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Dreisamnebel: Ein Baden-Württemberg-Krimi
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Dreisamnebel: Ein Baden-Württemberg-Krimi
eBook334 Seiten4 Stunden

Dreisamnebel: Ein Baden-Württemberg-Krimi

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Über dieses E-Book

Florian Buchmann, ehemaliger Spieler des SC Freiburg und mittlerweile Feinkost- und Weinhändler in einem Ort am Kaiserstuhl, steht vor seinem nächsten aufregenden Kriminalfall: Ulla, die Frau des Dorf-Bürgermeisters und Geliebte Buchmanns, organisiert das Jubiläum "30 Jahre Weinprinzessinnen in Gottratskirchen". Doch eine frühere Weinhoheit bleibt der Veranstaltung überraschend fern – und scheint zudem spurlos verschwunden.
Ulla bittet Buchmann um Hilfe. Die Vermisste arbeitete zuletzt als OP-Krankenschwester und Florian hat noch aus seiner Fußballerzeit Kontakte zur Uniklinik. Seine Suche führt ihn zunächst zu einem albanischen Fußballprofi, dann ins idyllische Glottertal, wo Albaner in kriminelle Machenschaften verstrickt waren. Buchmann, unterstützt von seinem Freund bei der Freiburger Kripo, verbeißt sich geradezu in den Fall. Da wird auf einmal eine weitere junge Frau vermisst …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Juni 2017
ISBN9783842517684
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    Buchvorschau

    Dreisamnebel - Harald Rudolf

    27

    1

    Die Großaufnahmen liefen in unterschiedlicher Bildqualität wie ein Daumenkino vor Florians geistigem Auge ab, als er wiederholt die an der Wand lehnenden Rahmen zählte. Die Schönheit der ersten Weinprinzessin 1986 war in der groben Auflösung des großformatigen Abzugs nur zu erahnen.

    »Wieder nur neunundzwanzig«, brummte er vor sich hin und drehte sich zu Ulla, die inmitten der Gemeindehalle stand und die Tischdekoration mit herbstlich verfärbten Weinblättern und dünnen Zweigen betrachtete.

    »Wo ist die Prinzessin des Jahrgangs 96/97?«, rief Florian mit gespielter Dramatik und nicht zu übersehendem Schmunzeln. »Sie ist die Einzige, die fehlt. Dürfte heute eine knackige Vierzigjährige sein.«

    Er formte mit seinen Händen eine kurvenreiche Figur.

    Ulla reagierte genervt. Sie hatte Florian zunächst nur einen kurzen Augenblick geschenkt. Nun blickte sie streng von den edel eingedeckten Tischen mit hundert brennenden Kerzen, die im Neonlicht der Halle kaum auszumachen waren, zu Florian hinüber. »Kann nicht sein. Zähl nochmal durch. Du hast dich bestimmt wieder verzählt.«

    »Ich kann auf drei wie auf dreißig zählen.«

    »Weiß ich doch.« Sie zeigte ihm drei Finger ihrer rechten Hand und streckte die Zunge heraus. »Hattrick!«

    Florian, trotz Jackett und dickem Schal in der unbeheizten Halle fröstelnd, ging nicht auf das Geplänkel ein.

    »Es sind definitiv nur neunundzwanzig«, sagte er ruhig und zupfte an seinem karierten Schal. »Eine fehlt. Oder hast du dich mit dem Jubiläum vertan?«

    »Natürlich nicht. Wer fehlt?«

    »Der Jahrgang 96/97. Habe ich doch schon herausgefunden.«

    »Wie heißt sie?«

    »Weiß ich nicht. Hast du die Namen der gekrönten Häupter nicht im Kopf? Die eine oder andere könnte doch auch von Willi geadelt worden sein.«

    »Darauf kannst du Gift nehmen!«

    »Wie lange ist er eigentlich schon Bürgermeister hier?«

    »Zu lange!« Sie ging zu Florian, tippte einige Rahmen an und betrachtete die Fotos. »Eine schöner als die andere.«

    »Und die alle kommen morgen zum Jubiläum?«

    »Ja!«

    Sie ballte die Faust wie nach einem erzielten Tor.

    »Das hast du sehr gut gemacht. War überfällig.«

    »Damit es ein unvergesslicher Abend wird, haben wir noch viel zu tun.« Sie küsste ihn und ging zum Ausgang der Halle.

    Florian sah ihr überrascht nach. »Wo gehst du hin?«

    »Ich hole die fehlende Prinzessin. Sie liegt bestimmt bei mir zu Hause. Ich weiß genau, dass ich dreißig Fotos eingerahmt habe. Häng doch schon mal die ersten auf.«

    Sie knipste das grelle Deckenlicht aus, und der Raum erschien im Licht der Kerzen wie ein königlicher Saal.

    »Wie sieht es aus?«, fragte sie mit einem Strahlen, das Florian in dem golden schimmernden Lichtermeer erkennen konnte. »Gefällt es dir?«

    »Es sieht phantastisch aus«, erwiderte Florian. »Nach meiner Prinzessin!«

    Sie nickte gerührt. Sie war geschmeichelt und hauchte ihrem Prinzen einen Kuss entgegen. Dann schaltete sie die Hallenbeleuchtung wieder ein. »Machst du die Kerzen aus? Wir haben zwar Nachschub, aber wir müssen sie ja nicht heute abbrennen lassen.«

    »Werde ich tun. Lösch aber bitte nochmal das Licht.«

    Sie schaltete die Deckenbeleuchtung wieder aus. Florian ging daraufhin zur Bühne und suchte am CD-Player nach einem Lied, während Ulla am Ausgang der Halle stehen blieb, die Inszenierung ahnend und sie genießend. Als die Musik ertönte, schritt Florian ihr entgegen und führte sie in die Mitte der Halle, wo sie im Licht der Kerzen einen Walzer tanzten, der unendlich langsam und geschmeidig schwebte und dessen Pausen den beiden den Atem raubte. Mit dem Schlusston erstarrten sie in opernhafter Geste. Dann lachten sie laut und küssten sich zärtlich. Florian führte Ulla wieder durch die Halle und zum Ausgang hinaus. Als sie gegangen war, schaltete er die Deckenbeleuchtung wieder ein und nahm flink das Löschen des Lichtermeers in Angriff. Er sprintete die beiden Tafeln entlang und machte sich ein Spiel aus der Aufgabe.

    Die Dekoration trug eindeutig ihre Handschrift, sagte er sich dabei. Auch wenn sein Anteil nicht gering und nicht zu übersehen war. Sie ergänzten sich halt auf eine magische Art.

    Beide hatten viel Zeit in die Organisation der Jubiläumsfeier, die ihnen auch Raum für Intimität gab, investiert. Dreißig Jahre Weinprinzessinnen war für das Dorf mit kleiner Winzergenossenschaft und zwei Weingütern eine große Sache. Über eine solch lange Zeit jedes Jahr eine junge, attraktive Frau zu finden, die mit Krone und Dirndl den örtlichen Wein präsentierte, war etwas Besonderes und in Baden nicht in jedem Weindorf zu finden. Die Liste der Bewerberinnen war in den letzten Jahren allerdings übersichtlich geworden. In manchen Jahren hatten der Bürgermeister und die örtlichen Winzer keine Auswahlmöglichkeit. Die Aufrufe im Gemeindeblatt erhielten zuletzt nach Florians Einschätzung sogar einen flehenden Ton. Winzertochter zu sein, war schon lange keine Bedingung mehr.

    Mindestens vier Weinprinzessinnen hatte Florian in seiner Zeit als örtlicher Wein- und Feinkosthändler erlebt, und davon waren zwei definitiv von Ullas Ehemann nicht nur gekrönt worden. Das war in Gottratskirchen kein Geheimnis, wie auch die anderen unzähligen Frauengeschichten des Bürgermeisters, der sich im Dorf in vielfältiger Weise sehr fürstlich zeigte.

    Willi hatte allerdings eine Aura, die es schwer machte, ihm etwas übelzunehmen. Selbst Ulla, die seit einer Ewigkeit – seit der Geburt ihrer Zwillinge – betrogene Ehefrau, nahm dem notorischen Schürzen- oder Prinzessinnenjäger sein Wesen nicht krumm. Dafür genoss sie ihre Affäre mit Florian, dem ehemals ewigen Fußballtalent, in vollen (Spiel-) Zügen. Er musste nach wie vor seinen legendären Hattrick aus der ersten Bundesligasaison des SC Freiburg auf ihrem knackigen Körper nachzeichnen.

    »Affäre« ist aber nicht das richtige Wort, dachte er, als er bei der letzten Kerze ankam. »Romanze« oder »ein magisches Duo« gefiel ihm besser. Beide liebten ihre Verbundenheit und genossen die Treffen in seiner schmucken Wohnung über seinem Ladengeschäft am Marktplatz. Dass diese in dem Kaff noch nicht zum Ortsgespräch geworden waren, wunderte ihn immer wieder. Er glaubte oft, wenn er auf den Bürgermeister traf, in dessen Grinsen, in dessen unverfrorener Leichtigkeit das Wissen um ihre Liebschaft zu sehen und es bei jedem jovialen Schulterklopfen zu spüren. Und auf Willi traf er oft. Das Rathaus lag gegenüber seinem Geschäft, und der Bürgermeister ließ sich von ihm in schöner Regelmäßigkeit Präsentkörbe mit Wein und Feinkost für seine Eroberungen richten. Oder er bestellte den besten Winzersekt oder Crémant – manchmal, sehr selten, sogar Champagner – für eine besonders anspruchsvolle und wegen seines Amtes und Rufes zaudernde Bekanntschaft oder Affäre.

    Bei Willi konnte man auf jeden Fall von Affären sprechen. Länger als eine Jahreszeit dauerte selten eine, und manchmal überschnitten sich die amourösen Geschäftsbeziehungen, für die er – mit unglaublich naiver Überzeugungskraft – seine Verabredungen stets ausgab. Dass seine äußerst attraktive Ehefrau keinen Sex mehr mit ihm wollte, schien ihm bei seinem prall gefüllten Terminkalender gar nicht aufzufallen.

    »Da hängt ja noch gar kein Bild an der Wand!«, hörte Florian Ulla hinter sich rufen, und er erschrak. Er hatte sich in seinen Gedanken verstrickt und war bei der letzten Kerze, die er atemlos ausgepustet hatte, stehengeblieben.

    »Ich dachte, wir könnten anschließend noch … im Kerzenschein …« Sie zwinkerte. »… na, du weißt schon.«

    »Vor all den aufgehängten Prinzessinnen?«

    »Ich glaube, eine knackigere Fünfzigjährige findest du nicht.« Sie zeigte ihm das fehlende Foto. »Bin wirklich gespannt, wie die heute alle aussehen. Erstaunlicherweise wohnen viele nicht mehr im Ort.«

    »Nach einer Karriere als Weinprinzessin mit Bürgermeisterweihen gibt es in Gottratskirchen keine Steigerung mehr.«

    »Die Stelle der Geliebten von Florian Buchmann ist halt besetzt.« Sie grinste. »Und jetzt machen wir weiter. Auf jede Seite kommen fünfzehn Bilder. Chronologisch natürlich.«

    Mit Hammer und Nagel beförderten die beiden die Weinprinzessinnen an die Wand der Gemeindehalle. Ulla zeigte sich dabei nicht weniger geschickt als Florian, der sogar mehr Zeit benötigte, allerdings nur, weil er hin und wieder seine patente Geliebte mit einem stolzen Lächeln betrachtete.

    Nachdem alle Rahmen befestigt waren, gingen sie gemeinsam an den beiden Seiten entlang.

    »So schnell schreitet man an dreißig Jahren vorbei«, sagte Florian.

    »Und hinter jedem Foto, hinter jedem Gesicht verbirgt sich eine Geschichte, ein Leben mit all seinen Geschichten«, erwiderte Ulla, und Florian dachte erneut über ihre Romanze nach, die bald nach seiner Ankunft in dem Dorf am südlichen Kaiserstuhl begonnen hatte.

    Sie standen sich vor dem gekrönten Lächeln der amtierenden Weinprinzessin gegenüber und umarmten sich plötzlich. Sie drückten sich fest aneinander, Wange an Wange.

    »Ich habe keine Lust auf Sex hier, und ich will auch die ganzen Kerzen nicht wieder an- und ausmachen«, sagte Florian, als sie sich lösten.

    »War nur so ein Gedanke, ein Bild, das eben mal über einen kommt. Ist okay. Wir können ja noch zu dir gehen. Den morgigen Tag planen.« Sie grinste.

    »Musst du unsere Stunden eigentlich immer für dich so erklären oder für Willi? Der macht sich doch überhaupt keine Mühe mehr mit seinen Liebschaften. Das sind mittlerweile einfach seine Geschäftskontakte.«

    »Ich habe immer den Eindruck, dass du unsere Treffen für dich geklärt haben musst, Flo«, erwiderte Ulla.

    Florian lachte auf. »Ich dachte, du brauchst das für dich und deinen Umgang mit Willi.«

    »Nein, nicht mehr.« Sie lachte ebenfalls auf. »Ich bin langsam reif für offene Karten.«

    Er schüttelte den Kopf und starrte verwirrt vor sich hin. So hatte er sich den Gesprächsverlauf nicht vorgestellt. Es war ein spontaner Gedanke gewesen, den er zwar oft dachte, aber nie aussprach. Nun bereute er, den Zauber des Augenblicks mit der Realität ihrer Ehe vermischt zu haben. Keine gute Cuvée! Ob es das schlechte Gewissen war oder das Bedürfnis, Ulla ganz für sich zu haben?

    Er schüttelte wieder den Kopf. Er wollte das Thema nicht vertiefen. Spannungen zwischen ihm und Ulla gab es immer nur wegen seiner Zerrissenheit. Es war wie früher beim Fußball. Da hatte er ebenfalls zu oft über eine Situation nachgedacht, und dann folgte meist weder ein Torschuss noch ein Zuspiel. Seine Unentschlossenheit war sicher ein Grund für seinen Ruf als ewiges Talent, das ihn zum Schluss seiner Profikarriere in der Oberliga spielen ließ. Nur bei seinem größten Triumph, dem Hattrick beim 4 : 0-Sieg des SC in Stuttgart – wie lange lag das noch einmal zurück? Zwanzig Jahre! Mein Gott! –, hatte er aus dem Bauch gespielt und problemlos seinen Kopf ausschalten können.

    Dass die drei Treffer noch immer in der Region hochgehalten wurden und seine zahlreichen schwachen Auftritte im heimischen Dreisamstadion, wie es zu seiner Zeit noch hieß, überstrahlte, nervte ihn inzwischen. Dass sie auch in sein Liebesspiel eingeflossen waren, ermüdete ihn sogar.

    »Gehen wir zu dir«, sagte Ulla, die seine geistige Abwesenheit bemerkte. »Du hast mich schon lange nicht mehr mit deinem Hattrick verwöhnt.«

    »Ich hoffe, du hattest dennoch ein bisschen Spaß.«

    »Natürlich. Das habe ich ja auch nicht gesagt.« Sie sah ihm in die Augen und zog an seinem Schal. »Was ist los?«

    »Das Festhalten an der Vergangenheit nervt mich.«

    »Wir tauchen gerade tief in die Vergangenheit ein. Da hängen dreißig Jahre Weinprinzessinnen in Gottratskirchen.«

    »Die meinte ich nicht. Meine.«

    »Deine Vergangenheit? Den Hattrick?«

    Er nickte.

    »Das ist doch ein Spiel.«

    »Wirklich?«

    »Ja. Nimm das nicht so ernst. Wenn ich nur darauf aus wäre, hätte ich mich den Sommer über oft beschweren müssen.«

    »Du hast recht.« Er lächelte. »Ich sehe zu schwarz. Aber kein Wunder, der November naht.«

    »Zu viele einsame lange Abende?«

    »Vielleicht. Wahrscheinlich.«

    Sie nahm seine Hand. »Wir werden uns öfter sehen. Es wird Zeit, in die Zukunft zu blicken.«

    »Hört sich gut an.«

    »Aber jetzt und morgen versinken wir in der Vergangenheit.« Sie führte seine Hand zu ihrem Mund und küsste sie. »Verrate mir morgen Abend, wer für dich – neben mir – deine Principessa war. Bin gespannt, ob es eine knackige Vierzigjährige oder ein junges Gemüse ist.«

    Sie räumten die Werkzeugkiste zusammen, schalteten die Musikanlage aus und löschten das Licht. Dann verließen sie die Gemeindehalle am Ortsrand in der Nähe des Sportplatzes und fuhren in Ullas Wagen zu Florians kleinem Fachwerkhaus. Seine Ape Piaggio ließ er vor der Mehrzweckhalle stehen.

    Ulla parkte auf dem Hinterhof, und sie betraten das Haus durch den Hintereingang. Florian schaltete das Licht ein. »Ein paar Häppchen zum Wein?«

    »Gerne.«

    Während Ulla nach oben in die Wohnung ging, richtete Florian in seinem Geschäft im Schatten der über der Frischtheke baumelnden Schwarzwälder Räucherspezialitäten und Zapfensalamis eine Vorspeisenplatte mit Oliven, marinierten Pilzen, italienischen Kapern, Schinken, Salami, Käse und Brot. Lustvoll schnitt er mit einem riesigen Fleischermesser ein paar dünne Scheiben des geräucherten Schinkens seines Endinger Metzgerfreundes Weinbrenner ab. Dann nahm er eine Flasche Weißwein aus dem Temperierschrank und ging nach oben in seine offene Wohnküche.

    Ulla stand an der Fensterfront des riesigen Raums und blickte auf den von Straßenlaternen beleuchteten Marktplatz. Das goldene Licht der altertümlichen Laternen fiel auf ihr Gesicht.

    »Ich bin so froh, dass Willi auf mich gehört hat, als es um die Beleuchtung des Marktplatzes mit LEDs ging«, sagte Ulla mit glänzendem Blick. »Was wäre das für ein grauenhafter Anblick!«

    Florian kam mit der Platte und zwei Gläsern zu ihr. »Nicht nur in dieser Lebensart haben uns die Italiener etwas voraus.«

    »Immerhin konnte Willi den Gemeinderat überzeugen.«

    »Das war dein Einfluss.«

    »Und deiner im Hintergrund. Hättest du mich nicht darauf gebracht, wäre mir die Beleuchtung egal gewesen.«

    »In Italien ist eine Stadtbeleuchtung ab einer gewissen Höhe verboten, habe ich mal gehört. Um den Zauber des Sternenhimmels nicht zu zerstören. Ist das nicht schön?«

    »Wunderschön.«

    Sie prosteten sich zu, tranken und blickten hinaus auf den zauberhaft beleuchteten Marktplatz.

    »Erzähl mir mehr wunderschöne Dinge. Di più

    Ulla führte ihn auf die Couch. Während sie die Antipasti aßen und ein weiteres Glas tranken, erzählte ihr Florian Geschichten aus Tausendundeiner Nacht – erfundene, gehörte und erlebte. Als Ulla an seiner Seite einschlief, deckte er sie zu und setzte sich mit einer zweiten Decke in den Sessel.

    Nachdem er eingeschlafen war, schlummerte er in einem Traum inmitten von dreißig Prinzessinnen, jede nur mit einem Krönchen bekleidet. Als er aufwachte, sah er, dass seine Couch verlassen war. Auf Ullas Weinglas war ein mit Lippenstift gehauchter Kussmund. Er lächelte und richtete sich verspannt aus dem Sessel auf. Dann ging er ins Badezimmer, putzte sich geschwind die Zähne, zog seinen Schlafanzug an, schlurfte ins Bett und schlief selig.

    Erst die Geräusche aus seinem Ladenlokal, die Stimme Lenas, das Knarren der Registrierkasse sowie das in seinen Ohren so vertraut klingende Ploppen beim Entkorken einer Weinflasche holten ihn aus dem Schlaf, von dem er in der letzten Zeit entschieden zu wenig bekommen hatte. Er sprang aus dem Bett, ins Badezimmer und dann in seine gestern getragenen Klamotten. In der Küche brühte er sich mit einem Espressokocher einen caffé und ging mit der Tasse nach unten.

    »Morgen, Lena.«

    »Morgen, du Langschläfer.«

    »War wohl nötig. Alles klar?«

    Er sah sich in seinem Wein- und Feinkostladen um und entdeckte ein Touristenpaar, das bereits die zweite Rebsorte probierte.

    »Natürlich. Alles klar«, erwiderte Lena, die mittlerweile an drei Tagen den Laden schmiss. Ein Grund, weshalb Florian in Freiburg eine Filiale eröffnen wollte. Zuerst war dies nur eine Notlüge gewesen, die sich im Zusammenhang mit seinem ersten Fall ergeben hatte. Da sollte er wegen seiner Tätigkeit als Weinhändler mit abgebrochenem Germanistikstudium eine Biografie über einen ermordeten Weingutbesitzer schreiben. Dabei ermittelte er nicht nur dessen Mörder, sondern löste einen bis dahin unaufgeklärten Mord an einem Mädchen. Die damalige Notlüge hatte sich dann in den vergangenen beiden Jahren als Projekt herauskristallisiert. Auch wenn er lange gezögert hatte, weil er sich in der Zwickmühle zwischen wirtschaftlichem Wachstum und dem Schrumpfen seiner Freizeit und Lebensart sah, wollte er das Projekt angehen. Wenn er für Freiburg auch eine Mitarbeiterin wie Lena finden würde, hätte er bei größerem Umsatz und mengenbedingt günstigerem Wareneinkauf mehr Einkommen und sogar noch mehr Freizeit. Das könnte doch ein Treffer werden, hatte er sich gedacht. Nach langem Suchen hatte sich auch ein passendes Objekt in der Altstadt gefunden. Seinem Freund bei der Freiburger Kripo, Thomas Hofrichter, einem glühenden SC-Fan, war das Geschäft aufgefallen. Für den morgigen Samstag hatte er einen Termin mit dem Besitzer ausgemacht. Am Nachmittag, so dass ihm der Prinzessinnenabend nicht quer lag. Aufräumen war erst für Sonntag vorgesehen.

    Apropos Prinzessinnen, sagte er sich und blickte auf die Uhr.

    »Ich muss los. Brauchst du mich?«

    »Nein. Ich habe alles im Griff.«

    Er nahm sich einen frischen Elsäßer Weck, riss ihn auf, holte fein geschnittene Fenchelsalami aus der Vitrine und stopfte sie in das Brötchen. Er biss kräftig hinein und verabschiedete sich mit vollem Mund.

    Er ging auf den Hof, öffnete die Garage und holte sein Mountainbike heraus. Dann radelte er, das restliche Salamibrötchen in großen Bissen verputzend, zum Sportgelände. Als er vor der Gemeindehalle ankam, sah er Ullas Wagen. Er stoppte an seiner Ape Piaggio, auf der seitlich der Name und die Adresse seines Wein- und Feinkosthandels angebracht war, verfrachtete das Fahrrad auf die Ladefläche und schloss es ab. Dabei entdeckte er in einer Ecke eine leere Literflasche Wein und zwei geleerte Wodkaflaschen. »Witzbolde, Idioten«, sagte er und betrat die Halle.

    Ulla ging munter und wie immer hinreißend gekleidet durch die Reihen und legte die Menükarten auf die Tische.

    »Buon giorno, principessa«, rief er und eilte zu ihr hin.

    »Morgen!« Sie sah sich kurz um, ob sie jemand sehen könnte, dann küsste sie ihn auf den Mund. »Hast du gut geschlafen?«

    Er nickte.

    »Dachte ich mir. Du hast so friedvoll ausgesehen. Deswegen ließ ich dich im Sessel.«

    »Wann bist du gegangen?«

    »Es war nach zwei.«

    »Bist du schon lange hier?«

    »Nein. Ich habe mir das Menü nochmal bestätigen und auf die Karten drucken lassen. Die sind gerade geliefert worden.« Sie händigte ihm eine edel gestaltete Menükarte aus. »Deine Handschrift.«

    Er überflog das Jubiläumsessen und die korrespondierenden Weine und entdeckte keine Fehler. Weinbrenner ließ sich nicht lumpen und wollte sich die Chance, am südlichen Kaiserstuhl für seinen Caterer-Service zu werben, nicht entgehen lassen. Es gab schottischen Lachs, gebratene Gänseleber mit Apfel- und Zartbitterschokolade, Wolfsbarsch mit Oliven-Tomaten-Sugo und Parmesan-Gnocchi, gebackenes Kalbsbries – mutig (oder boshaft?) für mächtig viele Prinzessinnen, dachte Florian –, dazu Rotweinschalotten und Trüffeljus. Anschließend Lammcarrée mit Basilikum-Polenta, und als Dessert Mousse au Chocolat und Crema Catalana.

    »Das werden die Prinzessinnen nicht jeden Tag haben – Kalbsbries. Weinbrenners Idee?«

    »Ja. War ihm nicht auszureden. Ist ja nur ganz klein. Und er hat ja recht, was Außergewöhnliches.« Sie lächelte unschuldig. »Machen wir weiter.«

    Sie gingen die letzten Vorbereitungen an. Bis zum Empfang blieben ihnen noch knapp sieben Stunden – zum Gläsereindecken und Tischkartenaufstellen (der Saal war trotz des hohen Eintrittspreises ausgebucht), und das Personal musste auch noch eingewiesen werden. Dass alle Karten verkauft worden waren, hatte Florian überrascht. Nach seiner Erfahrung waren Badener nicht von Haus aus bereit, für exzellentes Essen und herausragende Weine auch den entsprechenden Preis zu bezahlen. Er hatte dennoch auf einem hohen zweistelligen Betrag bestanden. Ulla hatte, aus Angst, die Halle nur halb voll zu bekommen, gerade mal die Hälfte vorgeschlagen. Es hatte ihn viel Überzeugungskraft und einige Spielzüge gekostet, sie umzustimmen. »Wenn wir die Halle nicht voll bekommen, lacht Willi sich ins Fäustchen«, hatte Ulla befürchtet.

    Sie hatte die Veranstaltung nämlich ohne das Rathaus geplant. Die Gemeinde fungierte zwar offiziell als Veranstalter und hatte den ehemaligen Prinzessinnen Einladungsschreiben mit offiziellem Briefkopf zugesandt. Sie stellte außerdem die Halle und den Hausmeister zur Verfügung, aber das war es dann auch. Ulla wollte den Bürgermeister und das Rathaus nicht in der Organisation haben. Sie schien sich durch die Veranstaltung von Willi emanzipieren zu wollen, schätzte Florian.

    Sie arbeiteten Hand in Hand, als Willi – wie immer, bezogen auf sein kleines Dorf und Amt, eine Spur zu elegant gekleidet – die Halle unüberhörbar und raumfüllend betrat.

    »Guten Morgen! Buon giorno!«

    Er breitete die Hände zum Gruß aus, als wäre die Halle voll belegt und ihre Gäste würden ihn erwarten. Florian und Ulla, die ihn bereits am Klang seiner Lackschuhe und Schritte identifiziert hatten, drehten sich langsam zu ihm um.

    »Guede Morge!«, rief Ulla.

    »Morgen, Willi«, schmetterte Florian.

    »Wie läuft’s, ihr zwei Turteltauben?« Willi kam zu ihnen. Er begrüßte Florian mit Handschlag und küsste seine Frau auf den Mund.

    Florian musterte ihn. Dies waren die Momente, in denen er Willi nicht einschätzen konnte. Ahnte er etwas oder war er so naiv wie selbstverliebt?

    »Ihr habt gestern ja noch lange getagt«, sagte der Bürgermeister.

    »Die letzten Besprechungen«, erwiderte Florian.

    »Ich weiß, was man alles vergessen kann. Aber du …«, er blickte zu seiner Frau, »… wolltest ja das Rathaus mitsamt seiner Erfahrung nicht im Boot haben.«

    »Die Gemeinde ist offiziell der Veranstalter, und du hast persönlich alle eingeladen. ›Nicht im Boot haben wollen‹ ist nicht der richtige Ausdruck.«

    »Dann halt nicht in der Orga haben wollen! Bin ja mal gespannt! Wann geht es los?«

    »Müsstest du wissen!«

    »Kennst du meinen Terminkalender?«

    Ulla ging nicht darauf ein. »Um 17 Uhr«, erwiderte sie. »Dann kommt dein Auftritt.«

    Er grinste. »Ist es nicht toll, wenn man eine Frau hat, die einem ermöglicht, dreißig Weinprinzessinnen zu küssen?«

    »Ja.« Florian nickte und bemühte sich, nicht zu grinsen.

    »Die offiziellen Präsente des Rathauses sind besorgt?«, fragte Ulla.

    »Ich denke schon. Meine Sekretärin hat sich bestimmt darum gekümmert.«

    »Bestimmt«, erklärte Ulla.

    »Zur Sicherheit frage ich aber noch einmal nach. Will ja keinen Stress mit meiner Frau. Ich bin eh auf dem Weg ins Rathaus. Es ist Freitag, Arbeitstag. Wir sehen uns später! Macht keinen Fehler!« Er zwinkerte und verließ mit großen Schritten die Halle.

    »Dein Mann«, stöhnte Florian.

    »Dein Freund«, schnaufte Ulla.

    Sie lachten lauthals und beschäftigten sich weiter mit den Vorbereitungen. Als ihre Liste abgehakt war, die verschiedenen Gläser poliert am Platz standen und das Personal von Ulla eingewiesen worden war, verabschiedeten sie sich, um sich umzuziehen. Während Ulla in ihrem Sportwagen voranfuhr, tuckerte Florian in seinem Zweitwagen mit schepperndem Rad und mit den leeren Flaschen auf der Ladefläche hinterher.

    2

    Er war früh vor der Halle, damit Ulla nicht auf ihn warten musste. Sie hatten ausgemacht, gemeinsam auf der Veranstaltung zu erscheinen. Schließlich waren doch sie beide die Organisatoren. Florian stand in bestem italienischem Outfit, auch wenn es kein Armani-Anzug war, neben seinem verbeulten Alfa Romeo und sah die Straße hoch, die zum Dorf führte. Der Kirchturm thronte über dem kleinen Ort, und die Glocken begannen schwer zu schlagen.

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