Verliebt und vogelfrei: Klaus Störtebeker 4 – Abenteuerroman
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»Wer vermag gegen Gott und Nowgorod?« Dieses im ganzen nördlichen Raum bekannte Sprichwort machte allen Seefahrern und Kaufleuten klar, welches große Ansehen diese Stadt in der ganzen Welt hatte. Sie hatte sich im Gegensatz zu Kiew ihre Selbständigkeit bewahrt und war als Hansestadt der wichtigste Umschlaghafen im Osten geworden. Sie hatte der Macht so mancher Fürsten widerstanden, genauso wie dem Ansturm der Tataren und der Schweden. Auch der machtgierige Deutschritterorden war von Alexander Newsky auf dem Eise des Peipussees besiegt worden.
Eine Fahrt nach Nowgorod war sehr beschwerlich. Sie war es auch für die Mannschaft der »Maria Anna« gewesen, aber alle Mühen und Anstrengungen waren schnell vergessen, als man die farbenfrohen, seltsam geformten Kirchenkuppeln erblickte, die mächtige Stadtmauer und die kunstvollen Holzhäuser sah und vor allem die Menschen betrachtete. Die Männer trugen lange Bärte und farbige Röcke, die ihnen bis auf die Schuhspitzen reichten, die Krieger schmückten sich mit glitzernden Rüstungen und prächtigen Schutzschilden, und die Frauen flanierten in langen bunten und bestickten Kleidern durch die Straßen. Die Stadt schien überaus reich und mächtig zu sein. Von hier aus führten die Handelswege vom Norden Europas bis zum fernen Asien, zu den Ländern des Kaukasus, nach Persien und zum Schwarzen Meer.
Mehr als zwei Wochen waren Klaus, Goedecke und die übrigen Schiffsleute in dieser Stadt geblieben, hatten ihre Beute vertauscht oder verkauft und hatten dann die Heimreise angetreten, mit Kurs auf Lübeck. An Bord lagerten nun russische Pelze, Seidenstoffe, Spezereien und Teppiche aus dem Morgenland, Waffen und Handwerkszeug sowie Fässer mit Bier und
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Buchvorschau
Verliebt und vogelfrei - Gloria von Felseneck
Klaus Störtebeker
– 4–
Verliebt und vogelfrei
Er war an kein Gesetz gebunden. Er gehorchte einzig seinem Wissen. Eine Frau als blinder Passagier wurde zum Problem ...
Gloria von Felseneck
»Wer vermag gegen Gott und Nowgorod?« Dieses im ganzen nördlichen Raum bekannte Sprichwort machte allen Seefahrern und Kaufleuten klar, welches große Ansehen diese Stadt in der ganzen Welt hatte. Sie hatte sich im Gegensatz zu Kiew ihre Selbständigkeit bewahrt und war als Hansestadt der wichtigste Umschlaghafen im Osten geworden. Sie hatte der Macht so mancher Fürsten widerstanden, genauso wie dem Ansturm der Tataren und der Schweden. Auch der machtgierige Deutschritterorden war von Alexander Newsky auf dem Eise des Peipussees besiegt worden.
Eine Fahrt nach Nowgorod war sehr beschwerlich. Sie war es auch für die Mannschaft der »Maria Anna« gewesen, aber alle Mühen und Anstrengungen waren schnell vergessen, als man die farbenfrohen, seltsam geformten Kirchenkuppeln erblickte, die mächtige Stadtmauer und die kunstvollen Holzhäuser sah und vor allem die Menschen betrachtete. Die Männer trugen lange Bärte und farbige Röcke, die ihnen bis auf die Schuhspitzen reichten, die Krieger schmückten sich mit glitzernden Rüstungen und prächtigen Schutzschilden, und die Frauen flanierten in langen bunten und bestickten Kleidern durch die Straßen. Die Stadt schien überaus reich und mächtig zu sein. Von hier aus führten die Handelswege vom Norden Europas bis zum fernen Asien, zu den Ländern des Kaukasus, nach Persien und zum Schwarzen Meer.
Mehr als zwei Wochen waren Klaus, Goedecke und die übrigen Schiffsleute in dieser Stadt geblieben, hatten ihre Beute vertauscht oder verkauft und hatten dann die Heimreise angetreten, mit Kurs auf Lübeck. An Bord lagerten nun russische Pelze, Seidenstoffe, Spezereien und Teppiche aus dem Morgenland, Waffen und Handwerkszeug sowie Fässer mit Bier und Wein und getrocknetem Fisch. Anfangs hatte eine steife Brise ihre Fahrt begünstigt, doch dann war das Meer immer ruhiger geworden, viel zu ruhig, so als würde es schlafen.
Für die Mannschaft war die Flaute Anlaß genug, längst fällige Ausbesserungsarbeiten an Segeln und Tauen vorzunehmen oder einfach nur an Deck herumzulungern, zu faulenzen und dabei Kräfte für den nächsten Kampf zu sammeln.
Klaus fluchte jedoch über das Wetter und die andauernde Windstille.
»So kommen wir nicht in Fahrt«, stellte er an diesem Abend seufzend fest und blickte zu Goedecke, der lang ausgestreckt auf seinem Strohsack lag. »Die Segel hängen so schlaff herab wie Lämmerschwänze. Wenn das so weitergeht, werden wir wohl tagelang in dieser gottverdammten Gegend verbringen müssen, ohne weiterzukommen oder irgendwelche Beute zu machen.«
Der Kapitän gähnte laut und ungeniert und sagte dann spöttisch: »Es ist doch nicht das Meer allein, das dir Magendrücken bereitet, sondern vor allem der neue Steuermann. Ich verstehe gar nicht, was du gegen den Kerl hast.«
Klaus, der bis jetzt unruhig in der Kajüte hin und her gegangen war, blieb abrupt stehen und erwiderte zornig: »Ich kann dir genau sagen, was ich gegen diesen Burschen habe. Er mag ja ein tüchtiger Seemann sein, und jung und kräftig ist er auch, aber er ist so falsch wie ein Fuchs und wird uns viel zu schaffen machen, wenn wir nicht auf ihn aufpassen.«
»Wir??« dehnte Goedecke sichtlich verärgert. »Du meinst doch nur mich, denn du wirst in Kürze dein eigener Herr sein, willst ja selbst ein Schiff führen.«
»So war es ausgemacht, Goedecke, vor Jahr und Tag schon, damit wir uns gegenseitig zur Hilfe kommen können, wenn es mal brenzlig wird. Und mit diesem Karsten Studer wird es irgendwann einmal brenzlig, mit dem wirst du nur Verdruß haben, das sage ich dir heute schon.«
»Du siehst Gespenster und redest dir etwas ein. Die Männer mögen ihn, weil...«
»... weil er ihnen zum Munde redet, jetzt noch«, unterbrach Störtebeker seinen Freund. »Bald wird er Zwietracht säen, wird die Leute gegeneinander aufhetzen und dich um dein Schiff und vielleicht sogar um deinen Kopf bringen, Goedecke.«
»Ach was! Die Leute stehen zu mir, da kann kommen, was will. Die werden sich von so einem jungen Spunt nicht aufwiegeln lassen. Aber so weit kommt es nicht. Ich werde ihm schon auf die Finger schauen, wenn es dich beruhigt, Klaus.« Goedecke gähnte noch lauter, drehte sich dann auf die andere Seite und brummte dann noch: »Leg dich auch hin, Klaus. Vielleicht frischt die See bald auf. Dann sind wir binnen weniger Tage in Lübeck.«
Störtebeker fluchte leise vor sich hin, während nun auch zu seinem Lager ging. Er befreite sich von Wams, Hosen und Stiefeln, legte sich behaglich und zog eine Felldecke über sich. Seelenruhig schlafen oder gar schnarchen wie Goedecke konnte er allerdings nicht. Viel zuviel ging in seinem Kopf herum, was ihm Sorgen machte. Warum nur erkannte sein Freund nicht, daß der neue Steuermann hinterhältig und nur auf sich selbst bedacht war? So einer hatte auf dem Schiff von Goedecke Micheel und Klaus Störtebeker nichts zu suchen – weiß Gott nicht. Aber er, Klaus, hatte nicht das Recht, den zwielichtigen Neuzugang im nächsten Hafen von Bord zu weisen, das konnte nur der Kapitän des Schiffes.
Und da er, Klaus, an dieser Situation nichts ändern konnte, beschäftigte er sich in Gedanken mit seinem Schiff, mit seiner Kogge, die zur Zeit für Klaus Derenborg in Lübeck gebaut wurde und »Sancta Barbara« heißen sollte. So hatte er es jedenfalls damals gesagt, als er den Bau des Schiffes in Auftrag gegeben hatte. Er hatte sich jedoch schon längst einen anderen Namen überlegt, einen, der viel besser zu ihm und seinem Handwerk paßte – »Roter Teufel«.
Klaus lächelte ein wenig, auch über sich und seine Schwäche, sich allzu gern ein scharlachrotes Wams, ebensolche Hosen und rotbraune Stiefel anzuziehen. Ja, »Roter Teufel« war ein vortrefflicher Name. Wenn das Schiff erst Lübeck verlassen hatte, dann würde er Heiligland ansteuern und dort die Namensänderung vornehmen lassen.
Hoffentlich gelang es ihm bald, eine gute Mannschaft anzuheuern. Wackere Burschen sollten es sein, die mit ihm durch dick und dünn gingen und sich weder vor dem Tod noch vor dem Teufel fürchteten.
Klaus fielen nun doch die Augen zu, er bemerkte kaum noch, daß Wind aufkam und die Segel blähte, er dachte nur: Bald sind wir in Lübeck, und dann werde ich endlich mein Schiff sehen.
Als er am nächsten Morgen erwachte, war die »Maria Anna« schon ein gutes Stück vorangekommen, und somit war das Ärgste, was einem Seemann passieren konnte – die völlige Windstille – nicht eingetreten.
*
»Was willst du?« Goedecke Micheel, der auf einem leeren Bierfaß gesessen und das Meer beobachtet hatte, richtete sich zu imponierender Größe auf und traktierte den vor ihm stehenden Gerd Windmaker mit wütenden Blicken.
Der Waffenmeister ertrug den Zorn des Kapitäns mit vorgetäuschtem Gleichmut und wiederholte: »Ich will mit Klaus gehen, wenn er in Lübeck sein Schiff zu Wasser läßt. Du hast gute Leute, Kapitän, aber Klaus muß sich diese erst suchen. Ich möchte ihm zur Seite stehen.«
»Er hat dich abgeworben, der falsche Hund!«
»Das habe ich nicht.« Klaus Störtebeker war lautlos zu den beiden getreten, legte nun eine Hand auf Windmakers Schulter und setzte nachdrücklich hinzu: »Ich werbe dir nicht die Leute ab, Goedecke. Das habe ich nicht nötig. Wenn Gerd aber aus freien Stücken mit mir gehen will, dann freut es mich. Einen wie ihn kann ich brauchen.«
Diese Argumente milderten die Wut des Kapitäns nicht. Er hatte schlecht geschlafen und war so gereizt wie ein Stier, der das rote Tuch vor sich sieht.
»Ihr seid beide gegen mich«, brüllte er, schnappte sich den Waffenmeister, schüttelte ihn derb und stieß ihn dann zu Boden.
»Weshalb sollten wir gegen dich sein?« Störtebeker half Gerd beim Aufstehen und stellte sich dann schützend vor