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Lügenblau: Kommissarin Mylona und die lieben Konkurrenten
Lügenblau: Kommissarin Mylona und die lieben Konkurrenten
Lügenblau: Kommissarin Mylona und die lieben Konkurrenten
eBook253 Seiten3 Stunden

Lügenblau: Kommissarin Mylona und die lieben Konkurrenten

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Über dieses E-Book

Die Finanzkrise ist nach wie vor überall auf Zakynthos zu spüren. Das neue geplante Hotelprojekt verspricht viele, dringend benötigte Arbeitsplätze. Als einer der sechs Bewerber um die Stelle des Architekten tot aufgefunden wird, ist die ganze Insel in Aufruhr. Das Opfer, ein alteingesessener Zakynthier, wurde hinterrücks erstochen. Ganz klar: Mord. Für Kommissarin Eleni Mylona präsentieren sich mehr als genug Verdächtige. War es einer seiner Konkurrenten? Oder vielleicht seine, von den ständigen Seitensprüngen ihres Mannes abgebrühte, Ehefrau?
Zum dritten Mal lädt Antonia Pauly auf die griechische Insel Zakynthos ein. In einer Geschichte um die Gnadenlosigkeit der Finanzkrise und deren verheerenden Auswirkungen auf die Menschlichkeit ist Kommissarin Eleni Mylona erneut gefragt. Korruption, Rache und Konkurrenzkampf vermischen sich in das Blau des Ionischen Meeres, eine Farbe, die verführerisch zum Baden lockt. Bis zum ertrinken.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Sept. 2017
ISBN9783957711410
Lügenblau: Kommissarin Mylona und die lieben Konkurrenten

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    Buchvorschau

    Lügenblau - Antonia Pauly

    900

    DIENSTAG, 19. JUNI – AM MORGEN

    Die Inseln im Ionischen Meer liegen unter der ersten drückenden Hitzewelle dieses Sommers. Schon am Morgen klettert das Thermometer auf 30 Grad. Im Laufe des Vormittags kommt der Meltemi auf. Der Wind aus Nordost bringt zwar ein wenig Abkühlung, schürt aber die Feuer an, die wegen der extremen Trockenheit überall im Land ausbrechen. Mehr als hundert Wald- und Buschbrände haben in den vergangenen Tagen in Griechenland gewütet.

    Im Gebäude des Ersten Kommissariats der Ionischen Inseln an der Hafenpromenade der Stadt Zakynthos ist es stickig. Der große Deckenventilator, der noch im vergangenen Sommer für ein wenig Erfrischung gesorgt hat, ist kaputt und kann aufgrund der Sparmaßnahmen, die das ganze Land zu tragen hat, bis auf Weiteres nicht ersetzt werden. Eleni Mylona erhebt sich, um ein Fenster zu öffnen und setzt sich wieder an ihren Platz. Die Kommissarin und ihre beiden Inspektoren reden wie so oft über die Auswirkungen der Krise und den Kurs der Regierung. »Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass all diese Sparpakete uns aus der Krise herausführen«, meint sie mit einem lakonischen Achselzucken.

    »Solange dafür die Gelder weiter so üppig aus deiner ehemaligen Heimat fließen ...« Nionio Spirakis, der jüngere Inspektor, grinst Eleni, die zwei längere Phasen ihres Lebens in Deutschland verbracht hat, an.

    Die Kommissarin nippt an ihrem Kaffee und denkt an Zoi, ihre in Köln lebende Schwester, mit der sie regelmäßig sonntags telefoniert, wobei sie nicht nur Privates austauschen, sondern sich auch gegenseitig über die politische Stimmung am jeweiligen Wohnort informieren. »Was Griechenland meiner Meinung nach braucht, ist ein radikaler Umschwung! Nur leider fällt mir kein Politiker ein, dem ich den notwendigen Biss zutraue. Bisher hat sich noch jeder früher oder später von Frau Merkel und Co. gängeln lassen!«

    »Well, das ist wohl wahr.« Spirakis lehnt sich zurück und legt den linken, mit einem Westernstiefel bekleideten Fuß auf sein rechtes Knie. »Und so lange die das Sagen hat, werden wir hier den Gürtel wohl immer noch enger schnallen müssen.«

    »Das wollen wir doch nicht hoffen«, wirft der sonst eher wortkarge ältere Inspektor Gamiras ein und erschaudert bei dem Gedanken. »Weitere Lohnkürzungen kann ich nämlich nicht verkraften.« Dabei wägt er die Summen ab, die er in die Ausbildung seiner beiden Kinder steckt und denkt an die Kredite, die er für diverse Anschaffungen des modernen Lebens aufgenommen hat. Satellitenfernsehen, Spülmaschine, Computer und Handys – die Konsumwelle hat Inspektor Gamiras und seine Familie schon vor Jahren mit sich fortgerissen.

    Als könne sie seine Gedanken lesen, erinnert Eleni sich plötzlich an das Vor-Konsum-Griechenland, an die 70-er Jahre, die sie mit ihrer Familie in dem Strandort Nea Michaniona verbracht hat. Die Eltern hatten dort, nach einigen Jahren als Gastarbeiter in Deutschland, ein kleines Restaurant geführt, während sie und Zoi die deutsche Schule in Thessaloniki besuchten. Damals, so stellt sie fest, war Griechenland zwar arm, aber sauber gewesen. Der EWG-Eintritt 1981 hatte dem Land in ihren Augen gar nicht gut getan. Plötzlich hatten die Griechen gedacht: Jetzt sind wir Europäer, jetzt müssen wir auch so leben wie andere Europäer! Und um diesen Standard zu erreichen und zu halten, lebten sie immer weiter auf Pump. Aus diesem Verhalten, gepaart mit der Währungsumstellung, der Korruption im Land und den Unsummen, welche die Ausrichtung der Olympischen Spiele verschlungen haben, resultiert nach ihrer Überzeugung die aktuelle Krisensituation.

    Rasch verscheucht sie ihre nostalgischen Gedanken, als Spirakis unvermittelt verkündet: »Ich für meinen Teil habe endlich eine Möglichkeit gefunden, den Sparmaßnahmen der Regierung entgegenzuwirken«, bemerkt er augenzwinkernd und fährt fort: »Zumindest kann ich meine Wasser- und Stromkosten bald erheblich senken.« Einen Augenblick lang genießt er die erwartungsvollen Blicke seiner Kollegen, bevor er mit seiner Neuigkeit herausrückt: »Ich ziehe mit Tassoula zusammen! Ein Singlehaushalt ist mit unseren Einkommen ja gar nicht mehr finanzierbar. Da ist so eine Art WG, in der man sich die Kosten teilt, am vernünftigsten.« Mit der Kriminaltechnikerin Tassoula ist der gutaussehende junge Mann seit einem knappen Jahr liiert. Aber dass die beiden nun schon eine gemeinsame Wohnung anstreben, verblüfft Eleni doch sehr.

    »Schau an! Der liebe Nionio wird sesshaft«, schmunzelt sie. »Wer hätte das gedacht, nach all den Jahren, in denen du zwischen dem Winterquartier bei deiner Mutter und diversen Sommerunterkünften hin und her gependelt bist.« Ganz zu schweigen von der Pendelei zwischen verschiedenen Frauen, der er sich bis vor kurzem noch hemmungslos hingegeben hat, denkt sie im Stillen noch. »Habt ihr denn schon etwas Passendes für eure WG gefunden?« Dem Wort Wohngemeinschaft verleiht sie einen unüberhörbar ironischen Ton.

    »Well, wir sind auf der Suche. Das Angebot auf der Insel ist eigentlich groß genug, weil viele jetzt ihre Sommerhäuser ganzjährig vermieten. Aber Tassoula will nicht irgendwo am Strand oder in der Pampa wohnen, sondern in der Stadt bleiben, und da sieht es deutlich schwieriger aus.«

    »Na dann, jeder ist seines Glückes Schmied!«, beendet die Kommissarin die Unterhaltung und geht nahtlos zum Tagesgeschäft über, indem sie ihren Mitarbeitern berichtet, was am gestrigen Montag, an dem sie den beiden freigegeben hatte, los war. »Den Verdächtigen von dem Raubüberfall auf die Tankstelle am Wochenende musste ich wieder laufen lassen. Keine Beweise und drei Leute, die mit klassischer Unschuldsmiene beteuern, ihn zum entscheidenden Zeitpunkt am anderen Ende von Zakynthos gesehen zu haben.«

    »Hätten den Kerl wohl härter rannehmen müssen! Auf die weiche Tour kriegt man von so einem kein Geständnis«, stellt Gamiras unzufrieden fest.

    »Sparen Sie sich bitte die ewige Kritik an meinen Arbeitsmethoden«, entgegnet Eleni, ein wütendes Funkeln in ihren dunklen Augen. Seit ihrer Ankunft auf Zakynthos vor viereinhalb Jahren kämpft sie gegen den Unmut des deutlich älteren Beamten an, der sich immer noch schwer damit tut, eine Frau als Vorgesetzte zu akzeptieren. »Ich musste ihn, wie gesagt, auf freien Fuß setzen, weil die 24-Stunden-Frist vorüber war. Dann hat es gestern Nachmittag gebrannt in … Moment.« Sie verschiebt einige Papiere auf der Tischplatte vor sich. »Ah ja, in Orthonies! Das Feuer konnte aber wohl nach einigen Stunden unter Kontrolle gebracht werden. Ich habe über ERZ unseren üblichen Aufruf verbreiten lassen.«

    Bei wetterbedingter akuter Brandgefahr gibt die Polizei in ganz Griechenland über die lokalen Radiosender, wie die Elliniki Radiophonia Zakynthou, Appelle an die Bevölkerung heraus, in denen davor gewarnt wird, glimmende Zigaretten wegzuwerfen oder offene Feuer zu entzünden und Vorsicht beim Umgang mit leichtbrennbaren Materialien oder beim Gebrauch von Maschinen mit Funkenflug walten zu lassen.

    Kommissarin Mylona fasst weiter zusammen: »Gestern am Abend gab es einen Verkehrsunfall in Argassi, bei dem ein junger Mopedfahrer schwer verletzt wurde. Dazu könntest du gleich noch das Protokoll schreiben, Nionio. Und Sie«, wendet sie sich an den Älteren, bei dem sie die förmliche Anrede beibehält, »kümmern sich bitte weiter um die Diebstähle in dem Hotel in Tsilivi. Bringen Sie die Touristen bitte dazu, ihre Anzeigen gegen dieses Zimmermädchen zurückzuziehen.«

    »Warum denn?«, protestiert Gamiras. »Diebstahl ist Diebstahl.«

    »Eben nicht«, entgegnet die Kommissarin. »Das arme Ding schuftet sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich für einen Hungerlohn. Wahrscheinlich hat sie aus purer Not gestohlen.«

    »Noch dazu nur Bargeld«, stimmt Spirakis zu. »Und immer nur kleinere Summen.«

    Eleni nickt vehement. »Genau! Wir wollen ihr doch nicht wegen einer solchen Lappalie die ganze Zukunft versauen. Also bitte, sorgen Sie dafür, dass wir den Fall ad acta legen können.«

    »Hm«, brummelt Gamiras unzufrieden.

    »Ach ja«, gibt Eleni abschließend noch bekannt, »unser Antrag auf Beschaffung von Büromaterialien wurde abgelehnt. Es ist also weiterhin ein sparsamer Umgang mit Papier, Kugelschreibern etc. angesagt.«

    »Das mit dem Papiersparen ist ja easy, nachdem unser Drucker hier oben schon seit Monaten nicht mehr funktioniert«, witzelt Spirakis.

    »Der Antrag auf einen neuen wird noch geprüft«, weist Eleni ihn zurecht. »Solange wird eben weiter alles auf dem Gerät unten im Eingangsbereich ausgedruckt.« Als Chefin ist sie dafür zuständig, dass die internen Sparmaßnahmen eingehalten werden, aber auch ihr machen die dadurch erschwerten Arbeitsbedingungen zu schaffen.

    Die Kommissarin wendet sich endlich dem ziemlich hohen Aktenberg auf ihrem Schreibtisch zu, doch viel Zeit, diesen zu verkleinern, bleibt ihr nicht. Der Uniformierte von der Pforte, wo die Telefonnotrufzentrale untergebracht ist, stürzt aufgeregt in das Büro in der ersten Etage, wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und berichtet atemlos: »Ein Mann hat angerufen. Es gibt eine Leiche am Aussichtspunkt zum Navagio!«

    Eine kräftige Boe des Meltemi lässt das Bürofenster scheppernd zufallen.

    DIENSTAG, 19. JUNI – AM MITTAG

    Es dauert nur wenige Minuten, bis das Team den Amtsarzt und die Spurensicherung zum genannten Ort bestellt hat und selbst in einem Dienstwagen in nordwestlicher Richtung über die Insel braust. Die ersten Kilometer führen durch eine weite flache Ebene, und Nionio Spirakis, der am Steuer sitzt, tritt das Gaspedal voll durch. Hinter Agios Dimitrios muss er das Tempo drosseln. Die Straße wird hier schlechter und führt in steilen Kurven bergan. Die sanfte Landschaft der Ebene verwandelt sich jäh in wildes, raues Karstland. Bizarre Felsen aus porösem Kalkstein und karges Buschland säumen den Weg. In der Gegend um Orthonies, die sie passieren müssen, um ihr Ziel zu erreichen, steigen noch dünne Qualmwolken wie Nebel aus dem letzten gerade erst gelöschten Brand hervor. Hinter dem Marienkloster Anafonitria wird die Straße immer holpriger, aber nun sind sie fast am Ziel.

    Schon von weitem können die drei Polizeibeamten eine kleine Menschenansammlung an dem Aussichtspunkt mit dem Leichenfund erkennen. Ein brusthohes Geländer umgibt eine Betonplatte, die ein Stück weit über die hier ungefähr 200 Meter tief, sehr schroff abfallende Klippe hinausragt. Dieser Panoramabalkon bietet etwa einem Dutzend Menschen Platz, die von hier aus einen grandiosen Blick auf die Bucht mit dem berühmten Schiffswrack von Zakynthos werfen können. Es ist der einzige Punkt an Land, von dem aus man das Wrack des Küstenmotorschiffs Panagiotis liegen sieht; zugänglich ist dieses nur vom Meer her.

    Eine kleine dunkelhaarige Frau in einem anbetracht der Hitze viel zu schwer wirkenden grauen Kostüm lehnt mit dem Rücken am Geländer der Aussichtskanzel. Eleni zählt außerdem sechs Männer, die ungemein wichtig wirken und den Eindruck machen, als ob sie sich am Tatort verabredet hätten. In einiger Entfernung steht ein junges Paar neben einem gemieteten Honda Civic.

    Erst beim Aussteigen wird der Grund ihrer Anreise, ein in einer Blutlache am Boden unmittelbar vor der Aussichtsplattform liegender Mann, sichtbar. Während Gamiras sich sogleich daran begibt, alle Anwesenden in eine sichere Entfernung von der Leiche zu lotsen, sperrt Spirakis, eine Zigarette im Mundwinkel, den Platz um den Toten weiträumig mit einem rot-weißen Plastikband ab.

    Eleni tritt auf die Gruppe der sechs Männer zu, denen sich nun auch die Frau von dem Balkon zugesellt: »Guten Tag, ich bin Kommissarin Mylona. Bitte bleiben Sie alle so lange hier, bis wir sie kurz befragt und Ihre Personalien aufgenommen haben.« Mit einer Geste schickt sie den älteren Inspektor zu dem Pärchen, das immer noch verschreckt an seinem grünen Mietwagen steht und wendet sich an die Umstehenden. Sie scheinen den Schock, auf Tuchfühlung mit einer Leiche zu sein, bereits überwunden zu haben. Ihre Mienen drücken eher Ärger über die Verzögerung ihrer Geschäfte aus, als Entsetzen oder Angst.

    »Wer von Ihnen hat den Mann gefunden und den Notruf abgesetzt?«, fragt die Kommissarin und lässt ihren Blick über die einzelnen Gesichter schweifen.

    Ein mittelgroßer unscheinbarer Herr, ungefähr in Elenis Alter, hebt die Hand. »Das war ich«, sagt er mit leiser Stimme. Die Ärmel seines hellblau-weiß gestreiften Hemdes sind hochgekrempelt, ein helles Cordjackett hält er an zwei Fingern über seiner Schulter. »Pavlos Leukippos ist mein Name. Ich war als Erster heute Morgen hier«, erläutert er ohne weitere Aufforderung.

    Leukippos, weißes Pferd, übersetzt Eleni ins Deutsche, so wie sie es manchmal automatisch tut. »Sie waren als Erster hier? Heißt das, Sie alle haben sich hier zu einem Treffen zusammengefunden?« Erstaunen klingt in der Stimme der Kommissarin mit.

    »So ist es«, meldet sich ein korpulenter, stark schwitzender Mann zu Wort. »Dionysios Tsamaras von der Bauaufsichtsbehörde. Wir haben hier einen Ortstermin.«

    Zwei andere aus der Gruppe nicken zustimmend und Tsamaras erläutert weiter: »Die Herrschaften sind Architekten und Bauingenieure und waren hier mit mir und meinem Kollegen«, er deutet auf einen hageren jüngeren Mann mit stark hervorspringendem Adamsapfel, »zu einer Besprechung verabredet.«

    »Gehört er«, Eleni deutet auf den einige Meter entfernten Toten, »auch zu Ihnen?«

    »In der Tat. Das ist der Architekt Makis Konstantinos.«

    Aus dem Augenwinkel nimmt die Kommissarin wahr, wie der weiße Kastenwagen der Spurensicherer vorfährt und die beiden Kollegen von der Kriminaltechnik herausspringen. Vom Arzt, Dr. Xenakis, ist noch nichts zu sehen.

    »Konstantinos ist – äh, war – einer der sechs Konkurrenten der Ausschreibung, um die es hier geht«, teilt der Baubeamte Tsamaras weiter mit.

    »Verstehe ich das richtig: Hier soll etwas gebaut werden?«, wundert sich Eleni und schaut über die markanten Felsen aufs Meer.

    »In der Tat«, kommt es abermals. »Genau genommen soll hier nicht irgendetwas gebaut werden. Es handelt sich um ein Jahrhundert-Projekt!« Seine feisten Wangen scheinen bei diesen Worten nicht nur von der Hitze, sondern auch vor Stolz zu glühen. Ein dicker Schweißfilm hat sich auf seiner Halbglatze gebildet.

    Die Frau im grauen Kostüm verzieht leicht ironisch den Mund und zündet sich eine lange Slim-Zigarette an.

    »Das müssen Sie mir näher erläutern«, fordert Eleni Mylona den Baubeamten auf.

    »Schauen Sie, das Schiffswrack ist zum wichtigsten Aushängeschild der Insel geworden. Ein Touristenmagnet, der seinesgleichen sucht. Weltweit werben die Reisebüros mit Fotos vom Navagio für Urlaub auf Zakynthos. Was liegt da näher, als genau hier den Tourismus weiter zu fördern. Um es auf den Punkt zu bringen: Hier soll ein größerer Hotelkomplex entstehen.«

    Elenis Augen weiten sich entsetzt: »Ein Hotel? Hier? Und wo genau soll das hin?«

    »Kommen Sie, bitte kommen Sie mit.« Der rundliche Mann wendet sich geschäftig von der Gruppe ab und strebt auf den Aussichtsbalkon zu. Dabei winkt er der Kommissarin eifrig zu, ihm zu folgen. Nicht nur sie kommt der Aufforderung nach sondern auch die Gruppe der Architekten und Bauingenieure schließt sich automatisch an.

    Auf der Zementplatte stehend bleibt keine Muße, die atemberaubende Aussicht zu genießen, denn Tsamaras zeigt gleich mit weit ausgestrecktem Arm auf den neben dem Schiffswrack ins Meer ragenden länglichen Felsen, der die Bucht bildet.

    Eleni schluckt schwer. »Das ist Wahnsinn«, haucht sie.

    »In der Tat«, lacht der dicke Baubeamte. »Aber ein Wahnsinn, der Realität wird und Zakynthos um ein unvergleichliches touristisches Highlight bereichern wird.«

    Eleni, die einerseits immer noch nicht fassen kann, wie dieser absurde Plan realisiert werden soll, andererseits innerlich grollt über so viel Mut zur Zerstörung der Natur, hat sich wieder in der Gewalt. »Das wird aber ganz schön teuer, oder nicht?«, fragt sie zweifelnd.

    »Hauptinvestor ist eine amerikanische Reederei«, ertönt eine raue Stimme in ihrem Rücken. Der Mann, der diese Antwort gegeben hat, trägt ein frisch gestärktes weißes Hemd und eine leichte khakifarbene Stoffhose. Er überragt die Gruppe fast um Haupteslänge und seine stahlblauen Augen sind mit visionärem Blick auf den länglichen ins Meer ragenden Felsen geheftet. Er ist der Einzige, der keine Sonnenbrille aufhat.

    »Sie sind?«, erkundigt sich die Kommissarin freundlich.

    »Mein Name ist Angelos DeVita.« Er wendet sich ihr zu und lächelt sie breit an. Seine Zähne strahlen zu weiß, um echt zu sein. Sein Alter schätzt Eleni auf etwa Mitte fünfzig. Ungefragt beginnt er mit einer Beschreibung des Bauvorhabens. »Der spitze Grat des Felsens wird abgetragen und begradigt, so dass ein Plateau entsteht. Diese Arbeiten werden teils aus der Luft und teils mit Gigakränen von Schiffen aus vonstatten gehen. Danach …«

    »Halt, halt, halt«, stoppt Eleni den Redefluss des Mannes, der die bäuchlings in einer Blutlache liegende Leiche bereits vergessen zu haben scheint. »Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Ihr Ortstermin wurde abgesagt.« In ihrem Ärger über so viel menschliche Ignoranz hat sie ziemlich laut gesprochen. Nun fügt sie

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