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Milo - Geliebter Todesengel: Thriller
Milo - Geliebter Todesengel: Thriller
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eBook553 Seiten7 Stunden

Milo - Geliebter Todesengel: Thriller

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Über dieses E-Book

"Milo – Geliebter Todesengel" ist ein Action-Thriller, der den Leser atemlos durch die Seiten jagt. Ein Buch, das sich liest wie ein Film – rasant, actionreich und doch tiefgründig.
Ein deutscher Unternehmensberater rettet in San Francisco einer geheimnisvollen Frau namens Milo das Leben. Sie ist ein ehemaliges Mitglied der Yakuza. Der erste Kuss entfacht die große Liebe in ihm.
Um sich von den Dämonen seines Vaters, die ihn heimsuchen, zu befreien, gibt er für sie sein bisheriges Leben auf.
Er ist wie besessen von ihr und lässt sich von ihr ausbilden.
Beide geraten ins Visier des organisierten Verbrechens. Sie erhalten einen Auftrag, der sie nach Tokio lockt und durch den sie in ein echtes Inferno stolpern. Gemeinsam stellen sie sich dem ultimativen Kampf ...
"Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Mit diesem Buch schreibe ich nicht nur die gemeinsamen Erlebnisse der letzten Jahre nieder, sondern versuche verzweifelt, den "Bruder" wiederzufinden, der mir alles bedeutet." – M.E. Fiend
SpracheDeutsch
Herausgebermainebook Verlag
Erscheinungsdatum18. Apr. 2018
ISBN9783947612109
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    Buchvorschau

    Milo - Geliebter Todesengel - M.E. Fiend

    Erden.

    1 – San Francisco, Montag, 6. Februar 2012

    Ich hasse Montage. Vor allem, wenn ich diesen Tag in einem miesen Zwei-Sterne-Kabuff mit knapp zehn Quadratmetern Wohnfläche beginnen muss. Da hilft es auch nichts, dass dieses Hotel in einer so geilen Stadt wie San Francisco steht. Das Ergebnis ist dasselbe.

    Hass. Hass auf den Job.

    Ich schalte das Licht im Badezimmer ein. Eine schmierige Deckenleuchte schießt das gelbliche Licht auf die verdreckten Fliesen. Der vergilbten Kloschüssel fehlt die Brille. Daneben ein kleiner schimmeliger Badezimmerschrank mit Spiegel. Gegenüber die Dusche. Ich schiebe den grauen Badevorhang zur Seite und stelle mich unter den verkalkten Duschkopf.

    Ich lasse das Wasser über mich rieseln und zähle die schwarzen Flecken der Badewanne. Warum mache ich diesen Mist überhaupt? Keine Liebe. Selbsthass.

    Ich stelle die Temperatur so kalt, wie ich es gerade noch ertrage. Einsamkeit. Keine Freunde.

    Jeden Morgen dasselbe Theater.

    Ich grapsche nach der Seife, sie rutscht mir aus der Hand, ich rutsche beim Aufheben fast aus.

    Warum kündige ich nicht? Keine Freude.

    Keine Antworten auf belanglose Allerweltsfragen. Egal. Beschwerden sind sinnlos.

    Damit keine falschen Vorstellungen entstehen, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich Deutscher bin. Die gute Laune ist demnach anerzogen. Ich komme aus München, heiße Marcus Wirtmann, bin unter dreißig und noch nicht tot. Juchhu!

    Ich bin Unternehmensberater bei der SAP Deutschland GmbH & Co. KG. Klingt spannend? Ist es aber nicht.

    Der Kunde kauft Softwaremodule und ich unterstütze ihn in den Bereichen der Beschaffung und Logistik, um diese Geschäftsprozesse weitestgehend zu optimieren. Schon eingeschlafen? Würde mich nicht wundern. Beim Versuch, jemandem mein Berufsbild zu erklären, habe ich selbst Probleme, nicht zu gähnen.

    Bei Frauen kann man mit solchen Geschichten ohnehin nur bedingt landen. Müssen wohl die von mir verwendeten Fremdwörter als Zeichen eventuell vorhandener Intelligenz werten. Auf den Kopf gefallen bin ich vielleicht nicht, aber dennoch war das Studium für dieses Berufsbild meiner Meinung nach nicht notwendig.

    Durch den Job ist man jedoch viel unterwegs und bekommt einiges zu sehen. Trotzdem hasse ich den Job. Ich hasse ihn wirklich.

    Großer Gott! Das Spiegelbild schmeichelt mir nicht. Die Zeitverschiebung und der Schlafentzug hinterlassen bläuliche Sofakissen unter den mandelfarbenen Augen. Genervt starte ich die heute wohl länger andauernden Instandsetzungsarbeiten. Ich bin zwar kein Model, verstehe es aber dennoch, meine Vorzüge geschickt zu betonen. Zum Beispiel mit einem aalglatt rasierten Gesicht, einem Musterscheitel für die modisch geschnittenen braunen Haare und dem dazu passenden Outfit. Dann noch ein bisschen Selbstvertrauen auftragen und die Schale ist perfekt. Die Maske nervt. Doch leider gehört sie zum Beruf. Immer einen professionellen Eindruck beim Kunden hinterlassen.

    Als ich mir mühsam den letzten Rest Colgate aus der zerknautschten Zahnpasta Tube quetsche, kreischt mein Handy. Wie jeden Morgen nervt mich das teuflische Geschrille. Doch Beschwerden sind sinnlos. Schließlich habe ich den Wecker gestellt.

    Ich verfluche das Miststück, stolpere mit der bereits befeuchteten Zahnbürste im Mund aus dem Bad ins Nebenzimmer, schalte das Licht ein, bleibe unterwegs erst mit dem kleinen Zeh am Bett und dann mit dem Oberschenkel an der Kommode hängen.

    „Scheiße." Als mir die Bürste aus dem Mund fällt, fange ich sie mit der linken Hand und verteile die Paste auf Brust und Beinen. Weltklasse. Ich haue auf die Aus-Taste meines verdammten Telefons und halte mir den Fuß. Mit einem Kopfschütteln mustere ich das winzige Zimmer.

    Das Bett grenzt an den Schreibtisch. Und dieser fast an die gegenüberliegende Heizung. Das schätzungsweise zwanzig Jahre alte Inventar besteht aus dunkelbraunem Eichenholz, was die Schmerzen in meinem Bein intensiviert. Der Rest der Bude ist so modern wie das Mobiliar, sprich kein Zimmertelefon. Dass es sowas noch gibt … Dazu die fleckige, uralte, gelbe Tapete. Wann wurde hier das letzte Mal gestrichen? Na ja. Immer noch besser, als die durchgelegenen Kopfkissen. Ich meide den Blick in den Wandspiegel und schleppe mich über den mit Brandflecken verschönerten Teppichboden zu meinem Koffer.

    Müde kleide ich mich an. Schwarzer Anzug. Gelbe Krawatte. Einfallslose Berufskleidung ist immerhin eines der Dinge, über die sich ausgelaugte Unternehmensberater nicht beschweren müssen. Ich schließe den Hosenlatz und kippe eines der 0,2 Liter Whiskyfläschchen mit Johnny Walker aus meiner Notration den Rachen hinunter. Mein Miniaturfrühstück nimmt mir keiner.

    Im Erdgeschoss treffe ich Patrick Klahre, meinen Kollegen. Auch er ist müde. Die Augen stehen auf Halbmast. Im Gegensatz zu mir hat er aber noch die notwendige Motivation für diesen Einsatz.

    „Morgen! Na? Gut geschlafen?" Grinsend mustert er meine Erscheinung. Sarkastisch sind wir beide. In diesem Berufszweig wohl eine der notwendigen Charaktereigenschaften. Die Nacht war schlicht und ergreifend scheiße. Wie immer. Und das sieht er mir wohl auch an. Dreißig Minuten Schlaf sind hoch gegriffen. Den Rest verbrachte ich damit, die Decke anzustarren und zu saufen. Wie immer.

    Mit einem halbherzigen Lächeln erwidere ich die idiotische Frage mit einem „Halt dein Maul!"

    Kennengelernt haben wir uns vor zwei Jahren bei unserem letzten Projekt in Deutschland. Der AGCO Konzern. Automobilindustrie. Landwirtschaftsmaschinen, sprich Traktoren. Eine politische, achtzehn Monate andauernde Katastrophe. Ein schier endloser Kampf gegen Konkurrenzfirmen, die unsere Software um jeden Preis vom Spielplatz drücken wollten. Und sie gewannen. Leider. Unsere Lösung wurde eingestampft, soll heißen abgelehnt, doch die SAP, unser glorreicher Arbeitgeber, stand dank unseres bravourösen Einsatzes in einem guten Licht, da das Projekt ohne unsere Beteiligung komplett in die Hose ging. Die Software der Konkurrenz sah nie das Tageslicht, die Prozesse wurden vollkommen falsch abgebildet. Wie wir es voraussagten. Die Strapazen in diesen Monaten, die unendlich langen Arbeitstage, der damit verbundene, übermäßige Alkoholkonsum und natürlich der Kunde selbst haben uns in den Wahnsinn getrieben und zusammengeschweißt. Und außer einer mickrigen Gehaltserhöhung haben wir nichts abgekriegt. Für uns war das kein Problem. Die eigentliche Belohnung ist die Tatsache, dass unsere Vorgesetzten uns aufgrund dieses Erfolges seither im Doppelpack zu den haarsträubendsten Einsätzen in aller Welt entsenden.

    Der Anzug steht ihm. Patrick ist in Blau mit schwarzer Krawatte unterwegs. Beide tragen wir ein weißes Hemd. Business Look. Akkurater Seitenscheitel im kurz geschnittenen schwarzen Haar. Wie aus dem Ei gepellt.

    „Na dann setzen wir uns doch mal ins Restaurant, sagt Patrick und schüttelt den Kopf. „Oh, stimmt. Es gibt ja gar keins, verarscht er mich, da ich es war, der das Hotel ausgesucht hatte.

    „Ja, du mich auch." Patrick ist ein Idiot, aber er hat recht. Das Hotel-restaurant besteht aus einem Tisch mit zwei Stühlen und einem rostfarbenen Blechtablett mit darauf ausgebreiteten Häppchen in der Eingangshalle.

    Entnervt mustere ich das jämmerliche Frühstücksbuffet. In Folie eingeschweißte Croissants und etwas, das aussieht wie die Kopie einer Rosinenschnecke. Ebenfalls in Folie. Frustriert setze ich mich zu ihm.

    Skeptisch beäuge ich das Areal. Der geflieste Boden ist schmuddelig und abgewetzt. Die Tapete gelb. Schon wieder. Tische und Stühle verkratzt. Zwei-Sterne-Luxus eben. Von meinem Stuhl aus kann ich durch die Glastüren die Straße sehen. Patrick mustert den Typen, der sich neben dem Rezeptionstresen versteckt.

    Dort steht ein untersetzter, glatzköpfiger Mann im weißen Unterhemd, das sich über den Bierbauch spannt. Könnte Koreaner sein. Von der Hautfarbe her würde es passen. Die Augen springen zwischen Patrick und mir hin und her. Wir müssen aussehen, als kämen wir von einem anderen Planeten. Fast richtig.

    „Wir hätten ins Mariott gehen können, meint Patrick, nachdem er seine Musterung beendet hat und unsere kläglichen Frühstücksreste begutachtet. „Die Firma zahlt es doch. Ich schüttele den Kopf. „Fünf Sterne, Marcus. Er hebt die Hand. „Fünf Sterne. Pool. Anständiges Essen und … Ich falle ihm ins Wort.

    „Patrick. San Jose liegt am Arsch der Welt. Es ist mir einfach zu blöd, den halben Tag im Auto zu verbringen. Dieses Mal werden wir unseren Aufenthalt genießen, mein Freund. Verlass dich drauf."

    Er grinst. Meine Worte kommen an. Ich lächle das erste Mal an diesem Tag. „Das Nachtleben ruft."

    Patrick schüttelt den Kopf. „Aber warum ausgerechnet diese Absteige in Tenderloin? Hier ist es nicht sicher. Und warum stinkt das gesamte Haus nach chinesischem Essen?"

    Ich beiße in das staubige Croissant und huste, weil ich die Antiquität in die Lunge bekomme.

    „Ich hab dir doch gesagt, dass nichts anderes mehr frei war. Die Aktion war zu kurzfristig. Du hast doch auch nicht gedacht, dass wir … Ich suche nach Worten. „… nach dem letzten Zwischenfall nochmal hierher kommen dürfen.

    Patrick schmunzelt. „Zwischenfall also, aha."

    „Mund zu."

    Das Schmunzeln wird zu einem Lächeln. Er hebt die Hände und formt Gänsefüßchen. „Zwischenfall. Das Lächeln wird breiter. „Interessante Umschreibung.

    „Du sollst die Klappe halten."

    Er grinst wieder und sieht auf die Uhr. „Halb acht. Shit. Wir müssen los." Wir kippen hastig die lauwarme Kaffeeplörre runter, das bisschen Koffein muss sein, verlassen das vereinsamte Restaurant, holen unsere Rollköfferchen mit den Laptops, lassen uns ein Taxi von dem missmutigen Koreaner rufen und fahren zum Workshop bei einem unserer größten Kunden.

    Im Taxi stiert Patrick durch die schmutzigen Autofenster. Bei unserem letzten Aufenthalt vor zwei Wochen hatten wir keine Gelegenheit gehabt, das Zentrum San Franciscos bei Tageslicht zu sehen – Achtzig-Stunden-Wochen sind in unserem Job nichts Außergewöhnliches.

    Er ist begeistert. „Ich liebe den viktorianischen Baustil. Er zeigt auf die grauen, schmalen Reihen- und Mehrfamilienhäuser mit romantischen Feuerleitern an jeder verdammten Hauswand. „Viele von denen haben das große Beben 1907 nicht überstanden. Er hebt die Hände. „Die sind zum Großteil sogar noch aus Holz und werden deswegen auch für das Stadtbild erhalten. Das Cadillac Hotel zum Beispiel … Ich reibe meine Augen. Wieder hat er sich irgendeine zusammenhanglose Scheiße zusammengedoktert, um am Abend irgendwelche Frauen zu beeindrucken. Ich lächle ihn an. Er grinst und hört auf zu labern. Er weiß, dass mich dieser Mist nicht interessiert. Nicht falsch verstehen. Die Häuser sind in Ordnung und versprühen ein gewisses Flair. Sein Faible für alte Gemäuer hingegen kann ich leider nicht teilen. Weitere Drohungen. „Am Wochenende werde ich dich überall hinzerren. Er zählt meine Torturen auf. „Zum Nob Hill, zum …"

    „Wohin?"

    „Zum Nob Hill."

    „Gibt’s dort Alkohol?"

    Er reißt die Augen auf und sieht wieder auf seine Uhr. „Es ist kurz vor acht! Wie kannst du jetzt schon ans Saufen denken? Dort steht die Grace Cathedral, du Banause!"

    Ich pruste. „Warum verdammt nochmal willst du mich in eine Kirche ziehen? Ich will mit dir feiern."

    „Dazu werden wir schon noch Gelegenheit haben. Krieg dich wieder ein. Er dreht sich um und sucht die Orientierung. Wir biegen auf die Hauptstraße ein. „California Street? Dann müsste … Oh Gott! Er packt mich am Kinn und dreht meinen Kopf nach links. „Los! Sieh sie dir an! Ich sehe eine Kirche. Wird wohl Patricks Kathedrale sein. Eine graue, alte, etwa dreißig Meter hohe Kirche inmitten von noch höheren, grauen, zwanzig Stockwerke hohen Blockhäusern aus Beton. „Geil.

    „Ja. Jaja, ja. Ist doch okay. Ich sehe es. Sieht hübsch aus. Danke."

    Die Empörung ist groß. „Hübsch? Das Ding wurde 1850 erbaut. Etwas mehr Respekt. Ich schüttele den Kopf. „Hast du gewusst, dass die dort drinnen ein Labyrinth auf dem Boden haben, das zur Meditation genutzt wird? Genervt sehe ich ihn an. Gleich drehe ich ihm den Hals um. Er sieht an mir vorbei durch das Fenster. „Oh, sieh mal. Der Huntington Park." Ich lache. Der Mensch ist einfach unglaublich. Jetzt fasziniert ihn schon das Grünzeug. Als ob wir davon im Schwarzwald nicht genug hätten.

    „Warum weißt du all diesen Scheiß?"

    Er feixt. „Ich bereite mich halt vor. Ein solches Stadtbild ist einmalig in der Welt und ich möchte diese Dinge einfach mitnehmen."

    Schon klar. „Ich weiß genau, worauf du dich vorbereitest und was du mitnehmen möchtest. Beim Wort „was hebe ich die Hände und forme nun ebenfalls Gänsefüßchen. Unschuldig hebt er die Schultern. Wusste ich es doch.

    Der Fahrer überholt ein Taxi und fährt auf die Schienen. Wir fahren direkt hinter einem Cable Car, der Straßenbahn in San Francisco. Innerlich zähle ich bis drei. Nur eine Frage von Sekunden, bis auch dieses Ereignis kommentiert wird.

    „Dafür ist die Stadt übrigens auch berühmt." Tiefes Seufzen meinerseits. Durchatmen. Lass ihm die Freude.

    „Aha."

    „Nein ehrlich. Lass uns am Wochenende mit den Dingern nach Norden fahren."

    „Aha." Ich sehe ihn an.

    „Du kannst von den Teilen aus über ganz San Francisco und über die Bucht bis nach Alcatraz sehen."

    „Aha."

    Er grinst. „Das wird dir gefallen."

    Ich grinse. „Aha."

    „Interessiert dich einen Scheißdreck, oder?" Ich nicke. Er winkt ab. Straßenbahnen haben wir, weiß Gott, auch in Deutschland. Nur dass die etwas zugerußter sind als diese dunkelgelbe Bummelbahn aus den späten Siebzigern.

    Jetzt wird es interessant. Meine Augen weiten sich. Als wir über den nächsten Hügel ins Tal Richtung Stadtzentrum fahren und der Cable Car endlich aus unserem Sichtfeld verschwindet, erspähen wir die ersten Wolkenkratzer. Die Straßen werden belebter. Die Menge an Fußgängern größer. Der Verkehr dichter. Die Gebäude höher. Die Holzhäuser weniger. Mit einem Schmunzeln betrachte ich die aufgetakelten Damen in den High Heels, Pumps und Stiefeletten. Dann die ersten Cops in ihren schwarzen Uniformen mit den ebenfalls schwarzen Sonnenbrillen. Die ersten Häuser mit chinesischen Pagodendächern.

    Jetzt übermannt selbst mich die Neugier. „Genial. Ist das Chinatown?"

    Patrick kennt selbstverständlich die Antwort. „Nein. Das ist weiter im Süden. In der Nähe unseres Hotels."

    „Ah, okay."

    „Dort wohnen übrigens überwiegend Vietnamesen und nicht Chinesen, wie viele denken."

    Ich schluchze und flehe ihn an, den Informationshahn zu schließen. „Warum erzählst du mir das alles? Heb dir das für die Weiber heut Abend auf."

    Wir lachen. Der Taxifahrer haut uns in kalifornischem Slang an.

    „Ich parke um die Ecke. Hier kann ich nicht halten." Patrick und ich nicken uns zu. Die hundert Meter bringen uns nicht um. Er biegt nach rechts ab und hält wegen des Verkehrs erst zweihundert Meter später vor der Sushi Bay, einer Sushi-Bar. Uhrencheck. Die Fahrt dauerte nur zehn Minuten.

    „Siehst du!, sage ich. Ich steige aus und schlage schwungvoll die Tür zu. Heute zahlt er das Taxi. Als er mich verständnislos ansieht, ergänze ich: „Keine einstündigen Taxifahrten mehr.

    Auf dem Weg überwältigen uns die Eindrücke. Hier tobt das Leben. Überall Wolkenkratzer. Knallrote Busse, an denen sich die unzähligen Autos vorbeiquetschen. Eine vieltausendköpfige Menschenmenge schiebt sich langsam voran. Unzählige Werbetafeln, die uns Cola Zero oder den neuen Nike-Schuh AX-Irgendwas ans Herz legen. Eine ohrenbetäubende Mixtur aus Autohupen und dem Kreischen der Straßenhändler, die aus allen Richtungen über uns herfallen. Schmuck und Uhren. Natürlich im Sonderangebot. Patrick und ich winken ab. Im Sekundentakt.

    „Alles Fälschungen!"

    „Selbstredend, entgegne ich. Bunte Perlenketten aus Kunststoff hängen den Händlern dutzendfach um ihre Hälse und Arme. Grün, pink, blau, weiß, ja sogar braun. „Das Zeug könnte selbst ich zusammenbasteln.

    Die wohlhabenderen, unrasierten Gauner breiten die Kunstobjekte auf braunen, filzigen Wolldecken aus. Zu dem ohnehin lauten Klangteppich gesellt sich eine vierköpfige Gruppe aus Straßenmusikern, die auf Panflöten El condor pasa zum besten geben und russische Emigranten, die virtuos Kalinka oder traurige Weisen aus ihrer Heimat spielen. Der Anteil an Autoabgasen ist so hoch, dass mir Tränen in die Augen schießen. Hinzu kommt eine atemberaubende Mischung aus verdorbenem Fisch, Unrat und Fäkalien, die aus unklarer Richtung immer wieder in meine empfindliche Nase sticht. Und das Wichtigste? Hübsche Frauen. Stöckelschuhe jedweder Farbe tapsen in rauen Mengen an uns vorbei. Hochgesteckte blonde Haare. Enge, graue, rote und weiße Kostüme. Teilweise in Hosen, teilweise in den viel grazileren Röcken. Emanzipierte, aufgetakelte Damen auf dem Weg zur Büroarbeit. Von den mittleren Zwanzigern bis zu den mittleren Vierzigern ist alles dabei. Patrick und ich erhaschen vereinzeltes, wohlportioniertes Lächeln. Zufrieden sehen wir einander an. Perfekt. Unser Versprechen für den Feierabend. Die entsprechenden Lokalitäten wie Bars und Nachtclubs haben wir in Deutschland vorab gecheckt. Internet sei Dank. Die Hoffnung, wenigstens diese Woche abends mit Patrick auf Tour zu gehen, nachdem es das letzte Mal nicht geklappt hatte, hält mich beisammen.

    Mit Patrick lässt es sich gut aushalten. In den letzten Monaten ist er mir ein guter Freund geworden. Dank der beschissenen Arbeit allerdings auch mein einziger, nachdem auch der letzte Rest meines ohnehin schon verkümmerten Freundeskreises aus verständlichen Gründen jegliche Versuche, den sozialen Kontakt zu mir aufrecht zu erhalten, aufgegeben hat. Patrick hingegen teilt mein Leid. Und meine Leidenschaften. Die Abendbierchen an den Hotelbars mit ihm tun mir gut und lenken mich von meinem Frust ab, soweit es überhaupt möglich ist. In letzter Zeit benötige ich die flüssige Ablenkung immer öfter. Keine Ahnung, woran das liegt. Kann einen in den späten Zwanzigern eine Midlife-Crisis erwischen? Müsste ich mal googeln.

    Mit unseren Rollköfferchen gehen wir auf das ultramoderne Bürogebäude unseres Kunden zu. Ein Betonklotz, der mindestens dreißig Stockwerke in den Himmel ragt. Unzählige Fenster. Vier verkümmerte Fichten, die den Vorplatz verzieren. Drumherum weitere Betongiganten. Ein imposantes Bild. Und der Kunde kann sich das offensichtlich leisten. Warum? Banken bunkern Geld. Banken wissen nicht, wohin damit. Nur sind Banken leider alles andere als bequeme Kunden. Besonders nicht die United States Bank of America. Daher sind wir uns auch der Bedeutung bewusst, die mit diesem Workshop einhergeht.

    Für diejenigen, die mit meinem Fachjargon nichts anfangen können, eine kurze Erklärung: Ein Workshop ist eine Ansammlung von hochrangigen Entscheidungsträgern, deren einzige Aufgabe es ist, uns arme Unternehmensberater an den Rand des Wahnsinns zu treiben, da wir der Ursprung allen Übels auf diesem Planeten sind.

    „Na, aufgeregt?" Wie auch beim letzten Mal drückt Patrick den Knopf für den zehnten Stock und grinst.

    „Nein. Nervös bin ich wirklich nicht. Dazu fehlt mir der nötige Respekt vor dieser Aufgabe. Gut vorbereitet bin ich dennoch. Man soll mir nicht vorwerfen, dass ich meine Arbeit nicht ernstnehme. So sehr ich sie auch hasse. „Warum auch? Wir werden schließlich gut dafür bezahlt, uns anschreien zu lassen.

    Patrick kichert. Er weiß, wie er mich zu nehmen hat. „Stell dich nicht so an. Sind doch nur zwei Wochen."

    Ich verdrehe die Augen. „Okay. Kopfrechnen. Zwei Wochen. Also schätzungsweise einhundertsechzig halsbrecherische Stunden, in denen ich unsere halbgare Software hemdsärmelig durchboxen darf."

    Im Grunde sollte ich diesen Gedanken für mich behalten, denn Patrick ist ein hoffnungsloser Optimist. Seinen erstaunlichen Arbeitseifer darf und will ich ihm nicht nehmen. Dabei haben wir vor ein paar Jahren fast zeitgleich bei der SAP angefangen. Wir präsentieren nur unterschiedliche Programmbausteine unseres Arbeitgebers. Konkurrenten sind wir daher nicht. Die eigentliche Konkurrenz sitzt oben und wartet nur darauf, unser Produkt in Zusammenarbeit mit dem Kunden in einer epischen Schlammschlacht gnadenlos zu zerreißen. Der Masochist in mir vollführt einen Luftsprung.

    „Also, ich bin da relativ entspannt."

    „Ja du Penner kannst das ja auch. Deinen Scheiß haben sie ja mehr oder weniger schon abgesegnet." Haben sie tatsächlich. Letzte Woche leitete er mir die Mail weiter, in der stand, dass sie nur noch ein paar letzte Fragen hätten und im Grunde rundum zufrieden seien.

    „Komm. Leg heut eine Bombenshow hin und die Sache ist gegessen."

    Ich stöhne.

    Es ist komisch. Meine Ansichten über das Leben und die daraus resultierenden Pflichten verwandeln die Welt um mich herum mehr und mehr in ein ödes Grau. Keine Übertreibung. Das Wort Halluzination beschreibt es am besten. Als sich die Aufzugtüren öffnen, scheint mir, als hätte ein böser Hausgeist sogar die Pflanzen in den Kübeln, wie man sie überall auf der Welt in derartigen Empfangsbereichen findet, mit einem hässlichen Bleistiftgrau besprüht. Verwirrt reibe ich meine Augen.

    „Alles in Ordnung?" Patrick schaut mich besorgt von der Seite an. Wie rührend.

    „Ja. Jaja, alles bestens."

    „Machst du dir jetzt schon in die Hosen?" Wieder bringt er mich zum Lachen.

    „Was bitte ist dein verdammtes Problem?"

    „Ich mein ja nur. Wär ja nicht das erste Mal." Eine weitere Anspielung auf meinen letzten Auftritt, bei dem ich zugegebenermaßen aus allen Poren triefte.

    „Oh Gott, fängst du jetzt schon wieder damit an. Ich hab mir nicht in die Hosen gemacht. Mir war einfach nur heiß." Er zuckt mit den Schultern.

    „Also ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der an der Beininnenseite dermaßen schwitzt." Ich schüttele den Kopf.

    „Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?", unterbricht uns die Empfangsdame. Patrick kennt die Antwort.

    „Einen wunderschönen guten Morgen. Die Firma SAP. Wir haben um neun einen Termin." Mit einem dicken Grinsen legt er lässig den Arm auf die Theke. Der Flirt beginnt. Er kann es nicht lassen. Sie trägt eine gut sitzende graue Uniform. Und sie nimmt sich verdammt viel Zeit. Ist wohl neu im Job. Anfang Zwanzig. Das kurze blonde Haar streng zurückgekämmt. Graue Augen. Viel zu viel Maskara, Rouge, der Lippenstift zu rot. Sie gleicht dem Einheitsbild einer Lufthansa-Stewardess. Ansonsten ein hübsches, junges Ding. Abgesehen von der Uniform natürlich.

    Patrick versucht wie immer sein Glück. Ich unterdrücke ein Lachen und verfolge das Schauspiel.

    „Schön haben Sie es hier." Der gute alte Augensex zieht meistens. Bei ihr jedoch nicht.

    „Danke schön." Sie reagiert professionell, vermeidet den Augenkontakt und zieht die Brauen hoch. Ich wechsle ins Deutsche.

    „Patrick, lass es. Die ist nicht interessiert." Ihre Körpersprache ist eindeutig. Doch er winkt nur ab.

    „Kommen Sie von hier?" Patrick bleibt hartnäckig. Doch zu seinem Pech ist ihr Lächeln beruflicher Natur, denn die Antwort auf die Frage bleibt leider aus. Prompt spricht sie uns in Deutsch an und lächelt.

    „Hören Sie auf Ihren Kollegen. Hier sind ihre Ausweise. Nehmen sie den Aufzug auf der linken Seite. Einundzwanzigster Stock, Raum Redwood."

    Ich sehe zur Decke. Autsch. Das ist hart. Gegönnt hätte ich es ihm. Ich klopfe ihm aufmunternd auf die Schulter. Er nimmt es mit Galgenhumor.

    „Verkneif dir deinen Kommentar."

    Ich baue ihn auf.

    „Heute Abend, Patrick, denk dran. Und noch einmal: „Heute Abend. Meine Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Er strahlt zurück.

    „Ja, heute Abend, Marcus."

    „Das ist mein Junge, wie ich ihn kenne!"

    Als wir den Lift verlassen, fällt ihm die Kinnlade herunter.

    „Was ist?" Dann sehe ich es auch. Grund seiner Faszination ist die Aussicht aus dem Fenster. Für ihn ein imposanter Anblick. Bei unserem letzten Auftritt hatten wir ja mehr oder weniger im Keller gesessen.

    Patrick ist wieder einmal in seinem Element. Der Finger springt in alle Richtungen. „Wahnsinn. Schau mal, die San Francisco Bay. Und die San-Mateo-Brücke. Er zückt das iPhone. „Sieh mal die Hochhäuser. Durch die Sonne sieht es aus, als würden die Fenster brennen. Das ist Patrick. Der Typ ist einfach ein Knaller. Er kann sich stundenlang alte Steine und fließendes Wasser ansehen. Ungelogen. Erst im Herbst letzten Jahres waren wir in Budapest, Ungarn. Während er sich das Schloss ansah, ging ich ins benachbarte Restaurant und hob zwei, drei, zehn Biere. Als ich eine geschlagene Stunde später zurücktorkelte, sah er sich noch immer dasselbe Gebäude an und schoss Fotos.

    Ich stelle mich vor das Fenster und versuche ihn zu verstehen. Keine Chance. Ich finde nur die Smogschicht zu unseren Füßen, dreckiges Meerwasser und ein graues Betonmonster namens San Mateo, das sich über den Fluss zieht. Doch Patrick will seine Begeisterung mit mir teilen. Und das weiß ich zu schätzen. Es hebt meine Laune.

    „Geil, oder?" Ich sage, was er hören will.

    „Super."

    Er schießt mindestens tausend Fotos. „Ist doch geniales Wetter. Blauer Himmel. Keine einzige Wolke. Kein Nebel. Mann, wir sind wieder hier. Lach doch mal, du Pfeife." Ich lache.

    „Ja, ist ja gut. Mach hin. Es geht gleich los." Ein letztes Gemeinschaftsfoto.

    „Komm her." Wir stellen uns vor das Fenster. Er streckt den linken Arm mit dem Handy aus und umarmt mich mit dem Rechten. Klick. Diesen Deppen muss man einfach mögen.

    Lange genießen können wir die Aussicht nicht, denn die Lokalität für unseren Workshop, Raum Redwood, ist ein schmales, fensterloses Zimmer. Verdammt.

    „Super. So viel zur Aussicht. Vielleicht halten sie uns für Vampire." Über einen solchen Mist rege ich mich allerdings schon lange nicht mehr auf. Mal sehen, wie es weitergeht.

    Ich schalte das Licht ein. Die grauen Kunststofftische sind u-förmig um den Overheadprojektor angeordnet. Immerhin müssen wir den nicht erst organisieren. Keine Selbstverständlichkeit. Der Boden grau. Die Wände grau. Dort, wo normalerweise die Fenster sind, wurden graue Spanplatten eingesetzt. Unbequeme Plastikstühle mit Stahlfüßen. Der Kunde ist demnach nicht nur wohlhabend, sondern auch noch geizig. Kein gutes Zeichen. Missmutig bereiten wir unsere Laptops auf die Präsentation vor.

    „Mann, ist das eine Luft hier drin." Patrick wedelt mit der Hand vor dem Gesicht.

    „Mach doch das Fenster auf. Wir grinsen beide. Das Grinsen der Verzweifelten. Das Blödeln beginnt. Ich setze nach. „Stell dich nicht so an, Patrick. Wir sind doch nur zwei Wochen in dieser Dunkelkammer!

    „Du kannst mich mal!" Ich breche in Lachen aus.

    „Wenigstens muss ich mir nicht den ganzen Tag deine hässliche Fresse ansehen!" Jetzt schießen mir diese ganzen Brüller in den Kopf. Und mein Partner lacht mit.

    Die Witzeleien helfen und lockern uns für den mit Sicherheit sehr anstrengenden Tag. Geteiltes Leid ist nun einmal halbes Leid, wie es so schön heißt. Ohne Humor kann man gleich aus dem Fenster springen. Im einundzwanzigsten Stock würde sich das sogar lohnen. Wegen der dämlichen Spanplatten nur leider nicht möglich.

    Unsere traute Zweisamkeit wird schnell gestört, denn eine größere Gruppe strömt geschäftig herein: der Kunde mitsamt seinem hochkarätigen Gefolge. Wie sich herausstellt, besteht es aus drei Bankern sowie vier Fatzken der Konkurrenz, Deutsche übrigens. Sie sollen unsere Softwarelösung auf Schwachstellen überprüfen. Das dürfte nicht einfach werden, da ich die Schwachstellen kenne und mit allen Mitteln verstecken werde. Diese politischen Spielchen haben mich schon immer angewidert.

    Jetzt gilt es, die Maske des professionellen Unternehmensberaters aufzusetzen. Wir schütteln Hände und stellen uns vor. Die Namen vergesse ich sofort.

    Der Start unserer Präsentation obliegt mir. Patrick wird erst im Laufe des Tages übernehmen. Mein Blick gleitet über die ausdruckslosen Gesichter der Anwesenden. Grau in grau in grau. Plötzlich möchte ich ihnen vor die Füße kotzen. Meine Pause wird zu lang. Patrick sieht mich beunruhigt an.

    Ich hole tief Luft, lächele und bedanke mich in Patricks und meinem Namen für die Einladung in ihre wundervolle Stadt. Auch die Bemerkungen über das angenehme Wetter und das schöne Betriebsklima lasse ich wie bei jedem unserer Beratungsraubzüge, wo immer in der Welt sie auch stattfinden, mit gewohnter Glaubwürdigkeit auf das Publikum los. Patrick hüstelt und verbirgt hinter der Hand ein Grinsen. Ich kann ihn trotzdem problemlos ansehen. Wenn ich nicht lachen will, lache ich nicht. Mein Pokerface hat ihn immer beeindruckt.

    Die Bauchpinselei ist ein hässlicher Bestandteil unseres Jobs. Sie lockert die Zusammenarbeit und schafft einen guten Einstieg. Dass ich davon nichts halte, muss ich an dieser Stelle nicht extra betonen. Sie widert mich so an, dass ich diese für mich so wichtigen Aufzeichnungen mit derartig unaufrichtigen und gestelzten Floskeln keinesfalls beschmutzen möchte.

    Die Männer tragen Anzüge und die obligatorischen Krawatten. Grau in grau in grau. Wieder reibe ich mir die Augen. Zwei der Banker zu meiner Linken starren mich böse an. Vermutlich haben ihre Bosse gegen den Willen der hier anwesenden Affen sich dafür entschieden, unsere Lösung zu kaufen. Es ist immer so. Und was ist das Ergebnis? Ich kann mich mit deren Untergebenen herumschlagen und die Überzeugungsarbeit leisten.

    Sie sehen jung aus, schätzungsweise Mitte Zwanzig, bis auf den dicken, glatzköpfigen Ochsen in ihrer Mitte, der sein Jackett auszieht und die Hemdärmel für den folgenden Kampf hochkrempelt. Mit seiner tollen Designerbrille fühlt er sich zwischen den beiden, vermutlich noch unerfahrenen Kollegen wie ein Gott.

    Der junge Hüpfer zu seiner Rechten ist eine Hüpferin und wirkt sympathisch. Menschlich sozusagen im Gegensatz zu dem Hornochsen. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich ihr nicht gleichgültig bin. Wer weiß … Schließlich habe ich noch zwei Wochen Zeit.

    Der Jüngling mit der dicken Hornbrille zur Linken des Ochsen ist seinem Meister gefügig. Er entledigt sich ebenfalls seines Jacketts, krempelt die Hemdärmel hoch und öffnet ein Notizbuch. Nun guckt er nicht mehr böse, sondern schaut mich erwartungsvoll an. Ein unerfahrener Jüngling auf der Suche nach dem Sinn seines Daseins. Innerlich schüttele ich den Kopf. Jugend forscht.

    Die vier Affen von der Konkurrenz, die sich zwischen den Bankern und Patrick hinlümmeln, grinsen abfällig, als ich mit der Präsentation der Power-Point-Folie Geschäftsprozessoptimierung beginne. Voller Vor- und Schadenfreude sitzen sie auf ihren fetten Ärschen, bereit, die Colts zu zücken, um mich alle zu machen. Warum? Patrick und ich dürfen hier nicht mitspielen. Das Budget ist schließlich begrenzt. Und finanzielle Mittel unserer Kunden teilt die Konkurrenz verständlicherweise nicht gerne. Das einzige Ziel: Uns als unfähige Anfänger abstempeln. Den Kuchen teilen? In ihrem Buddelkasten? Mit ihren Förmchen? Auf keinen Fall. Wie im Kindergarten.

    Alle um die dreißig. Bis auf den Idioten neben Patrick. Er ist so erfahren, dass er es nicht einmal nötig hat, sich zu rasieren. Etwa Mitte fünfzig. Graue Haare, grauer Bart, grauer Anzug. Sieht aus, als wäre der Graubart mit seinen drei Rotznasen auf einem Familienausflug. Jeder der Deppen trägt eine Brille. Mit Sicherheit sind es Fenstergläser, um die vermeintlich vorhandene Professionalität zu betonen. Vor allem der dritte von links vermittelt den Eindruck, als ob er sich morgens mit seinem Toastbrot unterhält. Man sieht ja nicht unbedingt jedem Menschen den Intelligenzquotienten an, aber wenn der Mund die ganze Zeit offen steht, ist das nun mal ein Indiz für Blödheit.

    Die Stimmung ist extrem angespannt. Zu meinem Bedauern geht im Laufe des Tages vieles schief, denn meine Zuhörer sind aufmerksame Bastarde.

    Die Deutschen sprechen ein miserables Englisch. Bei dem ganz links schlägt der bayerische Akzent durch. Um ihn vorzuführen, lasse ich ihn jeden Satz grundsätzlich zweimal wiederholen, ehe ich antworte. Vorteilhaft für die allgemeine Belustigung, für die Erfüllung meiner Aufgabe leider kontraproduktiv. Aber egal.

    Die Bereiche, die ich bewusst nur am Rande anschneide, bearbeiten sie mit besonderer Aufmerksamkeit. Auch meine Argumentation, dass diese Themengebiete zum jetzigen Zeitpunkt nur von geringer Bedeutung für den Kunden sind, wird ignoriert. Wieder und wieder versuche ich die Diskussion auf die Stärken der Lösung zu lenken. Keine Chance. Wenn man etwas grundsätzlich ablehnt, ist jedes noch so kleine Problem willkommene Munition.

    Die Mittagspause fällt aus, und der Workshop entwickelt sich mehr und mehr zu einer Hinrichtung. Gegen vierzehn Uhr brüllt der Hornochse mit seiner Designerbrille plötzlich los.

    „Wollen Sie sich über uns lustig machen? Was heißt nicht verfügbar? Diesen Report benötigen wir unbedingt!"

    Sie benötigen ihn nicht. Ich weiß es. Dafür bin ich zu gut vorbereitet. Aber wie soll ich argumentieren? Sie sind sichtlich froh, endlich einen Anlass gefunden zu haben, um zu ihrem Chef rennen zu können und ihm klarzumachen, dass genau wegen dieser nicht vorhandenen Funktion meine Lösung die falsche ist. Und dass sie das ja gleich gesagt hätten.

    „Wollen Sie etwa sagen, dass dieses Tool uns nicht zur Verfügung steht?"

    Meine Augen schweifen ab. Ich bekomme kaum Luft und lockere die Krawatte. Einer der Idioten von der Konkurrenz kichert. Soll er doch.

    Warum mache ich diesen Mist eigentlich? Ich habe es vergessen, kann mich nicht erinnern.

    Ich reiße mich zusammen.

    „Sie sehen das richtig. Diese Funktionalität wird Ihnen unser Produkt nicht bieten. Sie müsste noch entwickelt werden. Das ist allerdings mit weiteren Kosten verbunden."

    Trotz der schlechten Lichtverhältnisse sehe ich, dass er rot anläuft. Ob es wegen meiner ruhigen und freundlichen Art oder wegen meiner für ihn so anrüchigen Lösung ist, weiß ich nicht. Der Designerbrillenträger springt auf, wirft seinen beiden Kollegen ein „bis nachher" zu und verschwindet schnaubend. Zu uns kein Wort. Das ungute Gefühl in der Magengegend vergrößert sich. Die Schadenfreude unserer Konkurrenz ist auf dem Höhepunkt.

    Sechzehn Uhr. Seit sieben Stunden renne ich zwischen der Leinwand und dem Flipchart hin und her, gestikuliere mit den Händen wie ein Spanier und male ununterbrochen Kästen und Pfeile auf das jungfräuliche, weiße Papier. Wie es aussieht, wird Patrick heute nicht mehr zum Stich kommen. Seit zehn Minuten starrt er aus den nicht vorhandenen Fenstern. Er wirkt, als habe er heute den letzten mickrigen Rest an Motivation verloren.

    Willkommen in meiner Welt, Patrick! Wenigstens haben wir heute Abend Gesprächsstoff und vor allem einen wahrlich guten Grund, uns volllaufen zu lassen.

    Als meine Augen über das Publikum gleiten, zucke ich zusammen. Hinter den Idioten von der Konkurrenz steht Vater. Er schüttelt den Kopf. Die Augen weit aufgerissen. Ich schlage die Hände vors Gesicht und reibe die Augen. Schnappatmung. Gänsehaut. Angstschweiß. Er ist nicht da! Er ist nicht da! Ich muss arbeiten.

    „Herr Wirtmann, ist alles in Ordnung?" Der Jugendforscher spielt den Besorgten. Ich nehme die Hände runter. Er ist weg! Er ist wirklich weg!

    „Ja, ja, alles bestens", stammle ich. Ich checke meine Hose. Nichts passiert. Gott sei Dank.

    Ich sollte mehr schlafen. Verdammte Müdigkeit. Ich greife in meine Laptoptasche und öffne die Dose mit den Koffeintabletten. Patrick runzelt die Stirn. Er hört das Klappern der Kapseln, versteht sofort, schenkt mir ein Glas Wasser ein und bringt es mir. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, fahre mir unauffällig über den Mund, spüle heimlich zwei Pillen hinunter und fahre fort.

    Nach weiteren sechzig Minuten der Alleinunterhaltung kann ich nicht mehr.

    „Zehn Minuten Pause?"

    Meine Zuhörer sehen mich dankbar an. Vor allem der süße Hase. Immer wieder hatten wir uns zugelächelt. Wenigstens eine, die es gut mit mir meint. Am dankbarsten sind jedoch meine Füße. Ein Schrittzähler wäre eine sinnvolle Anschaffung. Das dürften heute wieder einige Kilometer gewesen sein. Doch das Laufen hilft. Es entspannt. Es lockert.

    In der großzügigen Sitzlandschaft vor einem der riesigen Fenster setze ich mich zu Patrick, packe das staubige Croissant aus, das ich im Hotel habe mitgehen lassen und versuche, die Aussicht auf San Francisco zu genießen.

    „Bist du wieder in Ordnung? Patrick schaut mich prüfend an und beißt in seine historische Rosinenschnecke. „Was war denn vorhin mit dir los?

    Der Himmel ist inzwischen dunkelgrau. Passend zu meiner Stimmung.

    „Nichts. Hab wahrscheinlich was Falsches gegessen, kein Wunder bei dem Weltklassefrühstück." Ich lächele.

    Er schüttelt den Kopf. „Nimmst du immer noch dieses Zeug?"

    Ich seufze und lüge. „Reg dich ab. Ich musste mich gestern Nacht noch vorbereiten. Er nickt mitleidig und presst die Lippen zusammen. Muss das Thema wechseln, denn Mitleid ist das Letzte, was ich jetzt brauche. Sarkasmus hilft. „Läuft bislang doch besser als erwartet. Er schnauft.

    „Mann, du tust mir echt leid."

    Die Lust auf seinen Auftritt hat er wohl verloren.

    Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Hey, du bist morgen an der Reihe. Freu dich doch." Mein Zynismus ist durch nichts mehr zu übertrumpfen.

    „Pssst, nicht so laut, sagt er und schaut sich demonstrativ nach heimlichen Zuhörern um. Er hat recht. Die Idioten von der Konkurrenz könnten uns belauschen. „Glaubst du wirklich, dass wir morgen überhaupt nochmal antanzen dürfen nach diesem Theater vorhin? Ich zucke mit den Schultern.

    „Ach, lass den Schreihals ruhig zu seinem Chef rennen. Ich kenn seinen Vorgesetzten. Er wird gegen eine Wand laufen, glaub mir. Der hat das nicht zu entscheiden." Patrick segnet die Prognose mit einem Handwinken ab.

    „Dein Wort in Gottes Ohr. Ich hab echt keinen Bock, schon nach Hause zu fliegen."

    Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme hinter dem Kopf und grinst. „Na dann muss ich mir dein Geschwafel ja doch noch länger anhören."

    Ich schneide ihm ein Gesicht und beiße in das Zwei-Sterne-Luxus-Croissant.

    Leider lag er richtig. Bis acht Uhr abends kämpfe ich gegen die hinterhältigen Fragen unserer Konkurrenz an und verteidige etwas, was ich im Grunde nicht verteidigen will. Als ich endlich den Projektor ausschalte, verlassen die widerwärtigen Gestalten wortkarg den Tagungsraum. Bis auf den süßen Hasen. Höflich verabschiedet sie sich mit ihrem schicken, englischen Akzent.

    „Bis morgen, Herr Wirtmann. Eine gute Präsentation." Kein amerikanisches Kauderwelsch. Die Vokale schwingen. Ein Genuss. Ich bin hoch erfreut.

    „Bis morgen, Frau Engelberth. Freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte." Sie reicht mir die Hand und lächelt. Augenaufschlag.

    Ihren blond gesträhnten Pferdeschwanz, das graue Businesskostüm mit den dazu passenden grauen Wildlederpumps und die Perlohringe finde ich zwar furchtbar öde, aber Bestätigung vom weiblichen Geschlecht ist natürlich immer willkommen. Engelberth. Der Name kommt mir bekannt vor.

    Zufrieden setze ich mich vor den Laptop und schreibe die von meinem Chef lang erwartete Statusmail über den Verlauf des heutigen Tages.

    „Mann, stell endlich das blöde Grinsen ab." Patrick gönnt mir mein Vergnügen nicht.

    „Ach, halt doch die Fresse." Wir lachen. Es ist, als würde die heitere Situation von heute Morgen beim Entern der Dunkelkammer nach einer kurzen zwölfstündigen Unterbrechung fortgesetzt.

    Schwungvoll schließe ich den Laptop. „Bist du fertig?"

    Patrick hackt noch auf seiner Tastatur herum. „Einen Moment. Nur noch diese eine Mail."

    Ich packe meine Sachen. Endlich Feierabend. „Mach hin. Wir haben nicht ewig Zeit."

    „Immer mit der Ruhe, mein Großer." Großer. Dämlicher Spitzname. Mit meinen 1,94 Meter, einen Kopf größer als er, sicherlich gerechtfertigt. Endlich schickt Patrick die Mail mit einem erleichterten Seufzer ab und schiebt den Laptop ins Rollköfferchen.

    „Nein. Wir müssen uns beeilen. Ich hebe den Zeigefinger. „Jede Minute, die wir hier vergeuden, geht von unserer kostbaren Freizeit ab. Wir hasten zum Aufzug.

    Auf der Straße wird mir plötzlich übel. Die Ohren klingeln. Grau in grau in grau. Lampen und Scheinwerfer zerfließen ineinander. Seltsame Schreie im Hintergrund. Frauenschreie? In der Luft ein Geruch nach Urin. Der Straßenlärm zerfetzt meine Nerven. Wir kämpfen uns durch die Fichten, die Fußgängermassen, zur Straße und pfeifen das erstbeste Taxi herbei. Der Himmel dreht sich. Mein Kopf dröhnt, die Schläfen pulsieren. Alles was ich will, ist ein kühles, frisches Bier. Was rede ich? Ein Dutzend kühle, frische Biere.

    „Ey, alles okay?" Patrick reißt die Augen auf und mustert mich von Kopf bis Fuß. Ich spüre den Herzschlag in meinem Schädel. Diese Schmerzen …

    „Ja. Alles super. Hab nur Kopfweh." Ich stütze mich auf den Knien ab und stöhne. Er legt die Hand auf meine Schulter.

    „Bist du dir sicher? Willst du dich vielleicht hinlegen? Wir können auch noch morgen weggehen."

    „Nein! Nein. Alles okay. Gib mir nur ein paar Sekunden." Patrick nimmt mir den Koffer ab und stellt ihn mit seinem Zeug in den Kofferraum. Ich werfe mich auf den Rücksitz, schließe die Augen und reibe die Stirn an der kühlen Fensterscheibe. Wenige Minuten später lassen die Schmerzen nach. Ich sehe zu meinem Partner und lächle.

    „Heute sauf ich dich unter den Tisch." Er schmunzelt.

    „Werden wir sehen."

    Vor dem Hotel angekommen, boxt mich Patrick gegen die Schulter: „Also denn. Kurz rauf aufs Zimmer, frisch machen und umziehen, und um neun treffen wir uns wieder hier. Okay? Er grinst. „Das haben wir uns verdient.

    „Du hattest ja auch einen anstrengenden Tag, richtig?"

    Patrick lacht. Auch ich kann nicht anders, lache und schüttele den Kopf. Idiot. Das Taxi zahle

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