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Chaussee der Enthusiasten: Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was!
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eBook156 Seiten1 Stunde

Chaussee der Enthusiasten: Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was!

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Über dieses E-Book

Die Chaussee der Enthusiasten sind Volker Strübing, Stephan Zeisig, Andreas "Bohni" Kampa, Robert Naumann, Jochen Schmidt und Dan Richter. Die Lesebühne, gegründet 1999, kredenzt ihrem Publikum jeden Donnerstagabend in Berlin-Friedrichshain einen Teil des Glücks, das man ihm an anderen Tagen der Woche vorenthält. Durch ihre Touren haben sie sich mittlerweile aber auch ein loyales Publikum im ganzen Land "erlesen" und sind sogar schon in Bulgarien, Russland und China aufgetreten.
SpracheDeutsch
HerausgeberVoland & Quist
Erscheinungsdatum12. Dez. 2013
ISBN9783863910433
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    Buchvorschau

    Chaussee der Enthusiasten - Robert Naumann

    DAN RICHTER

    Daheim

    Ein angenehmer Aspekt meines Lebenswandels besteht darin, tagsüber nicht in fremden Büros, auf fremden Baustellen oder in fremden Leichenhallen arbeiten zu müssen, sondern mich daheim am eigenen Schreibtisch ausbreiten zu dürfen. Kein Chef nörgelt, wenn ich beim Arbeiten esse, zwischendurch Solitär spiele oder meine Korrespondenz nackt auf dem Bett erledige.

    Der Nachteil dieser Art von Arbeit besteht darin, dass es keine Sekretärin gibt, die das Telefon bedient, keine Kantine, in der für mich Nudeln gekocht werden, keinen Hausmeister, der mir die Klingler vom Leibe hält. Vielleicht sollte ich mir mal eine 1-Euro-Job-Koch-Hausmeister-Sekretärin leisten. Zurzeit ist das wegen der unverschämten Gewerkschaften leider noch nicht drin. Dabei würde ich bei den Tarifverhandlungen durchaus mit mir reden lassen. Die Angestellte hätte bei mir prima flexible Arbeitszeiten, könnte mein Telefon für Privatgespräche nutzen, und schlüge auf diese Weise die zweite Fliege mit derselben Klappe. Die Klappe heißt Telefonleitung besetzen. Die zweite Fliege sind die unangemeldeten Telefonanrufer. Auch übers Kochen ließe sich reden. Notfalls könnte sie uns auch zwei Falafel vom arabischen Imbiss bestellen. Die einzige Aufgabe, auf die ich allergrößten Wert legte, wäre das Klinglerabwimmeln. Werber, Elektriker, Umfrager, Müllmänner (auch Müllfrauen, falls dieser Berufszweig dereinst von Feministinnen der vierten Generation für sich reklamiert werden sollte). Am schlimmsten allerdings sind jedoch die Paketboten. Da ich der einzige Mieter in unserem Haus bin, der zur Austragezeit zuhause ist, muss ich sämtliche Pakete des Hauses entgegennehmen. Und falls ich doch mal nicht zuhause bin, kommt garantiert ein Paket für mich an. Blöd nur, dass es niemand annehmen kann und ich es am nächsten Tag bei der gefühlte vier Lichtjahre entfernt liegenden Post abholen muss.

    Verzeihung, ich kann diesen Text leider nicht weiterschreiben, es klingelt an der Haustür.

    »Was? Ein Paket? Klar, nehm ich das entgegen. Zweiter Stock Vorderhaus. »Der Postbote stöhnt. Was hat er nur, er wird doch fürs Schleppen bezahlt. Was soll ich denn sagen! Ich warte im Bademantel an der Wohnungstür. Ich höre ein langsames gleichmäßiges Treppehochstapfen. Er hat diesmal 15 Minuten gebraucht. Der Grund dafür ist ein ein Kubikmeter großes Paket, mit dem er sich abmüht, als stecke darin ein mit WinZip komprimiertes Klavier. Angesichts seiner zahlreichen Schweißtropfen nehme ich es ihm ausnahmsweise nicht aus der Hand und lotse ihn stattdessen ins Wohnzimmer (im Flur hätte das Paket kaum Platz): »Ja, stellen Sie es ruhig ab, ich räume es nachher weg«, irre ich mich. »Für wen ist das? Korbke? Kenn ich gar nicht. Muss wohl aus dem Hinterhaus sein. Werfen Sie ihm eine Benachrichtigung rein? Quittieren?

    Klar.«

    Tür zu. Ich kann die Geschichte leider immer noch nicht weiterschreiben. Solche unerwarteten Kommunikationsakte stressen mich ungemein. Außerdem stört mich, dass das Paket dort steht, wo es nun steht. Ich weiß, ich hatte dem Postboten die Erlaubnis gegeben, es einfach abzustellen, aber hätte er ein Fitzelchen mehr Gespür für effiziente Raumgestaltung gehabt, hätte er es unter den Keyboardtisch gestellt. Ich hebe das Paket an…

    Zweiter Versuch. Ich hebe das Paket an…

    Dritter Versuch. Ich bandagiere mir die Handgelenke und pudere die Handflächen mit Talkum ein. Ich hebe das Paket an… Es bewegt sich zwei Zentimeter vom Boden. Ich gebe meine ganze Kraft in den Boden ab. Jetzt nicht nachlassen. Vier Zentimeter, fünf, zehn, zwanzig… vierzig… Ein Bein darunter… Kurz durchatmen, noch ein Zentimeter. Ich lasse es fallen. Anscheinend muss ich noch an meiner Atemtechnik feilen.

    Hat das eben beim Fallenlassen geknirscht im Paket? Scheiße! Ich hab dafür quittiert. Nachher bin ich dafür verantwortlich, wenn das Klavierkomprimat zerbrochen ist oder das Tier tot. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, dabei liegt das doch auf der Hand. Der Absender hat an Herrn Korbke ein leicht zerbrechliches, aber schweres Tier geschickt und die Zwischenräume wie man es beim Umzug mit dem Geschirr macht mit Papier ausgestopft. Ich untersuche das Paket nach Atemlöchern. Sie sind nicht vorhanden. Dann ist wohl Eile das Gebot der Stunde. Ich nehme ein Messer…, doch halt! Nachher passiert Schlimmeres! Soll das doch der Korbke selber ausbügeln.

    Verzeihung, ich kann die Geschichte leider nicht weiterschreiben, ich muss mal ins Hinterhaus zu Korbke gehen, um dem Bescheid zu sagen, dass hier ein quaderförmiges Überraschungs-Ei mitGewichten auf ihn wartet. Hurtig flitze ich ins Hinterhaus, in welcher Etage wohnt eigentlich dieser Korbke? Erster Stock, zweiter Stock, dritter, vierter, Dachboden. Beim Heruntersteigen prüfe ich noch mal intensiv die Namenschilder und die mit ca. 4.500 Inschriften und Losungen versehene Tür einer unkonventionellen WG im dritten Stock. Als ich beim unteren Drittel angekommen bin und versuche, ein Gekrakel, das Griechisch sein könnte, daraufhin zu prüfen, ob es vielleicht Korbke heißen könnte, öffnet mir eines der männlichen WG-Mitglieder, das mir schon des Öfteren im Hausflur durch seine medizinisch gewagten Piercings und seine zur Schau gestellte Abscheu gegen Körperhygiene aufgefallen ist. Ich sehe zunächst nur seine Waden, erkenne den Träger aber eindeutig am Geruch und nachdem er »Kann ick dir helfen?« fragt, auch an seiner Stimme. So auf Knien kommt mir die Korbke-Story extrem unglaubwürdig vor, also flunkere ich: »Ich suche meine Wohnungstür, aber da du nicht ich bist, der da die Tür öffnet, muss ich mich wohl geirrt haben.«

    Schlecht. Äußerst schlecht pariert, da wäre ja die Korbke-Wahrheit noch besser gewesen.

    »Bist du nicht der Penner aus’m Vorderhaus?«

    Ich wundere mich über das Image, das sich die Bewohner des Hinterhauses über mich gebildet haben, es entspricht in etwa dem, das ich von ihnen pflege. Um die Schraube der missverständlichen Kommunikation nicht zu überdrehen, bestätige ich ihn in seinem Vorurteil, in dem ich den Betrunkenen spiele: Auf allen Vieren krieche ich zur Treppe und lalle: »Trink ma noch ein Tröpfchen, trink ma noch ein Tröpfchen, aus dem kleinen…«

    Scheiße! Liedtextschwäche! Aber das unterstreicht meine Maskerade nur. Der WG-Satan schmeißt die Tür ins Schloss. Ich stehe wieder auf und höre, wie eine weibliche Stimme undeutlich eine Frage ruft. Mr. Dreckspiercing antwortet: »Ach, dis war der Korbke aus’m Vorderhaus!« Was? Korbke? Er weiß, wo Korbke wohnt? Ich lasse alle Beherrschung fallen und klingle Sturm. Im selben Moment fällt mir ein, dass ich erstens eben noch den Betrunkenen gespielt habe und zweitens mich dieser Irre für Korbke hält. Wenn ich ihn nun frage, wo Korbke wohnt, würde das zwar in das Bild, das er sich vom desorientierten Besoffenen gemacht hat, passen, mich aber keinen Schritt weiterbringen. Ich renne also im Galopp die Treppen hinunter, wie das letzte Mal als Elfjähriger beim Klingelstreich. Dummerweise öffnet er schon, als ich nicht einmal die ersten drei Stufen geschafft habe. Einem Instinkt folgend, der mir sagt, dass alles, was jetzt kommt, die Sache nur noch schlimmer machen würde, renne ich einfach weiter. Er holt mich schon nach einer halben Treppe ein.

    »Wat sollte’n ditte?«

    »Ach, entschuldigen Sie? Haben Sie nicht eben gesagt, ich heiße Korbke?«

    »Wie?«

    »Korbke!«

    »Wat soll’n dit für’n Name sein?«

    »Das weiß ich doch nicht.«

    »Na, du hast dir den doch eben ausjedacht!«

    »Ich? Du hast den doch eben deiner Mitbewohnerin zugerufen!«

    »Mitbewohnerin? Hab ick jar nich.«

    »Was?«

    »Was was?«

    »Ha, na dann ist ja alles klar.«

    »Pass bloß uff, Freundchen.« Er verzieht sich wieder. Habe ich schon Halluzinationen?

    Es gibt auch im Vorderhaus keinen Korbke. Verzweifelt gehe ich wieder in meine Wohnung und setze mich abgekämpft ins Zimmer.

    Heute war doch Geschichtenschreibtag. Jetzt ist alles versaut, keine Inspiration mehr, weil ich auf diesem verfluchten Korbke-Paket sitze. Jetzt ist mir’s auch egal. Das Messer liegt ja noch da. Ich fühle mich wie ein Serienmörder auf Ecstasy, als ich auf die Kiste einsteche. Sand rieselt heraus. Das ist es also, was die Kiste so schwer gemacht hat. Aber was ist in dem Sand verborgen? Ich zerreiße die Pappe und den Leinensack, steche immer wieder auf ihn ein, als sei es Korbke selber. Nichts, nichts darin. Nur Sand, Sand und noch mehr Sand, der so langsam meinen Teppich versaut. Sandsendung, wie lustig, ob es da einen Spartarif bei der Post gibt? Verbrauche beim Staubsaugen fünfunddreißig Tüten.

    •   •   •

    Es dunkelt. Ich liege auf dem Bett und starre an die Decke. In der Hand halte ich einen Zettel. Es ist ein von Messerstichen zerfledderter Lieferschein vom Kristallografischen Institut der Humboldt-Universität an Herrn Dr. Korbke aus der Libauer Straße 7. Der Postbote hatte sich wohl in der Hausnummer geirrt. Inhalt des Pakets: Quartzproben vom Grund des Indischen Ozeans. Das alles würde mich noch nicht umhauen, stünde da nicht der Wert der Lieferung am Ende des Zettels: 85.000 Euro. Keine Ahnung, ob meine Haftpflichtversicherung dafür aufkommt. Ich traue mich nicht zu fragen.

    Ich liege auf dem Bett und starre an die Decke. Ich bin nackt. Gut, dass ich jetzt keinen Chef habe.

    ROBERT NAUMANN

    Babysitten gehört eindeutig nicht zu meinen Aufgaben

    Die Rollenverteilung bei uns zu Hause ist eigentlich klar geregelt. Da mein Arbeitslosengeld wesentlich höher ist als die Arbeitslosenhilfe meiner Frau, fällt mir die Rolle des Ernährers zu. Ich müsste somit von Haushaltspflichten entbunden sein, um mich meiner Rolle ungestört widmen zu können, aber da ist noch viel Sand im Getriebe.

    Für Schuldzuweisungen ist hier kein Platz. Aber zum Beispiel ließ mich meine Frau neulich mitten in der Woche mit den Kindern allein, um eine Freundin zu besuchen. Wir verabschiedeten uns etwas unorthodox: Ich hielt sie am Ärmel fest, sie trat mich vors Schienbein, ich hielt mir das Schienbein und sie war entwischt.

    Was nun? Das Spielen mit zwei kleinen Kindern ist zeitlich nicht mit meiner Ernährerrolle vereinbar. Obwohl wir gerade gefrühstückt hatten, versuchte ich es erstmal mit: »So, jetzt ist aber Mittagsschlaf!« Kinder haben ja noch kein so ausgeprägtes Zeitgefühl.

    »Aber Papa«, entgegnete Marie, »Es ist erst halb neun.«

    Oh, sie konnte die Uhr lesen. Na ja, sie ist meine Tochter, ziemlich reif für ihr Alter, genau wie ich damals.

    »Na gut«, sagte ich, »dann spielen wir…« Ich überlegte fieberhaft, dann hatte ich den rettenden Einfall. Ich klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Wir spielen Arbeitsamt!«

    »Ja, Arbeitsamt!«, riefen die Kinder und klatschten ebenfalls begeistert. Sie kannten ja

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