachten. Schließlich hatte der Polizist sich doch gar nicht ernstlich bemüht, etwas über den Nachbarn zu erfahren.

    Sie stellte sich auch die Frage, ob es nötig gewesen war, Martha so heftig anzugehen, denn deren Ratschläge waren ja durchaus angebracht. Aber irgendwann mussten dieser penetranten Bevormundung Grenzen gesetzt werden. Dass sie sich dabei ein bisschen wie ein trotziges Kind aufgeführt hatte, war zwar nicht schön. Aber die kriegt sich schon wieder ein, dachte Lotte Griegoleit und war mit ihren Gedanken zurück bei dem »armen Jungchen«, das so tragisch ums Leben gekommen war.

    Warum war es gerade sie gewesen, die ihn im Wasser entdeckt hatte? An einen Zufall wollte sie nicht so recht glauben. Sollte ihr eine Art Botschaft zukommen? Aber was wollte …?

    Der Gedanke, der ihr jetzt in den Kopf schoss, be-reitete ihr großes Unbehagen: Diese blöde Kiste, die bei ihr in der Besenkammer abgestellt war, hatte sie völlig vergessen. Wie stand sie denn jetzt da? Da hatte sie dem Polizisten erzählt, dass sie so gut wie keinen Kontakt zu ihrem Nachbarn hatte, und jetzt musste sie beichten, dass er bei ihr irgendwelche Unterlagen verwahrt hatte.

    Ihr war dieses Ansinnen gleich irgendwie komisch vorgekommen: Er hatte ihr lang und breit erklärt, dass da Leute bei ihm verkehrten und sogar übernachteten, mit denen er eine rein geschäftliche Beziehung unterhielt und denen nicht immer zu trauen war. »Die sind manchmal schon ein bisschen neugierig«, hatte er lachend hinzugefügt.

    Die Einsicht war reichlich selbstkritisch: Du doofe Nuss! Und jetzt glaubst du, dass er dich an die Kiste erinnert hat! Martha hatte ja irgendwie recht: Mit dem Jungen stimmte einiges nicht: ein Student, der eher selten an der Uni war und mit zwielichtigen Typen Geschäfte machte! Schon seltsam! Trotzdem: Er war ein netter Mensch und ihr stand es nicht zu, über ihn zu urteilen. Aber, das war ihr jetzt klar, das Ding musste raus aus der Besenkammer und dann – mal sehen!

    Zunächst schloss sie die Wohnungstüre und verstaute den Müllbeutel wieder unter der Spüle, dann wandte sie sich der Besenkammer zu. Die erinnerte Kiste war ein Pappkarton, in dem einmal ein Laser-Drucker gesteckt hatte. Eigentlich gar nicht so schwer! Reingucken konnte sie ja mal!

    Obenauf einige alte Zeitungen, darunter eine blaue Umlaufmappe mit der Aufschrift »Runenstein«, dann ein Schnellhefter mit Klarsichthüllen, in denen Zeugnisse und Urkunden steckten, schließlich wieder Zeitungen.

    Bei Lotte Griegoleit war zunächst Entwarnung angesagt: Jungchen, den Kram hättest du nicht bei mir verstecken brauchen! Schon schwieriger: Was machen mit dem Zeug? Die Entscheidung fiel ihr nicht allzu schwer: Sie würde sich an die Polizei wenden müssen. Das blieb ihr nicht erspart. Eine passende Ausrede, wie die Schachtel in ihre Besenkammer gekommen war, sollte ihr schon einfallen.

    Nun, ihr sollte überhaupt nichts erspart bleiben, denn ihre Gründlichkeit führte sie schließlich auf den Grund des Kartons und jetzt war sie restlos bedient. Da fand sich doch tatsächlich ein gutes Dutzend Plastiktütchen, gefüllt mit weißen Krümelchen, die ein bisschen zerkleinertem weißem Kandiszucker ähnelten. Der Verdacht beunruhigte sie: Hatte sie nicht schon einige Male Bilder von diesem Zeug in der Zeitung gesehen, das Schmuggler über die Grenze brachten und das Menschen ins

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