Raum 11 Die ozeanischen Hunde
Von Jürgen Timm
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Eremias und Babuun kamen aus der Kalahari. Sie wanderten nach Westen, sie durchquerten die Wüste und gelangten schließlich, nach einigen Jahren und unter großen Entbehrungen, an den Rand eines großen Ozeans. Die Bilder dieser Wanderung befinden sich im Raum 9: Ursprünglich war alles Schweigen. Ich zeig sie dir ein anderes Mal.
Also: Eremias und Babuun, seit Zeiten lebten sie am Rande des Ozeans, am Rand der Wüste. Die Bilder im Raum 11: Die ozeanischen Hunde berichten, was dort geschah, was sie sahen, worüber sie redeten, was sie fühlten und dachten.
Hier ein Beispiel: Raum 11.2 Bild 5: Wer bezahlte und wie hoch war der Preis?
Ein Bild löste sich aus einem Schatten. Es kam näher und näher. Eremias spürte den Atem des Bildes in seinem Nacken, ganz nah, in seinem Nacken, am Ohr, und an seiner Wange.
Das Bild sprach:
Und du, Eremias, Mensch, Kind, Kühlewind? Auch dein Glück ist nicht von ungefähr. Irgendjemand bezahlte für dein Glück. All die Tiere, die sterben mussten, damit Eremias, Kühlewind, Kind, Mensch, satt und glücklich werde!
Ist es nicht so?
Und überhaupt, was musste geschehen, damit Eremias, Kühlewind, Mensch, Kind, zu dem wurde, was er ist?
Sieh in deine Vergangenheit?
Schau genau hin! Na mach schon! Was siehst du? Eremias, Mensch, Kind, Kühlewind. Was zögerst du! Mach hin, Eremias. Sag, was du siehst!
Das Bild hielt einen Spiegel hoch:
Ich werde dir sagen, was du siehst.
All die Kriege, Toten, Morde, Völkerwanderungen, Hinterhalte, all die Treulosigkeiten, Eroberungen, Eliminierungen, und Intrigen, Komplott und Verrat, gebrochene Verträge,
Brandschatzung, gewaltsame Zeugung, Raub, und Plünderung,
Zweikämpfe auf Leben und Tod! Und immer wieder die Begehrungen dessen, was dir nicht gehört! Hab und Gut Weib und Tochter der anderen, deines Nachbarn, deines Feindes, deines Freundes.
Und dann das Leid, und immer wieder das Leid, und dann der Tod und immer wieder der Tod. Das ist es, was ich sehe, in deiner Vergangenheit.
Und das Ergebnis all dieser Taten?
Das wenige Glück jener Wenigen? Jener Lebenden, jener, die gerademal leben, so eben und eben, eingeschoben zwischen Tod und Tod?
Jürgen Timm
Ich gehöre in den Jahrgang 39. Ich habe lange in Schwarzafrika gelebt und gearbeitet, mehrere Jahre davon in der Kalahari. Ich hatte dort, in der Savanne, in der Wildnis, in der Einsamkeit, viel Zeit, über das Leben nachzudenken. Stimmt nicht. Ich hatte keine Zeit, ich habe mir die Zeit genommen, genaugenommen gestohlen. Gott sei es geklagt. Und nun sitze ich hier, in Lüneburg, und weiß immer noch nicht, was es mit dem Leben und dem Sterben auf sich habe, und ob es nicht doch eine Form der Unsterblichkeit geben könnte.
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Rezensionen für Raum 11 Die ozeanischen Hunde
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Buchvorschau
Raum 11 Die ozeanischen Hunde - Jürgen Timm
Titelbild:
Eugen Delacroix (1798-1863): Tête de lion rugissant Momentaner Standort: Louvre
Autor Kontakt:
juergen.timm39@Yahoo.de
Raum 11: Die ozeanischen Hunde
Vorspann
Der Ort der Handlung ist die Skeleton Coast, ein gottverlassener Küstenstreifen zwischen der Wüste Namib und dem Atlantischen Ozean. Der Begriff Skeleton bezieht sich auf die zahlreichen Wracks der über die Jahrhunderte hier gestrandeten Schiffe.
Eremias und Babuun kamen aus der Kalahari. Sie wanderten nach Westen, sie durchquerten die Wüste und gelangten schließlich- nach einigen Jahren und unter großen Entbehrungen - an den Rand eines großen Ozeans. Die Bilder dieser Wanderung befinden sich im Raum 9: Ursprünglich war alles Schweigen. Ich zeig sie dir ein anderes Mal.
Also: Eremias und Babuun, seit Zeiten lebten sie am Rande des Ozeans, am Rand der Wüste. Die Bilder im Raum 11: Die ozeanischen Hunde berichten, was dort geschah, was sie sahen, worüber sie redeten, was sie fühlten und dachten. Ein Beispiel.
Raum 11.2 Bild 5: Wer bezahlte und wie hoch war der Preis?
Ein Bild löste sich aus einem Schatten. Es kam näher und näher. Eremias spürte den Atem des Bildes in seinem Nacken, ganz nah, in seinem Nacken, am Ohr, und an seiner Wange.
Das Bild sprach:
Und du, Eremias, Mensch, Kind, Kühlewind? Auch dein Glück ist nicht von ungefähr. Irgendjemand bezahlte für dein Glück. All die Tiere, die sterben mussten, damit Eremias, Kühlewind, Kind, Mensch, satt und glücklich werde!
Ist es nicht so?
Und überhaupt, was musste geschehen, damit Eremias, Kühlewind, Mensch, Kind, zu dem wurde, was er ist?
Sieh in deine Vergangenheit?
Schau genau hin! Na mach schon! Was siehst du? Eremias, Mensch, Kind, Kühlewind. Was zögerst du! Mach hin, Eremias. Sag, was du siehst!
Das Bild hielt einen Spiegel hoch:
Ich werde dir sagen, was du siehst.
All die Kriege, Toten, Morde, Völkerwanderungen, Hinterhalte, all die Treulosigkeiten, Eroberungen, Eliminierungen, und Intrigen, Komplott und Verrat, gebrochene Verträge…
Brandschatzung, gewaltsame Zeugung, Raub, und Plünderung…
Zweikämpfe auf Leben und Tod! Und immer wieder die Begehrungen dessen, was dir nicht gehört! Hab und Gut Weib und Tochter der anderen… deines Nachbarn, deines Feindes, deines Freundes…
Und dann das Leid, und immer wieder das Leid, und dann der Tod und immer wieder der Tod. Das ist es, was ich sehe, in deiner Vergangenheit.
Und das Ergebnis all dieser Taten?
Das wenige Glück jener Wenigen? Jener Lebenden, jener, die gerademal leben, so eben und eben, eingeschoben zwischen Tod und Tod?
Das Glück jener Wenigen, welche auftauchten aus den Wogen des Meeres, der Zeit, und des Leids. Bald werden auch diese Wenigen sterben… versinken, ertrinken!
Das Bild, unerbittlich und bitterböse: Liegt es unter diesen Umständen nicht nahe zu fragen: War es das wert? Eremias? Kind? Kühlewind? War es das wert? All die Bemühungen? All das Leid?
Ist das Glück auch dann noch das Glück, wenn der Preis dafür, für dieses Glück, der Wenigen, der Lebenden, so jenseits aller Dimensionen liegt?
Nach Jahr Milliarden myriadenfachen Leids erblühten, aus den Verderbungen der Vielen, Momente des Glücks einiger, weniger Menschen.
Sag mal selbst, war es das wert?
Wahrhaft teuer erkaufte Momente des Glücks. Ist es nicht so? Eremias, Kind, Kühlewind? Gestohlene, geraubte, widerrechtlich angeeignete Momente des Glücks!
Findest du nicht auch?
Sieh dich um! All die Horden und all das Morden, all das Heucheln, all das Meucheln! All die offenen und heimlichen Schläge, all das Schreien und Schleimen, und das bitterböse Lachen!
Das bisschen Glück!
Teuer bezahlt, nicht wahr? Ein wenig zu teuer, findest du nicht auch? Eremias? Kind? Kühlewind? Denk nach! Wer denn zahlte den Preis für die Momente deines Glücks?
Denk nach! Wer bezahlte?
Das bisschen Glück, dazu durchsetzt von Bauchschmerzen und Herzeleid! Und einige gibt es, die zahlen immer noch!
Und einen gibt es, der zahlt immer noch!
Das Bild, unerbittlich und bitterböse:
Ich schwöre dir, so manches Tier stieg für dich hinab, dorthin, hinab, wo es den Preis bezahlte, für dein Glück.
Und weilenhaft ist es dazu, dein bisschen Glück, so eben und eben, eingeschoben zwischen Werden und Sterben.
Dein Glück, Eremias, entstand aus dem Unglück der anderen, aus dem Leid und dem Sterben der anderen, Eremias! Kind! Kühlewind!
Das Bild sank in seinen Schatten zurück. Eremias erwachte.
Eremias erhob sich. Er schüttelte seinen alten, mageren Leib und stellte ihn gerade.
Eremias, gegen den Himmel gereckt:
Dieses Glück, dieses bisschen Glück kann nicht das Ziel, und nicht der Sinn der Reise sein! Dessen bin ich mir sicher!
All das Leid wurde und wird für etwas anderes bezahlt. Leben und Sterben wurde für etwas anderes bezahlt. Dessen bin ich mir sicher!
Eremias und Babuun, am Rande des Ozeans, am Rande der Wüste, lebten sie seit Zeiten. Was taten sie, was machten sie, in diesen Zeiten?
Sie sprachen miteinander. Es ging um die Momente des Glücks, und, es ging um den Preis, für diese Momente, des Glücks, und es ging darum, wer dafür zahlte, für diese Momente, des Glücks.
(Anmerkung: Raum 11.2 Bild 5 bedeutet das 5. Bild in der 2. Abteilung von insgesamt 7 Abteilungen im Raum 11)
Inhaltsverzeichnis
Raum 11: Die ozeanischen Hunde