Der Sohn des Hofmarksrichters: Historischer Roman
Von Andreas Reichelt
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In dieser stürmischen Zeit verliebt sich die junge Adelige Charlotte von Weißentingk in den Rebellen …
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Buchvorschau
Der Sohn des Hofmarksrichters - Andreas Reichelt
Zum Buch
Bayerische Volkserhebung 1704: Der bayerische Kurfürst Maximilian II. Emanuel verliert in Höchstädt eine entscheidende Schlacht im Spanischen Erbfolgekrieg. Mit der Reichsacht belegt, flieht er nach Brüssel. Die Österreicher besetzen zunächst das bayerische Unterland und beuten dieses mit hohen Steuern aus. Das Volk ächzt unter der Steuerlast, aber auch unter der Einquartierung kaiserlicher Soldaten in den ohnehin kleinen und bescheidenen Haushalten. Wiederholte Zwangsaushebungen drohen das bayerische Volk endgültig zugrunde zu richten. Allerorts bildet sich Widerstand gegen die Besatzer. Einer der Anführer ist der Freiheitskämpfer Georg Sebastian Plinganser. Er führt Tausende Aufständische aus dem Rottal an. Schnell erreichen sie beachtliche Erfolge; das Innviertel um Braunau und Schärding wird zum Zentrum der Aufständischen. In dieser stürmischen Zeit verliebt sich die junge Adelige Charlotte von Weißentingk in den von Gewissensbissen zerrissenen Plinganser. Doch sie gehen einer ungewissen Zukunft entgegen …
Andreas Artur Reichelt wurde 1977 im Rottal geboren. Mit seiner Familie lebt er im ländlichen Niederbayern. Seine Bücher wurden bereits mehrfach ausgezeichnet. In seinen Geschichten ist die Liebe zur Familie, zur Schöpfung und zu ethischen Werten stets spürbar. »Der Sohn des Hofmarksrichters« ist sein erster historischer Roman.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat: Christine Braun
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Bildes von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Philipp_Sporrer_Der_Schmied_von_Kochel.jpg
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6160-6
Personenregister
Historische Personen:
Georg Sebastian Plinganser
Rädelsführer der Bayerischen Volkserhebung von 1705.
Nach dem Besuch der Lateinschule in Burghausen wurde er Jurist und später Mitterschreiber, ein höherer Beamter in verantwortlicher Position in unteren Behörden, am Pfleggericht Pfarrkirchen.
Sein Vater war Hofmarksrichter zu Thurnstein/Postmünster und ab 1683 Wirt zu Pfarrkirchen. Georg Sebastian Plinganser starb als Kanzler des Reichsstiftes St. Ulrich und Afra in Augsburg am 7. Mai 1738.
Johann Georg Meindl
Wirtssohn und Freund von Plinganser. Er besuchte ebenfalls die Lateinschule in Burghausen, studierte dann Philosophie und wurde einer der Anführer der Bayerischen Volkserhebung von 1705.
Joseph Sallinger
Vertrauter Plingansers und Meindls. Als Prokurator Mitglied der Gesandtschaft der Aufständischen während der Verhandlungen in Anzing.
Johann Georg Kidler, Johannes Jäger, Sebastian Senser, Georg Hallmayr
Münchner Bürger, die mit den Aufständischen in anderen Bezirken in Kontakt standen und zu den Hauptverschwörern innerhalb der Landeshauptstadt gezählt wurden.
Franz Bernhard von Prielmayr
Kriegskommissär der niederbayerischen »Defension Unterland«, später Kommandant der Landesdefension und Präsident der provisorischen bayerischen Regierung.
Johannes Hoffmann
Vom Braunauer Parlament eingesetzter Oberbefehlshaber über zwölftausend Aufständische.
Franz Cura
Franz Cura wird in den Niederbayerischen Heften dem Kampf um Burghausen zugeordnet. In anderen Quellen tritt er erst im Österreichischen Erbfolgekrieg 1740-1745 auf. Aus dramaturgischen Gesichtspunkten wurde Franz Cura im Roman bei der Eroberung Burghausens aufgenommen.
Maximilian Karl Graf von Löwenstein-Wertheim
Fränkischer Landesadministrator im Dienste des Kaisertums. Nachdem Kurfürst Max Emanuel ins Exil gegangen war, wurde er zum kaiserlichen Administrator des Herzogtums Bayern ernannt und residierte in München.
Kornett Philipp von Menz
In Eggenfelden stationierter Offizier der Husaren. Als Kornett gehört er den rangjüngsten Offizieren der kaiserlichen Kavallerie an.
Georg Ignaz von Tattenbach
Kaiserlicher Festungskommandant von Braunau bis zur Eroberung durch die Aufständischen.
Johann Baptist de Wendt
Oberst der kaiserlichen Infanterie und Stadtkommandant von München.
Georg Friedrich von Kriechbaum
Kaiserlicher Offizier und Befehlshaber der österreichischen Truppen in der Sendlinger Mordweihnacht und der Bauernschlacht bei Aidenbach.
Wolf Heinrich von Gemmel
Als Hofkammerrat Angehöriger der bayerischen Landstände. Er erhielt im November 1705 von der Kaiserlichen Administration den Auftrag, auf die Freiheitskämpfer einzuwirken.
Alois Jehle
Kurbayerischer Hauptmann im Dienst der Aufständischen und später Kommandant von Braunau.
Johann Joseph Öttlinger
Pflegskommissär aus Starnberg, der die Aufständischen an die Kaiserliche Administration verriet, um selbst Straffreiheit zu erhalten.
Heinrich Huber
Handschuhmacher aus Burghausen, bei dem Plinganser in seiner Zeit als Schüler der Lateinschule zumindest vorübergehend gewohnt hatte. Der genaue Name ist nicht gesichert. Er spielt eine wesentliche Rolle bei der Eroberung Burghausens.
Fiktive Personen:
Freiin Charlotte von Weißentingk
Tochter des Barons von Weißentingk nahe Ingolstadt.
Hubertus von Plettenfeldt
Charlottes designierter Ehemann, den sie gegen ihren Willen heiraten sollte, um den Einfluss der Familie zu festigen.
Maximilian und Xaver Resch
Vater und Sohn, Bauern aus dem Umland von Aidenbach, deren Hof der Sage des »Resch im Dobl« nach eines der letzten Widerstandsnester in der Schlacht von Aidenbach darstellte. Ob die Personen tatsächlich existierten, ist fraglich. Dennoch steht die Sage für die lange Verteidigung einzelner Bauernhöfe. Das Denkmal »Reschendobl« in Egglham erinnert an die über 600 auf diesem Hügel bestatteten Bauern, die bei der Schlacht von Aidenbach 1706 ihr Leben ließen.
Tasso von Aurholz
Kommandant einer Grenadiereinheit des kurfürstlichen Heeres, das in Ingolstadt untergebracht war und vom Volk versorgt und beherbergt werden musste. Die Unterbringung war in der Realität nicht nur wegen der Verpflegung gefürchtet, sondern auch wegen der Gewalttaten der Soldaten, wofür die Figur dieses Kommandanten stellvertretend steht.
1. Befreiung
Augsburg.
7. Mai 1738.
Augsburg hatte sich von den Wehen des Krieges erholt. Durch Straßen und Gassen flanierten wohlhabende Bürger, die ihre Stellung nicht nur über die Kleidung zeigten. Stolz erhobenen Hauptes stellten sie ihre gesellschaftliche Position zur Schau. Sie passierten die Fassaden der Stadthäuser, die im Licht der Frühjahrssonne erstrahlten. In einem dieser Häuser wohnte der Kanzler des Reichsstiftes St. Ulrich und Afra, Georg Sebastian Plinganser.
»Georg?«
Charlotte stand in der Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes und hielt ein kleines silbernes Tablett in Händen, auf dem eine Tasse Tee stand. Ihr Ehemann saß in einem schweren Eichenstuhl an seinem Sekretär und schien gedankenverloren auf ein Blatt Papier zu starren. Die Frühlingssonne strahlte grell durch das Fenster, so dass sie nur die Umrisse ihres Gatten erkennen konnte. Doch sie sah, dass er in der rechten Hand seine Schreibfeder hielt.
»Georg, geht es dir gut?«
Er zeigte keine Regung. Ganz langsam glitt ihm der Federhalter aus der Hand, rollte vom Tisch und hinterließ einen kleinen Tuschefleck auf dem Teppich. Entsetzt ließ Charlotte das Porzellan fallen und hielt sich die Hände vor den Mund.
»Georg …«, hauchte sie.
*
Durch den Dreißigjährigen Krieg wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ganz Europa in Hunger, Armut und Seuchen gestürzt. Zwei Drittel der Bevölkerung Süddeutschlands fiel dem »Weltenbrand« zum Opfer, der sich unter anderem an religiösen Fragen der großen Kirchen entzündete. Adel und Klerus genossen Pomp und Luxus auf Kosten der einfachen Menschen. Die Bevölkerung war sich dieses Umstands bewusst und verlieh ihrem Unmut immer öfter Ausdruck. In Bayern waren die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges noch jahrzehntelang zu spüren.
Ende des 17. Jahrhunderts machte sich, noch auf Seiten der Österreicher streitend, der bayerische Kurfürst Max Emanuel im Großen Türkenkrieg von 1683 bis 1699 einen Namen als genialer Feldherr. Diese Erfolge erreichte er jedoch nur unter erheblicher finanzieller und personeller Belastung seiner Untertanen. Und diese stammten vor allem aus der Landbevölkerung, der größten Bevölkerungsgruppe in Bayern, die jedoch kein politisches Mitspracherecht hatte. Die Menschen verloren ihr Leben in einem Kampf, zu dem sie von ihrem Regenten gezwungen wurden.
In diese Welt wurde dem Hofmarksrichter und späteren Wirt Hans Georg Plinganser ein Junge geboren, der seine Spuren in der Geschichte hinterlassen sollte.
2. Saat
Pfarrkirchen, Gasthaus Plinganser.
Im Juni 1690.
»Weg da, ihr Bauerntölpel!«
Zwei Soldaten des Kurfürsten standen an einem Tisch im Schankraum des Gasthauses Plinganser. Ihre blauen Röcke und die roten Hosen unterschieden sich sehr von der braunen Kleidung der Landbevölkerung. Mit ihren Dreispitzen, den schweren Stiefeln, den weißen Perücken und vor allem ihren Säbeln wirkten sie imposant und einschüchternd auf die anderen Gäste. Einer von ihnen packte einen Bauern, der noch Sekunden davor auf einem Stuhl gesessen hatte, am Kragen, zog ihn hoch und stieß ihn beiseite.
»Wenn wir hier sitzen möchten, dann seht ihr zu, dass ihr Land gewinnt!«, schrie der zweite und zog dabei seinen Säbel.
Der Wirt Hans Georg Plinganser, selbst eine stattliche Person, hatte sich mit seinem zehnjährigen Sohn Georg Sebastian auf dem Schoß an einen Tisch gesetzt, um einen Krug Bier zu trinken, als er den sich anbahnenden Streit beobachtete. Er stellte den Buben auf die Beine und eilte zum Geschehen. Bevor er zu sprechen begann, nahm er seinen Schlapphut ab, hielt ihn sich vor die Brust und nahm eine leicht gebeugte Haltung ein.
»Setzt euch zu mir an den Tisch, damit die Herren Offiziere ihren Stammplatz haben können. Ich gebe euch ein Bier aus.«
Mürrisch halfen zwei der Angegriffenen ihrem am Boden liegenden Freund auf die Beine und folgten dem Wirt. Die Soldaten hingegen setzten sich demonstrativ an den Tisch und riefen: »Zwei Krüge Bier für die Obrigkeit!«
Hans Georg Plinganser bediente die beiden und sagte dann leise zu ihnen: »Ich bin Hofmarksrichter zu Postmünster und habe gute Kontakte. Lasst euch von meiner Schenke hier nicht täuschen.« Er hielt kurz inne, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Kommt nächstes Mal zu mir, dann mache ich euren Tisch frei.«
Die Offiziere nickten mürrisch und widmeten sich nun ihren Getränken. Hans kehrte zu seinem Sohn zurück, der auf seiner Unterlippe kauend dasaß.
»Vater, warum hast du zu den Soldaten gehalten? Die Bauern waren doch zuerst da«, fragte der Junge.
»Sich mit der Staatsmacht anzulegen, bekommt niemandem. Geh ihnen besser aus dem Weg, Bub. So einen Kampf verliert man immer.«
»Aber das ist doch nicht gerecht!«, echauffierte sich der Kleine und nestelte dabei an dem Verband am Unterarm herum, den er tags zuvor angelegt bekommen hatte. In seinem Elternhaus bestanden die Wände aus behauenem Holz, das eine raue Oberfläche aufwies. Im Spiel hatte er sich versehentlich einen großen Schiefer tief in die Haut getrieben. Noch immer nässte die Wunde.
Der Vater hatte seinen Bierkrug wieder zur Hand genommen und leerte ihn in einem Zug. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schaum von den Lippen, stellte das Gefäß zurück auf den Tisch und wandte sich nochmals seinem Sohn zu. »Nein, gerecht ist es wahrlich nicht. Aber wir können es nicht ändern.«
Mit diesen Worten ging er in die Küche, begleitet von einem Hustenanfall. Seit geraumer Zeit litt der Wirt und Hofmarksrichter unter schwindender Gesundheit.
Der kleine Georg Sebastian hingegen dachte kurz über das soeben Geschehene nach, rückte dann den Verband seiner Wunde am Arm zurecht und begab sich in den Garten zum Spielen. Auf seinem Weg durch die Küche stibitzte er sich eine Wurst und biss genüsslich hinein.
Im kleinen Garten hinter der Gastwirtschaft gab es kaum genug Platz für kindliche Abenteuer. Doch ein am Boden liegender Ast regte die Fantasie des Buben an. Er hob ihn auf, betrachtete ihn von allen Seiten und befand ihn für ideal, um als Spielzeug zu dienen. Kurzerhand riss er einige kleine Äste ab und hatte nun einen leicht gebogenen Stock vor sich. Ihn wie eine Muskete haltend rannte er damit zwischen den Büschen umher und zielte auf unsichtbare Gegner. Seine einfache Baumwollkleidung war verdreckt und zerschlissen, doch mit der »Muskete« in der Hand fühlte er sich kraftvoll.
»Nehmt das!«, rief er und tat so, als würde er seine Büchse nachladen.
»Spielst du Soldat?«, rief seine Mutter aus dem Küchenfenster. Sie hatte ihn unbemerkt bei seinem Spiel beobachtet.
»Nein, Bauer.«
»Bist also auf der Jagd«, schmunzelte sie.
»Ja. Ich jage Soldaten.«
Seine Mutter runzelte die Stirn. Aus dem Hintergrund rief der Vater nach ihr. Sie warf ihrem Buben einen liebevollen und doch besorgten Blick zu, überlegte einen Moment, als wollte sie noch etwas sagen, wandte sich dann aber um und ging zurück an die Arbeit.
3. Aufkeimen
Burghausen, Jesuitengymnasium
und Lateinschule.
Wenige Jahre später.
»Schorsch, hast du dich schon auf Latein und Geschichte vorbereitet?«
»Brauche ich nicht.« Georg Sebastian Plinganser war ein Halbwüchsiger mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein. »Ciceros Schriften habe ich schon längst gelesen. Und nicht nur ein Mal.«
Johann Georg Meindl teilte sich das Zimmer mit ihm und nahm Plingansers Hilfe in der Grammatik oft und gern in Anspruch. Beide standen sie an der Schwelle zum Mannsein, jedoch konnte man Georg das Jahr ansehen, das er älter war als sein Freund. Groß und breitschultrig hatte