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Als die Nacht sich senkte: Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen und am Vorabend von Faschismus und NS-Barberei
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Als die Nacht sich senkte: Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen und am Vorabend von Faschismus und NS-Barberei
eBook281 Seiten3 Stunden

Als die Nacht sich senkte: Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen und am Vorabend von Faschismus und NS-Barberei

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Über dieses E-Book

Die Republik hatten 1919 fast alle begrüßt: Die Hoffnungen die neue Zeit waren groß. Aber bald wurden Arthur Schnitzlers Aufführungen von rechtem Mob gestürmt, Stefan Zweig ist antisemitischen Repressionen ausgesetzt und aus München kamen Meldungen, ein gewisser Adolf Hitler ziehe mit einer Schlägerbande durch die Stadt. Manche Autoren lavierten sich geschickt durch Weimarer Republik, Faschismus und NS-Zeit. Andere erkannten früh die Gefahr und konnten dennoch nichts anderes tun, als die Flucht zu ergreifen. Herbert Lackner begleitet Albert Einstein, Bertolt Brecht, Franz Werfel, Alma Mahler, Elias Canetti, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Oskar Kokoschka und viele andere durch die dramatischen Zwischenkriegsjahre.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Okt. 2019
ISBN9783800079902
Als die Nacht sich senkte: Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen und am Vorabend von Faschismus und NS-Barberei
Autor

Herbert Lackner

Dr. Herbert Lackner, geboren in Wien, studierte Politikwissenschaft und Publizistik, war stellvertretender Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ und danach 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „profil“. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Beiträge in „profil” und „Die Zeit“. Bereits bei Ueberreuter erschienen: „Die Flucht der Dichter und Denker“ (2017), „Als die Nacht sich senkte“ (2019), „Rückkehr in die fremde Heimat“ (2021) und „Die Medizin und Ihre Feinde“ (2022). Für „Die Flucht der Dichter und Denker“ erhielt er 2017 der Bruno-Kreisky- Preis (Sonderpreis) für das politische Buch. Herbert Lackner lebt in Wien.

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    Buchvorschau

    Als die Nacht sich senkte - Herbert Lackner

    wiedergegeben.

    Wien 1914−1919

    „WIE SCHÖN IST DOCH DER KRIEG"

    Egon Erwin Kisch und Franz Werfel machen Revolution – Die Witwe Alma Mahler in Turbulenzen – Die Sozialdemokraten entmachten die Rotgardisten

    Sehnsüchtig wartet der 13-jährige Manès Sperber am 1. November 1918 am Wiener Nordbahnhof auf den Zug, mit dem sein Vater aus dem Krieg heimkehren soll. Obwohl das Schlachten noch nicht an allen Fronten zu Ende ist, zerfällt die Vielvölkerarmee des Kaisers. Ungarn, Tschechen, Ruthenen, Kroaten und Slowenen haben ihre Armeeteile verlassen und strömen über die Haupt- und Residenzstadt in ihre neuen Staaten. Das Militärstrafrecht und die Befehle der Heeresleitung sind Makulatur. Alles ist in Auflösung.

    Am Nordbahnhof beim Praterstern beobachtet der junge Sperber, später ein hochgerühmter Autor, fassungslos, wie Soldaten einem Offizier die Mütze vom Kopf schlagen, ihr die Kokarde abreißen und sie auf die Gleise schleudern. „Mit einem Sprung war er unten zwischen den Gleisen, lief zum gegenüberliegenden Bahnsteig und verschwand durch die Seitentür. Ihn begleitete das laute Gelächter der Meuterer", schreibt er später.

    November 1918, ein Reich zerfällt. 17 Millionen Menschenleben hat der Weltkrieg bis jetzt verschlungen, jeder fünfte Soldat der österreichisch-ungarischen Armee ist gefallen. Dazu kommen Millionen Ziviltote, seelisch und körperlich Verstümmelte. Drei Kaiser – der österreichische, der deutsche und der russische – sowie der Sultan des Osmanischen Reiches verlieren ihren Thron. Noch nie in der Geschichte Europas hat es einen Umbruch dieses Ausmaßes in so kurzer Zeit gegeben.

    In Wien gibt am 30. Oktober 1918 eine nur aus den deutschsprachigen Abgeordneten des alten Reichsrats bestehende Nationalversammlung dem neuen Staat – niemand weiß, wie er aussehen wird – ein Grundgesetz. Die Regierungsmacht übt nun ein provisorischer Staatsrat unter der Führung des Sozialdemokraten Karl Seitz aus. Aber noch ist der Kaiser im Amt.

    Die Bevölkerung hat andere Sorgen. Es regieren Hunger und Elend. Seit 1917 kommt es immer wieder zu Hungerdemonstrationen und Streiks. Adelige werden in Prag dabei ertappt, wie sie aus Warenlagern der Armee kiloweise Schokolade, Tee, Kaffee und Marmelade holen, was die Volkswut noch mehr steigert. Besonders hart ist das Schicksal der Kriegsinvaliden. Ihnen steht eine Grundrente von nach heutiger Kaufkraft 38 Euro monatlich zu. Beim Verlust eines Beines gibt es einen Zuschlag von 13 Euro.

    In der ausgemergelten Bevölkerung grassiert seit dem Frühsommer 1918 die sogenannte Spanische Grippe. Am Tag, an dem der junge Manès Sperber am Bahnhof auf seinen Vater wartet, stirbt im Westen der Stadt der 28-jährige Maler Egon Schiele, eines von 30 000 Opfern der Spanischen Grippe in Österreich. Drei Tage zuvor ist seine schwangere Frau Edith der Seuche erlegen.

    Drüben in New York raffte das Virus kurz zuvor den 49-jährigen Frederick Trump dahin. Trump, ein in der Pfalz geborener Einwanderer, hat mit Saloons am Yukon während des Klondike-Goldrauschs ein Vermögen gemacht. Sein Enkel Donald wird 98 Jahre später Präsident der Vereinigten Staaten werden.

    Ebenfalls am selben Novembertag versuchen einige Dutzend von den Fronten heimgekehrte Soldaten, die Tore der Rossauer Kaserne am Wiener Donaukanal aufzubrechen, um dort von der Militärjustiz inhaftierte Kameraden zu befreien. Als das misslingt, versammeln sie sich am Deutschmeisterplatz beim Schottenring und erklären sich zur „Roten Garde". Sie wollen eine Revolution ähnlich jener, die im Jahr zuvor in Russland stattgefunden hat.

    An die Spitze der Wiener Roten Garde setzen die noch bewaffneten Soldaten einen 33-jährigen Journalisten aus Prag, der es schon zu einiger Prominenz gebracht hat: Egon Erwin Kisch. Kisch hat 1913 aufgedeckt, dass Alfred Redl, der Geheimdienstchef der k. u. k Armee, der Spionage für Russland überführt und zum Selbstmord gezwungen wurde.

    Nicht nur den später als „rasenden Reporter" bekannten Kisch, auch andere Autoren und Künstler befällt in den Tagen, in denen die Republik noch nicht geboren und die Monarchie schon im Untergehen ist, der revolutionäre Eifer. Alles ist ungewiss, Utopien scheinen machbar, Fantasien haben freie Bahn. Schon am nächsten Tag reiht sich auch der Prager Lyriker Franz Werfel, er ist 28, in die Reihen der Revolutionäre ein.

    Dass Schriftsteller und Künstler in diesem November 1918 plötzlich mit Rotgardisten durch Wien marschieren, mag vielen seltsam erscheinen. Schließlich hat es fast die gesamte Kulturelite des Landes geschafft, dem Fronteinsatz zu entkommen und im Kriegspressequartier, dem „KPQ", Propaganda-Dienst zu schieben. Es war im Gasthof Stelzer in Rodaun, im heutigen 23. Wiener Gemeindebezirk, untergebracht. Dort, am Rande des Wienerwalds, verfassten rund 400 Mitarbeiter patriotische Kriegsreportagen, priesen die Armee in öligen Essays oder verherrlichten den Tod im Feld, um den Wahnsinn irgendwie zu legitimieren. „Sie schrieben dem Krieg seine eigene spezifische Sinnhaftigkeit zu. Die Sinnfindung war für Zivilbevölkerung und Militär gleichermaßen wichtig, um die Dauer der Kriegszeit überhaupt zu überstehen", schreibt die Historikerin Elisabeth Buxbaum in ihrem Buch „Des Kaisers Literaten". Es ging auch um Geld: Das Publikum sollte ermutigt werden, Kriegsanleihen zu zeichnen; im Falle des Sieges, an dem niemand zweifelte, wurden hohe Renditen versprochen.

    Alles, was Rang und Namen hatte, saß irgendwann im KPQ: Franz Werfel, Egon Erwin Kisch, Robert Musil, Rainer Maria Rilke, Leo Perutz, Alfred Polgar, Felix Salten, Hugo von Hofmannsthal – fast durchwegs Stammgäste der Cafés „Central und „Herrenhof in der Wiener Herrengasse – zeigten ihre Kunst nun in der Propagandazentrale des Kaisers. „Heldenfriseure" nannten sie sich selbst. So ließ sich der Krieg aushalten.

    Auch eine Frau gab es dort: Die kriegsversessene Alice Schalek – Karl Kraus hat ihr in seinem Schreckens-Kaleidoskop „Die letzten Tage der Menschheit eine Art Denkmal gesetzt. In seiner „Fackel ätzt er: „Am schönsten ist es doch im Kriegspressequartier."

    Selbst Maler waren dort beschäftigt. Sie sollten Schlachtengemälde und Porträts von Kriegshelden anfertigen. Einer von ihnen war Oskar Kokoschka (1886–1980). Der Niederösterreicher hatte Alma Mahler (1879−1964), die Witwe des Hofoperndirektors und Komponisten Gustav Mahler, 1912, ein Jahr nach dessen Tod, kennengelernt und eine leidenschaftliche Beziehung mit ihr gepflegt. Alma später in ihren Lebenserinnerungen: „Die Jahre mit ihm waren ein einziger heftiger Liebeskampf. Niemals zuvor habe ich soviel Krampf, soviel Hölle, soviel Paradies gekostet. Wir haben uns aneinander wund gerieben."

    Ein Jahr später verewigte Kokoschka sich und seine Geliebte in einem Gemälde, wahrscheinlich seinem berühmtesten, der „Windsbraut". Es zeigt ihn mit Alma in einem kleinen Boot als Schiffbrüchige auf hoher See. Noch zu Almas siebzigstem Geburtstag im August 1949, schrieb Oskar Kokoschka: „In meiner Windsbraut sind wir auf ewig vereint!"

    Alma Mahler wurde schwanger und trieb das Kind gegen den Willen Kokoschkas ab. Die Beziehung zerbrach, Oskar Kokoschka litt schwer.

    Als sich Alma 1915 endgültig dem Berliner Architekten Walter Gropius (1883−1969) zuwandte – sie hatte mit ihm schon während ihrer Ehe mit Gustav Mahler ein Verhältnis –, versuchte Kokoschka, seine Geliebte durch Heldentaten im Feld zurückzugewinnen.

    Wie fast alle Künstler war er zu Kriegsbeginn in einen nationalistischen Taumel verfallen. „Wer immer zu Hause bleibt, wird sein ganzes Leben nicht fähig sein, diese Schande zu überwinden", schrieb er an einen Bekannten und kaufte sich eine Uniform.

    Ein Freund, der Architekt Adolf Loos, verschaffte dem liebeskranken Kriegsfreiwilligen die Einberufung zum Dragonerregiment „Erzherzog Joseph", das eigentlich Aristokraten vorbehalten war. Beim Einsatz in Galizien wurde Kokoschka im August 1915 durch einen Schuss in den Nacken und einen Bajonettstich in die Lunge schwer verwundet. In einem Lazarettzug transportierte man den Maler nach Wien.

    Adolf Loos rief auf Wunsch des Schwerverletzten Alma Mahler an: Sie möge doch ins Spital kommen und Kokoschka in seinem Leiden sehen. Alma blieb unerbittlich: „Ich antwortete ins Telefon, ich sei nicht mehr im Mindesten an Oskar Kokoschka interessiert. Loos stotterte: ‚Um Gottes Willen, machen Sie dem Armen doch die Freude!‘, aber ich hängte ab."

    Alma heiratete Walter Gropius. In ihr Tagebuch schrieb sie: „Oskar Kokoschka ist mir ein fremder Schatten geworden. Nichts interessiert mich mehr an seinem Leben. Und dabei habe ich ihn doch geliebt!"

    Kokoschka, immer noch liebestoll, ließ sich in München eine in Alma nachempfundene Puppe in Lebensgröße nähen. Besonderen Wert legte er auf die Gestaltung der Geschlechtsmerkmale, für sie gab der Maler genaue Farbanweisungen.

    Stefan Zweig (1881–1942) und sein Autorenfreund Franz Karl Ginzkey (1871–1963) waren nicht im Kriegspressequartier, sondern im Kriegsarchiv untergekommen. Dessen Aufgaben glichen jenen des Kriegspressequartiers: Stimmungsmache für den Krieg. Zweig war wegen einer „Narbe nach einer Rippenfell-Operation" als untauglich für den Dienst an der Waffe befunden worden. Innendienst musste er ableisten.

    Sein Freund Franz Karl Ginzkey tat, obwohl im Kriegshafen Pola zum Marineoffizier ausgebildet, von Beginn an Dienst in der Propagandazentrale. Anders als sein gepflegte Prosa bevorzugender Freund Zweig feuerte Ginzkey das Volk meist in Reimform an. Zum Beispiel so:

    „Nun sich die Trommel rührt,

    sie kommen, die uns einst geführt.

    Mitreiten in der Lüfte Weh’n:

    Radetzky, Laudon, Prinz Eugen.

    Und all voran lorbeerumlaubt,

    erstrahlt des Kaisers lichtes Haupt."

    1904 hatte Ginzkey das überaus beliebte, heute freilich recht rassistisch anmutende Kinderbuch „Hatschi Bratschis Luftballon" veröffentlicht.

    Stefan Zweig machte erst der Weltkrieg zu einem engagierten Pazifisten, zu Kriegsbeginn erfasste die Kriegstrunkenheit auch ihn. Im August 1914 schrieb Zweig in einem Feuilleton für die „Neue Freie Presse": „Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht." In seinen Kriegstagebüchern bejubelte er deutsche Siege im Westen und beklagte österreichische Laschheit im Osten.

    Manche Tagebucheinträge Stefan Zweigs in diesen ersten Kriegsmonaten schockieren angesichts des späteren Œuvres des großen Humanisten. Am 14. Januar 1915 notierte er: „Etwas Herrliches für Österreich: Eine Erdbebenkatastrophe in Italien. Obzwar es auch 30 000 Menschen das Leben gekostet hat: Etwas mehr und wir wären die schwerste, die bitterste Sorge los gewesen."

    Der in Klagenfurt geborene Robert Musil (1880–1942) hatte schon 1906 mit seinem Romanerstling „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" einen Riesenerfolg gelandet. Dem Taumel zu Kriegsbeginn erlag auch er: „Treue, Mut, Unterordnung, Pflichterfüllung, Schlichtheit – Tugenden, die uns heute stark machen zu kämpfen. Wir haben nicht gewusst, wie schön und brüderlich der Krieg ist."

    Musil hatte zwei Jahre lang Gelegenheit, seine These von der Schönheit des Krieges in grausamen Schlachten in den Dolomiten und am Isonzo zu überprüfen. Nach einer schweren Erkrankung wurde der nun 37-Jährige ins Kriegspressequartier versetzt. Die Arbeit in Rodaun deutete der immer noch entflammte Musil in eine Art Fronteinsatz um: „Diese Tage wollen keine Unbeteiligten und auch das Fernesein von den Schlachtfeldern ist kein Außensein. Keiner hat das Recht ruhig zu schlafen im Ungeheuren der Erregung."

    Selbst nach Kriegsende war Musil nicht ernüchtert. Als er in Wien seinem Schriftstellerkollegen Soma Morgenstern begegnete, vertraute er diesem an: „Ich bin für Krieg, denn ich habe das große Erlebnis des Todes erfahren."

    Der 40-jährige Hugo von Hofmannsthal war wegen einer „Nervenschwäche" schon drei Tage nach Kriegsbeginn von Istrien zurück nach Wien abkommandiert worden – natürlich ins Kriegspressequartier. Nicht unpraktisch: Das von Hofmannsthal bewohnte Fuchs-Schlösschen stand ganz in der Nähe.

    Hofmannsthals „Jedermann war 1911 im Berliner „Zirkus Schumann unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt worden. Natürlich ließ sich auch er von der Kriegsbegeisterung der Massen mitreißen. Aus Rodaun schrieb Hofmannsthal im ersten Kriegsherbst an einen Freund: „Der Umfang des Landesverrats im Süden, Osten und Norden ist einfach monströs. Kam dieser Krieg nicht bald, so waren wir verloren – und wohl Deutschland mit uns."

    In seinem Taumel schreckte Hofmannsthal vor Schwulst nicht zurück: „Geist und Sittlichkeit greifen um sich und die Stimmung hinter dieser Armee hat etwas morgendlich Mutiges, etwas nicht nur völlig Europäisches, sondern darüber hinaus, etwas in hohem Sinn Koloniales, mit dem Hauch der Zukunft Trächtiges."

    Bis heute hält sich das Gerücht, Hofmannsthal sei 1914 zum sprachlichen Feinschliff der Kriegserklärung an Serbien einberufen worden.

    Anders als die genannten Autorenkollegen wollten sich Egon Erwin Kisch und Franz Werfel im Kriegspressequartier nicht für barocke Kriegshuldigungen hergeben. Kisch wurde in Kämpfen an der russischen Front schwer verletzt und beließ es im Kriegspressequartier bei nüchternen Reportagen.

    Franz Werfel hatte alles darangesetzt, nicht an die Front zu müssen, und blieb bis 1917 Soldat in der Etappe. Dann wurde auch er ins KPQ geschickt. „Vorworte für Kriegsausstellungen und andere schöne Dinge" habe er zu schreiben, berichtete er nach der Ankunft in Rodaun einer Freundin.

    Im Spätwinter 1918 wurde Werfel zu einer Propagandamission in die neutrale Schweiz abkommandiert, wo zur selben Zeit Stefan Zweig im Auftrag des Kriegsarchivs gute Stimmung für die Doppelmonarchie machen sollte.

    Aber Zweig war nicht mehr der kriegstrunkene „Heldenfriseur", der siegreiche Generäle bejubeln wollte. Schon im Herbst 1915 meinte er unter den Wiener Intellektuellen Ernüchterung zu erkennen, wenngleich er auf Distanz zu ihnen blieb: „Es ist übrigens jetzt nicht mehr feuilletonistisch modern, kriegsbegeistert zu sein, man trägt jetzt Menschlichkeit."

    Klang da noch Ironie durch, war Stefan Zweig zwei Kriegsjahre später geläutert. Statt, wie vor seiner Propaganda-Tour in die Schweiz versprochen, guten Wind für Österreich-Ungarn zu machen, veranstaltete er dort gemeinsame Lesungen mit französischen (!) Pazifisten.

    Im Frühjahr 1918, die Niederlage der Achsenmächte zeichnete sich ab, war Zweig pessimistisch: „Erbitterung wird sich nach dem Krieg nicht gegen die Kriegshetzer, die ‚Reichspost‘-Partei (die Christlichsozialen; Anm.), sondern gegen die Juden entladen. Ich bin überzeugt – felsenfest –, daß nach dem Krieg der Antisemitismus die Zukunft dieser ‚Großösterreicher‘ sein wird."

    Er sollte recht behalten.

    Auch Franz Werfel hatte im letzten Kriegsfrühling auf seiner Schweizer Mission alles andere als Propaganda im Sinn. In einer Rede in Davos agitierte der Abgesandte der kaiserlichen Propagandazentrale halsbrecherisch gegen den Krieg und für die Bolschewiken, die wenige Monate zuvor in Russland die Macht übernommen hatten. Eine Ungeheuerlichkeit in der kriegführenden Habsburg-Monarchie, in der die Militärjustiz oft wegen weit geringerer Delikte Todesurteile fällte.

    Die Journalistin, Übersetzerin und Salondame Berta Zuckerkandl – sie hatte durch Fürsprache ganz oben Werfel die Schweiz-Mission ermöglicht befürchtete, man werde ihren Schützling vor ein Kriegsgericht stellen. Dieser kam allerdings kurz vor dem Zerfall der Armee mit einer Verwarnung davon.

    An diesem Novembertag 1918, im zeitlichen Niemandsland zwischen Monarchie und Republik, marschieren die beiden Prager Kaffeehausliteraten Egon Erwin Kisch und Franz Werfel also an der Spitze der Rotgardisten über die Wiener Ringstraße, zuerst zum Rathaus und danach zum Parlament. Ihr Schriftstellerkollege Robert Musil steht am Straßenrand und schreibt am Abend in sein „Revolutionstagebuch": „Mit ihm (Kisch; Anm.) zieht W., in diesen Tagen blaß, mager und heiser geworden. Hat anscheinend keine Ahnung, was er tut. Er ist enorm komisch." Kisch, so Musil, habe seine Frau Martha eitel gefragt, ob sie wohl zur nächsten Kundgebung der Roten Garde komme, um ihn zu sehen, er habe jetzt das Kommando über tausende Gewehre.

    Nach dem Aufmarsch vor dem Parlament ziehen die Rotgardisten zum Schottentor. Laut Polizeiakt soll dort ein „Zivilist" es handelt sich um den entflammten Werfel – als Hauptredner angekündigt haben, die Revolutionäre würden bald „herniederschmettern auf alle, von denen sie jetzt ausgebeutet und ausgesaugt werden, dann würden sie auch die Geldpaläste besitzen". Bei letzterer Äußerung habe der Redner auf das damals neue Gebäude der Creditanstalt in der Schottengasse gezeigt.

    Werfel ist rasch ausgeforscht. Auf der Polizeistation bestreitet er nicht, den inkriminierten Satz gesagt zu haben, fügt aber hinzu, er habe daran die beschwichtigende Bemerkung geknüpft, „daß der Endsieg sicher und es daher nicht nötig sei, gegenwärtig etwas zu unternehmen, was der Würde der Kundgebung abträglich wäre", so der Polizeiakt. Überdies habe er die Rotgardisten davon abgehalten, neuerlich die nahe Rossauer Kaserne anzugreifen. Auch diesmal wird Werfel nur ermahnt.

    Alma Mahler-Gropius sitzt an diesem Novembertag 1918 in ihrer Wohnung in der Elisabethstraße 22 nahe der Oper, nur drei Straßenbahn-Stationen vom Ort des Geschehens am Schottentor entfernt. Ihre im vierten Stock eines Patrizierhauses gelegene Wohnung hat zehn Zimmer.

    Sie ist seit drei Jahren mit Walter Gropius verheiratet, die beiden haben eine kleine Tochter, Manon. Den um elf Jahre jüngeren Franz Werfel hat die 38-Jährige im Herbst 1917 kennengelernt. Bald nach dem ersten Treffen war man füreinander entflammt, obwohl Alma den jüngeren Mann alles anders als attraktiv fand: „Werfel ist ein o-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen", schrieb sie damals in ihr Tagebuch.

    Ihr Mann Walter Gropius stand da schon seit fast drei Jahren im Feld, am Sinn der Ehe mit ihm hatte Alma bald nach der Hochzeit gezweifelt: Hatte sie ihn nur geheiratet, um Kokoschka loszuwerden? Sie interessierte sich weder für den Menschen Gropius noch für sein Fach, die Architektur. „Meine Empfindung für Walter Gropius war einer müden Dämmerehe gewichen", schreibt Alma später in ihren Memoiren, „man kann keine Ehe auf Distanz führen."

    Gropius wurde an der Vogesenfront von seiner Frau brieflichen Wechselbädern unterworfen. Einmal schrieb Alma: „Das erste mal, wenn wir uns wieder sehen, werde ich an Dir zu Boden sinken, kniend Dich bitten mit Deinen Händen das heilige Glied in den Mund zu stecken und alle meine Feinheiten, alles Raffinement, das ich an Dir erlernt habe, will ich anwenden." Dann wieder, Gropius wurde inzwischen zu einer Hundestaffel versetzt, raunzte sie: „Wenn Du irgendwo ein unreines Tier berührt hast, mir lieber nicht zu schreiben, wenn Du nicht die Möglichkeit hattest, Dich vorher gründlich zu waschen."

    Ende 1917, nicht lange nach dem ersten Treffen, schwängerte Werfel Alma. Sie ließ Walter Gropius, der zuvor auf Heimaturlaub war, im Glauben, er sei der Vater ihrer Leibesfrucht. Das Kind, ein Knabe, starb kurz nach der Geburt. Alma gestand Gropius den Fehltritt. Man trennte sich im Guten.

    Als Werfel jetzt, an diesem denkwürdigen Novembertag 1918 der versuchten Revolution, in ihre Wohnung in der Elisabethstraße kommt, prallt Alma zurück. „Seine Augen schwammen

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