Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Himmelfahrt: Kommissarin Mylona ermittelt auf Zakynthos
Himmelfahrt: Kommissarin Mylona ermittelt auf Zakynthos
Himmelfahrt: Kommissarin Mylona ermittelt auf Zakynthos
eBook260 Seiten3 Stunden

Himmelfahrt: Kommissarin Mylona ermittelt auf Zakynthos

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Kommissarin Mylona ist dem brutalen Arbeitsalltag bei der deutschen Polizei entflohen und hat eine Stelle auf der griechischen Ferieninsel Zakynthos angenommen. Doch dann wird ein Hotelier grausam ermordet. Eleni Mylonas erster Fall wird sich als alles andere als ein leichter Einstieg erweisen. Täter und Motiv sind weit und breit nicht in Sicht und in der dominierenden griechischen Männerwelt muss eine alleinstehende Frau sich erst einmal durchkämpfen. Einige Verbündete machen ihr das Leben leichter: Der Tavernen-besitzer am Hafen ist immer über das Ortsgeschehen informiert, ein französische Schriftsteller ist bereit, ihr die Sehenswürdigkeiten der Insel zu zeigen und Elenis Vermieter kennt sich bestens in der griechischen Mythologie aus. Aber zwischen modernen Hotelanlagen, den weiten Stränden am smaragdgrünen Meer und Umweltaktivisten zum Schutz der bedrohten Caretta-Caretta-Schildkröte läuft ein Mörder herum. Der Sommer geht in den Herbst über und die Tage bringen neben Regen auch erste Erkenntnisse. Kann ein zweiter Mord endgültig Licht in die Sache bringen?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Juli 2013
ISBN9783942223379
Himmelfahrt: Kommissarin Mylona ermittelt auf Zakynthos

Mehr von Antonia Pauly lesen

Ähnlich wie Himmelfahrt

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Himmelfahrt

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Himmelfahrt - Antonia Pauly

    BIOGRAPHISCHES

    DIENSTAG, 16. SEPTEMBER

    Die Landschaft saust vorüber. Hellbraun in hellbraun mit graustaubigen Oliven- und Mandelbäumen. Wo die zentrale Ebene der ionischen Insel vor einigen Monaten noch von Wiesen in üppigem Wuchs bedeckt gewesen ist, liegen nun kahle Flächen rissigen Erdreichs. Die Trockenheit der Sommermonate hat wieder einmal jegliches Grün vom Antlitz der Insel Zakynthos getilgt.

    »Du brauchst nicht so zu rasen, Nionio«, weist Kommissarin Eleni Mylona ihren Inspektor an. »Der läuft uns bestimmt nicht mehr weg.« Sie räuspert sich. »Ist bestimmt ziemlich hässlich, was uns erwartet!« Ein kurzer Blick auf den jungen Mann am Steuer hat ihr gezeigt, dass sie wohl nicht den richtigen Ton getroffen hatte. Nionio war bei ihren Worten kurz, aber merklich zusammengezuckt.

    Durch die heruntergelassenen Scheiben des Polizeiwagens sind einzelne weit verstreut liegende Gehöfte zu erkennen, vor denen Hofhunde an langen Ketten in der Sonne dösen. Schmutzigweiße Ziegen stehen am Straßenrand und knabbern knisternde Blättchen von dürren Büschen.

    »Dein erster Toter?«, hakt Eleni vorsichtig nach. Für sie gehörten Fahrten zu Leichenfundorten viele Jahre lang zum Arbeitsalltag. Eigentlich hat sie hier auf Zakynthos all die brutalen Verbrechen, mit denen sie ihre Tätigkeit bei der Kölner Polizei konfrontiert hat, hinter sich lassen wollen. Bei dem gerade mal 28-jährigen Inspektor, der noch vor wenigen Monaten seinen Dienst als Streifenpolizist bei der Abteilung Verkehr versehen hat, konnte man eine solche Berufsroutine kaum voraussetzen.

    »Wow! Nein, ganz und gar nicht«, erwidert er übertrieben lässig. Nionio Spirakis hat sich bereits wieder gefangen. Nur das schnellere Kauen seines Kaugummis verrät seine Nervosität. »Ich habe schon einige Leichen gesehen«, fügt er hinzu. »Weißt du eigentlich, wie viele Verkehrstote wir hier jeden Sommer haben?«

    Eleni fährt sich kurz durch ihre dunklen Locken.

    »Dieses Mal geht es aber nicht um einen Verkehrsunfall«, betont sie langsam. »So wie es aussieht, haben wir es heute mit einem Mord- oder Totschlagsopfer zu tun.« Sie versucht hinter der coolen, sonnenbebrillten Fassade ihres jungen Kollegen irgendeine Reaktion auszumachen.

    »Schon klar«, winkt dieser ab, während er seinen Kaugummi noch etwas hektischer bearbeitet. »Soll ich das Blaulicht rausstellen?«, fragt er kurz darauf grinsend.

    »Ganz gewiss nicht«, wehrt die Kommissarin ab, obwohl sie gerade denselben Gedanken hatte – und sei es nur, um an diesem unsäglichen, mit Sand beladenen Lkw vorbeizukommen, der sich aus einer Einfahrt direkt vor ihnen in den Verkehrsfluss eingefädelt hat. »Dazu besteht überhaupt kein Anlass. Es ist ja schließlich keine Gefahr im Verzug. Außerdem sind Doktor Xenakis und Inspektor Gamiras bereits am Tatort.«

    »Yeah, Gamiras!«, schnaubt Nionio verächtlich und wirft seiner Vorgesetzten aus seinen blauen Augen einen verschwörerischen Blick über den Rand seiner Sonnenbrille zu.

    »Wie ich unseren lieben Mitarbeiter kenne, hat er alles bestens unter Kontrolle.« Mit der ironischen Bemerkung spielt Eleni auf die oftmals übertriebene Dienstbeflissenheit des zweiten ihr untergebenen Inspektors an. Jedes Mal, wenn sie an ihn denkt oder mit ihm zusammentrifft, überkommt sie ein leichtes Unwohlsein. Genau kann sie dieses Gefühl noch nicht einordnen, aber irgendetwas an dem knapp zehn Jahre älteren Beamten stört sie. Umgekehrt ist es nicht zu übersehen, dass auch Nionio Gamiras sich mit seiner neuen Vorgesetzten ziemlich schwer tut. Seit Eleni ihre Stelle auf der Insel Zakynthos zu Beginn des Jahres angetreten hat, ärgert sie sich über Gamiras’ ständige Besserwisserei und Übellaunigkeit.

    Plötzlich wird sie hart an die Lehne des Beifahrersitzes gedrückt. Spirakis hat das Gaspedal voll durchgetreten und zieht jetzt in einem riskanten Manöver an dem Sandtransporter vorbei.

    Die Kommissarin verkneift sich einen Kommentar und wechselt stattdessen das Thema. »Und du ziehst also wieder bei deiner Mutter ein?«

    »Yeah, am 1. Oktober. Ist besser so. Das Zimmer in Vassilikos war über den Sommer ganz nett …«, stellt Nionio fest, »aber jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, ist es da nur noch trist und zur Stadt ist es immerhin ein gutes Stück weit zu fahren. Die Bars, Tavernen und Supermärkte schließen nach und nach und abends hört man nichts als das Rauschen des Meeres. Das ist nichts für mich.«

    Nionio trommelt mit seinen Fingern einen unhörbaren Rhythmus auf das Lenkrad.

    »Und die Urlauberinnen …«, folgert Eleni, »sind auch nicht mehr da!«

    Ein Lächeln umspielt Nionios hübsche Gesichtszüge. Die Sommermonate, in denen unzählige Fremde aus aller Herren Länder die Insel bevölkern, hat er sehr genossen. Vor allem die Touristinnen aus Skandinavien, die gern in Vassilikos, einem malerischen Landstrich am Südzipfel der Insel, absteigen, haben es ihm angetan. Die eine oder andere Eroberung ist ihm auch in diesem Jahr gelungen.

    »Das Gute an den Touristinnen ist die Tatsache, dass sie immer in Urlaubs- und Abenteuerlaune sind …«

    »Und mit dieser auch noch die ganze Woche über zur Verfügung stehen«, unterbricht ihn die Kommissarin.

    »Klar«, lacht Nionio. »So muss ich meine Beutezüge nicht auf die Wochenenden beschränken, sondern kann sie bequem meinem jeweiligen Dienstplan anpassen.«

    »Wie lange machst du das eigentlich schon so?«

    »Was?«, fragt der junge Mann lässig und betätigt die Hupe.

    »Jedes Frühjahr ausziehen, um dann im Herbst nach Hause zurückzukehren. Und was sagt eigentlich deine Mutter zu diesem Hin und Her? Wäre es nicht besser, du suchtest dir in der Stadt eine eigene kleine Wohnung? Frei nach dem Motto ›Selbst ist der Mann!‹, wie es schon in Goethes Faust heißt.«

    »Du immer mit deinen deutschen Zitaten!«

    »Wofür haben meine Eltern denn die Deutsche Schule in Thessaloniki für meine Schwester und mich bezahlt? Ein bisschen Bildung schadet nie. Also, sag schon! Was ist mit einer eigenen Wohnung?«

    »Ich glaube, das würde meine Mutter nicht verkraften, wenn ich quasi bei ihr um die Ecke, aber nicht bei ihr wohne. Außerdem freut sie sich jedes Mal, wenn ich wieder zurückkomme. Natürlich hätte sie mich am liebsten ständig um sich.«

    »Vorzugsweise inklusive Schwiegertochter, könnte ich mir vorstellen«, neckt Eleni ihn.

    »Pah!«, Nionio schnaubt verächtlich. »Never«, fügt er vehement hinzu. Seine Vorliebe für englische Einwürfe hat er aus amerikanischen Krimiserien übernommen, die er mit Leidenschaft verfolgt. »Ich bin achtundzwanzig! Best time of life! Warum sollte ich mich binden? Und warum machen sich alle Gedanken, wann ich wohl endlich die Richtige finde? Meine Mutter liegt mir ständig damit in den Ohren. Meine beiden Tanten ebenfalls. Selbst der Gamiras macht ab und zu Andeutungen in diese Richtung. Und nun auch noch du!«, stöhnt Nionio.

    Eleni betrachtet den schlanken, hochgewachsenen Mann auf dem Fahrersitz. Seine Haut weist nach den Sommermonaten einen kräftigen Braunton auf, mit dem seine hellen Haare und die strahlend blauen Augen apart kontrastieren. Er hat einen athletischen Körper, der meist in sehr engen Jeans und muskelbetonenden Shirts steckt. Nicht zu vergessen die amerikanischen Westernstiefel, die er selbst im Hochsommer nicht gegen leichteres Schuhwerk austauscht.

    »Warum sind denn nun alle so erpicht darauf …« – er schaut kurz zu seiner Vorgesetzten hinüber – »mich unter die Haube zu bringen, eh?« Eine Falte hat sich auf seiner Stirn gebildet. Darunter liegt eine sehr gerade Nase und ein charmantes Lächeln wächst aus seinem Dreitagebart. Jede Frau würde ihn spontan als umwerfend attraktiv einstufen. Gepaart mit seiner lässigen, offenen Art verkörpert Nionio Spirakis wirklich nicht den Prototyp eines Familienvaters, sondern strahlt eher etwas von einem Don Juan aus.

    »Ich zerbreche mir sicherlich nicht den Kopf, wie man dich unter die Haube bringen kann«, entgegnet Eleni. »Dafür sind meine eigenen Erfahrungen mit der Ehe zu mies gewesen.«

    Diese liegen inzwischen rund zwanzig Jahre zurück, aber sie verfolgen Eleni immer noch. Ihre Ehe mit einem griechischen Kollegen hatte nicht allzu lange gehalten und die Trennung war zu einem echten Drama ausgeartet. Am ärgsten waren die Auseinandersetzungen mit seiner Familie verlaufen. Eine Scheidung? So etwas hatte es in Generationen über Generationen noch nie gegeben. Ein ›Mylonas‹ lässt sich nicht scheiden!

    Die Fahrt geht still weiter über die flache, fruchtbare Ebene des Inselinneren, die durch eine Bergkette am Horizont begrenzt wird. Die Septembersonne hat schon morgens um halb zehn eine gewaltige Kraft. Vor ihnen schiebt sich eine Ansammlung von Häusern um einen spitzen Kirchturm ins Blickfeld.

    Giorgos Mylonas, ihr Mann, hatte sich unter dem Druck seiner Familie mehr als ein Mal übel gehen lassen. Dass sie selbst damals den ein oder anderen blauen Flecken davon getragen hatte, war Eleni nicht allzu dramatisch erschienen. Aber die Vorstellung, dass die Unkontrolliertheit des Vaters früher oder später zwangsläufig auch den kleinen Sohn treffen würde, war für sie einer der Haupttrennungsgründe gewesen. Ihre eigene Familie war ganz anders mit der Problematik umgegangen. Ihre Eltern und ihre Schwester hatten vor allem Elenis Wohl und das ihres kleinen Sohnes im Auge gehabt und rasch eingesehen, dass der Mann, den sie geheiratet hatte, ihr nicht gut tat.

    Durch die geöffneten Fenster strömt der intensiv süße Geruch der überall zum Trocknen ausgebreiteten Weinbeeren. Längliche, dunkle Hügel, über denen Schwärme von Insekten surren.

    »Well, Macherado«, verkündet Nionio, als sie das Ortsschild des angesteuerten Dorfes passieren. »Wo genau sollen wir hinkommen?«

    »Hinter der Kirche Agia Mavra rechts, hieß es« – Eleni zieht einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Hosentasche und wirft einen Blick darauf. »Dann die nächste wieder rechts und dem Schotterweg bis zum Ende folgen. Die Villa des Opfers sei nicht zu übersehen, meinte Gamiras.«

    Sie fahren an einem hohen, frei neben dem Sakralbau stehenden Glockenturm vorbei, biegen gemäß der Wegbeschreibung ab und sind Minuten später am Ziel. Ein Streifenwagen, ein silberner Mercedes, ein verstaubter grauer Ford Combi und ein roter Twingo stehen in der breiten Zufahrt des Grundstücks. Das Gebäude ist zweistöckig und im traditionellen Inselstil aus hellem Naturstein erbaut. Er umrahmt die mit dunkelblauen Läden verschlossenen Fenster und eine ebenfalls dunkelblaue Eingangstür, die sich hinter einer breitfächerigen Palme in einem monumentalen Tontopf versteckt. Die Fassade wirkt schlicht bis auf ihre Größe, welche eine Wohnfläche von minimal zweihundert Quadratmetern vermuten lässt.

    Stimmen locken die beiden Neuankömmlinge ein paar Schritte um das Landhaus herum. Hier dehnt sich die Villa über drei auf unterschiedlichen Ebenen angelegten Terrassen in einen lichten Olivenhain aus. Die unterste und zugleich größte dieser Veranden ist über eine Steintreppe von außen erreichbar. Die Kommissarin und ihr junger Kollege erklimmen die Stufen. In die Mauer des Treppenaufgangs sind mehrere Nischen eingelassen, in denen antikisierende Statuen Platz gefunden haben. Eleni mustert sie neugierig und stellt erstaunt fest, dass dieses Arrangement überhaupt nicht kitschig, sondern im Gegenteil sehr harmonisch wirkt. Oben angekommen fällt ihr Blick auf einen massiven Holztisch und sechs Lehnstühle, die die überdachte Veranda ausstatten. Daneben kniet Dr. Xenakis, der Mediziner, der auf der Insel als Polizeiarzt fungiert, und beugt sich über einen menschlichen Körper, von dem nur die Beine ins Freie ragen. Der Oberkörper liegt im Schatten des Hausinneren. Der Tod hat den Mann offensichtlich beim Hinaustreten auf die Terrasse ereilt.

    »Kein schöner Anblick«, murmelt der Arzt nach hinten und wiegt seinen weißen Haarschopf hin und her.

    »Können Sie uns denn schon etwas sagen?«, erkundigt sich Eleni.

    Der Mediziner räuspert sich. »Männlich, Mitte fünfzig, Körpergröße etwa einsfünfundsiebzig! Exitus in den frühen Morgenstunden und zwar durch eine Ladung Schrot mitten ins Gesicht und in den Hals. Der Täter muss ziemlich nahe an sein Opfer herangekommen sein.«

    Eleni konzentriert sich auf die Worte des Arztes. Sie hat schon ein paar Mal mit ihm zu tun gehabt, muss sich aber immer noch an seinen breiten zakynthischen Dialekt gewöhnen. Eine Mundart, in der so manches ›O‹ zum ›U‹ wird und diverse sonst im Griechischen unübliche ›SCH-Laute‹ vorkommen.

    Der Arzt erhebt sich und streift die Einmalhandschuhe von seinen Fingern. »Genaueres erfahren Sie nach der Obduktion; ich veranlasse die sofortige Überführung nach Patras in die Pathologie.« Xenakis’ rundlicher Körper reicht der Kommissarin gerade einmal bis zur Schulter. »Ich muss dann auch los. Meine Patienten warten«, sagt er und streckt Eleni seine Hand entgegen. »Auf Wiedersehen.«

    »Immer in Eile, ich weiß.« Eleni lächelt dem patenten Arzt zu. »Auf Wiedersehen, Herr Doktor und danke.«

    Die Kommissarin bahnt sich einen Weg an der Leiche vorbei in das Gebäude. Die Türschwelle ist rot vom Blut des Getöteten und weißliche Teile seiner Hirnmasse kleben am dunkelblauen Türrahmen.

    Im Haus ist es erstaunlich hell. Obwohl die Läden der unteren Fenster geschlossen sind, durchflutet klares Sonnenlicht den Raum. Eleni lässt ihren Blick nach oben schweifen und erkennt zwei große Rundbogenfenster über dem Eingangsbereich. Außerdem strahlt die Sonne durch eine geöffnete Tür, die von einer Galerie aus auf die zweite, höhergelegene Terrasse zu führen scheint. Von dort dringen wieder die Stimmen an ihr Ohr, die sie schon bei ihrer Ankunft um das Haus herumgeführt haben. Sie unterscheidet das kräftige Organ ihres älteren Inspektors und eine hohe, weinerliche Frauenstimme. In einer Ecke des Raums, gleich neben einem offenen Kamin aus rötlichem Stein, schraubt sich eine Wendeltreppe zu dieser Galerie hoch. Eleni bedeutet dem sie begleitenden Nionio die untere Etage des Hauses zu inspizieren und steigt selbst die Wendeltreppe hoch.

    »Aber irgendetwas müssen Sie doch mitbekommen haben«, hört sie Nionio Gamiras in strengem Ton sagen. Er steht breitbeinig vor einer schlanken, langbeinigen Blondine und hält seine Arme vor der Brust verschränkt.

    »Guten Morgen, Inspektor«, grüßt Eleni und tritt auf die Veranda hinaus. Gleichzeitig hört sie, wie der Arzt den Motor seines alten Ford startet. Dann schiebt sie ihre Sonnenbrille nach oben in ihr dichtes, gewelltes Haar und wendet sich an die Frau: »Guten Morgen, Frau …?«

    »Fotopoulou«, kommt es, begleitet von einem Schniefen zurück, »Christina Fotopoulou.«

    »Geben Sie mir doch bitte einen kurzen Überblick über ihre bisherigen Erkenntnisse«, fordert die Kommissarin Gamiras auf.

    Während Eleni mit Nionio Spirakis, ihrem jüngeren Inspektor schon bald zu einem recht lockeren Umgangston übergegangen ist, verlaufen die Gespräche mit Nionio Gamiras noch immer in steifer Förmlichkeit. Das hat für die Kommissarin zumindest den Vorteil, dass es bei der Gleichheit der Vornamen ihrer beiden Inspektoren nicht zu Verwechslungen kommen kann, wenn sie den einen duzt und mit dem anderen per Sie bleibt. Der Name Nionio – eine Kurzform für Dionysios und der wohl häufigste männliche Vorname auf Zakynthos – geht, so weiß Eleni, auf den Heiligen Dionysios, den Schutzpatron der Insel zurück.

    Der 52-jährige Inspektor baut sich vor ihr auf. Er überragt sie nur um wenige Zentimeter, wirkt aber durch seine stattliche Figur, mit dem aus der Hose quellenden Bauch und einem Rücken, breit wie ein Schrank, wesentlich größer. Die von reichlich grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Haare trägt er glatt aus dem vierkantigen, blassen Gesicht gekämmt. Privates weiß Eleni kaum über ihn. Nur, dass er verheiratet ist, einen Sohn hat, der in seine Fußstapfen tritt sowie eine Tochter, die er nach der berühmten Sängerin und ehemaligen Kultusministerin Melina Merkouri benannt hat.

    Gamiras‘ Miene bleibt ausdruckslos, als er die Fakten für seine Vorgesetzte zusammenfasst: »Anruf von Frau Fotopoulou um sechs Uhr fünfzig. - Sofortiger Aufbruch. - Fahrt hierher nach Macherado. - Von unterwegs Benachrichtigung des Amtsarztes. - Auffinden einer männlichen Leiche auf der Türschwelle der untersten Terrasse.« Der Telegrammstil des Inspektors beginnt die Kommissarin schon wieder zu ärgern, aber sie unterbricht ihn nicht. »Inspizieren aller Räume der Villa. - Gang um das Gebäude herum. - Keine auffälligen Spuren. Wie auch? Viel zu trocken für Spuren. - Verhör von Frau Fotopoulou.«

    »Verhör?«, kreischt die ziemlich hübsche, etwa dreißigjährige Frau auf. »Wieso Verhör? Verdächtigen Sie etwa mich, meinen Mann umgebracht zu haben?«

    »Nein, nein. Beruhigen Sie sich«, übernimmt Eleni die Befragung. »Der Tote unten ist also ihr Gatte? Sind Sie sich da ganz sicher? Ich meine …«, sie sucht nach passenden Worten, die den Zustand des Toten nicht allzu drastisch erscheinen lassen, »… man hat ihm ins Gesicht geschossen. Da ist ein eindeutiges Erkennen nicht so selbstverständlich.«

    Die junge Frau antwortet mit einem tiefen, theatralisch wirkenden Aufschluchzen.

    »Laut Ihrer bisherigen Aussage handelt es sich bei der Leiche jedenfalls um Nikos Fotopoulos«, gibt Gamiras an. »Vierundfünfzig Jahre. - Besitzer der Hotelkette Ionian Islands mit Ferienanlagen hier auf Zakynthos und auf Kefalonia. - Erstwohnsitz Athen. - Dieses Haus hier wird von dem Ehepaar nur zeitweilig im Sommer genutzt. - Tod des Nikos Fotopoulos durch …«

    »Ja, ja, schon gut«, unterbricht Eleni. »Ich weiß. Ich habe bereits mit Dr. Xenakis gesprochen.«

    Sie wendet sich wieder der Frau zu.

    »Hatte Ihr Mann irgendwelche Feinde, von denen sie wissen. Hatte er in letzter Zeit mit jemandem Streit oder eine Auseinandersetzung?«

    »Feinde? Ich weiß es nicht. Zu Besuch kommen ja meist eher Freunde. Und aus seinem beruflichen Umfeld kenne ich niemanden. Schon möglich, dass es da Neider gibt oder dass er sich bei irgendjemandem unbeliebt gemacht hat.«

    »Aber Sie denken da nicht an jemand Bestimmten? Sie können uns keine Namen nennen, oder?«

    »Nein, das kann ich wirklich nicht. Wie schon gesagt, ich weiß nichts über irgendwelche Feindseligkeiten. Ich kann es mir nur vorstellen, weil mein Mann manchmal sehr ungehalten reagieren kann« – sie seufzt vernehmlich auf – » … eh konnte, wenn etwas nicht so lief, wie er es wollte.«

    Das knirschende Geräusch von Reifen auf dem Schotterweg vor der Villa kündigt die Ankunft eines weiteren Fahrzeugs an. Eleni tritt an die Balustrade und erkennt den weißen Kastenwagen der Spurensicherung. Sie macht Gamiras ein Zeichen, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern und dieser geht wortlos auf die Treppe zu.

    »Kann ich kurz ins Badezimmer gehen?«, fragt Christina Fotopoulou, als die beiden Frauen alleine sind. »Ich sehe bestimmt fürchterlich aus.«

    »Ja, sicher. Gehen Sie nur.«

    Eleni schaut der eleganten, in einem weißen Hausanzug steckenden Gestalt nach. Ihre halblangen, blondgefärbten Locken wippen, als sie mit raschen Schritten die Galerie entlanggeht. Frau Fotopoulou macht auf die Kommissarin, trotz des Schocks, den sie gerade erlebt hat, keinen allzu verstörten Eindruck.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1