Dumme Wut. Kluger Zorn: Anklagen und Freisprüche
Von Helmut Ortner
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Über dieses E-Book
Es geht um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, Autonomie und Konformismus, Moral und Effizienz, Wissen und Glaube: es geht um Selbstvergewisserung.
Essays zum Stand der Dinge und zum Lauf der Zeit: ernüchternd, erhellend und provokant.
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Buchvorschau
Dumme Wut. Kluger Zorn - Helmut Ortner
Abdrucknachweis
——— Kleine Vorrede
Warum man den Zorn nicht einsperren, teilen oder exportieren kann
Wir kennen die Bilder. Immer wieder montags trafen sich in Dresden Tausende von Wutbürgern, um Rednern zu applaudieren, die für Volk und Vaterland den Notstand ausriefen, überall Gefahr und Verrat witterten und eindringlich vor Flüchtlingen und Lügenpresse warnten. Montag war Wut-Tag.
Deutsche hört die Signale! Geschrei, Gegröle, Gezeter – der akustische Soundtrack aller Empörten und Enttäuschten von Sachsen bis in die Niederungen heimischer Mittelgebirge, ein Sound, jederzeit imstande, kollektive reflexive Handlungshysterie zu entfachen. Die Echo-Welle des Unappetitlichen und Unangepassten, von der sich der national-gesinnte Wutbürger gerne mitreißen und mittragen lässt, hält ungebrochen an. Auch die gern zitierte »Mitte der Gesellschaft« ist von ihr erfasst. Flüchtlinge, Ausländer, Asylanten, kurzum »alles Fremde« – alles, was sich immer schon eignet als ideale Projektionsfläche für gesellschaftliche und politische Probleme im eigenen Planquadrat. Nationalistische Angst-Phantasien als Motor und Motivation, als Appell und Attacke. Es geht um die viel beschworene »nationale Identität« und diese besteht vor allem in der Abgrenzung nach außen. »Deutschland zuerst!«
Und so findet sich nun eine gewählte Heerschaar von AFD-Abgeordneten im Bundestag, um die gefühlte Heimat zu verteidigen – wenn es sein muss, um jeden Preis. Es geht um kulturelle Wurzeln, um Völkisches und das deutsche Volk, und vor allem: gegen »die da oben«. Gegen die politische Klasse, gegen »Volksverräter«, gegen »Alt-Parteien« und »Lügenpresse«. In jedem Fall »gegen«. Die Frage lautet: Ist das noch in Ordnung, ist das noch verfassungsgarantierte Narretei oder schon nazi-kontaminierter Wahn?
Ignorieren, Tolerieren oder Aufregen? Ja, es gibt sie, die mediale und politische Tendenz, alles im Konsensabgleich zu erledigen, so als sei unsere demokratische Hausordnung gleich in höchster Gefahr, wenn Sprache und Begriffe mal pubertär-rüpelhaft, mal politisch grenz-debil durchs Parlaments-Plenum, über die Plätze der Republik – oder samstags durch die Stadionkurven – zu laut und zu schrill daherkommen. Das ist mitunter unangenehm, anmaßend, abstoßend, gar grenz-debil. Was tun?
Wir sollten solcherlei Entgleisungen einerseits nicht mit allzu übertriebener Empfindsamkeit begegnen, den Rest – so sieht es unser Rechtsstaat vor – klären Staatsanwaltschaften und Gerichte. Andererseits: zu viel Verständnis und coole Toleranz gegenüber jeder Form politischer Dummheit und Devianz ist auch nicht immer die sinnvollste Reaktion. Vor allem die extreme Rechte provoziert gerne mit wirren Begriffen und lenkt damit ab von ihren noch wirreren Ideen. Also sollten wir uns nicht auf Begriffs-Rempeleien einlassen, nicht zu viel Höflichkeit und Sanftmut zeigen, sondern über Inhalte streiten – soweit ein Rest von Fähigkeit vorhanden ist, zuzuhören. Wer in der sprachlichen Auseinandersetzung seinen eigenen Wortschatz absichtlich stumpf macht und zu versöhnlich ist, der ist schon in der Defensive.
Die Autoren Per Leo, Max Steinbeis und Daniel Pascal Zorn rufen in ihrem Buch mit Rechten reden zu kognitiv-emotionaler Selbstdisziplin auf. Ihr Vorschlag: den »ewigen Loop von überspannter Empörung, selbstgerechten Überlegenheitsgesten und zersetzender Verachtung« zu durchbrechen. Das ist gut gemeint, verlangt aber mitunter altruistische Einsichten. Man müsse verstehen, wie sich die Streit-Dramaturgie entwickelt und in einer ungesunden Dynamik verheddert, so die Autoren. Ihr »Leitfaden« beschreibt ein reaktives Sprachspiel, dem die »Nichtrechten« immer wieder auf den Leim gehen. Die rechte Position kapert dabei das Spiel, indem sie die nervöse Empörungsreaktion der Gegenseite zum Kapital ihrer Selbstbestätigung macht. Abwehr, Zensur und Verleumdung der Gegenseite würden so zum Treibstoff der rechten Identitätsmaschinerie. Da ist was dran. Wer das AFD-Führungsduo Gauland und Weigel einmal in Talkshows erlebt hat, findet hier eindrucksvollen Anschauungsunterricht – und auch einen Vorgeschmack, wie die AFD-Fraktion im Bundestag zukünftig agiert. Verbaler Treibstoff für eine national-konservative – wenn es sein muss – auch rechte Identitätsmaschinerie – medial gut geölt, live aus dem Berliner Plenarsaal.
Da will auch die CSU als verlässlicher Begriffs-Lieferant nicht hintenan stehen. Wie weiland schon Franz-Josef-Strauß proklamierte, dass rechts von der CSU nichts wachsen dürfe, fordern nun auch dessen Nachkömmlinge pflichtschuldig ein AFD-grundiertes neues deutsches Heimatgefühl. Beispielsweise Alexander Dobrindt. In der Tageszeitung Die Welt, dem Leitmedium der bürgerlich-konservativen Mitte – fordert er einen längst überfälligen gesellschaftlichen Aufbruch, eine »konservative Revolution«. Unter »konservativen Revolutionären« versteht die Geschichtswissenschaft elitäre, antidemokratische und deutschnationale Kräfte, die gegen die »dekadente« Weimarer Republik gekämpft haben. Männer wie Oswald Spengler, Carl Schmitt und Ernst Jünger, die zu Gewaltfantasien und Apokalyptik neigten, denen die Moderne und mit ihr die »Zivilisation« als Grundübel galten. Stellt sich die Frage: Benutzt er diesen Begriff bewusst? Michael Angele findet für den Geist, der aus Dobrindts Traktat spricht, den Begriff »Extremismus der Mitte« – und weil dieser neue Extremismus der Mitte alte Feindbilder braucht, verbindet der CSU-Frontmann seine rhetorische Kraftmeierei mit einem rabulistischen Gestus gegen die »68er«, die als die großen Zerstörer dastehen. »Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus« hatten ihre Zeit. Eine »neue, konservative Bürgerlichkeit« braucht das Land, schreibt Dobrindt.
Vor allem braucht seine Partei die verlorenen Stimmen ihrer Stamm-Wähler, die bei der letzten Bundestagswahl bei der AFD statt der CSU ihr Kreuz machten. Grund genug, genau so zu sprechen, wie die Rechts-Populisten. Nur nebenbei wollen wir festhalten: Dobrindts Partei ist in Bayern seit etwa sechzig Jahren durchgehend und im Bund 17 der vergangenen 25 Jahre an der Regierung beteiligt. Es bleibt also eher diffus, worin der Aufbruch bestehen soll. Und die Frage: warum hat es bislang mit der konservativen Revolution nicht so richtig funktioniert? Christian Stöcker bringt in einer Spiegel-Kolumne das eigentliche Problem der Konservativen auf den Punkt: »Es fällt ihnen sehr schwer, den Wesenskern ihrer Weltanschauung klar zu formulieren. Vielleicht, weil sich Rassismus, Sexismus und Nationalismus nur die abgebrühtesten Rechtspopulisten zu formulieren trauen.«
Es geht um die Lufthoheit über Deutschlands Stammtische, um die Deutungsmacht von Heimat und Vaterland, Familie und »christlichen Werten« – und das gehört nun einmal zur DNA der Bayernpartei. Vor allem aber geht es um eines: um Machtgewinn oder Machtverlust. In Abwandlung des großen Volksphilosophen Sepp Herberger, der einst verlautbarte, dass das nächste Spiel immer das schwerste sei, gilt für die neuen Eiferer des Konservativen: die nächste Wahl ist immer die wichtigste. Der Kampf um »den Wähler draußen im Lande« ist also entbrannt. Lautstarke Empörungs-Rhetorik und eingespielte Leerformeln sind der Sound der Wahlkampfzeiten. Keine Partei pocht auf besondere Alleinstellungsmerkmale. Alle mischen mit. Wir haben uns daran gewöhnt.
Vor allem eine politische Leerformel wird mittlerweile als parteiübergreifende Floskel geradezu inflationär bemüht: »Man muss die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen!« Keine Anne-Willoder Maybrit-Illner-Runde kommt ohne sie aus. Von welchen Sorgen, von welchen Menschen und von wie vielen Menschen hier die Rede ist, verschwindet im Studio-Nebel. Es dominiert das Unbestimmte, Ungenaue, Unverbindliche. Und weil es allemal verträglicher ist, sich über den persönlichen Gefühlshaushalt seiner Bürger zu verständigen, anstatt über Klimawandel, Waffenexporte, Migrationsströme oder ungleiche Verteilung des Reichtums zu streiten, hat man einen Begriff aus dem weiten Feld der Beziehungsprobleme gewählt. Das ermöglicht es »ein Stück weit« – um es im Politiker-Duktus zu sagen – den politischen Streit zu entschärfen und zu neutralisieren. Aber Achtung: es liegt im Wesen des Gefühls, dass es nicht einfach wegrationalisiert werden kann. Die Nachhaltigkeit rhetorischer Vertröstungen ist begrenzt.
Beispiel: die G20-Schlusserklärung von Hamburg im Sommer 2017. Ein Dokument des Scheiterns. Voller Leerformeln und Unverbindlichkeiten, ein Papier, das an Dürftigkeit kaum zu überbieten ist. Kein Wort über die kriegerische Ökonomie der Welt, keine Silbe über das globale Zusammenwirken dieses gigantischen Zerstörungswerks und ihre Verantwortlichen, die Trumps und Putins samt ihren Komplizen und Nachahmern. Doch statt über den Totalausfall der Politik zu reden, wurde nach dem Gipfel nur noch über ein Wort diskutiert: Gewalt. Keine Frage, die gab es. Eine ohnmächtige, destruktive, militante Gewalt, flankiert und befeuert von häufig ebenso unsinnigen wie unverhältnismäßigen Einsätzen von Polizeikräften und Sondereinsatz-Kommandos. Über 30 000 Beamte waren vor Ort. Die Kosten allein für die Sicherheitsvorkehrungen: 32 Millionen Euro. Gesamtkosten des Gipfels: mindestens 72 Millionen. Doch darüber wurde politisch nicht gestritten, auch nicht über die Sinnhaftigkeit des Hamburger Polit-Events. Statt dessen verloren sich die Argumente gegen das G20-Treffen in der Militanz. Gewissermaßen war der Protest ebenso wortlos geworden wie die Politik.
Erst Monate später endet die Sprachlosigkeit. Ein Vize der Polizeigewerkschaft und CDU-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft äußert sich in einem Spiegel-Interview zu den Vorgängen, die er von beiden Seiten – gewissermaßen als aktiver Polizist und gewählter Politiker – er- und durchlebte. Joachim Lenders, so heißt der Mann, räumt ein: »… Natürlich hat es auch Fehler bei der Polizei gegeben, das zu kaschieren wäre dummes Zeug. …« Auch einen zeitweiligen »Kontrollverlust« der Polizeikräfte will er nicht in Abrede stellen. Gleichwohl aber, so der Doppel-Insider, könne man der Polizei keine großen Fehler vorwerfen. »Was sind große Fehler, was sind kleine Fehler?… Es war schlicht zu wenig Polizei im Einsatz. Dafür ist die Politik verantwortlich«, stellt Herr Lenders fest und stellt klar: »Wir sind ein Rechtsstaat. Die Polizei darf Straftaten nicht hinnehmen, auch kleinere Straftaten nicht. Es gibt keinen Ermessensspielraum.« Und deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zahlreiche Gewalt-Demonstranten – einige wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt. Von Strafverfahren gegen Polizeibeamte indes ist nichts bekannt. Auch der Rechtstaat ist manchmal überfordert.
Widerstand beginnt dort, wo sich die Bürger gegen Ignoranz und Arroganz, die Verwandlung von Politik in Verwaltung oder Therapie auflehnen. Dann kann es mitunter laut und gewalttätig werden. Aus Empörung wird militante Attacke, flammender Protest, gewalttätige Revolte. Aus Wut zerstörende Gewalt. Ob »Links« oder »Rechts«, ob sogenannte internationale »Antifa« oder nationale »Pegida«: Wut ist lagerübergreifend unbeherrscht. Ein allzu alltäglicher Reflex, nicht selten auch sicht- und hörbarer Beleg für