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Die Risikomanager: Ein philosophischer Krimi
Die Risikomanager: Ein philosophischer Krimi
Die Risikomanager: Ein philosophischer Krimi
eBook1.324 Seiten17 Stunden

Die Risikomanager: Ein philosophischer Krimi

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Über dieses E-Book

Eine Leiche in einem Utrechter Kanal, erschossen inmitten einer Menschenmenge.
Der Zufall führt Marianne, niederländische Journalistin und Erik, norwegischer Philosoph, zusammen: ein Mord, den sie beide um Haaresbreite verpasst haben. Aber immerhin haben sie ja eine CD, auf der viele wissenschaftliche Dateien abgelagert waren. Die Lösung des Rätsels? Ein Wissenschaftsbetrug? Oder etwas viel Größeres? Sie haben keine Zeit, darüber nachzudenken, die Mörder folgen ihnen durch halb Europa: Amsterdam, Oslo, Cambridge, Rügen, Leipzig, Prag, Düsseldorf, Brüssel, Bern, München, Sevilla und Las Palmas.
Immerhin ist da noch die Fußballweltmeisterschaft im Hintergrund? Aber wann wird der Hintergrund zum Vordergrund? Und wann beginnt eine Geschichte und wann endet sie? Wie viele Lesarten kann eine Geschichte haben? Und wie sollen wir unser eigenes Leben verstehen? Welche Rolle spielen Leitbilder für uns? Können wir mit großen Geheimnissen leben?
Fragen über Fragen!
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Dez. 2018
ISBN9783746042503
Die Risikomanager: Ein philosophischer Krimi
Autor

Matthias Kaiser

Matthias Kaiser was born in Leipzig, East-Germany, in 1951, grew up later in West-Germany, and lives now in Bergen, Norway. He works at the University of Bergen as professor of philosophy of science, and his interdisciplinary research has brought him to many places around the world. He is divorced since 2011, and has three adult daughters, and one grandson. Apart from talking and cooking, he likes to play the electric blues bass guitar. His description of himself is: A refugee and immigrant, rather chaotic and all about ambiguity and uncertainty, in life and work, and otherwise a hardcore liberal European to the bone.

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    Buchvorschau

    Die Risikomanager - Matthias Kaiser

    2010

    1. Kapitel

    Dienstag, 8. Juni 2010

    Es war heiß und voller Menschen in den Straßen und Gassen der Innenstadt von Utrecht. Fahrräder, Unmengen Fahrräder genauer gesagt, Kinderwagen, Skateboards, Mopeds und dazwischen ab und zu ein Auto, das sich vorsichtig über die engen Brücken und an den Kanälen entlang schob. Das Gedränge machte es dem jungen Mann mit dem kahl geschorenen Kopf schwer, seine Zielperson im Auge zu behalten. Es waren einfach zu viele Leute unterwegs, und sie rannten ihm immer wieder dazwischen, sie versperrten ihm den Blick. Ständig kam er seinem Objekt entweder zu nah und riskierte, entdeckt zu werden, oder, wenn er zu sehr zurückblieb, der vielen Menschen wegen es aus dem Auge zu verlieren. Und überhaupt: Er war schließlich kein Geheimagent, er war ja nur einer im Team, hatte so etwas noch nie gemacht und war eigentlich für ganz andere Dinge zuständig, Brüche und so.

    „Ja, ich habe ihn noch im Visier. Nein, bisher keine Schwierigkeiten. Glaube nicht, daß er was gemerkt hat. Er geht schon einige Zeit immer hin und her und guckt sich die Schaufenster an. Ich nehme mal an, er wartet hier auf jemanden."

    Aus dem Mobiltelefon kam ein klarer Befehl:

    „Sobald sein Kontakt da ist, musst du dich melden. Dann übernehmen wir. Am besten aber, du gibst Bescheid, sobald er sich irgendwo niederlässt, sich hinsetzt oder so, noch bevor seine Verabredung kommt."

    Klar doch, schon verstanden. Aber für einen Engländer war es gar nicht so leicht, die Logik des holländischen Stadtlebens zu durchschauen. Zuhause in England geht man zu dieser späten Tageszeit irgendwo gezielt hin, entweder nach Hause, oder in den Pub. Aber hier sind einfach alle auf den Beinen, alles scheint sich im Freien abzuspielen. Bei der Sommerhitze auch kein Problem, aber er fragte sich, was im Winter wohl so läuft. Vielleicht sind die Holländer deswegen so verrückt, weil sie alle erst einmal in so einen Coffeeshop gehen und sich dort ein paar Joints reinziehen, bevor sie den Abend anfangen. Vielleicht sind hier alle total bekifft, und deswegen ist soviel los auf den Strassen, und vielleicht …

    Verdammt, er ist weg! Mist, nur einen Augenblick in Gedanken und schon hat er sich in Luft aufgelöst. Er hätte den Job nicht zusagen dürfen. Für den Rest bräuchten sie eben ein paar „alte Hasen", haben sie gesagt, das müsse er verstehen; nicht, daß sie ihm nichts zutrauten, etwa glaubten, er könnte nicht im richtigen Moment abdrücken, das nicht, er müsste nur eben erst mal wie die Kollegen seinerzeit auch die Drecksarbeit machen, und die bestehe in diesem Fall nun mal in der Beschattung, obwohl die natürlich außerordentlich wichtig sei, weil der Schatten unter Umständen entdeckt und identifiziert würde, man ihm dafür aber nichts anhängen könnte, während das Einsatzteam, die zwei Mann im Hintergrund, die sollte man möglichst nicht sehen, die sollten aus dem Nichts auftauchen, peng!, und wieder verschwinden, ehe Unbeteiligte überhaupt mitkriegten, was da vor sich gehe und daß da einer tot liege.

    Mensch, wo kann er nur geblieben sein? Wenn er ihn jetzt wirklich aus den Augen verloren hat, dann machen die Jungs ihm die Hölle heiß. Steht er nur vor einem anderem Schaufenster, ist er gegangen, hat er seinen Kontakt getroffen, oder was? Überall diese jungen Pärchen und die Mädchen mit den superkurzen Röcken. Kein Wunder, daß man abgelenkt wird. Wer kann da schon ein Objekt ununterbrochen im Auge behalten?

    Wo ist er hin? Zurück Richtung Dom, an der Gracht entlang, oder mehr Richtung Bahnhof, die Straße mit den großen Schaufenstern runter, oder gar in die andere Richtung, dorthin, wo man über kurz oder lang in der Straße anlangt, wo die Huren in den Fenstern stehen? Da ist er gestern selbst gewesen, aber irgendwie glaubt er nicht so recht, daß seinem Objekt nach Sex ist. Er scheint ja eine andere Verabredung zu haben, aber mit wem und warum, weiß er nicht und will es auch gar nicht wissen, obwohl es natürlich wichtig sein muss, denn sonst hätten sie ja nicht diesen Auftrag, nämlich zu verhindern, daß da was läuft, und er soll ihn einfach im Auge behalten und zum optimalen Zeitpunkt per Handy einfach grünes Licht geben und ihnen sagen, wo sie das Objekt ausschalten können.

    Jetzt hat er ihn schon mehrere Minuten nicht gesehen, er kann sonstwo sein, bei den vielen kleinen Gassen und den Kanälen überall, aber an die Hurenstraße glaubt er nicht recht. Der ist bestimmt noch irgendwo ganz in der Nähe, er hat schließlich auf seinen Kontakt gewartet, und das Treffen hätte er doch sicher mitbekommen, oder? Trotz der vielen Leute, denn stehenbleiben und grüßen tun ja die wenigsten, das hätte er bei allem Gedränge mitgekriegt.

    Mist, er hätte diesen Laufjob nicht übernehmen dürfen, lieber selber den Finger am Abzug haben. In Filmen beschatten sie immer zu mehreren, ein paar zu Fuß, ein paar im Auto, aber ihm hat man das allein aufgedrückt, keine Chance, gar keine, und dann auch noch im fremden Holland - muss er jetzt Bescheid geben, daß er ihn aus den Augen verloren hat, oder soll er noch was warten und herumsuchen hier oben?

    Da ist er! Na klar, er ist bloß die Treppe zur Gracht runter und hat sich da eines der vielen Uferrestaurants mit ein paar Tischen direkt am Wasser und anderen drinnen ausgesucht. Da hat er einen Platz am Wasser ergattert. Jetzt könnte man eigentlich zuschlagen, warum auf den Kontakt warten? Halt, er steht noch mal auf, geht zu einem Tisch des Nachbarlokals, da sitzt ja nur ein einsamer Mann und liest. Sie reden kurz, wirklich nur kurz, und dann geht das Objekt wieder zu seinem Platz zurück. Er setzt sich und holt einen Laptop hervor. Das ist es! Jetzt!

    „Ihr könnt kommen. Das Objekt sitzt in einem Restaurant, draußen, direkt am Kanal. Besser geht´s nicht!"

    * * *

    Er hätte es sich denken können. Er wird beschattet. Wahrscheinlich haben sie bei ihm zuhause Mikrofone eingebaut oder Kameras, oder sie lesen seine E-Mails mit oder hören seine Handygespräche ab. Nicht gerade überraschend, es sind eben Profis, und daß es gefährlich werden kann, damit hat er eigentlich gerechnet, als er diese Journalistin kontaktiert hat. Aber der Countdown läuft, sie sind ihm auf den Fersen, die Journalistin ist hoffentlich auf dem Weg, die Dateien sind kopiert und klar zur Übergabe, die einzige Unbekannte ist, was sein Beschatter tun wird, wie rigide sein Auftrag ist. Er ist jung, Mitte Zwanzig etwa, Glatzkopf wie so viele Punker, und – auffallend bei diesem heißem Wetter – schwarze Lederjacke und -hose, Schnürstiefel, nicht gerade billig, allerdings, was wird er als Beschatter schon verdienen. Aber wie ein Killer sieht er nun doch nicht aus.

    Er muss ihn im Auge behalten, aber nicht zu auffällig, sondern so, daß er es nicht merkt. Paradox eigentlich, logisches Paradox geradezu: Der Beschatter beobachtet das Objekt so, daß das Objekt nicht merken soll, daß es beschattet wird, wobei aber das Beschattungsobjekt, also er, eben deswegen auf die Beschattung aufmerksam wird, weil der Beschatter so „unauffällig beobachtet, was wiederum dem Objekt, also ihm selbst, deutlich macht, daß tatsächlich eine Beschattung vorliegt, und deshalb bei dem Objekt den Reflex auslöst, seinerseits den Beschatter zu beobachten, wobei er aber darauf achten muss, daß der Beschatter auf keinen Fall merkt, daß das Objekt, er also, seinerseits den Beschatter beobachtet, und er also so tun muss, als beobachte er alles andere, nur eben nicht den Beschatter, denn sonst ist ja der Beschatter wieder im Vorteil - also irgendwie hat das alles mit Reflexivität zu tun, nicht wahr, mit logischer Negation als Bedingung für die logische Position, ein Paradox eben. Der Lügner oder eine der anderen Paradoxien der alten Griechen. Irgendwie erinnert es ihn an diesen Song von John Mayall: „I was looking back to see if you were looking back to see if I was looking back at you…!

    Er hat die Tische unten am Kanal schon lange im Auge gehabt. Kein Wunder, daß fast alle Tische besetzt sind, bei dem Wetter wollen alle draußen sitzen, und hier gehen die Leute eben auch an einem Dienstagabend aus, und wahrscheinlich sind auch eine ganze Reihe Touristen darunter, Leute, die in Utrecht nur zu Besuch sind, und dann natürlich die vielen Studenten, schließlich eine der besten Universitäten des Landes, auch wenn die in Leiden laufend mit dem Alter und der Geschichte ihrer Uni prahlen. Utrecht aber zieht Studenten und Forscher überhaupt an, weil alles so modern ist. Leute, die was verstehen von Versuchsreihen, Laborjournalen, Messreihen und anderen Daten, Statistik und all das Zeug, das sein täglich Brot ausmacht, seine Arbeit. Oder vielmehr vielleicht: ausgemacht hat, denn was er jetzt vorhat, wird ihn sicher seinen Job kosten. Vielleicht wird man ihm woanders wieder einen ähnlichen Job geben, später, in der Forschung, mit dem Professorentitel wird’s nichts mehr werden, aber das wird dauern, denn es wird Gras über den Skandal wachsen müssen, den er gerade heraufbeschwört, so geht es allen Whistleblowern, aber es gibt kein Zurück.

    Nur daß er von der Journalistin nichts hört, das ist ungut, beunruhigend. Wo bleibt sie? Sie war ja etwas vage, was die Verabredung anging, in einem Restaurant der werfkelders an der Nieuwegracht so gegen neun oder etwas später, was heißt das? Wenn sie so ungenau schreibt, wie sie sich verabredet, dann ist das kein gutes Zeichen. Aber sie komme gerade aus dem Ausland, hat sie gemeint, und müsse von Schiphol nach Utrecht, und das werde etwas dauern, nur wie lange, wisse sie nicht genau. Das ist vor zwei Tagen gewesen. Sie hätte sich in der Zwischenzeit mal melden können, zumindest seine Anrufe auf ihrem Handy beantworten.

    Was, wenn sie nicht kommt, die Verabredung vergessen hat, vielleicht ein wichtiges Interview dazwischen gekommen ist? Die Uhr tickt, es lässt sich nicht ändern. Daß er beschattet wird, zeigt, daß sie zumindest Verdacht geschöpft haben, vielleicht sogar von seinem Plan und seiner Verabredung hier wissen. Es gibt ein Worst Case für ihn, das ist klar, dann wäre alles umsonst. Und mit ihm wäre es aus. So richtig glauben, daß sie dazu imstande wären, will er nicht, schon gar nicht, wenn er sich den Jungen anguckt, den sie auf ihn angesetzt haben, ein Möchtegern-Punk. Aber ihn so einfach gewähren lassen werden sie sicher auch nicht. Wahrscheinlich wollen sie an seine Unterlagen, den Computer, daheim in England an seine Papiere zuhause und im Büro. Keine Zeit darüber nachzudenken. Tick, tick, tick, tick.

    Schnell die Extrakopie loswerden, bevor sie zuschlagen und er der Journalistin die Originale aus seiner Computertasche übergeben kann! Aber ja! Eine Art Rückversicherung, falls es schiefgeht, falls sie kommen und ihn berauben, falls sie kommen und ihn … Man muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen, aber so ein Plan B ist sicher richtig. Daß er erst jetzt darauf kommt! Er muss schnell handeln, seinen Notfallplan irgendwie in die Tat umsetzen!

    Unten am Kanal, im indischen Restaurant, wird jetzt ein Tisch frei. Genau das, worauf er gewartet hat. Und dort, vier Tische weiter, auch am Wasser, da sitzt einer alleine, der liest tatsächlich die ebenso altehrwürdige wie prestigeträchtige Fachzeitschrift Nature! Die Stadt ist eben voll komischer Kauze, gehen aus und bilden sich gleichzeitig weiter! Akademiker eben, Leute, die präzise Dokumentation zu schätzen wissen, Leute, für die der Wert von Zahlen, Daten und Dokumenten evident ist, Leute, die wohl auch ein Geheimnis bewahren können!

    * * *

    „Erik, was machst du bloß, bist du eigentlich vollkommen von Sinnen?," schoss es ihm durch den Kopf. Erik Sandvik war sich durchaus dessen bewusst, daß er ein merkwürdiges, wahrscheinlich zutiefst lächerliches Bild abgäbe, sollten Kollegen oder Studenten ihn hier entdecken. Zugedröhnt nach zwei – oder waren es drei? – Joints im Coffeeshop, unkonzentriert in Nature blätternd, dem englischem Fachjournal, in dem sich eingebildete Einsteins aufplusterten und ihre eigene Vortrefflichkeit zelebrierten, saß er in diesem Restaurant lustlos vor einem italienischen Gericht, einem Lokal mit einigen Tischen draußen direkt am Wasser, wahrscheinlich für die Raucher, die, wie er, hier noch munter in alle Himmelsrichtungen drauf los qualmen konnten, den Brüsseler Beamten der EU zum Trotz, die ganz Europa mit ihren vollidiotischen Rauchergesetzen überzogen, neben sich ein Glas Rotwein aus der Literkaraffe, aus der er sich ein Glas ums andere nachgoss, sich dauernd dabei umsah (wie lange konnte der Zug von Den Haag denn schon brauchen?) und überhaupt nur einen Gedanken kannte: Geilheit angesichts des Sex, den er noch an diesem Abend, nach Langem mal wieder, im Hotel mit dieser Frau erleben würde, nach der sich alle umschauten, die aber ausgerechnet ihn interessant fand oder zu finden schien, wer verstand sich schon auf die Frauen, halb Araberin, halb Italienerin, die so ungefähr fünfzehn – oder waren es eher zwanzig? – Jahre jünger war als er.

    Es waren keine sehr – wie sagte man noch: anständige? – anständige Gedanken also, die er im Kopf hatte, sondern reine Lust, Begierde, Verlangen, er fühlte sich wie ein Sechzehnjähriger beim ersten … was? Date? Kuss? Sex? Jedenfalls konnte er sich noch gut an das Gefühl erinnern, wie das Glied in der Hose immer steifer wurde, bis man gar nicht mehr wusste, wohin damit - so in der Öffentlichkeit -, und von allein verschwand die Latte auch nicht wieder, und die ewige Furcht, alle könnten sehen, daß man einen Steifen in der Hose hatte, und man ja der Frau auf dem Sitz vor sich in der Straßenbahn von oben genau in den Ausschnitt schauen konnte, ja schauen musste, der Blick heftete sich förmlich an ihren Busen, in der Hoffnung, dort zwischen rosiger Haut und BH genau diese paar Millimeter Abstand zu finden, so daß sich der Blick dann magisch, aber diskret bis zur Brustwarze vortasten könnte, dem Nonplusultra des Daseins an sich und wahrscheinlich auch das explosionsartige Ende der Erektion, nur daß eben der Blick nie dort ankam und die Latte blieb und mit ihr die Scham.

    Die Erlebniswelt eines Sechzehnjährigen, und er schon zweiundfünfzig! War er auf Regressionstrip, einer Gegenwarts-Bewältigungstour in die Vergangenheit, vielleicht so richtig nach Freudscher Manier: Zuerst kam das Es, das Id, oder war’s der Eros?, und alles andere konntest du vergessen!? Aber, Himmel noch mal, was sollte man von einem frisch geschiedenem Mann, Vater zweier Kinder, neunzehn die Tochter und einundzwanzig der Sohn , alleine und auf Reisen schon erwarten? Daß die Philosophen die Vernunft anbeteten war nicht seine Schuld, und außerdem hatten schon David Hume und ein paar andere erkannt, daß die Gefühlswelt immer wieder irrational querschoss, dieser Fontenelle zum Beispiel, der das glasklar erkannt hatte, daß die menschliche Erkenntnis zwar keine Grenzen hatte, aber der allgemeine Fortschritt immer wieder an der Irrationalität scheitern musste. Nun ja, Freud sagte ja auch so etwas, jedenfalls brauchte er, Erik, sich nicht zu schämen, daß bei ihm die Gefühle hervorbrachen, vom Haschisch verstärkt und in Erwartung einer Frau. Nietzsche, ja, der hätte ihn vielleicht verstanden, aber der war ja auch total verrückt gewesen irgendwie.

    Warum er wohl so demonstrativ in Nature blätterte, als würde er tatsächlich den neuesten Ergebnissen der Forschung nachrennen? Er hatte ja seinen morgigen Vortrag, „Reflexions on Synthetic Biology and its Ethical Implications, schon fertig und auf dem Stick. Nett von Jeroen, daß er das organisiert hatte, denn damit war ja ein guter Grund gegeben gewesen, die Besprechung heute am frühen Nachmittag nicht per Skype abzuhalten, sondern die zweitägige Reise einzubauen. Ob er den Studenten morgen wirklich was Neues zu sagen haben würde, wusste er nicht, war ihm aber eigentlich auch egal, er hatte sich allzu lange immer den Kopf zerbrochen, was andere von ihm erwarteten, jetzt war es an der Zeit, daß er an sich selbst dachte, irgendwie wieder ein Leben anfing. „Get a life! hatte ihm neulich ein amerikanischer Kollege gesagt, der sich mit fünfzig einen Porsche und ein Segelboot gekauft hatte, eine neue Freundin sich angeschafft, rund zwanzig Jahre jünger, ehemalige Doktorandin und Tennispartnerin, jetzt aber ernsthafte Kandidatin als Ehefrau Nr. 4. Kalifornien! Die hatten leicht reden, so war es bei ihm in Norwegen nun mal nicht.

    Er war ja froh, daß er vor zwei Monaten Mira getroffen hatte, und das dann alles so gut anlief, mit Sex auf dem Hotelzimmer und gemeinsamen Abenden am Brüsseler Fischmarkt Sankt Cathrine, und die Gespräche waren auch nicht schlecht gewesen, die Frau war philosophisch echt interessiert und durchaus nicht auf den Kopf gefallen. Seiner Berechnung nach konnte es sich höchstens noch um eine Viertelstunde oder so handeln, bis sie da war. Sie hatten zwar nur die eine Nacht, bis er morgen Nachmittag wieder zurück musste, aber das war ja besser als gar nichts. Er hätte es anders planen sollen, mit einem langen Wochenende dazwischen, aber er konnte ihr ja den Vorschlag unterbreiten, in ein paar Wochen ein Wochenende irgendwo gemeinsam zu verbringen, in Paris oder Rom oder vielleicht Sevilla?

    „Einer der Nature im Restaurant liest! Von der Uni hier? Doktor oder Professor?" sprach ihn jemand auf Englisch an, der plötzlich neben seinem Tisch stand.

    „Prof, aber nicht von hier. Halte hier bloß morgen einen Gastvortrag über synthetische Biologie, wenn es Sie interessiert." Auf Englisch geantwortet. Die lingua franca der Forschung.

    „Würde ich mir gerne anhören, aber ich werde wohl kaum die Zeit haben. Ich bin sozusagen Kollege, könnte man sagen. Aus England. Ich will gleich zur Sache kommen: Könnten Sie mir einen Gefallen tun?"

    Ein etwas gestresster Typ mittleren Jahrgangs, ein paar Jahre jünger als er selbst, fürchterlich langweilig gekleidet, Cordhose und blaues Hemd mit Collegeschlips, typisch englischer Akademiker, mit vollem aschblondem Haar über einem langen, schmalen Gesicht, schlaksige Gestalt, etwas erinnert ihn an ein Foto vom jungen Watson - oder war es Crick? - aus den Fünfzigern im Cavendish, mit breitem Unterschichtsenglisch, ein sozialer Aufsteiger, keinesfalls Eton.

    „Kommt darauf an. Ich erwarte jemanden und bleibe nicht lange."

    „Ich habe hier auf dieser CD wichtige Daten, genaue originale Protokolle einiger Versuchsreihen, Kopien des Lab-journals und so weiter. Das Zeug ist brennheiss, und mir sind Leute hinterher, die das gerne haben möchten. Könnten sie das für mich bis morgen aufbewahren? Ich könnte es in ihrem Hotel wieder abholen. Es geht nur um diesen Abend. Bei mir ist es nicht sicher. Sie sind mir hinterher!"

    „Mann, Sie haben ja ein aufregendes Leben. Geben Sie mir also Ihre CD, und holen Sie sich das Ding morgen um zehn im Hotel Leon wieder ab. Mein Name ist Sandvik. Aber ich habe wirklich keine Zeit, mir Ihre ganze Geschichte anzuhören. Geben Sie mir die CD, holen Sie sie morgen wieder ab, und lassen Sie mich bitte ansonsten in Frieden!"

    „Passt mir hervorragend. Hier, bitte. Bis morgen also!", erwiderte der Fremde und schob die CD über den Tisch, dann schaute er sich nach allen Seiten um, wohl um zu sehen, ob ihn jemand beobachtete - das schien die Sache für solche Leute spannender zu machen - und sein Blick verweilte bei einem Punker oben an der Straße, einem Punker, der sich nervös umsah, als suche er etwas, finde es aber nicht. Als für den Kollegen offenbar feststand, daß der Punker ihn nicht im Visier hatte, ging er.

    Er ging allerdings nicht weit. Keine vier Tische weiter ließ er sich im Nachbarrestaurant nieder und hatte plötzlich viel Zeit. Nur sein Handy überprüfte er noch, dann packte er seinen Computer aus. Wenn das wirklich alles so brisante Forschungsergebnisse waren (vielleicht etwas, was man patentieren konnte?), dann sollte er lieber nicht mit seinem Laptop in einem öffentlichem Restaurant sitzen. Die wurden nämlich oft geklaut, egal was auf der Festplatte war.

    Die CD legte er in sein Exemplar von Nature - unwahrscheinlich, daß er im Laufe des Abends oder der Nacht plötzlich würde Nature lesen wollen. Aber eigentlich glaubte er, besser gesagt war sich ziemlich sicher, daß der Mann ein Psycho war. Das Universitätsmilieu zog solche Leute magisch an, Typen, die Einstein widerlegten oder die Superstring-Theorie um ein paar lachhafte Dimensionen erweitert haben wollten, Darwin als großen Bluff entlarvten oder gar als Beauftragte von Außerirdischen endlich die neue Mathematik hier auf Erden in Ordnung bringen sollten, also Gödel, Loewenhein-Skolem, und ein paar andere stümperhafte Theoreme endlich vom Tisch fegen mussten. Tragisch eigentlich, aber ihm waren schon oft solche Typen, nut-cases, untergekommen, sie saßen in seinen Vorlesungen, sahen ganz normal aus, bis sie einen dann, unter vier Augen, einweihten. Einer hatte mal bei ihm einen Vortrag darüber halten wollen, wie Außerirdische systematisch alle Mitglieder seiner Familie geklont und die Originale dann entführt hätten, so daß jetzt nur noch die Klone herumliefen, alles um ihn zu verwirren und seine wissenschaftliche Arbeit zu behindern.

    Er hätte vielleicht doch keine Joints rauchen sollen. Kein Wunder, daß die Welt ihm total verrückt vorkam! Aber mit den Joints wurde auch das Verrückte normal, also bloß keine Aufregung, man versteckte eine CD vor ein paar Außerirdischen oder vielleicht vor den Nachfolgern des KGB und der CIA und der Mafia und dem Punk dort oben, man handelte menschlich, alles war eine einzige Harmonie, das Verrückte war eben so menschlich wie die Latte in der Hose, make love not war, holistisches Denken und New Age, was soll’s.

    Der Typ kam wieder an, nun, war ja vielleicht nicht anders zu erwarten. „Ich wollte nur sagen, falls ich die CD morgen aus irgendeinem Grund nicht abholen kann, dann können Sie sie ruhig einer Frau mit dem Namen Marianne van Sloten überlassen, die ist Journalistin und wird damit was anzufangen wissen. Danke!" Und weg war er wieder. Schaute zur Straße hoch, zu dem jungen Punker in schwarzem Leder, der gleich wieder wegsah und sein Handy hervorholte. Und dann saß er wieder an seinem Tisch vier Tische weiter.

    * * *

    Sie sah blendend aus! Etwas gestresst zwar und auch ein wenig müde nach dem langen Arbeitstag im Institut, aber sie strahlte, schien ihm regelrecht von einer Aura umgeben. Und sie hatte diese tollen Kleider an, enge Designerjeans, leicht verwaschen und wirlich sehr eng, eine Bluse, oder nannte man so etwas eher ein T-Shirt, in diesem Marine- Stil, der in diesem Sommer überall zu sehen war, auch eng, nicht ganz so eng, aber doch so, daß man ihre Formen darunter deutlich erkennen konnte - das war ja wohl auch der Witz an der Sache -, und darüber noch ganz lässig so ein Tuch oder Schal, Pashmina?, das jedenfalls, was man sich als Frau an lauen Sommerabenden eben so umwarf, und die Schuhe mit hohem Absatz, dadurch wurde sie etwas größer, was nicht schadete, denn eigentlich war sie eher kurz geraten, aber auf ihren knallroten Stilettos, wahrscheinlich auch irgend so eine teure Marke, war sie jedenfalls nicht zu übersehen. Mira war die arabische Herkunft väterlicherseits deutlich anzusehen. Sie hatte eine Nase, die man als ägyptisch charakterisieren musste, und die dunklen braunen, fast schwarzen Augen waren tief wie Tausenundeine Nacht. Das lange schwarze Haar ließ sich wahrscheinlich nur schwer bändigen, aber sie schien seit ihrem letztem Zusammensein beim Friseur gewesen zu sein, denn es war jetzt, da war er sich fast sicher, wesentlich glatter als letztes Mal, irgendwie westlicher, so wie bei Michelle Obama, aber vielleicht war es besser, sich Anmerkungen dazu zu verkneifen, man wusste nie, wie Frauen reagierten, wenn man so genau auf ihr Äußeres einging.

    „Ich freue mich so dich zu sehen, du siehst großartig aus, wirklich blendend, hast du was mit deinem Haar gemacht, steht dir gut, lass dich anschauen!"

    Wenn ihr Aussehen auch das Arabische in ihr durchscheinen ließ, so war ihr Auftreten, ihr Gestus, ja ihre ganze Art italienisch. Wenn sie redete, setzte sie alles in Bewegung, und sie konnte viel reden, noch dazu in verschiedenen Sprachen, die sie übrigens manchmal durcheinander brachte, aber auch kein Wunder wenn man fließend Arabisch, Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Holländisch beherrschte, und eine Rose war ja bekanntlich eine Rose, egal wie man sie nannte. Sie beide sprachen Deutsch miteinander, denn das konnte er von seiner Mutter her fließend und sie von den Jahren, die sie in Deutschland gelebt hatte, und außerdem war Deutsch, als sie sich in Brüssel kennengelernt hatten, so etwas wie eine kleine private Flucht in eine Art vertrauliche Zweisamkeit gewesen.

    „Danke. Mir gefällt es nicht. Ich werde es bald wieder so tragen wie letztes Mal. Das war der Friseur, der hat mich überredet, und ich hab mich dummerweise breitschlagen lassen."

    Sie war eigentlich nur wissenschaftliche Mitarbeiterin, sie arbeitete als Diplomanthropologin an einem Institut für internationale Agrarpolitik. Vielleicht würde er sie noch überreden können, ihre Promotion in Angriff zu nehmen, das wurde in der Forschung ohnehin mehr und mehr als Minimum verlangt.

    Aber ihm stand nicht der Sinn nach Akademischem. Er nahm sie in den Arm und küsste sie vorsichtig auf beide Wangen, was sie auch tat, aber schmunzelnd, als wollte sie sagen, sie beide kennten sich ja eigentlich schon besser. Sie hatte schon gegessen, und deshalb leerten sie bloß noch die Weinkaraffe, in der nicht mehr viel war. Sie wollten lieber irgendwohin gehen, wo es weniger betriebig, weniger laut, wo es ruhiger war.

    Klar, er würde nur schnell zum Zahlen hinein gehen, dann können sie aufbrechen. Erik stand auf und verschwand im Restaurant..

    * * *

    Es ging alles ganz schnell. Er hatte sie gar nicht kommen sehen, denn er wartete immer noch auf Marianne van Sloten, sie musste ja bald kommen, und zwischendurch hatte er immer mal wieder einen Blick auf seinen Schatten geworfen, der nach wie vor oben an der Straße stand und rauchte, ein einsamer Punk im Utrechter Nachtleben. Sein Bier stand vor ihm auf dem Tisch, neben der Tasche und dem noch zugeklappten Laptop, auf dem die Daten aber bereits zur Ansicht hochgeladen waren für die Journalistin, wenn sie denn endlich käme, oder vielleicht müsste er eher sagen: falls sie noch käme, denn er hatte immer noch nichts von ihr gehört, wo er doch so große Hoffnung darein setzte, daß sie dieser Sache ein Ende machen könnte, was ihm allein unmöglich war. Sein Forscherkollege ein paar Tische weiter machte sich zum Aufbruch bereit, denn sein Date, seine Freundin oder wer weiß, seine Sekretärin war inzwischen gekommen.

    Sie standen plötzlich vor ihm am Tisch. Zwei Männer um die dreißig in dunklen Anzügen ohne Schlips, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Blitzartig wurde ihm klar, daß er sich gewaltig getäuscht hatte, denn natürlich war der Punk nicht allein auf ihn angesetzt gewesen, dazu war die Sache zu heiß, zu wichtig, vielmehr waren diese beiden hier mit von der Partie gewesen und traten nun aus dem Hintergrund. Gleichzeitig wurde ihm klar, daß jetzt alles zu spät war, daß die beiden nicht zum Verhandeln da waren, sondern um unwiderrufliche Tatsachen zu schaffen, tödliche Tatsachen. Er hatte seinen Gegner unterschätzt.

    Der erste, fast lautlose weil schallgedämpfte Schuss traf ihn in die Stirn, der zweite unmittelbar danach in die Brust. Sein Körper kippte einfach nach hinten ins Wasser, ohne daß er einen Schrei oder überhaupt einen Laut von sich hatte geben konnte, aber der Stuhl kippte mit, und ein großer Platsch blieb das einzige Zeichen, daß etwas passiert war. Während noch die Leute die Köpfe Richtung Kanal wandten, hatte der Andere bereits den Laptop und die Tasche gepackt, und nun eilten beide zur Treppe nach oben. Es war getan, in aller Öffentlichkeit und doch ohne daß jemand auch nur ansatzweise mitbekommen hatte, was vor sich ging.

    * * *

    Erik bezahlte drinnen mit Kreditkarte. Seine Pasta und der Liter Rotwein, von dem Mira nur ein Glas abbekommen hatte, aber nicht mehr wollte, alles war schnell mit Unterschrift beglichen. Während er den Kassenbeleg mit seiner Unterschrift der dunkelhäutigen und, -wie er fast automatisch feststellte - durchaus attraktiven Kellnerin an der Kasse zurückgab, entstand draußen vor dem Restaurant Unruhe, waren erhobene Stimmen und Rufe zu vernehmen, die sogar den üblichen Trubel an Intensität überstiegen.

    „Was ist denn da los bei Ihnen? Krawall in Holland? Fußballfans?" fragte er auf Englisch.

    „Kaum. Eher ein paar Betrunkene. Wahrscheinlich Touristen."

    Als er aus dem Restaurant trat, stand Mira mit ihrer lässig umgehängten modischen D&G Handtasche schon bereit,. Die meisten Gäste waren von ihren Tischen aufgestanden und standen am Kanalrand, einige riefen etwas und gestikulierten. Was da im Kanal war, konnte er von seiner Warte aus nicht sehen, aber es schien bei einigen fast Panik auszulösen. Einer war im Begriff, sich seiner Kleider zu entledigen, offensichtlich in der Absicht, gleich in den Kanal zu springen.

    Mit einer Kopfbewegung forderte Erik von Mira Aufklärung.

    „Ich glaube, da ist einer in den Bach gefallen. Die wollen ihn wohl wieder herausfischen, denke ich."

    „Ein Betrunkener. Die Kellnerin meinte, das käme öfters vor. Lass uns gehen."

    Erst als sie die Treppe hinauf zur Straße halb überwunden hatten, schoss es Erik durch den Kopf, daß der Trubel sich genau dort zu konzentrieren schien, wo sein wissenschaftlicher Bekannter von vorhin, der mit

    dem Geheimnis auf der CD und der CIA auf den Fersen, gesessen hatte. Na, vielleicht war er es, der dort ins Wasser gesprungen war, verrückt wie er war, hatte er wohl abtauchen oder aber die Restaurantgäste auf seine Verfolger aufmerksam machen wollen. Das war eben das Problem mit den Freaks, immer wollten sie

    im Mittelpunkt stehen und das größtmögliche Drama inszenieren. Das schien dem Kerl ja auch geglückt zu sein, denn die Menschen unten war jetzt in heller Aufregung.

    Was soll’s, dachte er. Noch ein paar Drinks irgendwo, und dann mit Mira aufs Hotelzimmer. Er konnte sie kaum erwarten, diese Liebesnacht mit Mira, ihre Kleider abstreifen, sie nackt im Bett haben und dann … - abgesehen von dem etwas benebelten Zustand, in den ihn die Joints und der Wein versetzt hatten, war er in relativ guter Form, also klar für ein paar Runden, vielleicht auch am frühen Morgen beim Aufwachen, das wäre eine gute Vorbereitung für seinen Vortrag am nächsten Tag an der Uni, und Mira müsste sowieso den Zug zurück nach Den Haag nehmen, denn morgen war auch für sie ein Arbeitstag. Flüchtig streifte ihn der Gedanke, daß antizipierter Sex manchmal spannender war als der Sex selbst, jedenfalls schien er alle möglichen Hormone in Bewegung zu setzen und alle Aufmerksamkeit auf das weibliche Gegenüber zu fokussieren, im Blick für das Weib schlechthin zu bündeln, die Frau an sich, die Frau hinter der äußeren Fassade - bis alles andere: die tiefsinnigen Gespräche oder die verbale Anteilnahme an dem, was den anderen so bewegte, zur Kulisse des Spiels der Geschlechter wurde.

    Erik und Mira waren schon ein gutes Stück weit weg, als man den Mann endlich aus dem Kanal gefischt hatte.

    „Er ist tot" stellte einer fest, der seinen Puls gefühlt hatte. In der Ferne hörte man die Sirenen der Rettungswagen.

    * * *

    2. Kapitel

    Dienstag, 15. Juni 2010

    Marianne van Sloten saß vor ihrem Laptop in dem kleinem Büro, das sie sich in ihrer neuen Wohnung im Zentrum von Amsterdam vor kurzem eingerichtet hatte, umgeben von ordentlich einsortierten Büchern und Aktenordnern an allen drei Wänden außer der, die zur Straße hin ein großes Fenster zum Kanal hatte. Sie saß an einem großen Schreibtisch, der eigentlich nur aus einer alten Tür auf ein paar Holzböcken bestand, auf ihm befanden sich das Telefon und ein vollgeschriebener Notizblock, daneben eine kleine Galerie von Fotos – Familie, d.h. Eltern zusammen, Vater nach der Scheidung und Mutter nach der Scheidung mit neuem Partner, Bruder mit inzwischen von ihm geschiedener Frau, Freunde, Hochzeiten von Freunden, Kinder von Freunden, Sohn des Bruders – und eine Glaskugel mit ihrem Sternzeichen Löwe.

    An der Tür war ein großer Spiegel befestigt. Ein kritischer Blick zur Seite und sie sah ihr Spiegelbild, ein Bild, mit dem die meisten Frauen wohl mehr als zufrieden wären, nur sie selber fand es nicht wirklich überzeugend. War sie wirklich das, was der Spiegel zeigte? Eine schlanke, dunkelblond gesträhnte, mittelgrosse und wohl für die meisten Männer sehr attraktive Frau mit blauen Augen, ebenmäßigen jugendlichen Gesichtszügen, die ihr wahres Alter – denn sie war in Wirklichkeit bereits neununddreißig, also hart auf die Vierzig zugehend – nicht preisgaben, sie konnte durchaus als Anfang dreissig durchgehen. Ihre ganze Erscheinung und ihr dunkles, modisch teures italienisches Designerkostüm, gaben ihr eher den Look einer erfolgreichen Frau aus der Geschäftswelt, Bank, Versicherung, Shipping oder so, erst recht, wenn sie sich in ihren Zweisitzer, den BMW Z3, begab, der in einem wenige Straßenzüge entfernten Parkhaus stand. Sie mochte ihren Look, er war ein sicherer Türöffner, aber nicht, was er suggerierte, denn Marianne fühlte sich mehr als Aufrührerin, als scharfe Kritikerin ihrer Gesellschaft, Verbündete der Verlierer des neuen europäischen Kapitalismus, der Asylanten, der entwurzelten Arbeitskräften aus dem Osten, der islamischen Frauen, denen einfach die Sprache fehlte, ihre nahe Umwelt auch nur auf den Begriff zu bringen, ganz zu schweigen ihren patriarchischen Männern zuhause die Stirn zu bieten. Deswegen arbeitete sie als freie Journalistin, sie wollte das schreiende Unrecht aufdecken, das Verborgene und Ungesagte in Worte fassen, Geschichten erzählen, die Leser aufzurütteln und im Innersten zu bewegen imstande wären: So ist es, lieber Leser, die Wahrheit muss über kurz oder lang ans Tageslicht, glaub nur nicht, dein Leben in bescheidenem Luxus wäre ohne Preis zu haben, öffne die Augen und du wirst überall Korruption und brutale Interessenpolitik sehen!

    Marianne grübelte über die verblüffenden Neuigkeiten dieses Morgens nach. Was sollte sie davon halten?

    Die Beamten der Kripo waren noch keine Stunde weg. Sie hatten unangemeldet bei ihr an der Haustür geklingelt und um ein kurzes Gespräch gebeten. Es gehe um Timothy Owen, und es sei wichtig, hatten sie gesagt.

    Sie selbst hatte sich bereits gewundert, warum dieser Herr Owen weder auf ihre Textmeldungen noch ihre E-Mails oder Telefonanrufe geantwortet hatte. Schließlich war er es gewesen, der so eindringlich um ein Treffen gebeten hatte, er habe wichtige Informationen über einen großen wissenschaftlichen Skandal, einen Betrug riesigen Ausmaßes, und er könne das alles nur persönlich darlegen, müsse sich schützen und sich vergewissern, daß sie die nötige Integrität besitze, das Material auf angemessene Weise ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Deswegen das persönliche Treffen in Utrecht, der Stadt, in der ihre Mutter mit ihrem neuem Lebenspartner wohnte und die sie nach dem Treffen noch besuchen wollte. Aber das war vor einer Woche gewesen. Seither nichts mehr.

    Es war ja eine bedauerliche Verkettung von Umständen gewesen, die sie daran gehindert hatte, zur vereinbarten Zeit zu dem Treffen zu erscheinen. Erst war das Interview mit der Mailänder Modefürstin kurzfristig vom Vormittag auf den frühen Nachmittag verlegt worden, weil die Frau noch einen wichtigen Termin wahrnehmen musste - beim Friseur wie sich später herausgestellt hatte. Das Interview war nicht einmal sehr ergiebig gewesen, die Modefürstin war allen interessanten Fragen geschickt ausgewichen, wie die Beamtin einer Beschwerdestelle. War die ganze Reise nach Milano Geldverschwendung gewesen? Vom ursprünglichen Konzept für den Artikel war nicht viel geblieben. Sie wollte ja eigentlich über die vielen blutjungen Mädchen schreiben, die sich eine Karriere als Mannequin erträumten, sich dafür manchmal fast zu Tode hungerten und ihre Ausbildung abbrachen, um in Milano auf den Catwalk zu kommen. Aber die Modefürstin war immerzu ausgewichen und hatte nur vom künstlerischen Ambiente der Modewelt in Italien geredet.

    Als sie dann endlich am Nachmittag im Taxi zum Flughafen Malpensa saß, hatte auch noch ihre Mutter angerufen und wollte unbedingt ihre Meinung zur neuen, um viele Jahre jüngeren Freundin ihres geschiedenen Mannes, Mariannes Vaters, hören, und ob sich da nicht eine Erbschleicherin an den Vater heranmache. Ihre Mutter hatte das nicht am Abend im Beisein ihres Partners besprechen wollen, hatte also die Sache am Telefon loswerden müssen, und zwar gleich. Marianne hatte das Gespräch kurz halten wollen, aber ihrer Mutter hatte kein bisschen daran gelegen, sich kurz zu fassen. Der bedauerliche Effekt des Ganzen war gewesen, daß der Aku ihres Handys auf halbem Weg zum Flughafen schlapp gemacht hatte und die Verbindung abbrach. Entsprechend hatte sie auch nicht mehr Timothy Owen anrufen können, um ihm Bescheid zu geben, daß sie auf dem Weg sei. Endlich am Flughafen angelangt, hatte sich zu allem Übel auch noch herausgestellt, daß ihr KLM Flug eine gute Stunde Verspätung hatte. Aus der einen Stunde waren dann letztlich zweieinhalb Stunden geworden, denn erst hatte man Schwierigkeiten am neuen Gate gehabt, wo der Computer mit den Buchungen nicht gleich funktionierte, dann hatte man auch noch im Flugzeug auf eine neue Slot-time der Flugsicherung warten müssen. Sie war also nicht abends um neun, sondern erst um Viertel nach elf im verabredeten Utrechter Restaurant erschienen, und da war kein Timothy Owen mehr da gewesen.

    Das alles hatte sie den Beamten der Amsterdamer Kripo erzählt. Und nein, sie wisse nicht genau, in welcher Angelegenheit Timothy Owen sie habe treffen wollen, nur daß es ihm sehr wichtig erschien, daß er die Sache als Betrug, als wissenschaftlichen Betrug, dargestellt habe, und ihr beim Treffen entsprechende Dokumente mit Beweismaterial habe geben wollen, wozu es aber nie gekommen sei, da sie zu spät erschienen und er nicht mehr da gewesen sei.

    „Mr. Timothy Owen ist tot. Genauer gesagt, er wurde ermordet, erschossen genau zu dem Zeitpunkt und an dem Ort, wo er mit Ihnen eine Verabredung hatte. Seine Leiche wurde kurz nach neun aus dem Kanal gefischt."

    Die zwei Kriminalbeamten hatten Mariannes Reaktion auf die Nachricht genau beoachtet. Wusste sie vielleicht doch mehr, als sie ihnen mitteilen wollte? Aber Marianne war augenscheinlich echt geschockt gewesen, zumindest für einen kurzen Augenblick. Dann hatte ihr Gehirn eingesetzt und ihr Gesichtsausdruck war nachdenklich geworden.

    „Wenn er ermordet wurde, wie Sie sagen, und dann noch zu diesem Zeitpunkt, kurz vor der Verabredung mit mir, dann heißt das vielleicht, daß er wirklich wichtige Informationen anzubieten hatte und jemand verhindern wollte, daß diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Oder was meinen Sie? "

    Marianne hatte so eine Art, die Leute zum Sprechen zu bringen, selbst wenn ursprünglich die Fragen an sie gestellt waren. Aber die Kripobeamten waren abgebrüht gewesen, Typen, die auch von einer schönen Frau nicht so schnell aus dem Konzept zu bringen waren.

    „Schon möglich, das wäre eine denkbare Hypothese unter vielen. Deswegen müssen wir von Ihnen genau wissen, was Ihnen dieser Mister Owen erzählt hat und wie die Verabredung zustande kam."

    „Das lief hauptsächlich per E-Mail. Er hatte im Internet ein paar Artikel von mir gelesen, die ihm offensichtlich gefallen haben. Daraufhin hat er mich vor circa einem Monat kontaktiert und gefragt, ob ich Interesse an der Aufdeckung eines großen Betrugs hätte, eines wissenschaftlichen Betrugs von großer Tragweite. Dann ging es per Mail eine Weile hin und her, bevor wir uns darauf einigten, uns in Utrecht zu treffen. Mir schien alles noch etwas zu vage, um extra nach England zu reisen, aber Mister Owen sagte auch, ihm wäre ein Treffen außer Landes auch lieber, aus Sicherheitsgründen. Das Treffen selber haben wir dann zwei Tage im Voraus per Handy vereinbart. Das war übrigens das einzige Mal, daß ich mit ihm persönlich gesprochen habe."

    „Könnten wir die Kopien der E-Mails von Ihnen bekommen, oder fällt das als Informantenschutz unter die journalistische Schweigepflicht?"

    „Kein Problem. Ist ja keine Story geworden. Geben Sie mir ihre E-Mail-Adresse und ich schicke Ihnen Kopien der Mails mit Mister Owen gleich heute Nachmittag zu."

    Die zwei Kripobeamten hatten sich schnell wieder verziehen wollen, zu schnell für Marianne, deren journalistischer Spürsinn geweckt war. Sie hatte noch Fragen gehabt.

    „Verzeihen Sie, aber erlauben Sie mir doch eine Frage. Der Mord an Mister Owen ist vor einer Woche passiert, trotzdem stehen sie erst jetzt vor meiner Tür. Können Sie mir mal verraten, weshalb Sie so lange gebraucht haben, bis Sie bei mir Erkundungen einholen? Schließlich bin ich diejenige, die mit Mister Owen zum Tatzeitpunkt verabredet war."

    Die Beamten hatten sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, obwohl man aus der Frage bei Bedarf gewisse Zweifel an ihrer beruflichen Kompetenz hätte heraushören können, aber die beiden hatten offenbar keinen Bedarf gehabt, sie hatten nur gelächelt und waren sachlich geblieben.Ganz cool.

    „Wenn ein Mordopfer Ausländer ist, liegt der Fall etwas anders als bei unseren Mitbürgern. Man muss dann alles mit den entsprechenden Behörden des anderen Landes, in diesem Fall England, abchecken und koordinieren. Das dauert eben, unter anderem hat es fünf Tage gedauert, bis wir die Kontaktdaten vom Mobilfunkprovider hatten. Den SMS an Sie konnten wir dann übrigens entnehmen, daß er mit Ihnen verabredet war."

    „Ich verstehe. Und deswegen sind Sie heute hier."

    „Genau. Außerdem hatten wir ja noch mit Routineuntersuchungen zu tun, Rekonstruktion des Tathergangs etwa, Zeugenbefragungen, mit denen wir übrigens immer noch beschäftigt sind."

    „Und was hat Ihre Tatortermittlung ergeben, wenn ich fragen darf?"

    „Sie dürfen, wir haben nichts gegen Journalisten. Wir wissen, daß Mister Owen von zwei Schüssen getroffen wurde, einem in die Stirn und einem in die Brust. Der erste war bereits tödlich. Beide Schüsse wurden aus einer großkalibrigen Waffe mit Schalldämpfer abgefeuert, und bei dem allgemeinen Lärm auf der Straße und im Restaurant hat keiner die Schüsse so richtig mitbekommen. Wahrscheinlich waren es ein, zwei oder sogar drei Täter, die dicht an den Tisch von Mister Owen getreten sind, die Zeugen haben sich nicht wirklich erinnern und keine brauchbare Beschreibungen liefern können. Mister Owen ist dann mitsamt seinem Stuhl nach hinten ins Wasser gefallen, und erst dadurch wurden die Leute auf das Geschehen aufmerksam. Die Personalien von Mister Owen haben wir von seinem Handy und ein paar Visitenkarten, die er bei sich trug."

    „Keine Dokumente? Kein USB-Stick? Schließlich wollte er mir ja wichtige Unterlagen aushändigen. Das war der ganze Sinn und Zweck des Treffens."

    „Nichts. Gar nichts. Was aber nicht viel heißen muss. Wir gehen davon aus, daß es dem Täter oder den Tätern durchaus möglich war, von Owens Tisch schnell etwas mitgehen zu lassen, eventuell sogar eine Tasche oder einen Computer, ohne daß es jemand bemerkt hätte. Alle schauten ja aufs Wasser."

    Das war dürftig, ja, enttäuschend. Wenn dieser Owen wirklich eine Story für sie gehabt hatte, dann war sie jetzt in weite Ferne gerückt. Sie würde bei Null anfangen, alles von hinten über die Person Owen aufrollen müssen. Wird sich das lohnen? Ist Owen denn wirklich wegen seiner geplanten Enthüllungen ermordet worden, oder hat er sich nur in falschen Kreisen bewegt?

    „Im übrigen noch eine Frage bevor wir gehen. Kenn Sie zufällig einen Norweger mit dem Namen Erik Sandvik, hat Owen Ihnen gegenüber diesen Namen vielleicht genannt?"

    „Nein, nie gehört! Wieso?"

    „Ach, ein paar Zeugen haben ausgesagt, Owen hätte kurz vor dem Tatzeitpunkt noch mit einem Mann Anfang fünzig an einem der Nachbartische geredet. Angeblich zweimal kurz, und wahrscheinlich auf Englisch oder Deutsch, denn so weit wir erfahren haben, beherrschte Owen nur diese Sprachen. Durch Nachforschungen im Restaurant und über Kreditkartenbelege sind wir darauf gekommen, daß es höchstwahrscheinlich ein Herr Erik Sandvik aus Oslo war, der mit Owen geredet hat."

    Marianne von Stoten hatte den Namen noch nie gehört gehabt, beschloss aber, ihn gleich im Internet zu googlen, zusammen mit Timothy Owen. Vielleicht würde sich ja irgendein Hinweis finden lassen, was für eine Story ihr da entgangen war.

    * * *

    Erik Sandvik saß an seinem wie immer von Papieren, Büchern, Zeitschriften, Visitenkarten und allem möglichen anderen überquellenden Schreibtisch vor einem Stapel Prüfungsbögen. Erik war kein sonderlich ordentlicher Mensch, alles schien sich bei ihm zu stauen und stapeln, viel zu viel, um wirklich den Überblick zu behalten, zudem war er stets unter Zeitdruck, stets gab es in letzter Minute die nächste Vorlesung, den nächsten Vortrag oder auch den gelegentlichen Beitrag für eine wissenschaftliche Veröffentlichung vorzubereiten. Einmal im Jahr räumte er sein Büro auf, und dann füllte er in der Regel mindestens drei große Säcke mit Papier. Bis dahin aber verteilte sich alles irgendwo. Jetzt am Ende des Semesters wurde es ruhiger, kaum noch Besprechungen am Institut und wenig Telefonanrufe. Nur seine Inbox füllte sich weiter mit Mails, zumeist Nachrichten von seinen vielen internationalen Kollegen.

    Er hatte fast alle Bögen durchgelesen und bewertet. Das war ernüchternde Arbeit, denn was bei den Studenten wirklich hängen blieb, war ziemlich enttäuschend. Erik hatte es längst aufgegeben, darüber zu verzweifeln. Mit großer Unlust nahm er sich die letzte Arbeit vor, als das Telefon bei ihm klingelte.

    Es war seine Tochter Sofia.

    „Hallo Papa, wie geht’s? Was macht deine Arbeit? Bald Ferien?"

    Das Übliche, Einleitung zu dem, was sie - wie er schnell erahnte - wirklich auf dem Herzen hatte. Ihr Freund Lars hatte sie nämlich zu einem Segeltörn in den schwedischen Schären eingeladen, zehn Tage oder vielleicht zwei Wochen, und natürlich hatte Mama gleich alle möglichen Einwände vorgebracht, sie kenne Lars doch erst seit zwei Monaten und seine Eltern kennte man gar nicht, wer wisse schon, was Lars für Absichten hege, meine er es ernst oder gehe es ihm nur um den Sex, und Vater werde das bestimmt auch nicht gut finden. „Aber du weißt ja wie umständlich Mamma sein kann. Oder was meinst du, Papa?"

    Tja, um ganz ehrlich zu sein, er habe eigentlich keine ausgeprägte Meinung dazu, weder so noch so, und schließlich sei sie neunzehn und müsse allmählich allein entscheiden, was für sie richtig sei; als Elternteil könne man sich da eigentlich nicht mehr einmischen.

    Erik wusste sehr gut, daß Sofia seine grundliberale Einstellung oft verabscheute, besonders in allen politischen Fragen, er stehle sich damit nur aus der sozialen Verantwortung, meinte sie in der Regel. Es sei denn, es ging um ihre ureigenen Belange, dann wusste sie plötzlich das liberale Denken zu schätzen und fand, von den Denkern, mit denen sich ihr Vater herumschlug, seien eigentlich John Stuart Mill und Harriet Taylor die größten.

    „Toll, ich wusste, daß du die Idee auch gut finden würdest – so hatte er sich seiner Meinung nach eigentlich nicht ausgedrückt, aber was soll’s – „Ich werde Mama sagen, daß du voll hinter meinem Plan stehst, dann muss sie mit ihren ewigen Gezeter einfach aufhören.

    „In Ordnung", meinte er nur knapp, denn ihm schwante, daß da noch etwas kommen würde.

    „Ach, ehe ich´s vergesse: Da ich doch morgen schon reisen werde, brauche ich etwas Geld; ich habe nur noch so 600 Kronen auf dem Konto. Es wäre also schön, wenn du deine Monatsrate etwas vorziehen könntest, am besten noch heute das Geld überweist, okay? Kuss, Papa, ich mag dich. Bis bald!"

    Erik fand es manchmal ernüchternd, daß sein Verhältnis zu den Kindern, abgesehen von den gelegentlichen Treffen an Nachmittagen, fast nur noch aus kurzen Updates und eben dem Finanziellen bestand. Sofia lebte noch bei seiner geschiedenen Frau, sein Sohn Markus studierte in Trondheim Computerwissenschaft. Anderenrseits war es ihm nur recht, denn sein eigenes Leben war zurzeit sehr in Unordnung. Er war froh, daß er die Scheidung hinter sich hatte und jetzt frei war, wieder ein eigenes Leben zu beginnen. Nur wie das aussehen sollte, war ihm noch nicht so klar, es fehlte zur Zeit jeder stabilisierende Faktor, abgesehen vielleicht von der Arbeit, die aber – entgegen romantisierende Klischees Außenstehender, die sich einen Philosophen als grüblerischen und tiefen Denker vorstellten – eigentlich auch schon zur Routine geworden war.

    Gerade ging ihm das Rendezvous vorige Woche mit Mira noch einmal durch den Kopf, als das Telefon ein zweites Mal klingelte. Hatte Sofia etwas vergessen, vielleicht zu fragen, ob sie seine Seglerjacke borgen könnte?

    „Mister Erik Sandvik? Hier spricht Johan ter Meulen von der niederländischen Kriminalpoliziei, Ermittlung Kapitalverbrechen in Amsterdam ", tönte es englisch aus der Leitung.

    Ja, ganz recht. Womit er denn der holländischen Kriminalpolizei dienen könne?

    Es gehe um einen Mordfall, genauer gesagt um den Mord an dem englischen Staatsbürger Timothy Owen letzte Woche. Er sei in Utrecht erschossen worden, und man hätte gerne gewusst, in welcher Beziehung Herr Sandvik zu Herrn Owen gestanden habe.

    „Keine Ahnung. Ich kenne keinen Timothy Owen. Jedenfalls nicht ,daß ich wüsste. Es kann sich natürlich immer um einen ehemaligen Studenten handeln, aber nach mehr als zwanzig Jahren Lehrtätigkeit kann ich mich beim besten Willen nicht an alle erinnern, die jemals bei mir im Seminar gesessen haben. Wieso sollte ich ihn kennen?"

    Nun, Zeugen hätten ausgesagt, Mister Owen habe noch kurz vor seiner Ermordung mit einem Herrn ein paar Tische weiter im Restaurant gesprochen. Und die Nachforschungen hätten ergeben, daß Herr Sandvik ungefähr zu dieser Zeit im angrenzenden Restaurant gegessen habe.

    „Vor einer Woche sagen sie? Ja, das stimmt schon, da war ich in Utrecht, um einen Vortrag zu halten."

    Mein Gott, ja, jetzt fiel es ihm wieder ein: der Verrückte mit der CD, der sich verfolgt fühlte! Das musste dieser Mister Owen gewesen sein. Und den hatte man dann wohl tatsächlich umgebracht. Er selbst war ja vollkommen bekifft und wohl auch ein wenig besoffen gewesen, alles in seiner Erinnerung war sehr diffus und lückenhaft, bis auf die Tatsache, daß er ganz vom Gedanken besessen gewesen war, bald Mira zu treffen und mit ihr Sex zu haben. Der norwegische Philosophieprofessor im Haschisch- und Weinrausch auf Sexabenteuer in Holland, und nun plötzlich möglicher Augenzeuge eines Mordes! Er sah die Überschrift im norwegischen Dagbladet förmlich vor sich. Das wäre ein gefundenes Fressen für diese Pressehyänen, das muss er unbedingt verhindern!

    „Hören Sie, ich habe gerade wenig Zeit, ich habe in fünf Minuten eine Besprechung… – natürlich gelogen, eine Notlüge, fand er– „…und gesehen von diesem Mord habe ich sowieso nichts. Ist mir total entgangen. War mir gar nicht bewusst, daß da ein Mord geschah. Aber ich war im Restaurant nicht allein. Ich hatte dort eine Verabredung mit Frau Mira El Said, sie arbeitet in Den Haag am landwirtschaftlichen Forschungsinstitut des holländischen Forschungsrats. Rufen Sie doch vielleicht bei ihr an, und fragen Sie sie. Außerdem fällt mir gerade ein, daß da jemand ins Wasser gefallen war, während ich drinnen im Restaurant die Rechnung bezahlte. Mira, ich meine Frau El Said, war zu dieser Zeit draußen vor dem Restaurant und hat vielleicht etwas gesehen. Wie gesagt, fragen Sie sie.

    Ja, das werde man tun, aber ob er sich ganz sicher sei, daß er mit Mister Owen nicht vorher doch ein paar Worte gewechselt hat?

    Nein, kann er sich nicht vorstellen. Warum auch, er kenne keinen Timothy Owen, und überhaupt sei er ein denkbar schlechter Beobachter seiner Umwelt, er sei ja Philosoph und als Zeuge in einem Mordfall denkbar ungeeignet, aber er könne gerne Frau Mira El Said fragen, die sei ja zur Tatzeit sozusagen vor Ort gewesen, er nicht.

    Und damit legte er auf.

    Er musste diese verdammte CD suchen und herausfinden, was ihm dieser Verrückte da untergeschoben hatte!

    * * *

    Als Journalistin hatte sich Marianne längst angewöhnt, alle vorbereitenden Recherchen zu einer Story erst einmal im Internet vorzunehmen. Google, Wikipedia, aber auch Facebook, LinkedIn, Twitter und andere Webseiten waren zu unverzichtbarem Handwerkszeug geworden. „Wer nicht im Internet zu finden ist, über den lohnt es sich auch nicht zu schreiben", hatte kürzlich ein Kollege von ihr geäußert. Sie fand das zwar ziemlich anmaßend, vielleicht auch naiv, aber für den Hausgebrauch schien es ihr doch annähernd richtig. Und sie war immer wieder überrascht, was man im Internet alles finden konnte. Keine zwanzig Jahre waren vergangen, seit das Internet seinen Siegeszug antrat, und inzwischen schien die ganze Welt sich darin wiederzufinden.

    Die Suche nach Timothy Owen war nicht sehr ergiebig. Ein Schauspieler, ein Kunstmaler, ein Fotograf und ein paar amerikanische Unternehmer tauchten auf, außerdem ein Heavy-Metal-Sänger dieses Namens und rund 200 Telefonbuchaufführungen in England, zusammen mit vielen Seiten, auf denen einige dieser Owens erwähnt wurden, bevor sie endlich weit unten auf der fünften oder sechsten Googleseite, den Timothy Owen fand, der sie vermutlich kontaktiert hatte. Erst war er unter den Angestellten des Shepherd Research Laboratory Cambridge UK, aufgetaucht, allerdings nur mit Namen, einem Doktortitel davor, aber ohne Curriculum Vitae oder dergleichen. Es hieß nur, er arbeite dort in der Abteilung für Methodologie und Statistik. Dann erschien sein Name noch zweimal als Coautor zweier wissenschaftlicher Publikationen, einmal im Lancet 2003, und einmal im New England Journal of Medicine 2005. Beide Male war Owen der siebte von insgesamt acht Autoren.

    Da Marianne nicht an irgendwelche universitären Server mit Abonnement der wissenschaftlichen Publikationen angebunden war, musste sie für das Herunterladen dieser Artikel mit ihrer Kreditkarte bezahlen. Es ging offensichtlich um zwei Forschungsberichte aus der medizinischen Forschung, einmal um irgendwelche Rezeptoren im Gehirn, einmal um Unregelmäßigkeiten im Hormonhaushalt, und beide Male war ein neues Mittel getestet worden. Das war jedenfalls ihr laienhafter Eindruck nach raschem Überfliegen. Nichts Weltbewegendes offenbar.

    Jedenfalls schien dieser Timothy Owen nicht gerade zur Elite der medizinischen Forschung gehört zu haben, sonst wäre er auf Google nicht so relativ unsichtbar. Wenn er aber so unbedeutend gewesen war, weshalb wurde er dann ermordet?

    Der Name Erik Sandvik war da anders. Er teilte sich die Googleseiten zwar auch mit einigen norwegischen und schwedischen Industriellen, Ingenieuren und Firmenberatern, aber er erschien immer wieder. Sein Curriculum Vitae war gleich der erste Treffer. Ein Philosoph, der fachlich offenbar global präsent war, d.h. laufend in aller Welt Vorträge hielt. 52 Jahre alt, in Bergen in Norwegen geboren, ausgebildet an den Unis Oslo, Oxford, und Frankfurt am Main, Promotion in Wissenschaftstheorie (Oslo), Autor von rund sechzig wissenschaftlichen Titeln und Beiträgen, und seit mehreren Jahren Professor am Institut für Medien und Kommunikation an der Hochschule in Oslo. Mehrere Bilder zeigten Sandvik bei Veranstaltungen, Kongressen und Vorlesungen. Er hatte offensichtlich ein mäßig angenehmes Äußeres: schmales, kantiges Gesicht, volles dunkles Haar, das meist eine Idee zu lang war, für die Chefetagen der Welt indiskutabel, überwiegend leger gekleidet, wie das für Akademiker in der internationalen Arena seit einigen Jahren üblich war. Ein Bild zeigte ihn mit Vollbart auf einer wenige Jahre zurückliegendenVortragsreise in Australien. Auch mehrere norwegische Zeitungsinterviews mit Sandvik fanden sich bei Google, aber Marianne gewann nur einen sehr ungefähren Eindruck des Inhalts, denn Norwegisch unterschied sich zu stark vom Niederländischen, obwohl beide Sprachen germanischen Ursprungs waren.

    Schließlich fand sie die Verbindung zu Utrecht: Sandvik hatte am Mittwoch letzter Woche einen Gastvortrag an der Utrechter Universität gehalten. Die Powerpoint–Präsentation seines Vortrags, „Reflexions on Synthetic Biology and its Ethical Implications", war bereits auf der Seite des Instituts für Umwelt- und Risikoforschung eingestellt. Aus der offiziellen Ankündigung des Vortrags ging hervor, daß Sandvik auf Einladung seines Kollegen Dr. Jeroen Waterdam vortrug, und daß beide bei einem großen europäischen Forschungsprojekt zur Risikokommunikation moderner Technologien mitwirkten, finanziert von der EU in Brüssel.

    Marianne rief das Institut für Umwelt- und Risikoforschung in Utrecht an und fragte nach Doktor Waterdam. Der sei im Augenblick nicht im Haus, aber man werde ihm, wenn sie ihre Telefonnummer nennen wolle, eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf hinterlassen. Sie machte dies, obwohl sie aus langjähriger Erfahrung wusste, daß Akademiker in der Forschung kaum oder nur nach langer Zeit auf solche Nachrichten reagierten, besonders von Journalisten.

    Waterdam rief aber schon nach fünfzehn Minuten bei ihr an.

    „Vielen Dank für Ihren raschen Rückruf. Mein Name ist Marianne van Sloten, ich bin freie Journalistin. Ich arbeite zurzeit an einem Artikel zur europäischen Forschung und rufe Sie deswegen an. Wenn ich richtig informiert bin, arbeiten Sie augenblicklich an einem Forschungsprojekt zur Risikokommunikation moderner Technologie. Stimmt das? Können Sie mir mehr dazu sagen?"

    Alle ihre Befürchtungen, einen misstrauischen und kurz angebundenen Forschertypen an der Strippe zu haben, lösten sich binnen Sekunden in Wohlgefallen auf. Jeroen Waterdam sprach offensichtlich gerne über seine Forschung, und er überhäufte sie mit Infos zu dem Forschungsprojekt. Vieles davon überstieg ihren Horizont. Akademiker neigten wohl zu der Annahme, daß das, was ihnen glasklar und offensichtlich erschien, auch für alle anderen auf der Hand lag. Aber Waterdam gehörte trotzdem zu der besseren Sorte. Er bemühte sich, ihr die komplizierten Forschungshypothesen und Untersuchungen an einigen Beispielen zu erklären. Er erwähnte BSE, den Rinderwahn, der eine Zeitlang halb Europa den Appetit auf Rindfleisch verdorben hatte, und der, Waterdam zufolge, für die betreffenden Forscher im Allgemeinen und die Risikokommunikatoren im Speziellen einem Albtraum gleichkam. Dann fing er noch von der modernen Biotechnologie an, die ja die Landwirtschaft revolutionieren wolle, aber bislang an der Skepsis der europäischen Verbraucher scheitere, offensichtlich auch eine harte Nuss für die Risikokommunikatoren.

    Hier aber unterbrach ihn Marianne und fragte nach dem Vortrag, der letzte Woche am Institut gehalten worden sei, über synthetische Biologie und Ethik; und was es damit auf sich habe.

    Waterdam fand es toll, daß sie gerade danach fragte, denn die synthetische Biologie sei ja erst im Kommen sozusagen, und in Holland hätten sich nur wenige Journalisten damit beschäftigt, obwohl Craig Venters erstmalige Erzeugung eines synthetischen Bakteriums vor wenigen Wochen international Schlagzeilen gemacht habe . Das sei natürlich eine Sensation, aber vieles andere werde sicher bald folgen, da sei viel Spannendes noch „in der Pipeline". Und bei ihm in Utrecht habe man eben das Thema bereits aufgegriffen, das werfe ja haufenweise ethische Fragen auf.

    Marianne unterbrach erneut:

    „Es war doch ein Professor Erik Sandvik aus Norwegen, der den Vortrag hielt. Können Sie mir Näheres zu ihm sagen?"

    „Natürlich. Erik ist ein guter Kollege, ein Freund, möchte ich sagen. Er ist Philosoph in Oslo und hat sich auf wissenschaftstheoretische Aspekte der Risikoforschung konzentriert. Außerdem beschäftigt er sich mit der Ethik der Wissenschaft und das ist bekanntlich ein weites Feld mit hochaktuellen Aspekten, wie Sie wahrscheinlich wissen."

    „Ja, die synthetische Biologie zum Beispiel. Eine Frage hierzu: Hat die synthetische Biologie eigentlich etwas mit moderner Medizin zu tun? Hat vielleicht Erik Sandvik zu medizinischen Fragen vorgetragen?"

    „Nun, den Vortrag von Erik finden Sie im Internet, da ist nichts Spezielles über Medizin gesagt worden, außer vielleicht, daß die synthetische Biologie unsere herkömmlichen Konzepte, was Leben an sich ist, in Frage zu stellen scheint. Aber natürlich hat synthetische Biologie letztlich auch mit Medizin zu tun. Das ist ja eine ihrer großen Hoffnungen, hier einen entscheidenden Beitrag leisten zu können, aber vorläufig ist das alles Zukunftsmusik, reine Spekulation."

    „Und wirkte nicht Erik Sandvik mit Ihnen an einem größeren europäischen Forschungsprojekt mit?"

    „Ja, das ist richtig. Als einer von insgesamt zwölf Partnern beziehungsweise Partnerinstituten."

    „Ist das Shepherd Research Laboratory in Cambridge auch Partner bei diesem Projekt?"

    „Nein, wie kommen Sie darauf? Am Shepherd Institut wird meines Wissens reine naturwissenschaftliche oder medizinische Forschung betrieben, Tierversuche und so. Die haben mit uns nichts zu tun, wir sind größtenteils Sozialwissenschaftler. Aus England haben wir vielmehr eine Gruppe aus Lancaster mit an Bord, die wird Sie sicher interessieren."

    „Und Dr. Timothy Owen, ist der ebenfalls an Ihrem Projekt beteiligt?", unterbrach ihn Marianne.

    „Wer? Timothy Owen? Habe ich noch nie gehört, kenne ich nicht, ist nicht mit dabei. Wie kommen Sie darauf?"

    „Vielleicht ist Timothy Owen ein Bekannter oder ein Kollege von Erik Sandvik?"

    „Keine Ahnung! Kann ich mir aber eigentlich nicht vorstellen, ich kenne die meisten von Eriks Kollegen, wir bewegen uns in denselben Wissenschaftskreisen. Wieso fragen Sie denn so gezielt nach diesem Owen?"

    „Ach, nur so ein Einfall, eine zufällige aber etwas dramatische Assoziation. Mister Owen wurde nämlich letzte Woche in Utrecht ermordet, und angeblich soll er im selben Restaurant gegessen haben wie Erik Sandvik, und etwa zur gleichen Zeit. Vielleicht haben sie miteinander gesprochen."

    „Was? Ein Mord? Ist mir vollkommen neu, habe nichts davon gehört. Auch nicht von Erik. Aber wozu wollen Sie mich nun eigentlich befragen, über diesen Mord oder über europäische Forschung zur Risikokommunikation?"

    „Nein, nein, die Risikokommunikation natürlich. Erzählen Sie mir mehr darüber!", versicherte Marianne. Sie wollte den Eindruck vermeiden, sie sei als Journalistin einer Räuberpistole hinterher.

    Waterdam dozierte noch eine gute halbe Stunde über sein Forschungsprojekt, glücklicherweise fast ohne Unterbrechung, so daß Marianne keine intelligenten Fragen einzuschieben brauchte, um das Interview in Gang zu halten. Sie machte sich nur gelegentlich Notizen, mit den Gedanken meistens woanders und überzeugt davon, daß sie zumindest in den nächsten Tagen keinen Artikel zur Risikokommunikation schreiben würde. Die große Frage für sie war vielmehr, was nun ihr nächster Schritt sein sollte.

    * * *

    Erik hatte die CD nach einigen Suchen in einer Ausgabe von Nature gefunden, dem Exemplar, das er letzte Woche in Utrecht bei sich hatte. Die CD lief auf seinem Computer ohne Probleme. Die letzte Prüfungsarbeit hatte er noch schnell mit einer C-Note abgefertigt, wahrscheinlich wesentlich besser als es der Student verdiente, aber er hatte sie vom Tisch haben wollen, um sich die CD genauer anzuschauen.

    Er fand an die hundertfünfzig Dateien auf dem Datenträger, überwiegend Dokumente und Manuskripte, teils eingescanned im PDF-Format, teils Rohdokumente im Word- oder Excel -Format. Auch einige Bilddateien, JPEGs,waren dabei. Es war eine unüberschaubare Menge an Informationen und Daten. Keine natürliche Abfolge schien ihm beim Sichten ins Auge zu springen. Gab es da eine Verbindung zwischen den verschiedenen Dateien, einen logischen Zusammenhang, der etwas aussagte? Anscheinend hatte dieser Timothy Owen darauf spekuliert, daß er die Zusammenhänge selbst vermitteln, die Informationen mündlich ins rechte Verhältnis würde rücken können. Aber Owen war tot, ermordet, wie man ihm gesagt hatte. Vielleicht war doch etwas dran, an Owens Story, daß er verfolgt werde und man hinter dieser CD her sei, daß es sich um etwas ganz Wichtiges handele?

    Erik musste also selbst versuchen herauszufinden, worum es bei dieser CD eigentlich ging. Am besten also mit dem ersten Dokument anfangen, und sehen, was sich daraus ergab.

    Das erste Dokument war ein wissenschaftliches Manuskript, das der ersten Zeile zufolge am 5. Januar 2007 an die Zeitschrift

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