Die Ermordung des Haubler-Müllers Johann George Eberts und dessen Eheweibes in Niederwinkel: Ein Mordfall nach der Völkerschlacht von Leipzig. Amt Waldenburg/Sachsen 1814/16
Von Rainer Scherb, Carmen Winkel und Mark Scheibe
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Über dieses E-Book
später durch Zufall aufgetauchte Untersuchungsakte des Amtes Waldenburg in Sachsen über diesen Doppelmord gibt einen detaillierten Einblick in die damaligen gerichtlichen Untersuchungsmethoden sowie über ein Schicksal nur wenige Monate nach der Völkerschlacht von Leipzig, in einer Zeit, in der Soldaten jeglicher Couleur gezwungenermaßen zur Lebensrealität der Bevölkerung gehörten.
Der kommentierte Abdruck der Originaluntersuchungsakte dieses Mordfalles wendet sich nicht nur an den interessierten Geschichtsfreund, Heimatforscher oder Leser historischer Mordgeschichten, sondern versteht sich auch als ein kleiner Mosaikstein der Erforschung des Alltags, der Kriminalität und der Auswirkung von Kriegsgeschehen auf die einfachen Bevölkerungsschichten des frühen 19. Jahrhunderts.
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Buchvorschau
Die Ermordung des Haubler-Müllers Johann George Eberts und dessen Eheweibes in Niederwinkel - Rainer Scherb
Scherb
Vorwort
In der Völkerschlacht von Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 kämpften die Truppen der Verbündeten Österreich, Preußen, Russland und Schweden gegen die Soldaten Frankreichs und der Rheinbundstaaten unter Führung Napoleon Bonapartes. Dieses als Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege bezeichnete Zusammentreffen mit vermutlich 600.000 Soldaten und ca. 100.000 Toten war bis zum 20. Jahrhundert wahrscheinlich die größte Schlacht der Weltgeschichte. Die Niederlage der französischen Truppen zwang Napoleon zum Rückzug, begünstigte den Einmarsch der Verbündeten in Paris und seine erste Abdankung im darauf folgenden Jahr. Noch einmal, im Jahr 1815, suchte Napoleon bei Waterloo eine Entscheidungsschlacht. Doch sie bedeutete seine endgültige Verbannung.
So stehen die Fakten in jedem Geschichtsbuch. Doch was die Bevölkerung im Umkreis solcher Kriegshandlungen erleiden musste, lässt sich nur erahnen. Verwüstete, ausgeplünderte oder im Zuge direkter Kampfhandlungen zerstörte Ortschaften dominierten in weitem Umkreis das Landschaftsbild. Das Antlitz Kranker, Verwundeter und Toter war allgegenwärtig. Viele Städte hatten andauernde Einquartierungen und Beschlagnahmungen zu ertragen. Die Menschen waren schutzlos den Soldaten aller Kriegsparteien, Deserteuren sowie Abenteurern und Kriminellen, die im Schlepptau der Armeen ihren Vorteil suchten, ausgeliefert.
Schriftstücke über die Ereignisse in Niederwinkel bei Waldenburg (Sachsen) zeigen am Schicksal eines Müllerehepaares, wie nahe die Bedrohungen selbst abseits der Hauptverkehrsadern kommen konnten.
Vor etwa zehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, auf einem Flohmarkt im Ruhrgebiet eine handgeschriebene Akte über einen Mordfall auf einer Mühle in Sachsen im Jahre 1814 zu erwerben. Da gesellschaftliche Außenseiter, Räuberbanden und fahrendes Volk zu meinen Interessens- und Sammlungsgebieten zählen, erwarb ich das eher unscheinbare Aktenbündel. Die große Zeit der Räuberbanden war zwar 1814 schon seit mehreren Jahren vorüber und die berühmtesten sächsischen Verbrecher wie Nikol List oder Lips Tullian schon vor langer Zeit grausam hingerichtet worden, doch waren Bewohner einsam gelegener Gebäude, wie z. B. Mühlen, im frühen 19. Jahrhundert nach wie vor ein lohnendes Ziel von Räubern und Gesetzesbrechern. Oft waren die Müller auch gezwungen, aus reiner Überlebensstrategie gemeinsame Sache mit den Gesetzesbrechern zu machen, und die allein liegenden Gebäude außerhalb der Stadtmauern dienten als Unterschlupf zahlreicher Gauner. So oder so konnte ich also eine spannende Räuberlektüre erwarten.
Nach der Transkription der Akte zeigte sich bedauerlicherweise, dass dieser Mordfall nie aufgeklärt werden konnte. Meine ursprüngliche Erwartung, Aussagen des oder der Täter, sowie deren Aburteilung vorzufinden, erfüllte sich leider nicht. Später wurde mir klar, dass ein wesentlicher Bestandteil der Bedeutung dieser Schriftstücke sich erst erschließt, wenn man diese Tat im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen des Jahres 1813 einordnet.
Auf Nachfrage im Museum in Waldenburg erfuhr ich, dass das Verbrechen vom Hörensagen zwar bekannt, aber die genaueren Umstände im Dunkeln lagen.
Erstaunt hat mich, wie in Zeiten, in denen Gewalt, Mord und das Recht des Stärkeren zum Alltag gehörten, die Ermittlungen durchgeführt wurden. Die ärztliche Untersuchung der Leichen, die beinahe schon den Verdacht der Freude am Sezieren aufkommen lässt, und die ausführliche Befragung der Zeugen scheinen von dem tatsächlichen Wunsch geprägt, selbst in solch kriegerischen Zeiten ein Stück Normalität beizubehalten. Dem untersuchenden Amt in Waldenburg musste sicherlich schnell klar geworden sein, dass letztendlich das Ergebnis hauptsächlich aus Kosten bestehen würde, die die Stadt zu begleichen hatte.
Ich danke Frau Dr. Carmen Winkel und Herrn Dr. Mark Scheibe für ihre Beiträge, mit denen der Mordfall in die Zeitumstände in Sachsen am Ende des napoleonischen Abenteuers eingeordnet werden kann, und Frau Ulrike Budig vom Museum Waldenburg für ihre Auskünfte zu regionalgeschichtlichen Fragen.
Feldmarschall Schwarzenberg (links) teilt den Oberbefehlshabern der alliierten Streitkräften, König Friedrich Wilhelm von Preußen, Kaiser Franz II. von Österreich und Kaiser Alexander von Russland den Sieg über Napoleon nach der Völkerschlacht von Leipzig (16.-19. Oktober 1813) mit. Napoleons Ende musste jedoch noch in weiteren Schlachten entschieden werden – insbesondere Sachsen wurde deshalb noch die kommenden vier Jahre zum Transitland vor allem für russische Deserteure, von denen zwei offenbar das Müllerehepaar Ebert in Niederwinkel ermordet haben.
Mark Scheibe
Vorwort für die Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815
Die Zeit der Französischen Revolution und Napoleons (1789-1815) brachte Europa nicht nur die Losung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und Kriege mit Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern zwischen Spanien und Russland, sondern vor allem tiefgreifende gesellschaftliche Änderungen und einen starken Impuls zu einem neuen, modernen Rechtsverständnis. Dieser Kontrast ist bizarr. So ist das während der Revolution in Frankreich geschaffene Strafrecht zu unserem heutigen deutschen geworden; das Zivilrecht in vielen Ländern Europas fußt noch heute auf dem von Napoleon I. geschaffenen Code civil.
Die 2011 gegründete Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815 möchte diese Epoche, ihre bis heute bewahrten Errungenschaften, aber auch ihren Schrecken, den sie über weite Teile des Kontinents brachte, verstärkt in das Bewusstsein eines breiten Publikums bringen. Als Herr Scherb, der Entdecker der Akte des Mordfalls Ebert auf die Stiftung zutrat, war die Übernahme der Druckkosten eine Selbstverständlichkeit: Während Leben und Taten der Herrscher, politische Entwicklungen und die Kunst der Zeit immer wieder – man kann schon fast sagen, über die Maßen – in Publikationen gewürdigt wurden, sind Abhandlungen über Geschehnisse aus dem alltäglichen Leben eines Dorfes, einer Mikrogesellschaft, eher selten. Ein Grund dafür liegt sicherlich in den hier oft nur handschriftlich vorliegenden Zeugnissen, die wegen der damals üblichen deutschen Kurrentschrift heute nicht mehr oder nur mit großem Zeitaufwand gelesen werden können. Ein zweiter Grund, die Arbeit von Herrn Scherb zu unterstützen, war, dass die Bedeutung dieser Akte über die Schilderung eines „normalen" Kriminalfalls dieser Zeit hinausgeht: Der Fall ist eingebettet in die Wirren nach der Völkerschlacht von Leipzig, als hunderttausende Soldaten durch das mittlere Deutschland zogen. Etliche von ihnen waren Deserteure,