Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mobbing Dick
Mobbing Dick
Mobbing Dick
eBook353 Seiten4 Stunden

Mobbing Dick

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Jurastudium wird immer trockener, das elterliche Reihenhäuschen immer enger. Die Lösung verspricht ein Job und eine eigene Wohnung. Sich selbst über sein Berufsprofil nicht ganz im Klaren, gelingt Dick in der ominösen Bankanstalt ein rasanter Aufstieg, der Druck wächst. Gleichzeitig wissen die Eltern immer noch nichts von der neuen Wohnung, ein überteuertes Loch in einer üblen Gegend, und schließlich entdeckt er ein lange gehütetes Geheimnis seines Vaters.

Dick gerät immer mehr in Bedrängnis und flüchtet sich bald in seine eigene Wirklichkeit als Mobbing Dick. Es beginnt eine packende und extreme Irrfahrt, bei der er immer mehr die Kontrolle über sein Alter Ego verliert.
SpracheDeutsch
HerausgeberSalis Verlag
Erscheinungsdatum18. März 2019
ISBN9783906195841

Ähnlich wie Mobbing Dick

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mobbing Dick

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mobbing Dick - Tom Zürcher

    Autor

    1

    Am Anfang ist Dick nur zu seinem Arm böse. Er beißt hinein, bis er zum Arzt muss und dieser ihn über den Brillenrand hinweg anschaut und sagt:

    Was ist das?

    Ein Hund?

    Das ist kein Hund.

    Nein.

    Dick mag den Arzt, aber er kann ihm nicht alles sagen, da er auch der Arzt seiner Eltern ist. Die Wunde sieht eklig aus und er schämt sich, dass der andere sie berühren muss. Der Arzt bestreicht sie mit Salbe.

    Tut’s weh?

    Es geht.

    Was tut sonst noch weh?

    Die Salbe riecht nach Kamille und Kinderspielplatz und Dick beginnt nun doch zu erzählen. Vom Jurastudium, das immer trockener wird. Vom elterlichen Reihenhäuschen, das immer enger wird. Vom Vater, der in der Küche Nachrichten hört, während Mutter im Keller Unterhosen wäscht.

    Ich kriege keine Luft mehr, sagt er.

    Und beißen hilft?

    Der Arzt verbindet den Arm und fragt, was Dick tun würde, wenn er das Leben so leben könnte, als gehörte es ihm. Dick braucht nicht lange zu überlegen. Er würde aufhören zu studieren, einen Job suchen und zu Hause ausziehen. Vielleicht sollte er das tun, meint der Arzt. Schon seinem Arm zuliebe.

    Wenige Tage später sitzt Dick im Büro einer Personalfrau. Sie hat einen strengen Pferdeschwanz gebunden und will wissen, wieso er Dick heißt, sie kennt keinen anderen Schweizer, der so heißt. Da ihm die Wahrheit peinlich ist, sagt er, dass er bei der Geburt sechs Kilo gewogen hat.

    Sechs Kilo? Ihre arme Mutter!

    Sie ist wohlauf.

    Die Personalfrau wischt ein langes, schwarzes Haar vom Tisch und fragt, weshalb er das Studium abgebrochen hat.

    Aus gesundheitlichen Gründen.

    Was?

    Er will ihr die Bisswunde zeigen, aber sie ist schon bei der nächsten Frage. Warum er hier arbeiten möchte. Weil seine Mutter früher hier gearbeitet hat.

    Sie meinen, vor der Sechskilogeburt?

    Genau.

    Wissen Sie was? Ich glaube Ihnen kein Wort.

    Sie hat aber wirklich hier gearbeitet.

    Die Personalfrau blättert in den Unterlagen. Er soll von seinen Stärken erzählen. Gibt es etwas, das er besonders gut kann? Essen. Wie bitte? Er kann essen, so viel er will, ohne zuzunehmen.

    Sie meinen, Sie sind ein Dick, der nicht dick wird?

    Genau.

    Das ist doch keine Stärke. Wir sind eine Bank und kein Restaurant.

    Sie seufzt.

    Reden wir über Ihre Schwächen. Haben Sie eine?

    Süßes.

    Also nein! Ist das Ihr erstes Bewerbungsgespräch?

    Sie steht auf und begleitet ihn zum Ausgang, wobei sie nochmals auf seinen Namen zurückkommt:

    Verraten Sie mir, wieso Sie so heißen?

    Krieg ich dann den Job?

    2

    In der kleinen Küche riecht es nach Rosmarin. Mutter holt ein Huhn aus dem Backofen und zerteilt es. Vater faltet die Neue Zürcher Zeitung zusammen und legt sie weg, damit Mutter die Teller hinstellen kann. Sie fragt, wie es bei der Bank gelaufen ist, und Dick sagt, die Personalfrau hat seinen Namen komisch gefunden.

    Meier?

    Den Vornamen.

    Wieso komisch?

    Ssst!, macht Vater, weil im Radio die Nachrichten kommen. Lustigerweise ist auch etwas von Dick Cheney dabei. Er soll einem Freund bei der Jagd ins Gesicht geschossen haben. Der Arme, sagt Mutter, während Vater betrübt sein Hühnerbein salzt. Dick weiß, ihr Mitgefühl gilt nicht dem Opfer, sondern dem Schützen. Für die Eltern ist Dick Cheney ein Held. Das war er schon, bevor er Vizepräsident der Vereinigten Staaten wurde, und ist es bis heute geblieben, auch wenn er nur noch nach einem Herzinfarkt oder Jagdunfall in den Medien auftaucht. Die Eltern bewundern seinen Ehrgeiz und seine Entschlossenheit. Ein Mann, der zupacken kann und sich nicht von seinem Ziel abbringen lässt, auch nicht durch das Gesicht eines Freundes.

    Nach dem Essen fragt Vater, wie viel Dick bei der Bank verdienen würde. Großbanken zahlen gut, hat er gehört, selbst bei Studienabbrechern. Mutter macht ein Gesicht wie ein zerrissenes Küchentuch. Sie hat es noch nicht überwunden, dass aus ihrem Sohn kein Dr. Rechtsanwalt werden wird. Aber vielleicht schafft er es ja zum Bankprokuristen oder gar Chefprokuristen. Ihr damaliger Abteilungsleiter war Chefprokurist. Ein Mann, von dem sie noch heute schwärmt, weil er Dick Cheney in Gestalt und Charakter ähnlich war und großen Mut und Tatkraft besaß. Wie in jenem heißen Sommer, als das Thermometer auf 35 Grad kletterte und die Männer der Abteilung fast erstickten. Da kam der Chefprokurist durch die Büros getrabt und brüllte mit hochrotem Kopf, alle Krawatten runter, sofort! Mutter bekommt noch heute eine Gänsehaut, wenn sie davon erzählt.

    Denkst du, sie nehmen dich, Schatz?

    Aus dem Keller ruft die Waschmaschine. Mutter steigt die schmale Treppe hinunter und Vater fragt, was Dick vorhat, wenn er Großverdiener ist. Leben, sagt Dick und Vater lächelt mit Senf in den Mundwinkeln und meint, er hat seiner Mutter sehr wehgetan.

    Ich kann nur hoffen, du ersparst ihr weiteren Kummer.

    Dick nimmt sich das restliche Huhn und die Bratkartoffeln und Vater sagt, das Schlimmste wäre jetzt, wenn er ausziehen würde. Das würde Mutter nicht verkraften.

    Wieso?

    Bist du etwa schon auf Wohnungssuche?

    Dick stopft sich den Mund voll, um nicht reden zu müssen, und Vater erklärt, dass sie hier rausmüssten, wenn Dick sie im Stich ließe. Das Reihenhäuschen gehört einer Genossenschaft, deren Statuten besagen, dass man mindestens zu dritt sein muss, um hier wohnen zu dürfen.

    Deine Mutter könnte ohne das Häuschen nicht leben, sagt er. So viele Erinnerungen sind für sie damit verbunden.

    Quatsch, denkt Dick. Mutter würde liebend gern in die Stadt ziehen, das hat sie schon oft gesagt. Vater ist es, der am Häuschen hängt, weil es so günstig und weil ringsherum viel Wald für seine Sonntagsspaziergänge ist.

    Du fühlst dich doch wohl hier bei uns, nicht?

    Nein.

    Was?

    Doch, Scherz.

    Mutter kommt zurück und Vater sagt, Dick hat soeben versichert, dass er gerne bei ihnen wohnt, sie braucht sich also keine Sorgen zu machen. Sie macht sich keine Sorgen, sagt sie und sieht, dass die Schüsseln leer sind. Wo tut Dick das bloß alles hin? Kein Wunder, ist das Haushaltsportemonnaie immer leer.

    Sie werden mich wahrscheinlich nicht nehmen, sagt er.

    Wieso nicht?

    Weil nicht alle Dick Cheney mögen.

    Hast du etwa gesagt, dass …?

    Ich konnte die Personalfrau ja schlecht anlügen.

    3

    An seinem ersten Arbeitstag bringt Dick eine Schachtel Cremeschnitten mit. Er nimmt im Büro der Personalfrau Platz und sieht ihrem Pferdeschwanz zu, der aufgeregt zuckt, während sie ihn über das Schweizer Bankgeheimnis aufklärt. Sie sagt, das Bankgeheimnis ist zu einem großen Teil abgeschafft worden, aber er darf trotzdem nichts sagen, zu niemandem, verstanden? Sonst drohen Buße, Gefängnis und Ächtung auf dem Arbeitsmarkt. Apropos Arbeitsmarkt, er hat Glück, dass dieser zurzeit so ausgetrocknet ist und sie nicht allzu wählerisch sein dürfen. Fragen? Gut.

    Nachdem er zahlreiche Papiere unterzeichnet hat, händigt sie ihm einen Personalausweis aus und sagt, willkommen bei der Schweizerischen Bankanstalt. Er öffnet seine Schachtel, holt ein Stück Cremeschnitte heraus und streckt es ihr hin, aber sie wehrt mit gespreizten Fingern ab und er legt es wieder zurück. Dann betritt ein junger Mann das Büro und die Personalfrau stellt ihn als Herrn Bachmann vor und sagt, das ist sein Chef.

    Herr Bachmann trägt Hemd und Krawatte. Das Hemd hängt ihm über die Hose, was etwas hilflos wirkt, als habe er sich nicht fertig angezogen. Er streckt Dick die Hand hin, aber Dick kann ihm seine nicht geben, da sie zuckrig ist von der Cremeschnitte. Er fasst erneut in die Schachtel und will eine herausholen und die Personalfrau sagt, nun hören Sie doch mit dem süßen Zeug auf.

    Ich darf sowieso nicht, sagt Herr Bachmann, ich habe Diabetes.

    Sie haben Diabetes? Davon steht aber nichts in Ihrer Akte, sagt die Personalfrau.

    Herr Bachmann führt Dick in den dritten Stock hinauf. Sie schreiten durch einen Korridor und gelangen in ein kleines Büro mit zwei Schreibtischen. Der restliche Platz wird von einem panzerfarbenen Metallschrank ausgefüllt.

    Gut, dass Sie da sind, sagt Herr Bachmann, wir haben wahnsinnig viel zu tun.

    Er kratzt sich am Kopf und Dick denkt, wieso siezen wir uns, wir sind doch fast gleich alt. Dann klingelt das Telefon und Herr Bachmann rennt aus dem Büro. Dick setzt sich an seinen Schreibtisch und startet den Computer. Ein Passwort wird verlangt, er versucht es mit 123, worauf der Bildschirm schwarz wird und die Tastatur blockiert.

    Er schaut aus dem Fenster auf den Paradeplatz hinunter. Der teuerste Boden der Welt, hat es zu Hause immer geheißen. Man sieht bis zur Confiserie Sprüngli, wo er die Cremeschnitten gekauft hat, die wirklich teuer waren. Er isst alle auf. Er guckt zur Decke, die viel zu hoch ist für das kleine Büro. Da oben hängen zwei Neonröhren, ungeheuer weit oben.

    Er versucht nochmals den Computer zu starten, aber der bockt immer noch. Hoffentlich hab ich nichts kaputt gemacht, denkt er. Um zwölf Uhr zieht er die Jacke an und geht in die Mittagspause.

    4

    Als Dick vom Essen zurückkehrt, sitzt Herr Bachmann am Schreibtisch und arbeitet.

    Mein Computer klemmt, sagt Dick.

    Ich weiß, sagt Herr Bachmann und kratzt sich am Kopf. Dann klingelt sein Telefon und er rennt hinaus. Kurz darauf erscheint ein Mann von der IT. Er trägt eine dicke Jeanshose und setzt sich an Dicks Platz.

    Tun Sie das nie wieder.

    Was denn?

    Sie wissen schon.

    Er erlöst den Computer aus der Starre und verrät Dick sein Passwort. Es ist kompliziert und er muss es auswendig lernen. Man darf es nicht notieren, sagt der Mann, auf keinen Fall, es ist genauso heilig wie das Bankgeheimnis oder was davon übrig ist.

    Das Bankgeheimnis musste ich aber nicht auswendig lernen, sagt Dick.

    Kleiner Scherzkeks, hm? Was sind das für Krümel?

    Cremeschnitte.

    Haben Sie noch eine?

    Der IT-Mann gibt ihm eine kurze Einführung ins Computersystem. Es ist nicht schwer, nur das Passwort ist schwer und Dick will wissen, was passiert, wenn man es vergisst.

    Dann ist nicht gut. Gar nicht gut.

    Nachher ist der Stuhl warm. Dafür weiß Dick jetzt, wie man Konten anschaut. Als Erstes guckt er nach, wie viel Herr Bachmann verdient. Geht nicht, die Konten der Arbeitskollegen lassen sich nicht aufrufen. Ob die Eltern auch Geld bei der Bankanstalt haben? Ja, tatsächlich, aber nur Vater, er besitzt ein Sparkonto. Dick ist versucht draufzuklicken und nachzusehen, wie viel sein alter Herr auf der hohen Kante hat, fühlt sich aber plötzlich beobachtet. Er blickt zur Decke. Ist da oben eine Kamera versteckt? Nein, sicher nicht. Oder?

    Punkt fünf Uhr zieht er die Jacke an und geht. Im Korridor kommt ihm Herr Bachmann mit zwei dicken Ordnern entgegen. Er erinnert Dick daran, dass er über das, was sie hier machen, nicht reden darf.

    Was machen wir denn?

    Vermögensverwaltung.

    Reiche Kunden und so?

    Nicht so laut.

    5

    Statt nach Hause zu fahren, geht er eine Wohnung besichtigen. Sie liegt in einem finsteren Betonblock mit aufgebrochener Eingangstür. Im Treppenhaus riecht es nach saurem Fleisch, trotzdem hat sich eine lange Schlange gebildet.

    Dicks Handy klingelt. Es ist Mutter, sie fragt, wo er steckt, Paps hat schon die Zeitung zusammengelegt.

    Ich bin noch im Büro.

    Überstunden? Schon am ersten Tag?

    Mutter ist beeindruckt.

    In der Wohnung verteilt eine kleine, rundliche Verwalterin Anmeldeformulare. Dick möchte sich zuerst umschauen und sie sagt, aber klar doch, nur zu. Er guckt in zwei dunkle Zimmer und eine kleine Küche. In der Ecke liegt Brot. Um nicht unhöflich zu sein, erkundigt er sich beim Rausgehen nach der Miete. Das hat doch in der Anzeige gestanden, sagt die Verwalterin, 2000 Franken im Monat.

    2000 für dieses Loch?, denkt Dick und die Verwalterin lacht und sagt, das ist doch kein Loch, das ist günstig für Zürich. Dick wird rot im Gesicht, weil er laut gedacht hat. Die Verwalterin erklärt, man ist hier mitten im Langstraßenquartier und das ist sehr hip wegen der vielen Partys an den Wochenenden. Hip hip hurra, sagt Dick und wundert sich, dass er solchen Blödsinn rauslässt. Die Verwalterin lacht wieder und fragt, ob er bei der Post arbeitet, er hat so ein ehrliches Gesicht. Sie hält mich für jung und naiv, denkt er und streckt trotzig die Hand für ein Anmeldeformular aus. Ende des Monats wird oben noch eine zweite Wohnung frei, sagt die Verwalterin. Die Chance, hier unterzukommen, ist also doppelt so groß. Es klingt wie eine Warnung.

    Draußen weht ein abenteuerliches Lüftchen. Die Straßenlaternen leuchten und zwischen den Bars und Restaurants patrouillieren hoch aufgeschossene Dirnen. Dick kriegt Lust auf eine Pizza und eine Coca-Cola. Mutter ruft wieder an und fragt, ob er ungefähr abschätzen kann, wann er zu Hause sein wird, sie hat sein Essen warm gestellt, es trocknet aus. Im Hintergrund hört er Vater sagen, geht das jetzt jeden Abend so?

    Dick macht sich auf den Heimweg.

    6

    Als Dick nach Hause kommt, sitzen die Eltern noch in der Küche. Sie verarbeiten die Kassenbons von Mutters Einkäufen. Vater rechnet die Ausgaben für Fleisch, Getränke, Putzmittel und so weiter zusammen und Mutter trägt sie in die Spalten ihres Haushaltsbuches ein.

    Zweimal Braten letzte Woche?

    Runtergesetzt, Paps. Hallo, Schatz.

    Mutter steht auf, gibt Dick einen Kuss und holt sein Essen aus dem Ofen. Vater sagt, das nächste Mal soll er bitte anrufen, wenn er sieht, dass es länger dauert, seine Mutter macht sich sonst unnötig Sorgen.

    Was hast du für Arbeit?, fragt sie.

    Darüber darf ich nicht reden.

    Ah, das Bankgeheimnis, sagt Vater. Darfst du Konten anschauen?

    Nur die eigenen.

    Wirklich?

    Mutter sagt, sie konnte damals auch keine Konten einsehen und Vater sagt, sie war ja auch nur eine Sekretärin.

    Kannst du wirklich keine Konten anschauen, Dick?

    Geht nicht, sind geschützt.

    Dann hast du’s versucht?

    Wie sind sie denn geschützt?, fragt Mutter.

    Durch ein kompliziertes Passwort.

    Hast du auch eins?, fragt Vater.

    Nein.

    Wieso weißt du dann, dass sie kompliziert sind?

    Vom IT-Mann.

    Wer ist das?, fragt Mutter.

    Der Mann, der die Passworte verteilt.

    Was hast du mit ihm zu schaffen, wenn du kein Passwort hast?, fragt Vater.

    Er war wegen Herrn Bachmann da.

    Wer ist das?, fragt Mutter.

    Mein Chef. Er hat sein Passwort vergessen.

    Wieso?

    Er hat Diabetes.

    Oje. Was geschieht, wenn er nicht mehr arbeiten kann, wirst du dann Chef?

    Ma, er ist topfit.

    Aber wenn er so vergesslich ist.

    Das liegt nicht an ihm, sondern am Passwort, sagt Dick und Vater fragt, wieso man es sich dann nicht aufschreibt. Weil das verboten ist. Woher weiß Dick das? Weil er gehört hat, wie der IT-Mann Herrn Bachmann gescholten hat, als dieser das neue Passwort notieren wollte.

    Wieso darf der mit ihm schimpfen, wo er doch ein Chef ist?, fragt Mutter.

    Hallo? Was soll das Verhör?

    Das ist doch kein Verhör, sagt Vater. Wir haben dich lediglich gefragt, ob du Konten anschauen darfst und da hast du angefangen, dich rauszureden.

    Wieso wollt ihr das überhaupt wissen? Habt ihr ein Konto bei der Bankanstalt?

    Ich schon lange nicht mehr, sagt Mutter.

    Mein Konto ist bei der Post, sagt Vater.

    Ich habe ein ehrliches Gesicht, sagt Dick.

    Darauf weiß Vater nichts mehr zu sagen und wendet sich wieder den Kassenbons zu. Er entdeckt einen größeren Posten für Milch.

    Zwölf Liter?

    Wenn Dick immer so Durst hat, Paps.

    Milch ist doch nicht gegen den Durst, Honey.

    Vater sagt gern Honey zu Mutter, seit er in der NZZ gelesen hat, dass Dick Cheney seine Frau auch so nennt. Dick wüsste gern, wie Frau Cheney ihren Mann ruft, vermutlich Money.

    Ist dieser Bachmann nett zu dir, Dick?

    Alle sind nett, Ma.

    7

    Am nächsten Tag führt Herr Bachmann einen Test mit Dick durch. Er gibt ihm einen Füllfederhalter und einen leeren Briefumschlag und bittet ihn, seine Adresse draufzuschreiben. Anschließend prüft er die Handschrift.

    Hm, ja, das sollte gehen. Wir müssen heute Kontoauszüge verschicken.

    Dick lernt, dass Briefe, die an ausländische Kunden gehen, nie nach Bank aussehen dürfen. Handbeschriebene Umschläge sind das A und O einer diskreten Vermögensverwaltung, sagt Herr Bachmann. Außerdem wird alles von Deutschland aus versandt, da der Schweizer Poststempel in der Welt da draußen immer noch Verdacht erregt, obwohl das Bankgeheimnis zu einem großen Teil abgeschafft worden ist. Die Kontoauszüge liegen im Druckbüro zur Abholung bereit. Herr Bachmann will Dick zeigen, wo es sich befindet, aber als sie aufbrechen, klingelt das Telefon und Herr Bachmann rennt alleine los.

    Dick studiert den Umschlag, auf den er seine Adresse hat schreiben müssen. Es ist ein gefütterter Umschlag, der feierlich knistert, wenn man ihn drückt. Viel zu schade, den einfach wegzuwerfen, denkt er und beschließt, einen Brief an sich selbst zu schreiben. Er tippt in den Computer:

    Sehr geehrter Herr Dick Meier

    Sie arbeiten nun schon den zweiten Tag in diesem Büro und es wird Zeit, Ihnen eine erste Einschätzung zu geben. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Sie erscheinen pünktlich, kennen meinen Namen und machen nichts kaputt. Wenn das so weitergeht, sind Sie bald der Präsident dieser Bank. Dann werden Sie mir befehlen, das Hemd in die Hose zu stopfen, in die Unterhose gar, und das kann ich nicht zulassen. Also werde ich damit beginnen, Ihnen Steine in den Weg zu legen und die Näpfchen, in die Sie treten werden, mit Fett zu füllen. Das ist nicht gegen Ihre Person gerichtet, aber ich muss mich vor Ihnen schützen wie mein Blut vor Zucker.

    Hochachtungsvoll, Ihr werter Herr Dr. Bachmann

    Er liest es durch. Wahnsinn, das ist ihm einfach so aus den Fingern gesprudelt. Er klickt auf Ausdrucken und guckt sich um, wo der Brief rauskommt. Er kann keinen Drucker sehen. Er kriecht unter den beiden Schreibtischen durch und als er auf Bachmanns Seite wieder auftaucht, kehrt dieser ins Büro zurück und fragt:

    Was machen Sie da?

    Den Drucker suchen.

    Was wollen Sie denn drucken?

    Nichts, nur für den Fall.

    Bachmann erklärt, die Computer der Vermögensabteilungen sind für Drucker und Speichermedien gesperrt, damit keiner mehr auf die Idee kommt, Kundendaten ans Ausland zu verkaufen. Er zählt noch weitere Sicherheitsvorkehrungen auf, aber Dick hört nicht zu, sondern fragt:

    Und wenn man mal einen Brief schreiben möchte?

    Wem möchten Sie denn schreiben?

    Ich? Niemandem.

    Die Ausdrucke kommen im Druckbüro raus, sagt Bachmann, dort werden sie registriert. Sie müssen jetzt sowieso dahin, um die Kontoauszüge zu holen.

    Das Druckbüro ist in schneeweißes Licht getaucht. Flache Maschinen summen und es riecht nach warmem Papier. Ein Mann übergibt Bachmann eine Kunststoffkiste mit Kontoauszügen. Bachmann quittiert den Empfang und der Mann sagt, das da ist wohl auch noch für Sie. Er händigt ihm ein einzelnes Blatt aus. Bachmann liest es durch. Dann reicht er es an Dick weiter, nimmt die Kiste und geht hinaus. Während Dick ihm folgt, hört er Mutter sagen, das hat noch ein Nachspiel.

    Oben holt Bachmann ein paar Schachteln mit Umschlägen aus dem Metallschrank sowie einen Briefbefeuchter. Er führt Dick vor, wie man ein Kuvert beschriftet, den gefalteten Kontoauszug hineinsteckt und mithilfe des Befeuchters die Lasche verklebt.

    Keine Hexerei, oder? Wollen Sie es mal versuchen?

    Dick zeigt, dass er es verstanden hat. Die ganze Post muss bis heute Abend versandbereit sein, sagt Bachmann, der Deutschlandkurier holt sie dann ab. Dick soll sich aber trotzdem Zeit lassen, das Wichtigste ist, dass die Adressen gut lesbar sind.

    Alles klar?

    Dick nickt. Das Telefon klingelt. Bachmann schnappt sich einen Notizblock und eilt aus dem Büro.

    Bevor sich Dick an die Arbeit macht, zerreißt er den ausgedruckten Brief. Wieso hat er den geschrieben? Wieso hat Bachmann nichts gesagt? Er will ihn schmoren lassen, oder? Management by schlechtem Gewissen, kennt Dick von zu Hause, Vater ist Weltmeister darin. Dick muss das wieder geradebiegen. Er weiß auch schon wie.

    Er richtet auf dem Schreibtisch eine Verarbeitungsstraße ein und legt los. Er schreibt, faltet, befeuchtet und klebt zu. Er arbeitet wie ein Roboter und mit jedem Umschlag wird er schneller. Um noch schneller zu werden, verzichtet er auf den Briefbefeuchter und leckt die gummierten Laschen mit der Zunge ab. Die Mittagspause lässt er aus, arbeitet durch und um drei Uhr ist alles erledigt und die Briefe stapeln sich in hohen Türmchen auf dem ganzen Schreibtisch. Dicks Ohren glühen. Er wäre sogar noch schneller gewesen, wenn er gegen Ende nicht wieder auf den Briefbefeuchter hätte zurückgreifen müssen, nachdem er sich die Zunge an einer scharfen Kante aufgeschlitzt hatte und es heftig blutete.

    Bachmann ist noch nicht zurückgekehrt. Er wird staunen. Er wird sagen, das haben Sie gut gemacht, vergessen wir den blöden Brief.

    Dick geht zum Sprüngli, um etwas gegen den leimigen Geschmack im Mund zu holen, den er vom Ablecken hat. Hunger hat er auch. Er rennt beide Wege, er will auf keinen Fall Bachmanns Gesicht verpassen.

    8

    Herr Bachmann kommt einfach nicht zurück. Dick hat ein saftiges Lachssandwich mit Dillsauce verspeist, ohne dass davon etwas auf die Briefe getropft ist. Er hat eine Tüte Karamellbonbons gelutscht, doch der bittere Geschmack ist geblieben. Hoffentlich habe ich keine Leimvergiftung, denkt er.

    Chef, wo bleiben Sie?

    Für ihn hat er auch etwas mitgebracht: eine Geschenkdose mit Pralinen. Einzelne

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1