Das Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer
Von Andreas von Heyl
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Buchvorschau
Das Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer - Andreas von Heyl
Andreas von Heyl
Das Anti-Burnout-Buch
für Pfarrerinnen und Pfarrer
Impressum
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2012. Kreuz Verlag
Besuchen Sie uns im Internet: www.kreuzverlag.de
ISBN der Printausgabe: 978-3-451-61040-0
E-Book ISBN: 978-3-451-33795-6
Inhaltsübersicht
Einführung
Stress gehört zum Leben
Zur geistlichen Dimension von Brennen und Ausbrennen
Helfen macht müde
Burnout – was ist das eigentlich?
Die Last des Amtes und die Belastung der Amtsträger/innen
Die Lust des Amtes und die Entlastung der Amtsträger/innen
Strukturelle Burnout-Vorsorge im kirchlichen Dienst
Grundlinien einer professionellen Hygiene im kirchlichen Dienst
Und wenn die Prävention scheitert?
Für die eigene Seele sorgen
Den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen
Einführung
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie haben sich von einem Buch ansprechen lassen, in dem es um Burnout und dessen Prävention in kirchlichen Berufen geht. Wahrscheinlich sind Sie selbst in einem kirchlichen Arbeitsfeld tätig, als Pfarrerin oder Pfarrer, als Diakon oder Diakonin, als Religionspädagogin oder in einem anderen pädagogisch-theologischen Beruf. Belastungen und Stress spielen in Ihrem beruflichen Alltag sicher eine Rolle. Vielleicht leiden Sie manchmal an bestimmten Überlastungserscheinungen und spüren sogar schon erste Anzeichen von Burnout – oder schlimmstenfalls stecken Sie bereits mittendrin.
Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie sich vor Burnout schützen können. Wie Sie hilfreich mit den spezifischen Belastungen im Pfarrberuf und anderen kirchlichen Berufen umgehen können und wie Sie vermeiden, sich immer wieder in typischen Fallen zu verfangen, die Sie sich selbst stellen oder die von anderen gestellt werden. Es geht um die Arbeitsgesundheit im kirchlichen Bereich. Gerade in Berufen, denen so zentral an Heil und Heilung, am äußeren und inneren Wohl der Menschen gelegen ist, ist es ein Skandal, dass diejenigen, die sie ausüben, immer mehr belastet und oft sogar krank werden.
Was ein Buch nicht leisten kann, ist, Sie wieder gesund zu machen, wenn Sie gerade eine Erschöpfungsdepression oder ein Burnout-Syndrom durchleiden. In diesem Fall führt kein Weg an fachkundiger Hilfe vorbei, und ich bitte Sie, diese unbedingt in Anspruch zu nehmen. Ab einer bestimmten Intensität werden die Dinge »von selbst« nicht mehr besser, sondern in der Regel immer schlechter. Therapie ist ein interaktives Geschehen zwischen zwei oder mehreren Personen in einem genau definierten Rahmen. Ein Buch kann dies nicht leisten. Sie brauchen übrigens keine Sorge zu haben, dass Ihnen berufliche Nachteile erwachsen, wenn Sie therapeutische Hilfe für sich in Anspruch nehmen. Die Personalreferenten der Landeskirchen werten dies schon lange nicht mehr als Makel und Zeichen von Schwäche, sondern umgekehrt als Ausweis von Kompetenz und Professionalität.
Dieses Buch richtet sich im Titel zwar zunächst an Pfarrerinnen und Pfarrer, doch vieles von dem, was hier zur Sprache kommt, betrifft auch Mitarbeitende in anderen kirchlichen Berufen. Es sind also auch Diakone, Religions- und Gemeindepädagoginnen, Kirchenmusiker, Kindergärtnerinnen und andere im kirchlichen Dienst Beschäftigte angesprochen.
Schwerpunktmäßig geht es um die Situation in der evangelischen Kirche. Viele der Analysen und Schlussfolgerungen lassen sich jedoch auch auf die katholische Kirche übertragen. Wobei sich dort, zumindest bei den Priestern, aufgrund des Zölibats noch einmal spezielle Probleme ergeben. Andererseits ist der Pfarrberuf auf evangelischer Seite oftmals auch nicht problemlos mit einem harmonischen Familienleben zu vereinbaren.
Naturgemäß wird im Folgenden viel von Belastungen und Problemen der Arbeit in kirchlichen Berufen die Rede sein. Darüber sollten wir aber im Auge behalten, dass die meisten Tätigkeiten in diesen Berufen zu den schönsten und erfüllendsten Aufgaben zählen, die es überhaupt gibt und die viel Freude und innere Bereicherung schenken. Gerade deshalb ist es wichtig, mit Leidenschaft ans Werk zu gehen, dabei aber die je eigenen Grenzen zu kennen und zu beachten.
1
Stress gehört zum Leben
Stress gehört zum Leben. Der Wunsch nach einem stressfreien Leben ist zwar verständlich, aber er wird sich nicht erfüllen. Der einzige wirklich stressfreie Zustand ist der Tod. Menschen wie Tiere, wahrscheinlich auch Pflanzen, erleben während ihres Daseins immer wieder Augenblicke oder längere Phasen, in denen sie unter Stress geraten. Beim Menschen ist zu unterscheiden zwischen »Eu-Stress«, dem »guten«, angenehmen Stress, und dem gesundheitsschädlichen, zersetzenden »Dis-Stress«. Eustress empfindet die Pfarrerin vielleicht, wenn sie spürt, wie sie beim Verfassen einer Predigt immer mehr »in Fluss« kommt, darüber die Zeit vergisst und bis weit nach Mitternacht an ihrem Schreibtisch sitzt. Gerade an diesem Beispiel leuchtet aber zugleich ein, dass auch der Eustress auf Dauer gesundheitsschädlich ist. Sollte die Pfarrerin in ihrer Euphorie nämlich gleich mehrere solcher sie begeisternden Nachtschichten einlegen, wird ihr ihr Körper früher oder später die Zusammenarbeit verweigern.
Dass wir Stress erleben, ist nichts Negatives, im Gegenteil: Die Natur hat uns ein endokrinologisches Alarmsystem mitgegeben, damit wir überleben können. In Gefahrensituationen bringt der Stress unseren Organismus in kürzester Zeit in Hochform. Aktiviert wird das Stresssystem durch das Auftauchen von Stressoren. Bei unseren frühzeitlichen Vorfahren war dies zum Beispiel ein Säbelzahntiger, der plötzlich aus dem Gebüsch hervorbrach. Das Erscheinen der Raubkatze hatte zur Folge, dass sich der gesamte Organismus des überraschten Jägers blitzartig und unwillkürlich in den Alarmzustand versetzte, um die größtmögliche physiologische und psychische Präsenz zu erreichen. Der Hypothalamus im Gehirn setzt in solchen Fällen in Sekundenbruchteilen die Botenstoffe CRH und Vasopressin frei, diese wiederum veranlassen die Hypophyse, den Botenstoff ACTH auszuschütten, der binnen zwei, drei Herzschlägen die Nebennierenrinde erreicht und bewirkt, dass sie das Stresshormon Cortisol ausstößt. Vom Nebennierenmark werden zusätzlich die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin in die Blutbahn abgegeben. Durch den Blutkreislauf werden sie in alle Organe und Muskeln transportiert und versetzen diese in Höchstform. Das Herz schlägt unserem Jäger nun bis zum Hals, seine Lungenaktivität verstärkt sich, um die Muskeln mit mehr Sauerstoff zu versorgen. Gehirn und Nervensystem, die Sinnesorgane und der Muskelapparat sind in höchster Anspannung. Blitzschnell gilt es jetzt, zu entscheiden: »fight or flight«. Die Bestie angreifen mit aller Kraft oder so schnell wie möglich fliehen. Für welche der beiden Möglichkeiten sich der Urmensch auch entschied, in jedem Fall wurde durch die daraufhin erfolgende intensive körperliche Aktivität der Hormonspiegel in seinem Blut wieder abgebaut.
Und genau dies geschieht bei uns »Zivilisierten« immer seltener. Der normale Büromensch schlägt seinen Chef und seine Kunden nicht, wenn sie ihn ärgern. Er rennt auch nicht einfach aus dem Zimmer. Die Pfarrerin brüllt ihren Dekan nicht an und haut eben nicht mit der Faust auf den Tisch, auch wenn er es verdient hätte. Wir bleiben sitzen. Wir senken den Kopf. Es kocht in uns, aber wir schlucken unseren Ärger hinunter. Dort verursacht er dann Magen- oder Kopfschmerzen.
Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit leben, in der wir zusätzlich zu den jeweils gerade akuten Stressoren einer Vielzahl von Hintergrundbelastungen ausgesetzt sind, die frühere Generationen so nicht kannten. Denken wir nur an die vielen Umweltgifte. An den immerwährenden Lärmteppich, dem man zumindest in den Städten gar nicht mehr entfliehen kann. An das Blitzgewitter der unterschiedlichsten Sinnesreize, die täglich auf uns eindringen. Aber auch an die zunehmende Bindungs- und Beziehungsunsicherheit im sozialen Netz, in dem wir leben, und an die wirtschaftliche und berufliche Ungewissheit, mit der wir fertig werden müssen. Der anhaltende Stress unserer Lebensbedingungen macht heute immer mehr Menschen krank. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse werden bereits bei jedem fünften Erwerbstätigen psychische Störungen diagnostiziert.
2
Viele von uns stehen ständig »unter Strom«. Die Adrenalin- und Cortisolwerte in ihrem Blut sind permanent zu hoch. Eine anhaltend hohe Cortisolkonzentration schwächt das Immunsystem, macht also infektanfälliger, führt zu Schlaflosigkeit, ständiger Gereiztheit, hohem Blutdruck und kann letztendlich Depressionen verursachen. Diese Symptome wirken dann als weitere Stressoren wieder auf den Organismus zurück und verstärken nochmals den Stress.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO prognostiziert, dass neben Krebs, Demenz und Depressionen stressbedingte Gesundheitsstörungen die Hauptkrankheiten des 21. Jahrhunderts sein werden. Und unter diesen stressbedingten Gesundheitsstörungen findet sich nun in zunehmendem Maße auch jenes »Burnout-Syndrom«, um das es in diesem Buch gehen soll.
Zur geistlichen Dimension von Brennen und Ausbrennen
Vor der Beschäftigung mit der Entstehung und den Auswirkungen des Burnout-Syndroms möchte ich zunächst einiges zur geistlichen Dimension der Thematik ausführen. Dabei wird sich zeigen, dass es für kirchliche Mitarbeitende noch eine andere, tiefere Auswirkung hat, wenn sie von »Burnout« betroffen sind, als beispielsweise für Krankenschwestern oder Lehrer.
Mit den Begriffen »Brennen« und »Ausbrennen« bewegen wir uns von vornherein im Umfeld zentraler biblischer Themen. Es geht um Leuchten oder Verlöschen, um Licht und Finsternis, ja letztlich um Leben und Tod. »Finsternis« ist der biblische Zentralbegriff für den Bereich des Todes, der Sünde, der von Gott abgewandten Welt, die in und an dieser Abwendung zugrunde gehen wird. Wo aber Gott ist, da ist »Licht«. 67 Mal spricht die Bibel vom Licht, 52 Mal von der Finsternis. 27 Mal verwendet sie das Wort Feuer im Blick auf Gott. Vor allem im Alten Testament ist dabei nicht nur von der belebenden, sondern auch von der verzehrenden und verheerenden Kraft des Feuers, das von Gott ausgeht, die Rede. Auffallend ist, dass gerade an herausgehobenen Stellen der Bibel immer wieder die Metaphorik des Feuers und des Brennens erscheint:
Im Alten Testament
Am Beginn der Geschichte Gottes mit Israel steht der brennende Dornbusch, aus dem heraus Gott zu Moses spricht (vgl. Ex 3,2).
Gott weist seinem Volk den Weg aus der Sklaverei in die Freiheit, indem er ihm tagsüber in einer Wolkensäule und nachts in einer Feuersäule vorangeht (vgl. Ex 13,21).
Im kultischen Gesetz Israels wird explizit betont, dass »auf dem Altar des Herrn ständig das Feuer brennen und nie verlöschen« soll (Lev 6,5–6).
Einem der wichtigsten Propheten Israels, Elia, gab man den Beinamen der »Feurige«, nicht nur wegen seines ungestümen Wesens, sondern auch, weil er am Ende in einem feurigen Wagen, gezogen von feurigen Rossen, in den Himmel entrückt wird (vgl. 2Kön 2,11). Im Buch Jesus Sirach heißt es über ihn wunderbar bildkräftig: »Er brach hervor wie ein Feuer, und sein Wort brannte wie eine Fackel« (Sir 48,1).
Im Neuen Testament
Im Neuen Testament setzt sich die Metaphorik fort. Johannes der Täufer weist auf Jesus hin mit den Worten: »Nach mir wird jemand kommen, der euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen wird« (Mt 3,11; vgl. Lk 3,16).
Jesus wiederum sagt über Johannes: »Er war ein brennendes und scheinendes Licht« (Joh 5,35).
Von sich selbst sagt Jesus: »Ich bin gekommen, um ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennen würde« (Lk 12,49).
Als ein Beispiel für die rechte Nachfolge stellt Jesus seinen Hörern das Bild von den zehn klugen und den zehn törichten Jungfrauen vor Augen (vgl. Mt 25). Die Klugen haben ein Reservefläschchen für ihre Öllampen dabei, sodass sie dem Bräutigam auch noch mit ihren Lichtern entgegenziehen können, als dieser sich verspätet. Aus diesem Gleichnis erhebt sich die direkte Frage an uns: Wie steht es mit unserem »Brennstoff«? Haben wir Reserven? Wo sind unsere Ressourcen? Pflegen wir sie? Übrigens ist die Öllampe in diesem Zusammenhang ein viel schöneres Symbol als das im Raum der Kirche gebräuchliche Sinnbild der Kerze. Eine Kerze verzehrt sich selbst, während sie leuchtet, und ist dann eines Tages nicht mehr da. Ein Öllämpchen kann man einmal heller und einmal schwächer leuchten lassen, je nach Bedarf. Und wenn es einmal ausgeht, ist es nicht weiter schlimm, denn es lässt sich jederzeit neu entzünden – wenn, ja eben wenn genügend Brennstoff vorhanden ist.
»Seid brennend im Geist!«, fordert Paulus die Gemeinde im Römerbrief auf (Röm 12,11).
Am Geburtstag der Kirche, an Pfingsten, begegnen wir erneut der Metaphorik des Feuers: »Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten und sich auf jeden von ihnen setzten, und sie wurden alle mit dem heiligen Geist erfüllt…« (Apg 2,3f.). Es hätte ja auch ein anderes Symbol sein können, ein Regenbogen vielleicht oder ein Sturmgebraus, aber nein, es ist wieder das Feuer. Das Feuer ist der Inbegriff jener Kraft, mit der das Göttliche auf Erden erscheint und Menschen entflammt, sodass sie »begeistert« werden, dass sie »entbrennen«, dass sie sich mit »Feuer und Flamme« und mit ganzem Herzen einsetzen für eine Welt, die so werden soll, wie sie Gottes Willen entspricht. Die Apostel waren solche »Brennenden«, vor allem Paulus, dem Jesus »in einem leuchtenden Licht vom Himmel« erschien und der dann die Frohe Botschaft des Evangeliums in ganz Kleinasien und Griechenland und bis hin nach Rom verbreitet hat.
Denn ich esse Asche wie Brot …
Das Wort »Ausbrennen« kennt die Bibel dagegen nicht. Sehr wohl jedoch den Sachverhalt.
Das eindrücklichste Beispiel ist wiederum die Person des Propheten Elia. Eben noch hat er mit einem Feuerwunder auf dem Berg Karmel die Massen begeistert und den König bloßgestellt, nun liegt er ausgepumpt und verzweifelt in der Wüste unter einem Ginsterstrauch und bittet Gott, ihn sterben zu lassen: »Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele« (1.Kön 19,4).
Vor allem in den Psalmen finden sich Formulierungen, in denen sich verzweifelte, zusammengebrochene, depressive Menschen mit ihrem ganzen Elend wiederfinden und verstanden fühlen können. Zum Beispiel in Psalm 22,18: »Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen.« Oder, besonders bildstark, in Psalm 102,4–10: »Meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie von Feuer. Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras,