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Wir riechen besser als wir denken: Wie der Geruchssinn Erinnerungen prägt, Krankheiten vorhersagt und unser Liebesleben steuert
Wir riechen besser als wir denken: Wie der Geruchssinn Erinnerungen prägt, Krankheiten vorhersagt und unser Liebesleben steuert
Wir riechen besser als wir denken: Wie der Geruchssinn Erinnerungen prägt, Krankheiten vorhersagt und unser Liebesleben steuert
eBook196 Seiten2 Stunden

Wir riechen besser als wir denken: Wie der Geruchssinn Erinnerungen prägt, Krankheiten vorhersagt und unser Liebesleben steuert

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Über dieses E-Book

Unter den fünf Sinnen ist der Geruchssinn am meisten unterschätzt.

Dabei hat er den größten Einfluss auf unsere Emotionen und steuert unser Verhalten mehr als wir vermuten. Der Neurowissenschaftler und Geruchsforscher Johannes Frasnelli erklärt uns, warum wir viel besser riechen als wir denken und was die neuesten Erkenntnisse der Geruchsforschung mit unserem Alltagsleben zu tun haben.

Etwa, warum wir jemanden im wahrsten Sinne des Wortes gut riechen können, was Riechtraining mit unserem Gehirn macht, wie Ängste und Depressionen unser Riechvermögen verändern und was der Verlust des Geruchssinns mit Alzheimer zu tun hat.

Mit konkreten Tipps zur Riechschulung und einem Test: Wie gut riechen Sie wirklich? Den Schnelltest gibt es auch online auf der Homepage des Verlags.

SpracheDeutsch
HerausgeberMolden Verlag
Erscheinungsdatum14. Okt. 2019
ISBN9783990405208
Wir riechen besser als wir denken: Wie der Geruchssinn Erinnerungen prägt, Krankheiten vorhersagt und unser Liebesleben steuert

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    Buchvorschau

    Wir riechen besser als wir denken - Johannes Frasnelli

    1. VON DER PRAXIS ZUR THEORIE: WIE ICH ZUR RIECHFORSCHUNG KAM

    In diesem Kapitel erfahren Sie,

    … wie mich Gerüche seit der Kindheit begleiten,

    … wie ich über den Wein zur Geruchsforschung kam,

    … wie mich Gerüche in die weite Welt lockten.

    DÜFTE DER KINDHEIT

    Seit früher Kindheit haben mich Gerüche geprägt. Ich wuchs in Meran in Südtirol auf und jeder Monat hatte einen besonderen Geruch, seinen „Leitduft". Der Januar roch nach Schnee, mit grauem Himmel und weißen Bergen. Im Februar begann schon der Frühling und die ersten Blüten der Chinesischen Winterblüte dufteten noch lange bevor Blätter auf den Bäumen waren. Der Fasching schmeckte nach Marillenmarmelade in den Faschingskrapfen und stank nach dem Schwefel der Schweizerkracher. Die Fastenzeit roch am Freitag nach gebackenen Fischen und im März blühten Kirschen- und Marillenbäume und verströmten ihren Duft. Im April gab es eine Geruchsexplosion, wenn die Apfelplantagen, die das Etschtal beherrschen, gleichzeitig blühten, wenn der feine Geruch der Apfelblüte allgegenwärtig war. Ostern roch nach Weihrauch, aber auch nach Spargel, Schinken und Kren, nach Erdbeeren. Im Mai öffneten die Eisdielen und die Rosen begannen zu blühen, die Bauern sprühten Spritzmittel auf die Apfelwiesen. Im Juni duftete es nach Kirschen und nach gemähtem Gras, im Juli nach Sonnencreme und Chlor, nach Sommergewittern und immer wieder nach Eis mit Sahne. Der August roch nach Sommerfrische am Berg, nach Fichtennadeln, Heidelbeerwiesen, Alpenrosen, Kuhmist, Baumharz und nach Mückenmitteln. Der September schnupperte nach Äpfeln, nach Trauben, nach Walnüssen, nach den Dieselabgasen der Traktoren. Im Oktober stieg mir der Duft der gerösteten Kastanien, des Lagerfeuers, Susser (neuer Wein), der Würste, des Sauerkrauts und der Feigen in die Nase. Im November machten modrige Blätter und Feuchte die Nase rümpfen, bevor einem im Dezember der Duft von Vanille, Zimt, Gewürznelken und Glühwein in die Nase stieg, vermischt mit Kerzenrauch.

    Doch auch Orte hatten einen bestimmten Geruch. Das Elternhaus roch nach Essen, jeden Mittag, jeden Abend. Das Haus meiner Großmutter duftete nach Kernseife, die Schule nach Büchern und Putzmitteln, die Kirche nach Weihrauch. Die Garage roch nach Benzin und Gummi, der Fußballplatz nach Gras. Im Krankenhaus, in dem meine Brüder und ich regelmäßig verarztet wurden, stank es nach Desinfektionsmitteln, beim Zahnarzt lag ein Hauch von Gewürznelke in der Luft. Bei der alten Nachbarin waberte eine Wolke aus Kölnisch Wasser durch die Wohnung und bei meiner Tante duftete es nach Früchtetee und Keksen. Der Eislaufplatz roch nach Zigaretten, Glühwein und Hotdogs, der Bahnhof nach Eisenbahn.

    Auch Menschen hatten bestimmte Gerüche. Die andere Großmutter duftete nach Handcreme und Rose, die Freundin meiner Mutter nach „Paris" von Yves Saint Laurent. Die Bauern rochen nach Arbeit und irgendwann begannen die Schulfreunde Schweißgeruch zu verströmen. Ich wusste, wenn mein Vater zu Hause war, weil es nach Giorgio Armanis Aftershave roch. Sonntags rochen die Erwachsenen nach Wein. Ich liebte es, wenn sich mein Großvater eine Zigarette anzündete und ich den ersten Geruchsschwall wahrnahm, eine Mischung aus Tabak und Schwefelhölzern. Nur dieser erste Dufteindruck zog mich an, denn danach stank der Rauch. Die Klavierlehrerin roch nach Zwiebeln und der Mesner nach altem Mann.

    In dieser Umgebung wuchs ich auf, immer waren da Gerüche. Meistens nahm ich sie gar nicht bewusst wahr, sie waren mehr eine Unterlage, ein Hintergrund, als tatsächliche Sinneseindrücke. Manchmal aber waren die Gerüche sehr präsent, standen im Vordergrund.

    EINE NASE VOLLER ERINNERUNGEN

    Als ich fünf Jahre alt war, hatte mein kleiner Bruder einen Unfall. Er stürzte vom Balkon im ersten Stock auf den Betonboden vor dem Haus. Er erlitt dabei einen Schädelbruch, einen Beckenbruch und eine Fraktur des Arms. Ich glaube, mich noch daran erinnern zu können, wie er vom Balkon fiel, vor meinem inneren Auge sehe ich eine grüne Hose über die Brüstung verschwinden, und mir kommt vor, als hörte ich noch immer den Schrei der Nachbarin, die den Sturz mitangesehen hatte. Mein Bruder wurde sofort ins Meraner Krankenhaus gebracht und dann als Notfall in die Neurochirurgie des Krankenhauses Verona verlegt. Während der ersten Tage und Wochen schwebte er zwischen Leben und Tod und meine Eltern wechselten sich an seinem Krankenbett ab. Ich wohnte während dieser Zeit bei meinen Großeltern in Littau in der Schweiz. Man kann sich vorstellen, wie während der kritischen Wochen alle bangten, und wenn ich auch nicht viel verstand, bemerkte ich die Anspannung der Erwachsenen.

    Meine Großeltern arbeiteten damals noch in einer Kaffeerösterei. Ihr Arbeitsbeginn war um sechs Uhr morgens und so ließen sie mich ausschlafen. Ich wachte jeden Morgen auf, ging in die Küche, wo mir meine Großmutter ein „Gipfeli und ein „Weggli vorbereitet hatte. Ich frühstückte und machte mich alleine auf den Weg in die Rösterei. Ich hatte zwar ein bisschen Spielzeug, aber viel mehr interessierten mich die Maschinen. Da waren die Gabelstapler, die die Säcke mit rohen Kaffeebohnen abluden. Ich konnte schon ein bisschen lesen und „Café do Brasil" entziffern. Die Säcke rochen nicht nach Kaffee, sondern nach Jute, und das Magazin war der einzige Ort in der Rösterei, der nicht nach Kaffee roch. Die Säcke wurden dann in den Röstraum gebracht und in große Kessel geleert, in denen sie geröstet wurden. Die Kessel drehten sich es war sehr laut und heiß und der zuständige Mitarbeiter pfiff unaufhörlich vor sich hin.

    Diese Sinneseindrücke waren aber nichts gegen den Duft. Der Geruch des frisch gerösteten Kaffees war überwältigend in dem Raum, aber überwältigend schön. Die Erwachsenen hatten es nicht so gerne, wenn ich mich dort aufhielt, es war ja doch ein bisschen gefährlich, aber wann immer ich konnte und durfte, kehrte ich dorthin zurück. Meine Großeltern arbeiteten in der Halle daneben. Mein Großvater bediente eine große Maschine, die die gerösteten Kaffeebohnen verpackte, und musste die Päckchen dann in Kisten stapeln. Meine Großmutter bediente eine riesige Kaffeemühle und vakuumverpackte das Kaffeemehl mithilfe einer anderen Maschine. Auch roch ich diesen wunderbaren, komplexen, großartigen Geruch des Kaffees. Ich blieb für insgesamt sechs Wochen bei meinen Großeltern und erhielt vom Betriebsleiter sogar 15 Franken und zwei Schokoladenstengeli „Lohn". Ich kann mich an die erste Begegnung mit meinem Bruder nach dem Unfall erinnern, der immer noch einen Turbanverband auf dem Kopf hatte. Es mochte damals wie ein Wunder erscheinen, aber er genas vollständig.

    Die Geschichte des Unfalls ist heute nur noch eine Anekdote, meine beiden Großeltern sind nicht mehr am Leben. Ich aber habe seit damals eine sehr intensive Beziehung zum Kaffee und vor allem zu seinem Geruch. Ich kann an keinem Café, an keiner Rösterei, an keiner Kaffeemühle vorbeigehen, ohne an die Schweizer Rösterei, an meine Großeltern, an die Schokoladenstengeli und an meinen Bruder zu denken. Ich habe das Gefühl, dass sich das Kaffeearoma meiner bemächtigt, so intensiv ist der Eindruck, so stark sind die Assoziationen. Ich habe dieses Verhältnis zum Kaffeeduft, seit ich fünf Jahre alt bin, also seit fast 40 Jahren, und es ist immer noch gleich stark.

    Erst sehr viel später lernte ich, dass ich nicht der Einzige bin, der bestimmte Gerüche mit Ereignissen assoziiert. Unzählige Bücher sind darüber geschrieben worden, das bekannteste ist wohl „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust. In diesem siebenbändigen Roman schildert der Autor, wie der Geruch eines in Tee getunkten Madeleine-Biskuits Kindheitserinnerung auslöst, die dann auf über 4000 Seiten beschrieben werden. Die Auslösung starker, emotionaler Erinnerung nach dem Wahrnehmen von Gerüchen wird daher auch „Proust-Effekt genannt. Er resultiert daraus, dass Riechreize in denselben Gehirnregionen des limbischen Systems verarbeitet werden, die auch für das Gedächtnis, das Lernen und für die Gefühle zuständig sind.

    Was Essen angeht, war ich als Kind ziemlich wählerisch. Besonders Grünzeug fand ich abstoßend, Fleisch war mein Gemüse. Ich aß zwar gerne grünen Salat, aber alles andere – Spinat, Brokkoli, Spargel, Rote Bete, grüne Bohnen, Rosenkohl, Rhabarber, Wirsing und dergleichen – widerte mich richtiggehend an. Ich wollte es nicht einmal probieren. Obwohl mich meine Mutter häufig mit Nachdruck dazu aufforderte, war ich nicht in der Lage, auch nur einen Bissen runterzubekommen. Ich aß einmal pro Woche bei meiner Großmutter väterlicherseits zu Mittag. Eines Tages sagte sie mir, es wäre absolut notwendig, dass ich auch Gemüse esse, ganz egal welches, ich könne es mir aussuchen, aber ich müsste es dann auch essen. Nach einigem Grübeln kam ich auf grüne Erbsen. Wahrscheinlich, weil sie den Kartoffeln am ähnlichsten waren und am wenigsten nach Gemüse schmeckten. Ausgefallenere Milchprodukte wie Mozzarella, Schafskäse und dergleichen fand ich ebenfalls abstoßend; Grießauflauf, Milchreis oder Oliven einfach nur fürchterlich. Erst als ich 15, 16 Jahre alt war, begann ich ein bisschen mehr zu experimentieren. Ich kann mich erinnern, dass ich mich eines Tages dabei ertappte, von der Roten Bete zu kosten, und sie gar nicht so übel fand. Ich ärgere mich noch heute, dass ich erst mit 16 Jahren begann, Spargel oder Steinpilze zu essen, weil ich sie davor einfach nur eklig fand. Später, als Student, hätte ich viel darum gegeben, sie genießen zu können, aber ich konnte sie mir nicht leisten. Auch hier erfuhr ich erst später, dass das, woran ich – oder eher meine Mutter – litt, als Neophobie bezeichnet wird und bei den meisten Kindern mehr oder weniger deutlich vorkommt.

    „DAS ESS ICH NICHT!" – NEOPHOBIE

    Neophobie beschreibt den Umstand, dass man vor Neuem Angst hat. Sie ist besonders bei Gerüchen und hier vor allem bei Lebensmittelaromen ausgeprägt. Wir sind so programmiert, dass die meisten unbekannten Gerüche und Aromen erst einmal als negativ wahrgenommen werden. Die meisten Kinder sind deshalb neuen gastronomischen Erfahrungen gegenüber wenig aufgeschlossen. Um die Neophobie zu überwinden, müssen Gerüche und Aromen ungefähr zehn Mal wahrgenommen werden, bevor sie als angenehm empfunden und akzeptiert werden. Kinder, die keine neuen Lebensmittel essen wollen, sollten sie deshalb zumindest probieren. Mit der Zeit gewöhnen sie sich daran und sollten sie akzeptieren – so zumindest die Theorie.

    Nach der Matura (Abitur) verließ ich Meran und ging zum Studium nach Wien. Und in der Großstadt entdeckte ich neue Düfte. Zuerst der Gestank der Abgase. Ganz typisch für Wien war für mich der Geruch des Kohlerauchs der Heizungen im Winter. Aber ich lernte auch angenehmere neue Gerüche kennen. Ich wohnte in der Nähe des Naschmarkts, jeden Samstag gingen wir dorthin, um uns mit billigen Lebensmitteln einzudecken. Wir entdeckten die Döner Kebabs, wir rochen die orientalischen Gewürze und die verschiedenen Früchte und Kräuter aus aller Herren Länder. Hier kaufte ich meine erste Mango, meinen ersten Fetakäse. Wir begannen mit Curry und Chili zu experimentieren. Wir aßen zwar auch Tiefkühlpizza, motzten sie aber mit Mozzarella, Tomaten und frischem Basilikum auf.

    Irgendwann entdeckten wir den Wein. War er anfangs mehr Mittel zum Zweck gewesen und wir stolz, wenn wir bemerkten, dass der Wein korkte, begannen wir mit der Zeit, verschiedene Rebsorten voneinander zu unterscheiden. Wir veranstalteten Abende, an denen jeder einen Merlot mitbrachte, die wir dann miteinander verglichen, und an anderen Abenden Cabernet Sauvignon. Wir lernten dabei, wie schwierig es war, konsistent bei der Beschreibung der Weine zu sein. Manchmal stimmten wir überein, dass ein Wein ein Eichenfassaroma hatte oder der Cabernet Franc nach grünem Paprika schmeckte. Viel häufiger aber diskutierten wir, ob der Wein eher nach Vanille oder Tabak, nach Waldbeeren oder Kirschen schmeckte. Meistens beschrieben wir, woran uns der Wein erinnerte, verwendeten Assoziationen, und wenn das alles nichts half, bezeichneten wir den Wein als maskulin im Abgang. Auch wieder später erfuhr ich, warum es so schwierig ist, Gerüche zu beschreiben und warum Sommeliers und Parfümeure dazu eine jahrelange Ausbildung und Erfahrung brauchen.

    RIECHEN ALS WISSENSCHAFT

    Natürlich brachte ich die Zeit in Wien nicht nur damit zu, neue Gerüche kennenzulernen und Wein zu trinken, ich studierte ja auch Medizin. Gegen Ende des Studiums verbrachte ich sehr viel Zeit mit einem Kommilitonen, mit dem ich auch eine gemeinsame Famulatur in Meran machte. Dieser Kollege hatte sich zu einer Doktorarbeit entschlossen und berichtete mir von seinen Experimenten und Studien. Ich war immer schon fasziniert von der Wissenschaft gewesen und so reifte in mir der Wunsch, auch eine Doktorarbeit zu verfassen. Aber ich hatte weder Thema noch Betreuer. Und dann kam der Zufall ins Spiel. Die Universitäts-HNO-Klinik hatte als Einzige eine Homepage mit

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