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Letzter Elfmeter: Österreich Krimi
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eBook301 Seiten4 Stunden

Letzter Elfmeter: Österreich Krimi

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Über dieses E-Book

Das Verbrechen kehrt nach Alt-Mürren zurück. Der Besitzer des Technologieunternehmens Maurer IT wird mit dem Gesicht nach unten auf dem Elfmeterpunkt am Sportplatz des SV Alt-Mürren gefunden. Der Lokaljournalist Michael Wörner, der vor Jahren den Mord an Landrat Fuhrmann aufklären konnte, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und fördert dabei die unterschiedlichsten Tatmotive ans Tageslicht. Denn Karl Maurer hat sich eine stattliche Anzahl von Feinden in beinahe allen Bereichen der Gesellschaft gemacht. Elfmeter - ein Waldviertler Kriminalroman über Fußball, Politik, Geld, Sex und natürlich Mord.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum7. Okt. 2014
ISBN9783902784896
Letzter Elfmeter: Österreich Krimi

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    Buchvorschau

    Letzter Elfmeter - Michael Koller

    2

    Tag 1

    Die letzten Wochen waren im Hause Wörner durchaus turbulent gewesen. Meine Tochter Julia hatte sich nicht entscheiden können, ob sie nach dem Abschluss der Volksschule im Herbst aufs Gymnasium oder in die Hauptschule wechseln sollte. Beinahe täglich war sie darüber zu einem anderen Entschluss gekommen. Immer bedingt durch die diesbezüglichen Absichten ihrer Schulfreunde. Das ging so lange, bis meine Frau Susan ein Machtwort gesprochen und sie tags darauf im Gymnasium angemeldet hatte. Als diese Frage nach langem Gezerre geklärt war, stand der Einzug meines Schwiegervaters in unser großes Haus in Alt-Mürren an. Moritz Späth war nach gut vierzig Jahren bei der Wiener Kriminalpolizei pensioniert worden und wollte seinen Lebensabend nun im heimatlichen Waldviertel verbringen. Da er momentan kein geeignetes Quartier fand und sowohl Susan als Krankenschwester wie auch ich als Zeitungsreporter ganztägig im Berufsleben standen, hatten wir ihn schließlich dazu überreden können, bis auf Weiteres bei uns zu wohnen. Das war ein gutes Arrangement, da wir nun rund um die Uhr jemanden zur Betreuung Julias hatten und damit nicht länger die Gutmütigkeit unserer Nachbarin Gerti Wallner strapazieren mussten. Moritz war ein Schwiegervater, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Immer wohlwollend und zurückhaltend den Vorkommnissen in der Familie gegenüberstehend. Und hatte er Kritik, brachte er sie in seinem berufsbedingten Scharfsinn so rüber, dass niemand Zweifel an der Vernunft seiner Worte hatte. Nichtsdestotrotz war seine Übersiedelung mit einigem Ärger verbunden gewesen. Was nicht zuletzt daran lag, dass auch ich selbst hatte mit anpacken müssen und in insgesamt drei Fuhren mit einem gemieteten Kleintransporter die Habe unseres Logisgastes in sein neues Heim verbrachte. An einem wunderschönen Wochenende Anfang Mai bei strahlendem Sonnenschein. Der Rücken schmerzte mir noch Tage später.

    Als auch diese Unwägbarkeit überwunden war und der Alltag langsam wieder Einzug hielt, passierte etwas, wonach wir uns schon so lange gesehnt hatten und eigentlich gar nicht mehr so recht daran glaubten. Susans Periode blieb aus, und nachdem wir einige Tage gewartet hatten, brachte uns ein Test aus dem Drogeriemarkt Gewissheit. Ich war darüber derart glücklich, dass ich tagelang vor mich hinschwelgte und meine berufliche Tätigkeit dabei etwas zu kurz kam. Doch als Chefredakteur der »Regionalzeitung« konnte ich es mir leisten, auch einmal neben der Matte zu stehen. So ging also der Mai seinem Ende entgegen. Das Wetter war prächtig, im von Susan akkurat gepflegten Garten gediehen die Pflanzen, und als ich eines Morgens früh aufwachte und zu meiner täglichen Laufrunde antrat, schien das Leben schöner und verheißungsvoller denn je. Ich machte meine übliche Sechs-Kilometer-Schleife und überdachte dabei Dinge, die mir spontan durch den Kopf gingen.

    Mit fünfundvierzig Jahren auf dem Buckel ging nicht mehr alles so leicht wie früher von der Hand. Zumal es auch Zeiten in meinem Leben gab, in denen ich meinem Körper mehr Schaden zugefügt hatte, als nötig gewesen wäre. Ich passierte den Wendepunkt an einem alten Wegkreuz und kam im Geiste auf die Ereignisse zurück, die vor etwa drei Jahren meinem Leben eine neue Wendung gegeben hatten. Hin zu dem Mord an dem einflussreichen Landespolitiker Ernst Fuhrmann und der Entwicklung dieser Affäre, die ich damals hautnah als Berichterstatter beim »Wochenblatt« miterlebte. An all die Abgründe, die sich dabei auftaten. Was sowohl Gesellschaft, Wirtschaft wie auch Politik betraf. Gesichter von Menschen tauchten vor mir auf, die ich lieber vergessen wollte. Darunter auch jenes von Markus Hirscher, der sich nach dem Fall zurückgezogen hatte und mir die zuvor von ihm selbst bekleidete Stelle des Chefredakteurs der »Regionalzeitung« zukommen ließ. Ich hatte im Zusammenhang mit diesem verwickelten Mordfall, der offiziell nie gelöst werden konnte, meine Unschuld verloren. Meine Unschuld, vielleicht auch meine Integrität. Aber sicherlich nicht meine Ehre und meinen Anstand. Was damals passierte, war womöglich unabänderlich gewesen. Und hätte ich nicht mitgespielt und mein Wissen preisgegeben, wäre ich mit Garantie von den Mühlen zermahlen worden. Denn die Menschen suchten zwar immer nach der Wahrheit, wenn man sie jedoch darauf stieß, leugneten sie diese in der Regel. Weil die Wahrheit nicht dazu geeignet war, unser Gewissen zu beruhigen. So blieb also all der Dreck unterm Teppich, der infolge des Tötungsdeliktes Fuhrmann nur sehr kurzfristig ans Tageslicht befördert wurde.

    Nichts hatte sich seitdem geändert. Noch immer saßen die maßgeblichen Leute an den Hebeln. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und drückte die inzwischen locker gewordenen Kopfhörer des MP3-Players wieder fest in meine Ohren. Eine Zeit lang hatte ich überlegt, diese Affäre als Roman niederzuschreiben. Selbst einen Titel hatte ich dafür schon gehabt. Fallstricke. Doch ich unterließ es, weil es nicht nur all die darin verstrickten Menschen in ein schiefes Licht bringen würde, sondern letztlich auch mich selbst. Und womöglich sogar meine Familie, die von alldem gottlob viel zu wenig wusste. Obwohl mich Susan immer wieder einmal mit einem etwas merkwürdigen Blick bedachte, wenn in den letzten Jahren Wörter, wie »Erpressung«, »Korruption« oder »Vorteilsnahme«, fielen. Doch meine Frau liebte mich viel zu sehr, um die damaligen Ereignisse, in die auch sie am Rande hineingeraten war, wieder aufzuwühlen. Es war vorbei, und das Leben ging weiter. Daran hatte auch der Tod einer politischen und wirtschaftlichen Lichtgestalt wie Ernst Fuhrmann nichts ändern können.

    Ich kam bei unserer Gartentür an und stoppte die Zeit. Gut eine Minute langsamer als meine Bestmarke. Zurück im Haus, entledigte ich mich meiner Sportklamotten und stieg unter die Dusche. Es war Sonntagmorgen, und alles schlief. Susan hatte noch einige Wochen Dienst, ehe man sie hoffentlich in Frühkarenz schreiben würde. Sie war aber aus dem normalen Turnus auf der Intensivstation herausgenommen worden und arbeitete seitdem lediglich zu Bürozeiten am Empfangspult der Station. Die Wochenenden gehörten im Regelfall also ganz uns. Moritz verbrachte sehr viel Zeit mit Julia, die es genoss, ihren fürsorglichen Großvater um sich zu haben, und ich tat meine Pflichten als Redaktionsleiter der »Regionalzeitung«. Ich trocknete mich mit einem großen Flanellhandtuch ab und machte mich auf den Weg in die Küche. Das Frühstück an einem Sonntagmorgen war mit die schönste Zeit während der ganzen Woche. Dampfender Kaffee, Wurst, Käse, Eier, Speck und knusprige Croissants aus dem Backofen. Ich machte mich gerade ans Werk, als mein im Vorzimmer liegendes Handy vibrierte. Auf lautlos gestellt und doch hörbar genug, um es in der Stille des Hauses wahrzunehmen. Das Display leuchtete. Klaus Zöhrer. Der Platzwart des Sportvereins Alt-Mürren. Ich war seit vielen Jahren im regionalen Fußballgeschehen aktiv. Zuerst in der angrenzenden Stadt beim wieder erstarkten SC Mürren. Dann, nach einigen internen Querelen, ging ich zurück zu meinem Heimatverein, bei dem ich nach und nach mehr Verantwortung übernahm und neben meiner Funktion als Betreuer der Vereinshomepage auch als Schriftführer fungierte. Ich war immer ein leidenschaftlicher Fußballfreund gewesen und wollte mit diesem ehrenamtlichen Engagement meinen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben in Alt-Mürren leisten. Kritiker gab es viele. Leute, die sich einer Verantwortung stellten, jedoch nur wenige. Ich hatte bei diesem kleinen, herzlichen und familiär geführten Verein viele Freunde gewonnen, und die paar Stunden Tätigkeit pro Woche waren mir sehr lieb geworden. Ich konnte dabei entspannen, den Kopf freikriegen und ein Stück weit auch den Alltag hinter mir lassen. Julia und Susan neckten mich oft ob dieser Leidenschaft, aber sie gönnten mir diese, da sie unser Familienleben nicht weiter beeinträchtigte. Es war mein ganz persönliches Refugium, mein Rückzugsraum, in dem ich sehr oft wieder zu mir selbst fand. Mit einem sanften Druck auf den grünen Telefonhörer nahm ich das Gespräch an.

    »Servus, Klaus«, grüßte ich, ohne zu wissen, was er eigentlich an einem Sonntagmorgen von mir wollte.

    »Servus«, erwiderte er kurz. Am Tonfall seiner Stimme registrierte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Beinahe keuchend sprach er weiter: »Ich glaube, bei uns auf dem Sportplatz liegt ein Toter.«

    Leicht geschockt wartete ich auf weitere Erklärungen, doch mein Gegenüber blieb stumm. Ein Toter auf dem Sportplatz des SV Alt-Mürren, der ziemlich abgelegen nahe der Grenze zu Tschechien lag? Das mochte mir nach kurzer Überlegung nicht ganz eingehen.

    »Wo denn?«, fragte ich vorsichtig. Ich wollte Klaus nicht unbedingt sagen, dass ich ihm nicht glaubte. Andererseits war es für einen solchen Scherz noch viel zu früh, und unser Platzwart war auch nicht als exzessiver Säufer bekannt, der die Nacht zum Tage machte.

    »Mitten im Strafraum. Genau am Elfmeterpunkt.« Das Spielfeld war mit einem hohen Zaun vom Rest des Areals getrennt, die Tür dazu stand aber immer offen. Bevor ich ihn fragen konnte, wo er sich gerade befand, kam er diesem Ansinnen zuvor. »Ich bin mit dem Rad zum Platz rübergefahren, um die Bewässerung einzuschalten. Momentan ist das aufgrund der frühsommerlichen Hitze schon recht zeitig am Tag notwendig. Außerdem wollte ich nach dem Rechten sehen, ob unsere Jungs gestern nicht über die Stränge geschlagen haben.«

    Wir, sprich der SV Alt-Mürren, hatten tags zuvor einen Derbysieg über Murdorf eingefahren und damit zwei Runden vor Saisonende den Klassenerhalt fixiert. Der Gang in die Schutzgruppe wurde also ein weiteres Jahr abgewendet, und umso ausgelassener war danach selbstredend die Feier. Auch ich war bis etwa zehn Uhr abends mit dabei gewesen. Da begannen sich die meisten aber gerade erst in Fahrt zu trinken. Es würde also noch eine ganze Weile gedauert haben, bis die Letzten von dort verschwunden waren und im Vereinslokal beim Wirt Thomas Maier bis in die frühen Morgenstunden weiterzechten. So war es zumindest der Brauch. Mir kam ein Gedanke.

    »Vielleicht ist einer im Rausch liegen geblieben und muss erst unsanft geweckt werden.« Das war keineswegs abwegig, und eine andere Erklärung hatte ich nicht.

    »Von uns ist das keiner. Ich habe mehrmals auf ihn hin geschrien, aber es kam keine Reaktion. Dann wollte ich schon aufs Feld hineingehen, um genauer nachzusehen, besann mich aber. Wegen der Spuren und so.« Das war ziemlich geistesgegenwärtig, handelte es sich dabei wirklich um eine Leiche. Was ich aber immer noch nicht glaubte. Zöhrer fuhr fort: »Der Mensch dort ist tot. Da habe ich keinen Zweifel. Um die Zeit ist keiner mehr so besoffen, dass er gar nichts wahrnimmt. Sich nicht einmal rührt. Mit dem Kopf im Gras. Aber darum rufe ich dich ja an. Weil ich mir ziemlich sicher bin, denjenigen zu kennen. Ich müsste mich schon sehr täuschen. Aber für mich schaut der aus wie Charly Maurer.«

    Bei diesem Namen war ich wie vom Donner gerührt. Karl Maurer. Chef und Inhaber der Maurer IT. Mit seiner innovativen Glasfasertechnologie hatte das Unternehmen über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. In den letzten Jahren ging aber etwas der Lack ab, und hätte man nach Ernst Fuhrmanns Tod nicht doch noch den Großauftrag für das neue, inzwischen fertiggestellte Grenzlandspital in Mürren erhalten, wären womöglich die Lichter ganz ausgegangen. Zu viel Geld hatte man damals in das Projekt bereits im Vorfeld gesteckt und sah sich durch Fuhrmanns Wendehalspolitik plötzlich um das Stück am Kuchen betrogen. Der Mord an dem Landrat hatte Karl Maurer aus der Bredouille geholfen. Ich riet Klaus Zöhrer, augenblicklich die Polizei zu rufen und alles unverändert zu lassen. Falls er recht hatte, war der Tatort noch nicht von Fremdspuren kontaminiert. Andererseits hatte ich wenig Hoffnung, dass die örtliche Exekutive seinen Ausführungen Glauben schenkte. Die würden nach etlichen Beschwichtigungsversuchen dann doch losziehen, wie eine Büffelherde übers Gras laufen, versuchen, den Toten zum Leben zu erwecken, und nach getanem Werk die Kripo verständigen. Für mich gab es jedenfalls kein Vertun. Der Platzwart hatte an mich gedacht, damit ich die Story als Erster in Augenschein nehmen konnte. Falls es überhaupt eine Story und nicht nur ein ins Koma gesoffener Fußballfan war. Dennoch. Ich musste dem auf den Grund gehen. Zudem hatte ich Klaus stets als besonnenen Menschen erlebt, der keineswegs zur Hysterie neigte. Ohne großen Rabatz zu machen, zog ich mir die als Nächstes greifbare Kleidung an, hinterließ einen kleinen Zettel mit meinen Absichten am Kühlschrank und trat kaum trocken von der Dusche wieder ins Freie.

    *

    Ich traf beinahe gleichzeitig mit einem Streifenwagen der Polizei ein und parkte mich demonstrativ neben diesen. Das Sportplatzgelände lag am Rande eines dichten Föhrenwaldes, schräg vis-à-vis eines Grenzübergangs zur Tschechischen Republik. Getrennt nur durch einen Schienenstrang der hiesigen Schmalspurbahn und der Bundesstraße, die in der einen Fahrtrichtung nach Mürren, entgegengesetzt nach Remsch führte. Gestern hatte hier noch der Bär gesteppt, nun breitete sich wieder eine mystische Stille über das Areal. Eine Totenstille, um es genau zu sagen. Eine Totenstille, die urplötzlich durchbrochen wurde, als ich aus meinem brandneuen Dacia Sandero stieg. Eine scharfe Stimme sprach mich in barschem Ton an. Revierinspektor Gerber, ein wahrhaft schwarzes Schaf seiner Zunft. Einige Dienstvergehen und Strafversetzungen hatte er bereits hinter sich und wurde dennoch weiterhin auf die Öffentlichkeit losgelassen. Ich fragte mich oft, wie ernst ein Staat noch genommen werden konnte, der derlei Kantonisten in seinen eigenen Reihen duldete. Ich erinnerte mich daran, wie mein Vorgänger Markus Hirscher sich dieses Menschen immer wieder bedient hatte. Stets unter dem Tatbestand der Erpressung. Was natürlich voraussetzte, dass eine Person in solchem Stand überhaupt erpressbar wurde.

    »Was wollen Sie denn hier?« Die Anwesenheit der Presse war ihm sichtlich unangenehm. Zumal sie zur selben Zeit wie die Exekutive selbst hier eintraf. Da ich nicht vorhatte, mich auf lange Diskussionen mit diesem Unflat einzulassen, grüßte ich seinen Kollegen, und nur diesen, betont freundlich und erklärte, dass ich in meiner Eigenschaft als Hauptfunktionär des SV Alt-Mürren hier sei und schon deshalb ein ureigenes Interesse an den Vorgängen auf dem vereinseigenen Platz hätte.

    »Komm«, sagte Gerber kurz zu dem anderen Polizisten und machte sich einigermaßen zornig auf den Weg zu Klaus Zöhrer, der bereits am Eingangstor zum Spielfeld wartete. Ich heftete mich in knappem Abstand an ihre Fersen, begrüßte mit einem leichten Nicken meinen Vereinskameraden und harrte der Dinge, die nun unweigerlich folgen mussten. Gerber hielt sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln auf und kam direkt zur Sache. Es wurmte ihn offensichtlich, von der morgendlichen Sonntagsjause weggerufen worden zu sein, um einer Bagatelle wie der Meldung eines mutmaßlich toten Menschen nachzugehen.

    »Nun, wo ist Ihre Leiche?«, wollte er wissen, obwohl von hier bereits klar zu erkennen war, dass in der Nähe des sogenannten Heimtores ein regloser Körper lag. Klaus deutete darauf hin, und Gerber nickte leicht. Also doch keine Sinnestäuschung eines Platzwartes, der bereits frühmorgens seinen Pflichten nachkam. »Na, das haben wir gleich.« Ohne weitere Fragen zu stellen, öffnete er das Aluminiumgatter, und die beiden Polizisten begaben sich auf den Rasen. »Sie bleiben hier!«, befahl er.

    Wie ich es mir gedacht hatte. Klaus führte mich vor das Kabinengebäude, wo man einen besseren Blick auf die Geschehnisse hatte. Während ich meine digitale Spiegelreflexkamera aus der mitgeführten Tasche holte, das Objektiv mit großer Brennweite aufsetzte und zu fotografieren begann, war auch ich mir sicher, dass dieser Mensch dort tot sein musste. Und die von Zöhrer angesprochene Ähnlichkeit mit Karl Maurer war ebenfalls frappierend. Soviel man eben erkennen konnte. Die Polizisten gingen etwas unbeholfen an die Sache heran. Stießen den Körper mit ihren Fußspitzen leicht an, und als sie keinerlei Reaktion darauf erfuhren, beugte Gerber sich runter und drehte ihn um. Er griff auf die Halsschlagader des Mannes, horchte kurz auf eine mögliche Atmung und stand dann wieder auf. Ich zoomte so nah wie irgend möglich auf den Kopf und hatte Gewissheit. Ja, es war Charly Maurer. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

    »Du hattest recht«, teilte ich dem Platzwart mit. Dann heftete ich meine Augen auf die beiden Vertreter der Staatsgewalt. Sie schienen miteinander zu diskutieren, und schließlich zog einer der beiden sein Funkgerät aus dem Hosengurt. Ich konnte nicht alles hören, was er dort hineinsprach, aber es reichte, um Bescheid zu wissen. Die Wörter »ermordet«, »Maurer« und »Kripo« waren unmissverständlich. Ich ging nun ganz nahe an den Zaun und suchte über das Okular meiner Kamera den Leichnam ab. Doch ich fand nichts, was auf Gewalteinwirkung hinwies. An Kopf und Oberkörper waren keine Verletzungen zu sehen. Auch nicht, als der Tote sich noch in Bauchlage befunden hatte. Ähnlich wie vor drei Jahren packte mich das Jagdfieber. Und damals wie heute war es persönlich motiviert. Der Fuhrmann-Mord berührte meine eigene, ganz individuelle Vergangenheit, und dieses Mal ging es um den Sportverein Alt-Mürren. Gerber kam auf mich zu und forderte mich durch den Maschendrahtzaun auf, das Fotografieren augenblicklich einzustellen. Mir war zwar nicht bekannt, dass ein Gesetz das verbieten würde, kam diesem Ansinnen oder, besser gesagt, diesem Befehl dennoch nach. Zumal ich derlei Fotos in einem Blatt wie der »Regionalzeitung« ohnehin nicht veröffentlichen konnte. Der Aufschrei der Entrüstung wäre groß, wenngleich auch nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Die Leute behaupteten zwar stets, nicht sensationslüstern zu sein, waren es in Wahrheit jedoch sehr wohl. Bevor sich die beiden Uniformierten wieder zu uns gesellten und dieses Mal wohl oder übel Fragen stellen mussten, nahm ich Klaus Zöhrer zur Seite.

    »Du weißt, was das für unseren Verein bedeutet?« Er nickte nachdenklich. »Also, kein Wort zur Polizei darüber. Wenn sie es nicht von selbst erfahren, werden wir sie nicht daraufstoßen.«

    Bereits während ich dies aussprach, war ich mir im Klaren darüber, wie sinnlos dieses Unterfangen war. Denn schon morgen würden es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Einen Judas gab es überall und erst recht im Umfeld eines Sportvereins. Neid und Missgunst standen in diesem Geschäft hoch im Kurs. Damit musste jeder Fußballclub leben. Denn jeder hatte seine Feinde, die nur darauf warteten, aus dem Hinterhalt loszuschießen. Davor war auch das idyllische, harmlose Alt-Mürren nicht gefeit. Und ein ermordeter, auf unserem Sportplatz aufgefundener Karl Maurer war ein Festschmaus für alle, die uns ans Leder wollten. Denn der Getötete war so etwas wie unser Erzrivale. In seiner Eigenschaft als regionaler Wirtschaftszampano zog er als Hauptsponsor die Fäden beim Landesligaclub SC Mürren und wollte den kleinen Bruder in der Gemeinde aus dem Feld schlagen. Mit teilweise unmoralischen Angeboten an einige Funktionäre hatte er für eine Auflösung unseres Vereins geworben. Und dieses Begehren bis zu seinem plötzlichen Ableben stark betrieben. Doch obwohl nicht unbeträchtliche Summen geboten wurden, blieben unsere Leute standhaft und hatten ihn vom Hof gejagt. Nun könnte ein mit diesen Fakten vertrautes Mordermittlungsteam zu dem Schluss kommen, dass man seitens des SV Alt-Mürren diesen Nachstellungen überdrüssig wurde und Maurer ein für alle Mal zum Schweigen gebracht hatte. Nachdem der Leichenfundort mit dünnen Eisenpfählen und Plastikbändern abgegrenzt und das Eingangstor zum Platz gesichert worden war, trafen weitere Streifenwagen ein. Klaus sperrte den Aufenthaltsraum neben der Kantine auf, und dort wurden an separaten Tischen die ersten Protokolle angefertigt. Gerber hatte es sich nicht nehmen lassen, meine Aussage aufzunehmen. Geschäftig klappte er einen Laptop auf, tippte ein wenig auf der Tastatur herum und legte dann los.

    »Das erspart Ihnen den Weg aufs Revier. Zumindest vorläufig. Falls die Kripo weitere Fragen an Sie hat, wird man Sie selbstverständlich dazu vorladen.« Ich wurde den Eindruck nicht los, dass er mir mit diesen Worten Angst machen oder mich zumindest einschüchtern wollte. Nun, da war er bei mir an der verkehrten Adresse. Ich hatte nichts Unrechtes getan und darum auch keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Schon gar nicht gegenüber jemandem wie Revierinspektor Gerber.

    »Selbstverständlich«, antwortete ich betont gelassen. Ich hatte es im Mordfall Fuhrmann mit einem weitaus größeren Kaliber zu tun gehabt.

    »Sie sind fast gleichzeitig mit uns hier eingetroffen. Oder vielleicht auch wieder hier eingetroffen. Wie erklären Sie sich das?« Dieser Kindergartenstil gefiel mir ganz und gar nicht. Aber wenn er es unbedingt wollte, dann sollte er es eben so haben.

    »Ja, ich bin wieder hier eingetroffen. Nachdem ich gestern Abend nach dem Spiel gegen Murdorf und der anschließenden Feier um etwa zweiundzwanzig Uhr von hier weggefahren bin. Als Mitverantwortlicher des SV Alt-Mürren komme ich immer wieder einmal am Sportplatz vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Es spricht also rein gar nichts dagegen, dies auch heute getan zu haben.«

    Gerber zog die Augenbrauen hoch. Mit dieser Parade hatte er nicht gerechnet. Ich war mir sicher, dass er gerade einen innerlichen Kampf mit sich selbst ausfocht. Er wog zwischen dem Verbleib auf der aggressiven Schiene und der Rückkehr zur Vernunft ab. Auf halber Strecke trafen sich diese beiden Ansätze.

    »Sie wurden nicht eventuell telefonisch über die Auffindung einer Leiche unterrichtet?« Wäre die Sache nicht so ernst gewesen, hätte ich mir ein Schmunzeln kaum verkneifen können.

    »Über die Auffindung einer Leiche wurde ich nicht unterrichtet. Nur darüber, dass jemand am Elfmeterpunkt liegt. Aber ja, es stimmt. Ich wurde darüber per Handy informiert. Hätten Sie, wie ich es von Ihrem Amt erwarte, ohne Umschweife danach gefragt, wären wir vielleicht auch schon ein Stück weiter.« Bevor er darauf etwas erwidern konnte, setzte ich nach. »Wie Sie vielleicht wissen, bin ich als Chefredakteur der ›Regionalzeitung‹ mit den Abläufen in so einem Fall schon berufsbedingt einigermaßen vertraut. In dieser Eigenschaft sitze ich jedoch nicht hier, wenngleich Sie das womöglich unterstellen. Aber lassen wir Spitzfindigkeiten außen vor. Sie wollen wissen, was sich am gestrigen Abend ereignet hat. Stimmt’s?« Fast kleinlaut nickte er. Na bitte. Vielleicht konnte dieses Gespräch doch noch wie unter normalen Menschen geführt werden.

    »Wir haben gestern die Murdorfer durch ein Tor praktisch mit dem Schlusspfiff 3:2 geschlagen und damit vorzeitig auch rein rechnerisch den Klassenerhalt geschafft. Da kann nun kommen, was will. Bereits zwei Runden vor Schluss. Was in den letzten Jahren weitaus später der Fall war. Die Freude war unter Spielern, Zuschauern und Funktionären natürlich dementsprechend groß, und es wurde einiges getankt. Wenn ich das so umschreiben darf. Die einen blieben kürzer, die anderen länger. Diesbezüglich bin ich die verkehrte Auskunftsperson, da ich, wie gesagt, eher früh gegangen bin. Da waren meines Wissens noch die meisten Leute von uns anwesend.« Ich stand auf, holte

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