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Richard Wagner: Die Entstehung einer Marke
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eBook431 Seiten5 Stunden

Richard Wagner: Die Entstehung einer Marke

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Über dieses E-Book

Vorwort – EINLEITUNG – IMAGE: Interesselosigkeit und Deutschsein – Marketing und die Avantgarde – Marktgerechtes Märtyrertum – Journalismus, Markt und Antisemitismus – Wagner: Entwurf einer Künstlerpersönlichkeit – Beethovens „Kuss“ – Tod und Verklärung – Der verlorene Sohn kehrt zurück – PUBLICITY: Die Dresdner Jahre – Die Asche des Tages – Webers Deutschtum – Die Rede – Der Spin – Der verlorene Sohn, Teil II – Wagners Neunte Symphonie – Wagner, der Held – Das Konzert – Nachwirkungen – Rückblickend – NISCHE UND MARKENBILDUNG: Wagner, der Rebell – Kunst und Politik – Präsentation (erst Worte, dann Musik) – Made in Germany – Wagner ® – Leitmotiv™ – Werbeagenten Herr Wagner persönlich – KONSUMENTEN UND KONSUM: Das Publikum der Zukunft – Tristan und Isolde – Musik als (Klang)Wellen – Tristan und Isolde – Das Medium ist die Botschaft – Verklärungen und Konsumentenzufriedenheit – Die Meistersinger von Nürnberg - Infomercial in drei Akten – Obsolet vs. brandneu? – Die Konkurrenz auf die Probe stellen – Produkteinführung – Kauft deutsch = kauft Wagner ® – ZENTRALE: Bayreuth als Ort der Sinnproduktion – Fundraising und Fanclubs – Vorschau auf kommende Attraktionen – Spin – Zusatzmärkte – EPILOG: DIE WAGNER-INDUSTRIE
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Sept. 2014
ISBN9783826080074
Richard Wagner: Die Entstehung einer Marke
Autor

Nicholas Vazsonyi

Nicholas Vazsonyi ist Associate Prof. für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of South Carolina.

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    Buchvorschau

    Richard Wagner - Nicholas Vazsonyi

    2012

    EINLEITUNG

    Richard Wagner (1813-1883) war der Begründer der Industrie, die heute seinen Namen trägt. Das klingt auf Anhieb nach einer wenig bemerkenswerten Aussage. Wir haben uns daran gewöhnt, dass jeder, der eine Karriere im öffentlichen Raum anstrebt, Werbung in eigener Sache betreibt oder Fachleute dafür engagiert. Im 19. Jahrhundert war das jedoch noch keineswegs selbstverständlich. Tatsächlich galt in manchen Berufen allzu offene Eigenwerbung als unangebrachtes Verhalten und war eher geeignet, ein Image zu beschädigen, als es zu verbessern.

    Nun war Wagner zugegebenermaßen weder die erste Berühmtheit der Geschichte noch die einzige seiner Zeit, und die meisten der von ihm benutzten Techniken und Strategien der Selbstvermarktung waren weder ungewöhnlich noch einmalig. Und doch ist der Fall Wagner speziell. Denn erstens beteiligte sich Wagner, im Gegensatz zu den meisten der sogenannten „großen Meister, die zu Waren wurden, nicht nur an seiner eigenen Vermarktung, sondern bereitete ihr den Weg. Zweitens begnügte er sich nicht mit der Erschaffung eines wiedererkennbaren öffentlichen Bildes seiner selbst, sondern präsentierte seine Werke als mit allen anderen unvergleichliche Schöpfungen. So unverwechselbar wären diese Werke, dass er für sie die Zugehörigkeit zu einer neuen Kategorie in Anspruch nahm. Er erfand sogar ein spezielles Vokabular, um sie zu beschreiben. Der Bau eines eigenen Theaters zu ihrer exklusiven Aufführung war bloß die sichtbarste Geste innerhalb eines größeren Unternehmens, seinen Werken den Stempel einer Marke aufzuprägen. Im Bereich der Kunst war nie zuvor etwas Vergleichbares unternommen worden. Und was, drittens, am wichtigsten ist: Er bekämpfte und attackierte genau jene Kräfte der Moderne, die überhaupt erst die Bedingungen für Selbstdarstellung, Starkult und Markenbildung geschaffen hatten. Das ist das zentrale Paradox der Wagnerindustrie, das zugleich die Allgegenwart und Unentrinnbarkeit des Marktes in der heutigen Zeit offenbart. Andreas Huyssen hat dieses Phänomen „den Strudel der Kommodifizierung genannt, und diese Bemerkung war speziell auf Wagner gemünzt.1

    Trotz der weitreichenden Konsequenzen des Vorstehenden ist Wagners bleibende Bedeutung dennoch nur aus seinen kolossalen, unendlich faszinierenden und emotionsgewaltigen Werken erklärbar, die jeder Generation von neuem als anregend und relevant erscheinen. Gleichwohl agierte Wagner so, als wäre Qualität allein nicht ausreichend, als müsse man sich damit abfinden, dass „große Kunst" nicht, oder zumindest nicht mehr, für sich selbst sprechen könne, angesichts der unübersichtlichen und umkämpften Märkte der entstehenden Massen-gesellschaft. Und so begann er um 1840 herum, noch nicht dreißigjährig, einen umfangreichen Korpus ergänzender Texte zu produzieren, die alle mehr oder weniger dazu bestimmt waren, seine Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu erhöhen, ein sorgfältig ausgearbeitetes Bild seiner selbst zu vermitteln und seine Werke einer Vielzahl unterschiedlicher Zielgruppen gegenüber zu erklären, zu rechtfertigen und zu bewerben. Doch dabei blieb er nicht stehen. Er bemühte sich, das Ansehen seiner unmittelbaren Konkurrenten zu ruinieren und veränderte, mit Hilfe seiner Anhänger, den Musikgeschmack für Generationen. Er beschrieb sich selbst auf eine Weise, dass wir noch heute, wenn wir über Wagner reden, seine Sprache übernehmen und seine Metaphorik benutzen. Manche seiner Schriften waren damals schon skandalös und sind es noch heute; die Reaktion auf sie ist bisweilen erschreckend. So beherrscht neben der Musik und dem Drama nach wie vor Wagner als Person, als öffentliche Gestalt, als Gegenstand des Diskurses, als historisches Ereignis mit all seinen Nachwirkungen die Aufmerksamkeit von Kulturkritikern, Historiker, Biographen und Journalisten, und zwar in einem Ausmaß, das nicht allein durch die Größe seines musikdramatischen Schaffens erklärbar ist.

    Wie erklären wir uns Wagners Auftreten in der Öffentlichkeit? Mehrere seiner Zeitgenossen wiesen auf seinen scheinbar unstillbaren Mitteilungsdrang hin. Der französische Dichter Catulle Mendès hielt diesen Aspekt in seiner Beschreibung eines Besuchs beim Komponisten in Tribschen fest, zu dem er anmerkte, dass Wagner „redete und redete und redete … ein unaufhörlicher Schwall".2 Manche Interpreten haben Wagners Unvermögen, mit dem Reden aufzuhören, als Zeichen einer Geisteskrankheit gedeutet, die sich teilweise bis in seine Bühnenwerke hinein äußere, eine These, die bereits zu Wagners Lebzeiten von dem Psychiater Theodor Puschmann beharrlich, wenn auch nicht ohne unfreiwillige Komik, vertreten wurde.3 Die klinische Diagnose Wagners als geschwätzige Persönlichkeit mag durchaus zutreffen, doch indem sie die psychologische Motivation für seine Schriften und andere Formen der Eigenwerbung von äußeren, sozialen, ökonomischen, kulturellen oder historischen Kontexten trennt, wird sie ihrem Inhalt nicht hinreichend gerecht.

    Friedrich Nietzsche, der Erste, der Wagner umfassend würdigte, und vielleicht sein nach wie vor scharfsinnigster Kritiker, schlägt eine Brücke zwischen psychologischem Verständnis und historischem Kontext. In Bezug auf die Theatralik, die Wagners Kunst ebenso prägte wie sein Leben, nennt er ihn kurz und pointiert einen „unvergleichlichen Histrio, jemand, der alles, einschließlich seiner selbst, „inszenierte. Er deutet Wagner als psychische Krankheit (Wagner est une névrose), er habe die Musik selbst krank gemacht. Doch andererseits argumentiert Nietzsche, dass die Moderne selbst so beschaffen sei, nämlich dekadent, hysterisch, neurotisch, sodass „Massen-Erfolg nur durch Täuschung und Effekthascherei zu erzielen sei. Wagner ist der moderne „Künstler par excellence: „Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre großen Theater leben von Wagner".4 Für Nietzsche ist Wagner wie Franz Liszt und Victor Hugo, Symptom einer traurigen Zeit.

    Historisch gesehen war nahezu alles, was Wagner unternahm, Praktiken entlehnt oder nachempfunden, die sich bereits um 1800, d.h. eine Generation oder länger vor ihm, herauszubilden begonnen hatten. Der Gedanke öffentlicher Selbststilisierung und die Anfänge der Celebrity-Kultur treten etwa in den Figuren Lord Byrons und Johann Wolfgang von Goethes, um nur zwei Beispiele zu nennen, deutlich zutage. Ebenfalls um 1800 kam der Brauch auf, das Kunstwerk nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondern sein Erscheinen durch das ästhetische Manifest vorwegzunehmen. Der Gedanke, der Künstler müsse „den Geschmack erzeugen, der es ermöglicht, ihn zu genießen, wie es William Wordsworth formulierte, war eine unmittelbare Konsequenz aus dem, was der Philosoph Jürgen Habermas als den „Strukturwandel der Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert bezeichnete, der durch den Aufstieg des Journalismus und die Anfänge dessen, was später als Populärkultur verstanden werden sollte, beschleunigt wurde.5 Wordsworths Bestrebungen, wie, eine Generation früher in Deutschland, die von Karl Philipp Moritz und Friedrich Schiller, waren eine Reaktion auf den ökonomischen Erfolg der „Unterhaltungsliteratur, wie sie im Deutschen heißt, während Wordsworth anschaulicher von „wüsten Romanen, kränklichen und törichten deutschen Tragödien und Unmengen nutzloser und überspannter Verserzählungen sprach.6 Der Buchhandel, der solche Werke vertrieb, wurde von einer exklusiven Gruppe von Künstlern verschmäht, die sich von der breiten Masse abzuheben versuchten, indem sie auf Gewinn verzichteten und eine ästhetisch anspruchsvollere Literatur schufen, die den Lesern eine größere geistige und intellektuelle Befriedigung verschaffte. Diese Autoren, die zum Teil für ein (noch) nicht existentes Publikum schrieben, verkörperten, lange bevor der Begriff in Gebrauch kam, eine „Avantgarde-Mentalität. Im weiteren Sinne wehrten sie sich gegen das aufkommende Konsumverhalten, das bereits durch die neue Modeindustrie sowie das Phänomen des Markenartikels – Wedgwood-Töpferwaren sind vielleicht das früheste bekannte Beispiel – ausgelöst worden war. Der Soziologe Pierre Bourdieu untersuchte diese Gegenkultur zum Zeitpunkt ihrer Entstehung in Paris um 1840, mit Charles Baudelaire und Gustave Flaubert als zentralen Exponenten.7 Bourdieus Hauptargument lautet, dass deren marktfeindliche Pose selbst eine Marketingstrategie war, ein weiteres Beispiel für Huyssens „Strudel. Sowohl Bourdieu als auch Huyssen setzen eine Denktradition fort, die bereits in der marxistischen Kulturkritik Walter Benjamins – der ebenfalls von Baudelaire fasziniert war – und Theodor W. Adornos erkennbar ist. Letzterer verortete eben bei Wagner die Anfänge dessen, was er „Kulturindustrie" nannte.8 Mit anderen Worten, alle dieser Denker vertreten die Meinung, dass sich Kunst und Künstler immer stärker auf den Konsumenten bezogen hätten.

    Auch wenn es historisch verfrüht wäre, in diesem Fall von Konsumismus zu sprechen, haben einige Wirtschaftssoziologen wie Colin Campbell und vor ihm Neil McKendrick überzeugend dargelegt, dass Konsumverhalten bereits im späten 18. Jahrhundert auftrat, und zwar im Sinne des Erwerbs und Gebrauchs von Gütern zur Erfüllung momentaner und vorübergehender Wünsche, nicht zur Befriedigung dauerhafter Grundbedürfnisse.9 Konsum bezeichnet in diesem Zusammenhang das Streben nach Luxus und das Schwelgen in überflüssigen Dingen – eine alte Gewohnheit des Adels, aber neu für die stetig wachsenden Mittelschichten. In ähnlicher Weise ist für Donald Sassoon, dessen voluminöses Buch ebenfalls im Jahr 1800 einsetzt, „die Geschichte der Kultur die „Geschichte der Produktion für einen Markt zum Zwecke des „Kulturkonsums".10

    All die oben erwähnten Aspekte – öffentliche Selbststilisierung, Starkult, das ästhetische Manifest, Avantgarde, Mode, die Verbreitung des Journalismus, die Expansion der Märkte, der Markenartikel – sind bloß Facetten des tiefgreifenden Wandels, der England und den europäischen Kontinent erfasste und alle Bereiche des Lebens und der Kultur in Mitleidenschaft zog. Richard Wagner ist die herausragende Künstlergestalt des 19. Jahrhunderts, der diese Aspekte zu einem Kampf auf allen Ebenen – der ideologischen, theoretischen, rhetorischen und kreativen – verschmolz, um sich selbst eine eigene, unter seiner alleinigen Kontrolle stehende Nische innerhalb des Opernmarktes zu schaffen.

    Das war eine Gratwanderung. Wie seine Vorläufer, die Romantiker, wandte sich Wagner vehement gegen die moderne Sicht des Kunstwerks als Ware zum Zwecke der Spekulation und des Profits. Auch er sollte ästhetische Manifeste verfassen, sollte versuchen, „den Geschmack zu erzeugen, der es ermöglicht, ihn zu genießen, und verkünden, er komponiere für ein Publikum, das es noch nicht gebe. In all dem war er, davon bin ich überzeugt, vollkommen aufrichtig. Doch das ist nicht der springende Punkt. Einig der Ansprüche, die er geltend machte, sein inflationärer Sprachgebrauch, der Nachdruck, mit dem er diese Ansprüche vertrat und die Methoden, die er benutzte, um sie publik zu machen, entstammten genau jener Welt des Kommerzes, die er im gleichen Atemzug verdammte. Dieser Widerspruch sorgte schon damals für Stirnrunzeln. Einer seiner vielen Widersacher verglich seine Methoden mit denen eines „Marktschreiers.11 Auch wenn er sich von der Sphäre gewinnträchtiger Kunst rhetorisch abgrenzte, riskierte er gleichwohl, von denen nicht ernst genommen zu werden, die nominell auf seine Seite der „großen Scheidelinie" (Huyssen) standen.

    Das Gespenst der Trivialisierung sitzt Wagner nach wie vor im Nacken und ist, wie ich glaube, dafür verantwortlich, dass es bis zum heutigen Tage kein Buch gibt, das seine Selbstvermarktung behandelt. Trotz der Unzahl von Werken über ihn, die bereits 1883, seinem Todesjahr, die 10.000 überschritten, haben es Wagners Kritiker vorgezogen, sein öffentliches Auftreten psychologisierend als Zeichen von Größenwahn abzutun.12 Anstatt sein Handeln als Ausdruck eines Persönlichkeitsdefekts zu werten, schlage ich vor, Wagners Bemühen, ein Image zu erzeugen und seine Werke als Paket zu präsentieren, ernst zu nehmen. In der Moderne waren die meisten Künstler gezwungen, sich selbst zu vermarkten. Vielleicht war Wagner darin einfach besser als alle anderen.

    Die Scheu, anerkannte Komponisten unter Marktgesichtspunkten zu betrachten – ein Relikt der Empfindlichkeiten des 19. Jahrhunderts –, hat allerdings merklich nachgelassen. Ein kürzlich erschienenes Buch über Wagners Zeitgenossen Franz Liszt (1811-1886) ist insofern exemplarisch, als der Autor, Dana Gooley, sich bemüht, die Ansicht zu entkräften, Liszts „Konzerttourneen als Klaviervirtuose hätten vorwiegend der Selbstverherrlichung gedient, und darauf hinweist, „dass immer noch eine Interpretation seines strategischen Vorgehens aussteht, das dieses nicht auf bloße Eitelkeit reduziert.13 Liszts Geschichte steht sinnbildlich für die Risiken sich selbst vermarktender Künstler im 19. Jahrhundert. Niccoló Paganini (1782-1840) und Giacomo Meyerbeer (1791-1864) sind zwei weitere Beispiele dafür. Im Gegensatz zu dem Komponisten und Geigenvirtuosen Paganini, der bis zu seinem Tod als Medienereignis galt, dessen Status aber kaum über den eines Zirkusartisten hinausging, entzog sich Liszt dem Rummel, der seine öffentliche Auftritte begleitete, um zu komponieren und zu dirigieren, weil er ernst genommen werden wollte. Meyerbeer, ohne Frage der erfolgreichste Opernkomponist seiner Zeit, machte sich angreifbar durch seine kalkulierten Triumphe, die durch wohlwollende Vorberichte in der Presse und Claqueure im Theatersaal inszeniert wurden. Dass Meyerbeers Opern im späten 19. Jahrhunderts immer weniger gespielt wurden, hängt vielleicht direkt mit den unermüdlichen Attacken Wagners und seiner Verbündeten zusammen, was Wagner jedoch nicht daran hinderte, teilweise genau dieselben Methoden anzuwenden. Vielleicht war eine der größten Leistungen Wagners, dass er es schaffte, Reklame in eigener Sache zu betreiben und dennoch ernst genommen zu werden.

    Meyerbeer, Paganini, Liszt und Wagner – sie alle reagierten auf ihre Zeit. Der Musikmarkt des 19. Jahrhunderts durchlief eine ähnliche Entwicklung wie der Buchmarkt im 18. Jahrhundert. Der Musikhistoriker William Weber hat die Entstehung des „modernen Musikbusiness nachgezeichnet und sorgfältig herausgearbeitet, warum es bereits im 19. Jahrhundert als „profitorientierte Massenkultur angesehen werden sollte. Während Publikation und Verkauf von Notendrucken einen „expandierenden Geschäftsbereich mit „cleveren Vermarktungsstrategien darstellten, dem Buchmarkt nicht unähnlich, bewegte sich die zweite Sparte der Musikindustrie – das öffentliche Konzertwesen – in gänzlich anderen Größenordnungen, besonders jene Aufführungen, die ganze Symphonieorchester erforderten, von großen Operninszenierungen gar nicht zu reden. Mit der Zunahme öffentlicher Konzerte ging die „kommerzielle Ausbeutung der Meister einher, d.h. der „großen toten Komponisten, von Johann Sebastian Bach bis zum damals erst unlängst verstorbenen Ludwig van Beethoven.14 Diese Ausbeutung kam am deutlichsten in der erstaunlichen Veränderung der Konzertprogramme zum Ausdruck, die von überwiegend zeitgenössischen zu größtenteils „klassischen" Stücken wechselten, eine Schwerpunktverlagerung, die noch heute die Spielpläne bestimmt. Somit mussten lebende Komponisten nicht nur untereinander, sondern auch mit ihren kanonisierten Kollegen konkurrieren.

    Da sich Wagner das kostspieligste aller Musikgenres – die Oper – aussuchte, blieb er sein Leben lang ihren ökonomischen Zwängen verhaftet. Da aber seine literarischen Ambitionen nicht minder ausgeprägt waren, brachte er auf vielfältige Weise – sowohl ästhetisch als auch als Kritiker der Moderne – die Sensibilität des Autors ins Spiel. So vereinte er auf eine nach wie vor als widersprüchlich, wenn nicht paradox empfundene Weise die öffentliche und zwangsläufig weithin bekannte Rolle des prominenten Selbstdarstellers mit der des privaten, eher selbstbezogenen und nachdenklichen Autors, der die Welt medialer Manipulation meidet, um die Integrität seines Werkes zu bewahren, ein Image, das Wagner dann als solches wiederum ungeniert in die Öffentlichkeit trug. Das gleiche Paradox kennzeichnet die Werke selbst: auf der einen Seite dazu bestimmt, den Traum der Romantiker vom Gesamtkunstwerk, das den Menschen in seiner Ganzheit wiederherstellt, zu verwirklichen, werden sie auf der anderen Seite als exklusive Produkte vermarktet, die genau diesen Effekt erzielen sollen – wenn du die Welt heilen und dich gut dabei fühlen willst, dann kauf Wagner.

    Wie ging Wagner bei der Umsetzung dieser Ansprüche vor und welche Techniken wandte er an, um sie so wirksam zu gestalten? Im Folgenden werden fünf sich überschneidende Tätigkeitsfelder gesondert betrachtet – Imagebildung, Public Relations, Erzeugung einer Nische und Markenpolitik, den Bühnenwerken immanentes Marketing, und Schaffung eines Zentrums innerhalb eines weltumspannenden Netzwerks. Jedem dieser Punkte ist ein Kapitel gewidmet, das jeweils auf eine spezifische Auswahl von Beispielen und Begebenheiten rekurriert. Um die strukturelle Einheit des Buches zu unterstreichen, sind diese Beispiele und Begebenheiten über die fünf Kapitel hinweg chronologisch angeordnet. Damit soll nicht suggeriert werden, dass ein Tätigkeitskomplex den anderen ablöste. Wagner war jeweils auf allen Feldern gleichzeitig aktiv, wenn er sie auch zu verschiedenen Zeiten seiner Karriere unterschiedlich gewichtete. Ungeachtet dieser chronologischen Anordnung handelt es sich auch nicht um ein biographisches Buch, und biographische Details werden nur erwähnt, wenn sie von besonderer Relevanz sind. Vielmehr geht es im Folgenden um eine genaue Textanalyse ausgewählter Werke Wagners: Essays, einige Briefe, seine Autobiographien, Artikel sowie zwei seiner Opern.

    Diese Texte offenbaren, in welchem Ausmaß Wagner sein eigener Presseagent, sein eigener Manager, sein eigener PR-Berater war. Er selbst prägte sein Bild als führende Persönlichkeit des kulturellen Lebens, als schöpferisches Genie, als wahrer Deutscher, als Erfinder einer ganz neuen Form von Kunstprodukt. Die heutige Wagnerindustrie stützt sich nach wie vor auf die erstaunliche Vielfalt von Themen, die Wagner ersann, Bilder, die er entwarf, Konzepte, die er entwickelte, um die Exklusivität seiner Marke zur Geltung zu bringen und zu bewahren.

    ____________

    1Andreas Huyssen, After the Great Divide: Modernism, Mass Culture, Postmodernism , Bloomington 1996, S. 42.

    2„il parlait, parlait, parlait! … un flot incessant!". Catulle Mendès, Richard Wagner , Paris 1886, S. 14-15.

    3Theodor Puschmann, Richard Wagner: Eine psychiatrische Studie , Berlin 1873 (1872 erschienen).

    4Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner , hgg. v. Dieter Borchmeyer, Frankfurt am Main 1983, §5, §8 & §11.

    5William Wordsworth, „Essay, Supplementary to the Preface (1815)", The Prose Works of William Wordsworth , 3 Bde., hgg. v. W.J.B. Owen und J.W. Smyser, Oxford 1974, III, S. 62-84, dort S. 80. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft , Neuwied 1962.

    6Wordsworth, „Preface to Lyrical Ballads (1800)", Prose Works , I, S. 118-159, dort S. 128.

    7Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes , Frankfurt am Main 1999.

    8Vgl. Walter Benjamin, Charles Baudelaire: Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus , Frankfurt am Main 1974, sowie das „Baudelaire"-Kapitel in Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts , in Illuminationen , S. 170-184, dort S. 179-181. Ferner Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner. Die musikalischen Monographien . Gesammelte Schriften Bd. 13 , Frankfurt am Main 2003, S. 7-148.

    9Vgl. z.B. Colin Campbell, The Romantic Ethic and die Spirit of Modern Consumerism , Oxford 1987, S. 17-31 und 60-65.

    10 Donald Sassoon, The Culture of the Europeans from 1800 to the Present , London 2006, xxi, xiii.

    11 W.J.S.E. [Julius Schladebach], „Das Palmsonntagsconcert", Abend-Zeitung (Dresden), 16. April 1846.

    12 Vgl. zuletzt Boris Voigt, Richard Wagners autoritäre Inszenierungen. Versuch über die Ästhetik charismatischer Herrschaft , Hamburg 2003.

    13 Dana Gooley, The Virtuoso Liszt , Cambridge 2004, S. 12-13.

    14 William Weber, „Mass Culture and the Reshaping of European Musical Taste, 1770-1870", International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 8.1 (1977), S. 5-22, dort S. 6 und 15-16.

    IMAGE

    „Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven".1 Mit diesen Worten beginnt „R… seine Beichte auf dem Sterbebett. „R…, eine von Richard Wagner ersonnene literarische Figur, die Hauptperson seiner Novelle „Ein Ende in Paris, ist ein armer, ausgewanderter deutscher Musiker, der in einer früheren Novelle „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven unternommen hat. Mit diesen beiden kurzen, 1840 und 1841 verfassten und erstveröffentlichten Prosastücken verschmilzt der 27-jährige Wagner zeitgenössische Ideen und Topoi mit tief verwurzelten Eigentümlichkeiten des deutschen Kulturdiskurses, um eine zugleich vertraute und neue Gestalt zu erschaffen. Der deutsche Musiker, arm aber rechtschaffen, der aus Liebe zur Musik und nicht zum Zweck des Gelderwerbs komponiert. Musik als transzendentale Kunstform. Die große Komponisten (natürlich Deutsche), die eine erlauchte Ahnenreihe bilden. Alle diese beziehungsreichen Ideen waren seinerzeit in Umlauf. Mit großem Geschick verdichtet Wagner sie zu einer einzigen Figur, die er auf dem Papier sterben lässt, um sie im Kern als die öffentliche Rolle wiederzubeleben, die Wagner für den Rest seiner Karriere annahm: Darin liegt das Novum. Richard Wagners öffentliches Image ist eine literarische Schöpfung. Obendrein eine von solcher Komplexität und Bedeutungsfülle, dass sie der sorgfältigen Aufschlüsselung bedarf, der sich der verbleibende Teil dieses Kapitels widmen wird.

    Der Begriff „Image kann sowohl bildlich als auch gedanklich verstanden werden. Da Wagners Erwachsenenleben mit dem Aufkommen der Fotografie zusammenfällt, haben wir von seinem Aussehen sogar eine genauere Vorstellung als von dem seiner berühmten Vorläufer wie Mozart und Beethoven. Die zahllosen Reproduktionen sorgfältig arrangierter und wie Ikonen wirkender Wagner-Fotografien auf Postkarten, Konzertprogrammen, Plakaten, Buchumschlägen und Plattencovern prägen unser Bild des Komponisten nicht weniger als die allgegenwärtigen Mozart- und Beethoven-Porträts. Dennoch sind im Falle Wagners diese Fotografien nicht in der Lage, einige der nachhaltigsten Aspekte seines öffentlichen Erscheinungsbildes wiederzugeben: als „deutschester aller Komponisten, Beethovens einzig legitimer Nachfolger, verkanntes und bedrängtes Opfer verleumderischer Machenschaften seitens einer feindseligen, von Juden beherrschten Presse, zu gut für Paris, Retter der europäischen Kunst, nur mit Freunden seiner Kunst – den Eingeweihten – kommunizierend und dennoch Schöpfer einer Kunst, die zum ganzen deutschen Volk spricht. Diese gedanklichen Komponenten von Wagners Image – zu vielschichtig, um durch Bilder allein befördert zu werden – wurden alle auf sprachlichem Wege erzeugt und, was noch wichtiger ist, von Wagner selbst. Darin unterscheidet sich der Fall Wagner von dem aller anderen Komponisten und Künstlerfiguren, Vorläufer und Zeitgenossen gleichermaßen, selbst von schriftstellerisch so produktiven wie Weber oder Berlioz. Wagner schrieb und schrieb, genug, um noch zu Lebzeiten zehn Bände zu füllen, die später auf sechzehn erweitert wurden. Seine gesammelten Briefe umfassen Dutzende weiterer Bände, das 1967 begonnene Projekt einer Gesamtausgabe ist immer noch nicht abgeschlossen. Zumeist einem psychischen Bedürfnis zugeschrieben, wurde dieser endlose Redefluss Wagners, in Wort und Schrift, wahlweise als „Mitteilungsdrang oder „Selbstdarstellungsvermögen interpretiert. Berichte von Zeitgenossen legen nahe, dass es sich tatsächlich um einen Grundzug seiner Persönlichkeit handelte. Allerdings deutet eine solche Geschwätzigkeit auch auf das Bedürfnis hin, einen Diskurs zu erzeugen und zu kontrollieren, das, was Robert Gutman in Bezug auf Wagner die Erschaffung „seines eignen Mythos" nennt, doch handelt es sich genau genommen um einen viel komplizierteren Vorgang, der das eigentliche Thema dieser Untersuchung berührt.2

    Wagners Musikdramen sind zweifelsohne ein Teil des von ihm geschaffenen „Mythos und somit zum vielleicht am stärksten überfrachteten künstlerischen Werk der Moderne geworden. Wagner war der wesentliche Urheber dieser Verbindung. Gleichwohl wäre es angemessener, das Resultat Wagner'scher Prosa weniger als „Mythos denn als komplexe und beunruhigend reizvolle Verschmelzung von Posen, Kunsttheorie, Sozialreportage und Ideologie zu beschreiben, das Ganze verflochten mit einer farbigen, anregend zu lesenden autobiographischen Erzählung. Viele Rezipienten seiner Werke haben sich bzw. wurden, damals wie heute, mit den dazugehörigen Ideen identifiziert, vor allem der Behauptung, dass seine Musikdramen exemplarischer Ausdruck des deutschen Wesens seien, eine Behauptung, hinter der das Gespenst des Antisemitismus lauert. Das machte die Freude, Wagner zu hören, nach dem Holocaust zu einem solch heiklen Unterfangen. Das chronische Problem mit Wagner in der Nachkriegszeit ist ein Negativbeispiel, das gleichwohl belegt, wie erstaunlich erfolgreich Wagner bei der Fixierung und Kontrolle des Diskurses über sein Werk war. In Wagnerstudien überwiegt, was ich „Permalegende" nenne, die Wagner'sche Variante des Permafrostes: eine narrative Schicht von solch eisiger Kompaktheit, dass keine alternative Erzählung sie durchdringen kann. Wagners Version seiner Geschichte und seine Erklärung seines Werkes sind traditionell der Ausgangspunkt für jeden, der die Absicht hat, über ihn zu schreiben.

    Wenn Gutman von „Mythos spricht, trifft das sicherlich einen Aspekt der Sache, dennoch steckt mehr dahinter. Dasselbe gilt für seine irrige Annahme, dass Wagner erst im Alter von zweiundfünfzig begonnen habe, sich selbst zu erfinden, nämlich 1865, als er seiner zweiten Frau, Cosima, seine Memoiren diktierte. Damit verfehlt er sein Ziel um ein Vierteljahrhundert und legt implizit nahe, dass es Wagner vorrangig darum gegangen sei, sein Bild für die Nachwelt zu bestimmen. Stattdessen war Wagner in erster Linie daran interessiert, sein Umfeld zu kontrollieren, seine Gegenwart. Doch abgesehen von seinem Wunsch, den er mit den meisten Menschen teilte, seine Wahrnehmung durch andere zu beeinflussen, ging das Kontrollbedürfnis bei Wagner mit konkreten, in hohem Maße praktischen Zielen einher. Für ihn als öffentliche Person und kreativer Künstler bedeutete Kontrolle die angemessene Aufführung seiner Werke, verbunden mit entsprechender Anerkennung und Akzeptanz durch ein Publikum: Erfolg auf dem Markt. In dieser Hinsicht unterschieden sich Wagners Wünsche nicht von denen jedes anderen modernen Komponisten oder Künstlers. Dennoch waren die Strategien, die er zur Herbeiführung, Sicherung und Wahrung seines Erfolgs einsetzte, in ihrer Gesamtheit nicht nur beispiellos, sondern verrieten auch ein bemerkenswertes, möglicherweise intuitives Gespür für den Markt, den er doch zu überwinden versuchte. Deshalb erscheinen mir Begriffe wie „Rolle und „Image besser geeignet als „Mythos, um zu beschreiben, was Wagner zu erschaffen beabsichtigte, weil sie stärker auf den Selbstvermarktungsaspekt als auf die psychologischen oder literarischen Dimensionen seines Tuns verweisen.

    Auch ohne allzu große Anleihen bei der trüben Wissenschaft psychoanalytischer Ferndiagnosen zu machen, ist kaum zu übersehen, welche Bedeutung für Wagner, als Mensch wie als Musiker, die gut zweieinhalb Jahre hatten, die er in Paris verbrachte, von September 1839 bis April 1842, nicht lange vor seinem dreißigsten Geburtstag. Gekennzeichnet durch Erfolglosigkeit, Enttäuschung und Kontrollverlust steht diese Zeit aber auch für einen – verglichen mit den Jahren zuvor – exponentiellen Anstieg der von ihm verfassten und veröffentlichten Schriften auf ein Niveau, das er bis zum Ende seines Lebens beibehalten sollte. Wagners Versuch, über das Schreiben Einfluss zu gewinnen und zu behalten, ist ebenso offensichtlich wie sein Schritt, die vorhandenen Medien virtuos zu nutzen, um sich selbst, seine Ideen und schließlich seine Werke zu vermarkten. Dabei dürfte ihm nichts ferner gelegen haben, als er seine Kapellmeisterstelle im provinziellen Riga aufgab, um zusammen mit seiner ersten Frau Minna in die Welthauptstadt der Oper zu reisen.

    Die Pariser Musikindustrie und ihre Kritiker

    Für einen Deutschen, und insbesondere einen deutschen Komponisten, war die Übersiedlung nach Paris mit einer Reihe von Problemen verbunden. Seit dem späten 17. Jahrhundert hatte die unangefochtene französische Kulturhegemonie, ausgehend vom Hof Ludwigs XIV. und seiner Nachfolger, die Vorstellungswelt der Deutschen beschäftigt und die frühe Suche nach einer deutschen Nationalidentität im 18. Jahrhundert in hohem Maße beflügelt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Musik – und die Oper zumal – eine Domäne der Italiener war, stand der französische Königshof nach wie vor im Mittelpunkt der Opernwelt. Wohin sie auch blickten, ob nach Süden oder nach Westen, die Deutschen schienen keine Wahl zu haben, als andere nachzuahmen. Daher ihre zunehmende Hinwendung zur (opernfernen) Instrumentalmusik im späten 18. Jahrhundert und die Herausbildung eines entsprechenden diskursiven Instrumentariums, das von Projektionen nationaler Überlegenheit wimmelte.

    Abgesehen von den Symbolen kultureller Vorherrschaft erfüllte Paris aufgrund seiner hoch entwickelten Infrastruktur und seiner institutionellen Traditionen für Opernkomponisten und Librettisten auch ganz praktische pekuniäre Bedürfnisse. Die berühmte Pariser Oper zahlte Tantiemen für jede Aufführung, während deutsche Opernhäuser nur eine einmalige Lizenzgebühr für Aufführungsrechte boten, unabhängig vom möglichen Erfolg des Stückes. Ein Erfolg in Paris bedeutete nicht nur eine Aufführungsgarantie in den deutschen Provinzen, sondern eröffnete zusätzliche Märkte, die die Verdienstmöglichkeiten für erfolgreiche Musiker beträchtlich erhöhten.3 Wagners Vorbilder waren der überaus wohlhabende deutsch-jüdische Komponist Giacomo Meyerbeer – ursprünglich Jacob Liebmann Beer – und der Librettist Eugène Scribe. Sie dominierten die Opernszene der 1840er Jahre in Paris, der Metropole, die der bedeutende Wagnerbiograph Ernest Newman als eine „Mischung aus Mekka und Klondyke" beschreibt, eine kühne Metapher, die sich sowohl auf den seinerzeit noch relativ neuen Aufstieg der Musik in religiöse Sphären bezieht als auch auf die Gewinnaussichten, die ein Erfolg in der Musikwelt versprach.4

    Geld und Gewinn waren Wagners primäre Motive, nach Paris zu gehen. War der unmittelbare Anlass seiner Flucht aus Riga noch der wachsende Druck seiner zahlreichen Gläubiger gewesen, so hoffte er in Paris lange darauf, seinen großen Durchbruch als Komponist zu schaffen, „Ruf und Geld [zu] gewinnen und „kein deutscher Philister mehr zu sein, Träume, die er schon 1834 seinem Freund Theodor Apel gegenüber offen äußerte.5 Zu dieser Zeit begann Erfolg für Wagner mit einer Verleugnung seines Deutschtums, das mit Philistertum gleichbedeutend war: eine Reaktion auf die Provinzialität der deutschen Kultur und ihren relativen Mangel an Kultiviertheit, verglichen mit der französischen. Wie sein Landsmann Giocomo Meyerbeer richtete er seinen Blick auf das kosmopolitische Paris, um eine „französische Oper für die Franzosen" zu komponieren – nicht nur, um den bestehenden Geschmack zu bedienen und Markterwartungen zu erfüllen, sondern weil eine deutsche Oper als Genre erst in Ansätzen vorhanden war.

    Ungeachtet seiner offenkundigen Bereitschaft sich anzupassen, erwies sich Wagners Aufenthalt in Paris als vollkommenes Desaster, weil seinen ständigen Bemühungen und sogar Meyerbeers Unterstützung zum Trotz keine seiner Opern je aufgeführt wurde. Der erhoffte Durchbruch blieb aus. Die verzweifelte finanzielle Misere, in die die Wagners folgerichtig gerieten, zieht sich durch den Briefwechsel dieser Jahre, sie wurde später

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