Sendeschluss in Köln: Kriminalroman
Von Susanne Grulich
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Buchvorschau
Sendeschluss in Köln - Susanne Grulich
Zum Buch
Magnus Meister im Recall In seinem neuen Fall kommt der Musiker Magnus Meister dem Traum von einer Karriere als Rockstar näher: Er begibt sich undercover hinter die Kulissen der Casting-Show »The Sexiest Song alive« um zu ermitteln, wer unerlaubt Informationen an die Presse weitergibt – über den Rechner seiner Klientin. Meister erobert die Welt des Showbiz: Die Crew ist am Rande der Belastbarkeit, die Kandidaten verfolgen gnadenlos ihre Ziele und Helikopter-Eltern nerven ihre erwachsenen Kinder. Meister freundet sich mit den Kandidaten an, die er zu den Terminen chauffiert. Seine Tochter Clara, die zur gleichen Zeit ein Praktikum beim Sender macht, verliebt sich in einen der ehrgeizigen Kandidaten. Als Meister den Chef-Juror kennenlernt, macht der ihm ein unerwartetes Angebot, das seiner Karriere einen Schub geben könnte. Doch kurz vor der Ausstrahlung der Finalshow stürzt dieser auf die Bühne – tot. Meister kämpft sich durch einen Dschungel aus Motiven und Eitelkeiten, bis er die überraschende Wahrheit entdeckt.
Die Kölnerin Susanne Grulich studierte Germanistik, Romanistik und Jura und arbeitete zunächst als Rechtsanwältin. Seit ihrer Studienzeit musiziert sie in diversen Bands. Als Gitarristin, Schlagzeugerin und Sängerin schrieb sie Songtexte. Daraus entwickelten sich später Kurzgeschichten und schließlich ihr Krimidebüt um den ermittelnden Rockmusiker Magnus Meister. Sie arbeitet aktuell als Dozentin für ein großes Kölner Einzelhandelsunternehmen. Hierbei trifft sie täglich auf die unterschiedlichsten Charaktere, die sie zu ihren Geschichten inspirieren. Sie wohnt mit Mann, Garten und Gitarre im Kölner Süden. »Sendeschluss in Köln« ist ihr zweiter Krimi.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
K.o. durch Meister (2017)
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2018-01-14-Ehrenfeld_Luft-0572.jpg
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-5924-5
Haftungsausschluss
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Samstag, 12. Mai
»Ich sterbe vor Hunger. Das riecht total gut – Parmesan, Knoblauch, Oregano?« Clara ließ sich mit einem Seufzer auf einen Stuhl am gedeckten Tisch fallen. Seine Tochter tauchte in letzter Zeit häufiger ohne Ankündigung an den Wochenenden auf, meistens mit einem Loch im Bauch. Magnus freute sich insgeheim über die Besuche, auch wenn er nicht sicher war, ob sie ihm galten oder Eliza oder einfach nur ihren ausgezeichneten Kochkünsten. »Mama hat vergessen einzukaufen«, sagte sie und griff nach einer Käsestange. »Sie ist auf einer Fortbildung.«
»Und du selbst weißt nicht, wie das geht«, spottete Magnus, während er vorsichtig mit der Suppenkelle die heiße Minestrone auf drei Teller verteilte. »Geld einstecken, zum Supermarkt gehen, Einkaufswagen nehmen – Glück für dich, dass wir heute so früh zu Mittag essen.«
»Sehr witzig, Papa. Seit Montag bin ich voll im Stress mit dem Job im Studio. Ich war keinen Abend vor 9 Uhr zu Hause. Gleich muss ich auch hin.«
»Samstags? Ein Job? Was habe ich verpasst?«
Eliza und Clara tauschten einen kurzen Blick und begannen dann ihre Suppe zu löffeln. Schweigen senkte sich über den Esstisch. Magnus ließ den Löffel sinken und versuchte vergeblich, behindert durch zwei Vorhänge aus langen Haaren, einen Blick seiner beiden Lieblingsfrauen aufzufangen.
»Hallo? Ich bin es. Sprecht mit mir.«
»Clara macht ein Praktikum bei einem Fernsehsender.« Eliza schaute so konzentriert in die Minestrone, als ob sie die Bohnen darin zählen wollte. »Benno hat ihr geholfen, den Platz zu bekommen.«
»Das ist gar nicht so einfach, bei einem Sender unterzukommen. Nur mit Vitamin B wie Benno.« Clara lächelte Eliza an. »Danke für die gute Idee.«
»Mille Grazie.« Eliza vermied es, Magnus anzusehen. »Bei welchem Sender hat es denn geklappt?«
»Halt, Stopp, Pause.« Magnus ließ den Löffel mit einem klirrenden Geräusch auf den Teller fallen. Ein Spritzer Minestrone landete auf seinem Lieblingshemd. »Wiederholt das für mich, zum Mitschreiben. Meine Tochter macht wieder ein unbezahltes Praktikum, diesmal beim Fernsehen. Hauptsache irgendwas mit Medien. Keiner hält es für nötig, mich darüber zu informieren: Meine Tochter nicht, du nicht«, er fixierte Eliza mit einem finsteren Blick, »mein bester Kumpel Benno nicht, und meiner Exfrau ist das scheinbar auch egal.«
»Es spricht keiner mit dir, weil du immer die totale Welle machst«, murrte Clara. »Komm mal runter und mach Yoga oder so.« Sie schob ihren Teller weg. »Das Praktikum ist bezahlt. 500 Euro im Monat.«
»Clara hat recht«, sagte Eliza. »Du regst dich jedes Mal auf, wenn sie etwas Neues beginnt.«
»Kein Wunder«, knurrte Magnus. Er machte sich Sorgen um die Zukunft seiner Tochter. Nach dem Abitur vor drei Jahren hatte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen und nach einem Jahr abgebrochen, weil die ganze Technik »nicht ihr Ding« sei. Mit seiner und der finanziellen Unterstützung seiner Exfrau Carolin war Clara danach als Au-Pair-Mädchen ein Jahr nach London gegangen. Seit dem Herbst jobbte sie ziellos in der Gegend herum – oder zumindest konnte Magnus darin kein Ziel erkennen. Allerdings fand er es alarmierend, dass seine Frauen sich nicht mehr mit ihm besprachen. Vielleicht müsste er wirklich etwas lockerer werden. Oder strenger?
»Wie heißt die Sendung, bei der du mitarbeitest?« Eliza nahm den Faden wieder auf, als ob nichts gewesen wäre. Diese Strategie bewährte sich häufiger bei den Reibereien von Vater und Tochter. Magnus bewunderte widerwillig, wenn auch gekränkt, ihr Taktgefühl.
Clara strahlte. »›The Sexiest Song Alive‹. Das ist eine Castingshow beim Sender STV. Die Show ist neu, letzten September ist die erste Staffel gestartet. Am Freitag wird das Finale ausgestrahlt – live!«
»Ich glaube, vor zwei Wochen haben wir kurz reingezappt.« Eliza öffnete den Kühlschrank, holte eine Flasche Weißwein aus dem Seitenfach und prüfte die Temperatur. »Kalt genug. Selbst komponierte Songs, richtig? Aber dein Vater wollte nicht weitergucken.«
»Im Ernst, Clara, ein Praktikum? Was willst du damit anfangen?«
»Papa, es reicht! Der Sender hat mir im Anschluss ein Volontariat in Aussicht gestellt, wenn alles gut läuft. Deswegen mache ich das überhaupt.«
»Jetzt lass sie doch mal in Ruhe, sie weiß schon, was sie tut.« Eliza schenkte sich und Magnus ein Glas Wein ein. »Erzähl mal, welche Aufgaben du hast.«
»Ich darf Backstage mithelfen, das macht voll Spaß. Ihr kennt sogar einen der Kandidaten. Ratet mal.«
»Keine Ahnung«, brummte Magnus. »Ich kenne noch nicht mal den Namen der Show. Sitzt Dieter Bohlen da in der Jury?«
»Quatsch Papa, das ist bei DSDS. Und bei Supertalent, natürlich. In ›The sexiest Song alive‹ geht es darum, wer den besten Song schreiben kann. Voll seriös.«
»Erinnerst du dich wirklich nicht?«, fragte Eliza. »Du hast neben mir auf dem Sofa gesessen. Ich fand die Sendung besser als die ganzen Castingshows, bei denen es nur um Singen oder gutes Aussehen geht.«
»Papa, jetzt rate endlich, welchen der Kandidaten du kennen könntest!«
»Ich kenne keine talentfreien Teenager.«
»Eben. Denk nach. Übrigens ist die Show nicht nur für Kinder. Die Altersgrenze für eine Bewerbung liegt bei 40 Jahren.«
»Vielen Dank auch. Dann bin ich nur fünf Jahre über dem Limit.« Magnus wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Die Suppe war scharf. Eliza und Clara grinsten sich an.
»Also gut«, gab er nach. »Wen kenne ich, der das Zeug zum Songwriter hat? Mich natürlich. Zu alt. Nick? Aus meiner Band? Der ist aber schon 37, glaube ich.«
»Kalt. Ganz kalt. Viel jünger. Denk an deine Gitarrenschüler.« Clara erhob sich, ging zum Backofen und spähte hinein. »Hm. Sind das überbackene Tortellini? Die sind fertig, glaube ich.«
»Tobias, Martin, Laura, Vincent, Milan … Milan? Der hat echtes Talent. Im Ernst? Was will der bei einer Castingshow? Der sollte sich zu schade sein für diesen Zirkus.«
»Oh Mann, du bist voll retro! Auch wenn es das in deiner Jugend noch nicht gab – ein Casting macht dich berühmt!«
»Selbst, wenn man nicht gewinnt – man hat vielleicht die Chance, sich einem größeren Publikum vorzustellen«, stimmte Eliza ihr zu und räumte die Suppenteller ab. »Und man kann Kontakte knüpfen. Das freut mich für Milan. Wart ihr nicht zusammen auf der Schule?«
Clara nickte. »In derselben Stufe, aber andere Clique. Er hatte nur Leute um sich, die Musik gemacht haben.«
»Hey, hat jemand was dagegen, wenn ich mal kurz rausgehe? Ich gehe ein vor Hitze.« Magnus stand auf.
»Du willst bloß rauchen«, lästerte Clara. »Lass dich nicht aufhalten.«
Magnus trat durch die Terrassentür hinaus in den erstaunlich warmen Maitag und blinzelte in die Sonne. Die Stimmen seiner Lieblingsfrauen verschwammen zu einem hellen Hintergrundgemurmel. Auf der Fensterbank lag eine vorgedrehte Zigarette. Nach zwei Zügen entspannte Magnus sich etwas und beobachtete ein Amselpaar in der Hecke beim Füttern ihrer Brut. Eliza und er verscheuchten regelmäßig zwei neugierige Katzen, die dem Nest zu nahe kamen. Es war nirgendwo einfach, den Nachwuchs großzuziehen. Vermutlich sollte er seiner Tochter mehr Vertrauen entgegenbringen. Seine Erwartungen konnten nach ihrem tollen Abitur vielleicht nur enttäuscht werden. Alles, wofür sie sich früher interessiert hatte, spielte bei der Berufswahl plötzlich keine Rolle mehr. Eliza klopfte von innen gegen die Scheibe der Terrassentür und wedelte mit der Hand. Das Essen war fertig.
»Du könntest dich heute noch nützlich machen, Papa!« Die gereizte Stimmung von vorhin war einer wohligen Trägheit gewichen.
»Gib mir fünf Minuten«, sagte Magnus und strich sich über den Bauch. »Ich brauche dringend einen Espresso. Und ein frisches Hemd.«
»Fährst du mich zum Studio? Das ist in Ossendorf, im Coloneum. Sascha wollte mich mitnehmen, aber sein Auto muss in die Werkstatt.«
»Wer ist Sascha?« Magnus war mit einem Schlag wachsam.
»Den kennst du nicht. Einer der Kandidaten. Heißt das ja?«
Magnus warf über die Schulter einen Blick auf die Küchenuhr. Sein erster Gitarrenschüler kam um vier Uhr. »Ich fahre dich.«
Das Gewerbegebiet am Rand des Stadtteils Ossendorf lag im Kölner Nordwesten, nicht gerade Magnus’ Heimatrevier. Die Straßen sahen frisch asphaltiert aus, nirgends gab es die typischen Kölner Schlaglöcher oder Flickstellen. Rechts lag eine Tankstelle, links ein Baumarkt, um die Ecke ein großes Möbelhaus. Früher kannten viele Kölner Ossendorf nur deshalb, weil hinter stacheldrahtbewehrten Mauern die Justizvollzugsanstalt lag. Seit in Köln jeder Quadratzentimeter mit Eigentumswohnungen und Reihenhäusern bebaut wurde, galt Ossendorf als attraktiv für junge Familien, obwohl es kein klassisches »Veedel« war, mit Einkaufsstraßen und schönen Cafés oder Geschäften. Aber die Innenstadt war gut mit der Linie Fünf erreichbar. Eine Investorengruppe hatte vor einigen Jahren das ehemalige Gelände des Zivilflughafens, den sogenannten Butzweilerhof, als Sitz für Medienunternehmen erschlossen und das Ganze werbewirksam »Coloneum« getauft.
»Bist du noch sauer? Wir hätten es dir sagen sollen.« Clara tupfte sich mit dem Finger etwas Make-up auf die Nase und betrachtete das Ergebnis kritisch im Spiegel auf der Sonnenblende der Beifahrerseite.
»Schon gut. Ich bin ja selbst schuld, wenn ich mir zu viele Sorgen mache. Sag mir lieber, wo ich langfahren muss. Wer ist denn dieser Sascha, der dich immer mitnimmt?«
»Hier rechts abbiegen, Papa. Wieso hast du kein Navi?«
»Das Baujahr des Luxusgefährts, in dem du dich gerade befindest, ist 1988. Da gab es Navigation nur in der Seefahrt. Also: Sascha?«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Sie steckte sich die Haare hoch, zupfte an der Schläfe eine dunkle Haarsträhne heraus, prüfte die Wirkung und klappte die Sonnenblende wieder hoch. »Er sieht super aus, kann gut singen, studiert nebenbei BWL und hat sich ein Urlaubssemester genommen, um die Show durchzuziehen. Bis heute hat er bei einem Freund in der Südstadt gewohnt und mich öfter mit ins Studio genommen. Ab Montag brauche ich eine neue Mitfahrgelegenheit.«
»Warum?«
»Sascha zieht bis zum Finale in die Wohngemeinschaft nach Ehrenfeld, zusammen mit den anderen Kandidaten.«
»Ist er denn gut? Musikalisch, meine ich? Es geht doch um den besten Song, oder?«
Clara kramte in ihrer Handtasche. »Alle Kandidaten sind megagut. Das sind die zehn Besten aus Hunderten von Bewerbern, verstehst du? Die, die alle Castings vor der Jury geschafft haben. Sascha ist angeblich einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Ah, da ist es ja.« Sie zog ein winziges Parfumfläschchen heraus und bestäubte ihre Handgelenke damit. Eine schwere Süße durchzog augenblicklich den Wagen.
»Hey, mach das Fenster auf. Das ist kein Frisörsalon.«
Clara öffnete ihr Fenster einen Spalt. »Sorry. Der Duft ist ein bisschen schwer, oder? Jasmin mit Orangennote.«
»Mach das bitte nie wieder im Auto. Dieser Glaspalast hier, ist das das Coloneum? Das ist ja gigantisch!«
Clara nickte stolz. »Du siehst nur einen Bruchteil des Areals. Das ganze Gelände für die Film- und Fernsehproduktion ist über 160.000 Quadratmeter groß. Außenkulissen, 20 Studios, Technikräume, Lagerflächen und und und. Die Sendungen, die hier produziert werden, müsstest sogar du kennen.«
»Welche denn?«
»Zum Beispiel Big Brother, Das Supertalent, DSDS, Germanys next Topmodel, Let’s dance, Grill den Henssler, The Biggest Loser, Unter uns, Alles was zählt, Verbotene Liebe …«, sie stockte und begann zu grinsen. »Du guckst so was nicht, oder?«
Magnus hob ratlos die Schultern. Das meiste davon waren Sendungen, in die er aus Versehen reingezappt und dann schnell den Sender gewechselt hatte. Er mochte weder Talentshows noch Tanz- oder Kochsendungen, noch Serien, in denen sich junge Schauspieler mit glatten, austauschbaren Gesichtern nach unglaubwürdigen Drehbüchern ver- oder entliebten.
»Du bist ein Snob. Übrigens werden hier auch Filme gedreht, die du kennst. Was ist mit ›Der Medicus‹ oder ›Die fabelhafte Welt der Amélie?‹«
Magnus’ Gesicht hellte sich auf. »Der ist schön. Das war lange Elizas Lieblingsfilm.«
»Geht doch«, spottete Clara. »Da sind wir.«
Links von ihnen erstreckten sich mehrere futuristisch anmutende Bürogebäude mit kompakten Fassaden, von Fensterfronten mit viel Glas durchbrochen, in denen sich blau und weiß der Himmel spiegelte. Davor gab es Hunderte von Parkplätzen für Besucher und Mitarbeiter, die heute, am Samstag, frei waren. Über dem etwas zurückliegenden Haupteingang prangte in roten Riesenlettern die Aufschrift »MMC Studios«. Darüber schien die Skulptur eines springenden Einhorns zu schweben – im matten Grün angelaufenen Kupfers.
»Hey, das Tier da oben kenne ich. Hier arbeitest du? Ist hier auch der Sender?« Magnus war von der Größe und Anordnung der Gebäude widerwillig beeindruckt.
Clara schüttelte den Kopf. »STV mietet hier das Studio und die Technik an, denke ich. Du kannst hier in der Zufahrt anhalten.«
»Soll ich dich reinbringen?«
»Nicht nötig. Du darfst sowieso nur ins Foyer. Für alles andere brauchst du einen Ausweis.« Sie drückte ihm einen weichen Kuss auf die Wange, schnappte sich ihre Handtasche und verschwand in einer Wolke von Jasmin- und Orangenduft. Magnus sah mit einem Anflug von Stolz zu, wie sie mit energischen Schritten die Glastür passierte, als ob nichts sie aufhalten könnte. Er sollte sich wirklich lieber auf seine eigenen Probleme konzentrieren. Clara kam offensichtlich mit ihrem Leben klar. Magnus wendete den Volvo in der Zufahrt, aber noch bevor er sich in den Verkehr Richtung Autobahn einfädeln konnte, vibrierte sein Smartphone in der Hosentasche. Er fuhr ein Stück näher an den Bordstein heran, schaltete die Zündung aus.
»Meister! Ein Kunde droht mit Auftrag. Hast du am Montag Zeit?« Bennos Stimme klang gepresst und sehr weit weg.
»Rufst du von den Malediven an? Du klingst nach Blechbüchse.«
»So besser?«, rief Benno. »Das ist die neue Telefonanlage im Büro!«
»Schrei nicht so.«
»Die neue Klientin kommt übermorgen, die Uhrzeit habe ich noch offen gehalten. Kannst du oder kannst du nicht?«
Magnus ging im Geiste seine Termine durch. Nichts, was sich nicht verschieben ließe. Außerdem käme ein neuer Auftrag seinem extrem übersichtlichen Kontostand zugute. Benno war einer seiner ältesten Freunde, noch aus der Schulzeit. Er hatte ihm schon vor Jahren, als Magnus nach der Trennung von Carolin pleite und deprimiert war, mit kleineren Jobs für seine erfolgreiche Wirtschaftsdetektei aus der Patsche geholfen. Magnus erwies sich als überraschend gute Besetzung für den Ermittlerjob, wenn es um eine private Recherche oder um persönliche Probleme ging. In den letzten Jahren war eine klar geregelte Zusammenarbeit entstanden: Benno kümmerte sich mit seinen festangestellten Mitarbeitern um die lukrativen Großkunden, Magnus übernahm die kleinen Fälle, an denen nicht so viel zu verdienen war, die Benno aber nicht der Konkurrenz überlassen wollte.
»Meinetwegen – ja. Worum geht es denn?«
»Irgendwas mit Medien.«
»Sehr präzise. Rat mal, wo ich gerade bin.«
»Keine Ahnung. Warum?«
»Ich stehe vor dem Coloneum in Ossendorf und habe soeben meine Tochter bei ihrem Praktikum abgeliefert.«
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment lang still. »Tut mir leid, Meister. Ich hätte mit dir reden sollen, oder?« Benno klang reumütig. »Eliza meinte, du regst dich zu sehr auf.«
»Verstehe. Ich erinnere dich daran, wenn eure Tochter auf der Welt ist.«
Benno lachte. »Zum Glück haben Miriam und ich bis zum ersten Praktikum der Kleinen noch ein bisschen Zeit.«
»Du brauchst eben für alles etwas länger«, frotzelte Magnus.
Er grinste vor sich hin, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Benno und Miriam, die ehrgeizige Kriminalkommissarin, waren seit fast drei Jahren ein Paar. Sie waren auch vorher schon gut befreundet gewesen, aber es hatte richtig gefunkt bei ihrer gemeinsamen Mordermittlung, bei der Magnus entscheidende Hinweise beisteuern konnte. Miriam war mittlerweile hochschwanger und würde bald in den Mutterschutz gehen. Magnus warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Sie ging zwei Stunden nach und zeigte Viertel vor zwei an. Er gab Gas, um pünktlich zum Gitarrenunterricht zurück zu sein.
*
Magnus öffnete Milan die Tür. »Komm rein, wir können heute hier unten bleiben. Eliza ist nicht da. Wo ist deine Gitarre?«
»So gut wie verkauft. Die andere steht in Ehrenfeld.« Milan zog ein Notenheft aus seinem Rucksack, warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel neben der Garderobe und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. »Die neue hole ich erst in zwei Wochen ab. Darf ich auf deiner Gibson spielen?«
Magnus grinste. »Ich wette, das hast du so geplant. Klar. Welche hast du dir gekauft?«
»Rate mal.« Milan folgte Magnus ins Wohnzimmer.
»Hm. Für dich immer nur das Beste. Von deiner Mutter gesponsert, keine Frage. Gibson?«
»Treffer.« Milans dunkle Augen begannen zu leuchten. »Ich fand deine so cool, dass ich Mama überreden konnte, mir 1.000 Euro dazuzuschießen. Als Belohnung dafür, dass ich bei ›The Sexiest Song Alive‹ in die Finalrunde gekommen bin.«
»Glückwunsch! Clara hat es mir eben erzählt. Jetzt zeig aber erst mal, was du drauf hast, wir reden später.«
Sie setzten sich in die Sofaecke und stimmten die Instrumente. Nach einigen Aufwärmübungen spielte Milan, von Magnus nur sparsam rhythmisch begleitet, fehlerfrei ein anspruchsvolles Flamenco-Stück.
»Sensationell«, lobte Magnus. »Da stimmt einfach alles. Tempo, Feeling, Technik. Du bist gut.«
Milan lächelte. »Ich weiß. Trotzdem schön, das zu hören.«
Bei jedem anderen Schüler wäre Magnus die Antwort überheblich vorgekommen, aber Milan war eine Art musikalisches Wunderkind, egal auf welchem Instrument. Gitarrenunterricht nahm er bei ihm erst seit zwei Jahren, vorher hatte sich Milan alles selbst beigebracht. Er spielte konzertreif Klavier, mittlerweile fantastisch Gitarre und, wenn Magnus sich richtig erinnerte, auch Trompete.
»Ganz ehrlich« – Magnus stellte seine Gitarre vorsichtig auf den Ständer zurück – »ich weiß nicht, was ich dir noch beibringen soll. Du bist jetzt schon besser als ich jemals werden könnte.«
Milans hübsches Gesicht wurde rot vor Freude. »Das ist doch Quatsch. Ich mag deine Songs, vor allem die alten, als ihr noch, wie soll ich sagen …«
»Angesagt wart?« Magnus stand auf und streckte sich, Milan traf einen empfindlichen Nerv bei ihm. Gelegentlich knabberte er noch an seiner auf halbem Wege stecken gebliebenen