Land der Empörer: Euro-Krise, Integration, Schulden und Sozialstaat: Warum Deutschland nur mit Klartext seine wichtigen Probleme lösen wird
Von Ulrich Stockheim
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Über dieses E-Book
mutig die Probleme anspricht. Politiker sprechen Wahrheiten nicht mehr an, wichtige
Entscheidungen werden vertagt und zerredet. Stattdessen gilt: schönfärben, weich
spülen, rumeiern, beschwichtigen. Empörung über mutige Vorschläge. Empörung,
wenn gegen die Political Correctness verstoßen wird. Das prägt unsere Debattenkul-
tur. Die Empörer blockieren, die Mutlosen resignieren. Gute Politiker fallen den Empö-
rern zum Opfer und treten zurück. Die Folge: Die wirklichen Probleme in Deutschland
bleiben ungelöst. Wegweisende Entscheidungen bei Integration, Schulden, Zukunft
des Sozialstaates und Euro-Krise bleiben auf der Strecke, weil mutiges Vorausden-
ken in der Empörungswelle untergeht. Warum ist das so? Warum geht das nicht
anders?
Ulrich Stockheim zeigt in seinem neuen Buch auf, wie die perfekt geölte deutsche
Empörungsmaschine funktioniert und nach welchem Muster Empörung aufgebaut
wird. Er plädiert für eine neue Debattenkultur. Was wir brauchen, ist der Mut zu Klar-
text. Denn nur so wird Deutschland seine wirklichen Probleme in den Griff bekommen.
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Buchvorschau
Land der Empörer - Ulrich Stockheim
Für meine Eltern und meine Jungs
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
ulrich.stockheim@rivaverlag.de
1. Auflage 2011
© 2011 by riva Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Monika Spinner-Schuch
Umschlaggestaltung: Ruth Botzenhardt, München
Umschlagabbildung: Stephan Pick
Satz: HJR, Manfred Zech, Landsberg am Lech
E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Print 978-3-86883-138-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-460-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-461-6
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.riva-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter
www.muenchner-verlagsgruppe.de
Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1: Im Land der Empörer
Kapitel 2: Das Prinzip Empörung
Kapitel 3: Political Correctness – wie sich die Sprache von der Wirklichkeit verabschiedete
Kapitel 4: Debatten und heiliger Ernst – wie das ständige Fragen nach Grundsätzen die Politik lähmt
Kapitel 5: Wer die Wahrnehmung bestimmt, beherrscht die Debatte
Kapitel 6: Willkommen im Migrantenstadl
Kapitel 7: Babylon im Euro-Land – und die Schulden steigen weiter
Kapitel 8: Zehn Gebote für eine gelungene Debatte
Vorwort
Deutschland an einem Montagmorgen im Februar 2011. Der ICE von Köln nach Frankfurt ist pünktlich um 8.20 Uhr gestartet. Kaffee wird serviert, Zeitungen werden durchgeblättert. Was bewegt Menschen am Morgen auf dem Weg zur Arbeit, zum Kunden, in den Urlaub? Ein Ehepaar auf den Plätzen vor mir streitet mit unterdrückten Stimmen, wo sich das Abfluggate der Singapore Airlines am Frankfurter Flughafen befindet. In der Zeitung steht, dass gerade die Trainerlegende Otto Rehagel ausgeraubt wurde. Deutschland hat den Sieg gegen Italien verschenkt, nur 1:1. Und die FDP will Spielautomaten verbieten. Alles wie immer. Unschlagbare 53 Minuten braucht der Zug bis Frankfurt Flughafen. Dann eine Durchsage: »Unser Zug hat zurzeit sieben Minuten Verspätung ...« »Typisch«, zischt der Mann neben mir, der bis gerade noch vor sich hingedöst hat. Jetzt ist er hellwach. Die Durchsage ist noch nicht zu Ende: »Wir bemühen uns, die Verspätung wieder aufzuholen. Alle Anschlussmöglichkeiten in Frankfurt werden erreicht.« »Na hoffentlich!«, blafft mein Sitznachbar. Es ist, als hätte er nur auf eine Gelegenheit gewartet, um sich aufzuregen. In den folgenden 30 Minuten unterhält er mich mit all den grausigen Bahnerlebnissen, die er in den vergangenen Monaten erlitten hat. Es sind Geschichten von Verspätungen und Zugausfällen, von miesem Service und einem schwerfälligen Staatsunternehmen. Er erzählt mit viel Engagement. Er ist in seinem Element. Guten Morgen, Deutschland, guten Morgen im Land der Empörer.
Gerade haben Bundesregierung und Opposition ihre Verhandlungen über die neuen Hartz-IV-Gesetze für gescheitert erklärt. Auch das steht in der Zeitung. Mehrere Nächte haben sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig gestritten – um 6 Euro. Die CDU will den Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger um 5 Euro erhöhen, die SPD um 11 Euro. Aber es geht nicht nur um 6 Euro, es geht um viel mehr, um Mindestlöhne für Leiharbeiter, um ein Bildungspaket, um soziale Gerechtigkeit, um die nächsten Landtagswahlen, um Prinzipien, Grundsätze, Gesinnungen und Macht. Im ICE nach Frankfurt, in dem kein Hartz-IV-Empfänger sitzt, versteht kein Mensch die Debatte. Wieder wird geredet, wieder passiert nichts. Wie immer. Nur das bleibt hängen. Die Hartz-IV-Empfänger verstehen sowieso längst nur Bahnhof. Was sich die Politiker zum Scheitern der Verhandlungen empört um die Ohren hauen, hat nichts mit den konkreten Problemen der Hartz-IV-Empfänger zu tun. Die hören nur, wie Sigmar Gabriel Frau von der Leyen »arrogant« nennt. CDU-Generalsekretär Gröhe macht die Opposition für das Scheitern verantwortlich und wirft der SPD »beschämende Parteitaktik« vor. Die Politiker schmeißen mit Dreck aufeinander, tatsächlich aber stellen sie sich erneut ein Armutszeugnis aus. Der SPD-Politiker Thomas Oppermann sagt als Einziger offen: »Für die Politik wird das nicht ohne Schaden bleiben.« Entlarvend ist das Statement der FDP-Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger. Sollte das Gesetz zur Neuregelung der Gesetze im Bundesrat scheitern, dann werde »das Spiel« neu beginnen. Ja, ein Spiel, das ist es. Thema, Vorschlag, Vorschlag abgelehnt, neues Thema finden, Empörung, kein Ergebnis. Am Ende allenfalls ein lauwarmer Kompromiss. So geht das seit Jahren. Es nervt.
Die Medien schreiben, dass Frau von der Leyen durch den Abbruch der Verhandlungen »angeschlagen« ist, weil sie ihr Gesetz nicht durchgebracht hat. So wie Guido Westerwelle »angeschlagen« ist, seitdem er die Worte »Hartz IV« und »spätrömische Dekadenz« in eine Rede packte. Die neue Zielmarke politischer Auseinandersetzung heißt, den Gegner »anzuschlagen«. Hauptsache »angeschlagen«, das ist die Vorstufe zum »Rücktritt«, der gefordert wird, wenn einer oft genug als »angeschlagen« bezeichnet wird. Wichtig ist also nicht mehr, worum es geht und was zu entscheiden ist, sondern ob derjenige, der das Thema in die Debatte bringt, danach als Sieger dasteht oder als »Angeschlagener«. Um also gar nicht erst »angeschlagen« genannt zu werden, halten unsere Spitzenpolitiker lieber den Mund oder schwurbeln um den heißen Brei herum, färben schön und spülen weich, was das Zeug hält. Klartext bleibt Mangelware.
Klartext sprechen heißt vermintes Gelände betreten. Wer aber kein vermintes Gelände betritt, kann auch keine Minen wegräumen. Irgendwann werden diese Minen explodieren, wenn wir sie nicht wegräumen. Deutschland ist voll davon.
Schulden: Die Staatsschulden steigen immer weiter. Jede neue Regierung türmt neue Schulden auf, statt sie abzubauen. Unser finanzieller Handlungsspielraum schrumpft. Rente: Es gibt immer mehr Alte in Deutschland, die von den Jungen finanziert werden. Den Alten wird versprochen, dass ihre Renten nicht gekürzt werden, die Jungen werden beruhigt, ihre Lasten würden nicht steigen – wie soll das gehen ohne Zusammenbruch des Rentensystems? Gesundheitssystem: Die Beiträge für die Krankenversicherung steigen jedes Jahr. Eine Reformdiskussion schließt sich der nächsten an. Kein Patient soll schlechter gestellt werden, alles bleibt gut. Zu finanzieren ist auch das nicht, eine Reform, die den Namen verdient, bleibt Wunschvorstellung.
Egal, welches Problem der Zukunft sich jetzt schon abzeichnet – jeder Lösungsansatz versinkt in Empörung, Mutlosigkeit und Verdrängung. Die Empörer haben uns fest im Griff. Man muss gar nicht erst die große politische Bühne anschauen, schon im Alltag sind wir von Empörern umzingelt. Nehmen wir ein einfaches Beispiel, das vieles verdeutlicht. Warum schippen die Menschen Schnee, wenn Schnee fällt? Offizielle Antwort: Weil Verordnungen Hauseigentümer verpflichten, den Bürgersteig freizuhalten. Meine Antwort: Weil der Nachbar es auch tut und sich empört, wenn man selber keinen Schnee schippt. Da kann es tagelang schneien wie im Dezember 2010, Bürger verbringen selbst am Heiligabend mehrere Stunden am Tag mit Schneeschippen, werfen die Straßen mit Schneehaufen zu, statt es pragmatisch zu erlauben, dass sich eine festgetretene Schneeschicht bildet, auf der sich prima laufen lässt. Aber selbst wenn sich alle einig sind, dass das der beste Weg ist, so wird es immer einen Nachbarn geben, der Punkt 7 Uhr wie verordnet alles blitzeblank gekehrt hat. Dieser Nachbar wird sich hundertprozentig empören, wenn die anderen es ihm nicht gleichtun, und um das zu verhindern, schippen alle um ihr Leben. Die Empörer knebeln die Mutlosen.
Einer, der lange als mutig galt, weil er sich offenbar kraftvoll gegen die Empörer stellte, musste im März dieses Jahres den Hut nehmen: Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. Er kommt in diesem Buch an einigen Stellen vor. Bis zum bitteren Eingeständnis der Plagiats-Doktorarbeit verstand der CSU-Politiker es brillant, das Prinzip Empörung für sich zu nutzen. Er prangerte die Empörer an, reklamierte für sich, »unangenehme Wahrheiten anzusprechen« und »Klartext« zu reden. Also gehört er als einer der Protagonisten ins »Land der Empörer«. Ich behaupte, dass zu Guttenberg nie wirklich Klartext gesprochen hat. Die vielen, die ihn in objektiven und fragwürdigen Umfragen zu Deutschlands beliebtestem Politiker hochstilisiert haben, projizierten in Wahrheit nur ihre Sehnsüchte in den adligen Minister. So einen wünschen sich die Wähler, der Klartext redet (oder es zumindest behauptet), der gut aussieht, Glamour im grauen Berliner Politbetrieb versprüht und sich nicht um Bedenkenträger und Empörer schert. Dass er in echten Krisensituationen wie etwa beim Anschlag auf Zivilisten in Kundus falsch informiert war und übereilt verdiente und erfahrene Bundeswehr-Führungskräfte feuert, zeugt nicht von Standfestigkeit und Souveränität. Ebenso wenig der kopflose und peinliche Umgang mit den Vorkommnissen auf der Gorch Fock. Auch da musste schnell ein Bauernopfer her und der Kapitän den Kopf hinhalten. Dass zu Guttenberg nun von der großen Berliner Bühne abgetreten ist, macht Deutschland – allen Krokodilstränen seiner Anhänger zum Trotz – nicht ärmer. Aber Aufstieg und Fall von zu Guttenberg sollten uns klüger machen. Wenn es so einfach ist, ein ganzes Volk zu verführen und die Medien über Wochen und Monate mit Herr-und-Frau-zu-Guttenberg-Geschichten zu versorgen, dann ist es Zeit, über den Zustand unserer politischen Debattenkultur nachzudenken. Dieses Buch liefert neben der Causa zu Guttenberg reichlich Anlässe zum Nachdenken – und am Ende auch zehn Hinweise, wie wir es besser machen können.
Warum schreibt nun jemand wie ich ein Buch über Empörung? Ich bin weder Politiker oder Empörer, noch vertrete ich Empörer als Lobbyist. Sicher, ich habe ein berufliches Interesse an dem Thema. Als Kommunikationsberater wundert es mich schon, warum die im Kern einfachen Regeln der Kommunikation auf der öffentlichen Bühne der Politik so sträflich ignoriert werden. Klartext sprechen, frühzeitig die Probleme benennen, in Krisen die Wahrheit so schnell wie möglich auf den Tisch bringen, Emotionen weglassen, Ziele formulieren und Erreichtes genauso nennen wie Verfehltes. Das ist der Handwerks- und Wissenskasten der Kommunikation.
Vor allem bin ich Staatsbürger. Wir sind jung, wir haben Kinder, wir wollen in Deutschland wohnen, weil hier unsere Familien leben, weil wir eine schöne Kindheit hatten. Wir verdienen gut, wir zahlen Steuern, wir konsumieren, wir schaffen Arbeitsplätze. Wir tun was, bei uns bewegt sich was. Schaffen wir, was unsere Eltern geschafft haben? Das wäre toll. Familie zusammenhalten, Kinder gut ausbilden lassen, ein bisschen Wohlstand sichern mit eigenem Haus und Urlaub jedes Jahr? Vielleicht. Ob wir unseren Kindern aber empfehlen, solche Lebensziele in Deutschland anzustreben, da kommen bei uns zunehmend Zweifel auf. Das ist empörend. Wir sind nicht die Einzigen, die so denken. Eine ganze Generation, die nun gleichzeitig die Lasten der Alten und die Ausbildung der Jungen schultern muss, denkt so – davon bin ich überzeugt.
Zu allen Debattenthemen, die in diesem Buch zur Sprache kommen, habe ich sicher als Staatsbürger auch eine Meinung. Ich habe Vorstellungen zur Integration ausländischer Mitbürger, zur Lösung der Euro-Krise, zum Thema Rente, Gesundheit und zur Atomkraft. Aber diese Meinung will ich in diesem Buch so weit wie möglich zurückhalten. Erstens interessiert keinen, wie ich etwa die Euro-Krise lösen würde – und es bewirkt auch nichts. Zweitens will ich mich zuvörderst damit beschäftigen, warum der Austausch von Meinungen in der Politik nicht mehr ohne Empörung auskommt, was schiefläuft in der Debattenführung und wie man es besser machen kann. Nur der offene Austausch der Meinungen und Vorschläge, sachlich, ergebnisoffen und klar kommuniziert, wird das Land aus der Entscheidungslosigkeit führen. Dafür lohnt es sich einzutreten.
Im Zug von Köln nach Frankfurt haben mittlerweile fast alle ihr Handy am Ohr oder ihren Blackberry in der Hand. Bei keinem Anruf, den ich ungewollt belausche, fehlt die Erwähnung unserer kleinen Verspätung, gewürzt mit sarkastischen Bemerkungen über die Bahn. Alle scheinen sich zu freuen, etwas zum Aufregen gefunden zu haben. Ist das nicht verrückt? Wir rasen mit Tempo 250 durch die Landschaft, wir nutzen die modernsten Kommunikationstechniken, aber trotzdem sind wir gefangen in den Ritualen der Steinzeit. Trotz Handy, Blackberry, Google und Facebook schlagen wir uns in der öffentlichen Debatte wie die Steinzeitmenschen die Keulen auf den Kopf. Bizarr.
Am Ende eines Vorwortes steht oft der Dank. Am Ende dieses Buchprojekts danken vor allem die Betroffenen in meiner Umgebung, dass das Projekt abgeschlossen ist. Meine Familie, vor der ich mich jetzt nicht mehr im Arbeitszimmer abschotten muss. Meine Partner und Mitarbeiter bei Stockheim Media, die einem entspannteren Chef wieder Fragen stellen und Termine in den Kalender drücken dürfen. Aber auch ich habe zu danken. Anna Lena Kleine und Dr. Christian Fälschle, die mir bei der Recherche geholfen haben. Vor allem aber danke ich Klaus Frings, engagierter Journalist, TV-Redakteur und Filmautor, der mich beim Schreiben unterstützt hat. Er war ein wichtiger Spiegel meiner Gedanken, hat immer wieder korrigierend eingegriffen, wenn ich Gefahr lief, mich vom – wie er es nennt – »Feldherrenhügel des neutralen Beobachters« zu sehr in die Rolle des Meinungsverbreiters zu bewegen. »Sei kein Sarrazin 2, sondern Stockheim 1«, hat Klaus Frings mir mahnend immer wieder mit auf den Weg gegeben. Ich hoffe, es ist mir gelungen.
Köln, im Frühling 2011
Ulrich Stockheim
Kapitel 1:
Im Land der Empörer
Ob Euro-Krise, Rente, Hartz-IV oder Integration: Die drängenden Probleme unseres Landes kommen nicht vom Fleck. Dass die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg Deutschland wochenlang beschäftigt und sein Rücktritt ein mediales Erdbeben auslöst, wirft ein bedenkliches Licht auf unsere Debattenkultur. Das Einzige, was sich unaufhaltsam bewegt, ist die Schuldenuhr.
»Wir erleben eine Krise der politischen Kommunikation.«
(Karl-Theodor zu Guttenberg, ehemaliger Bundesverteidigungsminister und Opfer seiner eigenen Kommunikation)
»Manchmal muss die Politik Konflikte inszenieren, damit die Leute sich für das Thema interessieren.«
(Angela Merkel)
Land der Empörer. Das passt eigentlich nicht zu Deutschland. Denn worüber sollte man sich empören? Die Welt liebt uns. Laut einer Umfrage der BBC sind wir das beliebteste Land der Welt. Überall auf der Erde rollt man uns den roten Teppich aus, den Urlaubern, die aus Deutschland Milliarden in die entlegensten Winkel des Globus tragen, den tüchtigen Mittelständlern und Unternehmern, die Deutschland zum Exportland Nummer eins gemacht haben, der Fußballnationalmannschaft, die den besten Fußball der Welt spielt. Unsere Forscher sind von Boston bis Shanghai ebenso willkommen wie die Entwicklungshelfer, die unermüdlich Brunnen im Sudan graben und Dörfer mit Essen versorgen. Wer es in China, Amerika oder sonst wo auf der Welt geschafft hat, fährt Mercedes, Porsche oder BMW – die Chinesen machen gerade Volkswagen zum größten Autobauer der Welt. Umwelttechnik-Firmen liefern Brennstoffzellen-Kraftwerke nach Kuwait, bauen Windräder in Kalifornien und erzeugen Solarstrom in der afrikanischen Wüste. Im Jahr drei der Finanzkrise produziert die Wirtschaft Wachstumsraten wie in den Schwellenländern, die Arbeitslosigkeit sinkt unter 3 Millionen – auch darüber staunt die Welt.
Im Land der Dichter und Denker, der sauberen Flüsse, kristallklaren Bergseen, naturgeschützten Berge und müllfreien Küsten, der mittelalterlichen Städte und architektonischen Avantgarde, im Land der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler wie Gerhard Richter,