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Knochentanz: Kriminalroman
Knochentanz: Kriminalroman
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eBook286 Seiten3 Stunden

Knochentanz: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

In einer regnerischen Aprilnacht ereignet sich in Hamburg auf dem Ring 3 ein folgenschwerer Unfall. Ein Kleintransporter rast mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum. Doch der tödlich verunglückte Fahrer ist nicht der einzige Tote am Unfallort. Im Laderaum des Fahrzeugs liegen fünf Leichen - eine davon mit einer Schusswunde. Was bedeutet dieser grausige Fund? Wer sind die Toten?
Peer Nielsen von der Mordkommission begibt sich mit seinem Team auf Spurensuche und stößt dabei auf eine unfassbare Realität im medizinischen Alltag.
SpracheDeutsch
HerausgeberGmeiner-Verlag
Erscheinungsdatum1. Juli 2015
ISBN9783839247501
Knochentanz: Kriminalroman
Autor

Sandra Dünschede

Sandra Dünschede, geboren 1972 in Niebüll/Nordfriesland und aufgewachsen in Risum-Lindholm, erlernte zunächst den Beruf der Bankkauffrau und arbeitete etliche Jahre in diesem Bereich. Im Jahr 2000 entschied sie sich zu einem Studium der Germanistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Kurz darauf begann sie mit dem Schreiben, vornehmlich von Kurzgeschichten und Kurzkrimis. 2006 erschien ihr erster Kriminalroman »Deichgrab«, der mit dem Medienpreis des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes als bester Kriminalroman in Schleswig-Holstein ausgezeichnet wurde. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin und lebt seit 2011 wieder in Hamburg, wohin es sie als waschechtes Nordlicht zurückzog.

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    Buchvorschau

    Knochentanz - Sandra Dünschede

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    Sandra Dünschede

    Knochentanz

    Kriminalroman

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    Impressum

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Friesenschrei (2015), Friesenlüge (2014), Friesenkinder (2013), Nordfeuer (2012), Todeswatt (2010), Friesenrache (2009), Solomord (2008), Nordmord (2007), Deichgrab (2006)

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2015

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung: Julia Franze

    E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Carolin Weinkopf / photocase.de

    ISBN 978-3-8392-4750-1

    Widmung

    Für Erika,

    die den Stein ins Rollen brachte …

    Auszug aus dem StGB

    § 168 Störung der Totenruhe

    (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

    (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.

    (3) Der Versuch ist strafbar.

    Strafgesetzbuch (StGB)

    1. Kapitel

    »Hm.« Polizeihauptkommissar Ladwig kratzte sich am Kinn, während er auf die geöffneten Ladetüren des Transporters blickte.

    Der Kastenwagen war auf regennasser Straße augenscheinlich ins Schlingern geraten und beinahe ungebremst frontal gegen einen Baum gekracht. Ladwig war aus dem Kommissariat Niendorf zeitgleich mit dem ebenfalls verständigten Rettungswagen am Unfallort eingetroffen. Die Notärztin hatte versucht, den Fahrer zu reanimieren. Doch vergeblich. Der Mann war noch vor Ort verstorben.

    Kommissar Ladwig hatte mit seinen Leuten die Unfallstelle abgesichert und den Verkehrsunfalldienst informiert. Der war kurze Zeit später aus der Stresemannstraße angerückt, ebenso wie ein Sachverständiger von der DEKRA. Während die Kollegen die Spuren gesichert und den Unfallverlauf rekonstruiert hatten, war Ladwig zurück zu seinem Einsatzwagen gegangen und hatte den Abschleppdienst gerufen. Die Nacht war ungemütlich und er wollte schnell zurück ins Warme. Ähnlich schien es den Kollegen zu ergehen, denn schon bald hatte man mit der Räumung der Unfallstelle beginnen wollen – dabei aber eine grausige Entdeckung gemacht.

    Ladwig trat näher an die Heckklappe des Transporters. Er fröstelte, und das nicht nur aufgrund des nasskalten Wetters. Ein leicht süßlicher Geruch wehte ihm entgegen, als er die Klappe ganz öffnete, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Seine Augen streiften die bleichen Körper, die dicht gedrängt auf der Ladefläche lagen. Er spürte, wie Übelkeit ihn zu überwältigen drohte, und wandte sich ab.

    »Ist der Wagen auf ein Bestattungsinstitut zugelassen?«, fragte er seinen Mitarbeiter, den er angewiesen hatte, den Halter des Fahrzeugs zu ermitteln. Der junge Beamte schüttelte stumm seinen blassen Kopf. »Hätte ich mir auch nicht vorstellen können«, murmelte Ladwig vor sich hin. Welches seriöse Unternehmen transportierte auf diese Weise schon die sterblichen Überreste seiner Kunden? Wieso aber befanden sich die Leichen in dem Wagen? Wieder kratzte er sich am Kinn, während er noch einmal in den Transporter blickte.

    »Der Fahrer ist nicht hier gemeldet«, erklärte ein weiterer Polizist, der plötzlich wie aus dem Nichts neben dem Hauptkommissar auftauchte. »Rumäne mit Wohnsitz in Slobozia.« Er folgte Ladwigs Blick. »Ist das Blut?« Der Kollege deutete auf einen der toten Körper.

    »Nicht unwahrscheinlich, oder?«, grummelte Ladwig, der eine Menge Arbeit auf sich zukommen sah. Alleine der Bericht. Was sollte er da schreiben?

    »Aber Tote bluten doch nicht mehr, oder?« Der Beamte reckte seinen Kopf in die Höhe, während Ladwig überlegte, was als Nächstes zu tun war. Sie mussten die Unfallstelle räumen, aber wohin mit den Leichen? »Das ist doch eine Schussverletzung!« Der andere Polizist hatte sich weit vorgelehnt, um besser in das Innere des Wagens blicken zu können. »Und die ist frisch, oder?« Ohne Ladwigs Antwort abzuwarten, kletterte der Mann auf die Ladefläche und bemühte sich, Platz zwischen den Leichen zu finden.

    Seit dieser Mitarbeiter in das Team gekommen war, zeichnete er sich vor allem durch unüberlegten Übereifer aus. Schon so einige Male war er über das Ziel hinausgeschossen, aber in diesem Fall war Ladwig dankbar über das Vorpreschen des Polizisten. »Dann rufe ich am besten die Mordkommission!«, atmete er erleichtert auf.

    2. Kapitel

    Peer Nielsen drehte sich stöhnend in seinem Bett herum. Er wollte nicht aufwachen. Mit aller Gewalt versuchte er, den Traum festzuhalten. Zu schön war die Frau, die neben ihm am Strand lag und die ihn gerade mit einem verführerischen Lächeln gebeten hatte, ihren Rücken mit Sonnenmilch einzucremen. Er spürte ihre weiche, samtige Haut unter seinen Händen, doch ein penetrantes Piepsen machte ihm klar, dass dies nur ein weiches Jerseybettlaken war, über das seine Finger zärtlich strichen. »Verdammt«, zischte er und angelte noch schlaftrunken nach seinem Handy auf dem Nachttisch.

    »Nielsen.« Er hielt die Augen geschlossen, während ihm eine Stimme am anderen Ende der Leitung etwas von einem Unfall mit fünf Leichen erzählte. »Und?« Was hatte er mit Unfallopfern am Hut?

    »Das sind keine Unfallopfer. Einer der Männer weist eine Schussverletzung auf!«

    Noch immer verstand Peer die Zusammenhänge nicht, aber da er Rufbereitschaft hatte, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich das anzuschauen. »Gut, ich komme«, seufzte er daher ins Telefon und zog dabei die Bettdecke über den Kopf. Einen kurzen Augenblick gab er sich dem Gedanken hin, einfach weiterschlafen zu können. Das Trommeln des Regens auf den Dachfenstern ließ ihn zusätzlich zögern. Bei diesem Wetter schickte man doch keinen Hund auf die Straße, und er sollte sein warmes Bett verlassen, nur weil es auf dem Ring 3 einen Unfall gegeben hatte, für den er wahrscheinlich noch nicht einmal zuständig war? Verdammt. Nielsen schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Es nützte nichts, das war nun einmal sein Job. Stöhnend erhob er sich und tapste in die Küche. Für einen Kaffee blieb ihm zwar keine Zeit – aber ein Energiedrink tat’s auch. Während er in seine Jeans und einen Pullover schlüpfte, stürzte er die kalte Flüssigkeit zum Wachwerden hinunter. Dann riss er seine Jacke vom Garderobenhaken, griff nach den Autoschlüsseln und zog die Tür seiner kleinen Dachgeschosswohnung hinter sich zu.

    Sein Auto stand zum Glück direkt vor dem Haus. Mit wenigen schnellen Schritten hatte er es erreicht und stieg ein. Er startete den Motor und drehte beinahe zeitgleich den Regler der Heizung hoch. Sein noch bettwarmer Körper gewöhnte sich nur langsam und äußerst schmerzlich an die nasskalte Umgebung. Zum Glück verfügte der Kombi über eine Sitzheizung, die Peer auf der höchsten Stufe anschaltete. Noch einmal seufzte er, ehe er den Gang einlegte und Gas gab.

    Um diese Zeit waren die Straßen beinahe leer, daher sparte er sich das Blaulicht, ohne das er tagsüber niemals so schnell vorangekommen wäre. Nur wenige Minuten und er sah bereits die abgesperrte Unfallstelle auf dem Ring 3. Nielsen hielt am Straßenrand und stieg aus. Regen schlug ihm ins Gesicht und noch einmal verfluchte er innerlich seinen Job, Petrus und Tief »Mathilda« oder wer auch immer dafür verantwortlich war, dass er in Nullkommanichts bis auf die Haut durchnässt war und wie ein Schneider fror. Er blickte sich um und sah einen jungen Beamten auf sich zustürmen. »Kommen Sie! Hier!« Der Polizist winkte ihm zu. Peer nickte und hielt Ausschau nach seinem Mitarbeiter, aber Michael Boateng schien noch nicht vor Ort zu sein. Seltsam, fand Nielsen und eilte durch den Regen zur Unfallstelle.

    Der Kastenwagen sah übel zugerichtet aus. Kein Wunder, dass der Fahrer nicht überlebt hatte. Peer kam gerade hinzu, als die Männer vom Bestattungsunternehmen das Unfallopfer in einen Metallsarg legten. Weiter hinten am Straßenrand sah er weitere Leichenwagen.

    Neben dem Transporter, im Schutz des Baumes stand ein anderer Polizist und rauchte. »Nielsen, Mordkommission«, rief er dem Mann zu. Der nickte lediglich und wies mit seiner glühenden Zigarette auf den Kastenwagen. Peer wandte sich irritiert um und ging zum Heck. Die Beamten hatten inzwischen einen Scheinwerfer auf die Ladefläche gerichtet, sodass die bleichen Körper ihm quasi entgegenstrahlten. Trotzdem konnte er kaum glauben, was er sah.

    »Wo kommen die denn her?«

    »Das wüssten wir auch gerne.«

    Der rauchende Polizist war neben ihn getreten. »Ladwig, PK 24«, stellte er sich endlich vor. Der Kollege schien reichlich mitgenommen von dem grausigen Fund und auch Peer musste schlucken, ehe er seinen Blick erneut auf die Leichen richtete.

    »Einer der Toten weist eine recht frische Schussverletzung auf. Deshalb haben wir Sie gerufen«, erklärte Ladwig, während Peer versuchte, das Bild vor sich auf der Ladefläche irgendwie zu verarbeiten. Er hatte zwar in seiner Laufbahn schon etliche Leichen gesehen – zum Teil stark verwest oder entstellt, aber so viele tote Menschen auf einem Haufen waren ihm noch nicht begegnet.

    »’Tschuldigung, Chef, ging nicht schneller«, näherte sich Michael Boateng keuchend. In der Dunkelheit war der Schwarzafrikaner kaum auszumachen. »Mein Wagen ist nicht … Mein Gott, was ist das denn?« Sprachlos und mit weit aufgerissenen Augen drängte sich Boateng zwischen Nielsen und Ladwig.

    »Keine Ahnung«, presste Peer hervor und wollte sich auf die Ladefläche schwingen. Sein erster Versuch scheiterte, da er mit den nassen Sohlen seiner Schuhe am Rand abrutschte. Beim zweiten Mal aber fand er Halt und stand plötzlich zwischen den Leichen. Ein leicht süßlich modriger Geruch stieg ihm in die Nase und er musste sich anstrengen, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken.

    »Hat jemand mal Handschuhe?«

    Boateng war im Gegensatz zu seinem Chef wie immer bestens ausgerüstet und zog aus seiner wetterfesten Goretex-Jacke ein Paar Latexhandschuhe. »Bitte!«

    Peer nickte schweigend und kniete sich zwischen die Toten. Die Übelkeit lauerte nach wie vor gleich hinter seinem Kehlkopf, sodass er kaum zu schlucken wagte. Auch seine Atmung beschränkte er auf ein Minimum, denn auf der Ladefläche war der Leichengeruch um ein Vielfaches intensiver.

    Vorsichtig drehte er den obersten Körper ein Stück zu sich. Die Leichenstarre schien erst einzusetzen, lange konnte der Mann also noch nicht tot sein. Auf der bleichen Brust war deutlich die Schusswunde zu erkennen, wegen der man ihn gerufen hatte.

    Die anderen Toten schienen allerdings keine Verletzungen aufzuweisen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Das würde erst eine Obduktion zeigen.

    »Die Spurensicherung soll sich das anschauen und anschließend müssen die Leichen in die Rechtsmedizin«, sagte Nielsen zu Boateng und sprang von der Ladefläche.

    »Geht klar, ich kümmere mich.«

    »Wer hat den Unfall eigentlich gemeldet?«, wandte sich Peer an Ladwig. Der zog bereits an einer weiteren Zigarette, die er nun jedoch auf den Boden warf und austrat. Mit fahrigen Fingern nestelte er an seiner Jacke und holte sein Merkbuch hervor. »Eine gewisse Klara Vossen«, las Ladwig vor, als er die entsprechende Seite gefunden hatte. »Wir haben die Dame befragt, aber sie hat den Unfall nicht gesehen. Ist vorbeigekommen, nachdem der Wagen den Baum bereits gerammt hatte.«

    »Ich möchte trotzdem ihre Personalien«, forderte Peer. »Gab es weitere Zeugen?«

    Kommissar Ladwig zuckte mit den Schultern. »Uns sind keine bekannt.«

    Nielsen blickte sich um. Viel Verkehr gab es um diese Zeit nicht; schon gar nicht bei dem Wetter. Gut möglich, dass niemand den Unfall beobachtet hatte. »Und der Halter des Fahrzeuges?«

    »Kleinunternehmer aus Altona. Haben wir aber bisher noch nicht erreichen können.«

    3. Kapitel

    »Und ihr habt keine Ahnung, woher diese Leichen kommen?« Gerhard Fritsche, Peers Chef, blickte ihn mehr als erstaunt an.

    Nielsen war direkt vom Einsatzort ins Präsidium gefahren und hatte eine Besprechung, die er für 9 Uhr ansetzte, vorbereitet. Nun saß das gesamte Team inklusive seinem Vorgesetzten in großer Runde zusammen und alle schauten ziemlich ratlos aus der Wäsche. Solch einen Fall hatte es in Hamburg noch nicht gegeben – jedenfalls nicht, soweit sich die Anwesenden erinnern konnten.

    Peer schüttelte den Kopf. »Dafür haben wir die Adresse der Zeugin. Du, Boateng«, nickte er seinem Mitarbeiter zu, »fährst gleich nachher zu ihr und befragst sie noch einmal. Nimm Jens mit«, bestimmte er.

    »Und was ist mit dem Wagen?«, fragte Fritsche.

    »Ist bei der Spusi.«

    »Das meine ich nicht.«

    Peer wusste ganz genau, worauf sein Chef hinauswollte. Schließlich war er schon einige Jahre Leiter einer Mordbereitschaft. Doch den Kleinunternehmer aus Altona wollte er selbst unter die Lupe nehmen. Vorher musste er allerdings in die Rechtsmedizin. Die Leichen vom Ring 3 hatten erste Priorität, daher war die Untersuchung gleich heute Vormittag angesetzt.

    »Also, Lutz, du verfasst noch einen Zeugenaufruf für die Presseabteilung und Carsten, du gehst bitte mal die Vermisstenmeldungen der letzten Monate durch. Vielleicht finden wir da einen Ansatzpunkt«, verteilte er weitere Aufgaben an sein Team und überging dadurch die Frage seines Vorgesetzten. »Also, an die Arbeit!«

    »Mann, wie viele kommen denn noch?«, wunderte sich Dr. Choui, der gerade wichtige Dokumente zur Abholung durch einen Kurier am Empfang des Rechtsmedizinischen Institutes abgab. Natürlich war er über den Unfall auf dem Ring 3 informiert, trotzdem erstaunte ihn die Anzahl der Toten, die am Seiteneingang des Instituts zur Untersuchung angeliefert wurden. Da kam eine Menge Arbeit auf ihn und seine Mitarbeiter zu. Die Lehrveranstaltung am Nachmittag würde er wohl absagen müssen. Er informierte rasch seine Sekretärin und ging anschließend gleich hinunter in den Keller. Zunächst wollte er sich einmal einen Überblick verschaffen, ehe er die Arbeit aufteilte.

    »So, das ist die Letzte«, verkündete der Bestattungsunternehmer und ließ sich den Empfang der sechs Leichen von Dr. Choui quittieren. »Das muss ja ein heftiger Unfall gewesen sein, bei so vielen Toten.«

    Der Mann im dunklen Anzug nickte. »Schon, aber fünf waren ja schon tot.«

    »Waren schon tot?« Der Rechtsmediziner reichte dem Bestattungsunternehmer mit verwirrter Miene die unterschriebenen Papiere zurück.

    Der nickte. »Lagen hinten auf der Ladefläche des verunfallten Transporters.«

    Das roch nach einem spektakulären Fall und Dr. Choui liebte solche Fälle. Sofort machte er sich daran, den ersten Leichensack zu öffnen. Langsam legte er den bleichen Körper frei. »Nanu«, entfuhr es ihm, »den kenne ich!«

    Peer hatte nur noch seine Jacke und die Autoschlüssel aus seinem Büro geholt und war schnell aus dem Polizeipräsidium verschwunden. Im Grunde genommen hatte er es nicht eilig, in die Rechtsmedizin zu kommen, aber der Sinn stand ihm an diesem Morgen auch nicht nach weiteren Fragen seines Chefs. Der meinte es wahrscheinlich nur gut und grundsätzlich pflegten die beiden ein sehr freundschaftliches Verhältnis, schließlich hatte Gerhard Fritsche sich stets für Peer eingesetzt und seine Karriere vorangetrieben. In letzter Zeit jedoch empfand Nielsen die beinahe väterliche Fürsorge ein wenig lästig und er ging seinem Chef daher so weit wie möglich aus dem Weg.

    Er lenkte den Wagen durch den dichten Verkehr Richtung Eppendorf. In einer Seitenstraße, in der es wie in einer gewöhnlichen ruhigen Wohngegend aussah, befand sich das Rechtsmedizinische Institut.

    »Moin!«, grüßte er flüchtig die Dame am Empfang, die ihm die Tür geöffnet hatte und mitteilte, dass Dr. Choui sich bereits im Keller befand.

    Peer schluckte. Nicht mal eine kleine Gnadenfrist war ihm vergönnt. Er öffnete die Tür zum Untergeschoss und versuchte, das beklemmende Gefühl, das ihm jedes Mal, wenn er diese Stufen hinabstieg, beinahe den Atem nahm, zu ignorieren.

    Er hatte die Leichen doch bereits am Unfallort gesehen, versuchte er sich zu beruhigen. Außerdem war das nicht seine erste Obduktion. Schon des Öfteren war Peer bei einer Leichenöffnung dabei gewesen. Trotzdem würde er sich nie daran gewöhnen und das spürte er auch heute, als er sich mit flatterigen Fingern einen der grünen Kittel zuband.

    Bereits hier in dem kleinen Raum neben dem Zutritt zum Obduktionsbereich hörte er, dass in dem Institut Hochbetrieb herrschte. Stimmen hallten durch die gekachelten Kellerräume. Das scheppernde Rattern der Bahren drang an sein Ohr. Langsam griff er nach ein paar Schutzüberziehern für seine Schuhe, streifte sie über und holte ein letztes Mal tief Luft, ehe er um die Ecke bog. Die Plastikschoner raschelten unter seinen Sohlen, während er den Gang hinunter in Richtung der Kühlfächer ging. Direkt davor lag der Raum, in dem die Leichen angeliefert wurden und in dem Dr. Choui gerade eine erste äußere Leichenschau an dem Mann mit der Schussverletzung durchführte. Als der Rechtsmediziner ihn sah, hielt er kurz inne.

    »Guten Tag, Kommissar Nielsen! Na, da haben Sie mir ja reichlich Arbeit beschert.«

    Peer schluckte, konnte seinen Blick aber nicht von dem inzwischen beinahe komplett erstarrten Körper wenden. »Können Sie denn schon etwas sagen?«, fragte er, obwohl er wusste, dass sich Dr. Choui meist sehr bedeckt hielt, ehe die Untersuchungen nicht vollständig abgeschlossen waren.

    »Ja.«

    »Ja?« Peer glaubte, sich verhört zu haben, und schaffte es endlich, sich vom Anblick der Leiche zu

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