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Tarnmanöver: Kriminalroman
Tarnmanöver: Kriminalroman
Tarnmanöver: Kriminalroman
eBook303 Seiten3 Stunden

Tarnmanöver: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Bei einem in Canettis Brillenerzeugung entwickelten Kunststoff wird bei Tests mit verschiedenen Zusätzen zufällig ein Tarnkappeneffekt entdeckt. Der skrupellose Geschäftsmann Christoph Verbacher erfährt von der Entdeckung und versucht mit allen Mitteln, an die Formel für die Zusammensetzung des Kunststoffes zu gelangen. Nachdem die Leiche des Entwicklers aus der Salzach geborgen wird, werden Stefan Canetti und seine Frau Julia betäubt und in einer Villa in Wien festgehalten. Hilfe erhält Julia von ihrer Jugendfreundin Claudia und der Lufttaxi-Crew.
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum2. Aug. 2017
ISBN9783839254844
Tarnmanöver: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Tarnmanöver - Sylvia Grünberger

    Zum Buch

    Unsichtbar Die Firma Canetti ist eigentlich auf die Herstellung von Brillen spezialisiert. Als deren Labor an einem neuartigen Kunststoff experimentiert, machen sie eine überraschende Entdeckung: das neue Material verfügt über einen Tarnkappeneffekt. Selbst metallische Gegenstände ließen sich bequem durch die Gepäckscanner an Flughäfen schmuggeln. Der skrupellose Geschäftsmann Christoph Verbacher verspricht sich vom Verkauf des Kunststoffs an windige Organisationen den großen Profit und unternimmt alles, als er von dem Kunststoff erfährt, um an die Zusammensetzung zu kommen. Kurze Zeit später wird der Entwickler der neuen Substanz tot in der Salzach gefunden. Verbacher entführt kurzerhand den Firmenpatriarchen Stefan Canetti sowie dessen Frau, die Schauspielerin Julia. Mit Hilfe von Betäubungsmitteln hält er sie als angebliche Gäste in seiner Villa fest. Doch Canetti kennt die Formel für den Kunststoff nicht. Julia gelingt indessen die Flucht und muss versuchen, mithilfe ihrer Freundin Claudia, einer Berufspilotin, ihren Mann zu befreien und Verbacher zu stellen. Doch die Zeit drängt …

    Bei der Wienerin Sylvia Grünberger entstand die Begeisterung fürs Fliegen durch ihre ersten Fallschirmsprünge auf einem Flugplatz am nordöstlichen Stadtrand von Wien. Daraus entwickelte sich eine lang anhaltende Verbundenheit mit der Luftfahrt. Als Sprunglehrerin hat sie einige Jahre selbst Fallschirmspringer ausgebildet. Sie war Mitglied der Österreichischen Damen-Nationalmannschaft, hat an nationalen und internationalen Wettbewerben und zweimal an einer Weltmeisterschaft im Fallschirmspringen teilgenommen. Später kam dann ihre Ausbildung als Privatpilotin dazu. Und das Fliegen gewann noch mehr an Bedeutung. Ihre Erfahrungen und die jahrelange starke Bindung zur Fliegerei lassen sich in den Kriminalromanen der Lufttaxi-Serie nicht übersehen. www.sylvia-gruenberger.at

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Flugmanöver (2016)

    Lufttaxi gewünscht?, E-Book only (2016)

    Wynonas Jobs, E-Book only (2016)

    Kerberos’ Gier, E-Book only (2016)

    Impressum

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2017

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung: Julia Franze

    E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © alexx_60 / fotolia.com

    ISBN 978-3-8392-5484-4

    Haftungsausschluss

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Prolog

    Salzburg

    Die schwarz glitzernde Wasseroberfläche glich einem habgierigen Schlund. Er wusste, sobald er der Dunkelheit zu nahe kam, würde sie ihn verschlingen und nie wieder loslassen. In seinem Innersten schrillten Alarmglocken. Sein Verstand nahm sie nur gedämpft, wie durch eine Schneedecke, wahr. Eine unendliche Müdigkeit hielt ihn gefangen. Verzweifelt versuchte er gegen das Gefühl – sich wie in Zeitlupe zu bewegen – anzukämpfen. Er durfte nicht einfach aufgeben, musste sich wehren. Doch er war so müde. Nicht mutlos. Einfach nur müde.

    Vielleicht sollte er sich fallen lassen? In das kalte Wasser eintauchen. Würden die Nebelschwaden in seinem Gehirn dadurch verscheucht? Half ein Adrenalinstoß, seinen Körper aufzuwecken und anzuregen? Schaffte er es, sich aus dem reißenden Strom ans Ufer zu retten? Er war nicht sonderlich sportlich und nur ein mittelmäßiger Schwimmer. Würde ihm die Angst Flügeln verleihen, wie es angeblich hieß? Oder überfiel ihn eine Panikattacke, die ihn hilflos den Fluten auslieferte, die ihn letztlich brutal nach unten in die Tiefe zerrten? Geordnetes Denken fiel ihm schwer. Alles wirkte verschwommen. Helle Lichtblitze vermischten sich fast nahtlos mit düsteren Schatten.

    »Die chemische Zusammensetzung stimmt bei den Mustern nicht überein«, flüsterte eine Stimme in sein linkes Ohr. »Worin liegt der Unterschied? Welchen Zusatz haben Sie verwendet, damit es funktioniert? Reden Sie endlich, und wir beenden den Albtraum.«

    Er spürte, wie sich der Griff hinter seinem Rücken verstärkte und seinen rechten Arm in Richtung Schulterblatt schob. Gleichzeitig wurde er dabei noch fester an das Geländer der Brücke gedrückt.

    Es ist der Blonde, durchzuckte es Florian. Groß, sportliche Figur, kurzes hellblondes Haar, sicherlich sehr kräftig. Ein Typ, der es gewohnt war, Befehle auszuführen. Der andere Mann, der gesprochen hatte, war älter, gesetzter, fülliger. Was er sagte, klang autoritär, doch in seinem Tonfall lag eine geschliffene Geschmeidigkeit, mit der er die Schärfe seiner Ansinnen zu Worthülsen degradierte. Der Blonde bemühte sich, ihn nachzuahmen, nur fehlten ihm sowohl die Gewandtheit als auch die offenbar langjährige Übung des Wortführers.

    Als Florian spätabends die Firma verlassen hatte, wollte er in dem kleinen Restaurant in unmittelbarer Nähe noch rasch eine Kleinigkeit essen. Wenn er so lange arbeitete, vermied er es tunlichst, seine Frau zu stören. Vermutlich schlief Monika um diese Zeit bereits.

    Die beiden Männer hatte er zuvor nicht bemerkt. Erst nachdem sie sich unaufgefordert zu ihm an den Tisch setzten und ihn zielbewusst mit seinem Namen ansprachen, registrierte er, dass tatsächlich er gemeint sein müsste und keine Verwechslung vorlag.

    Leicht amüsiert war er davon ausgegangen, seine ihm unbekannten Gesprächspartner beabsichtigten womöglich, ihn abzuwerben. Doch das Angebot lief in eine andere Richtung. Sie versuchten, ihn mit einer erstaunlich hohen Summe zu bestechen. Er reagierte vorerst verwirrt. Begriff nicht sofort, was sie tatsächlich von ihm wollten. Wie konnten diese Fremden von den erstaunlichen Eigenschaften des Kunststoffs, den er entwickelt hatte, erfahren haben? Im Patentantrag, den sein Chef einreichen wollte, stand nichts darüber.

    Abgesehen davon, dass es die beiden Männer offenbar für unnötig hielten, sich vorzustellen, wirkten sie äußerst suspekt auf ihn. Mit ihnen wollte er absolut nichts zu tun haben. Als er das Lokal verärgert und spontan verlassen hatte, schaffte er es gerade noch bis zum Parkplatz. Bevor er in seinen Wagen steigen konnte, holten sie ihn ein. Von ihrer vorherigen Verbindlichkeit gab es keinerlei Anzeichen mehr. Wie eine undurchdringliche Mauer standen sie hinter ihm, drängten ihn gegen die Karosserie seines Audis. Es gelang ihm nicht, die Fahrertür zu öffnen.

    Fassungslos registrierte Florian, wie er von den beiden Männern überwältigt wurde. Der Angriff erfolgte blitzartig. Der Blonde hielt ihn fest, ergriff seine dichten Haare am Hinterkopf und riss seinen Kopf grob nach rückwärts. Der andere Mann schüttete ihm Schnaps aus einer Flasche direkt in den noch verblüfft geöffneten Mund. Als er zu husten begann, rann die Flüssigkeit über sein Kinn in den Hemdkragen. Sie verfrachteten ihn in ihren Wagen, mit dem Hinweis, betrunken könnten sie ihn nicht Auto fahren lassen.

    Gleichzeitig kämpfte Florian gegen ein anschwellendes Schwindelgefühl. Dazwischen drängte sich wellenförmig eine dichte Schwärze in sein Gehirn. Was passierte mit ihm? Eine Kreislaufattacke? Die Auswirkungen der langen, angespannten Arbeit in den letzten Tagen? Verstärkt durch den unerwarteten Angriff der beiden Fremden?

    Die schwarze Welle siegte, überschwemmte ihn kurzzeitig, bevor sie wieder langsam verebbte.

    Das Nächste, woran er sich erinnerte, war, dass er ans Geländer gelehnt auf einer Brücke über der Salzach stand. Trotz der Dunkelheit erkannte er an den Jugendstilelementen sofort den Mozartsteg. Er war in der Region aufgewachsen und deshalb mit diesem Salzachübergang bestens vertraut. Seine Begleiter blickten sich nervös um und drängten ihn dichter an die Brüstung. Die Männer waren keine Einheimischen, und Florian fragte sich verwundert, woher sie wussten, dass diese Fußgängerbrücke nachts kaum benutzt wurde. Raffinierte Planung? Umfangreiche Vorbereitung? Zufall? Der Mozartsteg zählte bei Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der Salzburger Innenstadt. Vielleicht wählten ihn seine beiden Peiniger aber lediglich deshalb, weil er für ihr Vorhaben günstig lag oder sie einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe fanden?

    Diese Männer würden ihn nicht plötzlich gehen lassen. Selbst dann nicht, wenn er ihnen die Wahrheit über die Formel sagte. Das Ende ihrer brutalen Einschüchterungsversuche bedeutete vermutlich gleichzeitig sein Ende. Für einen erfolgreichen Fluchtversuch fehlte ihm die nötige Kraft. Es gab nur eine einzige winzige Chance: Sich von den beiden Männern loszureißen, um in die Fluten zu springen.

    Vor Florians Augen flimmerte das dunkelgraue Wasser wie aus einzelnen Farbpunkten zusammengesetzt. Waren es Spiegelungen von Lichtern am Ufer? Lag der Strom doch wesentlich tiefer unter ihm? Floss er plötzlich schneller? Im Zeitraffertempo? Zischte die Salzach unter der Brückenkonstruktion nun tatsächlich mit erhöhter Geschwindigkeit durch? Die Strömung ließ sich nicht anhalten. Ob ihn die Salzach loslassen würde? Lebendig? Zog sich die wellenartige Schwärze in seinem Kopf durch die Kälte des Wassers zurück? Oder hüllte sie ihn dann zur Gänze ein? Er wusste es nicht. Doch um es herauszufinden, musste er bald handeln. Womöglich bot sich später keine Gelegenheit mehr, die Entscheidung selbst zu treffen. Solange noch in seinem Verstand vereinzelte Zusammenhänge deutlich aufblitzten, hatte er vielleicht eine Chance.

    »Sie sollten unser Angebot annehmen. Denken Sie an Ihre Frau. Ihre Ablehnung wird ihr nicht gefallen«, flüsterte der ältere der beiden Männer eindringlich.

    Wieso sprach der Mann von Monika? Was hatte sie damit zu tun? Im Augenblick fiel es Florian schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. »Was soll das? Lassen Sie gefälligst meine Frau aus dem Spiel. Sie wird nichts über Ihr Angebot erfahren«, murmelte er undeutlich.

    »Das lässt sich rasch ändern!«, ätzte der Blonde.

    Etwas in Florians Gehirn sendete pausenlos eine Warnung. Monoton und automatisch. Es gelang ihm nicht, zu begreifen, worum es ging. Er konnte sich kaum wach halten. Seine Glieder fühlten sich bleischwer an.

    »Welcher Zusatz fehlt in der Basis-Formel?«

    Beide Männer griffen nach seinen Oberarmen, hielten ihn fest und schüttelten ihn. Sein Kopf pendelte unkontrolliert hin und her. »Betäubungsmittel« durchzuckte es ihn. Sie mussten ihm ein Betäubungsmittel ins Bier, das er zum Essen getrunken hatte, gemischt haben. Vermutlich nach seiner Weigerung, ihnen die Formel, um die es ging, zu verhökern. Der Schnaps, den sie ihm eingeflößt hatten, enthielt anscheinend eine weitere, stärkere Dosis davon.

    Durch die raue Bewegung seines Körpers tröpfelten wieder ein paar deutliche Gedanken durch sein Gehirn, bevor sie zischend verdampften, als ob sie auf eine heiße Herdplatte getroffen wären. Es fiel ihm schwer, den dichten Nebel in seinem Gehirn zu durchdringen. Er konzentrierte sich darauf, ein Loch hineinzubrennen. Stellte sich vor, wie ein Gedanke gleich einem gebündelten Laserstrahl die zähe Masse durchdrang. Aber die hellen Momente waren zu kurz, reichten nicht, um in eine gezielte Aktion umgesetzt zu werden.

    Die linke Hand des Blonden wedelte dicht vor Florians Gesicht. Seine Finger umklammerten dabei etwas Durchsichtiges, das wie Glas mit bläulichem Schimmer aussah. Florian erkannte den tropfenförmigen Anhänger sofort. Ein kalter Schauer raste über seinen Rücken wie eisige Peitschenhiebe. Es war zu dunkel, um die Gravur zu lesen. Doch er wusste, was darauf stand. Sein Name und der von Monika. Das zum öffnen wie ein Medaillon geformte Schmuckstück hatte er selbst aus dem neuen Kunststoff angefertigt.

    Triumphierend streckte der Mann Florian seine ausgebreitete Handfläche, auf der sich der tropfenförmige Anhänger befand, entgegen. Durch den Schock floss verstärkt Adrenalin durch Florians Körper. Die Nebelschwaden in seinem Kopf zogen sich zurück und machten klaren Gedanken Platz. Wie kam dieser Fremde zum Schmuck seiner Frau? Hatte er womöglich Monika in seiner Gewalt?

    Florian stürzte sich auf den Mann. Das Wissen, der Schwächere zu sein, war ihm egal. Es ging jetzt nicht mehr um Abwehr, sondern um einen Angriff. Er schlug dem Blonden, so fest er konnte, auf den Arm. Der tropfenförmige Anhänger rutschte aus dessen Hand und landete auf dem Boden, neben den Verstrebungen des Brückengeländers.

    Es handelte sich um kein wertvolles Schmuckstück. Als Florian den Anhänger für Monika anfertigte, dachte er, es wäre ein hübsches Andenken. Das eigentliche Geschenk waren allerdings die Armkettchen für die Zwillinge in seinem Inneren gewesen. Sie fehlten. Das tropfenförmige Medaillon war leer.

    Der Blonde bückte sich rasch danach. Florian nützte die Gelegenheit und warf sich auf ihn. Es brachte ihm allerdings kaum Vorteile. Da er mit keiner Art von Kampfsport vertraut war, schüttelte ihn der Blonde einfach ab, wie ein lästiges Insekt. Verärgert stieß Florian den am seitlichen Rand der Brücke liegenden Anhänger ins Wasser. Er dachte nur noch daran, dass dieser Mann Monika bedrohte. Womöglich war seine hochschwangere Frau diesem brutalen Menschen hilflos ausgeliefert gewesen. Die Wut verlieh Florian eine Kraft, die er selbst nicht erwartet hatte. Gereizt trat er mit dem Fuß gegen das Knie seines Widersachers.

    Mit schmerzverzerrtem Gesicht stieß der Blonde einen animalisch klingenden Laut aus. Florian registrierte, einen Treffer gelandet zu haben. Doch gleichzeitig hatte er den Zorn des Kerls entfacht. Dessen geballte Faust holte gerade zum Schlag auf sein Gesicht aus.

    »Nein! Keine Spuren hinterlassen!«, stoppte die gebieterische Stimme des anderen Mannes das Vorhaben.

    Der Blonde hielt tatsächlich mitten in der Bewegung inne. Dabei schnaubte er verächtlich. Wahrscheinlich war er brutaler, gefährlicher war jedenfalls der andere, der die Anweisungen gab. Der Blonde schien bloß ein Handlanger zu sein, der ausführte, wozu er beauftragt wurde. Emotionslos. Gedankenlos. Kalt. Vielleicht war er nicht sonderlich clever? Gehorchte nur Befehlen. Roboterhaft. Er öffnete die zu Fäusten geballten Hände, legte sie auf Florians Brust und drückte ihn gegen das Brückengeländer.

    Danach zerrte er Florians Kopf grob nach hinten, presste ihm wieder die Schnapsflasche auf die Lippen. Sich dagegen zu sträuben, nützte wenig. Der schmale Grat zwischen Atmen und Ersticken ließ kaum weitere Möglichkeiten offen. Er musste rasch handeln. Bevor eine weitere schwarze Welle wieder sein Denken überflutete. Der Schweinehund hatte Monika sicherlich eine Heidenangst eingejagt, als er ihr den Anhänger wegnahm.

    Mit durchgestreckten Armen stemmte sich Florian vom Brückengeländer hoch. Seine Finger umklammerten den Handlauf, während er mit den Fersen auf eine der waagrechten Metallverstrebungen stieg. Als ob er mit dem Rücken voran auf eine Leiter kletterte, erreichten seine Füße die nächste horizontale Strebe. Er überragte den Blonden nun um fast einen Kopf. In einer Reflexbewegung spuckte er ihm den Rest der Flüssigkeit, die sich in seinem Mund gesammelt hatte, ins Gesicht und schlug gleichzeitig mit der Fußspitze gegen seinen Unterkörper. Vermutlich wären Florian selbst durch lange Übung keine gezielteren Treffer gelungen. Der ausgespuckte Schnaps landete im linken Auge des Blonden und die Fußspitze traf seine Kronjuwelen. Der Mann krümmte sich und knurrte wie ein gereiztes Raubtier. Sein Gesicht lag im Schatten, und der verzerrte Ausdruck war in der Dunkelheit nur verschwommen zu erkennen. Trotzdem war die geballte Wut nicht zu übersehen.

    Florian hakte die Ferse seines rechten Fußes in der nächsten höheren Verstrebung ein. Er fühlte sich wie ein Riese. Der Blonde versuchte, nach seinen Schultern zu greifen. Was wollte er? Ihn zurück auf den Boden der Brücke zerren? Florian grinste verächtlich. Der Blonde holte zum Schlag aus. Diesmal nicht mit der Faust, sondern mit beiden Handflächen.

    1

    Wien, Innenstadt

    Da die Rolltreppen der U-Bahn-Station zur Zeit außer Betrieb waren, drängten sich auf- und abwärtshastende Menschen über die Stufen beim Ausgang »Stephansplatz«.

    Claudia überlegte, ob ihre Entscheidung, ausgerechnet in der Wiener Innenstadt shoppen zu gehen, sinnvoll war. Es gab günstigere Einkaufsstraßen. Natürlich lockten viele Boutiquen in der Kärntnerstraße mit exquisiten Dingen. Allerdings dämpften deren Preis-Schilder diese Verlockung. Reizvoll, aber unerschwinglich. Schade. Gedankenversunken, mit auf die Stufen gerichtetem Blick, bemerkte sie Julia erst, als sie zusammenstießen. Julia war nach unten gerannt und praktisch in Claudia hinein.

    »Claudia?«, stieß sie atemlos hervor. Es klang nach erleichtertem Stöhnen, als ob sie ein Geschenk erhalten hätte, obwohl sie eine bösartige Drohung erwartete.

    »Julia? … Ju-li-a!«, stotterte Claudia verwundert und vergaß einen Moment lang, den vor Erstaunen offen stehenden Mund zu schließen. Was nicht ausschließlich daran lag, dass sie die zufällige Begegnung überraschte, sondern Julias Aussehen. Aus einer nur geringfügig größeren Entfernung hätte sie die junge Frau vermutlich gar nicht erkannt.

    Julia klammerte sich hektisch an Claudias Arm und warf dabei gehetzte Blicke nach allen Seiten. »Ich muss … kann ich … mit dir reden?«, stammelte sie. »Bist du in Eile?«

    »Nicht wirklich. Ich will eigentlich nur ein bisschen rumbummeln und shoppen, … Klamotten kaufen.«

    Julia ließ Claudias Arm los und kramte einen Stadtplan aus ihrer nostalgisch anmutenden, schwarzen Lederhandtasche. Sie standen immer noch mitten auf den Stufen des U-Bahn-Aufgangs und dadurch den meisten Leuten mehr oder weniger im Weg. Umständlich entfaltete Julia ihren Wien-Plan zur vollen Größe. Sie hielt ihn hoch, als ob sie beabsichtigte, einen Teil ihrer Gesichter zu verdecken. »Ich werde verfolgt«, flüsterte sie, »verhalte dich so, als ob ich eine Fremde wäre, der du den Weg erklärst.«

    Als sie Claudias skeptischen Blick auffing, deutete sie ihn sofort richtig und legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. In Claudias Augen glich dieses theatralische Verhalten einer Show. Die beiden kannten einander bereits lange genug, um impulsive Reaktionen richtig einzuschätzen.

    »Bitte«, hauchte Julia eindringlich. »Ich möchte dir etwas erzählen. Aber nicht hier. Unbeobachtet! Und es dauert vielleicht ein bisschen länger.«

    »Na schön, suchen wir uns ein nettes Lokal, um dort in aller Ruhe Kaffee zu trinken.«

    »Nein! Nein, das ist zu gefährlich. Ich brauche Hilfe, aber ich will dich in diese Sache keinesfalls hineinziehen.«

    »Dann sag, wie ich dir helfen kann. Soll ich dich bei deinen Eltern besuchen?«

    »Sie wissen nicht, dass ich in Wien bin. Und es ist besser, wenn sie es auch nicht erfahren! … Könnten wir uns irgendwo treffen, an einem Ort, an dem wir unauffällig und ungestört sind?« Sie blickte die Stufen nach oben. Vor ihnen lag der Stephansplatz. Julias Blick fiel auf den Dom. »Vielleicht in der Kirche?«

    Claudia verdrehte die Augen. Also jetzt ging die bühnenreife Darbietung doch etwas zu weit. Für ein ausführliches Gespräch war der Stephansdom wohl kaum geeignet. Weder zwischen den schnatternden Touristen, die das Bauwerk bewunderten, noch zwischen betenden Gläubigen, die Stille suchten. Und Claudia war keineswegs bereit, sich über mehr als hundert Stufen in den Turm hinaufzuquälen, oder in die düsteren Katakomben hinunterzusteigen.

    »Bitte!«, flehte Julia eindringlich. »Ich muss einfach mit jemandem reden, dem ich vertrauen kann. … Sonst schnappe ich noch über. … Aber hier kann ich nicht länger stehen bleiben.« Sie faltete den Stadtplan wieder zusammen. Dabei nickte sie mit freundlichem Lächeln, als ob sie sich für eine Wegbeschreibung bedanken wollte.

    »Na schön, flüchten wir einfach in eine Boutique«, Claudia grinste, »in Klamotten rumstöbern entspannt dich sicherlich.« Ihre Augen wanderten über Julias mausgraues Kostüm; schmaler, wadenlanger Rock, taillierte Jacke, hochgeschlossene weiße Bluse. Ihr blondes Haar war zu einem straffen Knoten am Hinterkopf gekämmt. Obendrein trug sie eine altmodisch geschwungene, mit reichlich Strass verzierte Brille, die den biederen, leicht eulenhaften Eindruck verstärkte.

    Ausgerechnet Julia im erzkonservativen Outfit einer antiquierten Erzieherin zu sehen, fand Claudia schlicht unfassbar. War sie unterwegs zu einem Casting, um eine Rolle, die in den 50er-Jahren spielte, zu ergattern? Vielleicht war sie ja deshalb so nervös. Oder übte sie bereits und missbrauchte jeden in ihrer Nähe als Publikum?

    Julia bemerkte Claudias abfälligen Blick überhaupt nicht, sondern stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu: »Super Idee. Wo wolltest du dich denn zum Shoppen umsehen?«

    »Ehrlich gestanden habe ich an Mango oder Zara gedacht. Liegt in meiner Preisklasse. Die teureren Läden sprengen mein Budget.«

    »Zara ist gut!« Die Andeutung eines Lächelns huschte über Julias Gesicht. »Es gibt einen Lift von der U1-Station, der in der Nähe des Geschäfts an der Ecke vom Stephansplatz zum Graben rauskommt. Ich gehe jetzt mal hinunter und studiere die U-Bahn-Pläne, als ob ich eine Fremde wäre, die sich nicht auskennt …«

    »Warum schaust du dir nicht die Virgilkapelle an? In der oberen Etage ist eine riesige Scheibe, die den Besuchern einen Blick auf die Ausgrabung gestattet. Auf eine an Wien interessierte Touristin wie dich, wirken die Fragmente einer Kapelle aus den Jahren zwischen 1230 und 40 sicher beeindruckend.« Es entging Julia offenbar, wie ätzend die Bemerkung gemeint war.

    »Ja«, flüsterte sie, »ja, du hast recht, das ist am Unverfänglichsten.« Sie schwenkte auffällig ihren Arm und wies demonstrativ mit dem Zeigefinger zur Station hinunter. »Wir treffen uns dann, … sagen wir in einer Viertelstunde, … bei Zara, … vor den Umkleidekabinen im ersten Stock. Dort sind wir ungestört. … Bummle bitte noch ein wenig herum und geh nicht direkt hin. Bitte!« Ohne ein weiteres Wort rannte sie die Treppe hinunter.

    Kopfschüttelnd blickte ihr Claudia nach. Zweifellos besaß Julia ein beachtliches schauspielerisches Talent. Doch etwas an ihrer Haltung ließ darauf schließen, dass sie diesmal jedes Wort ernst meinte. Nachdenklich sah sich Claudia um. Es gelang ihr nicht, jemanden ausfindig zu machen, der auch nur im Entferntesten so wirkte,

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